Unter Nachbarn - Thomas Stillbauer - E-Book

Unter Nachbarn E-Book

Thomas Stillbauer

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Beschreibung

Nachbarn können die wunderbarsten Menschen sein, immer bereit, mit einer Tasse Zucker oder einem Schraubenzieher auszuhelfen. Aber sie können einem auch das Leben zur Hölle machen. Allein schon durch ihre Anwesenheit. Ihre Stimmen. Und ihr nächtliches Husten. Vom Schnarchen ganz zu schweigen. Das Wiehern und das Quietschen, wenn sie lachen. Den Klingelton ihres Telefons. Kennen Sie das? Anfangs denkt man: Okay, das sind auch nur Menschen, mit denen können wir reden. Aber es dauert nicht lang, bis man einsieht: Das kriegen wir nicht hin. Denn: Himmel – das sind Nachbarn! (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Thomas Stillbauer

Unter Nachbarn

Ein Tagebuch von nebenan

FISCHER E-Books

 

Mit Zeichnungen von Kai Georg Wujanz

Inhalt

HausordnungEs sind Nachbarn!Wie bitte, Herr Hausmeister?Liebe Wohnungsgesellschaft …Rache ist SchiedsmannTraumschlösserInselreifShowdown am NikolausabendAuf dem AbsprungWen hätten wir denn gern?Abschied ist ein schweres SchafDanke schön, ich sag danke schönBitte sehrKleines Wörterbuch der Nachbarschaft»Gute Nacht, Hauser.« [...]

Hausordnung

Klopfklopf. Darf ich reinkommen?

 

Dieses Buch dient der Völkerverständigung. Geschrieben hat es eigentlich der Nachbar Hauser. Ich traf ihn im beginnenden 21. Jahrhundert – er war nervös, unausgeglichen und kurz angebunden. Ich fragte ihn, was er habe.

»Nachbarn«, sagte er.

Erst später verstand ich. Denn meine Nachbarn sind pflegeleicht. Aber die von Hauser …

Es gibt viele Leute, die Protokolle über Nachbarschaftslärm führen – und es gibt einen, der Tagebuch führt.

Hauser.

Er bat mich, das alles ein wenig zu ordnen und der Welt zur Kenntnis zu geben.

Aber lesen Sie selbst.

Bei Unklarheiten hilft das Wörterbuch im Anhang.

Ich ziehe mich nun zurück. T.S.

 

Das Wort hat der Nachbar Hauser.

(Mit bestem Dank für die Inspiration an den Nachbarn Wilhelm Busch)

Ach, was muss man oft von bösen

Nachbarn hören oder lesen!

Wie zum Beispiel hier von diesen,

Welche Horst und Else hießen.

Die, statt uns in Ruh’ zu lassen,

Schnäuzen, kreischen, tschingderassen,

Fiese Schockfrisuren tragen,

Volksmusik herüberjagen,

Oftmals noch darüber lachen –

Und die Glotze lauter machen.

 

Ja, zur Schweresthörigkeit,

Ja, dazu ist man bereit!

Meiers wecken, Müllers quälen,

Uns die letzten Nerven stehlen!

Auch noch zum Vermieter wetzen.

Brave Menschen zu verpetzen,

Ist den beiden angenehmer

Und dazu auch viel bequemer,

Als in Küche oder Dielen

Sich in Schweigen mal zu hüllen.

 

Aber wehe, wehe, wehe!

Wenn ich auf das Ende sehe!!

Ach, das war ein schlimmes Ding,

Wie’s mit Horst und Else ging.

Drum ist hier, was sie getrieben,

Kundgetan und aufgeschrieben.

 

Das Wort hat nun – Applaus, Applauser!

Der leidgeprüfte Nachbar Hauser.

Es sind Nachbarn!

Samstag, 9. Juni, 6:12 Uhr

Guten Tag,

mein Name ist Hauser, und ich habe Nachbarn.

Ja – ich stehe dazu.

Es fing alles ganz harmlos an. Die perfekte Frau und ich wollten eigentlich nur wohnen. Wir hatten uns nichts dabei gedacht. Dann waren da diese Stimmen und dieses Grollen und dieses Klopfen. Dieses Brummen. Das Husten. Das Schnarchen. Das Wiehern. Das Quietschen. Kennen Sie das?

Wir dachten anfangs: Okay, das kriegen wir hin, das sind auch nur Menschen, mit denen können wir ja über alles sprechen. Aber es dauerte nicht lang, bis wir einsahen: Okay, das kriegen wir nicht hin. Und bis wir erschüttert feststellten:

Himmel – das sind Nachbarn!

Nachbarn sind Leute, für die kein Telefon hätte erfunden werden müssen, weil sie so stimmgewaltig sind, dass man sie ohne technische Hilfsmittel bis nach Kuala Lumpur hört. Nachbarn sind Leute, die eine Million Freunde haben, von denen sie ununterbrochen besucht werden und mit denen sie jedes Wochenende bis in die frühen Morgenstunden Fernsehshows ansehen, in denen dicke Frauen in Kinderplanschbecken ausrutschen.

Nachbarn sind Leute, die über so etwas lachen. Laut.

Davon hatte uns niemand etwas gesagt, bevor wir den Mietvertrag unterschrieben. Die Welt veränderte sich ruckartig, als da plötzlich Horst und Else Schnattermann hinter unserer Wohnzimmerwand waren. Mein Tagebuch soll davon erzählen und uns helfen, unser Leben wieder in den Griff zu bekommen.

Dann los. Reden wir über Horst und Else Schnattermann, in diesem Buch auch häufig abgekürzt: HuE.Horst und Else.

Else macht für Horst häufig Arzttermine aus. Horst will sich zum Beispiel dringend die Zähne machen lassen. Es funktioniert so nicht mehr, sagt er. Ihm fällt alles aus dem Mund, sagt er. Sogar das Sprechen wird zunehmend schwieriger, sagt er. Und da hat er völlig recht. Ich verstehe ihn kaum noch. Akustisch.

Wer unsere verzweifelte Situation nicht so genau kennt, denkt jetzt: Natürlich kann dieser seltsame Hauser kaum verstehen, was Horst sagt – Horst sitzt ja schließlich im Nachbarhaus im Wohnzimmer und redet mit seiner Frau Else. Aber so einfach ist das nun auch wieder nicht. Sonst verstehen wir Horst nämlich immer ganz gut. Und Else erst mal. Wenn sie zum Beispiel um 6:30 Uhr einen ihrer berüchtigten Geburtstagsgrüße per Telefon überbringt:

»Ja! Guten Morgen! Else hier! Die besten Glückwünsche zum Geburtstag! Alles! Alles! Gute! Und ein langes Leben! Glück und Sonnenschein! Sollen immer an deiner Seite sein! Hahaha! Was! Hab ich euch geweckt!«

Wenn Else ihr typisches »Tschüü-üüs!« gesungen und den Telefonhörer aufgelegt hat, schwingt die Wand zwischen unseren Wohnungen noch ein Viertelstündchen nach. Dann erzählt Else ihrem Horst (und uns) den Inhalt des Telefongesprächs. Schwerhörig? Sind die beiden überhaupt nicht. Das haben sie ganz klar dementiert, als wir sie einmal danach fragten. Beziehungsweise dreimal. »Nee, nee!«, brüllte Else zur Antwort, »wir gehen alle zwei Wochen feucht mit dem Mopp und Meister Proper drüber!«

Else und Horst sind jetzt beide 77, aber sie haben die Kraft der zwei Herzen und Stimmbänder wie Gartenschläuche. Ihr Telefon hören sie meistens nach dem zwölften oder dreizehnten Klingeln. Manchmal versuchen wir, sie darauf aufmerksam zu machen, und rufen: »Telefooon!« Aber das bringt natürlich auch nichts. Da reden wir gegen die Wand.

Schnattermanns Telefon ist ein moderner Apparat. Er dudelt als Klingelton die erste Zeile des Saxophonsolos aus »Baker Street« von Gerry Rafferty, aber das wissen Horst und Else vermutlich nicht, genauso wenig, wie sie wissen, was wir alles über sie wissen. Was in ihrem Fernseher läuft. Welche Karnevalssendungen sie am meisten schätzen. Wann sie den nächsten Arzttermin haben.

Und wann sie nachts raus müssen, Horst und Else, jawohl, das wissen wir auch. Wobei: Das ist nichts Besonderes. Das wissen wir eigentlich von allen Nachbarn. In unserer Siedlung hat der Bauherr nämlich einst sehr viel Wert auf nachbarschaftliches Miteinander gelegt. Eine Wand diente vor achtzig Jahren nicht als Geräusch-, sondern als purer Sichtschutz, und wenn sie unter der Last einer beidseitigen Tapetenschicht nicht zusammenbrach – fein. Mehr musste eine tapfere Wand nicht leisten, damals, als unsere Siedlung erbaut wurde. Wozu auch. Man verstand sich. Unter Nachbarn. Man konnte gar nichts dagegen tun.

Aber soll ich Ihnen was verraten? Wir sind da heute anders – so genau wollen wir’s gar nicht von unseren Nachbarn wissen. Jedenfalls nicht von diesen Nachbarn.

Wenn wir doch bloß Verbündete hätten, dachte ich irgendwann. Und dann kam mir die Idee. Wenn diese Prüfung, die uns auferlegt wurde, einen Sinn haben soll, dann müssen wir die Geschichte hinaus in die Welt tragen – zu Gleichgesinnten, die das Leid teilen. Ich weiß, es gibt sie. Irgendwo da draußen, hinter diesen Türen. Für Sie schreibe ich dieses Tagebuch. Für Sie sitze ich hier und heute um kurz nach sechs in der Frühe am Computer und tippe mir die Nachbarschaft von der Seele.

Und für mich tue ich das natürlich auch. Der PC steht nämlich am entlegenen Ende der Wohnung. Auf der ganz anderen Seite. Da, wo Horst und Else Schnattermann nicht mehr die alleinige Geräuschhoheit über unser Leben haben. Und wenn Sie sich fragen, wieso um alles in der Wohnwelt schon um 6:12 Uhr: Um die Zeit fangen anständige Leute eben an zu arbeiten. Wenn sie neben Nachbarn wohnen, die sich seit einer halben Stunde die Nasen schnäuzen.

Montag, 11. Juni

Heute erst um kurz vor sieben geweckt worden. Könnte ein guter Tag werden. Jetzt einen schönen Kaffee.

Schrieb ich eigentlich am Samstag: So seien Nachbarn? Fies, laut, doof? Nananana – das wollen wir aber nicht so grob verallgemeinern. Da lassen wir mal die Wut für einen Moment verrauchen, und dann wollen wir das schön differenziert sehen.

Eben war ich zum Beispiel unten an der Haustür, um die Zeitung zu holen. Da liegen immer drei Exemplare im Korb hinter dem Türschlitz: eine für Meierbaums aus dem dritten Stock, eine für uns und eine für Familie Lenz im Parterre. Für die Lenzens das Konkurrenzblatt, aber das nehmen wir ihnen nicht übel. Nicht im Geringsten, denn die Lenzens sind herzensgute Leute, die niemandem etwas zuleide tun. Manchmal treffe ich Herrn Lenz beim Zeitungreinholen im Bademantel, dann grüßen wir uns herzlich, und ich gebe ihm die Zeitung in die Hand, statt sie wie üblich vor die Wohnungstür zu legen. Das ist das Mindeste, was ich den Lenzens zurückgeben kann. Sie haben bisher ungefähr 745998 Pakete für uns angenommen, denn sie sind beide nicht mehr berufstätig, und wir arbeiten den ganzen Tag. Ich habe immer ein ganz schlechtes Gewissen, wenn ich nach Hause komme und wieder einen Zettel im Briefkasten finde, auf dem steht, dass unser Paket bei Lenzens Asyl gefunden hat, weil wir nicht da waren. Frau Lenz ist nicht mehr so gut zu Fuß. Und dann komme ich auch noch und klingele sie ein zweites Mal (1. der Paketbringer; 2. ich) an die Tür.

»Ach was«, sagen sie dann immer, die Lenzens, »das tun wir doch gern. Das kommt doch von Herzen.«

Und als ich ihnen dann einmal eine Schachtel Pralinen brachte zum Dank für die Mühe, da waren sie fast ein bisschen empört. Das wäre doch nicht nötig gewesen, hieß es, das tut man doch jederzeit, das ist doch ganz klar.

So sind Nachbarn nämlich auch, sagte ich mir heute Morgen, als ich mit den zwei verbliebenen Zeitungen die Treppe wieder hochstieg.

Frau Seubert zum Beispiel. Im ersten Stock. Liest zwar keine Zeitung, aber sie hat das Herz am rechten Fleck. Und das Ohr auch, wie sie vor Jahren eindrucksvoll unter Beweis stellte. Die Geschichte lief so:

Ich hatte eine harte Zeit im Büro, keine freie Minute für nichts, die perfekte Frau ebenfalls. Sie wissen ja, wie das ist – genau in dieser Phase geht dann auch noch die Waschmaschine kaputt, und der Monteur gibt Ihnen den nächstmöglichen Termin. Ja, genau diese Art nächstmöglichen Termin, die Zeitspannen umfasst, wie wir sie sonst nur in den Bereichen Familienplanung und Altersvorsorge kennen.

Nach zwei Wochen war unser Wäschekorb restlos überfordert, und auch der Frischwäschebestand näherte sich dramatisch seinem Ende.

»PF«, sagte ich zur perfekten Frau: »Wir fahren zu meinen Eltern aufs Land. Waschen.«

Gesagt, gepackt. Mit 590 Kilo Schmutzwäsche rannten wir die Treppe hinunter zum Auto, stopften alles hinein und fuhren los zum Waschmarathon.

»Dann übernachten wir da am besten«, sagte die PF.

»Wird das Sinnvollste sein«, sagte ich. »Wäsche zum Wechseln haben wir ja genug dabei.«

Für uns war es möglicherweise das Beste. Für Frau Seubert nicht direkt.

Gut ausgeschlafen (wir) und strahlend sauber (Wäsche) ging es am nächsten Tag zurück nach Hause.

»Hast du eigentlich den Wohnungsschlüssel?«, fragte die PF, als wir uns der Heimat näherten.

»Ich? Wieso – du hast doch zugemacht.«

»Äh … das wüsst’ ich aber.«

(Regie: Jetzt die Unheil-im-Anzug-Filmmusik einblenden.)

Noch ein wenig schneller als geplant fahren wir heim. Im Haus scheint so weit alles normal. Aber im ersten Stock ist die Tür von Frau Seubert angelehnt. Und im zweiten Stock sitzt Frau Seubert in einem Gartenstuhl vor unserer Wohnungstür. Und strickt.

»Frau Seubert! Was, äh …«

»Ach, da sind Sie ja«, sagt Frau Seubert. »Alles in Ordnung?«

»Bei uns ja. Aber was tun Sie?«

»Ich passe auf. Ihre Tür stand gestern Nachmittag offen, als ich vom Wäscheboden kam, Sie waren nicht da, die Kammhubers wussten auch nichts – da habe ich die Wache übernommen.«

»Frau Seubert – das ist ja …«

»Aber das ist doch klar. Ich konnte nicht einfach die Tür zuziehen, ich wusste ja nicht, ob Sie Ihren Schlüssel mitgenommen haben, so eilig, wie Sie gestern vor dem Schmutzteufel aus dem Haus geflohen sind …«

Wir lachen ein Terzett.

»Das hätten Sie doch auch für mich getan«, sagt Frau Seubert.

»Darauf können Sie wetten«, sagt die PF. Eine Träne schimmert in ihrem Auge.

Seit diesem Tag haben wir nie mehr hochhackige Schuhe in der Wohnung getragen (ich trug allerdings auch vor diesem Tag eher selten hochhackige Schuhe in der Wohnung), obwohl Frau Seubert nicht direkt unter uns wohnt, da wohnen die Gunciks, sondern schräg gegenüber drunter, aber man weiß ja nie, was an Schall da unten ankommt. Obwohl: Bei uns im Haus weiß man genau, was an Schall ankommt – alles. Überall. Aber das nur am Rande. Um das Loblied auf Frau Seubert fertig zu singen: Wenn es etwas zu tun gäbe in der Wohnung der alten Dame, dann müsste sie nur bei uns klopfen, schellen oder läuten, und es wäre sofort erledigt. Das sagen wir ihr jedes Mal, wenn wir sie treffen. Natürlich hat sie noch nie geklopft oder Ähnliches. So ist Frau Seubert.

Und die Kammhubers bei uns gegenüber im zweiten Stock – über die reden wir später. Die sind mit Gold nicht aufzuwiegen, die Kammhubers, sagte ich mir heute Morgen auf dem Weg durchs Treppenhaus, als ich die Zeitung für Meierbaums nach oben brachte. Sehr ruhige Leute übrigens, die Meierbaums. Abgesehen von ihrer neuen Badezimmerarmatur und ihren morgendlichen Arbeitszeiten. Aber sonst: immer ruhig, immer freundlich.

So sind Nachbarn nämlich auch. Aber ich muss Schluss machen für heute. Horst und Else haben den Fernseher eingeschaltet. Da kann ich mich nicht mehr konzentrieren.

Dienstag, 12. Juni

Links oben in unserem Wohnzimmer hängt eine Styroporplatte. 100 × 50 × 5 Zentimeter. Lärmdämmung. Ganz in der Ecke. Die haben wir da vor einiger Zeit drangepappt mit Styropor-Klebstoff aus dem Drei-Liter-Eimer.

Was sollte das?

Wir hatten es nicht mehr ausgehalten. Heute, hatte ich zur perfekten Frau diesseits und zu Horst und Else jenseits der Wand gesagt – heute, Leute, fahren wir zum Baumarkt, kaufen Dämmmaterial, und danach fahren wir zum Schweden und kaufen günstige Regale. Dann ballern wir diese Wand voll mit Styropor, Pressspan und Büchern. Und dann hören Horst und Else auf zu existieren da drüben hinter den sieben Schichten bei den sieben Wichten. Dann kann Else telefonieren, so laut sie will, und Horst kann sich die Nase schnäuzen nach Altväterart.

Gesagt, gefahren. Doch dann auf dem Baumarktparkplatz die Erkenntnis: Unser Auto ist ein bisschen zu klein für unsere Wohnzimmerwand – wir können nicht genug Styropor in der erforderlichen Dicke mitnehmen. Es wäre kein Problem gewesen, wenn eine der Styroporplatten einen Führerschein, Klasse 3, gehabt hätte, aber so mussten wir selbst noch als Fahrerin und Beifahrer hinein ins Auto, und da wurde es ziemlich eng.

Wie auch immer – mehr als diese eine Styroporplatte, die nun an unserer Wand klebt, hatten wir durchaus dabei, als wir wieder nach Hause kamen vom Baumarkt.

Sofort begann ich, eine Platte anzupappen.

Sofort fiel sie wieder herunter.

Sofort drückte ich sie fester an.

Sofort fiel sie wieder herunter.

Mit deutlich erhöhter Klebstoff-Dosis ließ sie sich schließlich überreden, ein wenig zu verweilen. Erschöpft legten wir uns ins Bett.

Über Nacht wuchsen Zweifel und Angst, die Styropor-Bücherregal-Schicht könnte nicht reichen, Elses Telefonate und bevorzugtes Fernsehprogramm zuverlässig aus unserem Hoheitsbereich herauszuhalten. Außerdem befürchteten wir, nach Fertigstellung des umfangreichen Bauwerks nur noch seitlich mit angelegten Armen durch unser schlauchähnliches Wohnzimmer steppen zu können. Wir beschlossen, uns eine neue Wohnung zu suchen. Es war ein kleines Jubiläum: der 50. Beschluss dieser Art ohne erzählbares Ergebnis.

Nun haben wir eine blütenweiße Styroporplatte ganz links oben an unserer dunkelroten Wohnzimmerwand. Sie ist so gut festgeklebt, dass sie nur noch mit einem Pressluftbohrer abzukriegen ist. Das würden wir Else und Horst zuliebe zwar gern tun, aber wir haben keinen Pressluftbohrer. In unserem Keller liegen übrigens weitere 30 Styroporplatten. Die Regale stehen zum Glück noch beim Schweden.

Herr Blockmann aus der Blasiusstraße, der 22 Jahre beim Baumarkt tätig war, legt in diesem Zusammenhang Wert auf die Feststellung, Styropor habe im Kampf gegen den Lärm noch nie einen Wirkungstreffer landen können, da brauche man schon Gipskartonplatten, und er habe es uns ja schließlich gleich gesagt.

Else hat vorhin einen Termin beim Orthopäden für Horst ausgemacht. Morgen, Mittwoch. Da müsste man sich frei nehmen. Das wird bestimmt eine himmlische Ruhe in unserem Wohnviertel.

Mittwoch, 13. Juni

Wunderbar – der Tag des Orthopädenbesuchs. Um 7 Uhr haben meine Nachbarn Horst und Else das Haus Richtung Arzt verlassen. Diese Ruhe. Diese Harmonie. Diese innere Einheit. Dieses ganz leise Brummen. Dieses näher kommende leise Brummen. Dieses halblaute … was geht hier vor?

»Nee, oder?«, schreit die perfekte Frau unter ihrer Decke gegen das Geräusch an.

»Was ist das?«, frage ich entkräftet.

»Rasenmäher«, sagt die perfekte Frau.

»Nee, oder?«

»Doch.«

»Heute ist aber der Tag, an dem Horst und Else …«

»… zum Orthopäden gehen, ich weiß. Aber heute ist offenbar auch der Tag, an dem …«

»… die Wohnungsgesellschaft um 7:05 Uhr den Rasen zwischen den Häuserzeilen mähen lässt. Bitte sag, dass es nicht wahr ist.«

»Es ist nicht wahr.«

»Du lügst.«

»Ich gestehe.«

Die perfekte Frau sieht durch die Jalousie auf den angeblichen Rasen, der nur noch auf dem Papier besteht beziehungsweise überhaupt nicht mehr, denn Gras ist im allgemein vorherrschenden Braun höchstens in Spuren enthalten, die für den Kampf gegen den Klimawandel nicht mehr als scharfes Schwert taugen. Auf dem armen grünen Dutzend Grashalme fährt ein Mann mit einem flugzeugträgergroßen traktorartigen Rasenmäher hin und her.

»Diese Mörder!«, sagt die perfekte Frau und klappt zurück aufs Kissen.

»Das machen die extra«, sage ich.

»Das haben die mit Horst und Else abgesprochen.«

»Die wollen uns fertigmachen.«

»Die wollen uns loswerden.«

»Die wollen uns umbringen.«

»Die wollen um 15 Uhr Feierabend machen.«

»Deshalb fangen die mitten in der Nacht an.«

Den ganzen Morgen quält der Mann mit dem Riesenmäher die ohnehin kaum streichholzlangen Halme. Unsere Lieblingsnachbarn, die Eichhörnchen, sehen sich das Drama aus ihrem fernen Kobel an. Die perfekte Frau geht zur Arbeit. Ich muss zu Hause bleiben. Ich habe mir ja extra frei genommen, weil Horst und Else einen Arzttermin haben. Wer konnte so was ahnen.

»Ich hab’s gut«, sagt sie.

»Kann ich nicht für dich zur Arbeit gehen?«, frage ich.

»Egoist.«

Tja, solche surrealen Situationen zwischen Werktätigen und Freihabern gibt es nur, weil eine höhere Macht Horst und Else schuf und die feine Wohnungsgesellschaft, die Menschen hinter »Wänden« aus Transparentpapier hält. Was würden wir ohne sie tun?

Aber verzagen wir nicht. Ich habe beschlossen, das Gespräch zu suchen. Das nächste Mal, wenn uns Horst und Else aus dem Schlaf quatschen, werde ich rübergehen, klingeln und einen Dialog unter Nachbarn einleiten, einen zivilisierten Dialog zwischen zivilisierten Menschen, und am Ende dieses Dialogs wird Frieden stehen, Verständnis, Miteinander, behutsame Globalisierung, Wohlstand für alle und ein deutlich erholter Kabeljaubestand in den Weltmeeren. Und Erdbeerkuchen.

Aber was soll ich zu Horst und Else sagen?

Unsere frühere Nachbarin Frau Topfschläger rät, Horst und Else unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Fulda zu locken und dort mit zwei Stück Käsekuchen auszusetzen. Aber ich weiß, wie Horst Auto fährt. Er ist in seinem 80er-Jahre-Vehikel schon eine Gefahr für sich selbst, Else und die interessierte Öffentlichkeit, wenn er nur den nächsten Stadtteil anfährt (sic!). Bis nach Fulda? Auf diese Art möchte ich dann doch nicht für neue Nachbarn in der Wohnung nebenan sorgen. Ja, gut, okay, ich könnte ihnen natürlich eine Bahnfahrkarte kaufen. Aber der Käsekuchen wird schon teuer genug. Nichts gegen Käsekuchen, nichts gegen Fulda, aber ich werde die beiden doch lieber ehrlich ansprechen, von Nachbar zu Nachbar. Also: Lieber Onkel Horst, liebe Tante Else, hallo erstmal …

Freitag, 15. Juni

Immer wieder ein schönes Betätigungsfeld für Sprachfreunde: Hausflur-Literatur – kleine Hinweistafeln, die in allen Treppenhäusern hängen. Bei meiner Großmutter prangte jahrelang neben der Eingangstür: »Betteln und rasieren verboten.« Der Hauseigentümer, ein erfolgreicher Einwanderer aus (damals noch) Jugoslawien, setzte gern um, was ihm seine Ohren an deutschen Sitten vermittelten.

BETTELN UND RASIEREN VERBOTEN

Samstag, 16. Juni

Wir hüpfen einen Feldweg entlang. Ich strahle, denn die Singvögel haben zusätzlich Streichinstrumente gelernt. Die Luft ist lau. Erdbeerkuchen regiert die Welt. Horst hält meine linke Hand, Else die rechte. Sie reden von

Oberhemdenreinigung,

gründlicher Oberhemdenreinigung,

günstiger Oberhemdenreinigung,

Bügeln nach der Oberhemdenreinigung,

Sonderangeboten für Oberhemdenreinigung.

So weit die Drehbuchinterpretation meines Traumregisseurs. Genau genommen ist es 5:47 Uhr am Samstagmorgen auf meinem Digitalwecker, und die reinigenden Worte fallen eindeutig auf der anderen Seite unserer Schlafzimmerwand.

Eine Viertelstunde lang geht es um den Aufwand, den es kostet, ein Oberhemd zu waschen und zu bügeln, eine weitere Viertelstunde um die Kosten, die man aufwendet, um dies alles vom Profi ausführen zu lassen. Dazu gesellt sich ab 6:45 Uhr das regelmäßige Pochen, das entsteht, wenn Else den Schlafzimmerlinoleumfußboden fegt und dabei mit dem Besen gegen unsere gemeinsame »Wand« stößt. Das Schlafzimmer von Horst und Else muss jeden Morgen vor 7 Uhr gefegt werden.

Mein Herz schlägt zunächst bis zum Hals, dann bis ins linke Knie und erreicht nach zwanzig Minuten meinen linken Fuß. Ich stehe auf, schleiche durch die Wohnung und studiere Satzanfänge ein.

»Liebe Nachbarn …«

»Guten Morgen, liebe Familie Schnattermann …«

»Entschuldigung, wissen Sie, wie spät, äh, wie früh …«

»Ausschlafen ist der Ferrari des kleinen Mannes!«

»Ich wasche Ihnen alle Oberhemden, wenn Sie am Wochenende erst um 9 Uhr …«

Dann werfe ich den Bademantel über, verlasse das Haus und klingele nebenan bei Horst und Else.

Keine Reaktion.

Mein Bauch schlägt vor, ich solle mich wieder ins Bett legen. Mein Zeigefinger klingelt erneut. Nichts. Ich trete von der Haustür zurück. Oben vor dem Schlafzimmerfenster von Horst und Else hebt sich der Rollladen. Else Schnattermann sieht mit bemerkenswerter Frühfrisur herunter.

»Guten Morgen«, sage ich, »Hauser. Ich bin Ihr Nachbar aus dem Nebenhaus.«

Elses Frisur verschwindet im Haus und ruft: »Horst!«

Horst Schnattermann erscheint.

»Ja?«

»Guten Morgen. Hauser.«

»Bitte?«

»Hauser!«, rufe ich in einer Lautstärke, die mir gerade noch angemessen erscheint, wenn man um 7:15 Uhr am Samstagmorgen im Bademantel auf der Straße steht und am Fenster im zweiten Stock verstanden werden will, ohne die Nachbarn in der ganzen Siedlung zu wecken. So laut eben, wie man reden kann, wenn man den Kehlkopf völlig überstreckt, weil man zum Herrn hoch droben reden muss, der einen nicht zum Zwecke der Deeskalation hereinbittet.

»Von nebenan!«, füge ich heiser hinzu. Irgendwie verlangt die Situation nach einer gewissen sprachlichen Verkürzung.

»Wissen Sie, wie dünn die Wand zwischen Ihrem und unserem Schlafzimmer ist, Herr Schnattermann?«

»Wir wohnen seit 25 Jahren hier«, wirft Horst herunter. Natürlich wisse er, wie dünn die Wände sind.

»Aber wir schlafen am Wochenende gern aus und –«

»Wie bitte?«

»Wir schlafen gern!«

»Aha.«

»Aber wir können nicht!«

»So. Und warum nicht?«

»Weil wir Sie jeden Morgen reden hören! In einer Lautstärke!«

»Wir wohnen seit 25 Jahren hier. Wir hatten noch nie Ärger.«

»Ich will ja keinen Ärger! Ich will nur Ruhe!«

Links und rechts werden Rollläden hochgezogen und die irrsten Frisuren aus den Fenstern gehalten.

»Wir wohnen seit 25 Jahren hier«, schreit Horst.

»Was Sie nicht sagen!«, quakt mein Kehlkopf. »Und wenn ich Sie ganz höflich bitte, am Wochenende vielleicht erst um, sagen wir: 8 Uhr …«

»Seit 25 Jahren wohnen wir hier. Ich lass mir doch nicht vorschreiben, wie laut ich in meiner eigenen Wohnung rede!«

»Neinnein, nicht vorschreiben! Ich bitte doch nur höflich!«

»Unverschämtheit! Noch nie hat jemand … wissen Sie eigentlich, wie früh … in unserem eigenen Schlafzimmer …«

»Wir wohnen schon seit 26 Jahren hier«, ruft Elses Frisur hinter der Gardine.

Das Publikum in der Nachbarschaft ist jetzt vollständig an den Fenstern vertreten.

»Sie sind doch die Leute«, verkündet Horst nun schlau grinsend, »die hier in der Mittagszeit rumgekloppt haben. Bei Ihrem Einzug. Das war vielleicht ein Lärm.«

»Danke fürs Gespräch«, sage ich und gehe nach Hause.

Die perfekte Frau hat Stöpsel in den Ohren.

»Wie spät?«, fragt sie, als ich mich erschöpft hinlege.

»Sieben Uhr vierzig«, sage ich.

»Wie?«

»Zwanzig vor acht! Am Samstag!«

»Schrei doch nicht so. Was hüpfst du hier eigentlich schon rum?«

Vielleicht ist Harmonie in der Nachbarschaft wirklich ein wenig überschätzt. Frau Nachtschatten aus dem Narzissenweg schlägt, wenn wir ihr unser Leid klagen, beispielsweise vor, wir sollten unsere Wohnung tageweise an Musikerinnen und Musiker untervermieten, die in dieser Stadt vor dem Problem stehen, keine geeigneten Proberäume zu finden.

Aber da habe ich wieder die Befürchtung, Horst und Else wissen das gar nicht zu schätzen. Die hören ja noch nicht einmal, wenn wir »Erbarmen!« rufen.

Montag, 18. Juni

Zum Glück sind Horst und Else nicht nachtragend. Am Sonntag waren sie schon wieder genauso vergnügt wie eh und je bei ihrem Frühgespräch im Bett. Ich hatte nicht die Kraft, noch einmal bei ihnen zu klingeln, und die PF wollte auch nicht. Wir haben einen kleinen Spaziergang in der Umgebung gemacht. Ist ja auch mal schön, so im Morgengrauen.

Mittwoch, 20. Juni

Es gibt gelbe Ohrstöpsel. Es gibt rosafarbene Ohrstöpsel. Es gibt weiße, graue, grüne Ohrstöpsel. Lila. Aus Schaumstoff. Aus Wachs. Es gibt Ohrstöpsel, die sehen aus wie winzig kleine Nachttischlampen. Sie sind besonders gut geeignet, wenn man vorm Einschlafen gern noch etwas Literatur in sich aufnimmt und Wert darauf legt, dass es kein Hörbuch aus dem Nachbarhaus ist, sondern ein Lesebuch aus ersten Händen. Es gibt einen Premium-Ohrstöpsel, Freunde, der sitzt perfekt und drückt nicht, denn er hat das Geheimnis der zwei Lamellen, drei Paar Filter und Air Condition. Im Ernst jetzt mal. Es gibt, um es kurz zu machen, Ohrstöpsel, da schlackerst du mit den Ohren.

Leider haben Ohrstöpsel einen entscheidenden Nachteil.

Es ist nicht, dass man die ganze Zeit seine eigene Körpermaschine arbeiten hört und ständig daran denken muss, wie schnell so ein Apparat auch ins Stottern geraten kann, zum Beispiel bei Nachbarschaftsstress. Es ist nicht, dass der Kopf unrund auf dem Kissen liegt, weil der Stöpsel seitlich heraussteht. Es ist nicht dieser Belag, der sich auf den Dingern absetzt, weiß Gott, wo der herkommt, jedenfalls nicht aus unseren stets vorbildlich sauberen Ohren.

Nein. Ohrstöpsel machen dich arbeitslos. Entweder du verpennst, weil die Stöpsel so dicht halten, dass du keinen Wecker mehr hörst, nie mehr, 17 Jahre lang, bis du plötzlich bettelarm erwachst und feststellst: Verdammt, ich bin auf Hartz IV – nein, schlimmer: Ich bin auf Schmaltz IV! Oder du steckst von vornherein nur einen einzelnen Stöpsel in ein einzelnes Ohr, denn du bist ja ein schlaues Kerlchen, und zwar in das Ohr, das nicht auf dem Kissen liegt. Das Ohr auf dem Kissen ist nämlich sowieso schon gedämmt, aber nicht so sehr, dass es den Radiowecker bei Volumen 9 und Werbeblock überhören könnte. Dann musst du allerdings jedesmal den Stöpsel umstöpseln, von links nach rechts, und dann wieder von rechts nach links, wenn du dich nachts umdrehst. Dabei kann kein Mensch einschlafen. Du bist morgens gerädert und nachmittags unkonzentriert. So jemanden braucht der Chef nicht am Schalter, nicht im Außendienst, nicht in der Montage, im Vorzimmer nicht und auch nicht in der EDV.

So ist die Lage beim Ohrstöpsel. Schön, dass wir ihn haben, aber der Messias sieht anders aus.

Gestern klingelt der Hausmeister.

Ich sag: Hausmeister, was gibt’s.

Hauser, sagt er, es gibt Probleme.

Was ist, Hausmeister, sag ich. Was für Probleme.

»Es sind die Schnattermanns.«

»Was ist mit den Schnattermanns?«

»Die Schnattermanns haben sich beschwert.«

»Worüber haben sich die Schnattermanns beschwert, Hausmeister?«

»Über dich, Hauser.«

»Über mich, Hausmeister?«

»Jawohl, über dich. Du bist zu laut.«

(Regie: Stille. Momente des Schweigens, wie sie Gespräche unter Männern ohne weiteres vertragen.)

»Fein, Hausmeister. Der war gut. Soll ich dir jetzt auch einen Witz erzählen?«

»Kein Witz, Hauser. Du klopfst dauernd an die Wand, und du klingelst die Nachbarn am Wochenende in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett.«

»Kein Witz, Hausmeister?«

»Kein Witz, Hauser.«

»Ich lach mich kaputt.«

»Aber bitte leise.«

»Haben sie sonst noch was gesagt?«

»Du verbietest ihnen den Mund. In ihrer eigenen Wohnung.«

»Hausmeister?«

»Ja, Hauser?«

»Es gibt Probleme.«

Samstag, 23. Juni

Gestern habe ich zum ersten Mal mit Horst und Else telefoniert. Es war leider kein besonders langes Gespräch. Vielleicht hatten sie gerade keine Zeit. Vielleicht stand eine Unternehmung mit dem Enkelchen an. Vielleicht studierten sie gerade Angebote von Herrenoberhemdenreinigungsunternehmen.

Vielleicht lag es aber auch an meiner Wortwahl. Möglich, dass ich mich nicht gerade übermäßig freundlich ausgedrückt habe.

Zunächst war Else am Telefon. Elfeinhalbmal dudelte drüben auf der anderen Seite der Wand die erste Zeile des Saxophonsolos aus »Baker Street«. Dann: »Schnattermann?«

Viele Leute stellen am Beginn eines Telefongesprächs zunächst diese Frage. Sie nehmen den Hörer ab und fragen ihren eigenen Namen ins Mikrophon. Warum sie das tun, ist nie hundertprozentig wissenschaftlich fundiert erforscht worden. Vermutlich warten die Menschen darauf, dass ihr eigener Klon anruft und antwortet: »Ja, richtig. Hier spricht Schnattermann. Es ist so weit.«

»Hauser«, sage ich und erkundige mich interessiert, ob man denn zum Hausmeister gegangen sei und Blödsinn über mich herumerzählt habe.

»Horst!«, ruft Else.

»Schnattermann?«, fragt Horst.

»Hauser«, sage ich und erkundige mich interessiert, ob man denn zum Hausmeister gegangen sei und Blödsinn über mich herumerzählt habe.

Er habe da mal ein paar Sachen richtigstellen müssen, sagt Horst.

»Richtigstellen?«, frage ich. Und seit wann denn »richtigstellen« ein Synonym für »Blödsinn herumerzählen« sei.

»Ich glaube, wir beenden das hier jetzt mal«, sagt Horst und legt auf.

Ach, Horst. Ich hätte dir noch so viel zu sagen gehabt.

Aber von dem Gespräch erzähle ich der PF am besten erst einmal nichts. Da regt sie sich nur wieder auf. Und es gibt wichtigere Probleme im Nachbarschaftsuniversum, sage ich mir, um davon abzulenken, dass es keine wichtigeren Probleme im Nachbarschaftsuniversum gibt. Zum Beispiel findet die perfekte Frau, dass die einzelne Styroporplatte an unserer Wohnzimmertapete im Wandel der Jahreszeiten nicht unbedingt schöner wird. Sie möchte wissen, was ich dagegen zu unternehmen gedenke. Ich gebe ihr voller Tatkraft erstens recht und lobe sie dafür, dass sie mit ihrer Bemerkung zweitens auf einen globalen Zusammenhang hinweist: Wandel der Jahreszeiten – Wandel des Klimas – Klimawandel – da werden zurzeit nur wenige Dinge schöner. Die Stimmen der Tauben werden, sicher durch den Klimawandel, definitiv lauter und unschöner. Die Tauben sitzen sonntagmorgens vor unserem Schlafzimmerfenster und warten, bis Horst und Else ihr Frühgespräch beendet haben. Dann übernehmen sie.

Uuuh-uuuh-uh-uh.

Uh-uuuh-uuuh-uh-uh.

Uh-uuuh-uuuh-uh-uh.

Uh.

Nach den traumatischen Erfahrungen des vergangenen Jahres, als die Tauben ihr Eigenheim im Baum vor unserem Fenster errichteten, habe ich im Frühjahr zum Vorsaisonpreis günstig eine Wasserpistole erworben. Eine Wasserpistole? Pah – eine »Super Soaker Sneak Attack« mit 1,4-Liter-Tank und sechs Meter Strahl-Reichweite! Damit beabsichtige ich die Tauben vom Ast zu scheuchen. Allerdings habe ich bisher kein Fenster gefunden, aus dem ich rauspusten kann. Vorm Badezimmerfenster ist ein Fliegengitter, und die Schlafzimmerjalousie will ich so früh nicht hochziehen. Die perfekte Frau soll schließlich nicht in ihrem wohlverdienten Schönheitsschlaf gestört werden.

Hauser, Hauser, sagt sie müde, als ich ihr von meinen Plänen erzähle, und richtet den Blick ein bisschen resigniert auf die Styroporplatte. Aber ist es nicht ganz offensichtlich, dass zuerst diese fiesen Tauben schweigen müssen?

P.S.: Es ist wirklich nur eine Wasserpistole. Ich habe noch nie auf irgendwas oder irgendjemanden geschossen, noch nicht mal nach zweieinhalb Stunden Verhör bei der Prüfungskommission für Kriegsdienstverweigerer. Sollte ich es jemals tun, werde ich vorher dafür Sorge tragen, dass der Betroffene hinterher höchstens eine merkwürdige Frisur hat, sonst aber guter Dinge ist (und nicht mehr auf dem Ast vor meinem Schlafzimmerfenster schmutzige Lieder uhuuuht. Uhus ausgenommen. Die dürfen gern kommen und uhuen).

Montag, 25. Juni
So sind Nachbarn (1)

Mann sang tagelang Namen der Nachbarin – Polizei sorgt für Rube

 

Partenheim – Ein ungewöhnlicher Fall von Ruhestörung hat die Polizei in Partenheim (Kreis Alzey-Worms) auf den Plan gerufen. Eine 50 Jahre alte Frau hatte sich bei den Beamten über ihren Nachbarn beschwert und berichtet, dieser gehe seit Tagen alle fünf Minuten auf den Balkon und singe ihren Namen. Die Beamten knöpften sich den Sänger vor. »Nach der polizeilichen Kontaktaufnahme stellte der Nachbar seine Darbietungen ein«, hieß es im Polizeibericht. Weshalb der Mann, der bereits wegen anderer Dinge bei der Polizei bekannt ist, den Namen sang, war zunächst nicht bekannt. Eine Gefahr gehe von ihm aber nicht aus. (Quelle: dpa)