Unterrichtsstörungen. Möglichkeiten zur Intervention - Christian Manuel Fesler - E-Book

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Christian Manuel Fesler

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Beschreibung

Akademische Arbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Pädagogik - Pädagogische Psychologie, Note: 1,0, Pädagogische Hochschule Heidelberg (Pädagogische Psychologie), Sprache: Deutsch, Abstract: „Störungsfreier Unterricht ist eine didaktische Fiktion“ (Lohmann 2003, S. 13). Diese These berücksichtigend beschäftigt sich diese Arbeit mit der Konfliktbewältigung, d.h. präventive Maßnahmen waren entweder nicht möglich, wurden nicht eingesetzt oder verfehlten ihre Wirkung: eine Störung des Unterrichts, die nicht ignoriert oder durch nonverbale Maßnahmen gelöst werden kann, tritt auf. Neben einer schwerwiegenden Störung können auch kleinere Konflikte Grund zur massiven Intervention geben, sofern sie wiederkehren. Im Rahmen dieser Arbeit sollen drei Möglichkeiten des Einschreitens dargestellt werden: die lehrerzentrierte und die kooperative Intervention sowie institutionelle Maßnahmen, die anhand der Beispiele „Meditation“ und „Arizona“-Projekt bzw. „Trainingsraumprogramm“ anschaulich gemacht werden. Obwohl u.a. durch KOUNINS Forschungen bestätigt wurde, dass die Störungsprävention wichtiger als die eigentliche Störungsbewältigung ist, gibt es im Bereich der Intervention gewisse Vorgehensweisen, die Störungen in der Schulklasse wirkungsvoller und dauerhafter abstellen als andere. Die Wahl der geeigneten Methode hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie der Einschätzung der Störung, der Unterrichtssituation, während der die Störung auftritt oder auch dem Führungsstil und Charakter des Lehrers. Eines der Hauptprobleme ist, dass der Lehrer durch die aufgetretene Störung emotional tangiert wird und sich in seiner Reaktion auf den Störer Gefühle wie Wut, Entrüstung oder Enttäuschung widerspiegeln (Lohmann 2003, S. 151). Aggressives Ermahnen, Drohen und Strafen sind die meistgebrauchten und zumeist ineffektivsten Methoden der Intervention. Kurzfristig mögen die Maßnahmen eine Störung abstellen, auf längere Sicht vergiften sie jedoch das Lehrer-Schüler-Verhältnis und verbauen gleichzeitig die Sicht auf langfristig wirksamere Methoden. Es ist zwar verständlich, dass Lehrer emotional reagieren – dennoch ist es nicht professionell. Gerade in solchen Situationen sollte der Lehrer nicht als Privatmensch, sondern als „pädagogischer Profi“ handeln. In diesem Fall würde das bedeuten, sowohl emotional Abstand zum Vorfall zu gewinnen als auch sachlich und angemessen zu reagieren (vgl. Nolting 2002, S. 74f.). Eine praktische Konsequenz wäre, dass der Lehrer nach einer Störung und bevor er reagiert eine bestimmte Zeit „durchatmet“, ein Fenster öffnet oder – was allerdings nicht die Regel sein sollte – kurz den Raum verlässt...

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Veröffentlichungsjahr: 2014

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Inhalt

 

Störungsintervention

1 Lehrerzentrierte Intervention

1.1 Reaktionen im akuten Konflikt

1.2 Strafen

1.3 Veränderungsstrategien

1.4 Problemdiagnose

2 Kooperative Intervention

2.1 Konstruktives Konfliktgespräch nach Gordon (Lehrer-Schüler-Konferenz)

2.2 Kooperative Verhaltensmodifikation im Unterricht

3 Organisatorische Maßnahmen der Schule zur Störungsintervention

3.1 Mediation

3.2 Die Trainingsraum-Methode

4 Literatur

 

Störungsintervention

„Störungsfreier Unterricht ist eine didaktische Fiktion“ (Lohmann 2003, S. 13). Diese These berücksichtigend beschäftigt sich diese Arbeit mit der Konfliktbewältigung, d.h. präventive Maßnahmen waren entweder nicht möglich, wurden nicht eingesetzt oder verfehlten ihre Wirkung: eine Störung des Unterrichts, die nicht ignoriert oder durch nonverbale Maßnahmen gelöst werden kann, tritt auf. Neben einer schwerwiegenden Störung können auch kleinere Konflikte Grund zur massiven Intervention geben, sofern sie wiederkehren.

Im Rahmen dieser Arbeit sollen drei Möglichkeiten des Einschreitens dargestellt werden: die lehrerzentrierte und die kooperative Intervention sowie institutionelle Maßnahmen, die anhand der Beispiele „Meditation“ und „Arizona“-Projekt bzw. „Trainingsraumprogramm“ anschaulich gemacht werden. Obwohl u.a. durch KOUNINS Forschungen bestätigt wurde, dass die Störungsprävention wichtiger als die eigentliche Störungsbewältigung ist, gibt es im Bereich der Intervention gewisse Vorgehensweisen, die Störungen in der Schulklasse wirkungsvoller und dauerhafter abstellen als andere. Die Wahl der geeigneten Methode hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie der Einschätzung der Störung, der Unterrichtssituation, während der die Störung auftritt oder auch dem Führungsstil und Charakter des Lehrers.

Eines der Hauptprobleme ist, dass der Lehrer durch die aufgetretene Störung emotional tangiert wird und sich in seiner Reaktion auf den Störer Gefühle wie Wut, Entrüstung oder Enttäuschung widerspiegeln (Lohmann 2003, S. 151). Aggressives Ermahnen, Drohen und Strafen sind die meistgebrauchten und zumeist ineffektivsten Methoden der Intervention. Kurzfristig mögen die Maßnahmen eine Störung abstellen, auf längere Sicht vergiften sie jedoch das Lehrer-Schüler-Verhältnis und verbauen gleichzeitig die Sicht auf langfristig wirksamere Methoden. Es ist zwar verständlich, dass Lehrer emotional reagieren – dennoch ist es nicht professionell. Gerade in solchen Situationen sollte der Lehrer nicht als Privatmensch, sondern als „pädagogischer Profi“ handeln. In diesem Fall würde das bedeuten, sowohl emotional Abstand zum Vorfall zu gewinnen als auch sachlich und angemessen zu reagieren (vgl. Nolting 2002, S. 74f.). Eine praktische Konsequenz wäre, dass der Lehrer nach einer Störung und bevor er reagiert eine bestimmte Zeit „durchatmet“, ein Fenster öffnet oder – was allerdings nicht die Regel sein sollte – kurz den Raum verlässt. Damit erzielt er einen Abstand zum Vorfall und gibt sich darüber hinaus die Möglichkeit, den Konflikt einzuschätzen.

BECKER schlägt bezüglich der Intervention bei Störungen eine Handlungsmatrix vor, eine festgelegte Reihenfolge von Überlegungen und Verhaltensweisen, die der Lehrer beim Auftritt störenden Schülerverhaltens programmartig durchgehen sollte (Becker 2000, S. 37). Diese Standardisierung hat zum Ziel, dem Lehrer die Verunsicherung beim Auftreten von Störungen zu nehmen, die zu den bereits erwähnten kurzsichtigen, emotional gefärbten Spontanreaktionen führt. BECKERS Schema enthält insgesamt 12 Schritte, die jedoch nur im Falle von Extremkonflikten alle zu durchlaufen sind (s. Anhang, Anlage 3). Nach der Störung gilt es auf den ersten Stufen zu entscheiden, wie schwerwiegend die Störung ist und zu bestimmen, ob eine sofortige Intervention notwendig oder ob ein Handlungsaufschub möglich ist. Kommt der Lehrer zu dem Ergebnis, dass es sich um einen leichten Konflikt handelt, genügt es, nach Handlungsmöglichkeiten zu suchen, diese abzuwägen und die Umsetzung zu überlegen. Wird die Störung vom Lehrer als gravierender eingeschätzt, sind weitere Schritte wie die Frage nach Ursachen, weitere Informationsbeschaffung oder Perspektivenwechsel notwendig.

Kritisch muss angemerkt werden, dass diese Matrix selbst im Falle eines unerheblichen Scheinkonfliktes sechs Stufen vorsieht, die von der Konfliktauffassung bis zur Konzipierung der Handlungsreihenfolge zu durchlaufen sind. Ein Lehrer, der aufgrund einer Störung emotional geladen ist, wird Probleme haben, in diesem Zustand folgsam das vorgegebene Schema zu durchlaufen. Anderseits kann auch dies – wie andere Verhaltensweisen auch – trainiert werden. Bei einem Lehrer, der diese Matrix konsequent und regelmäßig anwendet, wird sich die „Durchlaufzeit“ deutlich verringern. Im Idealfall hat er das Schema schließlich so verinnerlicht, dass er es praktisch unbewusst und automatisiert anwendet. Die entscheidenden Folgen der Beachtung einer derartig standardisierten Matrix für die Störungsintervention sind, dass sich der Lehrer zunächst einmal der Störung bewusst wird und erklären kann, warum er Gefühle wie Wut und Ärger verspürt. Des Weiteren reflektiert er mögliche Handlungsalternativen, d.h. er erkennt, dass er nicht nur eine Methode zur Intervention hat sondern ihm mehrere Wege offen stehen. Diese Abkehr von der eingeschränkten „Ein-Weg-Sichtweise“ ist Voraussetzung für die folgenden Interventionsansätze.

1 Lehrerzentrierte Intervention

1.1 Reaktionen im akuten Konflikt

Der oftmals einfachste und schnellste Weg der lehrerzentrierten Intervention ist die Bitte und die höfliche Aufforderung an den Störer, sein Verhalten zu ändern. Hier erweist es sich am effektivsten, den Störer als gleichwertigen Gesprächspartner anzusprechen, anstatt ihm bereits durch den Tonfall anzuzeigen, dass er sich in der Rolle des unartigen Kindes befindet (vgl. Calvert 1975, S. 19). Unterlässt der Schüler daraufhin die Störung, gilt es dieses Wohlverhalten zu verstärken, was allerdings in den seltensten Fällen geschieht – Fehlverhalten wird beachtet, Wohlverhalten nicht (vgl. Bergsson 1998, S. 55). Des Weiteren sind Aufforderungen an die Schüler effektiver, wenn sie mit einsichtigen Begründungen unterlegt werden (Verweis auf Regeln, Risiken usw.).

Bei gravierenderen Störungen (z.B. lautstarken Auseinandersetzungen unter Schülern oder Tätlichkeiten) erweist es sich als sinnvoll, zunächst eine Klärung der Situation anzustreben. Hierbei gilt es entweder, die Sache zu klären („Was ist passiert? Was habt ihr beobachtet?“) oder den Beteiligten die Chance zu geben, ihre Gefühle auszudrücken (vgl. Nolting 2002, S. 77). Oftmals ergeben sich bereits hier Ansatzpunkte zur Entschärfung des Konfliktes. In jedem Falle gilt es, den Konflikt von den Beteiligten zu trennen. Allzu leicht verfällt man sonst Pauschalierungsverlockungen („Typisch Peter, ist ja klar“) und lässt kontextbezogene Lösungsansätze (Peergroup, Sitzordnung, eigenes störungsförderndes Verhalten) außer Acht. Wenn der Lehrer einen Schüler kritisiert oder tadelt, dann sollte er – wie übrigens beim Lob auch – klarstellen, worauf sich die Kritik bezieht, ohne den Schüler als Person anzugreifen. Sein Verhalten kann der Störer ändern – seine Persönlichkeit nicht. In diesem Zusammenhang kann die Verwendung von Ich-Botschaften durch den Lehrer ratsam sein. Er kann seine eigenen Empfindungen und Gefühle kundtun und damit den Schülern eine Begründung liefern, warum er das störende Verhalten nicht tolerieren kann (vgl. Handke 1997, S. 97). Ein Lehrer, der seinen Schüler anfährt („Du bist genauso aggressiv und unverschämt wie dein Bruder“) wird wenig erreichen. Welche Handlungsaufforderung der Störer aus diesen Worten ableitet, bleibt allein der (in der Regel sehr geringen) Interpretationsbereitschaft des Schülers überlassen. Kritisiert der Lehrer hingegen sachlich und konstruktiv („Ich habe gesehen, wie du Tim gerade mehrfach heftig angestoßen hast. Das macht mich selbst aggressiv und wütend. Hör damit auf.“), so ist keine Interpretation auf Schülerseite nötig. Die Aufforderung steht, die Grenzen sind klar gesetzt, der Schüler hat die Möglichkeit sein Verhalten zu ändern ohne sich als Person angegriffen und bloßgestellt zu fühlen.

Ein weiterer Ansatz zum Umgang mit Undiszipliniertheiten ist Humor. Den Störer durch eine geistreiche, entwaffnende Bemerkung sein störendes Verhalten vor Augen zu halten, ohne ihn bloßzustellen, ist sicherlich einer der Königswege der Intervention. Gleichwohl ist die Fähigkeit, spontan, situationsangemessen und witzig zu reagieren, stark abhängig vom Lehrer selbst und nur bedingt erlernbar (vgl. Lohmann 2003, S. 106). Ein Fehler wäre es, künstlich witzig sein zu wollen und sich damit ungewollt selbst lächerlich zu machen.

Schließlich kann der Lehrer auch durch Ablenkung erreichen, Störverhalten abzustellen (Domke 1973, S. 98f.). Ein Beispiel hierzu ist der Lehrer, der einen schwätzenden Schüler aufruft und ihn damit wieder aktiv ins Unterrichtsgeschehen einbindet. Diese Methode ist meist wirksam, doch kann sie den Schüler bloßstellen, was im Lehrer-Schüler-Verhältnis zu Spannungen führen kann (Protesthaltung, Vergeltungsbedürfnis des Schülers). Daher sollten die Fragen, die vom Störverhalten ablenken sollen, für den Störer beantwortbar sein, und ihm damit die Möglichkeit geben, vor der Klasse sein Gesicht zu wahren. Außerdem signalisiert es dem störenden Schüler den guten Willen und die Fairness des Lehrers, was der Festigung der Lehrer-Schüler-Beziehung dient.

Akutreaktionen können zwar erreichen, dass Störungen kurzfristig eingestellt werden und der Unterricht fortgesetzt werden kann. Sie sind aber selten geeignet, das Problem, das hinter dem gezeigten Verhalten steckt, deutlich zu machen oder gar zu lösen (vgl. Biller 1979, S. 110). Gerade wenn dieselben Störungen immer wieder auftreten und Muster erkennbar werden, erscheint es angebracht, dass der Lehrer statt kurzfristiger störungsunterbindender Reaktionen nach längerfristigen Lösungsstrategien sucht. Dies setzt in der Regel eine eingehendere Problem- und Störungsdiagnose voraus. Trifft der Lehrer Maßnahmen, muss er in regelmäßigen Abständen überprüfen, ob diese Wirkung zeigen oder ein weiteres Problem hinter dem Störverhalten liegt (vgl. Gordon 1982, S. 203).

1.2 Strafen

Im Zusammenhang mit lehrerzentrierter Intervention im akuten Konflikt muss auch das Thema „Strafen“ Erwähnung finden. Generell sollten Strafen subsidiär angewendet werden, d.h. es sollten andere Maßnahmen zur sanktionsfreien Konfliktregelung vorausgegangen sein (Dreikurs u.a. 1995, S. 106). Wenn der Lehrer straft, sollte er gewisse Regeln berücksichtigen. Sonst kann es, wie in folgendem Witz dargestellt, zu überraschenden Folgen kommen.

Ein junger Lehrer bemüht sich, einem seiner kleinen Schüler beizubringen, ihn nicht ständig zu duzen. „Du schreibst bis morgen zehnmal den Satz „Ich darf meinen Lehrer nicht duzen“.“ Am nächsten Morgen überreicht der Junge strahlend seine Strafarbeit. „Warum hast den Satz zwanzigmal geschrieben, ich hatte doch nur zehnmal gesagt?“ „Ich wollte dir eine kleine Freude machen.“ (Grell 2001, S. 95).

Diese kleine Geschichte zeigt, dass Bestrafungen nicht nur der bloßen Sanktionierung wegen erfolgen, sondern natürlich und logisch sein sollten (vgl. Busch 1992, S. 119). Ein Schüler, der nachsitzen muss, weil er nicht mitgearbeitet hat und den Unterricht störte, oder ein Junge, der seinen Tennisball weggenommen bekommt, weil er damit im Unterricht spielt – all das sind Beispiele für natürliche Sanktionen, die in logischem Zusammenhang mit dem Störvorfall stehen. Sie bieten den Vorteil, dass sie in der Regel auch für den Schüler ohne weitere Erklärungen einsichtig sind und somit die Wahrscheinlichkeit von Protestverhalten geringer ist. Weiterhin sollte der Lehrer mit der Klasse über mögliche Konsequenzen störenden Verhaltens bereits vor einem Vorfall sprechen, so dass jeder Schüler weiß, mit welcher Strafe er zu rechnen hat, wenn er in einer bestimmten Form stört (Lohmann 2003, S. 157).

Der Lehrer sollte weiterhin darauf achten, dass seine Strafandrohungen auch konsequent umgesetzt werden. Tut er dies nicht, läuft er Gefahr unglaubwürdig und für die Schüler unberechenbar zu werden. Das Gleiche gilt für die Kontrolle der Strafe. Wenn er Strafarbeiten aufgibt, dann muss er zumindest überprüfen, ob diese erledigt wurden. Richtig durchgeführt wird damit die für viele Lehrer so selbstverständliche, weil einfache Interventionsmethode der Sanktionierung oft zeitraubender und arbeitsintensiver als ein klärendes Einzelgespräch mit dem Störer nach der Stunde. Auch ist das klassische Nachsitzen eines Schülers für den beaufsichtigenden Lehrer oftmals mehr Strafe als für den Störer selbst. Rechtlich gesehen darf der Lehrer in Baden-Württemberg ohne Hinzuziehen weiterer Instanzen einen Schüler nur bis zu zwei Stunden Nachsitzen lassen (Schulgesetz Baden-Württemberg von 1983 §90, s. Anhang, Anlage 4). Zusammenfassend gilt demnach bei Strafen, dass sie angemessen, logisch, transparent und gerechtfertigt sein müssen. Darüber hinaus müssen sie dem Schüler sein Ehrgefühl lassen (vgl. Biller 1979, S. 115f.; Keller 1997, S. 573).

1.3 Veränderungsstrategien

Veränderungsstrategien zielen neben der akuten Konfliktbewältigung darauf ab, zukünftige Störungen zu unterbinden. Hauptbestandteil sind Regeln, die bereits schon zur Störungsprävention herangezogen wurden. Da sie auch im Zusammenhang mit der Intervention bei Störungen zentrale Bedeutung haben, sollen an dieser Stelle noch einige Aspekte zum Thema „Regeln“ ergänzt werden. Geht man davon aus, dass Regeln die Vorraussetzung für das Einschreiten des Lehrers darstellen (Art, Anlass, Konsequenzen), erscheint es wichtig, dass die Regeln klare Definitionen enthalten (z.B. ab wann Schwätzen störend ist und ob Flüstern ohne Beeinträchtigung der Mitschüler gestattet ist). Dabei gilt, dass sich nicht nur die Schüler sondern auch der Unterrichtende an die Regeln und Definitionen halten (vgl. Jürgens 2000, S. 103f.). Dies setzt eine gewisse Stetigkeit im Lehrerverhalten voraus, d.h. der Lehrer sollte auf gleiche Situationen in der gleichen Weise reagieren. Ist die Reaktion jedoch von der „Tagesform“ oder Zu- und Abneigung gewissen Schülern gegenüber abhängig, werden der Lehrer und sein Verhalten für die Schüler unberechenbar. Damit wird nicht nur der Lehrer, sondern auch die Regeln in Frage gestellt.

Neben der Einführung und Begründung von Regeln stellen die Anreize für die Klasse bei Regeleinhaltung einen Bestandteil eines funktionierenden Regelsystems dar. Belohnung bei positivem Verhalten ist dabei eine sinnvolle Alternative zu Drohungen und Bestrafungen bei Fehlverhalten. „Kinder beim Gutsein erwischen“ und sie dann bestärken lautet die Devise. Belohnungen können neben verbalen Verstärkungen überdies Spielzeiten, Hausaufgabenentlastung oder Gutpunkte für einzelne Schüler oder Schülergruppen sein. Auch die Möglichkeit beliebte Aktivitäten ans Stundenende zu stellen und damit als Belohnung „auszugeben“ erscheint interessant (vgl. Nolting 2002, S. 87). Mehrere erprobte Fallbeispiele machen deutlich, wie es gelingt durch innovative Belohnungsstrategien (Token-Systeme mit Belohnungen beim Erreichen eines gewissen „Kontostandes“ u.ä.) störendes Verhalten nachhaltig zu reduzieren und das Klassenklima zu verbessern (z.B. Czerwenka 1979, S. 80ff.).

Neben klassenbezogenen Verstärkungen kann es auch notwendig sein, Sondermaßnahmen und Vereinbarungen mit einzelnen Schülern zu treffen. Außer Pluspunkten können auch positive Mitteilungen an die Eltern, kleinere materielle Anerkennungen oder das Abtreten von Unterrichtszeit an einen Schüler Möglichkeiten darstellen, einzelnen Störern einen Anreiz zum Wohlverhalten zu geben. Möchte man mit einem Schüler nach dem Unterricht in einem Einzelgespräch sein Störverhalten erörtern, sollte man als Lehrer einige Trittfallen vermeiden, die leicht die beabsichtigte Wirkung des Gespräches zunichte machen können. Ziel des Gespräches sollte es sein, erstens Gründe für das gezeigte Verhalten zu erfahren und dem Schüler zweitens deutlich zu machen, warum man als Lehrer Probleme mit diesem Verhalten hat (vgl. Glöckel 2000, S. 120). In einigen Fällen bietet es sich sogar an, diese beiden Phasen auf zwei separate Gespräche zu verteilen. Damit hat der Lehrer die Möglichkeit, die Äußerungen des Schülers zu reflektieren und im zweiten Gespräch aufzugreifen. Auf keinen Fall sollte ein Einzelgespräch – wie oft zu beobachten – zu einer Standpauke ausarten, die zu einer Verhärtung der Fronten und einer Verkomplizierung weiterer Lösungsansätze führt. Überdies ist es ratsam, Gespräche mit einzelnen Schülern in einem ruhigen Raum, ohne dauernde Unterbrechungen oder neugierige Mithörer zu führen. Dies und die Tatsache, dass der Lehrer sich Zeit nimmt, können dem Schüler andeuten, dass er ernst genommen wird und der Lehrer dem Gespräch und damit dem Schüler als Person Wichtigkeit beimisst. Im weiteren Gesprächsverlauf liegt es am Lehrer, durch Anmerkungen, die die Bereitschaft zum Verständnis signalisieren oder durch Ich-Botschaften, ein konstruktives Gesprächsklima herzustellen (vgl. Busch 1992, S. 117).

1.4 Problemdiagnose

Vielfach ist störendes Verhalten schwer abzustellen, weil es nicht präzise genug definiert und wenig konkret beschrieben ist. Allgemeine Aussagen wie „Unruhe“ oder „Feindseligkeiten“ deuten an, dass eine Lösung schwerwiegender oder wiederholt auftretender Störungen zuvor einer eingehenderen Problemdiagnose bedarf. Lehrernotizen wie „Peter ist hyperaktiv“ oder „Katja versucht permanent, ihre Minderwertigkeitsgefühle zu kompensieren“ sind keine Beschreibungen von Schülerverhalten, sondern bereits fertige Interpretationen durch den Lehrer. Sie reflektieren einzig die Lehrersicht und stellen damit eine schlechte Grundlage für nachhaltige Veränderungsstrategien auf Schülerseite dar. Eine eingehende, primär auf Beobachtungen beruhende Problemdiagnose besteht aus bis zu fünf Bestandteilen (vgl. Nolting 2002, S. 98; Johansson 1982, S. 139).

Zunächst sollte der Lehrer das Problem beschreiben, und zwar in einer möglichst nüchternen, wertungsfreien Weise (vgl. Bergsson 1998, S. 30). Dies kann sich als schwierig gestalten, da das Störverhalten im Lehrer Emotionen auslöst, die zu einer gefärbten Darstellung verleiten (s.o.). In einem nächsten Schritt sollte der Lehrer schildern, was ihn am Verhalten des Schülers oder der Schüler genau stört (Selbstreflexion). Möglicherweise wird bereits hier ein Eigenbeitrag des Lehrers zum Konflikt deutlich. Im Rahmen eines Perspektivenwechsels wird nun vom Lehrer verlangt, sich in die Situation des Störers zu versetzen. Ziel dieser Übung ist es, sich über die Vielzahl verschiedener Ursachen und Ziele des störenden Schülers bewusst zu werden. Gleichzeitig kann durch die Frage „Wie müsste der Lehrer reagieren, damit ich weniger gern störe?“ bereits eine erste Lösungsstrategie gefunden werden.

2 Kooperative Intervention

Im Gegensatz zur lehrerzentrierten Intervention sind bei kooperativen Lösungsansätzen stets Lehrer und Schüler bei der Entscheidungsfindung bzw. der Umsetzung von Maßnahmen beteiligt. Dies bringt den Hauptvorteil mit sich, dass keine Entscheidungen gegen die Schüler getroffen werden und eine Identifikation der Schüler mit dem Vorgehen erfolgen kann. Die Umformulierung der Frage „Wie löse ich das Problem?“ zu „Wir lösen wir das Problem?“ deutet eine Demokratisierung im Klassenraum an und kann gleichermaßen Druck seitens des Lehrers abbauen (vgl. Gordon 1982, S. 189ff.). Einige kooperative Ansätze waren bereits in den lehrerzentrierten Strategien enthalten, z.B. die Regelfindung oder die Befragung im Rahmen der Problemdiagnose. Dennoch stehen hierbei immer noch der Lehrer und die Lösung im Mittelpunkt.

Anders bei der kooperativen Methode: hier ist der Weg das Ziel. In anderen Worten spielt bei der kooperativen Intervention der Prozess die entscheidende Rolle (vgl. Glöckel 2000, S. 85). Die Vorgehensweise und nicht die eigentliche Lösung stehen im Mittelpunkt. Dies setzt voraus, dass der Lehrer nicht von vornherein eine Lösung im Sinn hat und sämtliche Bemühungen der Schüler dahingehend kanalisiert. Es muss den Schülern möglich sein, frei nach Lösungswegen zu suchen, diese abzuwägen und schließlich Entscheidungen zu treffen (vgl. Nolting 2002, S. 109).

2.1 Konstruktives Konfliktgespräch nach Gordon (Lehrer-Schüler-Konferenz)

Im Mittelpunkt der Lehrer-Schüler-Konferenz stehen das Gespräch und die Art der Gesprächsführung. Ich-Botschaften, also die Mitteilung eigener Gefühle, Sorgen oder Wünsche sowie aktivesZuhören sind innerhalb des konstruktiven Konfliktgespräches von essenzieller Bedeutung (vgl. Gordon 1999, S. 114ff.). Dadurch wird eine Entpersonalisierung des Problems erreicht, d.h. dies oder das ist ein Problem aber nicht „du bist ein Problem“. Nach SCHULZ VON THUN wird hier eine Verlagerung von der Beziehungsseite hin zur Sachseite vorgenommen. Neben die Art der Gesprächsführung, die sich vor allem auf das Gesprächsklima bezieht, schlägt Gordon 6 Phasen zur Konfliktlösung vor (vgl. Gordon 1999, S. 197ff.).

In der ersten Phase wird das Problem definiert und klargestellt, wer was als Problem empfindet. Im zweiten Schritt werden Lösungen gesammelt jedoch nicht bewertet. Die Vorschläge werden im anschließenden dritten Schritt diskutiert. Erst in Phase vier erfolgt eine endgültige Entscheidung – nach Möglichkeit nicht durch einfachen Mehrheitsbeschluss, sondern im Konsens. Jeder sollte mit der vorgeschlagenen Lösung leben können. Die Umsetzung des Beschlossenen stellt den fünften Schritt dar. Schließlich muss im letzten Schritt nach einiger Zeit der Erfolg der Maßnahme beurteilt werden. Das kann dazu führen, dass angesichts eines wenig erfolgreichen Lösungsversuches erneut bei Schritt 2 oder 3 eingesetzt werden muss.

Konkret könnte ein Vorgehen nach GORDON wie folgt aussehen (vgl. Nolting 2002, S. 112f.): Ein Lehrer hat mit einem hohen Lärmpegel innerhalb seiner Stunden zu kämpfen und möchte das Problem lösen. Gemäß GORDON stellt er in Schritt 1 das Problem unter Verwendung von Ich-Botschaften dar und holt die Meinung seiner Schüler ein. Dann werden Ideen des Lehrers und der Klasse gesammelt, wie es ruhiger in der Klasse werden könnte. Anschließend haben Lehrer und Schüler gleichermaßen die Möglichkeit, einige der gesammelten Vorschläge zu streichen. Die verbleibenden Ideen werden diskutiert und schließlich der Entschluss in einem Vertrag festgehalten.

Wie aus dem Beispiel ersichtlich wird, kann das konstruktive Konfliktgespräch nach GORDON mit vertretbarem Vorbereitungs- und Zeitaufwand durchgeführt werden. Damit ein Erfolg aber tatsächlich nachvollziehbar wird, sollte der Vertrag explizit beobachtbares Verhalten beinhalten und eine Terminierung, wann eine Überprüfung des Erreichten stattfinden soll (s. Anhang, Anlage 5).

2.2 Kooperative Verhaltensmodifikation im Unterricht

Ähnlich, aber nicht deckungsgleich mit GORDONS konstruktivem Konfliktgespräch ist die kooperative Verhaltensänderung nach REDLICH und SCHLEY (Redlich/Schley 1981). Die Methode untergliedert sich in drei Hauptphasen mit kooperativem Charakter: Diagnose/Klärung, Planung und Intervention.

Wie bei GORDONS Ansatz wird auch hier zunächst das Problem von den Beteiligten definiert und umrissen. Im Rahmen der Planung werden neben der Sammlung von Lösungen auch Ziele festgelegt und Vereinbarungen getroffen. Die kooperative Intervention schließlich umfasst die Umsetzung der Absprachen und die Einübung der Verhaltensweisen, nicht nur durch die Schüler sondern auch durch den Lehrer.

Ein Beispiel zur Umsetzung der kooperativen Verhaltesmodifikation führt NOLTING an (vgl. Nolting 2002, S. 117ff.).Ausgehend von einer Klasse, deren Schüler unruhig sind, permanent dazwischenrufen und sich dennoch kaum am Unterricht beteiligen, werden zunächst die Sichtweisen der Beteiligten ermittelt. Dies erfolgt auf Lehrerseite durch einen Beobachtungsbogen und durch einen Fragebogen, um die Problemsicht der Schüler zu ermitteln. Daraufhin werden die beiden Perspektiven sowie die Zielvorstellungen der Lehrer- der Schülerseite gegenübergestellt. Im nächsten Schritt werden die Ergebnisse besprochen und die Sichtweisen des Lehrers und der Schüler miteinander verglichen. Schließlich wird ein Gesamtziel formuliert, in diesem Fall „Interessanter Unterricht mit aktiver Mitarbeit“. Teilziele (z.B. 4 Meldungen pro Minute) helfen durch Quantifizierung den Erfolg überprüfbar zu machen. Die gesetzten Ziele sind Teil eines Interventionsplanes, der gemeinsam von Schülern und Lehrern erstellt und durch einen abschließenden Vertrag ergänzt wird. Nach einigen Wochen der Umsetzung werden die Ergebnisse anhand von Tabellen und Grafiken anschaulich gemacht und überprüft.

Das vorliegende Beispiel zeigt, dass die Konfliktlösung als Klassenprojekt nach REDLICH und SCHLEY weitere typische Bestandteile und Hilfsmittel enthält: Selbstbeobachtungsformulare, Fragebögen, Verträge und Schaubilder helfen, Sichtweisen und Verhalten zu dokumentieren, zu quantifizieren, zu strukturieren und bis zu einem gewissen Punkt auch zu objektivieren.

3 Organisatorische Maßnahmen der Schule zur Störungsintervention

Bereits im Rahmen der Störungsprävention wurde deutlich, dass auch die Schule selbst zu einem guten Schulklima beitragen und damit Disziplinschwierigkeiten im Unterricht verringern kann (beispielsweise durch die Schulhof- oder Stundenplangestaltung, s.o.). Auch hinsichtlich der Störungsintervention hat die Schule als Institution organisatorische Möglichkeiten, den Lehrern im Umgang mit Unterrichtsstörungen zu unterstützen. Diese sind oft mit personellem und/oder materiellem Aufwand verbunden und werden u.a. aus diesem Grund nicht flächendeckend eingesetzt. Voraussetzung für die Einleitung von organisatorischen Maßnahmen von Schulseite her ist, dass die gesamte Schule, sowohl Leitung als auch Kollegium, erkennt und bekennt, dass Störungen im Unterricht ein Problem sind. Ist dies nicht der Fall, droht eine halbherzige Umsetzung und damit das Scheitern und das Aufgeben der Programme (Balke 2003, S. 37).

Im Folgenden werden anhand von zwei Beispielen der Aufbau, die Wirkungsweise und die Ziele von schulischen Programmen zur Störungsintervention aufgezeigt. „Die Trainingsraum-Methode“ und „Mediation“ gehören zu den weitesten verbreiteten Ansätzen dieser Art an deutschen Schulen.

3.1 Mediation

Ausgangspunkt für die Mediation, wie wir sie heute kennen, war die „Alternative Dispute Resolution“ (ADR) in den USA Ende der sechziger Jahre. Ursprünglich im Kontext von Gerichtsverfahren eingesetzt, wird Mediation in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens (Wirtschaft, Politik, Arbeitswelt und Schule) zur Konfliktbewältigung eingesetzt (Zilleßen 1998, S. 17).

“Mediation ist eine soziale Technik, mit deren Hilfe Interessenkonflikte zwischen zwei oder mehr Parteien unter Hinzuziehung eines neutralen Dritten zur Sprache gebracht, geklärt und möglicherweise beigelegt werden sollen. Das Ziel des Mediationsverfahrens besteht in der Suche nach Problemlösungen, die für alle am Konflikt Beteiligten akzeptabel sind. Das wechselseitige Ausloten von Verhandlungsspielräumen und die Suche nach neuen Lösungen kennzeichnen den Mediationsprozess. Er besteht in Aushandlungsprozessen, in denen konsensuale Konfliktregelungen angestrebt werden“ (Fietkau 1994, S. 6).

Diese Definition beinhaltet trotz ihres allgemeinen Charakters auch die Grundgedanken der schulischen Mediation: Zwei zerstrittene Parteien suchen Mithilfe eines neutralen Dritten die für beide Seiten befriedigende Lösung ihres Konfliktes. Im Mittelpunkt steht dabei die gemeinsame Problemlösung. Der Mediator selbst, also der unparteiische Dritte, hat keine eigene Konfliktentscheidungskompetenz (Breidenbach 1995, S. 4). D.h. im konkreten Fall kann es passieren, dass es zu keiner Lösung und keiner Schlichtung kommt, da die beiden rivalisierenden Schüler zu keinem Konsens kommen und der Streitschlichter keine Lösung vorschreiben darf. Darin spiegelt sich die Grundannahme wider, dass nur eine Konfliktaushandlung unter den Parteien langfristig zur Akzeptanz und Einhaltung führt. Demgegenüber hinterlassen Entscheidungen durch einen Dritten stets das Gefühl der Niederlage bei mindestens einer der beiden Parteien und führen damit oft zu einem erneuten Auftreten des Konflikts (vgl. Jefferys-Duden 2002, S. 14f.). Die Hauptziele von Mediation in der Schule sind somit die langfristige Lösung bestehender Konflikte, das Herstellen einer konstruktiven Streitkultur, aber auch die Förderung der Selbstständigkeit der Jugendlichen und die Vorbeugung gewalttätiger Auseinandersetzungen (vgl. Wichterich 1999, S. 176).

Idealtypischerweise sehen die Stufen eines Schlichtungsgespräches wie folgt aus (vgl. Dietz/Krabbe 1996, S. 16-29): Während der Einleitung stellen sich die Parteien und der Streitschlichter vor und die allgemeinen Gesprächs- und Schlichtungsregeln werden bekannt gegeben. Mit der Fortführung des Gespräches verpflichten sich die beiden Konfliktparteien zur Einhaltung dieser Vorgaben (z.B. den anderen ausreden lassen, keine Beleidigungen, tätlichen Übergriffe etc.). Im zweiten Schritt stellen die Beteiligten den Konflikt aus ihrer Sicht dar. Dabei ist es Aufgabe des Schlichters, durch Nachfrage, Wiederholung und Spiegelung die Sichtweisen der Beteiligten möglichst klar herauszustellen. Ein Austausch zwischen den beiden Konfliktparteien ist in dieser Phase noch nicht vorgesehen. Ziel dieser Stufe ist es, dass die beteiligten Schüler den Standpunkt sowie die mit dem Konflikt verbundenen Gefühle der Gegenpartei kennen lernen. Oftmals kommt es bereits hier zu wichtigen Erkenntnissen bei den Kontrahenten, die sich positiv auf den weiteren Gesprächsverlauf auswirken. Die dritte Stufe stellt die Kernphase dar. Hier versuchen die beiden Konfliktparteien im Gespräch, die im zweiten Schritt geäußerten Sichtweisen miteinander vereinbar zu machen, um in der nachfolgenden vierten Phase zu einer Problemlösung zu gelangen. Gerade hier sollte der Mediator nur als Gesprächsvermittler auftreten und sich mit Vorschlägen zurückhalten. Ziel der Mediation ist eine Konfliktlösung durch die Parteien (s.o.), und eine Unterbreitung möglicher Handlungsalternativen durch den neutralen Dritten stellt eine Gefährdung dieser Grundidee dar. Der abschließende Schritt ist eine (möglichst vertragliche) Übereinkunft zwischen den Kontrahenten. Ein solcher Schlichtungsvertrag sollte statt vager Absichtserklärungen konkrete und beobachtbare Verhaltensweisen enthalten (also nicht: „Ich möchte mich Timo gegenüber nicht mehr aggressiv verhalten“, sondern „Ich werde Timo nicht mehr treten oder schlagen“). Nach der Unterzeichnung des Vertrags durch die Beteiligten kann die Abschlussphase auch die Absprache über ein Folgetreffen beinhalten. Der Schlichter sollte während der Sitzung darauf achten, dass allgemeine Gesprächsregeln sowie konstruktive Gesprächstechniken (keine Übertreibungen, aktives Zuhören, Senden von Ich-Botschaften etc.) Anwendung finden.

In den meisten Schulen ist die so genannte Peer-Mediation die häufigste Form der Streitschlichtung. Die Mediation, bei der Mitschüler die neutralen Schlichter darstellen, trägt dem Gedanken der Förderung von Eigenverantwortung der Schüler Rechnung. Gleichzeitig ist es auch im Sinne der Schule, Lehrermediatoren, die Geld kosten, durch „kostenlose“ Schülermediatoren zu ersetzen. Bei allen Vorteilen und dem Nutzen von Mediation – laut einer Studie von JOHNSON/JOHNSON hielten sich über 80% der Schüler an die erarbeiteten Konfliktlösungen (vgl. Johnson/Johnson 1995, S. 417ff.) – müssen auch die Grenzen dieser institutionalisierten Interventionsmethode gesehen werden. Gewisse Konflikte sind, aufgrund ihrer Schwere oder der mangelnden Kooperationsbereitschaft der Parteien, „nicht schlichtungsfähig“ (Wichterich 1999, S. 178).

3.2 Die Trainingsraum-Methode

Dieser Maßnahme institutionalisierter Intervention ist in Deutschland auch unter den Namen „Eigenverantwortungsprogramm“ oder „Arizona-Projekt“ bekannt. Letztere Bezeichnung weist auf den Ursprung der Trainingsraummethode hin: Der „Erfinder“ Edward E. Ford führte das Programm erstmals 1994 in einer Schule in Phoenix, der Hauptstadt des US-Bundesstaates Arizona ein. Mittlerweile trägt es dort die markenrechtlich geschützte Bezeichnung „Responsible Thinking Process (RTP)“. Grundlage der Methode sind drei Grundprinzipien: Jeder Schüler hat das Recht ungestört zu lernen. Jeder Lehrer hat das Recht ungestört zu unterrichten. Jeder muss die Rechte des anderen achten (Balke 2003, S. 38). Da eine detaillierte Beschreibung des gesamten Programms und seiner Philosophie weit über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen würde, möchte ich mich auf eine kurze Darstellung des Ablaufes, der Ziele und der Hauptkritikpunkte beschränken.

Grundsätzlich sieht das Programm einen Ablauf vor, wie er in folgender Grafik schematisiert dargestellt ist (Balke 2003, S. 84ff.):

Ein Schüler stört den Unterricht. Er wird durch den Lehrer ermahnt (gleichzeitiger Eintrag ins Ermahnungsprotokoll) und vor die Entscheidung gestellt, ob er ohne zu stören weiterhin am Unterricht teilnehmen will. Lenkt der Schüler ein, hat dies für ihn keine Konsequenzen. Verneint der Schüler die Frage oder stört er weiter, wird er vom Lehrer mit einem Laufzettel in den Trainingsraum geschickt. Diesen Infozettel gibt er der im Trainings- oder Eigenverantwortungsraum befindlichen Aufsichtsperson („Administrator“), optimalerweise einem Sozialpädagogen. Nun erstellt der Störer einen Rückkehrplan (s. Anhang, Anlage 6), den er anschließend mit dem Administrator bespricht und gegebenenfalls modifiziert. Weigert sich der Schüler, den Rückkehrplan zu bearbeiten oder stört er im Trainingsraum erneut, muss er nach Hause gehen und darf erst wieder in Begleitung eines Elternteiles wiederkommen. Im Rückkehrplan soll der Schüler darlegen, warum er in den Trainingsraum musste und wie er seinen Eigenbeitrag zur Störung einschätzt. Er muss seine Bereitschaft zur zukünftigen Regeleinhaltung schriftlich bekunden, seine Lösung des Problems darlegen und beschreiben, wie er sich das nächste Mal in einer ähnlichen Situation verhalten will. Hier muss der Schüler ein realistisches, beobachtbares und regelkonformes Verhalten seinerseits beschreiben. Hat er den Rückkehrplan zur Zufriedenheit des Administrators und des Klassenlehrers ausgefüllt, darf er wieder am Unterricht teilnehmen. Hier wird durch den Lehrer beobachtet, ob der Schüler die im Rückkehrplan dargelegten Vorsätze einhält. Tut er dies nicht, wird er erneut in den Trainingsraum geschickt. Bei wiederholten „Zwangsbesuchen“ tritt ein verschärfter Maßnahmenkatalog in Kraft, der nach dem vierten Besuch die Eltern einbezieht und ab dem siebten sogar den zeitweiligen Unterrichtsausschluss zur Folge hat.

Das (hier nur vereinfacht wiedergegebene) Programm verspricht aus Sicht der Lehrer mehrere Vorteile: er kann sich ohne lange Diskussionen oder Machtkämpfe von Störern befreien, der Unterrichtsfluss bleibt erhalten und er kann sich voll auf den Lernstoff und die lernwilligen Schüler konzentrieren. Die Lernatmosphäre verbessert sich, da der eigentliche Konflikt verschoben oder „ausgelagert“ ist (vgl. Göppel 2003, S. 64). Da zur Einführung des Programms ein breiter Konsens im Lehrerkollegium notwendig ist, weiß der einzelne Lehrer, dass er im Einklang mit den anderen Lehrern handelt, was zu einer erhöhten Sicherheit führt (Balke 2003, S. 124). Der Störer auf der anderen Seite hat durch das „Time-out“ (vgl. Lohmann 2003, S. 188) die Möglichkeit, sein Verhalten zu reflektieren und Stellung dazu zu beziehen. Durch den formalisierten und versachlichten Ablauf erfolgt eine „Entemotionalisierung“ des Konfliktes, der Schüler kann sein Gesicht wahren und ist vor Wutausbrüchen auf Seiten des Lehrers geschützt (vgl. Göppel 2003, S. 71). Die Klarheit, wann der Eigenverantwortungsraum aufzusuchen ist, und die Chance, den Raum auch freiwillig aufzusuchen, geben ihm im Vorfeld die Möglichkeit, selbst über den Verbleib in der Klasse zu entscheiden.

Diesen Vorteilen der Trainingsraum-Methode stehen zahlreiche Argumente der Kritiker gegenüber. So kritisiert GÖPPEL die „Bürokratisierung“, die mit dem Programm einhergehe. Laufzettel, Rückkehrplan und weitere Formulare machten das Programm für Schüler und Lehrer aufwendig (vgl. Göppel 2003, S. 69). Weitere Kritikpunkte sind beispielsweise die Regelung der Machtverteilung zugunsten des Lehrers („Pseudo-Demokratisierung“), die Einschränkung der Eigenverantwortung auf den Bereich „Stören“ oder das Fehlen der präventiven Komponente. Auch wird durch die Methode die positive Seite des Störverhaltens, nämlich dem Lehrer als Feedback auf seinen Unterricht zu dienen, praktisch völlig eliminiert (vgl. Lohmann 2003, S. 153). Die Diskussion, ob die Trainingsraum-Methode tatsächlich eine Förderung der Eigenverantwortung einerseits oder eine pädagogische Kapitulation andererseits darstellt, wird sicherlich noch lange Zeit fortgeführt.

4 Literatur

 

Balke, S. (2003): Die Spielregeln im Klassenzimmer. Das Handbuch zum Trainings- raum-Programm. Ein Programm zur Lösung von Disziplinproblemen in der Schule. Bielefeld.

 

Becker, G. (2000): Lehrer lösen Konflikte. Weinheim und Basel.

 

Bergsson, M. / Luckfiel, H. (1998): Umgang mit „schwierigen“ Kindern. Berlin.

 

Bessoth, R. (1989): Verbesserung des Unterrichtsklimas. Neuwied.

 

Biller, K.-H. (1979): Unterrichtsstörungen. Stuttgart.

 

BORN, M. (1986): Mehr Disziplin in der Schule. Essen.

 

Breidenbach, S. (1995): Mediation. Köln.

 

Busch, J. (1992): Hilfe durch Verstehen – was die Individualpsychologie rät. In: Göldner, Hans-Dieter (Hrsg.) Schwierige Schüler – was tun? München, 97-125.

 

Calvert, B. (1975): Die Schülerrolle – Erwartungen und Beziehungen. Ravensburg.

 

Czerwenka, K. (1998): Erziehungsschwierigkeiten im Unterricht. In: Seibert, N. (Hrsg.) Erziehungsschwierigkeiten in Schule und Unterricht. Bad Heilbrunn, 105-123.