Unvernünftige Gastfreundschaft - Will Guidara - E-Book

Unvernünftige Gastfreundschaft E-Book

Will Guidara

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Beschreibung

Will Guidara übernahm mit nur sechsundzwanzig Jahren die Leitung des angeschlagenen Zwei-Sterne-Restaurants Eleven Madison Park und verwandelte es in elf Jahren zum besten Restaurant der Welt. Aber wie hat er diesen eindrucksvollen Aufschwung geschafft? Durch eine radikale Neuerfindung der Gastfreundschaft, die weit über die Erwartungen der Gäste hinausgeht. Sie reicht von einer Schlittenfahrt im verschneiten Central Park bis hin zur Verwandlung eines Speisesaals in einen Urlaubsstrand mit echtem Sand, Mai-Tais und Strandstühlen für ein Paar, das seinen Urlaub abgesagt hatte. So unvernünftig diese Form der Gastfreundschaft auch scheinen mag, zeigt Will Guidara doch eindrucksvoll, welche positiven Auswirkungen sie auf ein Unternehmen und die Mitarbeiter haben kann. Nach diesem Buch müssen wir uns alle die Frage stellen, ob wir nicht mehr geben sollten als unbedingt notwendig.

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Seitenzahl: 409

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Für Frank Guidara, meinen Vater, Mentor und besten Freund. Weil er mir gezeigt hat, was »richtig« ist, und weil ich dank ihm erleben darf, wie unglaublich erfüllend ein Leben im Dienste der Gastfreundschaft sein kann.

Und für all die Menschen, mit denen ich im Eleven Madison Park, im NoMad und im Make It Nice gearbeitet habe. Für alle, die so viel von sich selbst gegeben haben, um sich um andere zu kümmern.

Dieses Buch handelt von euch.

INHALT

Ein Brief von Simon Sinek

1 Willkommen im Gastgewerbe

2 Zauberkunst in einer Welt, die mehr davon bräuchte

3 Die einzigartige Kraft der Zielstrebigkeit

4 Lektionen in Enlightened Hospitality

5 Restaurant-smart vs. ­Corporate-­smart

6 Eine echte Partnerschaft anstreben

7 Erwartungen festlegen

8 Regeln brechen und ein Team aufbauen

9 Zielbewusst und zweckmäßig arbeiten

10 Eine Kultur der Zusammenarbeit schaffen

11 Auf dem Weg zur Exzellenz

12 Beziehungen sind einfach. Einfach ist schwer.

13 Bestätigung wirksam einsetzen

14 Das Gleichgewicht wiederherstellen

15 Die beste Offensive ist die Offensive

16 Zwanglosigkeit verdienen

17 Lernen, unvernünftig zu sein

18 Improvisierte Gastfreundschaft

19 Skalierung einer Kultur

20 Zurück zu den Grundlagen

Nachwort

Danksagung: Ich weiß sie zu schätzen

Anmerkungen

EIN BRIEF VON SIMON SINEK

Herausgeber bei Optimism Press

Wir von Optimism Press stellen uns eine Welt vor, in der die große Mehrheit der Menschen jeden Morgen inspiriert aufwacht, sich sicher fühlt, egal wo, und am Ende des Tages mit ihrer Arbeit zufrieden ist. Doch eine solche Welt zu erschaffen, das erreichen wir nur, wenn wir sie gemeinsam aufbauen.

Da gibt es nur ein Problem …

In den letzten Jahrzehnten haben wir uns auseinandergelebt. Früher haben wir mehr gemeinsam unternommen. Wir besuchten die Kirche und andere Gotteshäuser. Wir trafen uns mit Freunden und Nachbarn und lernten neue Leute beim Sport und in unseren örtlichen Vereinen kennen. Aber die Zahl der Kirchenbesucher ist drastisch zurückgegangen, und Sportzentren und Vereinshäuser verwaisen. Dass die digitale Kommunikation zunimmt und die Arbeit im Homeoffice sich immer weiter verbreitet, hat einen in der jüngeren Geschichte nie da gewesenen Grad der Vereinsamung zur Folge. Dennoch bleibt unser intensiver Wunsch nach einem Gefühl der Zugehörigkeit bestehen. Es ist ein angeborenes menschliches Bedürfnis. Und hier kommt Unvernünftige Gastfreundschaft ins Spiel.

Auf den ersten Blick ist dies das Buch eines talentierten Unternehmers, der aus einer mittelmäßigen Brasserie in New York City das beste Restaurant der Welt gemacht hat. Doch es geht hier um etwas viel Größeres und Wichtigeres. Es ist ein Buch darüber, wie man Menschen behandelt. Wie man zuhört. Wie man neugierig bleibt. Und wie man das Gefühl lieben lernt, andere willkommen zu heißen. Es ist ein Buch darüber, wie man Menschen das Gefühl gibt, dazuzugehören.

Einige weltweit gerühmte Restaurants wurden groß, indem sie unsere Sichtweise auf Lebensmittel veränderten – vom Einkauf über Zubereitung und Präsentation bis zum Geschmack. Aber als Will Guidara sich vornahm, das Eleven Madison Park zum besten Restaurant der Welt zu machen, war die Idee, wie er das anstellen wollte, ziemlich verrückt: »Was, wenn wir die Gastfreundschaft mit der gleichen Leidenschaft, Liebe zum Detail und Sorgfalt angehen würden, wie wir es bei unseren Speisen tun?«

Die meisten Menschen denken bei Gastfreundschaft an etwas, das sie tun. Will betrachtet das Bedienen als einen Akt des Dienens – aber mit dem Fokus darauf, wie sich die Menschen durch sein Handeln fühlen. Und wenn sich bei seinen Mitarbeitern im Kundenkontakt alles darum drehen soll, wie die Gäste sich fühlen, so erkannte er, musste sich bei ihm alles darum drehen, wie seine Mitarbeiter sich fühlen. Beides ist untrennbar miteinander verbunden: Ausgezeichnete Dienstleistung kann nicht ohne ausgezeichnete Führung existieren.

Will hat nicht nur ein Restaurant umgestaltet, sondern unsere gesamte Vorstellung von Dienstleistung erneuert. Die Ratschläge in Unvernünftige Gastfreundschaft sind für Immobilienmakler und Versicherungsagenten – sogar für Regierungsbehörden – ebenso relevant wie für Menschen, die in Restaurants und Hotels arbeiten. Seine Überlegungen zum Thema Führung sind für Unternehmen im Bereich Business-to-Consumer gleichermaßen anwendbar wie für Business-to-Business-Unternehmen. Tatsächlich würde jede Organisation von seiner Denkweise profitieren.

In diesem Buch zeigt Will, welchen erstaunlichen Einfluss wir auf das Leben eines Menschen haben können, wenn wir ihm ein Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln … und, was ebenso wichtig ist: wie inspirierend es ist, gemeinsam daran zu arbeiten, Menschen dieses Gefühl zu geben. Und diese Idee ist es wert, geteilt zu werden.

Seid unvernünftig und lasst euch inspirieren!

Simon Sinek

UNVERNÜNFTIGE GASTFREUNDSCHAFT

KAPITEL 1

WILLKOMMEN IM GASTGEWERBE

DAHEIM WAREN WIR GANZ OBEN.

Unser Restaurant Eleven Madison Park hatte vor Kurzem vier Sterne von der New York Times sowie einige James Beard Awards erhalten (die als Oscars der Küche gelten). Doch als mein Chefkoch und Geschäftspartner Daniel Humm und ich uns 2010 beim Cocktail­empfang am Abend vor den Auszeichnungen der World’s 50 Best Res­taurants einfanden, wurde uns klar, dass das noch mal eine ganz andere Nummer war.

Stellen Sie sich vor, wie alle berühmten Köche und Gastronomen, von denen Sie je gehört haben, zusammensitzen, Champagner trinken und sich miteinander unterhalten – und kein einziger von ihnen redet mit uns. Ich hatte mich noch nie so sehr wie ein Neuling gefühlt, der in der Cafeteria der Highschool nicht weiß, wo er sich hinsetzen soll – nicht einmal, als ich neu an der Highschool war.

Es war eine riesengroße Ehre, eingeladen zu werden. Die »­World’s 50 Best Restaurants Awards« wurden 2002 ins Leben gerufen und brachten es in der Branche sofort zu Bedeutung. Denn sie werden von einer Jury von tausend angesehenen Experten aus aller Welt verliehen. Und da sich zuvor niemand Gedanken darüber gemacht hatte, wie die besten Restaurants der Welt im Vergleich zueinander abschneiden, gaben die Auszeichnungen diesen Restaurants den Anstoß, noch besser zu werden, während sie sich sonst vielleicht auf ihren Lorbeeren ausgeruht hätten.

Die Preisverleihung selbst fand in der Londoner Guildhall statt, die so königlich und imposant ist wie ein Palast. Als Daniel und ich uns – mehr als nur ein wenig eingeschüchtert – hinsetzten, versuchten wir törichterweise abzuschätzen, wo wir auf der Liste landen würden, im Vergleich zu Köchen wie Heston Blumenthal vom Fat Duck in England oder Thomas Keller vom Per Se in New York, die beide im Jahr zuvor in den Top Ten gewesen waren.

Ich schätzte Platz vierzig. Daniel, der immer optimistischer war, tippte auf Nummer 35.

Die Lichter gingen aus, Musik erklang. Der Moderator des Abends war ein gut aussehender, lässig-eleganter Brite. Und obwohl ich mir sicher bin, dass es die üblichen Formalitäten und Vorstellungsrunden und »Danke fürs Kommen« gab, bevor die Bombe platzte, gab es meiner Erinnerung nach nur eine kleine Vorrede, bevor der Mann sagte: »Um den Anfang zu machen, kommen wir zu Nummer fünfzig, ein neuer Eintrag aus New York City: Eleven Madison Park!«

Das nahm uns direkt allen Wind aus den Segeln. Wir sackten in uns zusammen und starrten auf unsere Füße.

Was wir leider nicht wussten (weil es unser erstes Jahr bei dieser Veranstaltung war und wir das allererste Restaurant waren, das aufgerufen wurde): Wird dein Name aufgerufen, wird auch dein Bild auf eine neun Meter breite Leinwand im vorderen Teil des Saales projiziert, sodass jeder sehen kann, wie du deinen Sieg feierst.

Mit dem Unterschied, dass wir nicht feierten. Wir standen auf dem letzten Platz der Liste und sahen unsere niedergeschlagenen Gesichter auf dem riesigen Bildschirm. Ich stieß Daniel mit dem Ellbogen an, wir quälten uns ein Lächeln ab und winkten, aber es war zu spät: ein Saal, gefüllt mit den berühmtesten Köchen und Gastronomen der Welt, unseren Helden, war bereits Augenzeuge unserer Verzweiflung geworden. Der Abend war für uns vorbei, bevor er überhaupt begonnen hatte.

Beim anschließenden Empfang trafen wir Massimo Bottura, den italienischen Chefkoch der Osteria Francescana, eines mit drei ­Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurants in Modena, und die Nummer sechs auf der Liste (nicht dass wir mitgezählt hätten). Er sah uns, fing an zu lachen und konnte nicht mehr aufhören: »Ihr habt da oben ziemlich glücklich ausgesehen!«

Er hatte ja recht, aber Daniel und ich konnten nicht mitlachen. Es war eine Ehre, als eines der fünfzig besten Restaurants der Welt anerkannt zu werden; das wussten wir. Aber dennoch – wir hatten nur den letzten Platz belegt.

Wir verließen die Party früh und gingen zurück zu unserem Hotel, holten uns eine Flasche Bourbon von der Bar und setzten uns auf die Stufen vor dem Hotel, um unseren Kummer zu ertränken.

Die nächsten paar Stunden verbrachten wir damit, die fünf Phasen der Trauer zu durchlaufen. Wir waren aus dem Saal gestolpert und wollten es nicht wahrhaben. War das wirklich passiert? Dann wurden wir wütend. Für wen hielten die sich eigentlich? Wir brachten den Teil des Verhandelns schnell hinter uns und leerten den größten Teil der Flasche in der Phase der Depression, bevor wir uns in einem Zustand der Akzeptanz einrichten konnten.

Einerseits ist es absolut lächerlich, ein Restaurant als »das beste Restaurant der Welt« zu bezeichnen. Die Bedeutung der 50-Besten-Liste liegt jedoch darin, dass sie die Orte benennt, die zu einem bestimmten Zeitpunkt den größten Einfluss auf die Esskultur haben.

Dank der Techniken, die der spanische Küchenchef Ferran Adrià im El Bulli entwickelt hatte, gewann die Molekulargastronomie weltweite Resonanz. René Redzepi engagierte sich in der Küche seines Kopenhagener Restaurants Noma für die Verwendung wild wachsender natürlicher Zutaten aus den Wäldern und Gewässern der Umgebung und rief damit eine lokale Bewegung ins Leben. Und wenn Sie in den letzten zehn Jahren in einem Restaurant gegessen haben oder durch die Gänge Ihres örtlichen Lebensmittelgeschäftes gegangen sind, haben Sie dort stets die Auswirkungen dieser Innovationen auf meine Branche und darüber hinaus gespürt.

Diese Köche hatten den Mut, Neues auszuprobieren und damit Elemente in die Branche einzuführen, die für alle einen Wendepunkt darstellten.

Davon konnte bei uns noch keine Rede sein. Wir hatten uns den Hintern aufgerissen, um einen Platz auf dieser Liste zu bekommen, aber hatten wir irgendetwas Bahnbrechendes geschaffen? Je mehr wir darüber redeten, desto klarer wurde es: nein.

Wir hatten alles, was wir brauchten: den Fleiß, die Erfahrung, das Talent, das Team. Wir hatten uns die besten Ideen zu eigen gemacht. Unser Restaurant war exzellent und machte viele Menschen glücklich. Aber es hatte noch keine Spuren hinterlassen.

Als ich jung war, schenkte mir mein Vater einen Briefbeschwerer mit der Aufschrift: »Was würdest du versuchen, wenn du wüsstest, dass du nicht scheitern kannst?« Daran musste ich denken, als ­Daniel und ich auf eine Papierserviette schrieben: »Wir werden die weltweite Nummer eins sein.«

Es war schon sehr spät, und die Flasche war fast leer, als wir auf unsere Zimmer torkelten. Ich war erschöpft, aber meine Gedanken drehten sich noch immer um diese Serviette.

Die meisten Köche auf der 50-Besten-Liste haben ihren Einfluss geltend gemacht, indem sie sich auf Innovationen konzentrierten, auf das, was sich ändern sollte. Doch als ich darüber nachdachte, welchen Einfluss ich selbst haben wollte, erschien mir eine Sache, die sich niemals ändern würde, noch viel wichtiger. Modeerscheinungen kommen und gehen, aber der Wunsch des Menschen, um­sorgt zu werden, bleibt bestehen.

Daniels Gerichte waren außergewöhnlich; er war unbestreitbar einer der besten Köche der Welt. Wenn wir also ein Restaurant werden könnten, das sich leidenschaftlich, zielstrebig und von ganzem Herzen auf zwischenmenschliche Verbindung und Zuvorkommen­heit konzentriert, um ein Gefühl der Zugehörigkeit sowohl im Team als auch bei den Gästen zu erschaffen, dann hätten wir eine echte Chance, zu den Großen zu gehören.

Ich wollte die Nummer eins sein, und dieser Wunsch bezog sich nicht nur auf die Auszeichnung – ich wollte Teil dieser Gruppe von Leuten sein, die wirklich etwas veränderten.

Kurz bevor ich einschlief, glättete ich die Serviette und fügte zwei weitere Worte hinzu:

»Unvernünftige Gastfreundschaft.«

Service ist schwarz-weiß, Gastfreundschaft ist bunt

Als ich jünger war, dachte ich mir immer stolz Fragen für Vorstellungsgespräche aus.

Mittlerweile bin ich der Ansicht, dass die beste Technik für Vorstellungsgespräche ist, überhaupt keine Technik anzuwenden, sondern in ein reges Gespräch zu kommen, um eine Person ein bisschen kennenzulernen. Ist sie neugierig auf das, was du aufbauen willst? Kann sie sich dafür begeistern? Ist sie integer, kann ich sie respektieren? Ist das jemand, mit dem ich und mein Team gern viel Zeit verbringen würden?

Doch bevor ich genug Erfahrung hatte, um das Gespräch einfach fließen zu lassen, war meine Lieblingsfrage stets: »Was ist der Unterschied zwischen Service und Gastfreundschaft?«

Die beste Antwort, die ich je bekommen habe, kam von einer Frau, die ich dann doch nicht eingestellt habe. Sie sagte: »Service ist schwarz-weiß, Gastfreundschaft ist bunt.«

»Schwarz-weiß« bedeutet, dass man seine Arbeit mit Kompetenz und Effizienz erledigt – »bunt«, dass man den Menschen das Gefühl gibt, gern für sie zu arbeiten. Den richtigen Teller zur richtigen Person am richtigen Tisch zu bringen, ist Service. Sich wirklich auf die Person einzulassen, die man bedient, eine echte Verbindung herzustellen – das ist Gastfreundschaft.

Daniel Humm und ich verbrachten elf Jahre damit, Eleven Madison Park, eine beliebte, aber mittelmäßige Zweisternebrasserie, die Meeresfrüchte-Platten und Soufflés servierte, in das beste Restaurant der Welt zu verwandeln. Wir schafften es unter die Top 50, indem wir den schwarz-weißen Teil der Angelegenheit auf die Spitze trieben, jedes Detail im Blick hatten und uns so nah wie möglich an Perfektion heranarbeiteten. Den ersten Platz erreichten wir aber erst, als wir den Farbfilm einlegten – als wir begannen, eine Gastfreundschaft zu zelebrieren, die maßgeschneidert war, deren Latte dermaßen hoch hing, dass man nur noch von Unvernunft sprechen konnte.

Unsere Vision davon, wie das Gästeerlebnis aussehen sollte, war radikal, und unsere Vorstellungen unterschieden sich von jeglicher Norm. »Das ist unrealistisch«, hörten wir jedes Mal, wenn wir eine Neuerung in Erwägung zogen. »Das ist unvernünftig.«

Das Wort »unvernünftig« sollte uns zum Schweigen bringen, das Gespräch beenden, wie es so oft der Fall ist. Stattdessen wurde es der Beginn eines Gespräches. Es wurde unser Schlachtruf. Denn niemand hat jemals die Spielregeln geändert, indem er vernünftig war. Serena Williams. Walt Disney. Steve Jobs. Martin Scorsese. Prince. Egal wo man hinschaut – Sport, Entertainment, Design, Technologie, Finanzen –, um eine Welt vor Augen zu haben, die noch nicht existiert, muss man unvernünftig sein.

Die Chefköche der weltbesten Restaurants wurden schon lange dafür gefeiert, unvernünftige Speisen zu kreieren. Im Eleven Madison Park erkannten wir Kraft in der faszinierenden Kunst der Unvernunft im Umgang mit unseren Gästen. Ich schreibe dieses Buch, weil ich glaube, dass es für jeden von uns an der Zeit ist, mit mehr Unvernunft an die Gastfreundschaft heranzugehen.

Natürlich hoffe ich, dass jeder in meiner Branche dieses Buch liest und sich für diesen Weg entscheidet. Doch wenn sich diese Idee über das Gastgewerbe hinaus verbreitet, könnte sie ein wahres Erdbeben auslösen. Amerika galt die meiste Zeit seiner Geschichte über als produzierende Wirtschaft; jetzt sind wir eine Dienstleistungswirtschaft, und zwar in dramatischem Ausmaß: Der Dienstleistungssektor macht drei Viertel unseres BIP aus. Ganz gleich, ob Sie im Einzelhandel, im Finanzwesen, in der Immobilienbranche, im Bildungs- oder Gesundheitswesen, in der Computerbranche, im Transportwesen oder in der Kommunikationsbranche tätig sind, Sie haben die unglaubliche Möglichkeit, mit der gleichen Zielstrebigkeit und Kreativität – und Unvernunft – an Ihrer Gastfreundschaft zu arbeiten, wie an jedem anderen Aspekt Ihres Unternehmens. Denn ob ein Unternehmen es sich zum Ziel erklärt hat, sein Team und seine Kunden in den Mittelpunkt jeder Entscheidung zu stellen, wird ausschlaggebend sein, um die Spreu vom Weizen zu trennen.

Leider wurden diese Qualitäten noch nie so wenig geschätzt wie in unserer heutigen temporeichen, hypereffizienten Arbeitskultur. Wir stecken mitten im digitalen Wandel. Dieser Wandel hat zwar viele Aspekte unseres Lebens verbessert, doch bei zu vielen Unternehmen ist der Mensch dabei auf der Strecke geblieben. Sie haben sich so sehr auf Produkte konzentriert, dass die Menschen dabei vergessen wurden. Zwar ist es unmöglich, die Auswirkungen des Wohlfühlens in finanzieller Hinsicht zu beziffern, doch das sollte keinesfalls zu dem Glauben verleiten, dass es keine Rolle spielt. Es spielt sogar eine sehr wichtige Rolle.

Die Antwort ist einfach, wenn auch nicht leicht: Es muss eine Kultur der Gastfreundschaft geschaffen werden. Es ist wichtig, sich mit solchen Fragen auseinanderzusetzen, wie ich sie mir im Laufe meiner Karriere gestellt habe: Wie schaffe ich es, dass sich meine Mitarbeiter und meine Gäste wahrgenommen und geschätzt fühlen? Wie kann ich ihnen ein Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln? Wie kann ich ihnen das Gefühl geben, Teil von etwas Größerem zu sein? Wie gebe ich ihnen das Gefühl, willkommen zu sein?

Seit Jahren diskutiert man in meiner Branche darüber, ob Gastfreundschaft gelehrt werden kann. Viele Führungspersonen, für die ich großen Respekt hege, verneinen das – ich bin jedoch ganz anderer Meinung. Und organisierte 2014 zusammen mit meinem Freund Anthony Rudolf, der damals General Manager im Per Se war, zu genau diesem Zweck eine Konferenz für Restaurantfachleute.

Weltweit fanden unzählige Konferenzen für Küchenchefs statt, doch keine einzige für diejenigen, die im Speisesaal arbeiteten. Also machten wir uns daran, einen Raum zu schaffen, in dem leidenschaftliche Gleichgesinnte eine Gemeinschaft bilden, Ideen austauschen, sich gegenseitig inspirieren und somit unser Metier weiter­bringen konnten.

Wir nannten sie die Welcome Conference, und sie war sofort ein Hit unter den Restaurantfachleuten. Gastronomieexperten aus dem ganzen Land besuchten Vorträge, knüpften bei einem Drink Kontakte und gingen motiviert nach Hause.

Im dritten Jahr der Konferenz blickten wir ins Publikum und sahen dort Sommeliers und Kellner neben Leuten sitzen, die überhaupt nicht in der Gastronomie arbeiteten: Tech-Titanen, Kleinunternehmer, CEOs großer Immobilienunternehmen. Diese Menschen glaubten ebenso wie ich, dass die Art und Weise, wie sie ihre Kunden betreuten, genauso wertvoll war wie das, was sie anboten. Und sie wussten, dass das, was sie von den Führungskräften in meiner Branche lernen konnten, ihr eigenes Unternehmen entscheidend voranbringen würde.

Wenn Sie eine Kultur der Gastfreundschaft schaffen, werden sich sämtliche Aspekte Ihres Unternehmens mitverbessern – sei es dabei, große Talente zu finden und zu halten, aus Kunden begeisterte Fans zu machen oder Ihren Profit zu erhöhen. Ich hoffe, dass dieses Buch Teil der Bewegung sein wird, die eine neue Ära einleitet. Aber meine Motivation ist nicht Ihr Reingewinn – oder jedenfalls ist es nicht meine einzige. Daher weihe ich Sie jetzt in ein kleines Geheimnis ein (das die wirklichen Profis meiner Branche bereits kennen): Gastfreundschaft ist ein egoistisches Vergnügen. Es ist ein tolles Gefühl, anderen Menschen ein gutes Gefühl zu geben.

In diesem Buch erzähle ich Geschichten aus den 25 Jahren, in denen ich auf allen möglichen Posten eines Restaurants gearbeitet habe: vom Tellerwäscher zum Besitzer und alles dazwischen. Und ich werde die Erkenntnisse über Service und Führung, die ich durch die Brille der Gastfreundschaft entdecken durfte, mit Ihnen teilen – die kleinen, die großen und die kleinen, die sich als groß entpuppten. Mit anderen Worten: alles, was Sie brauchen, um die schwarz-weiße Welt bunt zu machen; für sich selbst, für die Menschen, mit denen Sie arbeiten, und für die Menschen, denen Sie dienen.

Willkommen im Gastgewerbe.

KAPITEL 2

ZAUBERKUNST IN EINER WELT, DIE MEHR DAVON BRÄUCHTE

AN MEINEM ZWÖLFTEN GEBURTSTAG lud mich mein Dad ins Four Seasons zum Abendessen ein.

Damals hatte ich noch keine Ahnung, dass das Four Seasons das erste echte amerikanische Nobelrestaurant war. Oder dass die elegante Einrichtung aus dem letzten Jahrhundert so emblematisch war, dass sie zu den Wahrzeichen der Stadt New York zählte.

Ich wusste nicht, dass James Beard und Julia Child bei der Speise­karte konsultiert worden waren oder dass Präsident John F. Kennedy dort seinen Geburtstag gefeiert hatte, eine Stunde bevor Marilyn Monroe ihm mit »Happy Birthday, Mr President« ein Ständchen sang. Oder dass Prominente, Wirtschaftsgrößen und Staatsoberhäupter an der Nähe ihres Tisches zum marmornen Pool in der Saalmitte ablesen konnten, wo sie im sich ständig verschiebenden Machtgefüge der Stadt gerade standen.

Eines erkannte ich jedoch sofort: Das Four Seasons war der eleganteste und schönste Ort, den ich je gesehen hatte.

Ich war froh, darauf bestanden zu haben, dass mein Vater mir für diesen Anlass ein klassisches marineblaues Jackett mit Messingknöpfen von Brooks Brothers kaufte; für diesen Ort musste man sich schick machen. Ich weiß noch, wie ich mit großen Augen und offenem Mund einem uniformierten Kellner dabei zusah, wie er auf einem glänzenden Servierwagen an unserem Tisch fachmännisch meine Ente tranchierte. Als mir meine Serviette auf den Boden fiel, reichte er mir eine frische und nannte mich »Sir«.

»Die Menschen vergessen, was du sagst und was du tust. Aber welches Gefühl du ihnen gegeben hast, vergessen sie nie.« Dieses Zitat, das oft (aber wahrscheinlich fälschlicherweise) der großen amerikanischen Schriftstellerin Maya Angelou zugeschrieben wird, ist vielleicht das Klügste, was über Gastfreundschaft je gesagt wurde. Denn selbst drei Jahrzehnte später erinnere ich mich noch daran, welches Gefühl mir das Four Seasons damals gab.

Ich ließ mich nur allzu gern in den Bann ziehen. Der Zauber dieses Restaurants ließ die Welt stillstehen, blendete alles andere aus, und das Einzige, was für mich in diesen zweieinhalb Stunden existierte, war dieser Speisesaal.

An diesem Abend lernte ich, dass ein Restaurant magisch sein kann, und war sofort angefixt. Als wir gingen, wusste ich genau, was ich mit meinem Leben anfangen wollte.

Welches Gefühl du ihnen gegeben hast, vergessen sie nie

Meine Eltern arbeiteten beide in der Gastronomie. Sie lernten sich 1968 kennen, als mein Vater in Phoenix für Sky Chefs, die Cateringfirma von American Airlines, arbeitete. Das war zu einer Zeit, als man sich noch schick machte, um ein Flugzeug zu besteigen, und das Essen köstlich war, das man über den Wolken serviert bekam.

Mein Vater hatte einen markanten Bostoner Akzent, was in Arizona auffiel, und eines Tages sagte einer aus seiner Crew: »Hey Frank, im Flugzeug ist eine Frau, die genauso spricht wie du.« Die Rede war von meiner Mutter, die auch breiten Bostoner Dialekt sprach. Sie war Stewardess, wie man Flugbegleiterinnen in der schlimmen alten Zeit nannte, als sie noch jede Woche gewogen wurden und nicht mehr weiterarbeiten durften, sobald sie verheiratet waren.

Die beiden Bostoner verstanden sich auf Anhieb. Mein Vater hatte die junge Frau sofort erkannt: Wie sich herausstellte, hatten sie dieselbe Grundschule besucht, und er war in der Vierten mächtig in sie verknallt gewesen. Sie hatte keine Ahnung, wer er war. Er hatte sie aus den Augen verloren, als sie auf der Sekundarstufe plötzlich verschwand. Ihre Mutter war gestorben, und sie zog zu Verwandten nach Westchester, nördlich von New York City.

Und jetzt stand sie plötzlich vor ihm.

Die beiden verliebten sich bis über beide Ohren. (Was vorübergehend dadurch verkompliziert wurde, dass mein Vater für drei Jahre zum Militärdienst nach Vietnam musste und beide eigentlich mit jemand anderem verlobt waren, als sie sich trafen.) 1973 heirateten sie.

Mein Vater verließ American Airlines und war hier und da in der Restaurantbranche tätig, bevor er einen Job als regionaler stellvertretender Vorsitzender für Ground Round annahm, eine klassische ­Casual-Dining-Kette, die dafür bekannt war, ganze Erdnüsse zu verteilen und die Gäste aufzufordern, die Schalen auf den Boden zu werfen. Sie zogen nach Sleepy Hollow, New York. Meine Mutter behielt ihren Job und reiste weiterhin um die Welt (die Zeiten hatten sich geändert und American Airlines hatte die Regelung zu verheirateten Flugbegleiterinnen aufgehoben). Nach meiner Geburt zog meine Cousine Liz zu uns, um sich um mich zu kümmern, wenn meine Eltern beruflich unterwegs waren.

Meine Eltern hatten ein gutes Leben. Sie waren zu Hause glücklich und teilten beide einen unbändigen Arbeitseifer und einen ­tiefen Stolz auf ihre Karrieren. Meine Mutter holte ihren College-­Abschluss an der Abendschule nach und machte sogar den Pilotenschein, obwohl sie nie eine gute Autofahrerin war – ich frage mich bis heute, wer es für eine gute Idee hielt, sie ans Steuer eines Flugzeugs zu setzen.

Dann, eines Tages, als sie gerade in der ersten Klasse bediente, ließ meine Mutter eine Tasse Kaffee fallen.

Im Laufe meiner Karriere in der Gastronomie habe ich schon viele Dinge fallen lassen. Aber meine Mutter hatte einen so hohen Qualitätsstandard, dass der Vorfall auffiel, umso mehr, als sie ein paar Wochen später noch eine Tasse fallen ließ.

Daraufhin suchten sie den ersten Arzt auf.

Einige Monate und unzählige Termine und Tests später wurde bei meiner Mutter ein Hirntumor diagnostiziert. Die Krankheit war so weit fortgeschritten, dass die Ärzte den Tumor nicht einfach entfernen konnten; sie mussten ihn bestrahlen, um die Krebszellen zu zerstören, die sie nicht operativ entfernen konnten.

Ihre erste Operation hatte meine Mutter, als ich vier Jahre alt war. Danach ging es ihr recht gut, außer dass ihre rechte Gesichtshälfte gelähmt war und sie weder ihren linken Arm noch ihr linkes Bein benutzen konnte (was ihrem Fahrstil übrigens nicht zugutekam). Leider war die Bestrahlung damals weniger präzise als heute, und als die Strahlenkrankheit einsetzte, begann sich ihr Zustand zu verschlechtern.

Doch ihre sich stetig verschlechternde Gesundheit hielt sie nicht davon ab, eine fürsorgliche Mutter zu sein. Solang sie konnte, fuhr sie mich mehrmals in der Woche zum Tennistraining. Als das Ein- und Aussteigen für sie zu schwer wurde, setzte sie mich ab und wartete geduldig eineinhalb Stunden im Auto, während draußen der New Yorker Winter tobte.

So war sie. Sie liebte mich über alles.

Eines Abends stürzte sie die Treppe hinunter. Mein Vater war im Restaurant, wie fast sein ganzes Berufsleben lang, und als er gegen elf von der Schicht nach Hause kam, fand er meine Mutter und mich schlafend auf der untersten Treppenstufe vor. Ich war zu klein, um ihr helfen zu können, doch nicht zu klein, um Kissen und eine Decke zu holen und es uns gemütlich zu machen.

Meine Mutter wurde querschnittsgelähmt. Danach verlor sie die Fähigkeit, zu sprechen. Doch sie machte weiter, lebte weiter.

Mein Vater wollte, dass ich unter den gegebenen Umständen so unabhängig wie möglich war, also verkaufte er unser Haus und zog mit uns in die Nähe meiner Schule. So brauchte ich niemanden, der mich hin- und herfuhr, und meine Freunde würden wie selbstverständlich immer zu mir kommen. In der Junior High begann ich, Schlagzeug zu spielen. Ich spielte in Punkbands, Ska-Bands, Funkbands … und wir probten in meinem Zimmer, direkt über der Küche, wo meine Mutter ihren Tag verbrachte. Einer Gruppe von High-School-Jungs wieder und wieder dabei zuzuhören, wie sie durch die legendären Anfangsakkorde von Nirvanas »Come as You Are« stolpern, wäre für die meisten Menschen ein Albtraum. Meine Mutter liebte es.

Schließlich kamen Pflegekräfte ins Haus, um sich um sie zu kümmern. Jeden Tag bat meine Mutter die diensthabende Helferin, ihren Rollstuhl ans Ende der Straße zu schieben, um dort auf mich zu warten. Sie konnte nicht mehr sprechen oder aufstehen, um mich zu umarmen, aber sie konnte mich mit einem breiten Lächeln empfangen, wenn ich von der Schule nach Hause kam. Ich brauchte nicht mehr als dieses Lächeln, und es lehrte mich etwas, das von unschätzbarem Wert war: das Gefühl, wirklich willkommen zu sein.

Die Kraft eines ehrlichen Willkommens

Als ich meinen College-Abschluss machte, lebten meine Eltern in Boston. Meine Mutter war zu dem Zeitpunkt auf eine ziemlich komplizierte medizinische Ausrüstung angewiesen, sodass für Reisen spezielle Geräte und ein Krankenwagen erforderlich waren. Ich spielte damals in einer sechzehnköpfigen Funkband namens Bill Guidara Quartet, und meine Mutter hatte mich schon seit Jahren nicht mehr auftreten gesehen. Also hatte mein Vater die Idee, sie nach Ithaca zu meinem Auftritt mitzunehmen. Die Reise sollte auch als Probelauf für die bevorstehende Reise zu meiner Abschlussfeier dienen.

Damals war das Rauchen in Bars noch erlaubt, was mit den medizinischen Geräten meiner Mutter nicht zu vereinbaren war. Also überredete ich die Veranstalter, unser Konzert in der Willard ­Straight Hall, dem Gemeinschaftszentrum der Studentenvereinigung in Cornell, stattfinden zu lassen. Es war nicht die Show, die wir normalerweise spielten, aber es war eine unglaubliche Erfahrung: Ich durfte meiner Mutter, die in ihrem Rollstuhl in der Menge saß, »Super­stition« von Stevie Wonder vorspielen.

Ihr Lächeln strahlte durch den ganzen dunklen Raum.

Im nächsten Semester, meinem letzten an der Cornell, belegte ich einen Kurs, der sich als mein Lieblingskurs entpuppte: »Gast­köche«, den Professor Giuseppe Pezzotti leitete, eine Legende an unserem College.

An der Cornell lag der Schwerpunkt im Hotelmanagement- und Gastgewerbestudium mittlerweile nicht mehr auf dem Speisen- und Getränkeangebot, sondern eher im Bereich Immobilien und Unternehmensberatung. Aber es gab immer noch eine kleine Gruppe, die sich mehr dafür interessierte, was es bedeutete, ein klassischer Maître zu sein, als sich mit Tabellenkalkulation zu befassen – und Giuseppe Pezzotti war unser König. (Um Ihnen eine Vorstellung zu geben: In seinem Unterricht habe ich gelernt, wie man eine Weintraube mit Messer und Gabel schält.)

Für mich war »Gastköche« der coolste Kurs an der Cornell, weil wir hier üben durften, ein echtes Restaurant zu führen. Jedes Semester kam ein Gastkoch, um ein Abendessen zuzubereiten, das ausschließlich von den Studenten organisiert wurde. Eine Gruppe von Studenten fungierte als Managementteam des Küchenchefs, eine andere Gruppe arbeitete als Küchenpersonal, während die dritte Gruppe den Speisesaal betreute.

Ich hatte das Glück, Teil des Managementteams des großen ­Daniel Boulud zu sein. Daniel ist in meiner Branche so bekannt, dass man ihn nur bei seinem Vornamen nennt. Daniel ist auch der Name seines Sternerestaurants, das er 1993 in New York eröffnete, nachdem er jahrelang als Chefkoch im Le Cirque gefeiert worden war. Seitdem hat sich sein Imperium auf eine Vielzahl von Restaurants ausgeweitet, und zwar an weltweit so weit verstreuten Orten wie London, Palm Beach, Dubai und Singapur.

Er ist unbestritten einer der berühmtesten Köche der Welt. Und doch war er bereit, nach Upstate New York zu kommen, um im Rahmen eines College-Kurses ein Essen zu kochen. Später erfuhr ich, dass dies absolut seinem Charakter entsprach: Daniel ist berühmt für seine Großzügigkeit gegenüber dem Branchennachwuchs.

Ich wurde an dem Abend als Marketingchef eingesetzt. Für ein Abendessen mit einem so berühmten Koch wie Daniel brauchte es eigentlich kein Marketing; das Abendessen würde auf der Stelle ausverkauft sein, sobald die Leute hörten, dass er kommen würde. Aber ich wollte trotzdem etwas Cooles machen. Da ich wusste, dass die Gäste ihm bei der Arbeit zusehen wollten, ließ ich einen Chef’s Table in der Küche decken – den ersten in der Geschichte der Gastköche überhaupt. Der fein gedeckte Tisch wirkte ziemlich merkwürdig inmitten unserer hässlichen funktionalen Schulküche, also setzte ich rotes Samtband ein, um das Ganze etwas schicker wirken zu lassen.

Wir versteigerten die Reservierung am Küchentisch und machten damit einige Tausend Dollar für die Wohltätigkeitsorganisation Taste of the Nation. Es würde toll sein, ein paar Wochen später an ihrem jährlichen Dinner teilzunehmen, um einen großen Pappscheck von Cornell zu überreichen, aber am meisten freute ich mich darauf, Gastgeber für den Chefkoch und sein Team zu spielen. Ich hatte nicht viele Mittel zur Verfügung, aber ich wollte dafür sorgen, dass sie sich rundum wohlfühlten.

Die Ankunft von Daniels Unterstützungsteam war für Donnerstag geplant. Die beiden Sous-Chefs waren Johnny Iuzzini und ­Cornelius Gallagher. Johnny schlug später eine erfolgreiche Fernsehkarriere ein und gewann als Chefpatissier der Restaurants von Jean-Georges Vongerichten mehrere James Beard Awards. Neil wurde später als Koch von Oceana, einem Tempel für Meeresfrüchte in Midtown Manhattan, von der New York Times mit drei Sternen ausgezeichnet. Damals gehörten die beiden allerdings noch zum Nachwuchs – und ich, ein nerdiger Hotelfachstudent, wollte sie beeindrucken. Um sie vom Flughafen abzuholen, lieh ich mir von dem Mädchen, neben dem ich saß, ihren Audi A5. Es war das beste Auto in unserer Klasse.

In Ithaca gibt es keine schicken Restaurants. Wenn du Leute beeindrucken willst, musst du sie ins Pines mitnehmen – das Restaurant Glenwood Pines am Cayuga-See. Das Pines ist bekannt für seine Aussicht, Jalapeño-Poppers und die riesigen Cheeseburger, die im Baguette serviert werden. Das Ambiente: bunte Glaslampen über einem münzbetriebenen Billardtisch, auf dem Fernseher hinter der rustikalen Holztheke läuft ein Spiel.

Die Burger waren nicht übel, und das Bier dazu tat ein Übriges. Danach fragten mich meine distinguierten Gäste, ob ich zufällig wüsste, wo sie etwas Gras kaufen könnten.

Zufälligerweise wusste ich das. Die Gruppe landete bei mir zu Hause, 130 College Avenue, dem typischen College-Partyhaus mit einem klapprigen Billardtisch im Esszimmer und ein paar gammeligen Sofas auf der Veranda, wo die Party bis in die frühen Morgenstunden weiterging.

Am nächsten Morgen taumelte ich zum Unterricht, während Neil und Johnny sich in der Küche des studentenbetriebenen Statler Hotels einfanden, um das Gästekoch-Dinner vorzubereiten. Erst am Abend, nachdem Chefkoch Boulud eingetroffen war, sah ich sie wieder. Ich war unglaublich aufgeregt, aber Daniel war auf Anhieb charmant, und Johnny und Neil freuten sich offensichtlich, mich wiederzusehen.

Das Abendessen verlief glänzend. Danach landeten alle – Daniel, Neil, Johnny und die meisten aus meiner Klasse – wie immer im Rulloff’s, einer Spelunke in der Nähe des Campus. Als im Laufe des Abends immer mehr Freunde auftauchten, lag es nahe, zu mir nach Hause zu gehen, wo wir immer mindestens ein Fässchen im Keller stehen hatten. Aber die Menge wurde immer hungriger, und meine Küchenschränke, einschließlich desjenigen, dessen Tür schon am Tag unseres Einzugs nur noch an einem einzigen Scharnier hing, waren leer.

So kam es, dass ich um ein Uhr nachts mit Daniel Boulud plaudernd wieder auf dem Weg in die Küche des Statler Hotels war.

»Ich bin der Koch von der Veranstaltung heute Abend«, erklärte Daniel mit seinem charmanten französischen Akzent, als wir uns der Rezeption näherten, »und ich muss in die Küche.« Dort angekommen, sammelten wir Pfannen, Butter, Eier, Trüffel und Kaviar ein und fuhren zurück zur 130 College Avenue.

Da stand also Daniel Boulud in meiner kaputten Küche, trank Milwaukee’s Best aus einem roten Plastikbecher und rührte Rühreier mit Trüffeln für einen Haufen besoffener College-Kids an. Hat einer der berühmtesten Köche der Welt einen »Fassstand« auf meinem Billardtisch gemacht? Das werde ich nie verraten.

Gegen drei Uhr morgens löste sich die Gruppe widerstrebend auf und lag sich zum Abschied gesammelt in den Armen.

Das Würdevolle am Bedienen

Anderthalb Monate nach dem Gastkoch-Dinner waren alle Vorbereitungen getroffen, damit meine Eltern an meiner Abschlussfeier teilnehmen konnten. Dann, zwei Tage vor ihrer Abreise, fiel meine Mutter ins Koma.

Meine Cousine Liz kam mit ihrer Familie im Wohnmobil nach Ithaca gefahren, um mich bei der Feier nicht allein zu lassen. Ich warf meine Mütze in die Luft und rannte dann direkt zu meinem Auto.

Als ich im Zimmer meiner Mutter im Krankenhaus in Boston ankam, war es bereits spät am Abend. Mein Vater war schon zurück in die Wohnung gegangen, und ich schlief auf dem Bett meiner Mutter ein. Als ich mitten in der Nacht aufwachte, war auch sie wach.

Was dann geschah, war unglaublich. Zum ersten Mal seit sechs Jahren war meine Mutter in der Lage, verständlich zu sprechen. »Hast du deinen Abschluss gemacht?«, fragte sie mich, und ich bejahte. Wir unterhielten uns mühelos und lange. Ich musste mich nicht anstrengen, um sie zu verstehen, und sie musste sich nicht anstrengen, um zu sprechen.

Dann wurde sie wieder bewusstlos. Ich rannte los, um einen Arzt zu holen: »Sie war wach!« Aber das spielte keine Rolle; sie war wieder ins Koma gefallen.

Am nächsten Morgen besuchte ich meinen Vater. Er war von den vielen Stunden am Krankenbett meiner Mutter erschöpft, also schlug ich vor, zur Aufmunterung eine Runde Racquetball spielen zu gehen. Danach, noch in der Umkleidekabine, klingelte sein Telefon. Ich brauchte nur in sein Gesicht zu sehen, um zu wissen, dass meine Mutter uns verlassen hatte.

Ich schrieb eine Rede, die ich bei ihrer Beerdigung halten wollte, aber als ich aufstand, um zum Rednerpult zu gehen, fühlten sich die Worte, die ich geschrieben hatte, nicht mehr richtig an. Stattdessen erzählte ich ein paar lustige Anekdoten, darunter die, dass meine Mutter trotz der vielen Kommunikationsschwierigkeiten immer perfekt die Kreditkartennummer meines Vaters aussprechen konnte, wenn sie Teleshopping machte. Dann schmissen wir eine riesige Tanzparty. Anstatt ihren Verlust zu betrauern, feierten wir ihr Leben.

Viel später erzählte mir ein Gast im Eleven Madison Park, dass die meisten Menschen die besten Flaschen in ihren Kellern für festliche Anlässe aufheben, während er seine besten Flaschen an seinen schlechtesten Tagen trinkt. Als er das sagte, dachte ich sofort an die Beerdigung meiner Mutter, denn genau das taten wir an diesem Abend. Die Party war perfekt, sie wäre begeistert gewesen.

Wer einen wichtigen Menschen verloren hat, weiß, dass die Tage unmittelbar nach einem großen Verlust sehr düster sein können. Verwandte, die zu Besuch gekommen waren, kehren nach Hause zurück, keiner bringt mehr Tupperschüsseln mit Auflauf vorbei, und der engste Kreis der Familie bleibt allein zurück. Der Schock lässt nach, und die Trauer setzt ein.

In der Woche nach dem Tod meiner Mutter sollte ich für ein Praktikum nach Spanien fliegen, um in der Hotelschule eines ehemaligen Cornell-Absolventen gegen Kost und Logis als Hilfskoch zu arbeiten. Aber es fühlte sich falsch an, eine Woche nach dem Tod meiner Mutter nach Spanien zu fliegen. Vor allem weil ich meinen Vater nicht allein lassen wollte.

Doch letztendlich drängte mein Vater mich, meine Verpflichtung einzuhalten. »Was willst du sonst machen, hier traurig rumsitzen? Steig in dieses Flugzeug. Wenn du es dir doch anders überlegst, kannst du jederzeit nach Hause kommen.«

Mitten in der Hochphase meiner Trauer begann ich also, Pläne für eine Reise nach Spanien zu schmieden. Obwohl ich in Boston war, ging der einzige Flug, den ich in letzter Minute noch finden konnte, vom New Yorker Flughafen JFK, also bot mein Vater an, mich hinzufahren.

Das brachte mich auf eine Idee. Da ich nichts zu verlieren hatte, schickte ich eine E-Mail an Koch Boulud: »Kann ich meinen Vater nächsten Samstag in dein Restaurant mitnehmen?«

Die Leute warten monatelang auf Reservierungen bei Daniel, aber die E-Mail, die ich erhielt, hätte nicht freundlicher sein können: »Ich würde mich über einen Besuch von euch sehr freuen. Du hast mich in deinem Haus willkommen geheißen, jetzt werde ich dich in meinem willkommen heißen.«

Mein Vater und ich waren so spät dran, dass wir unsere Anzüge an einer Tankstelle an der I-95 anziehen mussten. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was mich erwartete, aber selbst wenn wir nicht in eines der besten Restaurants der Welt gegangen wären, wäre ich trotzdem aufgeregt gewesen: Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich meinen Vater in ein Restaurant mitnahm und nicht er mich.

Bei Daniel wurden wir vom General Manager persönlich an der Tür empfangen. »Chefkoch Daniel freut sich außerordentlich, Sie heute Abend bei uns begrüßen zu dürfen. Ihr Tisch ist gleich hier entlang.« Er führte uns durch die Bar und den offiziellen Speisesaal in die Küche und nach oben in die Skybox, ein luxuriöses, verglastes privates Esszimmer, von dem aus man einen Blick auf die Küche hatte, wo vierzig Köche – und Küchenchef Boulud – inmitten einer hochmodernen Einrichtung ihre Arbeit verrichteten.

So einen Tisch bekommt man nur einmal im Leben, und ich war sprachlos. Doch das Eis war sofort gebrochen, als Daniels Stimme über die Sprechanlage in die Kabine dröhnte: »Willieeee!«

Die Küche schickte uns eine Reihe von exquisiten Gängen, die Daniel persönlich über die Sprechanlage ankündigte, sobald die einzelnen Teller eintrafen. Während wir das köstliche Essen verzehrten, die ausgezeichneten Weine tranken und die Wärme von Daniels Gastfreundschaft erlebten, sah ich, wie die jahrelange Erschöpfung und der Schmerz aus dem Gesicht meines Vaters wichen.

Dieser Abend war der traurigste, den ich je erlebt habe und je erleben will, und das Gleiche gilt für meinen Vater. Doch selbst inmitten unseres Kummers waren Chefkoch Boulud und seine Mitarbeiter in der Lage, uns beiden das zu bieten, was sich immer noch wie vier der besten Stunden meines Lebens anfühlt. Ich kann nach wie vor kaum glauben, dass einer der berühmtesten Köche der Welt bis in die frühen Morgenstunden blieb, um uns das Restaurant zu zeigen. Doch das Essen war so wunderbar und dauerte so lang, dass mein Vater und ich die Letzten waren, als Daniel uns zum Abschied umarmte – und zwar nicht nur die letzten Gäste, sondern die letzten Leute überhaupt. Es gab keine Rechnung.

Ich hatte mich bereits glücklich für ein Leben in der Gastronomie entschieden, aber in dieser Nacht lernte ich, wie wichtig und nobel die Arbeit im Service sein kann. In einer dunklen Zeit boten Daniel und seine Mitarbeiter meinem Vater und mir einen Lichtblick in Form einer Mahlzeit, die keiner von uns je vergessen wird. Unser Kummer war natürlich nicht verschwunden, aber für ein paar Stunden wurde uns eine echte Atempause gegönnt. Dieses Abend­essen war uns Trost und Aufmunterung, eine Insel der Freude und der Fürsorge im Meer unseres Kummers.

Wer im Gastgewerbe arbeitet – und ich glaube, dass man sich, egal was man beruflich macht, dazu entscheiden kann, es als eine Art Gastgewerbe zu betreiben –, hat das Privileg, Menschen beim Feiern der freudigsten Momente ihres Lebens zu begleiten, und die Möglichkeit, ihnen einen kurzen Moment des Trostes und der Erleichterung inmitten ihrer schwierigsten Momente zu gönnen.

Und noch wichtiger, wir haben eine Chance – eine Verantwortung –, Magie in eine Welt zu bringen, die dringend mehr davon braucht.

KAPITEL 3

DIE EINZIGARTIGE KRAFT DER ZIELSTREBIGKEIT

ALS HERANWACHSENDER BEGLEITETE ICH MEINENVater jeden Samstag zur Arbeit.

Die meiste Zeit meines jungen Lebens war mein Vater der Präsident von Restaurant Associates, einem großen Gastro-Unternehmen, das im Laufe der Zeit für Unterschiedlichstes verantwortlich war, von Eckcafés über Firmencafeterias bis hin zu Luxusrestaurants wie dem Rainbow Room und dem Four Seasons.

Die Restaurants, die mein Vater für RA betreute – einschließlich der Gastronomie im Rockefeller Center und im Lincoln Center –, waren immer brummend voll. Oft gab er mich für eine Stunde bei einem Koch oder einem der Kellner ab, die mir dann irgendeine Aufgabe gaben, um mich zu beschäftigen. Ich liebte das Gefühl, hinter den Kulissen zu sein, und den Energieschub, der mich durchströmte, wenn ich durch die Speisesäle ging.

Als ich 13 war, etwa ein Jahr nach unserem Abendessen im Four Seasons, fragte mich mein Vater, was ich mit meinem Leben vorhatte.

Es klingt vielleicht verrückt, einem Dreizehnjährigen solch eine Frage zu stellen, aber mein Vater war in seinem Erziehungsstil ebenso zielstrebig wie in allen anderen Bereichen seines Lebens. Jeden Morgen, bevor er zur Arbeit fuhr, holte er meine Mutter aus dem Bett, setzte sie in den Rollstuhl, half ihr beim Duschen, machte ihr Frühstück und fütterte sie. 15 Stunden später kam er nach Hause und machte all das in umgekehrter Reihenfolge, wobei er immer noch die Zeit fand, sich von mir ein neues Lied, das ich auf dem Schlagzeug gelernt hatte, vorspielen zu lassen oder mir bei den Hausaufgaben zu helfen.

Sein Durchhaltevermögen und seine Selbstlosigkeit waren erstaunlich! Heute weiß ich, dass er nie in der Lage gewesen wäre, als Geschäftsmann, als Ehemann oder als Vater so viel zu erreichen, wenn er nicht seine Tage genau geplant, seine Prioritäten organisiert und akribisch festgelegt hätte, was für ihn nicht verhandelbar war. Für meinen Vater war Zielstrebigkeit kein Luxus oder eine Geschäftsphilosophie, sondern eine Notwendigkeit.

Von ihm habe ich gelernt, wie wichtig sie ist, und Sie werden noch merken, dass »Zielstrebigkeit« ein Begriff ist, den ich wirklich oft verwende. Ein Ziel vor Augen zu haben, bedeutet, dass jede Entscheidung, von der offensichtlich wichtigsten bis zur scheinbar banalen, von Bedeutung ist. Etwas zielstrebig zu tun, bedeutet, es mit Bedacht zu tun, mit einem klaren Zweck und mit Blick auf das gewünschte Ergebnis.

Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass ich schon mit 13 genau wusste, was meine Ziele im Leben waren. Zunächst wollte ich an der Cornell University’s School of Hotel Administration Restaurantmanagement studieren. Zweitens wollte ich mein eigenes Restaurant in New York City eröffnen. Drittens: Ich wollte Cindy Crawford heiraten.

Alles, was ich von da an tat, hatte diese Ziele vor Augen, und ich kann mit Stolz sagen, dass ich zwei von drei Zielen erreicht habe – und beim dritten Vorsatz sogar über das Ziel hinausgeschossen bin. (Ohne Ms Crawford zu nahe treten zu wollen, aber meine Frau ist wirklich fantastisch.)

Mein erster richtiger Job war mit 14 Jahren im Baskin-Robbins in Tarrytown. Ich habe dort viele ruinierte Torten auf dem Gewissen; »Happy Birthday« auf eine Eistorte zu spritzen, ist viel schwieriger, als man denkt. In der Highschool arbeitete ich als Tellerwäscher und als Host bei der Westchester-Außenstelle von Ruth’s Chris Steak House und einen Sommer lang als Hilfskellner in Wolfgang Pucks Holly­woodrestaurant Spago. Später arbeitete ich als Kellner im ­Tribeca Grill von Drew Nieporent und verbrachte sogar einen Sommer als Koch im ObaChine, einem weiteren Restaurant von ­Wolfgang Puck.

In meinem letzten Jahr in der Oberstufe bewarb ich mich und wurde an der Cornell University School of Hotel Administration – der Hotelfachschule – angenommen.

Mein Vater äußerte sich gegen diese Entscheidung. Er war nicht gänzlich dagegen, dass ich mich für ein Leben in der Gastronomie entschied, aber er war unsicher, ob ich mich so früh auf diesen Weg festlegen sollte. (Er hatte auch einige Erfahrung mit Cornell-Absolventen, die dazu neigten, in dem Glauben zu kommen, sie seien reif für eine CEO-Position, und er wollte nicht, dass ich einer dieser Ignoranten werde.) Aber als die Zusage kam, wusste ich sofort, dass ich dieses Ziel auf meiner Liste abhaken wollte.

Ich habe Cornell geliebt und dort einige meiner engsten Freunde kennengelernt. Als der Abschluss näher rückte, fuhren mein Freund Brian Canlis und ich nach Manhattan und arbeiteten uns von Tribeca aus nach Uptown durch, indem wir in einem edlen Restaurant nach dem anderen auf einen Snack oder ein Glas Wein einkehrten: Nobu, Montrachet, Chanterelle, Zoë, Gotham Bar and Grill, Gramercy ­Tavern, Union Pacific, Tabla und Eleven Madison Park. Wir machten weiter, bis zu Alain Ducasse, Café des Artistes und darüber hinaus.

Von den vielen Restaurants, die wir uns ansahen, stachen mir zwei besonders ins Auge: das Tabla und das Eleven Madison Park, beide im Besitz von Gastronom Danny Meyer. Ich fühlte mich in seinen Restaurants überaus wohl und kehrte begeistert in die Schule zurück, um mehr über sie zu erfahren. Zufälligerweise kam ein paar Monate später Richard Coraine, einer seiner Partner, an die Cornell und hielt einen Vortrag in einer meiner Vorlesungen. Ich verliebte mich augenblicklich in ihr Unternehmen, die Union Square Hospitality Group.

Zu dieser Zeit hatte Danny nur vier Restaurants: Union Square Cafe, Gramercy Tavern, Eleven Madison Park und Tabla. Die ­Gramercy Tavern und das Union Square Cafe waren zwei der beliebtesten Restaurants in New York City, die im Zagat-Führer Jahr für Jahr auf Platz eins und zwei landeten. Eleven Madison Park war eine gut besuchte Brasserie mit außergewöhnlichem Ambiente: Der Speise­saal war ein ehemaliger Versammlungsraum, ein mit Marmor ausgekleideter Gewölbesaal in einem denkmalgeschützten Art-­déco-Gebäude. In einem kleineren, angrenzenden Raum befand sich das Tabla, das aufregendste indische Restaurant des Landes.

Danny hatte die gehobene Küche in New York revolutioniert, indem er dem Essengehen eine einzigartige, dem Mittleren Westen eigene Note verlieh. Seine Restaurants boten gleichermaßen ein freundlicheres, informelleres Ambiente wie auch ein exquisites, was vor allem durch seine Angestellten geschaffen wurde.

Eckpfeiler der Unternehmenskultur war eine Philosophie, die Danny Enlightened Hospitality nannte. Sie stellte die traditionelle Hierarchie auf den Kopf, indem sie die Menschen, die dort arbeiteten, über alles andere stellte, auch über die Gäste und die Investoren. Nicht dass die Gäste darunter zu leiden hatten, ganz im Gegenteil. Dannys großartige Idee war es, Top-Mitarbeiter einzustellen, sie gut zu behandeln und viel in ihre persönliche und berufliche Entwicklung zu investieren, damit sie sich umso besser um die Gäste kümmern konnten – und genau das taten sie.

Als ich meinen Abschluss in Cornell in der Tasche hatte, gab es für mich keinen Zweifel: Danny Meyer war der Mann, für den ich arbeiten wollte. Und als ich aus Spanien nach New York zurückkehrte, bekam ich tatsächlich ein Vorstellungsgespräch mit Richard Coraine. Ironischerweise fand mein Vorstellungsgespräch im Eleven Madison Park statt, doch am Ende bot Richard mir einen Managerposten im Tabla an. Bevor ich Richards Angebot annahm, erlaubte ich mir jedoch einen letzten Moment des Zögerns. Weder EMP noch Tabla waren prätentiös, aber sie waren ausgefallener, als ich es mir jemals für mich ausgemalt hatte; ich war (und bin immer noch) eher Cheeseburger als Gänseleber.

Nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal bat ich meinen Vater um Rat. Er fasste es folgendermaßen zusammen: »Es ist einfacher, auf hohem Niveau sein Handwerk zu lernen, als schlechte Gewohnheiten abzulegen. Man kann später immer noch einen Gang zurückschalten, aber in die umgekehrte Richtung zu gehen, ist viel schwieriger.«

Einen Monat später war ich Manager bei Tabla und leitete das Empfangsteam. Meine Ausbildung hatte begonnen.

KAPITEL 4

LEKTIONEN IN ENLIGHTENED HOSPITALITY

DAS TABLA hat die zeitgenössische indische Küche in den Vereinigten Staaten verändert, und die treibende Kraft hinter diesem Wandel war Küchenchef Floyd Cardoz, dessen Küche von seiner goanischen Heimat inspiriert war.

Das Eleven Madison Park und das Tabla hatten zur gleichen Zeit eröffnet, aber das EMP war von der New York Times mit zwei Sternen dekoriert worden, während das Tabla die begehrten drei bekommen hatte. Dies war ein großer Erfolg für die gehobene indische Küche und ein echter Tribut an Floyds Hartnäckigkeit und seine köstlichen Speisen.

Im Tabla habe ich gelernt, wie groß die Macht der Außenseiter ist. Trotz des großen Erfolges erzielte das Tabla nie Umsätze, die an die­jenigen anderer Restaurants im Unternehmen heranreichten, aber Floyd bestand darauf, dass wir unseren Außenseiterstatus wie ein Ehrenabzeichen trugen. Er selbst blieb zurückhaltend, während er einige der besten Gerichte der Stadt zauberte.

Floyd wollte sicherstellen, dass die neuen Serviceleiter Respekt für das hatten, was in der Küche passierte, also machte jeder von uns zu Beginn einen kleinen Rundgang. Als ich dort auftauchte, ging ich naiverweise davon aus, dass ich den Köchen bei der Arbeit nur zusehen sollte; stattdessen wurde ich in die Vorbereitungsküche geschickt und bekam einen Eimer Garnelen zum Entdarmen in die Hand gedrückt. Die nächsten drei Stunden verbrachte ich bis zu den Ellbogen in Garnelendärmen.