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Der Kampf um Köln beginnt!
So hatte sich Ursula ihren großen Tag nicht vorgestellt! Da wird man jahrelang ausgebildet, um am achtzehnten Geburtstag Köln gegen die Dämonen der Hunnen zu verteidigen, und dann läuft alles anders als erwartet! Nicht genug damit, dass zwei der elf Mitglieder ihres Teams spurlos verschwinden und Ursula notgedrungen Adam, seines Zeichens Exil-Amerikaner und Gelegenheitsstadtführer, in einer Bar auflesen muss; zusätzlich verschwinden plötzlich auch noch mitten im Kampf alle Hunnen - und mit ihnen auch Ursulas Ausbilderin Una. Die Bestimmung ist damit faktisch erfüllt, aber das kann doch nicht alles gewesen sein? Ursula und ihr Team gehen der Sache auf den Grund - und stehen plötzlich einem viel größeren Gegner gegenüber als einer läppischen Geisterarmee.
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Seitenzahl: 591
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Über das Buch
Über C. K. McDonnell
Über Elaine Ofori
Titel
Impressum
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Danksagung
Über das Buch
Der Kampf um Köln beginnt! So hatte sich Ursula ihren großen Tag nicht vorgestellt! Da wird man jahrelang ausgebildet, um am achtzehnten Geburtstag Köln gegen die Dämonen der Hunnen zu verteidigen, und dann läuft alles anders als erwartet! Nicht genug damit, dass zwei der elf Mitglieder ihres Teams spurlos verschwinden und Ursula notgedrungen Adam, seines Zeichens Exil-Amerikaner und Gelegenheitsstadtführer, in einer Bar auflesen muss; zusätzlich verschwinden plötzlich auch noch mitten im Kampf alle Hunnen – und mit ihnen auch Ursulas Ausbilderin Una. Die Bestimmung ist damit faktisch erfüllt, aber das kann doch nicht alles gewesen sein? Ursula und ihr Team gehen der Sache auf den Grund – und stehen plötzlich einem viel größeren Gegner gegenüber als einer läppischen Geisterarmee.
Über C. K. McDonnell
C. K. McDonnell ist das Pseudonym von Caimh McDonnell, einem preisgekrönten irischen Stand-up-Comedian und Bestsellerautor der Dublin Trilogy rund um den abgehalfterten Ex-Cop BUNNY McGARRY. Seine Bestseller-Serie um die fiktive Zeitung THE STRANGER TIMES wurde bei den BRITISH FANTASY AWARDS 2023 mit dem Preis für das beste Hörbuch ausgezeichnet. Seine Bücher wurden als »eine der lustigsten Krimireihen, die Sie jemals gelesen haben« (The Express) und »ein brillanter humoristischer Thriller« (The Irish Post) bezeichnet. McDonnell lebt und schreibt in Manchester.
Über Elaine Ofori
Elaine Ofori hat in mehr als zwei Jahrzehnten scheinbar eher zufällige Fähigkeiten in den Bereichen Verlagswesen, Marketing und Kommunikation gesammelt, die sie nun jedoch in ihrem Verlag McFori Ink als Leiterin von Allem und Chefin für Streits erfolgreich einsetzt. Dort verbringt sie ihre Tage damit, über Wörter nachzudenken und sie in vollständig konstruierte Sätze zu verwandeln, die etwas kreativer sind als die Berichte und Strategien, die sie den Großteil ihrer Karriere geschrieben hat. URSULA ist ihr Debüt als Romanautorin, das sie gemeinsam mit ihrem Mann, dem Autor C. K. McDonnell, geschrieben hat.
C. K. McDONNELLELAINE OFORI
URSULA UND DAS V-TEAM
Das Schicksal muss warten
ROMAN
Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Eichborn Verlag
Für die Originalausgabe:Copyright © 2025 McFori Ink Ltd
Copyright © 2025 byBastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln, Deutschland
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten. Die Verwendung des Werkes oder Teilen davon zum Training Künstlicher-Intelligenz-Technologien oder -Systeme ist untersagt.
Textredaktion: Daniela Jarzynka, MechernichUmschlaggestaltung: bürosüd, MüncheneBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf
ISBN 978-3-7517-7448-2
luebbe.delesejury.de
Für Köln. Für die vielen inspirierenden Mythen und Legenden dieser Stadt. Und für die ursprüngliche Ursula und ihr V-Team. Wir wünschten, du wärst noch bei uns und könntest die Geschichte selbst erzählen.
»Babys sind ekelhaft«, verkündete Anna lautstark. Ihre Überzeugungen verkündete sie grundsätzlich lautstark.
Delilah lächelte verlegen, da der Ausbruch ihrer Freundin nicht unbemerkt geblieben war. Eine ältere Frau, die ihnen auf dem Bürgersteig entgegenkam, schaute die beiden abschätzig an. Die Frau hatte sich gegen den Kölner Wind dick eingepackt und zog einen rollbaren Einkaufstrolley hinter sich her. Selbst im schummrigen Licht der Straßenlaternen erkannte Delilah, dass ihr entschuldigendes Lächeln gegen den vernichtenden Blick der alten Dame keine Chance hatte. Sie begegneten ihr regelmäßig auf ihrem Weg zum Supermarkt, aber wenn sie sie grüßten, ernteten sie nie mehr als ein missmutiges Nicken. Ob es regnete oder die Sonne schien, immer trug sie dieselbe Daunenjacke, und Delilah fragte sich mittlerweile, ob es sich um ihre zweite Haut handelte.
Sie blieb kurz stehen, um die alte Dame und ihren abschätzigen Blick durchzulassen.
»Ist einer deiner gewagteren Aussprüche, Anna. Aber klar«, sagte sie. »Babys sind schon viel zu lange mit viel zu viel durchgekommen. Wird mal Zeit, dass sie jemand in ihre Schranken verweist.«
Anna ließ die Henkel der beiden vollen braunen Papiertüten in ihren Händen zu ihren Handgelenken hinunterrutschen und versuchte so vergeblich, sich mehr Freiraum zu verschaffen. Ausgiebiges Gestikulieren machte ihr nämlich ebenso viel Freude wie lautstark ihre Überzeugungen zu verkünden. »Ich meine es ernst. Okay, vielleicht nicht die Babys selbst, aber das ganze Theater drumherum.«
»Meinst du …?«
»Nein.« Anna verstand sofort, worauf ihre Freundin hinauswollte. »Nicht den Sex. Ich meine … nicht wirklich.«
Ehrlicherweise kannten sie sich auf diesem Terrain nicht besonders gut aus. Sie hatten – natürlich – oft darüber gesprochen, wie es sein musste, sich mit jemandem zu verabreden und sich auf alle möglichen weiterführenden Aktivitäten einzulassen. Aber die ungewöhnlichen Umstände ihrer Jugend hatten bei diesem Thema für erhebliche Bildungslücken gesorgt. Die Menschen in ihrem Alter, die auf den Kölner Straßen an Delilah in Autos vorbeisausten, auf Motorrädern oder auf den E-Rollern, von denen Bug so besessen war, schienen in einer vollkommen anderen Welt zu leben. Ein Umstand, der sich für sie und die anderen Mädchen jedoch dramatisch ändern sollte – und zwar sehr bald. Mit dieser Aussicht gingen sie ganz unterschiedlich um. Anna offensichtlich, indem sie noch mehr Anna war als sowieso schon.
»Denk mal drüber nach«, fuhr sie fort. »So ein Ding wird dir einfach in den Bauch gesetzt –«
»Ich glaube, dabei hilfst du durchaus mit«, unterbrach sie Delilah. »Ich gehe außerdem davon aus, dass die meisten Menschen es gar nicht gern hören, wenn man ihre Babys als ›so ein Ding‹ bezeichnet.«
»Na ja, meinetwegen. Ich will auch bloß sagen: Es ist in deinem Bauch und fängt an zu wachsen. Es ernährt sich von dir, wird größer und größer. Das Baby ist im Grunde nichts anderes als ein Parasit. Zahlt keine Miete. Isst dein Essen. Tritt dich! Hallo!? Das kleine Scheusal tritt dir in den Bauch!«
»Dass das alles auch was Magisches hat, scheint ziemlich an dir vorbeizugehen.«
»Mit Magie kenn ich mich aus«, entgegnete Anna, »und das hat mit Magie nichts zu tun. Folgendes ist der springende Punkt: Es isst, was du isst, oder?«
»Na ja …«, erwiderte Delilah zögerlich. »Teilweise, nehme ich an.«
»Genau. Und was reinkommt, muss auch wieder raus. Das kleine Monster kackt in dich rein! Ich meine, kann man sich was Ekelhafteres vorstellen? Es erstaunt mich echt, dass das irgendwer mit sich machen lässt.«
»Tja, wir haben da keine wirklichen Alternativen. Du weißt schon, sonst wäre ja keiner von uns auf der Welt.« Noch so ein Thema, über das sie eher selten sprachen.
Die beiden hätten kaum unterschiedlicher aussehen können. Anna war kräftig und vibrierte vor nicht zu bändigender Energie. Ihr lockiges Haar war aus rein praktischen Gründen kurz geschnitten. Delilah dagegen war auffällig groß, was sie stets verlegen machte, und sie bewegte sich träge. Zudem trug sie ihr Haar lang, um weniger schlaksig zu wirken. Delilah war dunkel- und Anna hellhäutig. Beide waren sich nicht sicher, woher sie stammten. Sie wussten nur eines über den Ort ihrer Geburt: dass sie bald dorthin zurückkehren würden. Hoffentlich. Das hieß auch, sie würden die einzige Familie zurücklassen, die sie kannten. Immer vorausgesetzt, dass sie lange genug am Leben blieben. Es war eine Menge, mit dem sie fertigwerden mussten. Und das war auch der Grund dafür, dass Anna sich einer ihrer unzusammenhängenden Tiraden hingab, die ihr Markenzeichen darstellten.
Während Delilah kurz zum Abendhimmel aufsah, erhaschte sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung. »Da ist schon wieder diese Taube.«
»Eine weiße Taube«, fügte Anna hinzu.
Diese Auseinandersetzung hatten sie schon hundertmal gehabt. Jedes Mal, wenn Delilah den Vogel entdeckte.
»Das ist schon was Besonderes.«
»Ach ja?«, entgegnete Anna. »Oder haben die weißen Tauben einfach die bessere PR? Ist dieselbe Vogelart, nur dass die weißen ein heiß geliebtes Friedenssymbol sind und die grauen als ›Ratten der Lüfte‹ bezeichnet werden. Das ist doch ein schlechter Witz!«
»Es ist –« Delilah verstummte, als Anna sich plötzlich anzuspannen schien.
»Was ist denn da los?«, fragte sie.
Delilah warf einen Blick über die Schulter und erkannte sofort, was ihre Freundin meinte. Ein junges blondes Mädchen in roter Adidas-Jacke, vielleicht ein, zwei Jahre jünger als sie, eilte auf der anderen Straßenseite den Bürgersteig entlang. Sie hielt die Jacke eng um sich geschlungen, und ihre schnellen Schritte hallten dumpf vom Pflaster wider, während sie von einem schwachgelben Lichtkegel der Straßenlaternen zum nächsten huschte und sich immer wieder umschaute. Bald würden sie die Venloer Straße erreichen, wo viele Leute jetzt noch ihre Einkäufe erledigten. Hier befanden sie sich aber in einer ruhigen Wohngegend voller Altbauten und einiger neuerer Mietshäuser, und abgesehen von ihnen und dem Mädchen war kein Mensch unterwegs.
»Sieht nicht gut aus«, stellte Delilah fest. »Sie läuft nicht einfach irgendwohin …«
»Nope«, stimmte Anna zu. »Sie läuft vor irgendwas weg.«
Delilah wuchtete nervös ihre Tüten herum. Der Einkauf, das Abendessen – das war ihre Art, sich abzulenken. Ihre Tagliatelle all’arrabiata war das Lieblingsessen der Kohorte. Allerdings vermieden sie es angestrengt, von ihrer letzten gemeinsamen Mahlzeit zu sprechen. Wenn sie heute Abend eines nicht gebrauchen konnten, war es eine echte Ablenkung.
»Una hat gesagt, dass wir vom Supermarkt direkt nach Hause kommen sollen.«
Die junge blonde Frau blieb an der Ecke einer Seitenstraße stehen. Kein Zweifel, sie wirkte wie ein gehetztes Tier.
Auch Anna hielt inne und sagte, ohne den Blick von dem Mädchen abzuwenden: »Und?«
»Ich meine ja bloß«, sagte Delilah.
»Und ich halte bloß die Augen offen. Schadet ja nichts, wenn –«
Der Rest von Annas Satz ging unter, als ein weißer Van mit quietschenden Reifen um die Ecke raste. Das Mädchen in der roten Jacke rannte sofort los, sprintete die Straße hinab. Sekunden später bremste der Van mit einem neuerlichen Aufschrei seiner Reifen. Drei Männer sprangen aus der hinteren Tür und nahmen sofort die Verfolgung auf.
Lebensmittel flogen in alle Richtungen, als Anna ihre Tüten fallen ließ und quer über die Straße stürmte.
»Ach, verdammt.« Delilah ließ ihre Tüten ebenfalls fallen und heftete sich an Annas Fersen. Ohne einen Blick zurückzuwerfen, vollführte Delilah eine kurze Handbewegung. Daraufhin stiegen die verschütteten Einkäufe vom Boden auf und flogen ordentlich in die Tüten zurück, die anschließend sauber aufgereiht am Bordstein standen. »Wir sollten wirklich nicht –«
»Dauert bloß ein paar Sekunden«, rief Anna ihr über die Schulter zu, während ihre muskulösen Beine zur Höchstform aufliefen und sie um die Ecke schoss.
Delilah folgte ihr – was blieb ihr übrig?
Als sie die angrenzende Straße erreicht hatten, war die junge Frau nirgends zu sehen, dafür die drei Männer, die im Laufschritt die Fahrbahn überquerten. Sie trugen Bomberjacken, einander ähnlich genug, um als Uniform durchzugehen. Einer hatte hellblonde Haare, ein anderer dunkle. Der dritte, kahlgeschoren und untersetzt, hielt sich schwer atmend in ihrem Windschatten.
Anna wurde nicht langsamer, während sie ebenfalls auf die Fahrbahn sprang. Ein einsamer Wagen ließ ein wütendes Hupen ertönen. Delilah stoppte kurz, um das Fahrzeug durchzulassen, und erhaschte einen Blick auf den rotgesichtigen Fahrer, der wütend vor sich hin murmelte. Dann rannte sie ihrer Freundin hinterher. Die drei Männer waren in einer Toreinfahrt verschwunden, zwischen einer Secondhandboutique und einem Elektrogeschäft, die bereits geschlossen hatten. Anna setzte ihnen nach.
Als Delilah bei der Toreinfahrt ankam, sah sie, dass diese zu einem Hinterhof mit Parkplatz führte. Höchstens zwölf Fahrzeuge ließen sich hier abstellen, jetzt aber war er leer. An der rechten Hauswand standen drei Mülltonnen, und an die gegenüberliegende Wand war in grellem Orange und Grün das Wort »Zero« gesprayt worden. In der äußersten Ecke hatte die Männergruppe das Mädchen eingekesselt.
Delilah spurtete näher und kam neben Anna zum Stehen. Ein rascher Blick zurück auf die leere Straße bestätigte, dass ihnen niemand gefolgt war. »Okay, lass uns bitte nicht überreagieren.«
»Überreagieren?«, wiederholte Anna mit leiser Stimme. »Weil drei große Männer ein verängstigtes Mädchen durch die Straßen jagen? Oh, ich werde nicht überreagieren.«
Delilah fiel auf, dass einer der Männer kurz in ihre Richtung schaute, ihnen dann aber keine weitere Aufmerksamkeit schenkte. Neben ihr ballte Anna ihre rechte Faust, aus der sofort Flammen aufstiegen.
»Du kannst doch nicht –«, begann Delilah.
»Wir reden bloß mit ihnen.« Sie trat einen Schritt vor. »Kleine Plauderei, nichts weiter.«
Kaum hatte Delilah einen zweiten Schritt auf den Parkplatz getan, spürte sie es. Etwas stimmte nicht. Ganz und gar nicht. Erinnerungen an einzelne Lektionen ihrer Ausbildung stürmten auf sie ein. Aber das ergab keinen Sinn. Ebenso wenig wie das altbekannte Kribbeln in ihrem Hinterkopf.
Der Höhepunkt im Terminkalender der Mädchen war ihr monatlicher Kinobesuch. Die Wahl des Films führte immer zu heißen Diskussionen, und häufig brach ein erbitterter Wahlkampf unter ihnen aus, bis sie sich einigen konnten.
Einmal im Jahr nahm Una sie stattdessen allerdings mit ins Theater, um – wie sie sagte – ihren kulturellen Horizont zu erweitern. Sie hatten bereits ein Musical gesehen, von dem Delilah begeistert gewesen war, dann ein ebenfalls fantastisches Shakespeare-Stück, auch wenn sie nicht alles verstanden hatte. Sie hatte es nie laut ausgesprochen, aber tief in ihrem Inneren spielte sie mit dem Gedanken, Schauspielerin zu werden. Das Theater verfügte über eine ganz eigene Magie.
Letztes Jahr war Una offenbar in besonders abenteuerlicher Stimmung gewesen und hatte sie in ein kleines Theater im Stadtzentrum gebracht, wo eine Adaption von Einer flog über das Kuckucksnest aufgeführt wurde. Gut war das nicht gewesen. Genau genommen war es das erste Mal, dass Delilah auf einer Bühne etwas Schlechtes gesehen hatte. Der Unterschied war verblüffend. In einer guten Aufführung ging man ganz auf, verlor sich in der Geschichte, wurde von der Erfahrung mitgerissen. In einer schlechten verließ einen nie das Gefühl, dass die Darsteller lediglich ihre einstudierten Sätze wiederholten, die sie schon hundertmal aufgesagt hatten. Die ganze Erfahrung hob nie vom Boden ab.
An diese Aufführung musste sie jetzt denken, denn langsam dämmerte ihr, dass sie ein schlechtes Schauspiel vor sich hatte. Delilah trat einen weiteren Schritt vor, und plötzlich hatte sie keinen Zweifel mehr. Beklommen packte sie Anna am Arm. »Das ist nicht real.«
»Wieso?«
»Es ist eine Illusion«, sagte Delilah und ließ ihren Blick über den Parkplatz huschen. Sie hatten das in ihrer Ausbildung durchgenommen. »Wir befinden uns in einer Illusion.«
Anna sah sich um. »Wer würde die Illusion eines leeren Parkplatzes erschaffen?«
»Ich weiß nicht …« Delilah wandte ihre Aufmerksamkeit noch einmal dem Quartett in der äußersten Ecke zu. Die vier sahen mehr und mehr wie Schauspieler aus, die nur darauf warteten, dass die Souffleuse ihnen den Text zuflüsterte. »Und er ist nicht leer«, zischte sie.
»Was meinst –«
Und dann explodierte die Welt.
Adam sah zu, wie sich sein Glass auf magische Weise füllte.
Alkoholmagie.
Eine spezifisch deutsche Art von Alkoholmagie.
»Und ich sag dir noch was …« Er gestikulierte vage in den Raum.
Hinter der Theke stieß Günther ein hörbares Seufzen aus. »Wirklich nicht nötig.«
»Frauen«, fuhr Adam fort. »Wer braucht die eigentlich?«
»Ich nicht.«
»Ganz … genau.«
»Ich bin schwul«, sagte Günther.
»Oh.« Adam klang überrascht. »Ähm … gute Entscheidung.«
»Wie bitte?«
Der kleine Teil von Adams Gehirn, der noch nicht komplett betrunken war, verabreichte dem Rest rasch einen Tritt. »Ich meine … ist keine Entscheidung. Ist offensichtlich keine …« Er geriet kurz ins Stocken, bevor er eine neue Richtung einschlug. »Aber da hast du echt Glück gehabt. Männer …« Er unterdrückte ein Aufstoßen. »Viel vertrauenswürdiger als Frauen.«
»Das ist ganz eindeutig nicht der Fall.«
»Nein, nein, ist es nicht. Oder?«
Adam griff nach seinem Bierglas und leerte es unklugerweise in einem Zug.
»Ich mag dich, Günther.« Er deutete mit dem Zeigefinger zwischen ihnen hin und her. »Du und ich, wir haben dieselbe Einstellung.«
»Nein, haben wir nicht«, sagte Günther.
»Nein«, stimmte Adam zu, »haben wir nicht.«
Wenn man Kölsch trank und seinen Bierdeckel nicht aufs Glas legte, sobald es leer war, ging man davon aus, dass nachgeschenkt werden sollte – und das passierte dann auch. Adam arbeitete neben seinem Studium als Stadtführer, und wenn er diese Information an die Touristen weitergab, waren die Reaktionen äußerst vielsagend: Sie reichten von freudiger Erregung bis zu reinem Ekel, je nachdem, wie die jeweilige Person zum Thema Alkohol stand.
Kölsch hatte eine gelbe, strohartige Farbe, eine stabile Schaumkrone und einen fruchtigen Geschmack. Und nichts sorgte in dieser Stadt schneller dafür, dass einem die Willkommensmatte unter den Füßen weggezogen wurde, als eine abfällige Bemerkung über dieses Getränk. Die Kölner nahmen ihr Bier sehr ernst.
Randy Beck aus Kentucky etwa hatte dies erst letzte Woche am eigenen Leib erfahren müssen. Adam blieb danach nichts anderes übrig, als seine Touristengruppe so rasch wie möglich aus Günthers Kneipe hinauszulotsen. Schließlich bewahrte ihr namensgebender Besitzer einen gewaltigen Vorschlaghammer über der Theke auf, der vermutlich nicht nur aus Deko-Gründen dort hing.
Ohnehin gehörten die Mitglieder der Familie Beck zur schlimmsten Art von Touristen: Sie redeten laut und viel, gaben wenig Trinkgeld und reisten sowieso nur, um sich dabei die amerikanische Überlegenheit bestätigen zu lassen. Da er selbst Amerikaner war, hatte Adam kein Problem damit, dies zuzugeben. Zumal Randy davon überzeugt zu sein schien, dass es nicht nur völlig in Ordnung war, eine laute und wenig schmeichelhafte Kritik an der Kneipe zu äußern. Offenbar ging er auch davon aus, dass dies von ihm erwartet wurde. Während Adam den immer noch schwafelnden Randy vor die Tür geschoben hatte, war das Gewitter auf Günthers Gesicht unübersehbar gewesen – und ein baldiger Blitzeinschlag mehr als wahrscheinlich. Die große Mehrheit von Adams Landsleuten benahm sich nicht so, aber leider waren es die lauten, an die sich alle erinnerten.
Günther war ein großer Mann mit schaufelartigen Händen und einem zerfurchten, äußerst robusten Gesicht. Seine Nasenlöcher hätte man gewiss als Flaschenöffner nutzen können. Man musste schon eine ganz bestimmte Sorte Vollidiot sein, um solch einen Mann an dessen Arbeitsplatz zu beleidigen.
Ebendieses Gesicht starrte Adam nun finster an, wenn auch aus anderen Gründen. Mit einem vielsagenden Seufzen füllte Günther widerwillig nach – zum x-ten Mal. Adam belohnte diesen Vorgang mit einem Lächeln und hoffte, dass es halbwegs gewinnend wirkte. Günther schnaubte bloß mit seinen bullenartigen Nüstern und kehrte zum anderen Ende der Theke zurück, wo er in einem Taschenbuch voller Eselsohren las.
Adam hatte geglaubt, Günther würde ihn mögen. Jetzt aber wurde ihm klar, dass sich jegliche Zuneigung verflüchtigt hatte, seit er auf das Angebot eingegangen war, Günthers Kneipe in seine Tourroute aufzunehmen und dafür Freibier als Gegenleistung bekam. Er griff nach seinem Glas. Wenn der heutige Abend eines bewies, dann seine schlechte Menschenkenntnis. Sie sprang ihm regelrecht ins Gesicht – in etwa wie die Bratwurst, die Randy Beck getroffen hatte, nachdem er während ihres Besuchs des meet & eat-Markts auf dem Rudolfplatz eine beleidigende Bemerkung an den falschen Verkäufer gerichtet hatte. Auch mit ihren Würsten verstanden die Leute in dieser Stadt keinen Spaß. Randy und ihn verband also doch mehr als gedacht: Sie hatten beide keine gute Menschenkenntnis.
Adam hob sein Glas zu einem ironischen Toast. »Scheiß auf Belgien!«, rief er laut, was Günther von seinem Taschenbuch aufschauen ließ. »Was ist das überhaupt für ein Land? Was haben die schon zu bieten?«
»Waffeln«, grummelte Günther.
»Abgesehen von Waffeln.«
»Schokolade.«
»Abgesehen von Waffeln und Schokolade.«
»Den pinkelnden Jungen.«
»Abgesehen von den Waffeln, der Schokolade und dem … Moment. Dem … was?«
»Manneken Pis.«
Adam runzelte die Stirn. Er bildete sich viel auf sein gutes Deutsch ein, aber hier verstand er ja wohl irgendwas falsch. »Wie bitte?«
»Das ist eine Statue!«, blaffte Günther. »Manneken Pis. Sehr berühmt. Stellt einen pinkelnden Jungen dar. Ich dachte, du wärst Kunststudent?«
»Bin ich!«, entgegnete Adam beleidigt. »Aber das klingt für mich nicht nach Kunst. Es klingt wie … na ja, wie etwas, das keine Kunst ist. Was habe ich gerade gesagt?«
»Scheiß auf Belgien«, erwiderte Günther tonlos.
»Nein, ich … Wobei … Ja, genau, das war’s.« Adam hob erneut sein Glas. »Scheiß auf Belgien! Belgien scheißt ja auch auf mich.«
Günther zuckte mit den Schultern. Adam nahm an, dass Belgien zu den vielen Punkten auf der endlos langen Liste von Dingen gehörte, für die Günther nicht viel übrighatte.
Adam setzte sein Glas an die Lippen, um einen weiteren Schluck zu trinken, hielt dann aber überrascht inne. Rechts neben ihm, wo eben noch ein freier Platz gewesen war, stand eine junge Frau. Sie hatte blondes Haar, das auffallend glänzte, aber dieser Effekt war womöglich auf die seltsame weiße Robe zurückzuführen, die sie unter ihrer Jeansjacke trug. Sie schenkte ihm ein vorsichtiges Lächeln, das von Grübchen eingerahmt wurde, die ihm ziemlich reizend vorgekommen wären, wenn er auf so etwas noch Wert gelegt hätte. Was nicht der Fall war. Nie wieder.
»Hallo«, sagte die junge Frau.
»Hi«, erwiderte Adam verlegen. »Tut mir leid, dass ich … Hab dich gar nicht gesehen.«
»Kein Problem.«
Er warf ihr einen argwöhnischen Blick zu. »Du bist nicht zufällig aus Belgien, oder?«
»Nein«, sagte sie.
»Okay. Gut.« Er nickte und stellte sein Glas ab.
»Ich bin Ursula.«
»Adam.« Er schaute sich nervös um. »Ähm … möchtest du was trinken?«
»Nein, vielen Dank«, sagte Ursula.
»Wer hierbleiben will, muss was bestellen«, warf Günther ein.
»Das ist nicht sehr gastfer … gast … gastfreundlich«, sagte Adam.
»Sollte es auch nicht sein«, entgegnete Günther. »Auf mich wartet zu Hause ein schönes Steak, und euretwegen bin ich immer noch hier. Ihr solltet woanders hingehen.«
»Ich kenne sie überhaupt nicht, und …«, er wandte sich Ursula wieder zu, »nichts für ungut, aber ich traue Frauen nicht mehr über den Weg. Auch nicht denen, die ich nicht kenne.«
»Oh«, sagte sie. »Warum das?«
Günther entfuhr ein lautes Stöhnen. »Frag nicht! Jetzt wird er eine endlose Geschichte vom Stapel lassen. Und ich bekomme Sodbrennen, wenn ich zu spät noch esse.«
»Das ist sehr unsensibel von Ihnen«, tadelte ihn Ursula.
»Vielen Dank«, sagte Adam, der ihre Unterstützung wirklich zu schätzen wusste.
»Schaut euch mal um!« Günther gestikulierte mit seinem Taschenbuch in den leeren Raum. »Es ist halb elf, und meine einzigen Gäste sind ein Mann, der nicht fürs Bier bezahlt, und eine Frau, die nichts trinken will. Das sollte hier eigentlich ein Geschäft sein, ist aber gerade das genaue Gegenteil.«
»Können Sie ihn nicht einfach auffordern zu gehen?«, fragte Ursula.
»Nein«, erwiderte Günther. »Ich habe ihm Freigetränke zugesagt, und ich halte immer mein Wort. Du wiederum –«
»Ich bin nüchtern, höflich und belästige niemanden. Solange dieses Lokal geöffnet hat, können Sie mich nicht rausschmeißen. Ich studiere Jura.«
Günther verdrehte die Augen. »Na toll. Ein betrunkener Künstler und seine abstinente Anwältin. Heute gehen alle meine Wünsche in Erfüllung.«
Ursula beachtete Günther nicht weiter und schaute stattdessen auf ihre Armbanduhr. Dann wandte sie sich wieder an Adam. »Was wolltest du gerade sagen? Warum vertraust du Frauen nicht mehr?«
»Da du mich fragst …«, erwiderte er. »Ich habe mich heute Abend von meiner Freundin getrennt.«
»Da wär ich ja nie drauf gekommen«, brummte es vom anderen Ende der Theke.
»Das tut mir leid.« Ursula zog ein seltsam aussehendes Gerät aus einer Tasche ihres Gewands und stellte es auf die Theke. »Was ist denn passiert?«, fragte sie geistesabwesend, während sie daran herumfuhrwerkte.
»Ich möchte nicht darüber sprechen.«
»Okay«, sagte sie, ohne aufzuschauen.
Das Gerät sah aus wie eine Mischung aus Miniatur-Guillotine und einem auf dem Kopf stehenden Metronom, von dem ein Metallpfeil baumelte.
»Wenn du es unbedingt wissen willst …«, sagte Adam. »Sie war angeblich krank. Also hab ich ihr eine Hühnersuppe vorbeigebracht und sie mit Bernard, dem Belgier aus unserem Kurs, erwischt.«
»Oje«, sagte sie und drehte an einem hölzernen Rädchen. »Was wurde aus der Suppe?«
Adam hob überrascht die Brauen. »Dein Ernst?! Ich erzähle dir das alles, und deine erste Frage lautet: ›Wo ist die Suppe?‹«
Die junge Frau schaute auf. »Na ja, ich hatte andere Fragen parat, aber diese schien mir die unverfänglichste zu sein. Sitz bitte mal eine Sekunde lang still!« Sie versetzte dem kleinen Pfeil einen leichten Stoß.
»Was ist das für ein Ding?«, fragte Adam.
Der Pfeil begann, erratisch hin und her zu schwingen.
»Es ist ein … Gerät. Ich will damit nur was überprüfen.«
»Oh«, sagte Adam. »Vielen Dank für die Aufklärung.«
Ursula senkte den Kopf fast bis zur Theke, um die Vorrichtung genauer in Augenschein zu nehmen. »Es … es soll etwas ermitteln, nur tut es das nicht. Es ist …« Sie richtete sich wieder auf und schlug sich die Hand gegen die Stirn. »Natürlich, mich erfasst es auch. Verdammt.«
Adam schaute zu Günther hinüber. Dieser hatte sich demonstrativ seiner Lektüre zugewandt und tat so, als würde er sie ignorieren.
»Versteh das bitte nicht falsch«, sagte Adam und wandte sich wieder an die Frau, »aber du bist ein bisschen komisch.«
»Ja, ich verstehe, dass das so wirkt.« Sie sah ihn direkt an, und ihre verblüffend blauen Augen verunsicherten ihn sofort. »Ich vermute, wir müssen das auf die altmodische, peinliche Art erledigen. Ich wünschte, Joy oder Sasha wären hier.«
»Wer sind Joy und Sasha?«, fragte Adam.
»Und was noch wichtiger ist: Zahlen die für ihre Getränke?«, warf Günther ein, ohne von seinem Buch aufzuschauen.
Ursula beachtete ihn nicht, atmete tief durch und schenkte Adam ein gequältes Lächeln. »Das mit deiner Freundin tut mir leid. Das ist schrecklich.« Sie neigte den Kopf. »War es für dich besonders belastend, weil ihr euch darauf geeinigt hattet, noch zu warten, bevor ihr …«
Adam verschränkte die Arme. »Das ist eine sehr persönliche Frage.«
»Ja«, erwiderte sie und schaute auf ihre Armbanduhr. »Das stimmt. Und die Antwort auf die Frage ist …«
»Geht dich nichts an.«
»Okay. Nachvollziehbar. Es ist nur folgendermaßen …« Sie setzte sich auf den Hocker neben ihn. »Es mag schwer zu glauben sein, aber ich muss eine Jungfrau finden, und zwar schnell, sonst wird etwas Schlimmes passieren. Ich habe keine Zeit, höflich zu sein und mich mit meinen Fragen langsam heranzutasten, oder … ich weiß nicht …« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Ich bin nicht besonders gut in dieser Sache.«
»Moment mal …«, sagte Günther. »Du brauchst eine Jungfrau, und die suchst du ausgerechnet in einer Kneipe?«
»Es ist schon fast elf Uhr abends, da sind die Möglichkeiten begrenzt. Ich habe es schon in dem 24-Stunden-Waschsalon probiert, hatte aber kein Glück.« Ursula rümpfte angewidert die Nase. »Da war so ein Typ in der hintersten Ecke, und man könnte wohl sagen, dass er genau in diesem Moment Sex hatte. Allerdings nicht mit einer anderen Person. Es war widerlich. Und deshalb bin ich jetzt hier.«
»Machen junge Menschen heutzutage so ihre Verabredungen klar?«, fragte Günther.
»Bei allem Respekt«, sagte Ursula, »halten Sie jetzt bitte mal die Klappe, Günther.«
Adam zuckte zusammen, ahnte Schlimmes. Zu seiner großen Überraschung starrte der sonst so aufbrausende Günther die junge Frau jedoch nur lange an und wandte sich dann wieder seinem Buch zu.
Erneut betrachtete Adam Ursulas fließende weiße Robe. Jetzt fiel ihm auch auf, dass sie Sandalen trug.
»Bist du so eine Art religiöse Fanatikerin, ist es das?«
»Nein. Na ja, vielleicht … aber andererseits … nein.«
»Okay, dann danke, aber nein, danke, was auch immer du verkaufen willst. Ich habe wirklich die Nase voll von Leuten, die sich damit rausreden, angeblich religiös zu sein.«
Damit sollte die Unterhaltung eigentlich beendet sein, und so war er ziemlich irritiert, als Ursula hocherfreut in die Hände klatschte.
»Deine Freundin …« Sie legte eine vielsagende Pause ein.
Einen Augenblick später gab er nach. »Caroline.«
»Caroline«, wiederholte sie. »Sie hat behauptet, sie wäre religiös und dass sie deshalb warten wollte mit …«
Adam wandte sich wieder seinem Bier zu. »Okay, du hast deinen Spaß gehabt. Günther! Schenk noch mal nach. Und meinetwegen kannst du sie ruhig rausschmeißen.«
»Sei nicht so!«, sagte Ursula. »Und hör dir bitte an, was ich zu sagen habe!«
»Günther?«, sagte Adam.
»Hör dir halt an, was die junge Dame von dir will!«
»Das sagst du nur, weil du mich loswerden willst.«
»Und, werde ich dich los?«
»Nein«, sagte Adam. »Dafür musst du mich erst raustragen.«
»Dann soll sie weiterreden, das macht mir weniger Umstände.«
»Danke, Günther«, sagte Ursula.
»Nicht gern geschehen.«
»Bitte, Adam, gib mir sechzig Sekunden! Hör dir an, was ich zu sagen habe! Wenn du mir dann immer noch nicht helfen willst, verschwinde ich.«
»Abgemacht«, sagte Günther.
Adam warf ihm einen wütenden Blick zu, bevor er widerwillig hinzufügte: »Na schön.«
»Okay«, sagte Ursula, blieb dann aber stumm.
»Also?«
»Gib mir einen Moment. Ich hatte nicht erwartet, dass du zustimmen würdest.«
»Fünfundfünfzig Sekunden«, warf Günther ein.
»Halten Sie die Klappe, Günther!«, entgegnete sie und fügte hastig hinzu: »Ich meinte, halten Sie bitte die Klappe.«
»Darum will ich auch gebeten haben!«
»Okay.« Ursula nickte. »Schön, es ist so: Heute Nacht wird etwas passieren – etwas wirklich Schlimmes. Etwas, das der gesamten Stadt Köln unfassbaren Schaden zufügen wird. Entsetzliche Dinge. Tod. Zerstörung. Das volle Programm. Zusammen mit einigen Freundinnen habe ich mich darauf vorbereitet, dies zu verhindern, schon mein ganzes Leben lang. Leider ist aber etwas schiefgegangen, und wir brauchen ein weiteres Mitglied in unserem Team. Ich weiß, das klingt alles nicht sehr sinnvoll, aber schau mir bitte in die Augen.« Sie legte sanft eine Hand auf Adams Wange und zog seinen unkonzentrierten Blick auf sich. »Wenn du jetzt mitkommst, wird das vermutlich die beste Entscheidung sein, die du jemals treffen kannst. Wenn nicht, wirst du morgen aufwachen – wenn du Glück hast – und es für den Rest deines Lebens bereuen. Ich weiß, das klingt vollkommen dämlich, aber bitte sag Ja!«
Vielleicht war es der verzweifelte Blick in ihren Augen, oder es lag daran, dass sie ihn entfernt an seine liebe, verstorbene Tante Gigi erinnerte.
»›Lass dich auf was Dummes ein!‹«
»Was?«, fragte Ursula.
»Das waren so ziemlich die letzten Worte, die meine Tante Gigi zu mir gesagt hat.«
»Okay …«
»Na schön«, erwiderte er und schlug mit der flachen Hand auf die Theke. »Ich mach’s.«
»Wirklich?«, fragte Ursula.
»Wirklich«, sagte Adam.
»Wirklich?«, fragte Günther. »Du willst dich als Jungfrau opfern?«
Adams Kopf fuhr zu Ursula herum. »Muss ich das?«
»Nein«, erwiderte sie rasch. »Musst du nicht. Wir werden nur … Ich bin auch eine Jungfrau. Genau wie alle anderen im Team.«
Günther schüttelte den Kopf. »Klingt nach ’ner ziemlich wilden Party.«
»Oh«, sagte Adam, der seine Entscheidung in Rekordzeit bereute. »Okay, und warum …?«
»Wir haben keine Zeit. Wir müssen los.«
»Na gut.« Bevor er es sich anders überlegen konnte, sprang Adam vom Barhocker, stolperte aber sofort.
Ursula hielt ihn am Arm fest. »Idealer wäre es natürlich, wenn du nicht betrunken wärst.«
»Ach ja?«, fragte er eingeschnappt. »Na, ich bitte vielmals um Verzeihung.«
»Aber ich erkenne natürlich an, dass du es vorher nicht wissen konntest und du für uns eine große Hilfe darstellst.«
Adam schüttelte ihre Hand ab und ging in einer beinahe geraden Linie auf die Tür zu.
Ursula folgte ihm.
»Ich sag euch, was ihr beiden dringend tun solltet –«
Ursula und Adam antworteten im Chor: »Halt die Klappe, Günther!«
Die frische Luft traf Adam wie ein Hochgeschwindigkeitszug. Er lehnte sich schwer gegen die Hauswand der Kneipe, um nicht vornüberzukippen. Dass frische Luft und Alkohol so eine kraftvolle Kombination waren, erklärte, warum Günther seine Bar so stickig wie möglich hielt. Niemand bestellte ein alkoholisches Getränk nach dem anderen, wenn er diese Wirkung auch umsonst haben konnte.
Ursula legte ihm sanft eine Hand auf den Rücken. »Geht’s dir gut?«
»Nein, ich glaub nicht. Bin ich gerade einer Sekte beigetreten?«
»Auf keinen Fall.«
»Würde jemand, der Leute für seine Sekte rekrutiert, nicht genau das sagen?«
»Weiß ich nicht«, erwiderte Ursula. »Ich bin noch nie einer Sekte beigetreten.«
Adam nickte. »Hast mich überzeugt.«
Ursula zog ein Aufklapphandy aus ihrer Tasche und begann, eine Nachricht zu tippen. Das Ding sah stark nach dem Modell aus, das Adams Großmutter früher gehabt hatte.
»Jetzt kapier ich«, sagte er. »Du bist eine Zeitreisende und kommst aus der Welt vor zwanzig Jahren.«
Verwirrt schaute sie auf. »Was?«
»Dein Handy.«
»Was ist damit?« Plötzlich wirkte sie verlegen. »Ich hab mir das erst vor sechs Monaten besorgt. Man kann damit auch Leute anrufen.«
Adam nickte langsam. »Ja, ist ein Handy.«
Schnell steckte sie es zurück in ihre Tasche. »Also, was hat dich nach Köln verschlagen?«
»Versuchst du nur, mich wach zu halten?«
»Ja. Ich würde es aber auch gern wissen.«
Er dachte darüber nach. Zumindest war das eine ehrliche Antwort.
»Willst du die lange oder die kurze Version?«
»Die, die du in unter einer Minute auf die Reihe bekommst.«
»Ich war so eine Art Mathewunderkind. Hatte ein volles Stipendium … Massachusetts Intstitute of Technology …«, brachte er mühsam hervor.
»Beeindruckend.«
»Danke. Gab nur ein Problem: Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich Zahlen hasse.«
»Wirklich?«
»Na ja, nein. Eigentlich habe ich mehr das gehasst, was mir die Zahlen gebracht hätten. Abschluss. Master. Guter Job. Da hängt ein ganzer Rattenschwanz dran. Was ich sagen will: Mein ganzes Leben war eine einzige gerade Linie in die Zukunft.« Er ließ seine Hand nach vorn schießen, um dies zu unterstreichen. »Und am Ende wartete nur der Tod. Ich hätte das alles durchlaufen können und hätte nie wirklich gelebt.«
»Klar.«
»Aber … meine Tante Gigi, das schwarze Schaf der Familie … Sie war die Einzige, die meine Zeichnungen mochte. Ich hab nämlich auch gezeichnet.«
»Cool.«
»Sie ist gestorben.«
»Oh.«
»Und hat mir Geld hinterlassen für den Fall, dass ich weglaufen und Dummheiten machen will – ihre Worte. Also bin ich hierhergekommen, um Kunstgeschichte zu studieren, und damit in ihre Fußstapfen getreten. Jetzt bin ich das schwarze Schaf der Familie.«
»Glückwunsch«, sagte sie.
»Wozu genau?«
Bevor Ursula antworten konnte, lenkte Adam das hydraulische Zischen von Bremsen ab. Ein alter, verbeulter Minibus hatte neben ihnen am Bordstein gehalten.
»Glückwunsch vor allem, weil du es geschafft hast, das alles in sechzig Sekunden zusammenzufassen«, sagte Ursula. »Deine Tante Gigi scheint eine ziemlich coole Person gewesen zu sein.«
Die vordere Tür des Busses wurde aufgeschoben. Auf dem Fahrersitz thronte eine Frau um die siebzig. Ihr weißes Haar war zu einem Knoten zusammengebunden, und sie trug ein schwarz-rosa gemustertes Kleid. Mit dem starrenden Blick, den sie auf sie richtete, hätte man Metall durchschneiden können.
»Was Besseres hast du nicht auftreiben können?«, fragte sie.
»Una!«, rief Ursula, dann wandte sie sich rasch wieder Adam zu. »Beachte sie gar nicht.«
»Moment«, sagte Adam. »Warte mal ’ne Sekunde. Du hast nicht erwähnt, dass wir irgendwo hinfahren müssen. Ich steige nicht einfach mit irgendeiner fremden Frau in den Bus ihrer Oma.«
»Bitte«, sagte Ursula, »wir haben keine Zeit. Ich erkläre dir alles auf dem Weg.«
»Auf dem Weg wohin?«
Una klopfte auf einen hölzernen Kasten, der auf dem Armaturenbrett angebracht war. »Wo immer dieses Ding uns hinführt. Aber wir müssen jetzt los, sonst kommen wir zu spät.«
Adam streckte abwehrend beide Hände aus. »Ich glaube, ich bleibe lieber hier.«
Die alte Dame schnalzte laut und missbilligend mit der Zunge. »Ich wusste, ich hätte mich selbst darum kümmern müssen.«
»Darüber haben wir doch gesprochen«, warf Ursula streng ein. »Mal wieder so ein Moment, in dem es extrem hilfreich wäre, wenn du dir einen Kommentar verkneifen würdest.«
Die alte Frau schüttelte den Kopf und ignorierte den Vorschlag. »In der guten alten Zeit drückte man einem jungen Mann eine Waffe in die Hand, sagte ihm, die Gefahr lauert in dieser Richtung, und schon stürmte er ihr brüllend entgegen. Diese jungen Leute heutzutage!«
Ursula trat vor Adam und sperrte Una so aus der Unterhaltung aus. »Hör zu!«, sagte sie zu ihm. »Ich verstehe deine Zweifel. Wirklich. Das wirkt ziemlich verrückt. Aber, hey, wenn es nicht wichtig wäre, würden wir dann all das auf uns nehmen, um dich zu überzeugen?«
»Na ja, ich weiß nicht …«
»Und wenn wir schlechte Menschen wären, würde ich dann überhaupt versuchen, dich zu überzeugen, obwohl ich dich genauso gut zwingen könnte, in diesen Bus zu steigen?«
»Mich zwingen?«, wiederholte Adam. Die Stimme seiner Maskulinität hatte sich selbstständig gemacht, bevor sein Gehirn einschreiten konnte. »Wie genau, glaubst du, könntest du mich zwingen?«
»Schließlich ist sie ja bloß ein kleines Mädchen«, zwitscherte Una aus dem Bus.
»Nicht hilfreich!«, erwiderte Ursula barsch über ihre Schulter hinweg. Dann drehte sie sich wieder in Adams Richtung und musterte ihn. »Ich bin mir sicher, dass du in der Lage wärst, dich zu wehren – unter normalen Umständen, aber … na ja …«
Er sah nur verschwommen, wie ihre Hand Millimeter neben seinem Ohr entlanghuschte. Ein knirschendes Geräusch folgte, dann ein dumpfes Rumpeln. Er drehte sich um. An der Ecke der Hauswand von Günthers Kneipe fehlte ein Ziegelstein. Er lag neben Adam auf dem Boden, direkt vor der Eingangstür.
»Du … hast einen Stein aus der Wand geschlagen?«
»Hab ich. Ich musste es dir schließlich demonstrieren.«
»Und dafür hast du aus Günthers Wand einen Stein rausgeschlagen?«
Ursula biss sich auf die Unterlippe. »War vielleicht nicht meine beste Idee.«
Adam machte einen Schritt um sie herum und trat auf den Bus zu. »Okay, ich komme mit. Nicht, weil du mich überzeugt hättest, aber wo auch immer du hinwillst – da kann es unmöglich so gefährlich sein wie hier, wenn Günther rauskommt und sieht, was du angerichtet hast.«
Una schenkte ihm ein verschmitztes Grinsen. »Das wage ich zu bezweifeln.«
Die Kombination aus Una, Ursula und seinem betrunkenen Zustand hatte Adam derart in Beschlag genommen, dass er den Rest des Busses noch gar nicht wahrgenommen hatte. Daher war er ziemlich überrascht, als er in das Fahrzeug stieg und sechs junge Frauen erblickte. Sie alle trugen weiße Roben, genau wie Ursula.
»Wusste ich’s doch. Ich bin einer Sekte beigetreten.«
»Keiner Sekte. Einem Team.«
»Was denn für einem Team? Einer Fußballmannschaft?«
»So was in der Art«, sagte Ursula.
»Ja«, stimmte Una zu und zog die Bustür hinter ihnen zu. »Nur dass wir bei unseren Spielen die Menschheit vor den Mächten der Finsternis schützen und es dabei um Leben und Tod geht. Außerdem gibt es in der Halbzeit keine Bockwürste, und Fouls sind dringend erwünscht.«
Die alte Frau packte Adam am Arm und zog ihn zu sich heran. Dabei bewies sie eine derart unerwartete Kraft, dass er sich bei jeglicher Gegenwehr vermutlich die Schulter ausgekugelt hätte. Aus nächster Nähe roch sie stark nach Pfefferminzbonbons. Ihre Haut erinnerte an vergilbtes Pergament, und ihr Blick durchbohrte ihn mit einer solchen Intensität, dass ihm augenblicklich die Wangen brannten. Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß, stieß ihr Gesicht direkt an seins und schnupperte an ihm. »Ja. Jungfrau. Betrunkene Jungfrau, aber immer noch Jungfrau.« Sie ließ ihn los.
Adam richtete sich wieder auf und rieb sich den Arm, der endlich aus Unas schraubstockartigem Griff befreit war.
»Dieser Abend wird immer irrer und irrer. Moment, können wir noch mal zurückkommen auf den Punkt mit dem Leben und Tod –«
Der Rest von Adams Frage ging unter, da Una den ersten Gang einlegte und den Bus so rasant beschleunigte, dass Adam nach vorn stolperte, das Gleichgewicht verlor und mit dem Gesicht voran auf den Boden des Fahrzeugs stürzte.
Wieder schnalzte Una mit der Zunge. »Die Jungfrauen von heute sind wirklich nicht mehr das, was sie mal waren.«
Zwei Minuten später saß Adam neben Ursula auf einem der vorderen Plätze. Eine der anderen Passagierinnen hatte ihr dabei geholfen, ihn auf den Sitz hinaufzuziehen. Es war ein hellhäutiges Mädchen mit Sommersprossen, roten Haaren und einem nervösen Lächeln, das viele Zähne zeigte und so die böse Narbe ausglich, die sich über die linke Seite ihres Gesichts erstreckte. Die Aktion war deutlich von der Tatsache erschwert worden, dass Una den Minibus mit einer derartigen Geschwindigkeit um die Kurven lenkte, dass es sich keinen Moment lang anfühlte, als würden alle vier Räder gleichzeitig den Boden berühren.
Vor dem Fenster rauschte die Kölner Innenstadt verschwommen an ihnen vorbei. Verriegelte Läden und immer noch geschäftige Kneipen ließen sie derartig geschwind hinter sich, dass es unmöglich war, auch nur die Häuserfassaden wahrzunehmen. In seinem ganzen Leben hatte Adam noch nie in einem Bus gesessen, der so schnell unterwegs gewesen war. Auch jetzt, nach elf Uhr, hätte solch ein Tempo eigentlich unmöglich sein müssen – schon wegen der Ampeln, anderen Verkehrsteilnehmern und den Grundgesetzen der Physik.
Ursula rutschte auf ihrem Platz hin und her und stellte ihm nacheinander alle vor, die sich an Bord befanden. Ihm drängte sich der starke Verdacht auf, dass sie dies vor allem tat, um ihm nicht erklären zu müssen, was genau sie eigentlich vorhatten. Er ließ sie aber vorerst damit durchkommen. Außerdem musste er sich stark darauf konzentrieren, der Welt nicht all das Freibier zurückzugeben, das er zuvor genossen hatte, während der Bus mit höchster Geschwindigkeit durch die Gegend raste.
»Una kennst du ja schon.« Ursula deutete auf die gegenüberliegende Sitzbank. »Das ist Wish …«
Das sommersprossige blasse Mädchen winkte ihm nervös zu. Adam nickte zur Antwort.
Die beiden Schwarzen Mädchen hinter Wish waren die Einzigen, die in einer Sitzreihe nebeneinandersaßen.
»Das sind unsere Zwillinge, Sasha und Joy …«
Ihm war nicht aufgefallen, dass es sich bei den beiden um Zwillinge handelte, da Sasha ihr Haar in einem großen Afro trug und Joys geglättete Haare in einem Kupferton gefärbt waren. Wenn man danach suchte, fand man aber durchaus eine Ähnlichkeit.
Sasha warf ihm ein bezauberndes Lächeln zu. »Hi.«
»Freut mich«, sagte Adam.
»Er lügt«, sagte Joy.
»Bitte, Joy, nicht jetzt!«, sagte Ursula.
»Na ja, tut er aber«, platzte diese heraus, bevor sie sich ihrer Schwester zuwandte. »Hör auf, mich so anzubrüllen!«
»Fun Fact«, sagte Ursula, »die Zwillinge können telepathisch miteinander kommunizieren.«
»Wow!«, sagte Adam.
»Jep«, sagte Joy ohne jede Begeisterung. »Es ist magisch.«
»Und das …« Ursula deutete rasch auf eine junge Frau, von der er vermutete, dass sie Polynesierin war. Sie hatte lockiges Haar, Arme wie Baumstämme, und ihre Gestalt füllte einen Doppelsitz. »… ist Masina.«
Das Mädchen nickte ihm scheu zu und machte mehrere Handzeichen in Ursulas Richtung.
»Stimmt«, erwiderte diese. »Aber man muss berücksichtigen, dass die Zeit beschränkt war.«
»Was war …?«, begann Adam.
»Nichts.« Ursula nickte in Richtung der äußersten Ecke des Busses, wo ein unfassbar bleiches, gertenschlankes Mädchen mit langen schwarzen Haaren saß. Sie hatte den Kopf zurückgeneigt, den Mund weit geöffnet und schlief tief und fest. »Das ist Trinity. Sie … meditiert.«
»Du musst wissen«, warf das Mädchen mit den kurzen, zerzausten grünen Haaren auf dem Sitz direkt hinter Adam ein, »das Schnarchen hilft ihr, sich mit ihrem Chi zu verbinden.«
Ursula seufzte. »Und last, but not least haben wir hier Bug.«
Bug salutierte lässig. »Hocherfreut, deine Bekanntschaft zu machen, liebe Mit-Jungfrau.«
»Hallo«, sagte Adam. »Ich werde mir keinen von diesen Namen merken können.«
»Keine Sorge«, sagte Bug. »Die Chancen stehen hoch, dass du keine Gelegenheit bekommen wirst, sie je zu benutzen. Hey, Una, wie weit noch?«
Adam wandte sich dem Fahrersitz des Minibusses zu. Una hatte nur eine Hand am Steuer, während sie einen Schwerlaster überholte. Die andere steckte in dem Holzkasten auf dem Armaturenbrett. Von seinem Platz aus erkannte Adam, dass der Kasten einen dünnen vibrierenden Draht enthielt. Unas Finger waren darumgelegt, berührten ihn aber nicht.
»Noch ein paar Minuten«, erwiderte sie. »Wenn wir nicht sowieso schon zu spät sind.«
»Okay«, sagte Adam. »Ich denke, dass ist jetzt der Zeitpunkt, an dem ihr mir erklären solltet, was zur Hölle hier vor sich geht.«
Ursula nickte. »In Ordnung. Ist dir zufällig die Legende der heiligen Ursula bekannt?«
»Natürlich. Ich bin zwar noch ziemlich neu in dieser Stadt, aber zufällig arbeite ich als Fremdenführer. Die heilige Ursula war eine Märtyrerin, hat irgendwann um das Jahr 300 oder 400 gelebt. Sie und ihre Begleiterinnen befanden sich auf Pilgerschaft. Es sollen elf oder elftausend Jungfrauen gewesen sein, je nachdem, wen man fragt.« Adam ließ den Blick durch den Bus wandern, von einer weiß gekleideten jungen Frau zur nächsten. Augenblicklich schaltete sein alkoholgetrübtes Gehirn einen Gang hoch. »Die Hunnen, die Köln erobern wollten, töteten sie, weil sie sich weigerten … Oh mein Gott, das ist hier so eine Todessekte!«
»Nein«, sagte Ursula streng. »Ist es nicht.«
»Na, irgendwie doch«, warf Bug ein.
»Nicht hilfreich, Bug!«
»Will ich auch gar nicht sein«, erwiderte diese munter.
»Eins muss man wissen«, erklärte Wish, das rothaarige Mädchen, »die Geschichte wurde fast vollständig falsch überliefert.«
»Ja«, sagte Sasha, der Zwilling mit dem Afro. »Es geht schon damit los, dass es insgesamt nur elf Jungfrauen waren, einschließlich Ursula.«
»Und sie wurden von den Hunnen nicht bloß getötet«, fügte ihre Schwester Joy hinzu. »Obwohl sie ohnehin dazu bestimmt waren, sich zu opfern. Menschen sind nämlich der letzte Dreck.«
»Zuvor aber griffen sie zu den Waffen«, fuhr Ursula fort, »zur großen Überraschung der Hunnen –«
»Und Ursula«, sagte Wish, »also Ursula 1.0, das Original, gelang es, ihren Anführer zu töten. Das führte zu völligem Chaos in seiner Armee, was Köln vor der Eroberung bewahrte.«
»Und dann«, beendete Joy den Satz, »wurden sie getötet.«
Ursula schaute finster in ihre Richtung. »Dazu wäre ich noch gekommen.«
»Ach ja?«
»Aber das ist ganz anders als in der Legende«, sagte Adam.
Einige der jungen Frauen stießen ein genervtes Stöhnen aus, und Una, die auf dem Fahrersitz offenbar immer noch nicht genug zu tun hatte, rief über ihre Schulter: »Vertraue niemals einem Buch über eine Frau, das von einem Mann geschrieben wurde. Wollte man den Geschichtsbüchern glauben, hätten Frauen nie was anderes getan, als Babys zu kriegen und Kekse zu backen. Ist nicht der Fall. Die Geschichte ist voll von Frauen, die nicht angemessen gewürdigt wurden. Maria Magdalena, Marie Curie, Mary Anning – und da sind wir nur beim Buchstaben M.«
»Darüber diskutierst du lieber nicht mit Una«, sagte Wish. »Du möchtest nicht, dass sie so richtig in Fahrt kommt.«
Die Passagierinnen lehnten sich kollektiv zur Seite, als der Bus sich derartig unvermittelt in die nächste Kurve legte, dass Adam in den Mittelgang fiel und dem gegenüberliegenden Sitz beinahe eine Kopfnuss verpasste. Bemerkenswerterweise schlief Trinity im hinteren Teil des Busses einfach weiter.
»Ja«, stimmte Ursula zu. »Wenn es heißt, die Geschichte wird vom Sieger geschrieben, meint man in der Regel einen Typen namens Victor.«
»Okay«, sagte Adam und fragte mit schwacher Hoffnung: »Ihr seid also so eine Art historische Reenactment-Gruppe, ja?«
Dies ließ Bug sarkastisch auflachen, aber Ursula ging nicht darauf ein.
»Nein«, erwiderte sie, »wir … Dieser Teil könnte jetzt vielleicht etwas schwer zu glauben sein.«
»Klar«, sagte Adam. »Weil sich bisher ja alles völlig glaubhaft angehört hat.«
»Gutes Argument. Also, lange Rede, kurzer Sinn: Es gab einen mächtigen Nekromanten in diesem Heer, der einen Fluch verhängt hat: Alle achtzehn Jahre würden die Geister der getöteten Hunnen aufs Neue versuchen, Köln zu erobern, und eine Nacht lang Verheerungen anrichten, wenn sie nicht aufgehalten werden von …«
»Ursula und ihren elf Jungfrauen«, beendete Adam den Satz.
»Es sind elf, einschließlich –« Sie unterbrach sich. »Ja, im Wesentlichen stimmt es.«
»Willkommen im V-Team!«, sagte Bug. »Ursula and her Virgins! Wir lassen uns T-Shirts drucken.«
»Nein«, sagte Wish und wurde rot. »Tun wir nicht. Und bitte hör auf, uns so zu nennen!«
Bug streckte ihr die Zunge raus. Wish erwiderte die Geste.
»Das heißt«, sagte Adam, »wir ziehen jetzt gegen eine Geisterarmee in den Kampf?«
»Mehr oder weniger«, sagte Ursula.
Er schaute kurz zur Tür hinüber. Sobald dieser Bus auch nur ein bisschen langsamer fuhr, würde er die Flucht ergreifen. Diese Mädchen waren vollkommen geisteskrank. Doch bis sich die passende Gelegenheit bot, musste er sie wohl noch bei Laune halten, indem er sich weiter mit ihnen unterhielt. »Alle achtzehn Jahre, ja? Wenn das stimmt, wäre das seitdem nicht ziemlich oft passiert? Also … genau einundneunzig Mal?«
»Du hast wirklich ein Händchen für Zahlen«, sagte Ursula.
»Wechsle nicht das Thema!«
Sie nickte. »Tut mir leid. Du hast recht.«
»Ihr seht alle sehr jung aus für Frauen, die seit Jahrhunderten Eroberungsarmeen bekämpfen.«
»Danke«, sagte Bug. »Ich vergesse nie den Moisturizer.«
»Das ist unser erstes Mal«, erklärte Ursula. »Ich bin lediglich die neueste in einer langen Reihe von Ursulas.«
»Bei der Geburt auserwählt«, fügte Wish hinzu, was ihr einen strafenden Blick von Ursula einbrachte. »Na ja, stimmt doch. Sie hat ein –« Sie biss sich auf die Zunge. Ganz offenbar bereute sie es, den Satz überhaupt begonnen zu haben.
Adam schaute Ursula mit erhobenen Brauen an. »Wollt ihr mir weismachen, dass ihr euch euer ganzes Leben lang auf heute Nacht vorbereitet habt?«
»Nein«, sagte Ursula. »Erst, seit wir zehn Jahre alt waren. Wir haben aus einem Kelch getrunken und damit unsere besonderen Kräfte erhalten, gleichzeitig aber alle Erinnerungen an unser früheres Leben verloren. Wenn ich das laut ausspreche, wird mir klar, dass das doch irgendwie nach Sekte klingt. Aber ganz im Ernst: Wir sind keine Sekte. Wir machen auch ganz andere Sachen. Wir denken zum Beispiel gerade darüber nach, eine Band zu gründen.«
»Aber hauptsächlich«, fügte Bug hinzu, »haben wir geübt, eine wild gewordene Geisterarmee umzulegen. Ich für meinen Teil sehe mich allerdings durchaus als toughe Drummer-Bitch.« Sie vollführte ein enthusiastisches Lufttrommeln, um dies zu unterstreichen. »Ich muss nur noch irgendwo ein Schlagzeug auftreiben.«
»Darf ich fragen …«, begann Adam und blickte sich nervös um, »was passiert, wenn ihr das nicht tut?«
Er überlegte, wie er diesen jungen Frauen höflich vermitteln konnte, dass sie wohl doch in die Fänge einer verrückten Sekte geraten waren, auch wenn sie es selbst nicht wussten.
»Dann bricht sie durch«, sagte Ursula. »Die Hunnenhorde. Und schreckliche Dinge passieren.«
»Die Massenaufstände von 1845«, sagte Wish, »waren gar keine echten Aufstände. Zumindest nicht vonseiten der Bevölkerung.«
»Und das schwere Feuer am Ende des siebzehnten Jahrhunderts«, fügte Bug hinzu. »Das war zwar ein Feuer, aber, na ja, es kam dazu, weil Hunnengeister eine Nacht lang durch die Stadt wüteten.«
»Wir sind uns nicht ganz sicher, was genau im zwölften Jahrhundert passiert ist«, warf Sasha ein, »aber es war schlimm.«
»Ich habe die gesamte Geschichte von Köln studiert«, entgegnete Adam, »aber von keinem dieser Ereignisse habe ich jemals etwas gehört.«
»Geschichtsbücher!«, rief Una. »Gott bewahre uns vor Geschichtsbüchern!« Noch während ihr diese Worte über die Lippen kamen, schrammte der Bus an einem VW-Bulli vorbei und riss seinen Seitenspiegel ab. Una winkte über die Schulter ab. »Wie kann man denn so parken?«
Adam ließ noch einmal seinen Blick durch den Bus wandern und zählte im Kopf durch. »Aber … Ursula und die elf Jungfrauen. Ihr seid keine elf.«
»Es sind elf –«, begann Ursula.
»Dich miteingerechnet«, warf Adam rasch ein. »Ja. Hast du gesagt. Die Sache ist bloß, selbst wenn wir Una mitrechnen, sind wir nur neun.«
Una stieß am Steuer des Fahrzeugs ein bellendes Lachen aus. »Ich zähle nicht.«
»Du zählst nur die, die du sehen kannst«, sagte Bug.
»Was soll das denn bedeuten bitte?«
»Mach dir keine Gedanken darüber!«, sagte Ursula. »Die anderen werden … noch auftauchen, wenn wir ankommen.«
»Verstehe ich nicht.«
»Was genau?«
»Ich hab gar nichts verstanden.«
»In diesem Fall«, sagte Ursula, während sie sich um ein beruhigendes Lächeln bemühte, »mach dir einfach keine Sorgen!«
»Ich mache mir aber Sorgen! Um ehrlich zu sein, so langsam mache ich mir um alles Sorgen!«
»Willkommen in meiner Welt«, murmelte Wish.
Ursula versetzte seinem Arm einen aufmunternden Klaps. »Hey, sieh’s doch mal positiv! Hört sich ganz so an, als wärst du ziemlich schnell wieder nüchtern geworden.«
»Das macht die Panik.«
»Und hey«, fügte Sasha hinzu. »Positiv ist auch, dass das Ganze ziemlich bald vorbei sein wird. Und dann gibt’s Pfannkuchen für alle.«
»Und wo wird das stattfinden?«
»Der Pfannkuchen-Laden ist –«
»Nicht der Pfannkuchen-Laden«, blaffte Adam, und Sasha zuckte erschrocken zusammen. »Tut mir leid, ich meinte … diese Sache. Wo findet die statt?«
Alle hielten sich an ihren Sitzen fest, während der Bus durch einen Kreisverkehr raste und nur knapp zwei Hochgeschwindigkeitskollisionen entging.
»Wo uns der Himmelsweiser hinführt.«
»Der was?«
»Das Ding in dem Kasten«, erklärte Sasha und deutete auf das Armaturenbrett.
»Cool. Cool, cool, cool.«
»Sonst noch irgendwelche Fragen?« Ursulas Stimme klang nicht unfreundlich.
»Ja«, erwiderte Adam langsam. »Ein oder zwei. Ich meine, ihr habt euch alle darauf vorbereitet, seit …«
»Seit wir zehn waren. Das stimmt.«
»Wie kommt es dann, dass ihr nach all der Mühe jetzt irgendeinen x-beliebigen Typen in einer Kneipe finden musstet, um euer Team vollzukriegen?«
Diese Frage sorgte für eine Reihe verlegener Blicke zwischen den jungen Frauen hinten im Bus und ein lautes Schnaufen von Una auf dem Fahrersitz.
»Zu unserer Kohorte gehören noch zwei weitere Mitglieder. Es ist vorgesehen, dass wir immer noch eine Ersatzjungfrau in petto haben, falls irgendwas passiert, und na ja …«
»Na ja, was?«
»Sie sind heute am frühen Abend in den Supermarkt gegangen und dann verschwunden.«
»Wartet …«, sagte Adam. »Ich bin hier, weil zwei Mitglieder eures Teams Reißaus genommen haben?«
Kaum waren die Worte ausgesprochen, wusste Adam, dass er das Falsche gesagt hatte. Augenblicklich wurde die Atmosphäre im Minibus frostig.
»Nein«, sagte Ursula mit einer Stimme, die kaum lauter war als ein Flüstern. »Das würden sie niemals tun.«
Adam betrachtete die Gesichter um ihn herum, die plötzlich sehr ernst aussahen. »Okay, und wo sind sie dann –«
»Wir wissen es nicht«, unterbrach ihn Wish. »Wir … wir wissen es nicht«, wiederholte sie mit belegter Stimme und senkte den Blick.
»Der Zeitpunkt spricht dafür, dass es kein Zufall war«, gab Joy finster zu.
»Und wenn wir herausfinden, wer uns hier in die Quere kommen will«, fügte Bug hinzu, »wird derjenige es bereuen. Gewaltig bereuen.«
Die Unterhaltung kam zu einem abrupten Ende, als Una den Bus per Handbremse wendete, sodass sowohl das Fahrzeug als auch Adams Magen sich um Haaresbreite überschlagen hätten. Sie klopfte mit ihrer nicht steuernden Hand auf die Oberseite des Holzkastens, dann steckte sie sie wieder hinein. »Verdammt. Das Ding springt dauernd hin und her.«
»Um das ganz klar zu sagen«, fügte Ursula hinzu und nahm das Gespräch wieder auf, »sobald wir hier fertig sind, wird es unsere oberste Priorität sein, Delilah und Anna zu finden.«
»Und«, fragte Adam, »weil die beiden verschwunden sind, habt ihr stattdessen mich ins Boot geholt?«
»Ja.«
»Aber ich bin … keine Frau.«
»Musst du auch nicht sein«, rief Una. »Dass es bisher immer Frauen waren, liegt nur daran, dass sie grundsätzlich besser darin sind … Wie hast du es noch genannt, Bug?«
»Den Schlüpfer anzubehalten!«
»Genau.« Una nickte.
»Die Sache ist die«, sagte Ursula, »du kannst dich zurücklehnen. Wir kümmern uns um alles.«
»Okay. Kann ich …?« Adam war sich nicht sicher, welche der tausend Fragen, die ihm durch den Kopf gingen, er als nächste stellen würde.
Er sollte es auch nicht herausfinden, da der Bus ruckartig zum Stehen kam.
»Die gute Nachricht ist«, rief Una, während sie den Kopf aus dem Fenster streckte, »wir sind da.«
»Und die schlechte Nachricht?«, fragte Wish.
Statt zu antworten, deutete Una nach oben.
Die Mädchen huschten zur linken Seite des Busses und drückten die Gesichter gegen die Fensterscheiben. Der gesamte Himmel war erfüllt von einem gewaltigen Wirbelsturm wütender roter Wolken.
»Oooh«, sagte Ursula.
»Offenbar war es deshalb so schwer für mich, den Ort zu finden. Es ist hier überall.«
Ursula atmete tief ein, stemmte die Hände in die Hüfte und schaute zum Himmel, während sie versuchte, die Gesamtsituation auf sich wirken zu lassen. Das war er also. Der Moment, auf den ihr ganzes Leben ausgerichtet war. Acht Jahre Training, Selbstaufopferung und bange Erwartung hatten sie hierhergebracht. Es fühlte sich nicht ganz so an, wie sie erwartet hatte. Vor allem hätte sie sich nie vorstellen können, dass der Soundtrack zu diesem Moment von einem amerikanischen Typen stammen würde, den sie vor nicht mal einer Stunde aus irgendeiner Kneipe gezogen hatte und der sich nun hinter einem Busch übergab.
Die zwölf hatten sich unerbittlich auf diesen Augenblick vorbereitet, und nun … Wie auch immer, sie hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Ohne Delilahs besondere Kräfte als Magierin stand ihnen die Absicherung durch die Trishula-Anrufung nicht mehr zur Verfügung, und so blieb ihnen nur eines übrig: zu siegen. Für Ursula änderte das allerdings gar nichts, denn eine andere Option war nie infrage gekommen. Sie würde niemanden aus dem Team verlieren. Nicht, solange sie die Verantwortliche war.
Sie standen am Rand eines recht hübschen Stadtparks, der einen mulchbedeckten Spielplatz mit Schaukeln, Rutschen und kleinen Karussells beherbergte. Da dieser Park mitten in der Stadt lag, kam noch die obligatorische Standardbank hinzu, auf der kichernde Teenager Zigaretten, Alkoholdosen und Gott weiß was untereinander herumreichten. Ursula verspürte ein seltsames Gefühl von Neid. Ganz gewöhnliche Leben wirkten irgendwie cool.
Sie bemerkte, dass Adam neben ihr stehen blieb. »Geht’s dir besser?«
»Besser?«, wiederholte er. »Nein. Ich nehme an, ich bin nüchterner, aber dadurch hab ich nur noch mehr Angst.«
»Angst ist eine gesunde Reaktion auf diese Situation.«
»Du scheinst keine Angst zu haben.«
Sie begegnete seinem Blick. »Ich habe mich auf diesen Moment vorbereitet, seit ich zehn war. Du bist mit dieser Aufgabe erst vor etwa einer Viertelstunde konfrontiert worden. Sei nicht so streng mit dir!«
»Du hast das erwartet?«, fragte Adam. »Du hast erwartet, dass der Himmel sich verwandelt in ein … ähm …? Ich versuche, den Begriff ›flammendes Tor zu Hölle‹ zu vermeiden.«
»Ich weiß deine Zurückhaltung zu schätzen«, erwiderte sie, »aber der Begriff ist durchaus treffend.« Wieder schaute sie zum Himmel hinauf. »Und groß ist es. Ich dachte nicht, dass es so groß sein würde.«
»Oh Gott! Das Tor zur Hölle ist größer als erwartet?«
»Du hast es so genannt. Rein technisch gesehen, wissen wir nicht, wo genau die Geister herkommen.«
»Nicht?«
»Nein. Wir konzentrieren uns darauf, sie wieder zu vertreiben.«
»Okay«, sagte Adam. »Aber das hier ist größer, als du erwartet hast?«
»Ich könnte mich allerdings auch täuschen. Una hat schon einige von diesen Dingern gesehen.«
»In der Tat«, bestätigte Una, die neben ihnen auftauchte. Sie hatte ein Stativ mit einer uralten hölzernen Kamera im Arm, die aussah, als gehöre sie in ein Museum. »Und das hier ist größer als die letzten beiden zusammen.«
Ursula wandte ihren Blick nicht vom Himmel ab. »Hast du irgendeine Ahnung, warum?«
»Hat sicher nichts Gutes zu bedeuten.« Una trat das Stativ auseinander, stellte es auf und richtete die Kamera gen Himmel, bevor sie unter dem schwarzen Tuch verschwand, um den Fokus einzustellen.
Adam zog sein Handy aus der Tasche und nickte in Richtung Una, die unter ihrer Abdeckung steckte. »Wenn sie ein Foto braucht, könnte ich auch einfach mein Handy benutzen.«
»Kannst du gern versuchen«, sagte Bug und gesellte sich ebenfalls zu ihnen.
Er tat es.
Dann versuchte er es ein zweites Mal.
Und ein drittes Mal.
Doch jedes Bild, das Adam mit seinem Handy aufnahm, zeigte lediglich einen dunklen Himmel mit wenigen zerzausten Wolken. Nicht der Hauch eines roten Wirbelsturmportals zur Hölle. »Was zum Geier?«
»Wenn dich das schon fertigmacht«, sagte Ursula, »hast du eine lange Nacht vor dir.«
»Apropos«, sagte Bug und warf ihm im Vorbeigehen eine vollgestopfte Tragetasche zu. »Zieh das an!«
Adam spähte in die Tasche. »Ein weißes Kleid? Ich muss ein Kleid tragen?«
»Herrgott, worüber Jungs sich so aufregen! Außerdem ist es ein Gewand«, sagte Ursula. »Und du kannst es einfach über deine Kleidung ziehen, wenn du willst.«
»Warum?«
»Es gehört dazu. Es gibt bestimmte Dinge, die wir bei dieser Aufgabe beachten müssen. Wir sind uns nicht ganz sicher, ob es absolut notwendig ist. Kann auch eine völlig sinnlose Tradition sein, aber wir werden nicht riskieren, dass etwas schiefgeht, nur weil sich irgendwer nicht an den Dresscode hält.«
Adam begann, das Gewand über seine Kleidung zu ziehen, hielt aber auf halber Strecke inne. »Na toll. Nicht nur sterbe ich gleich, vorher macht man sich auch noch über mich lustig.«
Ursula wandte sich um und schaute ihn mit gerunzelter Stirn an. »Wovon redest du?«
Er nickte der Bank zu, wo die Teenager ungeniert in ihre Richtung zeigten und lachten.
»Oh«, sagte Ursula und tippte Una auf die Schulter.
Diese zog unwirsch den Kopf unter der Abdeckung hervor. »Was? Ich muss –«
Ursula ließ ihren Zeigefinger in der Luft kreisen.
»Aber –« Unas genervter Blick löste sich auf, als sie die Lage erfasste. »Ah, okay. Das hatte ich vergessen.« Aus ihrer Tasche zog sie einen Gegenstand, der einem Wikingerhorn ähnelte. Mit ganzer Kraft blies sie hinein, doch peinlicherweise kam nicht der leiseste Ton heraus.
»Es funktioniert nicht«, stellte Adam wenig hilfreich fest.
»Nicht?«, fragte Ursula und blickte zu den Schaulustigen hinüber.