Utopia - Thomas Morus - E-Book

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Thomas Morus

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Beschreibung

Utopia ist der Titel eines 1516 von Thomas Morus in lateinischer Sprache verfassten philosophischen Dialogs. Die Schilderung einer fernen "idealen" Gesellschaft gab den Anstoß zum Genre der Sozialutopie. Rahmenhandlung sind die Erzählungen eines Seemannes, der eine Zeit lang bei den Utopiern gelebt haben will. Der Roman beschreibt eine auf rationalen Gleichheitsgrundsätzen, Arbeitsamkeit und dem Streben nach Bildung basierende Gesellschaft mit demokratischen Grundzügen. In der Republik ist aller Besitz gemeinschaftlich, Anwälte sind unbekannt, und unabwendbare Kriege werden bevorzugt mit ausländischen Söldnern geführt.

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Utopia

Thomas Morus

Inhalt:

Thomas Morus – Biografie und Bibliografie

Utopia

Vorwort

Der Utopia erstes Buch.

Der Utopia zweites Buch.

Von den Städten, insbesondere von Amaurotum.

Von den Obrigkeiten.

Von den Handwerken.

Vom gegenseitigen Verkehre.

Vom Reisen der Utopier.

Von den Sklaven.

Vom Kriegswesen.

Von den Religionen der Utopier.

Utopia, T. Morus

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849632106

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Thomas Morus – Biografie und Bibliografie

Eigentlich Sir Thomas More(latinisiert Morus), Kanzler Heinrichs VIII. von England, geb. 7. Febr. 1478 in London als Sohn eines Rechtsanwalts, gest. 6. Juli 1535, war Page des Kardinals Morton, Erzbischofs von Canterbury, studierte in Oxford, ward in London Rechtsanwalt und 1510 Untersheriff, seit 1515 aber von König Heinrich VIII. mit diplomatischen Missionen in den Niederlanden und Frankreich betraut, 1518 zum Mitglied des Geheimen Rats und 1521 zum Unterschatzmeister ernannt. 1523 war er Sprecher des Unterhauses, 1529 wurde er nach dem Sturz Wolseys, mit dem er lange im besten Einvernehmen gestanden hatte, zum Großkanzler ernannt, als der erste Laie, dem dies hohe Amt anvertraut wurde. Mit Heinrichs Ehescheidung von Katharina war M. nicht einverstanden, und als der König nach seiner Lossagung vom Papste seine Reformation durch Thomas Cranmer durchführte, legte M. 1532 seine Ämter nieder. Da er 1534 das Erbfolgegesetz beschwören und des Königs Scheidung als rechtmäßig anerkennen sollte, weigerte er sich des letztern, da die Scheidung schriftwidrig sei. Deshalb in den Tower gesetzt, ward er, nachdem er auch den Suprematseid verweigert hatte, 1. Juli 1535 als Hochverräter zum Tode verurteilt und 6. Juli d. J. hingerichtet. Seine bekannteste, unter den sogen. Staatsromanen (s. d.) eine Rolle spielende, in viele Sprachen übersetzte Schrift ist: »De optimo statu rei publicae deque nova insula Utopia« (Löwen 1516, oft gedruckt; mit engl. Übersetzung und Kommentar hrsg. von Lupton, Lond. 1895; von Collins 1904; ferner hrsg. von Michels und Ziegler, Berl. 1896; deutsch, Basel 1524; von Kothe in Reclams Universal-Bibliothek, Leipz. 1874; von Kautsky, Stuttg. 1887; von Wessely, Münch. 1896). M. ist der erste, der die englische Sprache in prosaischer Darstellung wirklich beherrschte. Die erste Gesamtausgabe seiner englischen Werke erschien in, London 1557, seiner lateinischen in Basel 1563 und vollständiger in Löwen 1566 und in Frankfurt 1689. Sein Leben beschrieben sein Schwiegersohn William Roper (Lond. 1626; Neudruck 1902 in mehreren Ausgaben), Rudhart (2. Ausg., Augsb. 1852), Walter (Lond. 1839), Mackintosh (das. 1844), R. Baumstark (Freiburg 1879), Bridgett (Lond. 1891), Hutton (das. 1895). Vgl. auch Seebohm, The Oxford reformers (3. Aufl., Lond. 1887); Louis, Thomas M. und seine Utopia (Berl. 1895).

Utopia

Vorwort

Fast schäme ich mich, vortrefflicher Peter Aegidibus, daß ich Dir das Büchlein über das utopianische Staatswesen erst beinahe nach einem Jahre schicke, das Du gewiß schon nach einem halben Jahre erwartet hast, da Du ja wußtest, daß ich bei diesem Werke der Erfindung überhoben war, über die Anordnung des Stoffs nicht nachzudenken und einfach nur zu berichten brauchte, was ich mit Dir zusammen von Raphael erzählen gehört hatte. So machte die Diktion mir keine Mühe, denn seine Sprache konnte, da seine Rede eine improvisirte war, nicht durchdacht und gefeilt sein, und dann ist er, wie Du weißt, mehr im Griechischen als im Lateinischen zu Hause. Und je näher meine Darstellung seiner unstudirten schlichten Sprache kam, desto näher kam sie der Wahrheit, der ich hierbei allein obzuliegen habe. Ich gestehe, Freund Peter, daß mir, da Alles so gegeben vorlag, die Arbeit so erleichtert war, daß mir fast nichts aus Eigenem zu thun übrig geblieben ist. Sonst würde Erfindung und Komposition des Ganzen Zeit und Studium eines nicht unbedeutenden und kenntnißreichen Geistes erfordert haben. Wäre verlangt worden, daß die Darstellung nicht nur wahr sondern von rednerischer Kunst sei, so hätte ich sie überhaupt nicht liefern können. Nachdem aber diese Schwierigkeiten von mir genommen waren, die allein ein Ziel des Schweißes gewesen wären, blieb nur die einfache Nacherzählung des Gehörten übrig und das war keine nennenswerthe Aufgabe. Aber selbst zur Ausführung dieser sehr geringen Arbeit ließen mir andere Geschäfte fast keine Zeit übrig. Bald muß ich in gerichtliches Angelegenheiten emsig plädiren, bald solche anhören, bald als Schiedsrichter schlichten, bald als Richter Urtheile fällen, bald einen amtlichen, bald einen privaten Gang machen. Während ich fast den ganzen Tag außer Hause Andern widme, bleibt mir für meine eigenen Angelegenheiten, d.h. für Litteratur und Wissenschaft, keine Zeit übrig. Komme ich heim, so heißt es mit der Gattin plaudern, mit den Kindern schäkern und mit der Dienerschaft verkehren. Das rechne ich alles zu den Geschäften, die verrichtet werden müssen (und es muß geschehen, wenn du nicht im eigenen Hause ein Fremdling sein willst). Man muß durchaus Sorge tragen, mit denen, die entweder die Natur, der Zufall oder die eigene Wahl zu unsern Lebensgefährten gemacht haben, so angenehm als möglich zu verkommen, damit sie durch zu große Vertraulichkeit nicht verhätschelt, oder durch zu große Nachsicht aus Dienern zu Herren werden. So rauschen Tage, Monate, Jahre dahin. Wann also schreiben? Und da habe ich nicht einmal vom Schlafen und vom Essen gesprochen, das bei Vielen nicht weniger Zeit in Anspruch nimmt als der Schlaf selbst, der doch fast die Hälfte des Menschenlebens für sich in Beschlag nimmt. So erübrigt mir nur die Zeit, die ich mir vom Schlafe und vom Essen abbreche, und so wenig das ist, so ist es doch etwas, und so habe ich endlich die Utopia zu Stande gebracht, und sende sie Dir jetzt, lieber Peter, zum Durchlesen, damit, wenn mir etwas entgangen ist, Du mich darauf aufmerksam machst, obwohl ich mir nämlich in dieser Beziehung nicht gerade mißtraue, – ich wünschte, es fehlte mir ebensowenig an Genie und Gelehrsamkeit als an der Gabe des Gedächtnisses – so hege ich doch auch kein übertriebenes Vertrauen zu mir selbst, daß ich etwa glaubte, es könne mir nichts entfallen sein. Denn auch Johann Clement, mein jugendlicher Aufwärter, der, wie Du weißt, zugegen war, der mir bei keiner Unterredung von einigem Belang fehlen darf, ein junges Pflänzchen, das bereits in der griechischen und lateinischen Litteratur zu grünen beginnt, und von dem ich mir einst ausgezeichnete Frucht verspreche – hat mich sehr an mir zweifeln gemacht. So viel ich mich nämlich erinnere, hat Hythlodäus erzählt, jene Brücke von Amaurotum über den Fluß Anydrus sei fünfhundert Schritt lang, mein Johannes aber sagt, davon seien zweihundert Schritt in Abrechnung zu bringen, indem die Breite des Flusses dort nicht über dreihundert Schritt betrage. Ich bitte Dich, rufe Dir den Sachverhalt ins Gedächtniß zurück. Stimmst Du mit ihm überein, so trete ich euch bei, und glaube, daß mich mein Gedächtniß trügt; kannst Du Dich aber nicht erinnern, so lasse ich stehen, was ich niedergeschrieben und baue auf mein Erinnerungsvermögen. Denn da ich aufs äußerste besorgt bin, alles Falsche in meinem Buche zu vermeiden, so will ich, wo die Wahrheit nicht festzustellen ist, lieber eine Unwahrheit sagen, als lügen. Denn lieber ehrlich als pfiffig. Diesem Uebelstande wäre leicht abzuhelfen, wenn Du den Raphael entweder mündlich oder schriftlich befragen wolltest, was Du ja doch wegen eines anderen Skrupels, der uns aufstößt, thun mußt, handle es sich nun um ein Versehen, meiner, Deiner oder Raphaels. Ist es uns doch nicht eingefallen, ihn zu fragen, noch ihm von freien Stücken zu sagen, in welcher Gegend des neuen Welttheils Utopia liegt. Lieber möcht' ich es mich eine ziemliche Summe Geldes haben kosten lassen, als daß uns das widerfahren wäre, theils, weil ich mich wirklich schäme, nicht zu wissen, in welchem Weltmeere die Insel liegt, über die ich so viel schreibe, theils weil es den Einen oder Andern bei uns gibt, Einen aber vor allen, einen frommen Mann, von Beruf Gottesgelehrten, der vor Begierde brennt, Utopien zu betreten, nicht aus einem eiteln und neugierigen Gelüsten, Neues zu sehen, sondern um unsere Religion, die dort einen vielversprechenden Anfang genommen hat, zu fördern und zu verbreiten. Um dies in regelrechtem Gange zu erreichen, will er bewirken, daß er vom Papste dorthin gesendet, dann von den Utopiern zum Bischof gewählt wird, indem er keinen Augenblick bezweifelt, daß er zu dieser Vorsteherwürde durch Bitten gelangen werde. Er hält dies für einen frommen Ehrgeiz, nicht den Rücksichten auf weltliche Ehren und Gewinn, sondern religiösen Motiven entsprungen. Darum bitte ich Dich, lieber Peter, entweder, wenn möglich, mündlich, sonst aber brieflich, dem Hythlodäus anzuliegen, daß in meinem Werke nichts Falsches stehen bleibe, aber auch nichts, was wahr ist, vermißt werde. Ich weiß nicht, ob es darum nicht gut wäre, ihm das Buch selbst zu zeigen. Denn etwas Irrthümliches kann Niemand so verläßlich beseitigen als er, er selbst kann das aber auch nur, wenn er liest, was ich geschrieben habe. Dazu kommt: auf diese Weise wirst Du merken, ob es ihm recht ist, oder ob er nicht erbaut davon ist, daß ich dieses Werk verfaßt habe. Denn wenn er etwa gesonnen ist, die Geschichte seiner Mühen und Strapazen selbst in Druck zu geben, so wird es ihm eben nicht angenehm sein und ganz ebenso erginge es desfalls mir, wenn ich durch meine ihm zuvorkommende Veröffentlichung des utopianischen Staatswesens seine geschichtliche Darstellung des Reizes der Neuheit beraubte.

Um die Wahrheit zu sagen, so bin ich mit mir selbst noch nicht einig, ob ich die Utopie überhaupt herausgeben soll. Der Geschmack der Menschen ist so verschieden, die Gemüther Mancher sind so mürrisch, ihre Sinnesart so unerquicklich, ihre Urtheile so abgeschmackt, daß diejenigen besser zu fahren scheinen, die sich dem Genusse und der Fröhlichkeit hingeben, als diejenigen, welche sich mit Sorgen abäschern, etwas zu veröffentlichen, was Andern zum Vergnügen oder zur Belehrung gereichen könne, während es eben diese verschmähen oder unfreundlich aufnehmen. Die Meisten wissen nichts von Wissenschaft und Litteratur, viele verachten sie. Ein barbarischer Geschmack verwirft Alles, was nicht wieder barbarisch ist. Die Halbwisser verachten Alles als trivial, was nicht von alterthümlichen Ausdrücken wimmelt. Gewissen Leuten gefällt nur das Alte, den meisten nur das, was sie selbst gemacht haben! Dieser ist so sauertöpfisch, daß er von keinem Scherze etwas wissen will, jener so platt und albern, daß er das Salz des Witzes nicht verträgt, andere so stumpfnasig, daß sie vor einer kräftigen Nase scheuen, wie ein von einem wüthenden Hunde Gebissener vor dem Wasser. Wieder Andere sind so wetterwendisch, daß sie Etwas gut heißen, während sie jetzt sitzen, und schon wieder etwas Anderes, wenn sie dann aufstehen. Noch Andere sitzen in der Kneipe und urtheilen auf der Bierbank über litterarische Erzeugnisse und verdammen mit einer ungeheuren Autorität alles Beliebige und die Schriften jedermanns, indem sie alle Welt durchzausen, während sie selbst in Sicherheit sind, außer Schußweite, nach dem Sprichworte, denn diese guten Leute sind um und um so glatt und kahl, daß sie kein gutes Haar an sich haben, bei dem man sie fassen könnte. Ueberdies gibt es so undankbare Gemüther, daß sie, während sie sich im höchsten Grade an einem Werke ergötzen, den Autor doch nicht leiden mögen, nicht unähnlich jenen unwirschen Gästen, die, nachdem sie an einem opulenten Gastmahl vollauf sich gelabt haben, nach Hause gehen, ohne dem Gastgeber ein Wort des Dankes zu sagen. Nun geh und richte für Leute so verwöhnten Gaumens, so verschiedenen Geschmacks, und obendrein von so dankbarer Gesinnung, die der Wohltaten so eingedenk sind, auf Deine Kosten einen Schmaus her.

Aber trotzdem, lieber Peter, verfahre gegen Hythlodäus, wie ich oben gesagt: es bleibt mir ja unbenommen, hinterdrein immer noch zu thun, was ich will. Aber da ich doch einmal die Mühe des Niederschreibens gehabt habe, so möge das nicht gegen seinen Willen geschehen sein. In allem Uebrigen, was bei der Herausgabe noch in Betracht kommt, werde ich den Rath meiner Freunde befolgen, vor allem den Deinigen. Lebe wohl, geliebtester Petrus Aedigius, sammt Deiner lieben Frau, und bleibe mir wie bisher zugethan, wie auch ich Dich immer lieber gewonnen habe.

Der Utopia erstes Buch.

Als der unbesiegbare König Heinrich von England, seines Namens der achte, geschmückt mit allen Tugenden eines ausgezeichneten Fürsten, vor Kurzem einen nicht geringfügigen Streit mit Karl, dem durchlauchtigsten Fürsten von Kastilien, hatte, ordnete er, diesen beizulegen, mich als Sprecher nach Flandern ab und gab mir den unvergeßlichen Cuthbert Tunstall als Begleiter mit, den er unter dem größten allgemeinen Beifalle zum Großarchivar ernannt hatte, zu dessen Lobe von mir nichts gesagt werden soll, nicht weil ich befürchtete, daß das Zeugniß meiner Freundschaft wenig Glauben verdiente, sondern weil sein Charakter und seine Gelehrsamkeit über mein Lob erhaben sind und seine Berühmtheit so groß ist, daß sie erhöhen wollen, die Sonne mit der Laterne beleuchten hieße, wie das Sprichwort lautet.

In Brügge trafen wir, der Verabredung gemäß, die Abgesandten des Fürsten, sämmtlich ausgezeichnete Männer, darunter der Präfekt von Brügge, als Haupt derselben, als ihr Mund und ihre Seele aber der Propst Georg Temsicius von Cassileta, der neben seiner natürlichen Beredsamkeit zugleich ein durchgebildeter Redner war, zugleich ein hochbegabter, wohlbeschlagener Staatsrechtsgelehrter. Nach zweimaliger Zusammenkunft nahmen jene, da wir in einigen Punkten nicht übereinstimmten, Abschied von uns, und reisten nach Brüssel, das Orakel des Fürsten einzuholen.

Ich begab mich unterdessen nach Antwerpen. Während ich mich dort aufhielt, sah ich oft Besuch, doch Niemand lieber als Petrus Aegidius, einen geborenen Antwerpener von großer Biederkeit, in ehrenvoller Stellung, der die ehrenvollste verdiente, da es kaum einen gelehrteren und ehrbareren jungen Mann gab, herzensgut und belesen sondergleichen. Von ehrlicher Aufrichtigkeit gegen jedermann, hat er ein so liebevolles, treues, hingebendes Gemüth gegen seine Freunde, daß kaum Jemand zu finden sein dürfte, der es in erprobter Freundschaft mit ihm aufnähme. Seltene Bescheidenheit eignet ihn, jede heuchlerische Verstellung ist ihm fremd, bei aller Schlichtheit des Wesens ist er sehr klug. Seine Rede ist gewandt und zierlich, seine Scherze sind liebenswürdig harmlos, so daß meine Sehnsucht nach der Heimath und nach dem häuslichen Herde, nach der Gattin und den Kindern gemildert wurde, um die ich bei einer bereits mehr als viermonatlichen Abwesenheit ängstlich besorgt war. Solches besorgte die liebe Gewöhnung des Beisammenseins und das höchst angenehme Gespräch mit ihm.

Als ich eines Tages dem Gottesdienste in der Liebfrauenkirche, die ein wunderschönes Kunstwerk ist und beim Volke das höchste Ansehen genießt, beigewohnt hatte, und nach meinem Quartier zurückzukehren im Begriffe war, sah ich ihn mit einem ältlichen Fremden sprechen, dessen Sonnenverbranntes Antlitz, herabwallender Bart, nachlässig über die Schulter hängender Reisemantel mir einen Schiffspatron zu verrathen schienen. Sobald mich Peter erblickte, grüßte er und kam auf mich zu, indem er sich von jenem, der ihm eben eine Antwort zu geben im Begriffe war, ein klein wenig entfernte.

»Siehst du diesen Mann«, sagte er zu mir, indem er auf den wies, mit dem ich ihn sprechen gesehen hatte. »Ich wollte ihn gerade zu Dir führen.«

»Das würde mir um deinetwillen sehr angenehm gewesen sein«, sagte ich.

»Und an sich auch«, versetzte Peter, »wenn du ihn nur erst kenntest. Denn heutigentags lebt wohl Niemand, der dir über Menschen und unbekannte Länder so viel zu erzählen vermöchte, wie er, und solche Geschichten zu hören, bist du, wie ich weiß, höchst begierig.«

»So habe ich,« erwiderte ich, »nicht falsch gerathen, ich habe ihn auf den ersten Blick sofort für einen Seemann gehalten.«

»Du irrst sehr«, gab Peter zur Antwort. »Er hat zwar Seefahrten hinter sich, aber nicht als Palinurus, sondern als ein Ulysses, oder vielmehr als ein Plato. Nämlich: Raphael – das ist sein Geschlechtsname – Hythlodäus ist im Lateinischen bewandert, aber hat das Griechische noch viel gründlicher inne, (das er viel mehr betrieben hat, weil er sich ganz der Philosophie gewidmet hat, über die außer Seneka und Cicero im Lateinischen nichts der Rede Werthes vorliegt). Er stammt aus Lusitanien, trat sein väterliches Erbtheil seinen Brüdern ab, schloß sich, um Land und Leute zu studieren, dem Amerigo Vespucci an und hat von jenen vier Seereisen, die man heutzutage bereits dort und da gedruckt lesen kann, drei als sein ständiger Begleiter mitgemacht, ist aber von der letzten nicht mit ihm zurückgekehrt. Er erreichte mit bringenden Bitten von Amerigo, daß er unter den Vierundzwanzig war, die bis ans Ende der letzten Fahrt in einem Kastell zurückgelassen wurden. So blieb er zurück und konnte seinem Sinn willfahren, der mehr ans Reisen als an Sterben und Grab dachte, wie er denn fleißig ähnliche Sprüche im Munde zu führen pflegte: ›Der Himmel ist der Leichenstein desjenigen, dem keine Aschenurne beschieden worden‹, und: ›der Weg zu den Göttern ist von überallher gleichweit‹. Dieser Wagemuth hätte ihn, wenn Gott nicht schützend seine Hand über ihn gebreitet hätte, theuer zu stehen kommen können. Nach Abreise des Vespucci hat er mit fünf Castilianern viele Gegenden durchstreift, bis er durch ein wunderbares Glück nach Taprobane gelangte, von dort nach Kalikut, wo er lusitanische Schiffe vorfand, worauf er gegen alles Erwarten in sein Vaterland zurückfuhr.«

Als Peter dies erzählt und ich ihm dafür Dank gesagt hatte, daß er so viel Gefälligkeit für mich gehabt und so viel Rücksicht auf mich genommen habe, mir eine Unterredung mit diesem Manne zu Theil werden zu lassen, wandte ich mich zu Raphael und nach gegenseitiger Begrüßung und Austausch jener Gemeinplätze, die beim Zusammentreffen zweier Fremden üblich sind, begaben wir uns nach meinem Hause, wo wir uns im Garten auf einer Rasenbank niederließen und zu plaudern anfingen. Er erzählte, wie er und seine im Kastell gebliebenen Gefährten, nachdem Vespucci abgereist war, durch Entgegenkommen und Schmeichelworte bei jenen Völkerschaften sich beliebt zu machen begannen und nicht nur unbehelligt, sondern sogar vertraulich mit ihnen verkehrten, daß sie sogar einem Fürsten, dessen Name und Vaterland mir entfallen, willkommen gewesen, und daß ihm selbst und fünf seiner Begleiter durch dessen Freigebigkeit reichlich Proviant geliefert worden sei, um die Reise mit einem treuen Führer, der sie zu andern Fürsten, denen sie bestens empfohlen waren, zu Wasser auf Flößen, zu Lande per Wagen fortzusetzen. Nach mehrtägigen Reisen hätten sie kleinere und größere Städte angetroffen, um die es nicht übel bestellt gewesen, Staaten mit zahlreichen Völkerschaften. Unter dem Aequator und zu beiden Seiten desselben hätten weite Wüsteneien im beständigen Sonnenbrande gelegen. Schmutz und öde aussehende, unbebaute, von wilden Thieren und Schlangen und nicht minder wilden Menschen bewohnte Gegenden überall. Bei weiterer Fahrt habe allmählich Alles ein milderes Aussehen angenommen, das Klima habe an Rauhigkeit verloren, die Thiere seien zahmer geworden, endlich seien Völker und Städte gekommen, die nicht nur unter sich und mit den nächstbenachbarten, sondern auch mit entlegenen Völkerschaften emsig Handel zu Wasser und zu Lande und Gewerbe trieben. So sei ihm Gelegenheit geworden, viele Länder hüben und drüben zu besichtigen, da er und seine Gefährten in jedem Schiffe gern aufgenommen worden, wohin dasselbe auch segelte. Die ersten Schiffe, die sie erblickten, hätten flache Kiele gehabt, die Segel seien von Blättern des Schaftes der Papyrusstaude genäht, oder von Weidenruthen geflochten gewesen, anderwärts von Leder; dann trafen sie auf zugespitzte Kiele und hänfene Segel und im Uebrigen den unsrigen ähnlich, die Seeleute waren in der Kenntniß des Himmels und Meeres bewandert. Schönsten Dank aber, erzählte er, hätte er geerntet, als er sie im Gebrauche des Magnets unterwiesen, der ihnen früher ganz unbekannt gewesen; daher hätten sie sich nur mit Zagen dem Meere anvertraut und hätten das nur im Sommer gewagt. Jetzt aber, im Vertrauen auf den Magnetstein, spotten sie des Winters im Gefühle falscher Sicherheit, so daß die Gefahr besteht, daß ein Ding, von dem sie glauben mußten, daß es ihnen in Zukunft von großem Nutzen sein werde, ihnen ob ihrer unklugen Sorglosigkeit zur Quelle großer Uebel werde.

Er erzählte dann noch ein Langes und Breites davon, was er an jedem Orte gesehen, was zu schildern aber nicht der Zweck dieses Werkes ist. Vielleicht wird dies von mir andern Orts berichtet werden, insbesondere von solchen Dingen, deren Kenntniß von praktischem Nutzen ist, wie z.B. vor allem seine Beobachtungen über das, was er bei gesitteten Völkern für treffliche, besonnene Einrichtungen gefunden.

Nach solchen Dingen waren wir besonders begierig und von ihnen sprachen wir am liebsten. Nach den Ungeheuern fragten wir nicht weiter, die nichts Neues mehr an sich hatten. Denn Schrecknisse wie die Scylla, menschenfresserische Lästrygonen und derlei unglaubliche Monstra findet man fast überall, heilsame und weise Satzungen der Bürger jedoch durchaus nicht so.

Uebrigens, wie er bei diesen neuentdeckten Völkerschaften viel Thörichtes fand, so erzählte er auch von nicht Wenigem, woran sich unsere Städte, Völkerschaften, Nationen und Reiche ein Beispiel nehmen könnten, um das, was bei ihnen verfehlt ist, zu korrigiren, was ich, wie gesagt, andern Orts vorbringen werde.

Für jetzt bin ich gesonnen, nur das zu berichten, was er von den Sitten und Einrichtungen der Utopier erzählt hat, indem ich nur noch jenes Gespräch vorausschicke, in dessen Verfolge er ganz ungezwungen auf jenes staatliche Gemeinwesen gekommen ist. Denn als er gar weise die vielerlei Mißgriffe kritisch beleuchtet hatte, die hier und dort in großer Zahl begangen werden, dann wieder Dinge, die bald bei uns, bald bei jenen vernünftiger geordnet sind, und als man sah, daß er die Einrichtungen der verschiedenen Völkerschaften so inne hatte, daß man hätte wähnen können, er habe an jedem Orte, den er besuchsweise berührt, sein ganzes Leben zugebracht, da sprach Peter seine Bewunderung des Mannes aus.

»Es wundert mich wahrlich, lieber Raphael«, sagte er, »warum du dich nicht irgend einem Könige zur Verfügung stellst, da du ihm doch, ich bin überzeugt davon, höchst erwünscht sein würdest, indem du ihn durch deine Orts- und Menschenkenntniß nicht nur ergötzen sondern durch Beispiele zu belehren und durch deinen Rath zu unterstützen im Stande wärest, wie du zugleich auch deine Interessen dadurch ausgezeichnet wahrnehmen würdest und allen den Deinigen von größtem Nutzen sein könntest«.

»Was die Meinigen anbelangt,« antwortete jener, »so habe ich wenig Sorge um sie, da ich glaube, meine Pflichten gegen sie leidlich erfüllt zu haben. Denn von meinem Besitzthum, das Andere erst im Alter und Siechthum, weil sie es nicht länger festhalten können, und auch dann noch ungerne abtreten, habe ich mich schon im gesunden und kräftigen Alter, ja schon in der Jugend zu Gunsten von Verwandten und Freunden getrennt, die ich durch meine Mildthätigkeit zufrieden gestellt zu haben glaube, und die nicht überdies von mir verlangen und erwarten dürften, daß ich mich ihres Vortheiles halber in die Sklaverei von Königen begebe.«

»Schön gesagt«, versetzte Peter darauf, »aber meine Meinung ist nicht, daß du den Königen dienen, sondern daß du ihnen Dienste leisten sollst«.

»Das ist bloß eine etwas längere Ausdrucksweise für dienen,« versetzte Jener.

»Aber ich meine«, erwiderte Peter, »welchen Namen du der Sache auch geben magst, das sei gerade der Weg, auf dem du nicht nur andere Privatpersonen, sondern auch das Gemeinwesen fördern und deine eigene Lage glücklich gestalten kannst«.

»Glücklicher meine Lage durch Mittel und Wege gestalten, von denen sich mein Gemüth zurückgestoßen fühlt? Wenn ich jetzt nach meinem freien Willen lebe, so glaube, so vermuthe ich, daß dieses Loos den wenigsten Purpurträgern zu Theil wird. Gibt es doch genug Solcher, die um die Freundschaft der Machthaber werben, so daß es für diese jedenfalls keinen großen Verlust zu bedeuten hat, wenn sie meiner oder das einen oder andern mit mir Gleichgesinnten entbehren.«

»Dann, Raphael«, sagte ich, »ist es klar, daß du weder nach Reichthümern noch nach Macht verlangst, und ich verehre einen Menschen von deiner Gesinnung nicht weniger, als Einen, der die höchste Machtfülle im Staate in Händen hält. Immerhin scheint es mir eine eines so edlen und wahrhaft philosophischen Geistes würdige Sache zu sein, auch mit theilweiser Aufopferung deines persönlichen Wohlseins, deinen Genius und deinen Fleiß zum Besten des Gemeinwohls auszubieten, und das würde dir auf keine vollkommenere Weise gelingen, als dadurch, daß du als Beirath mächtigen Fürsten ihm, woran gar nicht zu zweifeln ist, nur Gerechtes und Ehrenhaftes beibrächtest. Denn vom Fürsten gehen gute wie üble Wirkungen wie von einer nieversiegenden Quelle aus und strömen ins Volk. Deine Gelehrsamkeit ist eine so unbedingte, daß du auch ohne Geschäftspraxis einen vorzüglichen Rathgeber für jeden beliebigen König abgeben würdest.«

»Du befindest dich da in einem doppelten Irrthum,« sagte jener, »lieber Morus, erstens hinsichtlich meiner, sodann hinsichtlich der Sache. Denn ich besitze die Begabung nicht, die du mir zuschreibst, wenn ich sie aber auch im höchsten Maße besäße, so würde ich doch, wenn ich auch meine Ruhe und Muße gänzlich opferte, die Sache des Gemeinwesens nicht fördern. Denn erstens beschäftigen sich die meisten Fürsten lieber mit militärischen Studien (worin ich Kenntnisse weder besitze, noch zu besitzen wünsche) als mit den heilsamen Wünschen des Friedens. Viel wichtiger ist ihnen das Bestreben, aus rechtem oder unrechtem Wege sich neue Reiche zu erwerben, als die erworbenen gut zu regieren.

Uebrigens gibt es keinen Rathgeber der Könige, der nicht entweder selbst so weise ist, oder wenigstens sich so weise dünkt, daß er den Rath eines anderen Mannes billigt, außer daß sie in abgeschmacktester Weise denjenigen schmeicheln, die in der höchsten Gunst des Fürsten stehen, oder durch Zustimmung sich dieselbe zu verdienen trachten. Und in der That ist es nur natürlich, daß die Menschen in die Einfälle ihres eigenen Geistes verliebt sind. Den Raben und den Affen dünken ihre Jungen auch die schönsten Geschöpfe.