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Varietäten des Spanischen im Fremdsprachenunterricht E-Book

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Beschreibung

Die heutige spanische Sprache beinhaltet zahlreiche Varietäten, deren Ausprägung vor allem durch die Parameter Raum, Gesellschaft und Medien bestimmt wird und die bislang vornehmlich von der Sprachwissenschaft erforscht wurden. Die 13 Beiträge des vorliegenden Bandes zeigen jedoch, welch hoher Stellenwert den Varietäten auch aus fremdsprachendidaktischer Sicht zukommt. Das beginnt bereits bei der Entscheidung, inwieweit neben kastilischen auch lateinamerikanische oder jugendsprachliche Anredeformen im Unterricht Verwendung finden sollten. Diskutiert wird auch, wie sich diese diatopischen und diastratischen Aspekte in den Lehrwerken widerspiegeln, welche Textformen sich besonders eignen und welche Varietätenkompetenz auf Seiten der Lernenden letztendlich anzustreben ist. Weitere Artikel beschäftigen sich mit den Auswirkungen, die die Berücksichtigung der Varietäten des Spanischen für die Lehrerbildung und die Gestaltung von Sprachenzertifikaten hat. Die Beiträge verdeutlichen das Potenzial eines interdisziplinären Dialogs. Durch die Verzahnung von fachdidaktischer und linguistischer Forschung werden neue Erkenntnisse zu Fragen der sprachlichen Variation in den Einzeldisziplinen ermöglicht und Perspektiven zukünftiger Forschung skizziert. Zugleich werden zahlreiche Anregungen für die Unterrichtspraxis an Schule und Hochschule gegeben.

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Seitenzahl: 429

Veröffentlichungsjahr: 2017

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ibidem-Verlag, Stuttgart

 

Inhaltsverzeichnis

Varietäten des Spanischen und Fremdsprachenunterricht. Plädoyer für einen Dialog zwischen (Varietäten)Linguistik und Fachdidaktik

Literaturverzeichnis

Varietäten des Spanischen im Unterricht an Schule und Hochschule

Formen der Anrede im Spanischunterricht

Einleitung

1. Formen der Anrede im Spanischen

2. Behandlung von Anredepronomina im Spanischunterricht

3. Fazit

Literaturverzeichnis

Vosotros oder ustedes: Wie viele Standardvarietäten verträgt der Spanischunterricht in den ersten Lernjahren?

1. Spanisch als plurizentrische Sprache und der Begriff der Standardvarietät

2. Wichtige varietätensensitive Phänomene des Spanischen

3. Didaktische Vorüberlegungen

4. Probleme der Plurizentrik im Anfangsunterricht und Lösungsvorschlag

5. Plurizentrik in den restlichen Spracherwerbsphasen (ab dem zweiten Lernjahr)

6. Plurizentrik und Leistungsmessung

7. Schlussbemerkungen

Literaturverzeichnis

Rezeptive Varietätenkompetenz: Modellierung einer Teilkompetenz zwischen funktionaler kommunikativer Kompetenz und Sprachbewusstheit

1. Ausgangslage: Weltsprache Spanisch – Diatopische Varietäten und Regionalstandards im Spanischunterricht

2. Rezeptive Varietätenkompetenz, Bildungsstandards und Mehrsprachigkeitsdidaktik

3. Didaktik des plurizentrischen Spanisch

4. Inhalte einer Didaktik des plurizentrischen Spanisch

5. Ausgewählte Varietäten des Spanischen für den Fremdsprachenunterricht

6. Deskriptoren zur Evaluation rezeptiver Varietätenkompetenz

7. Unterrichtspraktische Beispiele

8. Schlussfolgerungen: Für eine Didaktik des plurizentrischen Spanisch

Literaturverzeichnis

[ʃ]o me [ʃ]amo [ʃ]olanda. Überlegungen zur Akzeptabilität von Aussprachevarietät bei Spanisch-Lehrkräften

Einleitung

1. Die Aussprache nicht-muttersprachlicher Spanisch-Lehrkräfte

2. Das Konzept der Akzeptabilität

3. Detaillierte Betrachtungen zur Markiertheit von Aussprache- varietäten

4. Fazit

Literaturverzeichnis

Überlegungen zur Anbahnung nähesprachlicher Kommunikationsfähigkeit im Spanischunterricht

1. Ausgangslage

2. Nähesprachliche Formate

3. Zwischenfazit

4. Förderung nähesprachlicher Kommunikationsfähigkeit im Spanischunterricht

5. Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

Von ¡Hola tío! bis zu ¿Qué onda, güey? Jugendsprachliche Anredeformen spanischsprachiger Varietäten als Beitrag zur Förderung von Language Awareness

Einleitung

1. Jugendsprache als Teil der gesprochenen Sprache

2. Der Vokativ im Spanischen

3. Vokativische Anredeformen im Spanischunterricht der Oberstufe

4. Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang: Arbeitsblätter

Onomatopeyas e interjecciones: Interkulturell-kommunikative Kompetenz durch Comics verschiedener Sprachen und Varietäten des Spanischen

Einleitung

1. Definition und didaktisches Potenzial von Comics

2. Varietäten im kompetenzorientierten Spanischunterricht

3. Lautmalereien in Comics verschiedener Sprachen im Spanischunterricht

4. Interjektionen in Comics verschiedener Varietäten im Spanischunterricht

5. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Diatopik im Unterricht romanischer Sprachen: Eine kontrastive Analyse zu Varietäten des Spanischen und Französischen am Beispiel ausgewählter Lehrwerke

1. Problemstellung und Zielsetzung

2. Theoretische Rahmenbedingungen

3. Analyse ausgewählter Spanisch- und Französischlehrwerke

4. Zur handlungsorientierten Verknüpfung von Diatopik und sprachlich-kulturellen Stereotypen

5. Bilanz und Perspektiven

Literaturverzeichnis

Español neutro im Fremdsprachenunterricht? Potenzial und Grenzen

Einleitung

1. Das español neutro im Varietätengefüge des Spanischen als plurizentrische Sprache

2. Schwierigkeiten bei der Statusbestimmung des español neutro

3. Sprachliche Merkmale des español neutro

4. Español neutro im Fremdsprachenunterricht

5. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Varietäten des Spanischen in der Lehrerbildung

Pluralidad lingüística y cultural en la formación de profesores de E/LE: estado de la cuestión y desiderata

1. Introducción

2. Diferentes modelos en diferentes contextos de enseñanza y aprendizaje

3. Modelos normativos en planes de estudio y manuales de E/LE

4. Desiderata en la formación de profesores de E/LE

5. La relación entre norma lingüística y cultura

6. De la norma lingüística a la cultura

7. La normatividad de la cultura

8. Conclusión

Referencias bibliográficas

Das Spanische und seine Varietäten aus der Sicht zukünftiger Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer:Überlegungen zur Lehrerausbildung

1. Rahmenbedingungen für den Spanischunterricht in Deutschland

2. Einstellungen zukünftiger Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer

3. Varietäten und Mehrsprachigkeitserziehung

4. Perspektiven für die Lehrerausbildung

5. Fazit

Literaturverzeichnis

Varietäten des Spanischen in Sprachenzertifikaten

Análisis de la pluralidad normativa en la certificación del Español como Lengua Extranjera: los DELE

Introducción

1. La diversidad normativa del español en el aula de ELE

2. Los exámenes de certificación de Español Lengua Extranjera: el caso de los DELE

3. Conclusiones y reflexiones finales

Referencias bibliográficas

El CELU: Examen de ELE argentino con orientación pluricéntrica

Introducción

1. Inicio, evolución y presencia actual del CELU

2. Concepto básico

3. La estructura del examen

4. La evaluación del examen

5. El CELU, un paso más hacia el español como lengua pluricéntrica

Referencias bibliográficas

Autorinnen und Autoren

RomSD Romanische Sprachen und ihre Didaktik

Impressum

Varietäten des Spanischen und Fremdsprachenunterricht. Plädoyer für einen Dialog zwischen (Varietäten)Linguistik und Fachdidaktik

Eva Leitzke-Ungerer & Claudia Polzin-Haumann

Dass eine Sprache wie das Spanische keine einheitliche Größe darstellt, sondern durch Variation gekennzeichnet ist, ist keine Erscheinung, die erst in der Gegenwart erkannt wurde. Viele ältere Autoren thematisieren bereits Phänomene innersprachlicher Variation, wenn auch in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen. So zieht Juan de Valdés in seinem Diálogo de la lengua (entstanden 1535, veröffentlicht allerdings erst 1737) mehrfach die Autorität von Antonio de Nebrija, dem Verfasser der ersten Grammatik des Spanischen (Gramática de la lengua castellana, 1492), mit dem Hinweis auf dessen andalusische Herkunft in Zweifel (z.B. „[…] no se puede negar que era andaluz […]“; „[…] porque él era de Andaluzía, donde la lengua no sta muy pura“ (1535/1998, 124), was Rückschlüsse auf die geographische Variation im spanischen Sprachraum seiner Zeit erlaubt. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts konstatiert der Historiker Aldrete Unterschiede im Spanischen zu beiden Seiten des Atlantiks und verbindet dies mit einem Werturteil zugunsten des Spanischen in Spanien (vgl. Polzin-Haumann 2006, 275). Auch in der frühen spanischen Lexikographie, im Tesoro de la lengua castellana, o española von Covarrubias (1611), finden sich Beobachtungen zur Variation des Kastilischen; so werden Lemmata u.a. als aldeano, bajo, ciudadano, bárbaro, termino de caçadores gekennzeichnet (vgl. Mühlschlegel 2000, 157-159). Und im metasprachlichen Diskurs des 18. Jahrhunderts werden Fragen der sozialen, geographischen und situativen Variation aufgegriffen und im Kontext normativer Diskurse in Bezug zu dem durch die Real Academia Española definierten Standard gesetzt (vgl. Polzin-Haumann 2006, 210-224).

Diese ausgewählten Beispiele – die Liste ließe sich verlängern – zeigen zum einen, dass die Auseinandersetzung mit sprachlicher Variation im Laufe der Geschichte häufig, ja im Grunde von Beginn an in metasprachlichen Aktivitäten präsent ist, auch wenn hierin nicht die eigentliche Zielsetzung der Autoren besteht. Zum zweiten wird deutlich, dass diese Auseinandersetzung oft mit Bewertungen verbunden ist, in deren Zuge Variation als ‚Abweichung‘ von einem ‚Standard‘ wahrgenommen wird.

Dabei ist unter Standard(sprache) zunächst nichts anderes als eine Erscheinungsform einer Sprache und damit ebenfalls eine ‚Varietät’ zu verstehen (im Folgenden ist daher auch von Standardvarietät die Rede). Im Gegensatz zu anderen Varietäten handelt es sich allerdings um eine normierte Varietät, die in Form von Regeln für den korrekten mündlichen und schriftlichen Gebrauch kodifiziert ist (z.B. in wissenschaftlichen Wörterbüchern und Grammatiken). Das Besondere an der Standardsprache sind ihre allgemeine Akzeptanz in der jeweiligen Sprachgemeinschaft und ihre kommunikative Reichweite; entsprechend hoch ist das Prestige, das ihr „durch das Bewusstsein ihrer Sprecher“ zugeschrieben wird (Pöll 2000, 52; vgl. insgesamt auch Polzin-Haumann 2012, 45).

Historisch gesehen, rückte die systematische Dokumentation der ‚Abweichungen’ von der Standardsprache zunächst in der dialektologischen bzw. sprachgeographischen Forschung in den Mittelpunkt, die sich im 19. Jahrhundert zum deutschsprachigen Raum, in der Romania ausgehend von Isaia Graziadio Ascoli in Italien und Gaston Paris, Jules Gilliéron u.a. in Frankreich entwickelt (vgl. Weinhold & Wolf 2001, 829-831). Die kartographische Erfassung des französischen Sprachraums im Atlas linguistique de la France (1902-1910) gilt vielfach als Begründung der modernen Sprachgeographie.

Die für die Entwicklung der heutigen differenzierenden Varietätenlinguistik wichtigen Begrifflichkeiten werden in den 1950er Jahren geprägt und in der Romanistik vor allem durch Eugenio Coseriu etabliert. Die Termini diatopisch und diastratisch stammen ursprünglich von Leiv Flydal, ebenso wie Architektur der Sprache; den Terminus diaphasisch fügte Coseriu später hinzu und erweiterte damit das diasystematische Konzept (vgl. Sinner 2014, 63-66). Diese Terminologie bildet bis heute das Kerninstrumentarium der Varietätenlinguistik. So ist es üblich, von diatopischer Variation (in geographischer Hinsicht), diastratischer Variation (in sozialer Hinsicht) und diaphasischer Variation (in situativer Hinsicht) zu sprechen. Darüber hinaus wird bisweilen eine diamesische Variationsebene angenommen, die sich auf die Ebene Schriftlichkeit/Mündlichkeit bezieht. Die Frage nach der Einordnung der medialen/konzeptionellen Realisierung von Sprache ist allerdings sehr komplex und, wie Sinner (2014, 209-231) zeigt, keineswegs unumstritten. Ein weit verbreitetes Modell ist das Nähe-Distanz-Kontinuum, das von Koch & Oesterreicher (²2011 [1990]) entwickelt wurde (vgl. auch den Überblick in Koch & Oesterreicher 2001).

Sinner (2014, 9-17) weist weiterhin auf die Vielfalt der Standpunkte und Fragestellungen hin und unterstreicht auch den Beitrag soziolinguistischer Forschungsansätze für die Herausbildung der heutigen Varietätenlinguistik. Es handelt sich keineswegs um eine homogene Disziplin; auch der Terminus Varietät wird nicht einheitlich gehandhabt: „I.d.R. geht man davon aus, dass sich eine sprachliche Varietät dadurch auszeichnet, dass […] bestimmte Realisierungsformen des Sprachsystems in vorhersehbarer Weise mit bestimmten sozialen und funktionalen Merkmalen kookkurieren (gemeinsam auftreten)“ (ebd., 19; vgl. auch ebd., 20-28 und Ammon & Arnuzzo-Lanszweert 2001, 793f.).

Charakteristisch für die aktuelle varietätenlinguistische Forschung ist eine deskriptive Herangehensweise, d.h. es geht darum, eine Varietät empirisch zu erfassen und in ihrem Funktionieren zu beschreiben. Dabei ist zu beachten, dass hier eine Vereinfachung insofern vorliegt, als jeder Sprecher einer historischen Einzelsprache verschiedene Varietäten beherrscht und ‚eine Varietät‘ in der Regel nicht als isolierte Größe existiert – ein Aspekt, den auch die Beiträge dieses Bands widerspiegeln. Vielmehr handelt es sich um ein auf der Forschungsebene fokussiertes Bündel an Merkmalen im Sprachgebrauch, das zu bestimmten Parametern in Bezug gesetzt wird. Wenn dann bestimmte Merkmale zu einer bestimmten Zeit als kennzeichnend für eine bestimmte Varietät gelten, liegt weniger eine feste, unveränderliche Größe vor als ein (in einer sozialen Gruppe, einem Gebiet etc.) in einem gewissen Umfang generalisiertes Phänomen des Sprachgebrauchs.

Zunächst wurden varietätenlinguistische Fragen für das Spanische vielfach aus sprachgeographischer Perspektive („el español en…“) aufgegriffen (vgl. dazu die Überblicksdarstellungen in Holtus & Metzeltin & Schmitt 1992, Born et al. 2012, Herling & Patzelt 2013). Eine spezifische Perspektive wird aktuell im Kontext der Plurizentrikforschung eingenommen, die die Existenz unterschied­licher Standardvarietäten postuliert: Amerikanisches und australisches Englisch neben britischem Englisch, français québécois neben français hexogonal und für das Spanische das Nebeneinander von (latein)amerikanischen Standardvarietäten und europäischem (kastilischem) Standard. In diesem Ansatz werden Phänomene der diatopischen Variation sowie Sprachnormen und ihre Kodifizierung in Verbindung mit Fragen des Sprachbewusstseins und der Sprachpolitik betrachtet (vgl. z.B. Bierbach 2000, Lebsanft 2004, Lebsanft & Mihatsch & Polzin-Haumann 2012a und 2012b). Bereichert wird das Spektrum der Varietäten außerdem durch lingua franca-Varietäten wie International English, für das ebenfalls schon der Status einer Standardvarietät reklamiert wurde (vgl. Howatt & Widdowson 2005, 361), sowie durch nur eingeschränkt auftretende ‚Kunstvarietäten’ wie das español neutro, das bisher nur im Medienbereich wie z.B. der Synchronisation von Filmen Anwendung findet (vgl. Polzin-Haumann 2005, 282, Lebsanft & Mihatsch & Polzin-Haumann 2012b, 13). Diese Beobachtungen illustrierenexemplarisch die oben angesprochene Heterogenität der varietätenlinguistischen Forschung und deren vielfältige Bezüge zu verschiedenen anderen Disziplinen.

Überblickt man die Entwicklung der Varietätenlinguistik aus fremdsprachendidaktischer Sicht, so lassen sich durchaus parallele Entwicklungen beobachten, die Anlass zu einem Dialog zwischen den beiden Bereichen sein sollten. Ausgangspunkt war auch in der Didaktik die Dominanz einer Standardvarietät, die im Fremdsprachenunterricht zum ‚Lehr- und Lernstandard’ erhoben wurde und an dem sich alle Beteiligten – Lehrpläne und Lehrwerke, Lehrkräfte und Lernende – auszurichten hatten.

Über die Notwendigkeit und den Nutzen eines solchen Lehr- und Lernstandards, der insbesondere in der Spracherwerbsphase die Funktion einer Orientierungsnorm hat und für die Schülerinnen und Schüler eine Lernerleichterung darstellt, besteht relativ breiter Konsens. Was kritisch gesehen wurde und wird, ist die Begrenztheit dieses Ansatzes, denn ‚die’ Standardsprache (bzw. eine einzige Standardvarietät im Fall der plurizentrischen Sprachen) spiegelt nun einmal nicht die komplexe sprachliche Realität der Zielsprachen wider, an die die Lernenden herangeführt werden sollen. Auch wenn diese Realität im institutionellen Fremdsprachenunterricht, der seinerseits diversen Restriktionen unterworfen ist, sicher nicht in allen ihren Facetten vermittelt werden kann, so kristallisieren sich doch zwei Hauptpunkte der Kritik heraus: Zum einen die fehlende Einbeziehung von Nicht-Standard-Varietäten wie Umgangs- oder Jugendsprache, zum anderen die Fixierung des Fremdsprachenunterrichts im deutschsprachigen Raum auf die europäischen Standardvarietäten, im Fall des Englisch-, Französisch- und Spanischunterrichts also auf das britische Englisch, das français hexogonal bzw. das kastilische Spanisch. Dies hat zur Folge, dass andere Standardvarietäten wie z.B. American English, français québécois oder die amerikanischen Standards des Spanischen keine oder nur eine geringe Berücksichtigung erfahren. So erschöpft sich etwa die Begegnung mit dem amerikanischen Englisch in den Lehrwerken der vor-kommunikativen Zeit in der Regel in einer Wortschatzliste, in der amerikanischer Alltagswortschatz den entsprechenden britischen Pendants gegenübergestellt wird (z.B. AmE elevator, fall, vacation – BrE lift, autumn, holiday).

Erste kritische Stimmen zu dem in dieser doppelten Weise ‚geschlossenen’ Fremdsprachenunterricht sowie Forderungen nach einer Öffnung bezüglich weiterer Standard- sowie von Nicht-Standard-Varietäten finden sich bereits im Anschluss an die kommunikativen Wende der 1970er Jahre (für Französisch z.B. Baum 1979, Kramer 1979, Meißner 1980). Gezieltere Anstöße für eine varietätenbezogene Öffnung kommen ab den 1980er und 1990er Jahren aus der Didaktik des interkulturellen Lernens, aus der Language Awareness-Forschung sowie aus der Lehrwerkkritik. Den genannten Ansätzen ist gemeinsam, dass das Ziel des Fremdsprachenunterrichts im Erwerb einer umfassenden sprachlich-kommunikativen und interkulturellen Handlungsfähigkeit gesehen wird, welche durch Sprachbewusstheit, also die Fähigkeit zur Reflexion über Sprache und Sprachgebrauch, eine zusätzliche Stützung erfährt; der in puncto Varietäten nach wie vor zu sehr geschlossene Fremdsprachenunterricht vermag diese Ziele jedoch nicht zu erreichen.

Die Kritik entzündet sich insbesondere an den Lehrwerken dieser Zeit. So stellt Franz-Joseph Meißner in seinem Basisartikel zum Themenheft „Sprachliche Varietäten im Französischunterricht“ (1995) fest, dass die Frage Quel français enseigner? in den Lehrwerken „zur Erstellung eines pädagogisch-linguis­tischen Konstrukts“ geführt habe, „das in der sprachlichen Realität der Frankophonie keine Entsprechung besitzt“ (1995, 4). Meißner plädiert für eine verstärkte Berücksichtigung von konzeptioneller Mündlichkeit, vor allem in den Lehrwerk-Dialogen, und bezieht sich damit explizit auf das oben erwähnte Modell von Koch & Oesterreicher (22011 [1990]) zur Nähe- und Distanzsprache.

Mehr in den Fokus der Forschung rückt das Thema ‚Varietäten im Fremdsprachenunterricht’ ab der Jahrtausendwende. Die Initiative dazu geht von der Linguistik aus: Im Kontext der Plurizentrikforschung (Pöll 2000 für Französisch, Zimmermann 2001 und 2006 für Spanisch, Hensel 2000 sowie Baßler & Spiekermann 2001 für DaF) wird eine verstärkte Wahrnehmung dieser Sprachen als plurizentrisch und damit eine Abkehr vom traditionellen ‚Ein-Standard-Unterricht’ gefordert.

Der ebenfalls um diese Zeit aufkommende Diskurs zur Kompetenzorientierung findet allerdings erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung Berücksichtigung, so dass erst ab ca. 2010 die Frage erörtert wird, welche Kompetenzen die Lernenden in Bezug auf welche Arten von Varietäten erwerben sollen. Für die deutsche Französischdidaktik spiegelt sich dies etwa in dem von Michael Frings und Frank Schöpp herausgegebenen Band Varietäten im Französischunterricht (2011) wider. So plädiert Frank Schöpp (2011, 81) dafür, dass wichtige Charakteristika der gesprochenen Alltagssprache von den Lernenden nicht nur rezeptiv, sondern auch aktiv beherrscht werden sollten; ähnlich wird in den Beiträgen zur Jugendsprache argumentiert. Daniel Reimann, der das Konzept einer „plurizentrischen Didaktik“ einführt (2011, 125-128), stellt die damit verbundene Förderung von inter- und transkultureller Kompetenz in den Vordergrund.

Auch in der Englischdidaktik werden die bisher genannten Fragestellungen diskutiert, auch hier werden grundsätzlich eine varietätenbezogene Öffnung des Unterrichts und eine plurizentrische Didaktik favorisiert. Die Meinungen scheiden sich aktuell jedoch an der Frage, wie mit der Entwicklung des Englischen zur lingua franca und damit zu einer ‚internationalen Varietät’ umzugehen sei. Soll diese Varietät Eingang in den Englischunterricht finden? Befürworter halten ihre Einbeziehung für dringend geboten (z.B. Schubert 2014), Gegner warnen angesichts ihrer sprachlichen Instabilität und ihrer mangelnden Anbindung an eine englischsprachige Zielkultur davor (z.B. Gnutzmann 2007). Ähnliche Probleme ergeben sich – wenn auch in viel geringerem Maß – für den Umgang mit dem español neutro – vgl. den Beitrag von Meisnitzer im vorliegenden Band.

Was die fachdidaktische Auseinandersetzung mit Varietäten im Spanischunterricht betrifft, so kam eine Fülle von Anregungen von zwei Publikationen, die den ELE-Unterricht (español como lengua extranjera) aus spanischer Sicht betrachten. Unter dem Titel ¿Qué español enseñar? befassen sich Francisco Moreno Fernández (22007 [2000]) sowie María Antonia Martín Zorraquino & Cristina Díez Pelegrín (2001) aus verschiedenen Perspektiven mit der Frage nach dem Stellenwert von Varietäten und den Möglichkeiten ihrer Einbindung in Sprachlehr- und Sprachlernszenarien. Während Moreno Fernández eher diatopisch orientiert ist (vgl. auch neuere Publikationen, insbes. 2010 und 2014), umfassen die Beiträge in Martín Zorraquino & Díez Pelegrín ganz unterschiedliche Facetten von Varietäten, von Schriftlichkeit/Mündlichkeit über Jugend- und Umgangssprache und situative Spezifika bis hin zu Textsorten, die für den Unterricht des Spanischen als Fremdsprache geeignet sind.

Von Seiten der deutschen Spanischdidaktik ist das Thema Varietäten bisher allerdings kaum behandelt worden (vgl. aktuell aber z.B. Leitzke-Ungerer, erscheint). Deshalb haben die beiden Herausgeberinnen eine Sektion zu diesem Thema im Rahmen des 20. Deutschen Hispanistentags (Heidelberg, 18.-22. März 2015) initiiert. Der Grundgedanke dabei war, dass die verstärkte Verzahnung von fachwissenschaftlicher und praxisorientierter Forschung sowohl der Didaktik als auch der linguistischen Varietätenforschung aufschlussreiche Impulse vermitteln kann. Der außerordentlich fruchtbare und konstruktive Austausch in der Sektion hat dies bestätigt. Der vorliegende Band versammelt eine Reihe von Beiträgen aus der Heidelberger Sektion und möchte sowohl einem fachdidaktisch interessierten Publikum als auch linguistisch orientierten Leserinnen und Lesern einen neuen Blick auf die Thematik ermöglichen.

In vielen Beiträgen spiegelt sich die Komplexität des Phänomens der Varietäten; häufig sind – wie nach den Erfahrungen der Varietätenforschung zu erwarten – mehrere Varietätendimensionen zugleich präsent, d.h. nicht nur die räumliche, sondern gleichermaßen auch die soziale und/oder die situative Dimension. Des Weiteren ist auch im Hinblick auf den ‚Dialogpartner‘ eine Differenzierung erkennbar: Die Relevanz varietätenlinguistischer Erkenntnisse betrifft oftmals verschiedene Instanzen (den Spanischunterricht an Schule und Hochschule, aber etwa auch die Lehrerbildung und die Sprachenzertifikate). Trotzdem war es möglich, jeden Beitrag primär einem der Bereiche zuzuordnen, so dass diese Zuordnung als Gliederungsprinzip für den Sammelband gewählt werden konnte, dessen Beiträge im Folgenden kurz vorgestellt werden.

Ausgangspunkt des Beitrags von JUDITH VISSER „Formen der Anrede im Spanischunterricht“ ist die zentrale Bedeutung einer passenden Anrede des Gesprächspartners für eine erfolgreich verlaufende Kommunikation. Schülerinnen und Schülern ist diese Anforderung grundsätzlich aus der Muttersprache bekannt; in der Fremdsprache liegt hier ein komplexes Anforderungsprofil vor, bei dem darum geht, den korrekten Einsatz der sprachlichen Mittel und die soziale Dimension der Kommunikation gleichermaßen zu beachten. So besteht in der europäischen Norm mit tú/vosotros für die vertraute und usted/ustedes für die distanzierte Anrede ein überschaubares System, doch ist im europäischen Spanisch der tuteo üblicher als das Duzen im Deutschen. In vielen Ländern Hispanoamerikas sowie in Teilen Andalusiens dagegen nimmt im Standard ustedes die Stelle von vosotros ein; es gibt weiterhin spezifische Verwendungskontexte von usted und tú sowie in einigen Ländern vos anstelle von oder neben tú gebraucht. VISSER systematisiert zunächst sowohl die Formen der Anrede im Spanischen als auch die relevanten Faktoren für ihren Gebrauch und untersucht dann, wie aktuelle Lehrwerke mit dieser komplexen Situation umgehen. Sie zeigt auf, dass die Grammatik im Vordergrund steht und insofern Varietäten durchaus Eingang in Lehrwerke gefunden haben. Andere für die Ausbildung einer interkulturellen kommunikativen Kompetenz zentrale Dimensionen sind demgegenüber zu wenig präsent.

EVA LEITZKE-UNGERER nimmt in ihrem Beitrag „Vosotros vs. ustedes: Wie viele Standardvarietäten verträgt der Spanischunterricht in den ersten Lernjahren?“ die Varianz der Anredeformen sowie weiterer varietätensensitiver Phänomene zum Anlass, um generell über das Problem der Koexistenz unterschiedlicher Standardvarietäten im Spanischunterricht zu reflektieren; im Zentrum steht dabei die Spracherwerbsphase, in der sich die SuS die Fremdsprache erst aneignen und daher in besonderem Maße einer Orientierung in Bezug auf einen bestimmten Standard bedürfen. Da die Lehrwerke der deutschen Schulbuchverlage ausschließlich das kastilische Spanisch als Lehr- und Lernstandard verwenden, treten insbesondere dann Divergenzen auf, wenn eine Lehrkraft mit amerikanischem Standard unterrichtet. Dieses Nebeneinander von Varietäten wird zunächst für den Spanischunterricht der Anfangsphase und hier wiederum mit Blick auf die besonders kritischen Bereiche der Aussprache und der Anredeformen untersucht; aufgrund der aufgezeigten Probleme plädiert die Autorin für die konsequente Verwendung eines einzigen, und zwar des kastilischen Lehrwerk-Standards. In der restlichen Spracherwerbsphase können und sollen hingegen auch amerikanische Varietäten berücksichtigt werden, allerdings nur rezeptiv. Als Zielvorstellung ergibt sich die Formel ‚produktive Ein-Standard-Kompetenz plus rezeptive Kompetenz in mehreren Standardvarietäten’.

Die letztgenannte Kompetenz steht auch im Mittelpunkt des Beitrags von DANIEL REIMANN „Rezeptive Varietätenkompetenz: Modellierung einer Teilkompetenz zwischen funktionaler kommunikativer Kompetenz und Sprachbewusstheit“. Nach einer Begriffsdefinition, die den Fokus auf das Hörverstehen von diatopischen Varietäten und Regionalstandards des Spanischen legt, und der Verortung der Kompetenz an der Schnittstelle von allgemeiner Hörverstehens-, inter-/transkultureller Kompetenz und Sprachbewusstheit, entwickelt der Autor das Konzept einer „Didaktik des plurizentrischen Spanisch“, das er sowohl theoretisch als auch unterrichtspraktisch fundiert. Dazu werden, nach einem Überblick aus linguistischer Sicht über ausgewählte, für den Spanischunterricht relevante varietätenspezifische Phänomene, Gründe für die Auswahl bestimmter diatopischer Varietäten diskutiert und Vorschläge für ein Curriculum zur Entwicklung rezeptiver Varietätenkompetenz im Spanischunterricht unterbreitet. Der Beitrag schließt mit zwei Praxis-Beispielen zur Förderung der rezeptiven Varietätenkompetenz.

Anknüpfend an einige von LEITZKE-UNGERER und REIMANN thematisierte Aspekte beschäftigt sich CHRISTIAN KOCH mit der komplexen Frage der Aussprachenorm. In seinem Beitrag „[ʃ]o me [ʃ]amo [ʃ]olanda. Überlegungen zur Akzeptabilität von Aussprachevarietät bei Spanisch-Lehrkräften“ zeigt er den Stellenwert und die vielfältigen Facetten dieser Frage zwischen der gerade für das interkulturelle Lernen wichtigen Wertschätzung der sprachlich-kulturellen Vielfalt einerseits und der – ebenso notwendigen wie berechtigten – Anlehnung an eine Standardvarietät andererseits (im Falle des Fremdsprachenunterrichts Spanisch in Deutschland die kastilische). In seinem Beitrag, der den schulischen und (im Kontext der Lehrerbildung) den universitären Spanischunterricht glei­chermaßen betrifft, zeigt der Autor den besonderen Stellenwert der eng mit der Lernerbiographie verbundenen Aussprache im Vergleich z.B. zur Lexik und Morphosyntax und die daraus resultierenden spezifischen Schwierigkeiten auf. An konkreten Beispielen aus hispanophonen Varietäten werden Fragen der Akzeptabilität einer diatopisch markierten Aussprache diskutiert. KOCH kommt zu dem Schluss, dass die universitäre Ausbildung kaum Einfluss auf die (u.a. durch Auslandsaufenthalte geprägte) Aussprache angehender Lehrkräfte nehmen kann, sondern dass ihre Rolle vielmehr darin liegt, diesen Fragenkomplex zu reflektieren, potenzielle Probleme zu benennen und Kriterien für den Umgang mit praktischen Fragen zur Verfügung zu stellen.

CHRISTOPH BÜRGEL konstatiert in seinem Beitrag „Überlegungen zur Anbahnung nähesprachlicher Kommunikationskompetenz im Spanischunterricht“, dass die Nähe- bzw. Alltagskommunikation, die im Wesentlichen durch ein nähe- bzw. umgangssprachliches Spanisch gekennzeichnet ist, für die meisten Lernenden eine große Herausforderung darstellt und daher intensiver als bislang üblich gefördert werden muss. Der Autor hat dazu ein Verfahren zur Entwicklung nähesprachlicher Kommunikationsfähigkeit entwickelt. Es basiert darauf, dass den Lernenden ausgewählte „kommunikative Formate“ der spanischen Alltagssprache (z.B. ‚etwas als positiv oder negativ bewerten’) vermittelt werden, d.h. bestimmte, auf die jeweilige Sprechabsicht zugeschnittene rhetorisch-stilistische Verfahren der Nähesprache; im Sinne der Bewusstmachung wird dabei auch kontrastiv (Vergleich von Spanisch und Deutsch) gearbeitet. Nach einer linguistischen und didaktisch-methodischen Fundierung des Konzepts wird eine Unterrichtseinheit zum Format des ‚Bewertens’ – hier: Bewertung von Ferienaktivitäten – vorgestellt, die die Bewusstmachung des Formats, das Einüben der sprachlichen Mittel sowie die Anwendung in Dialogsituationen vorsieht.

Im Zentrum des Beitrags von KATHARINA PATER „Von ¡Hola tío! bis zu ¿Qué onda güey? Jugendsprachliche Anredeformen ausgewählter spanischsprachiger Varietäten als Beitrag zur Entwicklung kommunikativer Kompetenz“ stehen Besonderheiten im Sprachgebrauch Jugendlicher, insbesondere Anrede- und Grußformeln, die nicht nur für die Kontaktaufnahme und -sicherung wichtig sind, sondern auch als Ausdruck der sozialen Beziehung zwischen den Sprechern fungieren und nicht zuletzt wichtige Funktionen für die Strukturierung und Steuerung der Kommunikation erfüllen. Ihre Relevanz für den aktuellen Fremdsprachenunterricht steht damit außer Frage. Nach einer Beschreibung der entsprechenden Inventare ausgewählter hispanoamerikanischer Varietäten inklusive ihrer Funktionen werden anhand von Arbeitsblättern Aufgaben vorgestellt, die den Lernenden einen authentischen Zugang zu den verschiedenen jugendsprachlichen Varietäten eröffnen sollen. Dieser Zugang müsse, so die Autorin, über die Sprachbewusstheit der Schülerinnen und Schüler sowie deren interkulturelle Sensibilisierung verlaufen, denn angesichts der erheblichen regionalen und sozialen Variation sowie des schnellen Wandels jugendsprachlicher Kommunikation sei die Vermittlung konkreter sprachlicher Phänomene wenig sinnvoll.

Der Beitrag von CORINNA KOCH „Onomatopeyas e interjecciones: Interkulturell-kommunikative Kompetenz durch Comics verschiedener Sprachen und Varietäten des Spanischen“ stellt das Medium ‚Comic’ in den Mittelpunkt und konzentriert sich auf ein sprachliches Charakteristikum der Gattung: die gehäufte Verwendung von Lautmalereien und Interjektionen. Während erstere nur sprachspezifische Differenzen aufweisen (z.B. span. ja ja ja vs. dt. hahaha für ‚Lachen’), kommen bei letzteren varietätenspezifische Unterschiede hinzu. Ziel des Beitrags ist es, die Lernenden mit diesen Phänomenen vertraut zu machen, da diese nicht nur in Comics, sondern auch im Alltag (etwa in jugendsprachlicher digitaler Kommunikation) eine Rolle spielen. Anhand einer Vielzahl von Beispielen zeigt die Autorin, inwiefern die Auseinandersetzung mit Onomatopoetika und Interjektionen aus unterschiedlichen Ländern der Hispanophonie zur Förderung der sprachlich-interkulturellen Kompetenz und der Sprachbewusstheit beitragen kann.

Ausgangspunkte des Beitrags von JULIA MONTEMAYOR & VERA NEUSIUS „Diatopik im Unterricht romanischer Sprachen: Eine kontrastive Analyse zu Varietäten des Spanischen und Französischen am Beispiel ausgewählter Lehrwerke“ sind die bildungspolitische Vorgabe, wonach der Fremdsprachenunterricht zur „sozialen, kulturellen und beruflichen Handlungsfähigkeit“ führen solle (Sprachenkonzept Saarland 2011), sowie die Feststellung, dass ein dazu notwendiger thematischer Bereich – die Varietäten der modernen Fremdsprachen – bislang nur eine marginale Stellung im Unterricht hat. Im Zentrum des Beitrags steht eine kontrastive Lehrwerkanalyse, in der die Autorinnen der Frage nachgehen, in welchem Umfang und auf welche Art und Weise diatopische Varietäten in neueren und neuesten Lehrwerken für den Französisch- und den Spanischunterricht repräsentiert sind. Von besonderem Interesse ist dabei, ob die Darstellung in den Lehrwerken das Kriterium der Ausgewogenheit erfüllt (z.B. angemessene Thematisierung spanischer und lateinamerikanischer Varietäten) und somit nicht nur der Förderung von (rezeptiver) Sprachkompetenz dient, sondern auch von Sprachbewusstheit und interkultureller Kompetenz. Die Ergebnisse der Analyse zeigen, dass hier trotz guter Ansätze noch Defizite bestehen.

BENJAMIN MEISNITZER diskutiert in seinem Beitrag „Español neutro im Fremdsprachenunterricht? Potenzial und Grenzen“ den Stellenwert dieser vorrangig mit den Medien verbundenen Varietät im Fremdsprachenunterricht. Hierfür wird zunächst das español neutro innerhalb des Varietätengefüges des Spanischen als plurizentrischer Sprache verortet und an Beispielen die zentrale Bedeutung der Massenmedien, insbesondere der Synchronisation und der Übersetzung, aufgezeigt. Die Hypothese, dass gerade angesichts seiner panamerikanischen Verbreitung das español neutro ideal für den Fremdsprachenunterricht sein müsste, sieht der Autor allerdings schließlich als widerlegt an, da authentische kommunikative Kontexte, eine kulturelle Verankerung und letztlich auch die Akzeptanz seitens der Sprecher fehlen. Das español neutro könne daher allenfalls in spezifischen Lehr-Lernkontexten wie z.B. Fachsprachenkurse für Wirtschaftskommunikation zum Einsatz kommen. Entsprechende Lehrmaterialien bilden allerdings bislang ein Desiderat.

Zwei Beiträge widmen sich ganz dem Komplex der Varietäten des Spanischen in der Lehrerbildung. AGUSTÍN CORTI & BERNHARD PÖLL greifen in ihrem Beitrag „Pluralidad lingüística y cultural en la formación de profesores de E/LE: estado de la cuestión y desiderata“ die wichtige Frage nach der sprachlichen Norm und ihren kulturellen Implikationen auf. Sie zeigen anhand verschiedener Materialien, dass die Entscheidung für eine sprachliche Norm gerade auch im Falle einer plurizentrischen Sprache wie dem Spanischen nicht ohne einen entsprechenden kulturellen Kontext auskommt, der im Spanischunterricht nahezu normativ wirke. Für angehende Spanischlehrkräfte aus einem anderen kulturellen Kontext, die diese Kultur in einem ersten Schritt lernen und in einem zweiten selbst lehren, sei diese Erkenntnis zentral, da sie, so die Autoren, unmittelbar mit dem Stellenwert der kommunikativen interkulturellen Kompetenz zusammenhänge. Diese sei hier anders zu definieren sei als in Fällen, in denen die Lernenden für sich selbst diese Kompetenz ausbilden. Obgleich sich die Autoren auf den germanophonen Kontext und das österreichische Curriculum beziehen, werden in diesem Beitrag Überlegungen von allgemeiner Bedeutung für die Ausbildung von Spanischlehrkräften formuliert.

Im Zentrum des Beitrags von CHRISTINA REISSNER „Das Spanische und seine Varietäten aus der Sicht zukünftiger Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer. Überlegungen zur Lehrerausbildung“ steht die Frage, welchen Stellenwert Lehramtsstudierende des Spanischen der Hispanophonie und ihrem Varietätenreichtum für die spätere Unterrichtstätigkeit beimessen. Die Ergebnisse einer entsprechenden Fragebogenerhebung zeigen, dass zwar ein gewisses Bewusstsein für die Relevanz der Varietäten vorhanden ist, dass jedoch die Mehrzahl der Studierenden die Plurizentrik des Spanischen und damit verbundene (sozio-)linguis­tische und interkulturelle Aspekte als eher marginal für den Unterricht einschätzt. Die Autorin plädiert daher dafür, dass dieser Themenkomplex im Lehramtsstudium Spanisch mehr Gewicht erhalten sollte, und macht Vorschläge für die gezielte Entwicklung von „Varietätenkompetenz“ im Rahmen der Lehrerausbildung.

In zwei weiteren Beiträgen werden abschließend Fragen der Varietäten des Spanischen in Sprachenzertifikaten angeschnitten.

CARLA AMORÓS NEGRE befasst sich in ihrem Beitrag „Análisis de la pluralidad normativa en la certificación del Español como Lengua Extranjera: los DELE“ mit dem auch in Deutschland angebotenen Diploma de Español como Lengua Extranjera. Ihre Analyse konkreter Prüfungsmaterialien zeigt – insbesondere nach einer 2008 erfolgten Reform – eine Bandbreite an sprachlichen Merkmalen, die verschiedenen spanischen Standardnormen angehören, mithin also durchaus eine plurizentrische Orientierung. Die Analyse deckt aber auch problematische Aspekte im Bereich der Korrektoren- und Prüferschulung auf. Angesichts verschiedener Entwicklungen, die eine plurizentrische Ausrichtung und Durchführung der Arbeiten im Bereich der internationalen Zertifizierung fördern, schließt der Beitrag mit einer optimistischen Einschätzung.

KAROLIN MOSER unterzieht in ihrem Beitrag „El CELU: Examen de ELE argentino con orientación pluricéntrica“ das argentinische Sprachenzertifikat CELU, das auch in einer Reihe anderer Länder (u.a. Deutschland) abgelegt werden kann, einer kritischen Prüfung in Bezug auf den Umgang mit den diatopischen Varietäten des Spanischen. Die Analyse ausgewählter Dokumente (Eigendarstellung der CELU-Koordinatoren, Materialien zur Vorbereitung auf das Examen, ausgewählte Prüfungsaufgaben) zeigt, dass CELU keineswegs das argentinische Spanisch favorisiert, sondern eindeutig plurizentrisch orientiert ist. So werden in den Prüfungen im Bereich Sprachproduktion alle Standardvarietäten des Spanischen akzeptiert; in der Sprachrezeption wird das Verstehen von Texten aus unterschiedlichen Standardvarietäten erwartet. Trotz dieser klaren Linie ist die Korrektur nicht immer einfach, wie die Autorin abschließend am Beispiel des voseo zeigt.

Mit den hier versammelten Beiträgen – die freilich nur einen kleinen Ausschnitt aus der Vielzahl der Forschungsgegenstände an der Schnittstelle von Varietätenlinguistik und Fremdsprachendidaktik abdecken – hoffen wir, den Dialog zwischen den Disziplinen ein Stück vorangebracht zu haben. Wir würden uns freuen, wenn sich hieraus Anregungen sowohl für die weitere Forschung als auch für die Unterrichtspraxis ergeben.

Abschließend möchten wir uns bei den Beiträgerinnen und Beiträgern für die angenehme Sektionsarbeit bedanken. Zu Dank verpflichtet sind wir außerdem Lisa Gaida und Philipp Schwender (Saarbrücken) sowie Caroline Krüger (Halle/ Saale) für ihre Unterstützung bei den Korrekturdurchgängen. Den Herausgebern der Reihe „Romanische Sprachen und ihre Didaktik“, Dr. Michael Frings und Prof. Dr. Andre Klump, danken wir für die Aufnahme in die Reihe. Valerie Lange vom Ibidem-Verlag sei herzlich für die verlegerische Betreuung gedankt.

Halle (Saale) und Saarbrücken, im Januar 2017

Eva Leitzke-Ungerer und Claudia Polzin-Haumann

 

 

Literaturverzeichnis

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Varietäten des Spanischen im Unterricht an Schule und Hochschule

 

Formen der Anrede im Spanischunterricht

Judith Visser

Einleitung

Jede Form der Kommunikation ist geprägt von der Frage, wie man sein Gegenüber anredet. Die Anrede sagt etwas aus über das Verhältnis der Kommunizierenden zueinander, die Situation, das Geschlecht, den sozialen Status, das Alter, die Bildung und regionale Herkunft der Interaktionspartner und nicht zuletzt über gültige Konventionen und Traditionen. Verstöße gegen geltende Normen können als unhöflich empfunden werden und eine erfolgreiche Kommunikation verhindern; es liegt also im Interesse der Kommunizierenden, sie zu vermeiden. In vielen Situationen des alltäglichen Lebens entscheiden wir uns intuitiv für eine Form der Anrede; weniger alltägliche Situationen stellen uns vor Entscheidungsfragen. Schon bei der Kommunikation in der Muttersprache erlebt jeder von uns Momente, in denen er über die Wahl der korrekten Anrede reflektieren muss. Das Ausmaß an Reflexion und die Gefahr von Normenverstößen erhöhen sich, sobald die Kommunikation in einer Fremdsprache erfolgt.

Das Englische als klassische erste Fremdsprache erscheint den Lernenden aufgrund der im Pronominalbereich heute fehlenden Differenzierung zwischen vertrauter und distanzierter Anrede wohl zunächst unproblematisch, auch wenn sie sich bei der nominalen Anrede durchaus Fragen stellen müssen wie: Wann gebraucht man Miss, Mrs. oder Sir? Ist es üblich, Personen mit dem Vor- oder Nachnamen anzusprechen? Auch im Französischen ist das pronominale Anredesystem für den deutschen Lerner auf den ersten Blick nicht schwierig, weil die Einteilung tu – vous dem deutschen Du – Sie wenn auch nicht grammatikalisch, so zumindest funktional zu entsprechen scheint. Im Italienischen dagegen verkompliziert sich das System aus deutscher Sicht im Plural dadurch, dass je nach Kontext die Formen voi oder loro gebraucht werden können (Schwarze 2009, 237f.). Noch komplexer sieht die Situation im Spanischen aus. Es verfügt in der europäischen Norm sowohl im Singular als auch im Plural über ein zweigliedriges System, in dem tú und vosotros die Stelle der vertrauten Anrede übernehmen, usted und ustedes diejenige der distanzierten (RAE & ASALE 2009, §16.15). Deutsche Fremdsprachenlerner können schon sehr früh die Erfahrung machen, dass im europäischen Spanisch der tuteo generalisierter ist als das Duzen im Deutschen, beispielsweise wenn sie als OberstufenschülerInnen mit dem für deutsche Verhältnisse unüblichen pronombre de confianza angesprochen werden. Auch moderne Lehrwerke gehen auf diesen Unterschied ein. So heißt es in Línea verde von Klett, konzipiert für Spanisch als dritte Fremdsprache, in einem Informationskästchen in Band 1:

¿Tú o usted? Die Verwendung von tú ist in Spanien viel üblicher als im Deutschen. Usted wird vor allem in formellen Situationen, gegenüber hochgestellten oder sehr viel älteren Personen gebraucht. […]

(Línea verde 2006, 82)

In hispanoamerikanischen Ländern tritt – ebenso wie in Teilen Andalusiens – ustedes in der Norm an die Stelle von vosotros. Im Singular sind die Verwendungskontexte von usted und tú anders als in Europa; in einigen Ländern wird außerdem vos an Stelle von tú gebraucht oder koexistiert mit tú. Wenn Línea verde (ebd.) die SchülerInnen also außerdem darüber informiert, dass

[i]n Lateinamerika [...] ustedes anstelle von vosotros verwendet [wird], in vielen Ländern auch usted statt tú,

weist es auf diatopische Besonderheiten im Bereich des tratamiento hin, nimmt aber eine didaktische Reduktion vor. Ist Línea Verde repräsentativ für den Umgang mit der Anredeproblematik in heutigen Lehrwerken?

Auf der Basis eines Überblicks über die Formen der Anrede im Spanischen und die für die Wahl der Anrede relevanten Faktoren soll in aktuellen Lehrwerken die Behandlung des Bereichs Anrede untersucht werden. Gehen diese bei der Auseinandersetzung mit Anrede über die Ebene der Wissensvermittlung hinaus und wenn ja, wie ist das Vorgehen zu bewerten? Welchen Stellenwert und Nutzen hat das Thema bei der Ausbildung der in den Kernlehrplänen von NRW (Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen2009, 2013) geforderten kommunikativen Kompetenz und interkulturellen Handlungsfähigkeit? Angesichts der Komplexität des Gegenstands liegt der Fokus auf der pronominalen Anrede.

 

1. Formen der Anrede im Spanischen

1.1 Diatopik

Die Verwendung der Anredepronomina unterliegt, wie bereits angemerkt, u.a. diatopischer Variation. Fontanella de Weinberg unternimmt 1999 (1399ff.) den Versuch, die Systeme der Hispanophonie zu typologisieren, eine Typologie, die Medina Morales als „mejor sistematización hecha hasta el momento“ (2010, 32) würdigt. Unterschieden wird zwischen vier Systemen, die sich in die Kategorien intimidad, confianza und formalidad unterteilen (vgl. Abb. 1):

SYSTEM

KATEGORIE

SINGULAR

PLURAL

1

confianza

formalidad

usted

vosotros/as

ustedes

2

confianza

formalidad

usted

ustedes

ustedes

3a

confianza

formalidad

vos ~ tú

usted

ustedes

ustedes

3b

intimidad

confianza

formalidad

vos

usted

ustedes

ustedes

ustedes

4

intimidad

formalidad

vos

usted

ustedes

ustedes

Abb. 1: Anredesysteme in der Hispanophonie (nach Fontanella de Weinberg 1999, 1399ff.)

System 1 gilt für Spanien mit Ausnahme bestimmter Teile Andalusiens. System 2, das in weiten Teilen Andalusiens, den Kanarischen Inseln und denjenigen Ländern Amerikas anzutreffen ist, dienicht den voseo verwenden, zeichnet sich durch die Substitution von vosotros durch ustedes aus. System 3a (Teile Boliviens, Ecuadors, Kolumbiens, Süden Perus, Westen Venezuelas, angrenzende Gebiete Panamas und Costa Ricas, südmexikanischer Bundesstaat Chiapas) charakterisiert sich auf der Ebene der vertrauten Anrede durch eine Koexistenz von vos und tú, bei der vos eher von ungebildeten Sprechern und in informelleren Situationen verwendet wird; in System 3b (Uruguay) liegt eine funktionale Differenzierung in intimidad und confianza vor. System 4 weist eine vollständige Verbreitung von vos im Bereich der vertrauten Anrede im Singular auf (v.a. Argentinien, Teile Costa Ricas, Nicaragua, Guatemala, Paraguay). Das Subjektpronomen vos wird in Kombination mit den dem tú-Paradigma zuzuordnenden Objekt-, Possessiv- und Reflexivpronomina gebraucht. Im presente de indicativo koexistieren je nach Region Verbformen des Typs cantas, cantás oder cantáis; im Futur cantarás, cantarés und cantaréis, im Imperativ canta und cantá.

Die Grenzen der verschiedenen Ausformungen der Anredesysteme entsprechen nicht den Ländergrenzen. In der Vergangenheit sind verschiedene Versuche unternommen worden, die Verbreitung des voseo kartographisch zu illustrieren (z.B. Rona 1967, 61). Diese Versuche sind nicht zuletzt deshalb defizitär, weil die Verwendung der Anredepronomina je nach sozialer Zugehörigkeit der Kommunizierenden und der Situation variiert; diesem Umstand kann auf eindimensionalen Karten nicht Rechnung getragen werden.

1.2 Diastratik

Der Zusammenhang zwischen dem Verhältnis der Kommunizierenden zueinander und der Verwendung von Anredepronomina zeigt sich besonders deutlich im Atlas Lingüístico-Etnográfico de Colombia (ALEC), der zahlreiche Karten zum tratamiento enthält. Je nach Konstellation dominieren unterschiedliche Pronomina (vgl. Abb. 2):

KARTE NR.

ANREDEVERHÄLTNIS

PRONOMENGEBRAUCH

39

de personas mayores a niños

usted ~ vos ~ tú

45

entre compadres

usted >> vos > tú

46

de los niños a sus padrinos

usted >> su(-)merced

76

entre amigos

usted ~ vos ~ tú >> su(-)merced

77

de los dueños de la casa a los sirvientes

usted ~ vos ~ tú

78

de los sirvientes a los dueños de la casa

usted >> su(-)merced >> vos/tú

80

para el tío

usted > su(-)merced > vos > tú

81

entre esposos

usted ~ vos ~ tú ~ su(-)merced

82

de los hijos a los padres

usted ~ su(-)merced ~ vos ~ tú

Abb. 2: ALEC: Karten zum tratamientoLegende: ~: ähnliche Anzahl; >: mehr; >>: erheblich mehr

 

 

Der Gebrauch der Anredepronomina variiert außerdem je nach Bildungsstand, Geschlecht und Alter der Sprechenden. Dies kann anhand einer Karte aus dem Atlas Lingüístico de México (ALMex) illustriert werden (vgl. Visser 2010, 401ff.), bei der der tratamiento de hijos a padres mittels Fragebogen ermittelt wurde (Karte 560, Band 2.4). Für den mexikanischen Sprachatlas wurden Personen unterschiedlichen Geschlechts, Alters und Bildungsniveaus befragt. Die soziolinguistischen Daten sind aufgrund der Zusammensetzung statistisch nicht valide; dennoch geben sie Hinweise auf Zustand und Entwicklung des Pronominalsystems im mexikanischen Spanisch. Bei der Anrede der Eltern verwendeten 25% der Informanten die Variante tú, 72% die Variante usted (vgl. Abb. 3):

Dieses Beispiel einer asymmetrischen Anredesituation innerhalb der Familie untermauert sehr deutlich die in Línea Verde den SchülerInnen gegenüber behauptete Präferenz hispanoamerikanischer Sprecher für das formelle Anredepronomen.

Die Differenzierung der Antworten nach Bildungskategorien macht jedoch deutlich, dass unter den gebildeten Sprechern die vertraute, symmetrische Anrede vorherrscht. Die diasexuelle Differenzierung der Antworten legt offen, dass die Wahl des Pronomens außerdem abhängig ist vom Geschlecht des Sprechenden (vgl. Abb. 4):

Abb. 4: ALMex:Verteilung der Anredepronomina tú / usted nach Geschlecht

Die Klassifikation der Antworten nach Altersstufen (<35, 36-55, >55) deutet schließlich darauf hin, dass der Gebrauch von tú zunehmen könnte (vgl. Abb. 5):

Abb. 5: ALMex:Verteilung der Anredepronomina tú / usted nach Alter

Hierbei handelt es sich um eine Beobachtung, die auf die These Browns & Gilmans zurückverweist, die annehmen, die sogenannte Solidaritätssemantik sei in den westlichen Sprachen zu Ungunsten der asymmetrischen Anredeim Vormarsch (1960, 259). Diese These ist in zahlreichen Studien, auch zum europäischen Spanisch, bestätigt worden (Alba de Diego & Sánchez Lobato 1980, Medina López 1991).

Schließlich weist die Verwendung der Anredepronomina auch eine situative Komponente auf. Die NGRAE nennt in diesem Zusammenhang den sogenannten tratamiento variable bzw. circunstancial: Im Sport oder auch Straßenverkehr ist zu beobachten, dass fremde Personen sich in emotional aufgeladenen Situationen mit dem vertrauten Pronomen anreden, außerhalb des Kontextes aber wieder in die distanzierte Anrede gewechselt wird. Im familiären Bereich gilt innerhalb Spaniens die Anrede als stabil (NGRAE 2009, §16.15d.), in Hispanoamerika dagegen nicht. Dort ist in ländlichen Regionen gerade im familiären Kontext die umgekehrte Tendenz, nämlich der Wechsel vom vertrauten zum distanzierten Pronomen zu beobachten, z.B. wenn Eltern Kritik an ihren Kindern üben (ebd., 16.15s). Auch der mediale Wandel und die damit einhergehenden Veränderungen im Bereich des nähe- und distanzsprachlichen Sprechens dürften Auswirkungen auf die Anrede haben, die bislang noch nicht hinreichend erforscht sind.

2. Behandlung von Anredepronomina im Spanischunterricht

Ein erstes Fazit dieses Überblicks muss lauten, dass das Anredesystem im Spanischen für eine exhaustive Vermittlung im Unterricht viel zu komplex ist. In einer sich durch länderübergreifende Mobilität auszeichnenden Gesellschaft sollten aber zumindest fortgeschrittene Lerner1 für eine die Regeln der Höflichkeit (vgl. Moreno Fernández 2014, 484) beachtende und damit erfolgversprechende Kommunikation befähigt werden (vgl. Europarat2001, 5.2.2). Eine didaktisch reduzierte Vermittlung des Anredesystems, die über die reine Verfügbarkeit der sprachlichen Mittel hinausgeht, erscheint somit sinnvoll.

2.1 Anrede im kompetenzorientierten Unterricht

Die Auseinandersetzung mit dem korrekten Gebrauch von Anredepronomina be­trifft nahezu alle Kompetenzbereiche. Im Bereich der funktionalen kommunikativen Kompetenz dürften gerade die produktiven Kompetenzen (Sprechen, Schreiben, Sprachmittlung) eine Herausforderung darstellen. Der Norm entsprechendes Anredeverhalten ist auch Teil von Medienkompetenz. Die transversale Kompetenz der Sprachbewusstheit ist ebenfalls unmittelbar betroffen. Sie

bedeutet Sensibilität für und Nachdenken über Sprache und sprachlich vermittelte Kom­munikation. Sie ermöglicht Schülerinnen und Schülern, die Ausdrucksmittel und Varianten einer Sprache bewusst zu nutzen; dies schließt eine Sensibilität für Stil und Register sowie für kulturell bestimmte Formen des Sprachgebrauchs, z.B. Formen der Höflichkeit, ein. Die Reflexion über Sprache richtet sich auch auf die Rolle und Verwendung von Sprachen in der Welt, z.B. im Kontext kultureller und politischer Einflüsse.

(KMK 2012, 23f.).

Angesichts der sprachlichen und kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und den hispanophonen Ländern und den damit verbundenen gesellschaftlichen Implikationen wird jedoch die interkulturelle Kompetenz im Fokus der nachfolgenden Lehrwerksanalyse stehen.

2.2 Lehrwerkanalyse

2.2.1 Zugrunde liegende Dimensionen der interkulturellen Kompetenz

Der nordrhein-westfälische Kernlehrplan für Spanisch (G8) (LP NRW 2009, 18) differenziert in Anlehnung an den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (GeR 2001) und die Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss (KMK 2004, 10) im Bereich der interkulturellen Kompetenzen zwischen „Orientierungswissen“, „Werte, Haltungen und Einstellungen“ sowie „Handeln in Begegnungssituationen“ und greift damit die in der interkulturellen Didaktik etablierten Kategorien savoir, savoir être und savoir faire auf. Diese differenzieren zwischen der „kognitiven Dimension“ (Schumann 2009, 215), die auf die Wissensvermittlung hinzielt, der „persönlichkeitsbezogenen Dimension“ (ebd.), bei der es um die Ausbildung von Empathie und Befähigung zum Perspektivwechsel geht, sowie der „verhaltensorientierten Dimension“ (ebd.), die auf eine „Verknüpfung von kommunikativen Fertigkeiten und sozialen Kompetenzen in der konkreten interkulturellen Begegnungssituation“ (ebd., 216; fett i. Orig., J.V.) hinzielt. Im Kernlehrplan für die Sekundarstufe II des Landes NRW (LP NRW 2013, 16) werden in Anlehnung an Byram (1997) und die Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife (KMK 2012) die Kategorien in Verstehen – Handeln – Werte – Einstellungen – Bewusstheit ausdifferenziert. Die drei Dimensionen des savoir, savoir être und savoir faire sollen aufgrund ihrer Trennschärfe jedoch die Grundlage für die Lehrwerkanalyse bilden.

2.2.2 Grundlagen für die Analyse

Angesichts der Komplexität und Dynamik des Lehrwerkmarktes kann eine Analyse nicht den Anspruch der Vollständigkeit erheben, wohl aber Tendenzen aufzeigen. Untersucht wurden in NRW Lehrwerke, die in verschiedenen Schulstufen Verwendung finden:

Zweite Fremdsprache: ¿Qué pasa? (Diesterweg 2006-2010), ¡Apúntate! (Cornelsen 2008-2011), Línea amarilla (Klett 2006-2010)

Dritte Fremdsprache: Puente al español (Diesterweg 2012-2015), En­cuentros 3000 (Cornelsen 2010-2013), Línea verde (Klett 2006-2009), Rutas para ti (Schöningh 2012)

Spätbeginnende Fremdsprache: A_tope.com (Cornelsen 2010), ¡Adelante! (Klett 2010-2012), Rutas uno (Schöningh 2013), ¡Vale! (C.C. Buchner 2006).

Es wird zunächst dargestellt, welche Ebenen des Diasystems (vgl. Abb. 1 oben) aufgeführt werden, bevor das ermittelte Material daraufhin untersucht wird, welche Dimensionen interkulturellen Lernens Berücksichtigung finden.

2.2.3 Synopse der Analyse
2.2.3.1 Varietätenlinguistische Kategorisierung

Diatopisch

Alle Lehrwerke stützen sich auf System 1; es finden sich jedoch häufig Verweise auf System 2. Mit Ausnahme von ¡Adelante! (I, 148, „In Lateinamerika und auf den kanarischen Inseln verwendet man statt vosotros, -as in der zweiten Person Plural ustedes“2) wird allerdings nur Hispanoamerika erwähnt (¿Qué pasa?, II, 67, 79, 123; ¡Apúntate! II, 90; Línea amarilla I, 103; Línea verde I, 82; Encuentros 3000, I, 107; II, 52; Puente al español I, 23; Rutas uno, 60; A_tope.com,82). Mehrere Lehrwerke merken an, dass usted im Singular als Anrede in Lateinamerika weiter verbreitet ist als in Spanien (¿Qué pasa? II, 67, 79, 123; Línea verde I, 82; ¡Adelante! I, 108; A_tope.com, 91). Das im Singular dreigliedrige System 3 wird – möglicherweise aufgrund seiner für Spanischlernende schwer zu erfassenden Komplexität – nicht angeführt. Lediglich in ¡Ade­lante! könnten Lernende die geographische Koexistenz von tú und vos in Kolumbien erschließen (II, 94). Häufiger hingewiesen wird auf den voseo, z.T. auch inklusive der Verbformen (¿Qué pasa? II, 79, 123, III, 33, Línea amarilla II, 101; Eucuentros 3000 III, 13, 101; Puente al español III, 78; ¡Adelante! I, 119 [indirekt durch Comic von Mafalda], 148; Vale, 151 [indirekt durch Comic von Mafalda und durch induktive Regelformulierung]). Die diatopische Komplexität des spanischen Anredesystems wird also in einigen Lehrwerken gar nicht oder kaum, in anderen recht ausführlich thematisiert.

Diastratisch / Diaphasisch

Auch im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Anrede und sozialen Faktoren sind große Unterschiede zu beobachten. Die Grenze zwischen Diastratik und Diaphasik ist dabei nicht immer eindeutig zu ziehen, weil Angaben zum sozialen Status der Kommunizierenden oft mit Anmerkungen zur Kommunikationssituation einhergehen. Am häufigsten wird hervorgehoben, dass das Verhältnis der Kommunizierenden zueinander sowie ggf. deren Beruf im Spanischen die Wahl anderer Anredepronomina bedingen als im Deutschen. ¿Qué pasa? weist darauf hin, dass in Spanien tú unter Nachbarn und gegenüber der Lehrperson üblich sei, usted dagegen gegenüber gesellschaftlich hoch angesehenen Personen, und verzichtet auch nicht auf den diatopischen Hinweis, dass in Hispanoamerika usted in der Familie und unter Freunden generalisierter sei (I, 26; II, 67; Expresiones útiles). Línea verde diagnostiziert einen Gebrauch von usted bei ‘hochgestellten‘ Personen (I, 82). ¡Adelante! zeichnet insofern eine für SchülerInnen sehr komplexe Situation, als es sich Unschärfeindikatoren des Typs „en algunos casos“ oder „depende de“ bedient: „En España es muy frecuente que los compañeros de trabajo se tuteen, pero en algunos casos se prefiere decirle a una persona usted, depende de la edad y de la posición. En el mundo del trabajo en Latino-américa se usa más usted/ustedes“ (I, 108). Wichtig für den Schulalltag scheint auch hier die Anmerkung, dass Lehrer geduzt werden (I, 182; vgl. auch Línea Amarilla II, 27). Ähnlich geht A_tope.com vor:

In Spanien wird im Vergleich zu Deutschland sehr selten gesiezt. Es ist z.B. üblich, dass Schüler ihre Lehrer duzen. Auch in der Arbeitswelt sprechen sich die Menschen hauptsächlich mit ‘du‘ an. In Lateinamerika wird wesentlich häufiger gesiezt als in Spanien. In einigen Regionen wird dort auch innerhalb der Familie gesiezt.

(A_tope.com, 91).

Verweise auf diasexuelle Varianz finden sich nicht. Es wird dagegen mehrfach erwähnt, dass gegenüber wesentlich älteren Personen der Gebrauch von usted üblicher sei (¿Qué pasa I, 67; Rutas para ti, 114; Línea Amarilla II, 27; Línea verde I, 82; ¡Adelante! I, 108 [„depende de la edad“]).

Die situative Gebundenheit der Verwendung der Anredepronomina wird auch dahingehend implizit thematisiert, dass alle Lehrbücher Normen für das Verfassen von Briefen oder Mails, i.d.R. in der Gegenüberstellung informell – formell, vermitteln (z.B. ¡Apuntate! III, 132; IV, 113; A_tope.com 66, 193f., ¡Vale! 198). Beispielsweise heißt es in den fortgeschrittenen Bänden der Reihe ¿Qué pasa?:

Beim Schreiben von Briefen, Postkarten, E-Mails und SMS ist es wichtig, je nach Anlass und Empfänger die richtige Form zu verwenden. So ist es ein Unterschied, ob du an einen Freund schreibst, bei der Touristeninformation um Auskunft bittest oder dich bei einer Firma um ein Praktikum bewirbst. In der E-Mail gelten ähnliche Regeln wie beim Brief.

(¿Qué pasa? III, 148; IV, 173)

¿Qué pasa? empfiehlt außerdem explizit das Siezen in formellen Situationen, z.B. im Hotel, bei Behörden, im Restaurant oder auf der Bank (I, 26; II, 67), Rutas para ti im Hotel und in der Touristeninformation (S. 116), Encuentros implizit in der Sprachschule (I, 40).

Aus varietätenlinguistischer Sicht wird das spanische Anredesystem demnach am umfangreichsten in ¡Adelante! und ¿Qué pasa? thematisiert. Es ist kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Grad der Thematisierung und Zielgruppe zu erkennen.

2.2.3.2 Kategorisierung nach Dimensionen der interkulturellen Kompetenz

In Hinblick auf die Frage, inwiefern die Auseinandersetzung mit den Anrede­pronomina neben der kognitiven Ebene diejenige des savoir être und des savoir faire abdeckt, stellt man fest, dass die Vermittlung interkulturellen Wissens (savoir