VENUS FLIRTET MIT DEM TOD - Pierre Apesteguy - E-Book

VENUS FLIRTET MIT DEM TOD E-Book

Pierre Apesteguy

0,0
5,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Venus saß mit Victor im Parkett des fast leeren Zuschauerraumes. Die junge Frau interessierte sich nicht für den Film. Sie hatte ihren Kopf auf die Schulter des Inspektors gelegt und biss ihm zärtlich ins Ohr. Victor hätte am liebsten wie ein Kater geschnurrt, doch er tat so, als gälte seine ganze Aufmerksamkeit der Leinwand.

Sie hatten sich durch den vielversprechenden Titel Peau lisse zu diesem Film verleiten lassen, der, wie es schien, genau das Richtige für Victor Sauvage, das Ass Nummer 1 der Interpol, und seine Angebetete Marie-Caroline Demilot, genannt Venus, zu sein versprach...

 

Der Roman Venus flirtet mit dem Tod des französischen Schriftstellers Pierre Apesteguy (* 12. September 1902 in Biarritz; † 17. November 1972 in Cagnes-sur-Mer) erschien erstmals im Jahr 1962; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der französischen Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2021

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

 

PIERRE APESTEGUY

 

 

Venus flirtet mit dem Tod

 

Roman

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

VENUS FLIRTET MIT DEM TOD 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Venus saß mit Victor im Parkett des fast leeren Zuschauerraumes. Die junge Frau interessierte sich nicht für den Film. Sie hatte ihren Kopf auf die Schulter des Inspektors gelegt und biss ihm zärtlich ins Ohr. Victor hätte am liebsten wie ein Kater geschnurrt, doch er tat so, als gälte seine ganze Aufmerksamkeit der Leinwand.

Sie hatten sich durch den vielversprechenden Titel Peau lisse zu diesem Film verleiten lassen, der, wie es schien, genau das Richtige für Victor Sauvage, das As Nummer 1 der Interpol, und seine Angebetete Marie-Caroline Demilot, genannt Venus, zu sein versprach...

 

Der Roman Venus flirtet mit dem Tod des französischen Schriftstellers Pierre Apesteguy (* 12. September 1902 in Biarritz; † 17. November 1972 in Cagnes-sur-Mer) erschien erstmals im Jahr 1962; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der französischen Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

  VENUS FLIRTET MIT DEM TOD

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Venus saß mit Victor im Parkett des fast leeren Zuschauerraumes. Die junge Frau interessierte sich nicht für den Film. Sie hatte ihren Kopf auf die Schulter des Inspektors gelegt und biss ihm zärtlich ins Ohr. Victor hätte am liebsten wie ein Kater geschnurrt, doch er tat so, als gälte seine ganze Aufmerksamkeit der Leinwand.

Sie hatten sich durch den vielversprechenden Titel Peau lisse zu diesem Film verleiten lassen, der, wie es schien, genau das Richtige für Victor Sauvage, das As Nummer 1 der Interpol, und seine Angebetete Marie-Caroline Demilot, genannt Venus, zu sein versprach.

Glücklicherweise hatte Inspektor Sauvage damals, als er Venus kennenlernte, nicht den Auftrag gehabt, die junge Abenteurerin Venus zu verfolgen. Er hatte keine Ahnung gehabt, womit sie sich die Zeit vertrieb. Die Offenheit der jungen Frau hatte ihm einerseits sehr genützt und ihn andrerseits gehemmt, sich ihr gegenüber undankbar zu zeigen: Hatte sie ihm nicht zum Erfolg seiner schwierigen Mission verholfen und ihm vielleicht sogar das Leben gerettet? Geliebte und schreckliche Venus!

Die junge Frau ihrerseits konnte es noch kaum fassen, der Umarmung eines Polizeibeamten erlegen zu sein. Ausgerechnet sie! Wer hätte das gedacht? Natürlich, Victor war ein Engel, doch gleichzeitig einer jener Würgeengel, einer jener Geheimagenten, die sie früher über die Grenzen hetzten. Gut, er hatte ihr die Handschellen erspart, ihr aber letztlich Ketten um Arme und Beine gelegt. Ach!, wie angenehm war es doch, von ihm gefesselt zu sein.

Welch paradoxes und charmantes Schicksal hatte also die beiden Menschen, die einst dazu bestimmt waren, sich zu bekämpfen, in seligem Glück vereint!

Heute, am Spätnachmittag, hatte Marie-Caroline Demilot ihren Simca-Ariane auf dem großen Parkplatz neben dem Hauptgebäude der internationalen Polizei abgestellt. Victor war pünktlich zum Rendezvous erschienen. Manchmal hielt ihn ein wichtiger Auftrag davon ab, seine Freizeit der jungen Frau zu widmen. Aber als sie ihn in stolzer Haltung und festen Schrittes auf sich zukommen sah, wusste Venus, dass der Arbeitstag des Inspektors zu Ende war. Er würde also bei ihr bleiben können. Ein freudiges Schauern durchlief sie. Wie am ersten Abend, als sie auf der Terrasse des Casinos in Monte Carlo mit ihm zusammengeprallt war, schlug ihr auch heute wieder das Herz bis zum Halse. Welch eine Erscheinung! Einen Meter fünfundachtzig groß, schwarze Augen mit buschigen Brauen und Wimpern, die für einen Mann unverschämt lang waren, einem Gesicht wie das des heiligen Michael, der den Drachen bezwingt, und braunem, kurz geschnittenem Haar. Ruhig und selbstsicher, unwahrscheinlich männlich, unerhört gut gebaut und immer elegant und dezent gekleidet.

Der Polizeioffizier brachte Venus die gleiche Leidenschaft entgegen. Wie langsam kroch ein Tag ohne sie dahin...! Als er die Tür des Wagens öffnete, war er für einen Moment durch die Erscheinung der atemberaubenden jungen Frau mit ihrem tizianroten - Haar, den jadefarbenen Augen, der kleinen, schmalen Nase und den sinnlichen Lippen, wie gelähmt... Venus! Ihr Körper machte ihrem Namen Ehre. Sie brauchte nicht zu fürchten, mit der Venus im Louvre verglichen zu werden. Im Gegenteil! Die Venus von Victor hatte ihrer berühmten Namensschwester ein recht wichtiges Detail voraus - sie hatte Arme und war nicht aus Marmor!

Temperamentvoll und mit sprühendem Humor begabt, war sie im Geben ebenso anspruchsvoll wie im Nehmen. Ihre Abenteuer von gestern und ihre Liebe von heute waren dafür der beste Beweis.

Leider bestand der Film, der für sich in Anspruch nahm, zur Nouvelle Vague zu gehören, aus einer infantilen Aneinanderreihung alter Kamellen und war recht unerträglich. Venus gähnte hingebungsvoll. Sie legte ihren Arm Um Victors Schultern. Der Inspektor erwiderte ihre Höflichkeit und umfasste zärtlich ihre Taille. Sie waren glücklich, zusammen zu sein. Der Film interessierte sie von Minute zu Minute weniger. Sie hätten auch ebenso gut Weggehen können, dachten jedoch nicht daran.

Schließlich überkam Venus eine fast unbezwingbare Lust zu rauchen. Doch sie hütete sich davor, diesen Wunsch ihrem Begleiter gegenüber zu erwähnen. Das Rauchen war im Kino verboten. Aber die junge Frau hatte die Handfertigkeit ihrer früheren Beschäftigung noch nicht verlernt. Warum sollte sie um eine Zigarette bitten, wenn sie sie sich nehmen konnte? Außerdem wäre es amüsant, dem anerkannt schlausten Fuchs der Interpol etwas aus der Tasche zu klauen.

Mit heimtückisch zärtlichen Fingern ließ sie ihre Hand über den Arm Victors gleiten. Sie war so geschickt, dass er nicht merkte, dass ihre Liebkosung nicht direkt ihm galt. Leider! Keine Zigaretten. Sie fühlte lediglich ein hartes Stück Papier, vielleicht eine Postkarte oder etwas Ähnliches. Schon wollte die ausgelassene junge Frau ihre Suche aufgeben, als sie es sich anders überlegte. Die weibliche Neugierde ging mit ihr durch.

Im nächsten Augenblick befand sich das Corpus delicti in Venus’ Handtasche. Die Nouvelle Vague hatte ihr beigestanden: Victor Sauvage schlief mehr als er wachte. Venus war wenig befriedigt von ihrer Beute. Was sollte sie nur damit anfangen? Da sie ihrer alten Gewohnheit nicht hatte widerstehen können, wollte sie sieh wenigstens anschauen, was sie Victor abgenommen hatte, und dann die Karte mit der gleichen Geschicklichkeit wieder in seine Tasche zurückstecken.

Der Film schloss mit einem seichten Happy-End. Puh...! Victor stand bereits auf. Venus hielt ihn am Ärmel seines Jacketts zurück: Sie hätten weder die Wochenschau noch den Zeichentrickfilm gesehen, meinte sie, und er wisse doch, wie gern sie Walt Disney habe. Es seien schließlich nur fünf Minuten Pause. Der Inspektor ließ sich wieder in seinen Sessel fallen, und nun stand Venus auf.

»Ich will mir nur schnell die Lippen nachziehen«, sagte sie. »Ich bin sofort wieder zurück.«

Er blickte sie voll Nachsicht an.

»Eitelkeit - dein Name ist Weib«, sagte er lachend. »Du bist viel zu hübsch, um diese Kriegsbemalung nötig zu haben.«

»Typisch Mann«, erwiderte sie und. tätschelte ihm zärtlich auf die Wange.

Venus tänzelte davon. Als sie sah, dass der Inspektor die Taschen seines Jacketts abklopfte, überfiel sie leichte Panikstimmung. Doch Victor brachte eine Zeitung zum Vorschein, faltete sie auseinander und vertiefte sich in seine Lektüre. Venus atmete erleichtert auf. Das war wenigstens eine gesunde Beschäftigung, dachte sie; es ging nichts über eine Abendzeitung.

Im Vorraum der Toilette konnte sie ohne Furcht ihre Trophäe aus der Handtasche ziehen. Doch im selben Augenblick stieg ihr das Blut zu Kopf.

Das war doch der Gipfel: Sie hatte die Fotografie einer sensationellen Blondine in der Hand! Einer Blondine, mit herausforderndem Blick und Lächeln, mit einem mehr als großzügigen Dekollete, begehrenswerten Formen und Schultern, die denen von Venus in nichts nachstanden. Venus war zu schlau, um eine Rivalin, welche die Natur mit so unwiderstehlichen Reizen ausgestattet hatte, zu unterschätzen.

Sie drehte das Bild um und las auf der Rückseite die empörende Angaben:

 

DOLLY

Tel.: JASmin 40-02 Mittwoch, den 19., 17 Uhr

 

Zuerst rot vor Zorn, wurde Venus nun blass vor Eifersucht. Sie konnte die Tränen nicht zurückhalten, die ihr in die Augen stiegen. Doch worum es sich hier auch immer handeln mochte, so war jetzt nicht der Moment, das Gesicht zu verlieren. Aber genaugenommen war es bereits soweit: Die Tränenspur, die ihr über beide Wangen lief, ließ sie einem Vamp aus der Stummfilmzeit gleichen.

Sie betrachtete sich im Spiegel. Ihr tizianrotes Haar nahm unter dem grellen Licht der Neonbeleuchtung einen ziemlich hässlichen Orangeton an. Zum ersten Male entdeckte sie einen bitteren Zug um ihre Mundwinkel. Die Patina der Liebe! Sie war schon immer viel zu sentimental gewesen. Andrerseits jedoch hatte sie diese Schwäche von den unheilvollen Bahnen abgebracht, auf denen sie früher gewandelt war. Venus war im Grund ihres Herzens nie unehrlich gewesen, sondern hatte sich nur an solche Leute herangemacht, die ihr Vermögen zu Unrecht erworben hatten. Sie hatte das Abenteuer wie einen gefährlichen Sport geliebt, der der Eintönigkeit des Lebens etwas Pfeffer gab.

Hatte es nicht genügt, dass sie Victor über den Weg gelaufen war, um sie zu der Frau zu machen, die sie in Wirklichkeit war? Seit dieser wundervollen Verwandlung hatte sie noch nie die Bilder ihrer aufregenden Odyssee in Monte Carlo mit solcher Schärfe gesehen wie im Moment. Obwohl sie dadurch ihr Leben aufs Spiel setzte, hatte sie nicht eine Sekunde gezögert, den neuen Weg einzuschlagen. Und das alles für ihn! Für Victor Sauvage! Gewinner des Großen Preises von Monaco. Natürlich hatte Venus damals noch nicht gewusst, dass das gefährliche Rennen dem Inspektor nur dazu gedient hatte, seine Gestalt als Agent der Interpol zu decken, dass es das einzige Ziel Victors gewesen war, sich um jeden Preis ihrer hübschen Person zu bemächtigen. Wenn sie nur eine Ahnung davon gehabt hätte, hätte sie sich sofort aus dem Staub gemacht.

Hatte sie nicht übrigens versucht, vor ihm davonzulaufen, allerdings aus anderen Gründen? Sie hatten sich gegen Mitternacht auf der Terrasse des Casinos getroffen. In der lauen Milde der monegassischen Nacht schwebten die Klänge eines Langsamen Walzers. Der Unbekannte hatte mit einladender Geste seine Arme geöffnet, Venus hatte sich an ihn geschmiegt und alles um sie herum vergessen. Wange an Wange hatten sie getanzt und nicht gewagt, den Zauber des Augenblicks durch Worte zu zerstören.

Als die Melodie verklungen war, hatte er sie noch fester in die Arme geschlossen und geküsst. Völlig durcheinander, hatte sie sich befreit und war davongelaufen. Aber umsonst. Schon am nächsten Morgen war sie dem Mann auf der Jacht der extravaganten Lady Casablanca wieder begegnet. Sie wissen doch, jene lose Millionärin, die aus dem Fürstentum Monaco ausgewiesen worden war und in allen Spielsälen lauthals zum besten gab, dass die Franzosen samt und sonders Idioten seien. Jene verrückte Millionärin, die ihren Rolls-Royce mit goldenen Stoßstangen hatte ausstatten lassen und die so nebenbei den protzigsten Diamantschmuck der Welt besaß. Nur noch ein Griff, und Venus hätte mit dem Collier und dem Diadem verschwinden können...

Ausgerechnet in dem Moment hatte Victor ihr seine Liebe gestanden, eine Liebe, die auch sie schon fast verzehrte. Unter tausend Gefahren hatte sie auf den Schmuck verzichtet und ihre Komplizen im Stich gelassen.

Sie wollte ihr neues Leben nicht mit Lügen beginnen. Das Geständnis über ihre Vergangenheit war ihr nicht leichtgefallen. Doch schließlich hatte sie den Mut aufgebracht, dem Mann, den sie liebte und den sie nicht verlieren wollte, alles zu erzählen. Die erschütternde Beichte der jungen Frau hatte Victors Bewunderung nur noch verstärkt. Er hatte ihre Geschicklichkeit bei den Vorbereitungen zu dem geplanten Diebstahl beobachten können. Hatte man nicht die Pflicht, so viel Schönheit, Talent und Esprit in den Dienst der Gesellschaft zu stellen? Eines Tages würde er ihr die Gelegenheit geben. Bis dahin - der Inspektor war sich seiner Verantwortung durchaus bewusst - würde die Akte Venus bei der Interpol anfangen zu vergilben.

Venus hatte sich inzwischen die Augen getrocknet und die Spuren ihrer Tränen verwischt. Sie seufzte auf. Mein Gott! Wie wenig Zeit schien seit damals vergangen zu sein! Und schon setzten die ersten Enttäuschungen ein.

Sie ging in den Zuschauerraum zurück. Die Wochenschau hatte eben begonnen.

»Du hast aber lang gebraucht, mein Liebling.«

Er drückte sie fest an sich. Diese Geste konnte natürlich degoutante Scheinheiligkeit sein... Sie tat so, als interessiere sie sich brennend für die Einweihung einer Hängebrücke, lehnte sich aber trotzdem zärtlich gegen die Schulter des Inspektors. Er nahm seine schwache Beute noch fester in den Arm.

»Du erstickst mich, mein Liebling.«

Victor wich ein wenig zurück, gerade genug, damit Venus die Fotografie der mondänen Dolly wieder mühelos in die Tasche des Inspektors stecken konnte.

Der Zeichentrickfilm war ausgezeichnet. Doch Venus fand ihn langweilig und blöde. Sie weigerte sich, ihn bis zu Ende anzusehen, stand auf, packte Victor an der Hand und verließ entschlossen das Kino. Victor setzte sich hinter das Steuer des Simca-Ariane und fuhr zu einem kleinen Restaurant, in dem die beiden häufig zu Gast waren. Obwohl die Fahrt nur kurz war, hatte Venus genug Zeit, darüber nachzudenken, wie sie sich in der Affäre Dolly, wie sie die Geschichte bereits nannte, verhalten sollte. Denn Venus war nicht die Frau, die sich aus dem Feld schlagen ließ, ohne auf die Hilfsmittel Machiavellis und die Krallen einer Tigerin zurückgegriffen zu haben.

JASmin 40-02

Mittwoch, den 19., 17 Uhr!

Mittwoch, der 19. - das war morgen!

Victor parkte den Wagen vor dem Restaurant; Venus stieg aus. Mit dem Zuschlagen der Autotür war ihr Entschluss gefasst. Der Weg, den sie einschlagen wollte, lag klar vor ihr. Eine Venus teilte nicht. Entweder - oder!

Sie nahmen an einem-kleinen Tisch Platz und bestellten ein gutes, aber leichtes Essen. Als der Ober ihnen den Rücken gekehrt hatte, schlug sich die junge Frau gegen die Stirn.

»Mein Gott!«, rief sie. »Ich habe völlig vergessen, wann ich morgen zum Zahnarzt bestellt bin. Mit den Langusten wird es ja doch noch einen Moment dauern, ich werde also noch schnell anrufen.«

»Schau, schau, meine schöne Venus wird vergesslich«, bemerkte der Polizeioffizier gelassen.

Sie hätte sich am liebsten auf die Lippen gebissen. Die Lüge mit dem Zahnarzt »war nicht sonderlich gekonnt gewesen. Ein wenig zu klassisch... Doch für den guten Victor schien es nicht genug zu sein, dass ihn die Liebe blind gemacht hatte: Er war auch taub.

In der Telefonzelle wählte Venus die Nummer der Auskunft und fragte nach Namen und Adresse des Fernsprechteilnehmers mit dem Anschluss JASmin 40-02. Man gab ihr ohne Schwierigkeiten Auskunft. Es handelte sich um eine gewisse Dolly Fairplay, Tänzerin, 6, Rue La Fontaine. Die blonde Dolly machte also keinen Hehl aus ihrer Adresse. Demnach musste sie also auch im Telefonbuch verzeichnet sein. Venus schlug nach. Die Angaben, die man ihr gegeben hatte, stimmten genau. Ihre Rivalin versteckte sich nicht. Venus hätte nie geglaubt, dass sie gegen Tänzerinnen ein so vernichtendes Vorurteil aufbringen könnte!

Victor wartete bereits auf die junge Frau, um endlich die rosa Pyramide der Langusten in Angriff nehmen zu können. Venus setzte sich wieder ihm gegenüber.

»Nun, mein armes Häschen«, meinte Victor, »wann geht’s denn auf den Marterstuhl?«

»Morgen, leider! Morgen Nachmittag um fünf Uhr.«

Seine Antwort war wie ein Schlag ins Gesicht. Vielleicht für ihn banal, aber für Venus von unerträglichem Zynismus: »Bestens, bestens!«

Die Jade-Augen sprühten Feuer und Flammen. Doch Victor bemerkte nichts. Die Vorspeise nahm seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Venus lud sich ganz automatisch den Teller voll und tat so, als würde sie essen. Nicht etwa, dass es ihr an Appetit mangelte, aber anstelle der Schalentierchen hätte sie am liebsten Victor zerrupft und verspeist. Stattdessen steuerte sie auf das Thema los, das ihr auf den Lippen brannte.

»Manchmal frage ich mich«, sagte sie ganz besonders fröhlich, »ob du dir nicht ab und zu einen kleinen Flirt gönnst, bevor du dein Junggesellenleben für immer begräbst?«

Er fühlte sich sichtlich geschmeichelt.

»Eifersüchtig?«

»Wahnsinnig!«

»Und völlig übergeschnappt!« bemerkte Victor und sah ihr gerade in die Augen. »Gut, ich gebe zu, dass ich nicht immer ein Musterbeispiel an Treue gewesen bin...«

»So? Aber seit ich dich kenne, kann man mir in der Beziehung nichts vorwerfen, was allerdings nicht mein Verdienst ist: Andere Frauen langweilen mich sterblich.«

»Wie erfreulich«, entgegnete sie letzten Endes doch beeindruckt. »Sag, Liebling, würdest du mich bitte morgen zum Zahnarzt begleiten und mir die Hand halten, während man mir die Folterinstrumente ansetzt?«

Victors Züge wurden finster.

»Unmöglich«, antwortete er kurz angebunden. »Ich bin morgen um siebzehn Uhr mit meinem Chef verabredet. Mit dem gefürchteten Kommissar Portes.«

Sie hätte ihn fast gefragt, ob der gefürchtete Kommissar Portes eine Blondine mit einem Busen wie Brigitte Bardot sei... Doch es verschlug ihr die Rede. Mit Mühe und Not konnte sie ein resigniertes Lächeln auf ihr Gesicht zwingen. Und wenn es ihr gelang, ihren Ärger und Unwillen zu verbergen, so nur deshalb, weil sie bereits wusste, welche Überraschung sie dem treuen Victor morgen bereiten würde.

Oh!, dieser Heuchler!

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

»Miss Fairplay, bitte?«

Die Concierge saß gerade in der Küche und trank ihren Nachmittagskaffee, als sie hörte, wie die Tür zu ihrer Pförtnerloge aufgemacht wurde. Für gewöhnlich schrie sie ihre Auskünfte nur einfach durch die Gegend. Heute allerdings bequemte sie sich, aufzustehen und nachzusehen. Der leicht slawische Akzent, der aus der Frage der Besucherin geschwungen hatte, hatte die Neugierde der alten Frau erweckt. Nun stand sie bewundernd vor einer exotischen Schönheit mit blauen Augen und vollem, pechschwarzem Haar, das ihr seidig bis auf die Schultern herabfiel. Die Dame trug einen dreiviertellangen Nylon-Regenmantel von moosgrüner Farbe.

»In welchem Stock wohnt Miss Dolly Fairplay, bitte?« 

Rumänin oder Russin, darüber bestand kein Zweifel. Die Concierge konnte sich nicht täuschen. Wie alle Menschen, deren Existenz sich zwischen vier Wänden abspielt, träumte sie von früh bis Nacht von Reisen in ferne Länder und fühlte sich durch einen fremden Akzent unwiderstehlich angezogen.

»Im fünften Stock rechts«, antwortete die Alte freundlich und servil.

Die elegante Besucherin dankte mit einem Lächeln, und die Concierge schob vorsichtig den leicht angegrauten Vorhang an ihrem Guckfensterchen beiseite und schickte neugierige Blicke die Treppe hinauf. Sie seufzte. Wie hübsch sie doch waren, diese Frauen aus Mitteleuropa! Und wie aufregend sie das R rollten!

Es besteht kein Zweifel, dass diese Ausländerin das gewisse, mysteriöse Etwas besaß, das den Charme der Slawin ausmachte... Ihr Instinkt für das Mysteriöse schien jedoch besonders stark ausgebildet zu sein. Als sie im fünften Stock aus dem Lift stieg, zog sie die Tür mit äußerster Vorsicht hinter sich zu, drehte der rechten Wohnungstür entschlossen den Rücken und stieg auf Zehenspitzen die Treppe wieder hinunter. Das moderne Gebäude enthielt jeden erdenklichen Komfort. Im Vorbeigehen hatte die junge Frau im Erdgeschoss zwei oder drei Türen gesehen, die lediglich verriegelt, aber nicht verschlossen zu sein schienen. Es konnte sich nur um billige Wohnungen handeln, die auf den Hof hinausführten. Außerdem hatten diese Zugänge zum Hof den Vorteil, dass sie durch einen Mauervorsprung von der Pförtnerloge getrennt waren. Die elegante Dame machte die erste Tür auf und fand sich in einem Abstellraum mit Besen und Putzzeug aller Art. Hinter der zweiten Tür entdeckte sie das, was sie suchte: Hier mündete der Müllschlucker in die Tonne, die den Abfall aufnahm. Sie war fast voll.

Der kluge Mann baut vor, murmelte die exotische Schönheit.

Sie knipste den Lichtschalter an und zog vorsichtig die Tür hinter sich zu. Sie scheute sich nicht davor, mit ihren feinen, behandschuhten Händen die schwere Tonne zur Seite zu schieben und an ihre Stelle einen leeren Müllkübel zu zerren.

Sie löschte das Licht, öffnete die Tür einen Spalt und horchte. Alles schien ruhig. Es regierte die vornehme Stille luxuriöser Häuser. Die Fremde stieg die Treppe hinauf, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Der Lift stand immer noch im fünften Stock. Die rechte Wohnungstür schien nur auf sie zu warten. Sie klingelte.

Zuerst hörte sie nur das metallische Klirren einer Sicherheitskette. Dann wurde ein Schlüssel im Schloss gedreht, während eine Frauenstimme zwitscherte: »Mein Gott, wie nett, überpünktliche Männer sind heute so selten... Oh...! Pardon!«

Die Blondine im Spitzenmorgenrode blickte die Besucherin erstaunt an.

»Miss Dolly Fairplay?«

»Ja? Mit wem habe ich das Vergnügen?«

»Tanja Balaklawa. Kann ich einen Moment mit Ihnen sprechen?«

»Ja, aber...«

Die hübsche Dolly schien in großer Verlegenheit zu sein.

Sie trug ein prachtvolles Negligé aus cremefarbener Spitze, Seide, und mit unzähligen Bändern. Damit war offensichtlich ihrem Wunsch, ihre Blöße zu bedecken, Genüge getan.

»Pardon«, entgegnete die Unbekannte in ihrem slawischen Akzent, »wenn Sie Gäste haben, kann ich später wiederkommen. Allerdings hat man mir auf getragen, etwas sehr Wichtiges auszurichten, und ich werde Sie nur zwei Minuten belästigen müssen.«

Dolly blickte auf ihre brillantbesetzte Armbanduhr.

»Viertel vor fünf«, stellte sie fest. »Wenn Sie mir versprechen, um fünf vor fünf zu gehen...«

»Schon um zehn vor fünf werden wir uns nichts mehr zu sagen haben.«

»Also, dann beeilen wir uns, Tanja. Kommen Sie herein.«

Es mangelte ihr zwar nicht an Formen, aber vielleicht etwas an der Form, stellte die Besucherin fest. Man nannte sich bereits beim Vornamen. Tanja erwiderte die Höflichkeit der mondänen Miss Fairplay.

»Meine liebe Dolly«, sagte sie und ließ sich in einem Sessel im Salon nieder. »Man hat mich gebeten, Ihnen eine Nachricht zu übermitteln - für mich eine recht unangenehme Aufgabe, da Sie eine charmante Person sind... Aber was tut man nicht alles für seine Freunde? Es handelt sich hier übrigens um meine beste Freundin, eine gewisse Marie-Caroline Demilot..

»Der Name sagt mir gar nichts.«

»Ich wünsche Ihnen auch nicht unbedingt, die Bekanntschaft dieser Dame zu machen. Doch wie dem auch sei, sie konnte aus bestimmten Gründen nicht persönlich zu Ihnen kommen.«

Dolly versuchte nicht zu verbergen, wie wenig sie sich für das interessierte, was die Besucherin ihr mitteilte. Sie setzte sich geziert auf den Diwan und deutete auf den flachen Tisch, der zwischen ihr und der Slawin stand.

»Whisky, Gin? Eine Zigarette?«

Tanja lehnte ab und ging zum Angriff über.

»Ich will Sie nicht düpieren und mit offenen Karten spielen: Ich arbeite für die Polizei.«

Miss Fairplays Züge wurden aufmerksam. Sie warf einen raschen Blick auf eine Tapetentür, die neben den beiden Fenstern aus dem Salon führte. Tanja folgte diesem Blick und stellte fest, dass die Tür nur angelehnt war.

»Ich hoffe, wir sind allein in der Wohnung?«, fragte sie mit gerunzelter Stirn.

»Welch eine Frage!« entsetzte sich die hübsche Dolly. »Es gehört nicht zu meinen Gewohnheiten, zur gleichen Zeit mehrere Herren in verschiedenen Zimmern zu empfangen. Ich sagte Ihnen ja bereits, dass ich jeden Augenblick Besuch erwarte. Sie sind also von der Polizei?«

»Richtig. Und aus diesem Grund hat sich meine Freundin auch an mich gewandt. Sie hat mich gebeten, Sie justamente vor Ihrem Rendezvous mit einem charmanten jungen Mann, der Victor Sauvage heißt, zu warnen.«

»So, so!«