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Kelvin ist wie vor den Kopf gestoßen, als er erfährt, dass der Albtraum seiner Kindheit wieder da ist. Er muss zurück an jenen Ort, der ihn damals alles gekostet hat. Was er nicht weiß, der Osterhase hat längst seine Krallen nach allem ausgestreckt, was ihm lieb und teuer ist. Seine Kinder.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Verblute sanft
Impressum
Kapitel 1
Das Spiel beginnt 1
Kapitel 1 - Fortsetzung
Zwischenspiel 1
Zwischenspiel 2
Kapitel 2
Das Spiel beginnt 2
Kapitel 2 - Fortsetzung
Zwischenspiel 3
Kapitel 3
Zwischenspiel 4
Das Spiel beginnt 3
Kapitel 3 - Fortsetzung
Kapitel 4
Zwischenspiel 5
Das Spiel beginnt 4
Kapitel 5
Zwischenspiel 6
Das Spiel beginnt 5
Kapitel 5 - Fortsetzung
Kapitel 6
Der Autor
Thomas Tippner
Phantastische Novelle
Fortsetzung von STIRB SANFT
Ashera Verlag
Impressum
Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.
Erste Auflage im April 2025
Copyright © 2025 dieser Ausgabe by
Ashera Verlag
Hochwaldstr. 38
51580 Reichshof
www.ashera-verlag.net
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder andere Verwertungen – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des Verlags.
Covergrafik: iStock
Innengrafik: pixabay
Szenentrenner: pixabay
Coverlayout: Atelier Bonzai
Redaktion: Alisha Bionda
Lektorat & Satz: TTT
Vermittelt über die Agentur Ashera
(www.agentur-ashera.net)
Kelvin fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen.
Als habe man ihm mit der Faust gegen die Schläfe gerammt. Sein erster Impuls war, sich zu übergeben. Alles aus sich herauszuwürgen, was er seit dem Frühstück zu sich genommen hatte. Er merkte, während er den Telefonhörer in der Hand hielt, er die Stimme seiner damaligen Klassenkameradin – Betty? – hörte, dass er sich nicht erbrechen konnte. Sein Magen war leer. Wie sein Kopf.
Alle Gedanken waren in ihm zum Erliegen gekommen.
Selten …
… noch nie …
… war es ihm jemals so ergangen wie jetzt. Kelvin, der erst später begriff, was für ein Schock ihm da in die Glieder gefahren war, fühlte sich fallen und schwer zugleich. Fallen, weil er glaubte, der Boden unter ihm hätte sich geöffnet und er würde haltlos stürzen. Hinabstürzen in einen dunklen, nicht überschaubaren Schacht, dessen Grund nur darauf wartete, dass sein Körper auf ihn prallte. Auf ihm zerschellte und auseinandergerissen wurde wie ein aus den Zweigen eines Baums fallender Apfel. Schwer fühlte er sich, weil das Gesagte ihm nach und nach in den Verstand sickerte. Dass die bleierne Ohnmacht, die ihn gnädig umschlossen hatte, die all seine Gedanken beherrschte, ab und zu durchstochen wurde.
Nicht mit einzelnen, wie durch eine düstere Wolkendecke brechende Lichtstrahlen. Kein Hoffnungsschimmer, der ihn glauben ließ, dass alles besser werden würde. Es war das genaue Gegenteil.
Seine hinter der Stirn entlanghuschenden Gedanken wurden, verlorenen Kämpfern gleich, in die Ecke gedrängt. Nicht in der Lage, sich zu wehren. In ihm war alles schwarz. Hoffnungslos. Kein Mut mehr vorhanden. Kelvin, der sich den Telefonhörer ans Ohr presste, blinzelte und wusste nicht, wie er seine verloren gegangene Stimme wiederfinden sollte. Er hörte, wie Stimmen aus weiter Ferne an seine Ohren drangen. Erst hatte er es als Gedankenreflex abtun wollen. Als eine Art Einbildung, an der man bei überreizten Nerven und einer unter Spannung stehenden Seele litt. Um dann zu merken, dass es mehr war als ein rasend schneller, durch sein Nervenkostüm schießender, ihn retten wollender Impuls.
Ein Lachen holte ihn aus seiner Starre zurück.
Laut, hell, ehrlich; aus einem Kindermund. Kelvin hielt den Hörer noch immer umklammert, schluckte, blinzelte, wandte den Kopf und schaute hinaus über die Terrasse zum Pool. Zu den da plantschenden, miteinander spielenden Kindern. Als wäre das der herbeigesehnte, erhoffte, durch die Dunkelheit brechende Sonnenstrahl.
„Er …“, schaffte Kelvin nach langem Zögern zu sagen, und fand, dass er bleiern klang, rau. So als koste ihn jeder zum Sprechen gemachte Atemzug unsagbare Mühen.
„Bist du noch da?“
„Leider“, gab er flüsternd zur Antwort und merkte erst, dass er sich mit einer hilflosen Geste durch die Haare gefahren war, als seine Hand an seinem Hinterkopf zum Ruhen kam. Kelvin hörte Betty irgendetwas sagen, ohne dass er es später mit Bestimmtheit hätte wiedergeben können. Was er wusste, war, dass er einen Gedanken in sich aufsteigen spürte. Einen Gedanken, der ihn wieder hinausschauen ließ. Hin zu seinen Töchtern, die da vergnügt planschten und spielten. Die von dem ganzen seelischen Leid, in dem er gefangen war, nichts mitbekamen. Kelvin vernahm, wie sie riefen, wie sie vor Freude juchzten. Als er seine Jüngste, seine Amber, rufen hörte: „Attacke!“, legte sich in ihm ein innerer Schalter um.
Als habe er darauf gewartet, dass der Monitor seines Laptops mit einem kurzen Lichtreflex aktiviert wurde.
Er meinte, in sich zu fühlen, wie sich alles veränderte.
Kelvin straffte sich.
Attacke!
„Ihr seid schon in Blossomville?“, fragte er, nachdem er die Luft tief eingesogen hatte.
„Auf dem Weg“, sagte Betty und wollte dann wissen: „Wo treffen wir uns?“
„Am besten an der Schule. In einem kleinen Café.“
„Okay.“
„Wir sehen uns“, flüsterte Kelvin und schauderte, als das Gespräch unterbrochen wurde. Er hatte das Gefühl, von einer kalten Hand berührt worden zu sein. So als wären eisige Finger über seinen Rücken geglitten.
Auch wenn er nicht zu pathetisch sein wollte, nicht zu abgedroschen, zu dramatisch, aber als er die Verbindung zu Betty unterbrach, er dastand, ins Sonnenlicht schaute, war es ihm, als spüre er den kalten Hauch des Todes über sich hinwegwehen.
„Alles gut bei dir, mein Schatz?“ Tracy, die hinter Kelvin getreten war, legte ihm liebevoll, wie sie es immer tat, wenn sie merkte, dass es ihrem Mann nicht gut ging, die Hand auf den Rücken. Er, der den Telefonhörer zurück auf die Gabel hängte, zog die Augenbrauen kritisch Richtung Nasenwurzel.
Er drehte sich zu ihr herum, legte seine Finger auf ihre, umschloss sie und gab ihren Fingerspitzen ein Küsschen.
„Warum sollte es mir schlecht gehen?“, fragte er sie, lächelte und beugte sich vor, um ihre glatte, vom Sommer gebräunten Stirn zu küssen.
„Wegen des Telefonats“, meinte sie.
„Telefonat?“, fragte Kelvin sie. Er deutete ein kurzes Kopfschütteln an und merkte, wie sich in ihm Verwunderung ausbreitete.
„Dass du eben, äh …“, sie schaute ihn aus ihren blauen, wunderschönen, ihn immer wieder aufs Neue faszinierenden Augen an. „… geführt hast.“
Er schmunzelte hilflos.
Dann fragte er sie: „Welches Telefonat?“
Bettys Nachricht: „Bin in drei Stunden da“, hatte Kelvin den Hals zugeschnürt.
Attacke!
Nicht, weil er Angst davor hatte, seiner ehemaligen Schulkameradin unter die Augen zu treten; sondern weil er ihr Telefonat vergessen hatte.
Es war weg gewesen.
Wie weggewischt.
Ausgelöscht.
Rausgerissen aus meinen Erinnerungen, dachte er, während er den Rückwärtsgang in seinen Mercedes einlegte und sich darüber wunderte, nein, nicht wunderte, er erschreckt davon war, wie ihm das Gespräch entglitten war.
Er hatte den Hörer noch gar nicht vom Ohr genommen, da war es, als wäre die Verbindung gekappt gewesen. Als habe er nicht mit Betty gesprochen, als habe er sich mit seiner damaligen Schulfreundin nicht im Café verabredet. Seine Magie wirkt immer noch, dachte er, als er spürte, wie sich der Wagen butterweich in Bewegung setzte, er den Kies unter den Reifen knirschen hörte. Sie ist stärker als wir es damals, als wir Kinder waren, angenommen haben. Um dann zu merken, wie sich seine Gedanken wieder zu verwirren begangen. In ihm sträubte sich etwas. Es war Kelvin, als wolle jemand, oder irgendetwas, ihn daran hindern, klar zu denken. So, als zerrten zwei starke Männer an ihm. Jeder darum bemüht, ihn auf seine Seite zu ziehen. Kelvin hatte noch nie viel von Metaphern gehalten oder sich vorstellen können, wie zwei Herzen in seiner Brust schlagen konnten. Für ihn gab es Schwarz oder Weiß. Wie sollte man sonst erfolgreich sein? Das war unmöglich. Nur um jetzt zu begreifen, dass es sehr wohl Schattierungen gab. Fein skizzierte Linien, deren Verlauf er nicht gleich überblicken, geschweige denn verstehen konnte. Kelvin begriff, dass er unter dem – Bann? – seines Gegners stand. Der alles daran setzte, um ihn davon abzuhalten, wieder der zu werden, der er einmal gewesen war.
Wer war ich?, fragte sich Kelvin in dem Moment, als er einen Blick in den Rückspiegel warf und glaubte, vom Schlag getroffen zu werden.
Erst hatte er angenommen, sich geirrt zu haben. Einer Sinnestäuschung unterlegen zu sein.