3,99 €
Sam steht kurz vor seinem 18. Geburstag. Als er die geheimnisvolle Anna kennenlernt, häufen sich seltsame Vorfälle. Etwas an ihr ist anders. Und bald bemerkt auch er Veränderungen an sich selbst – unheimlich und beunruhigend. Was als Alltag beginnt, wird zu einem Sog aus Magie, Schatten und uralten Kreaturen. Ohne es zu ahnen, gerät Sam mitten in einen Kampf, der seine Realität für immer verändert. Begleite ihn auf seiner Reise – in eine Welt, die nur auf den ersten Blick verborgen bleibt.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Wieso wächst bei mir immer noch kein bisschen Bart? Ich bin schon fast 18 und habe nicht den gewünschten Bartwuchs, den ich mir vorstelle.
Tom, mein bester Freund, hatte schon einen Vollbart und ich war richtig neidisch auf ihn. Ich weiß, klingt blöd, denn früher oder später dürfte bei mir auch ein Härchen wachsen, aber ich war es leid der Letzte zu sein.
Mein Vater hatte immerhin einen Vollbart, also sollte bei mir doch auch was wachsen.
Seufzend wandte ich den Blick vom Spiegel ab und holte die Zahnbürste aus dem kleinen Schrank unter dem Waschbecken.
Ich putzte die Zähne, wusch mir das Gesicht und zog mir, zurück in meinem Zimmer, meine khakifarbene Chinohose an.
Die fand ich immer am besten.
Ich ging zur Kommode und nahm ein schwarzes T-Shirt, slim fit, heraus.
Streifte es mir über und wollte gerade aufs Handy schauen, da rief Mum: >>Sam beeil dich, du kommst noch zu spät zur Schule!<<
Ich schaute auf die Uhr, ach du Schreck, fast 7, ich musste los.
Tom holte mich immer von zu Hause ab, ich hatte noch keinen Führerschein und steckte noch mitten in den Fahrstunden.
Mein Fahrlehrer, Bruno, war echt mies, aber ich versuchte mich zusammenzureißen und es durchzuziehen.
Als ich mit Tom das erste Mal mitgefahren bin und gemerkt habe, wie super und befreiend das war, hat es bei mir klick gemacht, wollte unbedingt auch am Steuer sitzen und einfach der Straße folgen.
Deshalb gab ich jetzt Gas in der Fahrschule und war ganz zufrieden. Dennoch nervte mich die ungeduldige Art von Bruno sehr, wenn ich mal wieder die Kupplung zu langsam kommen ließ und das Gaspedal durchgedrückt hatte, als wollte ich ständig einen Burnout machen.
Ich lief die Treppe runter und ging durch den schmalen Flur direkt in die Küche. Auf der rechten Seite befand sich die Küchenzeile und auf der linken ging es zum Esszimmer.
Mum hielt mir meine Brotbüchse hin, ich grinste sie schief an: >>Danke Mum, bis später!<<
>>Einen schönen Tag und vergiss nicht den Müll rauszubringen!<<
Ich hasste es den Müll rauszubringen, aber was blieb mir anderes übrig? Diskussionen vermied ich so gut es ging und brachte den Müll eben raus.
>>Ja, Mum…<<, seufzend verließ ich das Haus.
>>Hat dich deine Mum wieder genötigt den Müll rauszubringen<<, lachte Tom, als ich ins Auto stieg.
>>Ach hör mir auf, ich wette sie will mich unbedingt damit quälen.<< Ich seufzte und streckte die Faust aus. Tom klopfte ab.
>>Also ich muss nie den Müll rausbringen, das macht mein Vater schon von alleine<<, witzelte er.
>>Ich glaube dein Dad hat einfach Angst vor deiner Mutter, da gibt er lieber klein bei, als eine Diskussion zu starten<<, lachend schnallte ich mich an und wir fuhren zur Schule.
Die Fahrt dauerte nur etwa 15 Minuten, dann fuhren wir auf den Parkplatz der Gesamtschule Goldfurt.
Ca 12.000 Einwohner hat die Gemeinde hier, keine Großstadt, aber auch kein Dörfchen.
Die Schule erinnert an ein riesiges Blockgebäude, altes fahles Grau und wirklich quadratisch.
An dem Hauptgebäude grenzt seitlich die Turnhalle, auch nicht mehr die neuste, aber für den Sportunterricht genügt sie.
Außerdem besitzt sie an jeder Ecke des Quadrates Ausgänge in verschiedenen Farben. Wir nennen sie einfach die gelbe, blaue, grüne und rote Treppe, weil sie tatsächlich in den Farben gestrichen sind.
Unterschiedliche Grüppchen von Schülern halten sich an den verschiedenen Treppen zu den Pausenzeiten auf.
Wir stehen meistens an der gelben, die wurde zu unserem Treffpunkt.
Ich würde uns als durchschnittlich beliebt bezeichnen, nicht gerade die Überflieger, aber auch nicht die Emos.
Manchmal wünschte ich mir, zu den coolenKids zu gehören, aber wenn ich lange genug darüber nachdachte, waren das auch nur oberflächliche Möchtegern-Personen.
>>Was hast du eigentlich für deinen Geburtstag geplant Sam?<<, fragte Tom und blickte über die Schulter zu mir rüber, als wir vom Parkplatz zur Schule gingen.
Nachdenklich und mit großen Augen, sah ich ihn an: >>Gute Frage, so genau habe ich mir das noch nicht überlegt. Schätze die Clique einladen und im Keller dann bisschen was trinken und Musik hören.<<
>>Was?! Mehr nicht? Das machen wir doch schon regelmäßig und ist einem 18. Geburtstag nicht würdig!<< Tom war völlig außer sich, er wollte immer gut feiern gehen und dachte sich, jetzt wo ich 18 werde, könnten wir auf die Piste gehen.
Ich mochte es allerdings ganz gerne ‘nen ruhigen zu schieben und wollte eigentlich nicht gerne von Disco zu Disco ziehen.
>>Ich weiß, du willst lieber richtig abfeiern und was weiß ich noch. Das nächste Mädchen abschleppen oder so<<, ich boxte ihn auf die Schulter und lachte.
Tom sah schon ganz gut aus, soweit ich das beurteilen konnte. Die Mädchen gafften ihm jedenfalls hinterher. Er war schon recht groß, so 1,85m würde ich schätzen und hatte schwarze längere Haare die mit Gel nach hinten gestylt waren und nicht zu vergessen der Vollbart. Wie ging das nochmal mit 18 Jahren?! Keine Ahnung, ist mir auch egal, oder auch nicht.
Etwas breiter gebaut war er auch, was ihn maskuliner wirken lies und somit respekteinflössend. Außerdem hatte er eine tiefe Stimme und welches Mädchen fand sowas denn nicht gut?! Und dann noch die kantigen Gesichtszüge. Ganz der Badass Typ. Mädchen schmelzt dahin!
Ach und seine Vorliebe für Tattoos, davon hatte er eine Menge.
Wenn ich mich im Vergleich dazu setzen müsste, wären wir bei mir bei 1,75m und braunen kurzen Haaren.
Ich stylte meine Haare allerdings immer mit Wachs, einfach weil die Haare mit Gel immer so schmierig wirkten.
Ich war etwas schmächtiger als Tom, aber jetzt auch kein Lauch.
Es passte zu meiner Größe würde ich sagen. Das was mir noch fehlte war ein Vollbart, oh ja. Und eventuell ein Tattoo, wenn ich nicht so viel Angst vor der Nadel hätte.
Meine Gesichtszüge waren eher weich.
>>Du kennst mich einfach zu gut. Das wäre ‘ne Idee mit dem Mädchen, aber es soll ja dein großer Tag sein, nicht meiner<<, grinsend boxte er zurück und fast wär ich gegen das Mädchen gelaufen, was mit gesenktem Blick in unsere Richtung lief, konnte aber noch ausweichen.
>>Oha, entschuldige, das war knapp!<<
Ich hatte sie bisher noch nicht hier gesehen.
Sie sah mich flüchtig an, dann wieder nach vorne und sagte kein Wort.
Schräg.
Ich schaute ihr noch einen Moment nach. Sie sah gut aus.
Braunes langes Haar viel über ihren Rücken. Nicht so groß. Schätze so um die 1,60m.
Nettes Hinterteil.
Okay, gut, ich sollte sie nicht so anstarren.
Ich wandte den Blick ab und schaute verdutzt zu Tom.
>>Die war süß, aber ein wenig merkwürdig<<, grübelnd runzelte ich die Stirn.
>>Merkwürdig stimmt, hab sie hier noch nie gesehen. Muss neu sein<<, Tom strich sich durchs Haar und räusperte sich.
Mathe war so öde, ich könnte immer wieder einschlafen dabei, aber dann würde ich wieder die Kreide an den Kopf bekommen, wie beim letzten Mal, als Frau Orth mich hat dösen sehen.
Warum müssen die Lehrer dann einen immer so vorführen und schön blamieren vor der ganzen Klasse?!
Echt nervig sowas.
Bin ich froh bald mit der Schule fertig zu sein. Allerdings wusste ich noch nicht so recht, was ich dann machen möchte.
Niemand erklärt das einem so richtig, was es für Möglichkeiten gibt.
Man soll am besten einfach von alleine wissen, was man machen will.
Voll blöde.
Meine Eltern waren da auch keine Hilfe, aber gerade sie hätten mich doch zu irgendwas hinleiten können, oder?!
Naja, sie meinten ich sollte was mit Tieren machen. Ja klar, als ob das so einfach wäre und am Ende ein Batzen Geld bei rumkäme, klar.
>>Hey!<<, flüsterte Tom, >>Wo bist du wieder mit deinen Gedanken?!<<
>>Hmm?<<, ich machte große Augen und richtete mich auf. >>Hab nur ein wenig gedöst, die Nacht war zu kurz<<, hatte die halbe Nacht wieder gezockt, konnte mich nicht losreißen.
>>Was denn? World of Warcraft wieder? Echt jetzt? Ich hab dir doch gesagt das Spiel tut dir nicht gut<<, er sah mich tadelnd an.
>>Bla, bla, ich finds cool<<, fand ich wirklich, da konnte man wenigstens dem Alltag entfliehen und einfach sein, wer man gerade wollte.
>>Tom und Sam, Ruhe da hinten!<<, Frau Orth hatte unser Geflüster mitbekommen und kniff die Augen zusammen, als sie uns ansah.
Der Rest der Stunde verlief ganz unspektakulär.
Als nächstes stand Bio auf dem Plan.
Dafür mussten wir vom Hauptgebäude ins Nebengebäude laufen, der Weg über die grüne Treppe war der schnellste.
Die Klasse sammelte sich schon vor dem Unterrichtsraum und da fiel mir wieder das Mädchen auf, welches ich heute Morgen fast über den Haufen gerannt hatte.
Sie stand etwas abseits und starrte aufs Handy.
>>Hey Sam, da ist das Mädchen wieder oder?<< Tom stieß mich an und lächelte.
>>Ja, hab sie auch schon gesehen.<<
>>Meinst du wir sollten sie mal begrüßen?<<
Tom stand der ehrgeizige Blick ins Gesicht, den er machte, wenn er neue Beute entdeckte.
>>Da bin ich gerade noch nicht so scharf drauf, aber tu was du nicht lassen kannst<<, seufzend strich ich mir durchs Haar.
Tom ging zu ihr rüber, ich hörte nicht was er sagte, aber sie schien nicht gerade begeistert davon zu sein.
Sie schaute ihn genervt an und blickte dann mit zusammengekniffenen Augen zu mir rüber.
Da erkannte ich erst so richtig ihr Gesicht und lief wahrscheinlich rot an.
Sie war richtig hübsch, also wirklich schön.
Volle Lippen, lange Wimpern, schmales Gesicht und eine kleine Stupsnase.
Einen Moment erstarrte ich, dann drehte sie sich um und ließ Tom einfach stehen.
Er kam wieder zu mir rüber.
>>Ich glaube sie mag mich nicht<<, Tom zuckte mit den Schultern und machte einen leichten Schmollmund.
>>Was hast du ihr gesagt?<<, fragte ich interessiert.
>>Hab mich ihr vorgestellt und sie willkommen geheißen. Das Einzige was sie gesagt hat war >>aha<< dann ist sie gegangen. Wenn du mich fragst, ganz schön arrogant<<
Ich musste lachen: >>Der große Tom bekommt einen Korb von einem hübschen Mädchen, wer hätte das gedacht?!<<, ich fasste ihn an die Schulter.
>>Mach dich nur lustig, sie war eh nicht mein Typ<<, mit beleidigender Miene drehte er sich Richtung Unterrichtsraum.
>>Kommst du? Bio fängt gleich an, will nicht zu spät kommen<<
>>Ja Sir Tom, Sir!<<, wieder lachte ich.
Ich schaute durch die Menge, das Mädchen ging auch in denselben Raum wie wir.
Sie setzte sich in die letzte Reihe und wir saßen zwei Reihen vor ihr.
Herr Meier kam herein und bat alle um Ruhe. Er rief das Mädchen nach vorne. Sie sollte sich kurz vorstellen.
Sie trug einen grauen Blazer, darunter ein weißes Top und eine hellblaue Jeans.
Stand ihr mega.
Sie schaute durch den Raum und sagte, mit dieser wirklich schönen Stimme: >>Hey Leute, ich bin Anna!<<, dann winkte sie und blickte zum Schluss in meine Richtung und zwinkerte mir zu.
Ach du heiliger, war das gerade real?!
Ich schaute reflexartig hinter mich, falls jemand hinter mir saß und sie ihn meinte, aber da war niemand.
Als ich mich umdrehte schien sie zu kichern und amüsiert über meine Reaktion zu sein.
Ich lief rot an und versank auf meinem Stuhl.
Was Mädchen anging, war ich eher der schüchterne, zurückhaltende Kerl.
Tom meinte ich soll mehr Initiative zeigen und angreifen, aber das war einfach nicht meine Art.
Ich beobachtete eher aus der Ferne und ließ alles auf mich zukommen.
>>Danke Anna, du kannst dich wieder setzen.
Wir machen weiter, wo wir letzte Woche aufgehört haben. Schlagt Seite 242 auf<<, sagte Herr Meier bestimmend und las vor.
Ich bekam nichts mehr mit, meine Gedanken waren voll bei Anna.
Warum hatte sie mir zugezwinkert? Vorhin hatte sie mich noch böse angeschaut.
Ich hatte keine Ahnung was hier vor sich ging.
Langsam schaute ich über die Schulter in ihre Richtung.
Grinsend schaute sich mich an.
Schnell blickte ich wieder nach vorne. Es kribbelte überall.
Junge, Junge, was war bloß los?
Ich schaute zu Tom und fragte ihn: >>Hast du das auch gesehen? Anna hat mir zugezwinkert.<<
>>Ja, Mann, hab ich bemerkt, merkwürdig oder?<<
>>Ich weiß nicht was ich davon halten soll<< erwiderte ich nervös.
Am Ende der Stunde liefen alle ganz schnell raus, um große Pause zu machen. Da trafen sich die Cliquen meist an den jeweiligen Treppen.
Wir machten uns auf den Weg zur gelben Treppe. Am Ausgang des Biounterrichtsraum stand Anna und schien auf irgendjemanden zu warten.
Ich wollte gerade an ihr vorbeigehen da hörte ich von der Seite.
>>Du bist Sam, oder?<<, sagte sie erwartungsvoll.
Schnell drehte ich mich zu ihr um, sie stand lächelnd vor mir.
>>Äh…Ja, ja der bin ich. Woher kennst du meinen Namen?<<, wollte ich wissen und klang etwas heiser.
Tom schaltete sich kurz ein: >>Sam, ich gehe schonmal vor und lasse euch etwas Privatsphäre<<, mit einem großen Lächeln im Gesicht drehte er sich um und ging weiter.
Puh, ich musste mich zusammenreißen. Sie war ja schließlich nur ein Mädchen, aber doch so ein hübsches. Ich krieg das hin!
>>Dein Kumpel ist aber von sich überzeugt, kann das sein?<<, stirnrunzelnd sah sie mich an.
>>Ja schon irgendwie, aber Tom ist ein Guter, er ist nur immer sehr neugierig<<, nervös versuchte ich nicht den Blick abzuwenden.
>>Das habe ich gemerkt<<, gab sie seufzend zurück.
Es folgte kurze Stille, eine peinliche Stille, ich stieß einfach das Erstbeste aus, was mir einfiel. >>Aaaaaalso - schönes Wetter heute oder?<<
Heiliger Strohsack, hab ich das ehrlich jetzt gefragt ? Klar ist es im Juli schön!
Ich sollte mich erschießen.
>>Über das Wetter wollte ich mich nun nicht gerade unterhalten, aber ja ist ganz schön. Nur mag ich die Hitze nicht so gerne. Bin eher der Herbsttyp<<, skeptisch schaute sie mich an.
Genau wie ich, zu warm war echt ätzend.
>>Kann ich verstehen, die Hitze liegt mir auch nicht so. Wolltest du dich über was bestimmtes unterhalten?<< , fragend schaute ich sie an.
Sie kam näher und blickte mir fragend in die Augen. >>Hmm, interessant<<, für einen Sekundenbruchteil wechselten ihre Augen die Farbe von Braun nach Goldgelb.
Ich schreckte zurück und konnte nicht glauben was ich da gesehen habe. Vielleicht doch nur Einbildung?
Sowas gab es nicht.
Stotternd versuchte ich was zu sagen: >>Was…<<, ich räusperte mich >>was war das?<<
Sie grinste: >>Was war was?<<, sagte sie dann leise.
>>Deine Augen, sie… sie waren eben leuchtend goldgelb! Wie ist das möglich?<< immer noch unter Schock stehend, stand ich verkrampft da.
Sie kam einen Schritt näher und flüsterte >>Sam, du bist besonders, vergiss das nicht!<<
Sie machte kehrt und rannte, wirklich sie rannte davon und einen Moment später stand ich alleine da.
Ich war völlig verwirrt, was zur Hölle war gerade passiert?
Immer wieder blitzte das Bild ihrer Augen auf, ich wusste nichts damit anzufangen. Sollte ich es Tom erzählen? Ich war mir ja nicht mal sicher, ob das überhaupt real war.
Sie hatte mir nicht mal eine Antwort darauf gegeben.
Nur kryptisch gesagt, ich sei was besonderes.
Merkwürdiger konnte der Tag nicht mehr werden.
Ich ging in Richtung grüne Treppe und trat hinaus ins Freie. Erschöpft stieß ich den Atem aus und versuchte mich zu sammeln. Erstmal schaue ich an der gelben Treppe bei den anderen vorbei.
Die Sonne schien kräftig. Es waren bestimmt 30 Grad. Nicht meine liebste Gradzahl.
Hätte ich mir mal lieber kurze Sachen angezogen, aber heute Morgen war es noch nicht so warm.
Mist.
Dann muss ich wohl schwitzen, was soll’s.
An der gelben Treppe angekommen traf ich auf Tom.
Er stand mit zwei anderen Jungs unserer Clique zusammen und unterhielt sich mit ihnen.
>>Hey Leute, alles klar?<<, grinsend kam ich auf sie zu.
>>Jo Sam, da bist du ja endlich. Ich bespreche gerade mit Nic und Robin, was wir an deinem Geburtstag machen. Was wollte Anna eigentlich von dir?<<, grinsend sah Tom mich an und legte den Kopf schief.
Nic meldete sich: >>Anna? Wer ist das denn? Hat unser Sammy eine neue Flamme?<<, lachend fuhr er herum, seine blonden, langen Haare fielen ihm ins Gesicht und er blickte mich so neugierig an, dass ich ernsthaft überlegte überhaupt was über sie zu sagen.
Ich warf den beiden einen bösen Blick zu: >>Jungs, schaltet mal einen Gang runter. An meinem Geburtstag hätte ich es gerne ruhig, ihr könnt vorbeikommen und wir machen es uns im Keller bei mir zuhause gemütlich. Von mir aus spielen wir auch Bierpong.
Und zu Anna kann ich nicht viel sagen, sie wollte nur wissen wie ich heiße und war dann auch schon wieder weg<<, war gar nicht gelogen, ich musste ja nicht alles erzählen, wenn ich nicht wollte.
>>Spielverderber, wir lassen uns schon was einfallen!<< Tom konnte man noch nie von was abhalten, wenn er sich was zum Ziel gesetzt hatte.
Robin sagte nach reichlicher Überlegung:
>>Ich finde wir sollten es so machen, wie Sam das gerne möchte<<, er war schon immer der Diplomat unter uns, >>Bierpong ist doch super und außerdem können wir ja auch einfach ein paar Mädchen mitbringen<<, aufgeregt und stolz schaute er durch die Runde und strich sich durch sein lockiges braunes Haar.
Ich weiß nicht ob mir die Wendung gefällt, die hier gerade stattfindet. Es ist ja nicht so, dass ich noch nie ein Mädchen mit nach Hause gebracht hätte, aber wen sollte ich da fragen?
Mein Mädchenkontakt beruhte nur auf denen, die in der Clique waren und das waren vergebene Mädchen, deren Typen dann auch mitkommen wollten.
Darauf hatte ich nun wirklich keine Lust. Irgendwann würde es platzmässig eng werden im Keller.
Gut das war schon ein größerer Partykeller, so um die 10-15 Leute hatten dort Platz, aber man wollte sich ja noch normal bewegen können, von daher.
Und die Getränke für alle musste ich auch noch besorgen, als guter Gastgeber und zum Geburtstag war das ja selbstverständlich. Deshalb wäre es schön, wenn’s nicht so viele wären, meinem Geldbeutel zu liebe.
Um mir etwas Geld dazu zu verdienen, neben meinem Taschengeld, trug ich Zeitungen aus. Ich musste zwar früh raus, um alle abzuklappern im Gebiet, aber das war es mir wert und so konnte ich mir auch eine nette Soundanlage zulegen.
Die musste getestet werden an meinem Geburtstag.
>>Robin, hab ich dir eigentlich schonmal gesagt, dass ich deine Ideen immer gut finde?<<, ich grinste ihn an und haute ihm sanft auf die Schulter.
>>Aber das mit den Mädchen müssen wir nochmal bequatschen, denn wenn Sina und Sally kommen, dann bringen die sicher ihre Kerle mit. Auf die hab ich kein Bock!<<, seufzend stieß ich den Atem aus.
Sina und Sally waren nicht die typischen Mädchen, die ständig mit den coolen Girls abhängen wollten. Sie machten eher lieber was mit uns Jungs und das heiterte sie anscheinend mehr auf, als ständig über die neuste Mode oder Schminktipps zu reden.
Bei uns Jungs war es unbeschwerter und wir machten uns nicht viel daraus, ob alles perfekt aussah, oder zusammenpasste.
>>Ich bekomme sie dazu, dass sie ihre Kerle zuhause lassen, wie wäre das?!<<, Robin strahlte über beide Ohren.
>>Na meinetwegen<<, ich gab klein bei und war dennoch erleichtert, dass es anscheinend doch nach dem Geburtstag aussah, den ich mir vorstellte.
Die Pausenglocke läutete - Zeit für Sport.
>>Tom, auf geht’s, Sport ruft!<<, aufgeregt sah ich ihn an.
>>Ich hab heute gar kein Bock auf Sport<<, seufzend verdrehte er die Augen.
>>Bis später dann Leute, die Pflicht ruft<<, er verabschiedete sich von Robin und Nic und ging mit mir in Richtung Turnhalle.
Die Jungs nickten, machten kehrt und gingen dann die gelbe Treppe rauf.
>>Hey Sam,<<, Tom stieß mich an, >>was war da genau mit Anna?<<
Er schaute grinsend über die Schulter zu mir.
Er konnte mich so leicht durchschauen. Er wusste das ich nicht alles erzählt habe.
>>Merkt man mir das immer gleich an?<<, fragte ich ertappt.
>>Nic und Robin ist bestimmt nichts aufgefallen, aber du vergisst, dass ich dich schon ewig kenne und da fällt mir sowas einfach auf.<<
Er hatte recht, immerhin kannten wir uns schon seit dem Kindergarten. Ich hab mal gelesen, solche Freundschaften halten ein Leben lang.
Ich hatte allerdings etwas Sorgen, wenn wir von der Schule abgehen und jeder seinen eigenen Weg geht, ob man sich dann noch oft sehen würde, oder man sich aus den Augen verliert.
Wahrscheinlich nur die generelle Angst vor dem Erwachsen werden - am Ende würde alles gut werden.
>>Na gut, ich kann’s ja sowieso nicht verheimlichen, aber vor den anderen beiden wollte ich es nicht sagen. <<
Ich blieb stehen und schaute mich um, ob uns jemand hören konnte, dann redete ich leise weiter: >>Eigentlich war es ein recht kurzes Gespräch, als es diese peinliche Stille gab, hab ich einfach angefangen übers Wetter zu reden. Ich wär am liebsten im Boden versunken. Aber dann kam sie auf mich zu, schaute mir in die Augen und plötzlich blitzten ihre Augen in einem Goldgelb auf. Das war richtig verrückt. Und dann ist sie gegangen.<<
Tom war verwirrt: >>Übers Wetter? Also ich glaube da muss ich dir nochmal ein paar Nachhilfestunden im Flirten geben<<, er lachte laut auf.
Ich fand das gar nicht witzig und schaute ihn böse an.
Doch dann wurde er wieder ernst: >>Aber das mit den Augen ist wirklich schräg<<, es huschte ein flüchtiges Lächeln über sein Gesicht, verschwand dann aber gleich wieder. >>Wer weiß was das zu bedeuten hat und ob es vielleicht nicht doch irgendeine Reflexion war, ich würde mir da nicht allzu viele Gedanken machen<<, Schultern zuckend begann er weiterzulaufen.
Merkwürdige Reaktion.
Ich behielt das im Hinterkopf, aber vielleicht hatte er recht und ich hatte es mir eingebildet.
>>Hmm, also auf deine Flirttipps verzichte ich lieber, will sie ja schließlich nicht verschrecken<<, ich lachte, >>Komm lass uns los, Sport fängt gleich an<<
Wir standen vor den Umkleiden und warteten auf Herr Wölfel - unseren Sportlehrer.
Aber auch kurz nach eins kam er nicht und keiner wusste was los war.
Plötzlich hörten wir Schreie von draußen. Alle blickten wild um sich und es wurde leise. Dann wieder Schreie von draußen und jemand ging zur Eingangstür der Sporthalle.
Tom stellte sich vor mich und versperrte mir die Sicht.
>>Lasst mich rein, sofort!<< Wie vom Tod verfolgt hämmerte jemand gegen die Eingangstür und wollte reingelassen werden.
Die Tür ließ sich nicht mehr nach Unterrichtsbeginn von außen öffnen. Man wollte damit ungebetene Schüler fernhalten, warum auch immer.
Jemand erkannte den Jungen und ließ ihn rein.
>>Was ist los? Wer hat da geschrien?<< Ein Mädchen war ganz aufgeregt.
Der Junge atmete ganz hektisch und versuchte zu sprechen: >>Herr Wölfel…er…ist…tot!<< Er war kreidebleich.
Was hat er da gesagt? Tot? Ein Lehrer an der Schule war tot?
Ich verstand gar nichts mehr, das konnte unmöglich wahr sein.
Mädchen schrien durcheinander und alle rückten von der Tür weg. Panik brach aus. >>Jemand muss die Polizei rufen!<<, rief ein Junge.
Tom rief: >>Jetzt wartet doch mal!<< Er ging zu dem Jungen, der angeblich Herr Wölfel gesehen haben sollte.
>>Was genau hast du gesehen? War es wirklich Herr Wölfel und war sonst noch jemand da?<< Er wirkte verdammt ruhig.
Der Junge blickte ihn entsetzt an: >>Meinst du ich denke mir das aus?! Es war Herr Wölfel, er lag direkt neben der Turnhalle. Ich…ich kam etwas zu spät, weil…das ist nicht so wichtig. Auf jeden Fall habe ich ihn gesehen. Sonst…war glaube ich keiner da, ich war zu schockiert. << Er atmete heftig aus.
Ich war zu schockiert um etwas zu sagen, stocksteif stand ich da und versuchte dem Geschehen zu folgen.
>>Alles klar, versuch dich zu beruhigen. Ich werde nachsehen und jemand ruft die Polizei.<<
Tom ging Richtung Tür, machte sie auf und wollte gerade rausgehen.
>>Warte! Du willst doch nicht wirklich rausgehen um nachzusehen? Was wenn der Mörder noch da ist und dich erwischt?!<<, platzte es aus mir raus.
Tom blieb stehen und sah mich an, ehe er was sagen konnte kamen Lehrer zur Sporthalle, darunter auch Herr Wölfel. Ich verstand die Welt nicht mehr. Der Junge ebenfalls nicht.
Als er ihn erkannte krächzte er: >>Was…das kann nicht sein, ich...<<
Es wurde ruhig und keiner sagte einen Moment was.
>>Der Unterricht ist für heute beendet, ihr dürft nach Hause gehen<<, sagte Frau Orth emotionslos und trat herein.
>>Aber der Junge meinte Herr Wölfel läge tot neben der Turnhalle. Wie ist das möglich, dass er jetzt hier steht?<<, zitternd wandte sich ein Mädchen an Frau Orth und zeigte auf den Jungen.
Diese wirkte sehr überrascht >>Wer kommt denn auf solch eine Idee, so einen Unfug zu verbreiten?!<<, mit ernster Stimme und aufgebracht fuhr sie fort: >>Sie, da, junger Mann, Sie kommen sofort mit
mir!<< Sie schnappte den Jungen am Ärmel und zog ihn mit sich.
Ich hörte ihn noch protestieren: >>Lassen Sie mich los, ich weiß was ich gesehen habe!<<
Aber das half nichts. Kurze Zeit später waren sie verschwunden.
Herr Wölfel trat zu uns herein: >>Erklärt mir jemand bitte was hier los war?!<<
>>Der Junge meinte Sie würden tot neben der Sporthalle liegen und alle sind in Panik geraten. Wir wollten gerade nachsehen, als sie alle hier angelaufen kamen<<, Tom sprach ruhig und klar.
Herr Wölfel runzelte die Stirn: >>Das ist ja unerhört, sowas einfach zu behaupten und wie Sie sehen, stehe ich lebendig vor Ihnen!<<
Er strich sich durchs Haar: >>Jedenfalls fällt der Unterricht heute aus, weil eine Lehrerkonferenz einberufen wurde. Morgen findet der Unterricht wie gewohnt wieder statt. Versuchen Sie sich zu beruhigen und den Schock zu verdauen<<, dann drehte er sich um und ging.
Wir schauten uns alle fassungslos an. Eben noch dachten wir Herr Wölfel ist nicht mehr und im nächsten Moment steht er vor uns - lebendig.
Was für eine schräge Nummer lief hier?
Ich war ganz froh das wir jetzt frei hatten, nach der Nummer hätte sich niemand mehr auf den Unterricht konzentrieren können.
Warum sollte der Junge das gesagt haben, wenn es nicht wirklich stimmen würde?
Davon hat doch niemand was, solch ein Gerücht einfach mal eben so vor 40 Schülern zu verbreiten. Panik war ja vorhersehbar.
Tom und ich gingen zum Auto. Sein schwarzer 3er BMW stach gleich hervor. Niemand sonst fuhr direkt mit 18 so einen hochgezüchteten Wagen. Na gut, vielleicht die Bonzen, aber das waren dann eher Audis oder VW‘s.
Ich war mehr so der Skoda Fan. ‘N schöner Octavia RS wäre ein Traum.
Wir hatten bisher nichts weitergesagt und gingen schweigend nebeneinander her. Mir hallten immer noch die Schreie durch den Kopf und der Gesichtsausdruck des Jungen flackerte ständig wieder auf. Ich fragte mich immer wieder, wieso er das hätte sagen sollen, wenn er nicht 100% davon überzeugt gewesen wäre.
Auch als er Herr Wölfel gesehen hatte, war er fassungslos. Da passte was nicht zusammen.
Ich nahm mir vor ihn darauf anzusprechen, wenn ich ihn das nächste mal wiedersah.
Sein Name wäre noch gut zu wissen.
>>Tom, kennst du den Namen des Jungen, der…der Herr Wölfel....gesehen haben soll?<<, fragte ich ihn unsicher.
Er schloss die Türen seines Wagens auf. >>Ben, sein Name ist Ben<<, er klang emotionslos, setzte sich ans Steuer und ich stieg auf der Beifahrerseite ein.
>>Der war ganz schön durch den Wind. Ich hatte gleich das Gefühl, er würde da was verwechseln<<, mit starrer Miene startete er den Motor und fuhr los.
So kam mir das aber nicht vor. Auf mich wirkte er Herr seiner Sinne. Natürlich stand ihm Verwirrung und Angst ins Gesicht geschrieben, aber irgendwie glaubte ich ihm. Wieso Tom nicht?
>>Warum sollte er sich das ausdenken, oder was verwechseln? Das bringt doch keinem was und so wie er reagierte nachdem er…Herr Wölfel gesehen hatte<<, angespannt schaute ich ihn an.
Seufzend antwortete er: >>Ben ist dafür bekannt, gerne mal einen zu rauchen, was er wahrscheinlich vorher getan hat, weswegen er zu spät kam. Vielleicht haben ihm seine Sinne einen Streich gespielt. Ich war nah genug an ihm dran um den Geruch wahrzunehmen. <<
Das überrumpelte mich. Wegen einem Joint denkt er, jemand ist gestorben? Hä?
Also, als ich mal an einem Joint gezogen habe, hatte ich keine Halluzinationen - was soll das für Zeug gewesen sein?
Ich ließ es darauf beruhen und versuchte die Gedanken beiseite zu schieben. Ich würde mich damit wieder befassen, wenn ich Ben in der Schule sehen werde.
Den Rest der Fahrt schwiegen wir und als er bei mir zuhause ankam, gaben wir uns kurz die Faust, verabschiedeten uns und ich stieg aus.
Ich ging Richtung Haus, wartete bis Tom weggefahren war und stand einen Moment da.
Fragend betrachtete ich das Haus. Es war groß, ein schönes Haus. Mit Garten, Garage, Balkon und Terrasse.
Hier konnte man gut aufwachsen und es fehlte einem an nichts. Zumindest wirkte es so.
So voller Liebe fürs Detail wie man vielleicht von außen betrachtet dachte, war es im Inneren nicht.
Als ich klein war, sind ständig die Verwandten vorbeigekommen. Es war immer was los und es wurde nie langweilig. Geburtstage wurden gefeiert, jeder war eingeladen und jeder kam auch - immer. Wenn ich zurückblicke würde ich meine Kindheit als schön bezeichnen und dass ich ein glückliches Kind war.
Mit den Jahren wurde es allerdings weniger mit dem Zusammenkommen. Geburtstage wurden nicht mehr gefeiert, man traf sich nicht mehr und als meine Oma gestorben war, brach auch der Kontakt zu meinem Opa ab.
Als Kind oder Teenager macht man sich da nicht wirklich Gedanken drum und empfindet das als normal, weil man es einfach nicht hinterfragt.
Aber jetzt, da fragt man sich schon langsam, was der Grund für alles gewesen ist.
Warum schlief das alles ein? War das ein natürlicher Vorgang in Familien?
Jeder lebte sein eigenes Leben und auch meine Cousin und Cousinen waren lieber für sich.
Auch mein Vater und meine Mutter stritten sich nur noch. Egal um was, auch wenn es Kleinigkeiten waren, ging gleich die Hölle los.
Sie versuchten es vor mir zu verbergen, aber man weiß gar nicht was die Kinder alles wahrnehmen, auch wenn sie nichts direkt dazu sagen.
Also, flüchtete mein Vater in seinen Verein. Eine Gruppe Männer die eine Art Jugendherberge verwalteten, um so ihrem Alltag zu entfliehen. Ich denke, alle waren nicht ganz zufrieden mit ihrem Leben.
Abends wurde dann zusammen das ein oder andere Bier verdrückt.
Klar, dass er dann häufig, oder eher fast immer, betrunken nach Hause kam und ich alles mit ansehen durfte.
Einmal platzte er in mein Zimmer rein, als ich mit Tom gerade Need for Speed gespielt habe und lallte uns nur mit irgendeinem Quatsch voll.
Mir was da so unangenehm und am liebsten würde ich diese Erinnerung aus meinem Gedächtnis löschen. Tom sagte damals nichts, aber ich wusste, er fand das mehr als schräg.
Vielleicht hatte ich dadurch ein besseres Verständnis was Alkohol anging und ließ mich nicht ständig volllaufen, wenn ich die Gelegenheit dazu hatte.
Ich konnte noch nicht nach Hause gehen. Mum war zuhause, sie war selbstständig und arbeitete von zu Hause aus.
Erstens dürfte ich mir anhören, warum ich früher nach Hause komme und wer weiß, vielleicht hat die Schule auch schon angerufen und alle informiert, was vorgefallen war.
Wenn dem so wäre, hätte sie mich aber wahrscheinlich schon angerufen oder eine WhatsApp geschickt, nehme ich an.
Vielleicht aber auch nicht.
Ich riss mich aus meinen Gedanken und lief die Straße runter.
Die Mittagssonne brutzelte gut und ich war wieder kurz davor mir doch noch andere Sachen anzuziehen. Verwarf den Gedanken aber gleich wieder und lief weiter.
Auf der linken Seite erschien die Weide, auf der meistens Pferde untergebracht waren.
Heute waren sie nicht da, vielleicht wurden sie gerade ausgeführt.
Ich ging weiter dran vorbei, mir kam ein Mann mit seinem Hund entgegen. Hier gingen viele Leute mit ihren Hunden spazieren, weil dieser Weg direkt ins Feld führt und man dort seine Ruhe hatte und wenig Autoverkehr war.
Genau hier wollte ich sein.
Ich brauchte meine Ruhe und musste meine Gedanken wieder sortieren.
An diesem Tag ist einiges passiert, was man nicht endgültig erklären konnte.
Ich lief unter einer Brücke hindurch, aber statt rechts abzubiegen, um den Hauptweg zu laufen, ging ich links und steuerte direkt auf das Feld zu, in der Hoffnung niemandem zu begegnen.
Am Ende des Pfades war eine kleine Lichtung. Ein kleiner Bach durchlief das Tal. Er war noch nicht ganz ausgetrocknet, trotz der ständigen Hitze.
Ich setzte mich auf einen umgefallenen Baum, rings herum wuchsen einige Büsche, die mich etwas abschirmten. Erleichtert ließ ich meine Gedanken schweifen.
Als erstes ging mir Ben durch den Kopf, die ganze Szene in der Turnhalle.
Wie er kreidebleich da stand und völlig überfordert mit der Situation war. Dann, dass Herr Wölfel einfach doch lebend dastand.
Wie es Ben wohl gehen musste in dem Moment, er hatte jedenfalls mein Mitgefühl, auch wenn sich die Situation am Ende doch als gut herausgestellt hatte.
Warum war Tom so ruhig? Wusste er von Anfang an, dass Ben sich das nur eingebildet haben soll? Es war schließlich nur seine Theorie und ich stand zu weit weg, um irgendwas an Geruch aufzunehmen oder ähnliches.
Ich glaube, da konnte ich mir noch zehn weitere Stunden das Hirn zermartern und würde keine Befriedigung finden, weil ich es erst mit Ben klären musste.
Sowas konnte einen schon wirklich fertig machen.
Ich stieß angespannt den Atem aus.
Dann fing ich an über Anna nachzudenken. Da kamen ganz andere Gefühle in mir vor. Viel, viel bessere!
Wenn ich sie mir so vorstelle, da konnte man schon dahinschmelzen.
Ihr braunes langes Haar, ihr süßes Lächeln und ihre Erscheinung machten mich fertig.
Da kamen wieder kleine Zweifel auf. Wieso sollte sich so ein hübsches Mädchen für mich interessieren?
Gut ich war nicht hässlich, aber sie spielte in einer anderen Liga.
Nein, nein, sowas wird nicht gedacht - gleich weg damit!
Ich sagte mir das noch drei Mal und es schien langsam zu funktionieren.
Ein Hoch auf das Internet - so ein paar Tipps waren dann doch hilfreich.
Zwar bestand der Rest zu 90% aus Mist, aber 10% reichen für gute Dinge.
Ich legte mich auf den Baumstamm und schloss die Augen. Ich ließ das Gespräch und die erste Begegnung mit Anna Revue passieren.
Was war mir entgangen? Jetzt wurde mir klar was für eine üppige Oberweite sie hat. Oha, das machte sie gleich noch interessanter.
Aber das war nicht das, was ich eigentlich meinte.
Ihre Augen, sie wurden kurz goldgelb, das konnte ich mir nicht eingebildet haben. Vorallem waren wir drinnen, da gab es keine Theorie mit der Sonne oder irgendeinem Spiegel.
Da war ganz normales Tageslicht und die Lampen in dem Flur.
Weit und breit kein Spiegel, keine Kamera oder ähnliches.
Es musste wirklich so passiert sein.
Sie hatte es auch nicht direkt abgestritten, allerdings auch nicht zugegeben.
Hmm.
Irgendwas hatte das zu bedeuten, ich musste nur herausfinden was.
Ich nahm ein Rascheln wahr. Aufgeregt öffnete ich die Augen und schaute mich um.
Nichts.
Wieder das Rascheln, hinter mir.
Ich wirbelte herum.
Nichts.
Plötzlich schoss eine schwarze Masse auf mich zu, zu schnell um es zu identifizieren.
Es riss mich zu Boden und ich sah nur diese goldgelben Augen über mir.
Ich war so starr vor Angst, ich versuchte nicht zu atmen.
Das Ding schaute mich an. Erkennen konnte ich nur die goldgelben Augen, alles andere war wie verschwommen.
Egal, wie sehr ich mich konzentrierte, es blieb verschwommen, außer die Augen.
Ich versuchte etwas zu sagen, aber aus meinem Mund kamen keine Worte, nichts.
Mir wurde ganz mulmig, ich konnte mich nicht bewegen.
Doch irgendwie kam es mir vertraut vor.
Da brach ein wildes Knurren aus dem Ding hervor und wurde zu einem Jaulen.
Es war ohrenbetäubend.
Dann riss es das Maul auf, was bis eben noch nicht da gewesen war und fletschte die Zähne.
Ich erschrak so heftig, dass ich vom Baumstamm fiel und auf dem Boden aufschlug.
Es brauchte einen Moment um mich zu sammeln.
Da wurde mir klar, ich hatte geträumt. Ach du Schande, ich war wirklich eingeschlafen und hatte das alles geträumt.
Du Heiliger, was wollte mir mein Unterbewusstsein mitteilen?!
Wie spät war es?
Ich schaute aufs Handy - 17 Uhr !
Ich hatte fast ganze 2,5 std geschlafen. Mum wird ausflippen, wenn sie nicht schon die Polizei gerufen hatte.
In der Hinsicht musste sie immer übertreiben.
Ich schaute mich nochmal um, nichts Auffälliges.
Mein Puls normalisierte sich wieder und ich stand auf.
Ich machte mich schnellen Schrittes auf den Heimweg.
Vorbei an der Weide und die Straße hinauflaufend, sah ich unser Haus.
Dad war zu Hause, der weiße VW GTI stand vor der Garage.
Mist, da konnte ich mir auch wieder was anhören.
Leise schloss ich die Tür auf und trat ein.
>>Hi Mum, hi Dad, bin wieder da!<<, rief ich euphorisch durchs Haus.
>>Sammy wo warst du so lange? Die Schule ist seit 15 Uhr zu Ende!<<, sie sprach mit ernster Stimme.
>>Hab die Zeit vergessen und war mit Tom noch ‘ne Runde Auto fahren<<, sagte ich so überzeugend ich konnte.
Schnell kam sie angelaufen und packte ihre Handtasche: >>Du hättest wenigstens Bescheid sagen können.
Jetzt ist das Essen kalt und ich muss deinen Vater noch zum Verein fahren. Du weißt doch, dass dann jemand auf die Katzen aufpassen muss!<<, wütend schaute sie mich an.
>>Ich weiß Mum, tut mir leid.<< Keine Ahnung, warum man die Katzen hüten sollte, die liefen eh den ganzen Tag draußen rum.
Seufzend schlenderte ich an ihr vorbei in die Küche und schaute in den Kühlschrank.
Ich nahm die Dosen mit dem Rest Hackbraten und den Kartoffeln raus. Legte alles auf einen Teller und stellte es in die Mikrowelle.
Währenddessen holte ich mir ein Glas aus dem Schrank und schenkte mir Wasser ein.
Das Glas leerte ich in einem Zug. Ich war halb am Verdursten.
Ping. Mikrowelle fertig.
Kurz vorm Verhungern schlurfte ich an den Esstisch und ließ es mir schmecken.
>>Wir sind dann weg Sammy, bis später!<<, rief sie vom Flur aus und ehe ich was erwidern konnte knallte die Tür auch schon zu.
Ja, so war das. Kein Hallo von Dad und meine Mum kühl wie eh und je.
Wenigstens schmeckte das Essen.
Nicht immer gelang es meiner Mum, was Gescheites auf den Tisch zu bekommen. Entweder war zu viel Salz dran oder sie kochte gar nicht und wir bestellten wieder was.
Während dem Essen scrollte ich am Handy ein wenig durch die sozialen Medien.
Foodblogger hier, Fitnessinfluencer dort und dann noch die Beauty-Queens - wo sollte das nur hinführen?
Dann entdeckte ich eine ungelesene Nachricht.
anna_ju_98 möchte dir eine Nachricht senden.
Ich öffnete die Nachricht.
>>Hey Sam, hier ist Anna, ich habe das in der Turnhalle mitbekommen. Geht’s dir gut?<<, schrieb sie.
Ich wurde ganz nervös, damit hatte ich nicht gerechnet. Woher wusste sie, wie ich bei Insta heiße? Was sollte ich schreiben? Die Wahrheit oder auf cool tun?
>>Hey Anna, ich bin überrascht, dass du mir schreibst. Das in der Turnhalle war mega schräg, ich weiß. Keine Ahnung was ich davon halten soll?<< Ich blieb bei der Wahrheit.
>>Ich dachte, ich bereite dir mal eine Freude! Schräg trifft es nicht annähernd, das Ganze klingt eher absurd oder übernatürlich.
Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist. Gehst du morgen wieder zur Schule?<<, antwortete sie.
Übernatürlich? Wie meint sie das denn?
>>Ich muss zugeben, eine Freude ist das wirklich!
Was meinst du mit übernatürlich? Sowas wie Geister?! Ich bin nicht so leicht klein zu kriegen. Morgen bin ich wieder in der Schule, ja. Sehen wir uns in Bio?<<, mein Herz raste.
>>Ach Sammy, Geister gibt es nicht! Vielleicht erklär ich es dir mal unter vier Augen. So zu schreiben kommt das falsch rüber.
Wir sehen uns in Bio, ja, ich freue mich.
Ich werde mich dann mal an die Hausaufgaben machen. Hab noch einen schönen Abend,
Sammy!<<, schrieb sie.