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Wer kennt sie nicht: die verdächtigen Gerüche aus der Gerüchteküche? Sie umgeben uns neuen Tag aufs Neue, und so manches Mal schnuppern wir ganz gerne an ihnen. Wir wissen es seit langem: Leichte Straftaten werden nicht von der Polizei geahndet, sondern von unseren ehrenwerten Mitbürgern, denen das Gemeinwohl der Gesellschaft so am Herzen liegt. In Anlehnung an ihre bereits in 4 Büchern mit Kriminalgeschichten bewiesene kriminelle Laufbahn begibt sich die Autorin Liesel Albers hier erneut auf sehr undurchsichtiges Terrain. Mit trockenem Humor und einer frischen Brise von frechem Charme und entlarvender (Selbst-) Ironie ließ sie ihrer ungebremsten Fantasie wieder freien Lauf Am Ende jeder Kurzgeschichte wird der Fall zwar gelöst, aber nicht unbedingt restlos aufgeklärt, denn irgendwo und irgendwie gibt es fast immer noch einen Haken, der auch weiterhin unter strengster Beobachtung bleiben muss. Getreu dem Motto: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
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Seitenzahl: 148
Veröffentlichungsjahr: 2020
„Bücher sind eine Form
von Unsterblichkeit.
Die Worte von Menschen,
deren Körper längst Staub sind,
leben in ihren Büchern weiter.“
Wilfred Peterson
Die Kämpfernatur …
Rückkehr nach Axenborn …
Keine Haftung für Wertgegenstände …
Ein totales Missverständnis …
Seniorin in großer Gefahr …
Friseurbesuch mit ungeahnten Folgen…
Spurlos verschwunden …
Geheimnis auf dem Waldfriedhof …
Herbe Enttäuschung …
Garantiert Rotlichtmilieu…
Die Autorin …
„Ich werde den Kampf wieder aufnehmen! Koste es, was es wolle. Inzwischen ist mir klar geworden, dass es restlos falsch war, so schnell aufzugeben. Das passiert mir nicht noch einmal. Jetzt ziehe ich die Sache durch. Bis zum bitteren Ende!“
Unfreiwillig wurde Grete Zeugin eines Gesprächs, das am Nachbartisch geführt wurde. Bislang waren ihr die beiden Frauen noch nie hier im Café FORTUNA begegnet. Die Person, die von ihrem Vorhaben berichtete, kam ihr jedoch bekannt vor. Sie war sich beinahe sicher, dass es sich um die Kassiererin im Supermarkt PRÜHDELL handelte. Gelegentlich kaufte Grete dort ein. Als Stammkundin konnte sie sich allerdings nicht bezeichnen. Verlockend jedoch klangen immer wieder die außergewöhnlichen Angebote des Discounters. Ihre Schwester Elly war stets gut im Bilde und informierte sie fortwährend über so genannte „Schnäppchen“.
Grete, die im Freundeskreis auch Maggy genannt wurde, war bereits nach kurzer Zeit davon überzeugt, dass es sich bei der Dame, die den Kampf – gegen wen auch immer – zweifelsohne um Frau Hoppick handelte. Für gewöhnlich saß sie kontinuierlich an der Kasse Nummer 3. Klein, stark untersetzt, Brillenträgerin. Eine ausgeglichene Person, die selbst in Sondersituationen noch die Ruhe behielt. Durch lange Warteschlangen und unverschämte Äußerungen der Kunden, die es wieder einmal besonders eilig hatten, ließ sie sich nicht beirren. Sie verrichtete ihre Arbeit gewissenhaft und ganz offensichtlich mit großem Engagement.
Was mochte Frau Hoppick mit dem Satz: „Ich werde den Kampf wieder aufnehmen, koste es, was es wolle“, gemeint haben? Möglicherweise konnte Elly da weiterhelfen. Schließlich war sie diejenige, die beinahe täglich in dem Supermarkt aufschlug. Hin und wieder ging sie am Vor- und Nachmittag in diesen Laden mit dem Argument: „Ich hole mir ausschließlich frische Waren ins Haus.“ Maggy jedoch hielt den Spruch für eine fadenscheinige Ausrede. Der wahre Grund war wohl eher der, einen kleinen Plausch mit irgendwelchen Kunden zu halten.
Nach ihrem Aufenthalt im Café setzte sie sich ins Auto und fuhr schnurstracks zur Grafthoffstraße. Sie konnte nur hoffen, dass Elly auch zuhause war. Es brannte ihr auf den Nägeln, Näheres über die Kassiererin zu erfahren.
Glück ist ein seltener Blitzschlag! Ausnahmsweise hielt sie sich in ihren eigenen vier Wänden auf und öffnete die Tür. Es war nicht gerade ein freudiger Empfang, als Elly leicht pikiert die Frage stellte: „Was machst du denn hier? Ich habe deinen Wagen doch noch vor einer Stunde vor dem FORTUNA gesehen. Mit wem hast du dich getroffen?“
Kurz und bündig berichtete Maggy, dass sie dort ohne jegliche Begleitung gewesen sei, um einfach mal abzuschalten. „Allerdings ist mir das nicht gelungen“, fügte sie hinzu. „Am Nachbartisch saßen zwei Frauen – Freundinnen wahrscheinlich – die offensichtlich ein großes Problem hatten. Das heißt, nur die eine Person schien von der Misere betroffen zu sein, während die andere kommentarlos zuhörte. Die unglückselige Dame sprach von einem Kampf, den sie wieder aufnehmen will. Sie habe zu schnell aufgegeben und will die Sache jetzt bis zum bitteren Ende durchziehen. Klingt interessant, oder?“ Elly zuckte mit den Schultern. „Dem zusammenhanglosen Satz einer mir unbekannten Frau kann ich wahrlich nichts abgewinnen“, antwortete sie. Grete schmunzelte. Erst jetzt ließ sie die Katze aus dem Sack. „Bei der vermeintlich Unbekannten handelt es sich allen Ernstes um die Kassiererin Hoppick.“ In atemloser Spannung wartete Grete auf die Reaktion ihrer Schwester. Elly jedoch winkte ab. „Ach, die alte Leier! Der Sachverhalt ist mir hinreichend bekannt. Mit Sicherheit dreht es sich mal wieder um das Dilemma mit ihrer Schwiegermutter. Frau Hoppick senior scheint eine Landplage zu sein. Seit Jahren kämpft die Kassiererin darum, dass die unangenehme Zeitgenossin sich endlich ein eigenes Zuhause sucht. Der Haudegen lebt bereits seit längerer Zeit gemeinsam mit ihrem Sohn und der Schwiegertochter in einer Wohnung. Das war zumindest der Stand der Dinge, als ich mich vor etwa einem halben Jahr kurz privat mit ihr unterhielt. Dann hat Rosi es ja wohl noch immer nicht geschafft, den Dragoner loszuwerden. Wäre auch für mich ganz interessant, mal wieder Näheres über das Schwiegermutter-Drama zu erfahren. Mir ist bekannt, dass Rosi Hoppick an jedem Freitag ihren Dienst von 7.00 Uhr bis um 12.00 Uhr versieht. Eventuell lässt es sich einrichten, dass ich zur rechten Zeit am richtigen Ort bin.“
Grete war total verblüfft, dass ihre Schwester mit soviel Hintergrundwissen aufwarten konnte. Sie kannte nicht nur den Vornamen der Kassiererin, sondern auch ihre Arbeitszeiten. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet.
Ellys Entschluss stand fest! Am kommenden Freitag würde sie den Personaleingang des Discounters PRÜHDELL ins Visier nehmen. Nur wenige Meter entfernt befand sich ein Blumengeschäft. Von dort aus hatte die Voyeurin problemlos die Möglichkeit, das Kommen und Gehen der Angestellten zu überwachen. Inzwischen hatte sie sich allerdings genötigt gefühlt, ein kleines buntes Bukett in der BLUMENINSEL zu kaufen. Immerhin hielt sie sich bereits seit knapp 15 Minuten in dem Geschäft auf, bevor sie endlich Frau Hoppick entdeckte. Mit großen Schritten steuerte Elly auf sie zu. „Wie schön, dass ich Sie hier treffe. Das ist aber eine totale Überraschung, mit der ich im Traum nicht gerechnet habe“, lautete ihre Begrüßung. „Mir fiel erst am heutigen Morgen auf, dass ich bereits seit einer Woche keinen Blumenschmuck auf dem Esszimmertisch habe. Aufgrund dessen holte ich mir auf die Schnelle noch eben diesen kleinen Strauß. Viel wichtiger allerdings ist mir die Frage nach Ihrem derzeitigen Wohlbefinden, liebe Frau Hoppick. Sicherlich leiden Sie noch immer unter den häuslichen Problemen. Ihre Schwiegermutter hat gewiss weiterhin das Zepter in der Hand. Für alle Beteiligten wäre es doch tatsächlich besser, die Seniorin würde sich endlich eine neue Bleibe suchen.“
Der Kassiererin huschte ein freudiges Lächeln über das Gesicht, als sie antwortete: „Ach, die Sache mit der alten Dame hat sich inzwischen längst in Luft aufgelöst. Sie hat sich von uns verabschiedet. Für immer!“
Ellys dunklen Gedanken kreisten bereits um das plötzliche Ableben der alten Frau, während Rosi ganz euphorisch von einem so genannten Volltreffer berichtete: „Anni hat ihren damaligen Klassenkameraden Hans-Hermann hier im Zentralpark wiedergetroffen. Er ist Witwer und besitzt ein Traumhaus auf den Malediven, wie sie uns erzählte. Bereits nach dem ersten Gespräch mit ihm war sie FEUER und FLAMME. Anni konnte ihr Glück kaum fassen, als er sie darum bat, sogleich ihre Koffer zu packen. Bedenkenlos ging sie auf seinen Vorschlag ein. Gemeinsam mit Hans-Hermann hat sie sich jetzt für die schönsten Jahre ihres Lebens – wie sie es nannte – in dem traumhaften Tropenparadies niedergelassen. ´Für immer und ewig`, lauteten ihre Abschiedsworte. Das war vor exakt drei Monaten. Bislang haben wir nur eine MAIL von ihr erhalten mit dem Text: ICH BIN FROH, DASS ICH DEM HAUS AN DER GRÜNALLEE NUMMER 14 DEN RÜCKEN GEKEHRT HABE. MEINE ENTSCHEIDUNG WAR GOLDRICHTIG. DAS TÄGLICHE FIASKO WAR UNERTRÄGLICH!
Im Moment waren mein Mann und ich zutiefst verletzt. Hatte meine Schwiegermutter doch gezielt unsere Adresse genannt, um uns höchst persönlich zu beleidigen. Inzwischen jedoch haben wir den Schock überwunden. Möge die Querulantin ihre ewige Ruhe finden auf den Malediven! Jetzt muss ich mich allerdings dafür entschuldigen, dass ich Sie so lange aufgehalten habe. Aber das Gespräch hat mir so richtig gut getan.“
Elly war entsetzt, als sie zur Uhr schaute. Mehr als eine halbe Stunde lang hatte Rosi Hoppick von ihren privaten Problemen berichtet. Sie musste sich verdammt beeilen, denn immerhin hatte sie sich mit ihrer Schwester zum Mittagessen verabredet. Maggy stand bereits wild gestikulierend vor der Pizzeria und bombardierte sie sogleich mit Fragen. „Bitte, Elly, rück sofort raus mit der Sprache. Hast du die Kassiererin Hoppick erwischt? Was sagte sie? In welcher Form will sie den Kampf gegen ihre Schwiegermutter aufnehmen? Hat sie Details genannt? Ich bin maßlos gespannt auf die Praktiken, die sie anwenden will.“
„Meine liebe Grete, ich habe Hunger. Mein Vorschlag ist der, dass wir erst einmal Platz nehmen und das Essen bestellen. Außerdem muss ich dich enttäuschen.“ Mit zerknirschter Miene berichtete Elly davon, dass die Seniorin bereits vor drei Monaten freiwillig ihren Sohn und die Schwiegertochter verließ. Sie tauschte ihren langjährigen Wohnsitz gegen ein Traumhaus auf den Malediven. Diese Tatsache ist ein Indiz dafür, dass die Sätze, die du im Café FORTUNA aufgeschnappt hast, nicht in Verbindung zu bringen sind mit dem Zoff, der einstmals im Hause Hoppick herrschte.“
„Dann frage ich mich nach dem tatsächlichen Sinn ihrer Sätze, die sie doch erst am vergangenen Dienstag von sich gab. Ich habe den kompletten Text noch heute in den Ohren und kann ihn dir mühelos wiedergeben. Wortwörtlich sagte sie: Ich werde den Kampf …“
„Entschuldige, dass ich dich unterbreche, Grete, aber es reicht! Ich bin mir sicher, dass es dir nicht schwergefallen ist, den gesamten Text zu speichern. Aber hier setzen wir jetzt endgültig den Schlusspunkt. Mit unserer Vermutung sind wir auf der Strecke geblieben und müssen uns das Missgeschick eingestehen.“
Maggy jedoch hatte da plötzlich einen ganz neuen Verdacht. Die Äußerung der Kassiererin könnte sich auch auf eine schwere Krankheit beziehen, der sie den Kampf erneut ansagen will. Das könnte doch eventuell der richtige Ansatz sein, ließ sie ihre Schwester wissen.
Elly schüttelte nur noch mit dem Kopf. „Von Verdächtigungen und falschen Rückschlüssen habe ich die Nase voll. Mir reicht es, ich steige aus!“
Seit Tagen hatte Grete sich bewusst nicht mehr bei ihr gemeldet. Der Grund dafür lag klar auf der Hand. Sie war wütend auf ihre Mitstreiterin, die plötzlich die Flinte ins Korn werfen wollte. Elly konnte schlicht und einfach mit Niederlagen nicht umgehen.
Maggy hoffte auf den Zufall, ihrer Schwester am Donnerstag im Supermarkt PRÜHDELL zu begegnen. Die Beilage in der Tageszeitung klang verheißungsvoll. Elly würde zu den Ersten gehören, die den Discounter ansteuerten. Frisches Obst, frisches Gemüse, frischer Käse am Stück – alles zu unglaublich günstigen Preisen. Die Parkplätze im vorderen Bereich des Lebensmittelmarktes waren bereits stark frequentiert, obwohl der Laden erst vor einer halben Stunde seine Türen geöffnet hatte. Von Einkaufsfreude konnte hier nicht mehr die Rede sein. Die Kunden hasteten durch die Gänge, als seien sie auf der Flucht. Maggy hatte nur noch den Wunsch, umgehend wieder nach Hause fahren zu können. Mit ihren vier Käsestücken im Einkaufswagen kämpfte sie sich bis zur Kasse 3 vor. Frau Hoppick, die Kassiererin, glich einem wahrlich bedauernswerten Geschöpf. Aschfahl, zitternde Hände und die zusammengepressten Lippen waren ein Indiz dafür, dass es ihr gesundheitlich schlecht ging. Ganz offensichtlich war sie krank! Sehr krank! Grete war sich sicher, dass sie mit ihrer Vermutung voll ins Schwarze getroffen hatte. Die Sätze: „Ich werde den Kampf wieder aufnehmen! Koste es, was es wolle. Inzwischen ist mir klar geworden, dass es restlos falsch war, so schnell aufzugeben …“ passten doch wie die Faust aufs Auge. Ja, sie würde noch am heutigen Abend mit ihrer Schwester telefonieren, um Elly von ihrer ernst zu nehmenden Beobachtung in Kenntnis zu setzen. Immerhin kannten die beiden sich inzwischen so gut, dass Rosi Hoppick ihr sogar die internsten Familienprobleme anvertraut hatte.
Sie war natürlich – wie üblich – auf dem Festnetz nicht zu erreichen. Aber zum Glück war der Anrufbeantworter eingeschaltet. Kurz und knapp berichtete sie von dem abenteuerlichen Einkaufserlebnis bei PRÜHDELL und ihrer Feststellung, dass Rosi Hoppick schwer erkrankt sei. Der Rückruf ließ nicht lange auf sich warten. Nur wenige Minuten später meldete Elly sich persönlich mit den Sätzen: „Ist dir das auch aufgefallen?“, fragte sie. „Ich meine damit das elende Aussehen der Frau Hoppick. Das war ja furchterregend. Warst du denn heute auch dort im Supermarkt? Die Preise der Sonderangebote klangen ja echt verlockend.“
Glücklicherweise machte Elly eine kurze Atempause, so dass auch Grete endlich einmal zu Wort kam. „Ja, die Preise waren verlockend, der Ansturm auf die Angebote gigantisch und das Erscheinungsbild der Mitarbeiterin an der Kasse schlicht und einfach zum Erbarmen. Ich habe dir ja gleich gesagt, dass diese Rosi wahrscheinlich schwer erkrankt ist. Wir müssen sie unbedingt weiterhin im Blick behalten. Ich setze meine große Hoffnung darauf, dass du mir dabei hilfst. Rosi scheint vom Pech verfolgt zu sein. Erst das Dilemma mit der Schwiegermutter Anni und jetzt auch noch ihre Krankheit. Rosi ist wirklich nicht zu beneiden.“
Die Entscheidung, sich erneut auf Glatteis zu begeben, fiel Elly nicht leicht. Nach kurzem Zögern willigte sie schließlich ein. In dieser extremen Ausnahmesituation musste sie ihrer Schwester selbstverständlich zur Seite stehen.
Einen Monat lang wechselten die Schwestern sich mit ihren Einkäufen bei PRÜHDELL ab. Die erste Wochenhälfte übernahm Maggy, in der zweiten Wochenhälfte hatte Elly die Aufgabe, die Kassiererin peinlich genau unter die Lupe zu nehmen. Das Ergebnis ihrer Beobachtungen klang übereinstimmend. Die Gesichtsform der „Pausbäckigen“ – wie Grete und Elly sie scherzhaft nannten – wirkte verändert. Die runden, rötlich gefärbten Wangen waren beinahe ganz verschwunden. Außerdem war ihr zwischenzeitlich auch die Arbeitskluft – ein roter Kittel – viel zu weit geworden. „Ich habe da so meinen Vermutung“, sagte Elly. „Früher hat wahrscheinlich immer die Schwiegermutter gekocht. Seitdem die alte Dame namens Anni den Haushalt verlassen hat, kommt kein vernünftiges Essen mehr auf den Tisch. Vielleicht liegt da der Knackpunkt. Auffällig ist allerdings auch, dass Rosi Hoppick während ihrer Dienstzeit jetzt ständig zur Flasche greift, die unmittelbar neben ihrer Kasse steht.“ Mit weit aufgerissenen Augen starrte Grete ihre Schwester an. Während ihre Fantasien um Alkohol kreisten, war nur ein herkömmliches Mineralwasser gemeint. Typisch Grete. Sie hatte schon immer einen Hang dazu, unwichtige Dinge gleich hochzuspielen. Jedoch mit der Feststellung, dass sich bei der Kassiererin seit Neuestem auch extrem viele Falten auf der Stirn breit gemacht hatten, ging Elly konform.
Der Monat September war beinahe vorüber, die beiden Spioninnen waren fast am Ende mit ihrem Latein. Zumindest die ältere Schwester glaubte schon selber nicht mehr daran, das Rätsel endgültig lösen zu können. Wir können nur noch auf einen glücklichen Zufall hoffen“, war Ellys Meinung. „Ist nicht notwendig“, konterte Maggy. „Seit wenigen Minuten steht meine klare Diagnose fest. Sie lautet: Bei der Krankheit der Kassiererin handelt es sich um eine so genannte Anorexie“, gab Grete bedenkenlos zum Besten. „Deinem merkwürdigen Gesichtsausdruck allerdings kann ich entnehmen, dass du gar nicht weißt, was damit gemeint ist. Im Volksmund wird die Krankheit als so genannte Magersucht bezeichnet. Mit deiner Allgemeinbildung steht es wahrlich nicht zum Besten. Aber im Prinzip ist diese Tatsache auch unwichtig. Vorrangig ist unser gemeinsames Projekt der ERSTEN HILFE, die wir der Frau Hoppick anbieten werden.“
Elly sah ROT. Die unverschämte Beleidigung ihrer Schwester hatte sie hart getroffen.
„Mein Vorschlag ist der, dass du dich – rein zufällig – noch einmal mit der Frau triffst. Am kommenden Freitag zum Beispiel wieder um 12.00 Uhr vor dem Personaleingang ihrer Arbeitsstelle. Mit Sicherheit wird sie dann erneut freimütig über ihre derzeitige Situation berichten. Du kannst sie doch schlicht und einfach auf ihre Magersucht ansprechen. Ich bin selbstverständlich bereit, dich zu begleiten.“ „Mich begleiten? Das fehlt gerade noch. Wollen wir uns lächerlich machen, indem wir Rosi Hoppick gleich im Doppelpack ins Verhör nehmen?“, blaffte Elly ihre Schwester an.
Hier handelte es sich wieder einmal um ein totales Missverständnis zwischen den beiden. Gretes Vorschlag bezüglich der so genannten Begleitung bezog sich ausschließlich darauf, dass sie sich in der Nähe ihrer Schwester aufhalten wollte. Zum Schutz sozusagen und vollkommen uneigennützig, wie sie behauptete. „Meine Idee ist die, dass ich vor dem Schaufenster der BLUMENINSEL Posten beziehe, während du mit Rosi das Gespräch führst“, erklärte sie. Mit den Sätzen: „Deine Sensationslust ist scheinbar so stark ausgeprägt, dass du sie selber nicht unter Kontrolle hast und nicht steuern kannst. Um jeglichen Streit aus dem Wege zu gehen, gebe ich mich geschlagen. Es ist in Ordnung, dass du mich unterstützend begleitest.“ Ohne ein Wort zu sagen, schlenderten sie gemeinsam in Richtung des Lebensmittelmarktes PRÜHDELL. Elly war die Erste, die den auffälligen PKW erblickte. „Höchst interessant“, murmelte sie. Ein roter Opel ASTRA parkte unmittelbar vor dem Personaleingang des Discounters.
In bunten Regenbogenfarben prangte unter der Heckscheibe folgender Werbeslogan:
DER KAMPF BEGINNT / DIE PFUNDE PURZELN / WIR PACKEN DIE URSACHE GLEICH BEI DEN WURZELN.
An der Beifahrertür des Wagens waren die markanten, überdimensionalen honiggelben Lettern ganz einfach nicht zu übersehen. Sie gaben den Namen des Wundermittels preis:
G E - WI - REDU / TESTSIEGER DES JAHRES! GEWICHTSREDUZIERUNG INNERHALB KÜRZESTER ZEIT!
UNSERE KOMPETENZ IST IHR GEWINN!
Die Dame, die hinter dem Lenkrad des auffälligen Fahrzeugs saß, schien auf jemanden zu warten. Sie starrte unentwegt auf die graue Stahltür mit der Aufschrift: PERSONAL, die sich auf der Rückseite des Lebensmittelmarktes befand.
Elly bemühte sich, Diskretion zu wahren und setzte sich auf die grün karierte Gartenbank, die der BLUMENINSEL als Ausstellungsstück diente. Ihre Schwester schien sich abgesetzt zu haben. Aus unerklärlichen Gründen war Grete plötzlich von der Bildfläche verschwunden. Möglicherweise war sie bei POMMY eingekehrt – einem Imbiss, der nur wenige hundert Meter weit entfernt seinen Standplatz hatte. Hochkonzentriert blickte Elly weiterhin auf den imposanten Wagen, als um Punkt 12.00 Uhr Frau Hoppick in Erscheinung trat. Sie hatte ihren Dienst beendet und winkte fröhlich der wartenden Person im ASTRA zu. Nach einer herzlichen Begrüßung nahm Rosi die große braune Papiertasche entgegen, bedankte sich für das segensreiche Produkt – wie sie es nannte – und trat den Heimweg an.
Die Tatsache, dass die Kassiererin etliches an Gewicht verloren hatte, war nun endlich kein Geheimnis mehr. Weder die fehlende Hausmannskost, die ihre Schwiegermutter möglicherweise einst zubereitet hatte, noch eine schwere Krankheit waren die Ursache. Sie hatte sich schlicht und einfach erneut zu einer Diät aufgerafft.
Elly hatte genug gesehen und gehört. Es reichte! Total enttäuscht und voller Frust verharrte sie noch immer auf der Designer-Bank vor dem Blumengeschäft. Gedankenverloren starrte sie vor sich hin, als sie urplötzlich die Stimme ihrer Schwester vernahm.