Verflucht - Medy Müller - E-Book

Verflucht E-Book

Medy Müller

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Beschreibung

Es begann mit einem Märchen. Dann kam der Fluch. Ausgesprochen auf der Grünen Welt, einer von 10 Welten, die um eine Sonne kreisen. Auch die Magische Welt gehört dazu und sie hat einen erheblichen Anteil an der weiteren Handlung, die sich auf der Blauen Welt abspielt. Zeit und Raum sind teilweise außer Kraft gesetzt. Nichts ist, wie es scheint. Raoul verliert seine Eltern durch Mord, findet eine neue Heimat in einem seltsamen Internat. Cloé reist mit ihrer Mutter durch die halbe Welt, bis sie endlich in der gleichen Stadt sesshaft wird, in der auch Raoul lebt. Sind diese beiden die Auserwählten, die den Fluch lösen können? Was hat es mit diesen Reiseportalen auf sich? Warum umgibt Cloé manchmal ein seltsames Flimmern? Immer wieder greifen fremde Mächte in ihr Schicksal ein. Es wird ein langer Weg, bis sich alles aufklärt.

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Seitenzahl: 446

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Zum Inhalt:

Es beginnt in grauer Vorzeit als Märchen. Ein Königssohn auf der Grünen Welt der Elfen liebt die Tochter eines anderen Königshauses. Er darf sie aber nicht heiraten, obwohl sie doch ein Kind von ihm erwartet. Er wird gezwungen, eine andere zu ehelichen und vergisst seine große Liebe durch Magie. Das junge Mädchen verflucht daraufhin nicht nur ihn und sein ganzes Geschlecht und seine Nachkommen, sondern sie verflucht seine ganze Welt, das ganze Universum und flieht auf eine andere Welt. Es wird nur eine Erlösung von diesem Fluch geben, nämlich in spätestens 500 Jahren müssen je ein Nachfahre des einen und des anderen Hauses in Liebe zueinander finden. Dieser Fluch traf damals nicht nur die Grüne Welt, sondern alle 10 Welten, die sich in diesem Universum um die Sonne scharen. Als der letzte Zyklus sich dem Ende neigt, nimmt die Geschichte in der Gegenwart eine dramatische Wendung. Werden sich die auserwählten Nachfahren zu guter Letzt doch noch finden und den Fluch auflösen? Nur noch ganz wenige Personen wissen von dem Fluch und versuchen zu helfen. Welche Rolle spielen diese seltsamen flimmernden Portale, die die Welten miteinander verbinden sollen?

Dies ist aber vor allem die Geschichte von Raoul und Cloé, die auf der Blauen Welt leben und sich scheinbar durch Zufall treffen. Sind sie die Auserwählten? Auf ihrem Lebensweg werden sie von einigen Mächtigen auf den anderen Welten aus beobachtet, gesucht, bedroht. Finden sie zusammen? Was ist Realität, was ist Magie? Wird der Fluch endlich gelöst? Eine zauberhafte Geschichte, die mit „es war einmal“ beginnt und mit dem Satz „und wenn sie nicht gestorben sind“ endet. Aber wo endet sie und wo beginnt sie, auf welcher der vielen Welten, in welcher Zeit? Zeit ist relativ, damals-gestern-heute-morgen, was ist wann? Ist es ein Märchen, ein Krimi, eine Fantasy-Geschichte oder ein Liebesroman?

Die Handlungen in diesem Buch sind frei erfunden. Die handelnden Personen sind absolut fiktiv. Ähnlichkeiten mit noch lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Über die Autorin:

Die Autorin Medy Müller schreibt unter „M.H. Müller“ seit über sechs Jahren Kurz- und Fantasy-Geschichten sowie Kriminalromane. Sie wurde 1949 in Dreieichenhain geboren, zog nach 30 Jahren mit ihrer Familie nach Norddeutschland. 2012 kehrte sie nach Hessen zurück und begann mit dem Schreiben. Bis jetzt sind folgende Romane von ihr veröffentlicht worden:

Mord in Orb - Krimi

Schattenjäger - Kurzgeschichte

Rosen über‘m Grab – Roman

ISBN 978-3-7460-6597-7

Einhundert – Krimi

ISBN 978-3-7528-2058-4

Verflucht sollt ihr sein, Ihr Elfenvölker und Euer Land, alle miteinander, verbannt aus dieser Welt.

Schmerz und Trauer soll über Euch kommen.

Erlösung kommt erst, wenn ein Nachkommen meiner

Linie und der aus dem Königshaus,

gebunden in ewiger Liebe,

den Bund geschlossen und vollzogen, vor Zeugen.

Alle 100 Jahre für einen Mondzyklus zurück in diese Welt wird der verwunschene Wald verweilen.

Nur fünf Zyklen bleiben Zeit für diese Verbindung.

Freiwillig und in Liebe und Treue. Sollte es scheitern, soll dieses Land und alle seine Bewohner untergehen, umherirren in Dunkelheit und Vergessen, ohne Wiederkehr.

Besiegelt mit meinem Schmerz und Blut –

Unwiderruflich bis ans Ende aller Tage!

Inhaltsverzeichnis

Es war einmal …

Zehn Welten

Magie

Drachen

Raoul

Das Leben geht weiter

Schulalltag

Dr. Ross

Magisch

Studium

Abschied

Cloé

Geschäfte

Hongkong

Am Chiemsee

Sucher

Cloé in Hongkong

Bunte Welt

Fairy Lady

Liebe

Tassilio

Wettkampf

Meister Huong

Neue Heimat

Australien

Sehnsucht

Vereint

Cian & Sue-Lin

Hochzeit

Verbunden

Hochzeitsreise

Samoa

Erlöst

Glücksboten

Entführt

Gefunden

Am anderen Ende der Welt

Schließung der Portale

Zuwachs

Wie alles begann

Rückkehr

Donatia und Clarice

Besuch

Rosalie

Es war einmal …

Der Fluch hallte über alle Welten, das Echo klang noch lange nach. Kaum hatten die Bewohner vergessen, erklang er schon wieder. Es gab kein Entkommen. Tagelang.

„Verflucht sollt ihr sein!“ Diese Worte schallten auch durch ihre Landschaft, über Berge und Täler hinweg, laut und unheimlich. Danach schien die Grüne Welt zu erstarren, es herrschte eine gespenstische Stille. Kein Vogel zwitscherte, kein Plätschern des Wassers war zu hören, noch nicht einmal das Rauschen der Blätter im Wald. Die Bewohner dieser Welt hielten den Atem an und fürchteten sich. Die Zeit schien still zu stehen. Doch dann wollten sie verstehen und fingen alle auf einmal an zu reden, zu fragen, alle durcheinander, jeder wollte vom anderen wissen, was das zu bedeuten hatte. Sie machten sich auf den Weg zum Palast, wollten die Weisen fragen, ihren König, seine Berater.

Dort brüllte der König seine vor ihm stehenden Krieger erbost an: „Wo ist dieses verdammte Weib? Warum ist sie noch nicht hier? Ihr solltet sie doch suchen!“

„Sie ist wie vom Erdboden verschwunden, Herr!“

„Dann geht und sucht sie noch einmal, in allen Welten, wo immer ihr hinkommen könnt. Und wagt es nicht, ohne sie zurückzukommen. Du, mein Bruder, wirst die Krieger anführen, und du weißt, was du noch zu tun hast. Vernichte dieses Balg!“ Das Echo seiner lauten Stimme hallte von den Wänden des Saales wider. Das Volk draußen vor dem Tor hörte es und fürchtete sich noch mehr.

„Aber mein König, es ist doch nur ein kleines Kind.“

„Geh und gehorche deinem König!“

Die Krieger und ihr Anführer verließen niedergeschlagen den Palast, ihre Heimat, die Grüne Welt, gingen durch das Portal und machten sich auf der anderen Seite wieder auf die Suche. Sie waren in einer Welt gelandet, in der die Zeit langsamer als auf ihrer Welt verging. Es sollten viele, sehr, sehr viele Jahre zu Hause vergehen, bis sie wieder zurückkamen, alt und grau, mit leeren Händen. Aber da war der alte König, der sie geschickt hatte, schon lange verstorben, ein neuer König herrschte bereits seit vielen Jahren und von ihrer Mission wusste niemand mehr etwas, nur in den Legenden fand man später noch eine Spur davon. Auch von dem Fluch.

Die Frau, die sie damals hatten suchen sollen, war jedoch schon längst unbemerkt in einer anderen Welt verschwunden, vor langer Zeit. Und mit ihr -- ihr Kind.

„Aber du wolltest mir doch ein echtes Märchen erzählen, Mama, und die fangen doch alle immer mit „Es war einmal“ an. Bitte, bitte, erzähle es richtig. Ganz von vorne. Und ich will einen Prinzen und eine Prinzessin dabei haben. Und der Prinz muss die Prinzessin heiraten! Und sie müssen zum Schluss glücklich werden, bis an ihr Lebensende. Sonst ist es kein Märchen!“ Die Stimme des kleinen Mädchens war sehr eindringlich und bestimmend. Mit großen, bettelnden Augen sah das Mädchen ihre Mutter an.

Die Mutter betrachtete ihr Kind lange nachdenklich. Dann lächelte sie. „Du hast Recht, ich fang noch mal von vorne an.“

Und so erzählte sie schließlich ihrer Tochter eine lange, manchmal traurige und doch letztendlich zauberhafte Geschichte. Ein Märchen über magische Welten, dunkle Bedrohungen, traurige Zeiten, wunderbare Ereignisse, einer großen Liebe und natürlich auch ein märchenhaftes Ende.

Ja, so fing alles an. Damals, in grauer Vorzeit. Weit entfernt und doch vielleicht ganz nah.

Und noch immer erzählten Mütter ihren Kindern, Großmütter ihren Enkelkindern dieses Märchen, von Generation zu Generation, immer wieder wurde es weitererzählt, von einem Ohr zum anderen, von einer Welt zur anderen. Jeder Erzähler schmückte es auf seine Weise aus, fügte Passagen hinzu oder ließ etwas aus, je nach dem, wem er es erzählte. So wurde die ursprüngliche Geschichte zu einem fantastischen Märchen.

Eines Tages, gestern, morgen oder heute, schrieb ein Magier es in einem großes Märchenbuch auf und belegte dieses Buch mit einem Zauber. Konnte das Buch dadurch die wahre Geschichte wiederfinden? Das konnte nur die Zukunft zeigen. Irgendwann verschwand das Buch auf geheimnisvolle Weise, scheinbar von ganz alleine, und es begab sich auf die Suche. Wonach? War es erfolgreich mit seiner Suche?

Zehn Welten

Es war einmal – so könnte man diese Geschichte wirklich beginnen. Denn märchenhaft magisch wird sie allemal. Aber war es tatsächlich einmal? Ist es nicht gerade? Oder wird es irgendwann sein? Es gibt so viele Dinge zwischen Himmel und Erde, und weit darüber hinaus, die keiner kennt, von denen keiner etwas ahnt, die keiner sich erklären kann, und doch wissen alle darum. Warum also nicht auch die Geschichten, die mit „Es war einmal“ beginnen, „und wird immer sein!“ enden. Lasst uns eintauchen in eine Welt der Magie, eine kunterbunte, fantastische, dunkle und märchenhafte, manchmal auch böse Geschichte im Hier und Jetzt, im Damals, Heute oder Morgen. Lasst uns fliegen über den Horizont hinaus in Universen, die wir alle kennen und doch noch niemals gesehen haben und nicht verstehen, die wir lieben wie unsere Heimat und die uns doch fremd sind. Seid ihr neugierig geworden, wohin die Reise geht? Die Fantasie ist unendlich, also beginnen wir jetzt endlich.

Es war einmal vor langer, langer Zeit - oder besser, es waren einmal 10 Welten, die drehten sich alle zusammen in einem Universum um ihre Sonne und sie waren so verschieden, unterschiedlicher könnten sie wirklich nicht sein. Manche dieser Welten waren nicht mehr bewohnt, andere hatten ihre Bewohner im Laufe der Zeit so verändert, dass eine Ähnlichkeit zu ihrem Ursprung nicht mehr zu erkennen war. Denn ursprünglich, bevor alles aus den Fugen geriet, waren alle Bewohner dieser Welten gleich, sie stammten alle von denselben Urahnen ab. hatten alle eine einzige Welt besiedelt. Aber dann wurde es dort zu eng, sie fingen Kriege untereinander an, sie entdeckten den Weltraum und bevölkerten nach und nach die von ihnen dort gefundenen verschiedenen Welten. Doch diese neuen Welten stellten sich mit der Zeit als teilweise sehr lebensfeindlich und gefährlich heraus. Die neuen Bewohner mussten sich dort anpassen, sie veränderten sich, oder besser gesagt, die jetzt von ihnen bevölkerte Welt passte die neuen Siedler an sich und ihre Umgebung an. Nach vielen Tausenden von Jahren konnte man nicht mehr von einer Ähnlichkeit sprechen. Nur wenige der alten Gelehrten wussten noch von den anderen, dem Ursprung, und dass sie ja eigentlich einmal untereinander verwandt gewesen waren, von den gleichen Urahnen abstammten.

Gleich neben der Sonne dieses Universums gab es die Rote Welt mit vielen aktiven Vulkanen, daneben die Blaue Welt mit Seen und Ozeanen, danach kam die Grüne Welt der Elfen, die Gelbe Welt der großen Wüsten, die Weiße Welt aus Eis und Schnee, die fast unsichtbare unheimliche Dunkle Welt, die auffallende Bunte Welt, die Silberne und die Goldene Welt und zuletzt die Magische Welt. Alle diese Welten kreisten um die große Sonne in ihrer Mitte. Manche Gelehrte auf diesen Welten behaupteten, es gäbe daneben noch mehr Universen mit vielen ähnlichen Welten, gleichsam Parallel-Universen, aber nachweisen konnte das bis jetzt noch keiner. All das war reine Spekulation. Auch wenn es in der Blauen Welt Wissenschaftler gab, die sagten, sie könnten es vielleicht doch beweisen.

Ursprünglich waren alle diese Welten durch Reiseportale miteinander verbunden. Diese Portale bestanden aus reiner Magie, geschaffen von einer Zivilisation, die sich vor ewig langer Zeit aus einer weit entfernten Galaxie auf der damals noch einen Welt angesiedelt und begonnen hatte, damit überall in andere Galaxien herumzureisen. Durch ihre Reisen hatten sie die Portale auf den Welten im gesamten Universum verbreitet. Diese Zivilisation war allerdings schon vor Jahrtausenden ausgestorben. Leider hatte niemand es für nötig gehalten, so etwas Ähnliches wie eine kurze Gebrauchsanweisung für die Portale zu hinterlassen. Die späteren Siedler dieser Welten entdeckten die hinterlassenen Portale, soweit sie noch intakt waren. Dann fanden sie auch unter einem einzigen Portal eine bildhafte Anweisung zum Reisen mit diesen Toren. Aber keiner, auch niemand der nachfolgenden Generationen, konnte bis jetzt die darin enthaltene Bilderschrift entschlüsseln oder auch nur deuten. Irgendwann fand einer der Magier durch praktisches Ausprobieren heraus, wie man die Portale einigermaßen sicher steuern konnte. Das Glück hatte er dabei definitiv auf seiner Seite.

Durch diese Reiseportale konnten die Bewohner die anderen Welten besuchen, wann immer sie wollten, vor allem ihre uralte ureigene Heimat, wenigstens diejenigen, die noch davon wussten. Aufgrund der Reisen fand man allerdings auch heraus, dass auf den verschiedenen Welten inzwischen die Zeiten unterschiedlich schnell vergingen. Die von den Magiern niedergeschriebenen Aufzeichnungen über die Funktion und Handhabung der Portale wurden auf den Welten streng gehütet. Allerdings nicht immer und überall streng bewacht. Feuer und Naturkatastrophen vernichteten darüber hinaus teilweise diese Aufzeichnungen, sodass im Laufe der Jahrtausende das Wissen um die Portale immer mehr verloren ging, nur noch die obersten Wächter und die Hüter des Wissens kannten die Magie der Reisen durch Zeit und Raum mit den Portalen. Letztendlich wurden diese Aufzeichnungen nur noch in der Königskathedrale der Magischen Welt aufbewahrt und von einer ganzen Kompagnie Krieger und Wächter bewacht. Viele Tore auf den anderen Welten wurden im Laufe der Jahrtausende aufgrund von Aberglauben und Angst von den Siedlern selbst zerstört.

Die Portale bzw. Tore in den einzelnen Welten führten nur zu anderen Portalen in anderen Welten. Aber nur die Magier konnten inzwischen mit ihren Gedanken die Tore so beeinflussen, dass sie zu den gewünschten Gegenportalen und Welten führten. Von Menschen, Feen, Elfen waren diese Portale nicht beeinflussbar. Durch die vielen Fehlschläge durfte auf der Magischen Welt inzwischen nur noch der durch die Portale gehen, der eine ausdrückliche Genehmigung der Magier nach einer persönlichen Überprüfung erhalten hatte. Auf den anderen Welten wurden die Tore auf eigene Gefahr und nach dem Zufallsprinzip benutzt. Nicht immer kehrten die Reisenden zurück in ihre Heimat. Aber keinem gelang es bisher, ohne Einladung durch ein Portal in die Magische Welt zu gelangen. Die wenigen noch vorhandenen Portale aktivierten sich erst, wenn man den äußeren Rahmen berührte, auch wenn dieser manchmal kaum zu sehen war. Dann begannen sie zu flimmern und waren für kurze Zeit bereit zum Passieren. Wenn das Flimmern erlosch, wurde das Tor fast unsichtbar und verschwand kurz darauf ganz. Die Intervalle bis zur nächsten möglichen Nutzung waren im Laufe der Jahrhunderte immer länger geworden, dauerten schon manchmal Wochen oder Monate, oder auch Jahre oder Jahrhunderte. Je länger die Portale bestanden, umso mehr ließ ihre Kraft inzwischen nach und die Reise mit ihnen wurde immer öfter zum Risiko. Das Wissen um die Funktionalität und die Standorte der Portale in den verschiedenen Welten ging außerdem im Laufe der letzten Zyklen immer mehr verloren.

In der Magischen Welt wurden durch die vielen Fehlschläge und Unfällen mit den Portalen unter den Magiern die Überlegungen lauter, die Portale für immer zu schließen bzw. sie zu zerstören, da die Nutzung immer wieder zum Risiko wurde und eigentlich lebensgefährlich war. Aber noch konnte dieser Entschluss nicht einstimmig von allen Magiern gefasst werden. Außerdem mussten auch die anderen Welten damit einverstanden sein. Trotz aller Diplomatie gingen die Meinungen dazu auseinander und nichts geschah.

Magie

Damals, in grauer Vorzeit, hatten sich alle Magier des Universums in der Magischen Welt niedergelassen. Zuerst war es nur ihre Zuflucht, dann wurde es ihre Heimat. Viele Generationen waren inzwischen dort zu Hause. Die meisten Magier wohnten mit ihren Familien in der Hauptstadt, einem großen Ort mit imposanten Gebäuden, weitläufigen Parks und großen anschließenden Wäldern.

Seit dieser Zeit wurde hier in der jetzt berühmten Akademie für Magier die Lehre der Magie der Natur an kleine und große, junge und ältere, begabte Schüler weitergegeben. Diese Magie war keine Zauberei, keine Hexerei, keine Taschenspielertricks, es war ganz einfach Magie, Kraft aus der Natur, aus jedem Lebewesen, jedem Baum, jedem Strauch, überall fand man diese Magie. Man musste nur suchen und sie mit der eigenen inneren Kraft vereinen. Dann konnte man alles umsetzen. Aber nur die Begabtesten erreichten die endgültige Reife und Kunst, mit viel Übung und Geduld. Immer war es ein langer Weg. Das bewies der beste Magier aller Zeiten, Balthazar. Er leitete die Akademie. Über sein Alter munkelten die jungen Schüler, aber keiner erriet, dass er fast so alt wie das Universum selbst war. Und immer noch bezeichnete er sich selbst als den ältesten Schüler, der noch nicht ausgelernt hatte.

Oben auf dem Berg, in der Akademie für Magier, bereiteten sich gerade fünf Abschlussschüler auf ihre letzte Prüfung vor. Die praktischen Aufgaben hatten sie schon alle überstanden, allerdings wussten sie noch nicht, ob sie diese Prüfungen auch bestanden hatten. Jetzt lag noch eine letzte Prüfung vor ihnen, allerdings kannten sie noch nicht das Thema. Das würden sie erst morgen Vormittag erfahren. Als sie am nächsten Morgen in den großen Prüfungsraum kamen, waren dort schon fünf einzelne Tische aufgestellt, ein unbequemer harter Stuhl stand davor, auf jedem Tisch lagen bereits einige leere Blätter Papier, davor ein Tintenfass, ein Federkiel, ein kleines Tuch, sonst nichts.

Ein Stück vor diesen Tischen waren fünf bequeme Sessel aufgebaut, mit jeweils einem Fußschemel, zwischen den einzelnen Sesseln standen kleine Tischchen mit jeweils zwei Tassen und einer Kanne Kaffee, dessen Duft den ganzen Raum erfüllte.

Die Schüler hatten sich den mit ihrem Namen gekennzeichneten Tisch gesucht und auf dem unbequemen harten Stuhl davor Platz genommen. Sie harrten der Dinge. Je länger sie warten mussten, desto nervöser wurden sie. Endlich ging die Tür am anderen Ende der Halle auf und die Lehrer kamen herein. Allen voran der Professor der Magie, Balthazar. Hinter ihm lief Serafina, dann kam Magister Contrate, Madame Bouffièra folgte ihm, als letzter dann Meister Albrecht, der die Tür hinter sich schloss. Sie setzten sich alle in ihre Sessel, betrachteten die Schüler, gossen sich einen Kaffee ein und nippten an ihren Tassen. Erst dann erhob sich Balthazar und richtete das Wort an die Schüler:

„Herzlichen Glückwunsch, liebe Magier-Anwärter. Ihr seid die einzigen, die es bis hierher geschafft haben. Darauf könnt ihr stolz sein. Die Prüfungen des letzten Jahres habt ihr alle gemeistert. Heute wird es sich nun entscheiden, ob ihr in die Reihe der Magier-Lehrlinge aufgenommen werdet oder nicht. Diese letzte Aufgabe scheint auf den ersten Blick leicht zu sein, aber glaubt uns, das täuscht. Auf eurem Tisch liegen fünf leere Blätter. Ihr müsst sie nicht alle aufbrauchen. Von uns erhaltet ihr noch ein letztes Blatt mit einem kleinen Text. Darauf wird jeweils eine andere der Welten unseres Universums kurz beschrieben. Dieser Text wurde übrigens durch Auslosung dem einzelnen Prüfling zugeteilt. Eure Aufgabe wird es sein, zu der entsprechenden aufgeführten Welt eine sehr detaillierte, ergänzende Beschreibung zu liefern, mit Einzelheiten über die Bewohner, die dort vorherrschende Natur, eben über alles, was es darüber noch zu wissen gibt und was euch wichtig erscheint. Die Literatur zu unseren Nachbarwelten ist in unserer großen Bibliothek sehr umfangreich, das Studium dieser Bücher gehörte zu euren Aufgaben während des Studiums. Außerdem möchten wir auf einem zweiten Extra-Blatt etwas über die Funktionsmöglichkeiten der Portale wissen. Dieser Prüfungsteil ist für alle gleich.

Übrigens ist dieser Raum von aller Magie abgeschottet, das bedeutet, Magie hilft euch hier gar nichts. Wir erwarten eine mindestens zweiseitige Beschreibung. Ihr habt dafür fünf Stunden Zeit. Wir drücken euch allen die Daumen. Und jetzt beginnt bitte.“

Während seiner Ansprache hatte Madame Bouffièra jedem der fünf Schüler zwei Blätter Papier überreicht, ein Blatt enthielt einen kurzen Text, das zweite Blatt nur eine kurze Zeile.

Tassilio erhielt einen Bogen Papier mit einer kurzen Beschreibung der Blauen Welt, Baliantus sollte die Gelbe Welt ergänzen, Manfredo erhielt die Weiße Welt, Misquiara wurde die Silberne und Goldene Welt überreicht und Pitumina, die jüngste Schülerin, erhielt eine Kurzfassung zu ihrer eigenen, der Magischen Welt.

Die fünf Schüler sahen die Lehrer enttäuscht an. „Das hat doch überhaupt nichts mit Magie zu tun. Wir sind Magier, das haben wir studiert, mühsam gelernt. Das hier ist doch Pipifax, nichts, nada! Ein Aufsatz? Ha! Das darf doch wohl nicht wahr sein! Bin ich ein Schreiberling oder ein Magier?“ Tassilio hatte sich so richtig in Rage geredet. Mit Schwung warf er die beiden Blätter auf seinen Tisch und verschränkte trotzig die Arme vor sich. Die beiden anderen Jungs nickten ihm beipflichtend zu, die Mädchen aber zuckten mit den Schultern und nahmen ihre Feder in die Hand, um zu schreiben.

„Noch seid ihr keine Magier, dazu gehört noch eine an diese Prüfungen anschließende Lehrzeit von fünf Jahren, sofern ihr diese Prüfung jetzt auch noch bestehen werdet. Bei guten Noten dürfte es danach für euch jedoch kein Problem sein, einen Lehrmeister zu finden.

Ihr hattet bis jetzt genügend Zeit, um euch auf alles vorzubereiten. Dazu gehört auch eine Menge Allgemeinwissen, und das testen wir heute mit diesem Aufsatz. Also vergeudet nicht eure Zeit, eine Verlängerung wird es nicht geben. Übrigens, Zorn kann durchaus die Sinne vernebeln und das wahre Können verbergen. Es sind jetzt noch genau vier Stunden und fünfzig Minuten!“

Tassilio ließ seinen Blick über sein Blatt mit dem vorgegebenen Text zur Blauen Welt schweifen:

„Die nächste der Welten erscheint vom Mittelpunkt des Universums aus gesehen als Blaue Welt. Sie ist übersät mit Seen, Flüssen, Ozeanen. Das viele Wasser lässt eine üppige Vegetation gedeihen: Blumen, Büsche, Bäume, große Wälder. Der blaue Himmel spiegelt sich in blauen Seen. Diese Welt ist von allen anderen Welten die am stärksten bevölkerte Welt. Die Siedler leben in großen und kleinen Städten, es gibt viele einzelne Staaten, die trotz allem Fortschritt doch immer wieder untereinander Kriege führen. Als einzige Welt ist sie technisch sehr weit fortgeschritten. Es gibt hier noch drei offene Tore – eines im Meer, eines in einer Wüste in einer Höhle, eines auf einem der höchsten Berge. Diese Portale wechseln manchmal den Standort, will man sie benutzen, muss man sie erst einmal finden.“

Da stand doch schon alles, was man unbedingt über die Blaue Welt wissen musste. So speziell war sie nun wirklich nicht. Was sollte er denn da noch ergänzen? Und dann auch noch eine ganze Seite voll? Seine Wut kochte immer höher. Das war irgendwie unter seiner Würde. Egal, er würde einfach irgendetwas erfinden, so schwer konnte das ja nicht sein, außerdem war er einmal in der Bibliothek gewesen und hatte alles, was über die verschiedenen Welten in den Büchern stand, schnell überflogen.

Baliantus las seinen Text über die Gelbe Welt:

„Die nächste Welt ist die Gelbe Welt. Ein Wüstenplanet mit gelbem und hellbraunem Sand, vollkommen ausgetrocknet, es gibt kein Wasser mehr, keine Vegetation. Im bekannten Universum erscheint diese Welt als gelber Planet. Sie wurde schon vor langer Zeit von ihren Bewohnern aufgegeben, da dort kein Leben mehr möglich war. Allerdings gibt es hier viele Bodenschätze, sodass sich manchmal einige Schatzsucher, die mit Flugapparaten hingekommen sind, dort tummeln. Von den einmal dort vorhandenen Portalen existiert kein funktionierendes Tor mehr.“

Da er gerade diese Welt bei seinem Studium der Bücher in der Bibliothek sehr faszinierend gefunden hatte, fing er sofort an zu schreiben und erfüllte das geforderte Soll mehr als genug.

Manfredo war zuerst enttäuscht, als er den Text über die Weiße Welt auf seinem Prüfungsbogen las, denn mehr brauchte man doch eigentlich nicht über diese Welt zu wissen:

„Die Weiße Welt wird im Universum als Eisplanet bezeichnet. Einst gab es hier viele Siedler, die in ihren Eispalästen auf der Oberfläche und auch unterirdisch wohnten. Sie waren Händler, die die Bodenschätze unter dem Eis ausgruben und mit den anderen Welten im steten Handel waren. Dann aber wurde das Klima immer kälter, die Bodenschätze immer weniger, bis schließlich nur noch Schnee und Eis den Planeten bedeckte und auch die restlichen freien Ecken zufroren. Es wurde so kalt auf dieser Welt, so lebensfeindlich, dass die wenigen noch vorhandenen Bewohner den Planeten verließen. Diese Welt wird im Universum als Eisplanet bezeichnet. Das Portal, durch das die letzten Siedler diese Eiswüste verließen, blieb stehen, bis es halb zerfiel. Ab und zu blinkte es noch einmal kurz auf. Aber ob es noch zu benutzen war? Das wäre äußerst riskant, es könnte nur zufällig von außerhalb passiert werden. Die Magier der Magischen Welt hatten es aus ihrer Liste gestrichen, also gab es offiziell dort in der Weißen Welt kein Tor mehr.“

Der Text war eigentlich ja schon sehr ausführlich, da gab es doch nicht mehr viel oder gar nichts mehr zu ergänzen, aber dann erinnerte er sich doch noch an einige Geschichten, die sein Großvater ihm von den Welten erzählt hatte, auch von dieser Weißen Welt, und er fing sofort an zu schreiben, was er davon in seinem Gedächtnis behalten hatte. Die interessante Literatur, die seit Jahrhunderten in der Bibliothek über die verschiedenen Welten gesammelt wurde, hatte ihn schon immer gefesselt und er hatte sich intensiv damit beschäftigt. Seine Finger flogen schnell über das Papier und bald war er total vertieft in seine Arbeit.

Das schillernde Gold und Silber hatte Misquiara seit ihrer Kindheit fasziniert, so war es nicht verwunderlich, dass sie sich freute, als sie das ihr zugeteilte Thema „Die Silberne Welt und die Goldene Welt“ auf ihrem Prüfungsbogen las. Sie überflog schnell den Text:

„Am äußeren Ende des Universums umkreisen sich die Silberne Welt und die Goldene Welt und fliegen dabei nahe nebeneinander durch die Galaxie. Die eine Welt erstrahlt hell-silberfarben, die andere eher goldfarben. Beides sind sehr kleine Welten, die noch nie bewohnt waren, trotzdem gab es dort einmal auf jeder Welt ein Portal. Inzwischen sind diese Portale verfallen, man kann nur noch die Trümmer und kleinen Überreste der Tore sehen, falls es jemals jemandem gelingen sollte, dorthin zu gelangen, auf welchem Weg auch immer, die Portale sind nicht mehr aktiv. Von weit draußen im Weltall sind diese beiden Welten oft als ein einziger hell strahlender Stern zu sehen, als ein Ganzes.“

Die Feder hatte sie schon in der Hand und damit fing sie schnell an zu schreiben. So viel war ihr beim Lesen bereits eingefallen, dass sie nicht sicher war, ob die zugeteilte Anzahl der Blätter ausreichen würde.

Pitumina freute sich, als sie sah, dass sie über ihre Heimat, die Magische Welt, schreiben durfte. Sie las den kurzen Text durch: „Der fantastischste Planet von allen ist die Magische Welt. Magie bewohnt alles Leben auf diesem Planeten, die noch überlebenden Magier aller Welten haben sich hierher zurückgezogen. Ihre Welt ist abgeschottet, aus gutem Grund. Nur auserwählte, mit Magie begabte Lebewesen dürfen und können die noch offenen Tore benutzen. Magier kontrollieren die Tore und bereisen die Welten, wohin es noch offene Tore gibt. Bestimmen auch, wer reisen darf. Diese Welt ist im Universum unsichtbar – es gab einmal sechs Tore, drei davon gingen im Laufe der letzten tausend Jahre kaputt, jetzt nur noch drei Tore offen. Will man sie benutzen, muss man sich bei den Wächtern anmelden und eine Genehmigung beantragen.“

Bereits als kleines Mädchen hatte sie ihrer Mutter über ihre Heimat und über alle Städte und jeden Berg Löcher in den Bauch gefragt und alles in sich aufgesogen wie ein Schwamm. Die Bücher über ihre Heimat hatte sie, sobald sie lesen konnte, kaum noch aus der Hand gelegt. Jetzt lächelte sie, während sie alles zu Papier brachte, was ihr wichtig und interessant erschien.

Wie Balthazar schon gesagt hatte, ausführlichste Beschreibungen der Welten gab es in der Bibliothek der Schule und auch in der großen Staatlichen Bücherei in der Hauptstadt. Es würde sich jetzt herausstellen, welcher der Schüler diese Büchereien häufig besucht hatte und fleißig die entsprechenden Bücher studiert hatte.

Als die Zeit abgelaufen war, stand Balthazar auf, um die Blätter einzusammeln. Baliantus und Manfredo hatten ihr Soll erfüllt und einen zweiseitigen Text abgeliefert. Tassilio, der immer noch an seinem Zorn zu kauen hatte, brachte gerade mal eine knappe Seite fertig, das zweite Blatt hatte er nur mit ein paar Sätzen ergänzt, die beiden jungen Frauen hatten schnell und zügig gearbeitet und mehr als zwei Blätter, also vier Seiten, vollgeschrieben. Sie waren auch während des gesamten Studiums immer fleißig gewesen, allerdings hatte Balthazar bei der einen oder anderen manchmal ihr Herz vermisst, das Gefühl, die Intuition. Sie lernten gut, konnten vieles auswendig, aber es kam nicht immer von Herzen, wie er meinte. Nun, es würde sich weisen. Das Blatt zu den Portalen hatten alle mehr oder weniger richtig ausgefüllt, meist mit mehr als einer ganzen Seite Text. Nur bei Tassilio waren es nicht mehr als ein paar Sätze geworden.

Die Schüler wurden entlassen. Das Ergebnis würde ihnen nach dem Wochenende bekannt gegeben werden.

Tassilio hatte noch einen weiten Weg vor sich, bevor er ein guter Magier werden konnte, dachte Balthazar so bei sich. Kaum waren diese Prüfungen vorbei, war Tassilio auch schon auf dem Weg nach draußen, um sich mit seinen Kumpanen zu treffen. Er war der Älteste der Prüflinge gewesen. „Diese Prüfung war die leichteste, nur ein bisschen Schreibarbeit!“, gab er vor seinen Begleitern an. „Kommt, ich lade euch ein, wir gehen in die Vorstadt.“ Gemeinsam trotteten sie den schmalen Weg hinunter in die Vorstadt. Dort gab es viele Gasthäuser und andere Vergnügungsorte. Tassilio hatte seine Wut noch nicht verdaut, die musste er erst einmal ertränken. So redete er es sich jedenfalls ein. Es war schon spät in der Nacht, als er mit zwei seiner Freunde grölend und singend durch die Straßen zu seiner Herberge zog.

Die Prüfer zogen sich am nächsten Morgen zurück und begannen, die Aufsätze der Schüler zu lesen und zu benoten. Nachdem jeder der Lehrer die fünf Arbeiten durchgesehen hatte, stellte sich heraus, dass die Schüler doch fast alle die Bibliothek fleißig besucht hatten. Allerdings, bei Tassilio klang im kurzen Text seiner Arbeit eine gewisse Überheblichkeit und Intoleranz gegenüber den anderen Welten und deren Bewohnern an, sodass jeder der Prüfer sich gezwungen sah, seine Anmerkungen in dieser Richtung zu machen. Das Ergebnis bei ihm war mangelhaft – nicht bestanden!

Drachen

Die Hauptstadt der Magischen Welt lag auf einem weiten Plateau, mit Büschen und Bäumen umstanden, die in rosa, weiß, gelb und rot prächtig blühten. Es duftete nach Jasmin, Flieder, Hyazinthen, Rosen, Nelken und Ginster. Unter den Büschen blühten blaue Glockenblumen, rote und gelbe Tulpen. Hinter der Stadt erhoben sich schneebedeckte Berge, davor lagen ausgedehnte Wälder und tiefblaue Seen. Inseln mit kleinen Hügeln ragten aus den Seen. Die meisten Häuser der Stadt sahen alt und unscheinbar aus. Allerdings nur von außen. Es war ja eine Stadt in der Magischen Welt, also war sie auch mit Magie erbaut worden. Schaute man ins Innere der Häuser, so staunte man über die großen Räume, die Anzahl der Zimmer, die manchmal luxuriöse und prunkvolle Ausstattung. Die Bewohner waren fröhlich und immer fleißig. Es ging ihnen gut. Es gab viele Händler, Kaufleute, Handwerker, Bäcker, Metzger, alle erdenklichen Berufe waren vertreten. Nicht alles wurde mit Magie verrichtet. Darauf hatte man sich geeinigt, als diese Welt besiedelt wurde. Es gab keinen einzelnen Herrscher über diese Welt, sondern eine Versammlung, die alle zehn Jahre von allen Bewohnern gewählt wurde und die die Belange der Bewohner vertraten. Bis jetzt hatte es auf diese Weise immer funktioniert und würde auch weiter funktionieren.

Allerdings, eine etwas prominente und von allen hochgeachtete Persönlichkeit gab es doch, nämlich den Obersten Magier Balthazar, er war älter als alle Bewohner der Magischen Welt. Doch sah man ihm sein hohes Alter nicht an, wenn er voller Elan durch die Straßen der Stadt spazieren ging. Er war groß und imposant, seine weißen vollen Haare wallten ihm bis zu den Schultern, aber er hatte immer eine Kopfbedeckung auf, manchmal eine Kappe, aber meistens seine bunte Lieblingsmütze mit Bommel. Fast immer hatte er einen dezent gemusterten Umhang übergeworfen, wenn er draußen unterwegs war. Ein gedrechselter langer Stock war mehr Angabe und nicht unbedingt seinem Alter, eher seinem Stand geschuldet, als dass er ihn zur Unterstützung brauchte. Zu allen war er freundlich, nicht überheblich, jeder mochte ihn. Was an ihm auffiel, war, dass er seine Magie nie ausnutzte, nie damit angab. Seine Bescheidenheit hatte ihm deie Ehrerbietung aller Magier eingebracht.

Er war der Leiter der Akademie, der beste Magier, der jemals in dieser Welt gelebt hatte. Er kannte jeden noch so kleinen Winkel des Landes und der Hauptstadt und bewohnte dort das größte Haus auf dem Marktplatz.

Heute stand etwas ganz Besonderes auf seinem Terminplan. Auf diesen Tag freute er sich jede Woche. Den ganzen Vormittag hatte er die Besen beaufsichtigt, die sein Haus säuberten. Er selbst hatte mit eigener Hand seine große Stube aufgeräumt und alles an seinen Platz gestellt. Dann hatte er sein wohlverdientes Mittagsschläfchen gehalten. Pünktlich nach einer Stunde weckte ihn sein pfeifender Wasserkessel, wie gewünscht.

Langsam erhob sich Balthazar, der Obermagier und älteste Magier der Magischen Welt aus seinem Ohrensessel und zog sich seinen kunterbunten Sonntagsmantel aus Samt an. Dieser Mantel begleitete ihn schon sein ganzes Leben lang, seit er vor einer halben Ewigkeit seine Magier-Prüfung abgelegt hatte. Er war aber auch etwas ganz Besonderes, dieser Mantel: Seine Farben waren bis heute nicht verblasst, obwohl er fast genauso alt wie Balthazar war, er reichte bis auf den Boden und seine Ärmel waren weit und bequem. Außerdem hatte er eine Innentasche für den Zauberstab, zwei tiefe Taschen außen, die alles aufnahmen, was nötig war. Seine Regenbogenfarben änderten ständig ihr Muster, sodass es aussah, als würde der Mantel in sich wabern, als würde er lebendig sein und der Mantelträger über den Boden schweben. Zu diesem Mantel gehörte auch eine gleichfarbige Mütze mit einer Quaste. Ohne eine Mütze auf dem Kopf ging Balthazar nie aus dem Haus. Darunter lugten seine weißen Locken hervor, die sich bis über den Nacken kringelten.

Einmal in der Woche gab Balthazar eine Geschichts- und Märchenstunde für alle Kinder der Stadt. Selbst die Kleinsten kamen und lauschten gebannt seinen Erzählungen. Das gab dann schon einen großen Kreis voller Kinder von drei bis fünfzehn Jahren. Balthazar hob die Hand, ließ sie einmal kreisen und schon standen Hocker und Schemel im Kreis vor dem Ohrensessel, lagen viele gemütliche dicke Kissen davor. Er schmunzelte leise vor sich hin, in den Augenwinkeln erschienen viele kleine Lachfalten, zum Zaubern benötigte er keinen Zauberstab, der war nur zur Schau da. Ihm genügte eine Handbewegung.

Draußen vor der Tür warteten schon ungeduldig die ersten Kinder. Durch die Wand konnte er sie sehen. Leise ließ Balthazar einen kurzen Pfiff ertönen, schon erschien vor seinem Fenster Paff, der kleine Zauberdrache. Er würde heute eine besondere Rolle in seiner Geschichtsstunde spielen. Schnell erklärte er ihm, was er den Kindern zeigen wollte und bat ihn höflich um Mithilfe in seinem Unterricht. Der kleine Drache lachte und nickte. Dann war er verschwunden.

Schon hatte Balthazar den großen Klöppel in der Hand und schlug damit auf den Gong im Flur. Laut und tief klang es über den großen Platz. Schon strömten aus allen Gassen die kleinen und großen Zuhörer zu seinem Haus, die bis jetzt noch von ihren Eltern zurückgehalten worden waren. Die Kleinsten konnten nicht so schnell laufen, deshalb wartete er mit dem Öffnen der großen, mit vielen geschnitzten Motiven verzierten Tür, bis auch die Langsamsten endlich bei der Gruppe angekommen waren. Dann öffnete er die Tür und hieß alle willkommen: „Immer mit der Ruhe, es ist Platz für alle da!“, sagte er mit seiner tiefen sonoren Stimme, als die Kinder sich jubelnd und lachend hereindrängten. Und es fanden tatsächlich alle einen Platz, denn es gab immer einen Hocker oder ein Kissen mehr als Kinder durch die Tür kamen. Zugegeben, das war Zauberei, aber waren sie hier nicht in der Magischen Welt?

Balthazar nahm in seinem Ohrensessel Platz, auf der Stelle wurden die Kinder leise. Er wedelte kurz mit seinem Zauberstab und schon hatten alle Kinder eine Tasse mit heißer Schokolade und einen großen Keks in der Hand. Ihre Augen leuchteten kurz auf. „Heute will ich euch einmal etwas über unsere eigene Welt erzählen. In der letzten Woche habt ihr viele Dinge von den verschiedenen Welten des großen Universums erfahren. Nun, heute sollt ihr unser Universum und die Magische Welt etwas näher kennenlernen.“ Balthazar hob die Hand und an der Decke erschien das Universum am Himmel mit allen Welten und ganz vielen kleinen Sternen. „Ihr kennt ja bereits den Himmel über uns, bei Nacht, wenn die Sterne leuchten. Wer kann mir denn die Welten dort oben einmal aufzeigen und benennen?“ Sofort gingen viele Finger hoch und Stimmen wurden laut. „Nun, Reinsthor“, er deutete auf einen kleineren Jungen, „dann lass mal hören!“ Der Junge war vielleicht zehn Jahre alt, als alle Köpfe sich jetzt zu ihm drehten, wurde er rot im Gesicht und schluckte erst einmal, aber dann nahm er seinen Mut zusammen und zeigte an die Decke. „Dort gleich neben dem großen hell leuchtenden Fleck, was unsere Sonne ist, das ist die Rote Welt, dann kommt daneben die Grüne Welt, darunter die Blaue Welt und, ach ja, da ist auch noch die Gelbe Welt!“ Mit jedem Deuten hatten die kleineren hellen Flecken die besagte Farbe angenommen. Aber jetzt stockte der Junge. Rachelle meldete sich, ein kleines Mädchen. „Ja, Rachelle, weißt du weiter?“ „Also, nach der Gelben Welt kommt die Bunte Welt, dann die Silberne und die Goldene Welt, die verschmelzen manchmal miteinander, wenn man sie zu lange anschaut.“ Das Mädchen stockte. „Wer kann denn weiterhelfen?“ Impernus, ein größerer Junge meldete sich: „Dann gibt es noch die Dunkle Welt, die ist fast unsichtbar, die ist dort, wo der Himmel dunkler ist als rundum, und die Weiße Welt. Und dort, wo man absolut gar nichts sieht, also wo ein großer leerer Fleck ist, dort ist unsere Magische Welt!“ Er war ganz stolz, dass er seine Heimat so genau platzieren konnte.

Der alte Magier nickte zustimmend: „Genau, unsere Welt ist von überall her in diesem unserem Universum nicht zu sehen. Wer weiß denn auch, warum?“ Corintus meldete sich: „Hier gibt es ganz viele Magier, die von überall her hierhergekommen sind, weil sie in den anderen Welten verfolgt wurden. Die Bewohner dort mochten sie nicht. Sie fürchteten sich vor ihnen und vor der Magie! Und deshalb haben sie auch diese Welt versteckt!“ „Muss man sich denn vor uns fürchten?“ Diesmal kam ein ganzer Chor von Stimmen: „Nein!“ „Genau, vor uns muss sich keiner fürchten. So, jetzt aber möchte ich auch noch einmal über magische Geschöpfe reden, die auch hier eine Zuflucht gefunden haben. Wisst ihr denn, wen ich meine?“

Wieder gab es einen vielstimmigen Chor: „Ja, ja, die Drachen, die Drachen!“ Es war offensichtlich, dass die Kinder die Drachen liebten. „Wisst ihr auch, dass die Drachen Meister der Tarnung sind?“ Mit großen Augen sahen ihn die Kinder an. Das wussten sie scheinbar noch nicht. Deshalb erzählte er ihnen erst einmal von den vier Drachen, die noch hier in der Magischen Welt lebten. Sie lebten nur hier und nirgendwo sonst auf anderen Welten gab es noch Drachen.

„Es gibt hier bei uns auf unserer Welt einen roten weiblichen Drachen, einen grünen männlichen, einen weiblichen lilafarbenen und einen männlichen goldsilberfarbenen Drachen. Dieser goldsilberne Drache ist der älteste aller noch lebenden Drachen. Er ist älter als diese Welt, man sagt, er sei sogar älter als das Universum und er ist sehr weise. Keiner weiß, wo sie einmal herkamen, nicht einmal sie selbst kennen ihre alte Heimat. Wenn Dharcey, der älteste Drache, sich in die Luft erhebt, flimmert und schimmert es um ihn herum so sehr, dass er von unten nur als leuchtender Fleck zu erkennen ist. Dharcey, der Weltenlenker, so nennen wir ihn hier, flüsternd hinter der vorgehaltenen Hand. Seine Schuppen reflektieren die Sonne, deshalb strahlt er, wenn er hoch am Himmel seine Runden dreht, wie ein heller Stern. Wer eine seiner Schuppen findet, kann sich glücklich schätzen, denn man sagt, dann erfülle sich ein Wunsch, allerdings fällt ihm kaum noch eine Schuppe aus. Der jüngste Drache ist nicht größer als ein kleines Pony, der älteste so groß wie ein Haus. Der rote weibliche Drache wird Tagtraum genannt, da er immer den Sonnenaufgang ankündigt, und den blau-lila weiblichen Drachen nennen die Magier Nachtfee, er ist nur bei Sonnenuntergang sichtbar. Alle drei Drachen sind allerdings noch sehr jung, der rote und der blau-lila Drache kaum 200 Jahre alt, also noch nicht ausgewachsen, und der kleine grüne ist der jüngste Drache, ihr kennt ihn bestimmt alle, er ist immer zu Späßen aufgelegt. Er liebt es, so oft er darf, von der Insel zu den Magiern zu fliegen, um dort mit euch zu spielen, euch zu necken. Die Kinder der Generation vor euch haben ihm den Namen Paff, der Zauberdrache, gegeben, weil er allen Kindern kleine Zauberkunststücke zeigt und ein Lächeln auf das Gesicht zaubert. Er ist erst gerade mal 50 Drachenjahre jung, also in den Augen der anderen Drachen noch ein Baby, hat noch keine Schuppen, sondern eine glatte hellgrüne Haut.

Der goldsilberne Drache kommt einmal in der Woche aus seiner Höhle und erhebt sich dann hoch in die Lüfte. Dabei schimmert es um ihn herum in allen gold- und silberpastelligen Regenbogenfarben. Durch seine gewaltigen Flügelschläge wird die See aufgewühlt und es kommt in der Umgebung der Inselstrände zu Überschwemmungen. Hoch oben in der Luft beobachtet er die Welt, hält Ausschau nach Veränderungen. Wenn alles friedlich ist, stimmt er ein Lied an, das überall auf unserer Welt zu hören ist. Wenn wir diese Melodie hören, wissen wir, dass alles in Ordnung ist.“ Die Kinder waren mucksmäuschenstill gewesen, während Balthazar diese Geschichte erzählte. Sie liebten die Drachen, waren immer interessiert daran, was sie gerade machten, woher sie kamen, warum es nur hier noch Drachen gab, wie sie lebten, aussahen, einfach alles, was mit ihnen zusammenhing, wollten sie wissen und konnten es nicht oft genug hören. Aber Balthazar war noch nicht fertig mit seiner Geschichte.

„So, und wer kann mir jetzt sagen, wo der kleine Drache Paff sich im Moment aufhält? Kann ihn jemand von euch hier sehen?“

Die kleine Lily, mit ihren zwei Jahren die jüngste unter den Kindern, stand auf, kam zu Balthazar gewatschelt. Der sah sie fragend an: „Weißt du, wo Paff ist?“ Lily schüttelte den Kopf, krabbelte an Balthazars Bein hoch und setzte sich auf seinen Schoß. Dann nahm sie ihren Daumen in den Mund und drückte ihr kleines Kuscheltier an sich. Die Kleine war die Enkeltochter seiner Großnichte und ihre Mutter kam öfter mit ihr zu ihm, daher kannte die Kleine ihn und scheinbar mochte sie ihn, so wie er sie auch. Balthazar lachte, legte seinen Arm um sie, damit sie nicht herunterfiel, sie lehnte sich an ihn, offenbar war sie müde, sie nuckelte weiter an ihrem Daumen.

Dann sah er die anderen Kinder fragend an. Keiner sagte ein Wort. „Nun, schaut euch doch mal in diesem Raum um!“ Balthazar deutete auf die Wände. Endlich ging ein Raunen durch die Menge. Ein Finger reckte sich hoch in die Luft, ein Junge rief: „Ich, ich hab ihn gesehen, dort an der Wand, seine grüne Schwanzspitze ragt in das Fenster dort drüben.“ Schon sahen alle Kinder dorthin. Staunend verfolgten sie, wie sich Paff langsam von der Wand löste. Er hatte sich wie ein Chamäleon den Farben der Wand und dem Muster der Tapete angepasst. Er konnte sich damit prima überall unsichtbar machen. Nur seine kleine Schwanzspitze hatte er vergessen einzuziehen, sie war grün geblieben. Die Kinder applaudierten ihm und lachten, Paff lachte mit und dann war er verschwunden, unsichtbar, ganz plötzlich, ohne dass jemand sagen konnte, wohin und wie er das gemacht hatte. Kurz darauf sah er von draußen durch das große Fenster in den Raum hinein, klopfte an die Scheibe und zog Grimassen. Die Kinder waren begeistert, rannten zu dem Fenster und winkten ihm fröhlich zu. Jedes Mal, wenn er von seiner Insel kam und sie mit ihm spielen konnten, freuten sie sich.

Die Zeit war wie im Flug vergangen, draußen war die Drachendame Nachtfee schon über den Himmel geflogen und hatte die Sterne mit ihren Flügeln blank geputzt, sodass sie hell und silbern glänzten. Ein kurzes Wedeln von Balthazars Hand füllte die Tassen wieder mit süßer Schokolade. „So, meine Lieben, jetzt ist leider die Zeit für heute schon wieder um. Für den Heimweg gibt es noch eine heiße Schokolade und ich hoffe, euch alle in der nächsten Woche wiederzusehen!“ Vorsichtig hob Balthazar die kleine Lily von seinem Schoß und setzte sie auf dem Fußboden ab. Dann winkte er Corintus zu sich. „Bitte begleite doch diese kleine Dame hier sicher nach Hause. Es ist spät geworden. Aber jeder von euch wird von einem Licht geleitet. Auf Wiedersehen und eine gute Nacht!“

Von seiner großen Tür aus sah er ihnen hinterher, bis sie alle sicher zu Hause angekommen waren. Der kleine Zauberdrache Paff flog über ihnen und beleuchtete jedem seinen Weg.

Leise vor sich hinsummend ging Balthazar zurück in sein Haus. Es war ihm immer eine reine Freude, die Kinder zu unterrichten. Manchmal erzählte er ihnen auch Märchen oder andere erfundene Geschichten. Jede Woche ein- oder zwei Stunden lang. Als er seine Tür geschlossen hatte und in sein Zimmer zurückging, stand da vor ihm Serafina, seine Seelenfreundin. Ihr Gewand bestand aus mehreren Lagen dünnem Stoff in allen Blautönen, die oberste Lage war mit vielen kleinen silbernen Sternen bestickt, die bei jeder Bewegung blinkten, was dem Gewand einen lebendigen Anschein verlieh. Ihr weißes Haar fiel ihr offen den Rücken hinunter bis auf die Hüfte. Balthazar fragte sie nicht, wie sie hereingekommen war, er wusste, sie tauchte plötzlich auf und ging genauso ungesehen, schnell und lautlos. Er freute sich und breitete die Arme aus. Sie kam auf ihn zu und schmiegte sich hinein. Beiden sah man im Gesicht nicht an, dass sie schon sehr lange hier miteinander lebten und ein hohes Alter hatten.

Serafina blickte ihn liebevoll an: „Komm mit hinaus auf die Terrasse, mein Lieber, Nachtfee hat die Sterne schon geputzt und Dharcey leuchtet ganz aufgeregt am Himmel, so hell wie eine Sonne, heller und bunter als sonst.“ Hand in Hand gingen sie durch die kleine Tür nach draußen und schauten hinauf. Dort oben drehte Dharcey seine Kreise und summte eine wunderbare, ganz besonders schöne, laute Melodie, die er bisher noch nie durch die Nacht geschickt hatte. Serafina und Balthazar sahen sich ernst an, sie wussten sofort, was das bedeutete.

„Die Zeit ist gekommen. Der letzte Zyklus geht dem Ende zu. Gleich morgen früh müssen wir die Feen auf den Rosenwiesen besuchen. Wir müssen sie bitten, die kleinste, schönste und einfühlsamste Fee auf eine ganz besondere Mission schicken zu dürfen, so wie es einst vorhergesagt und besprochen wurde. Das ist unsere letzte Chance. Die Sterne stehen günstig und die Weissagung könnte sich jetzt endlich erfüllen. Wunderbar. Danke, Dharcey!“ Kurz winkten sie zum Himmel hinauf.

Der Weg am nächsten Morgen zu den Rosenwiesen war nicht weit, vor allem, wenn man Magie benutzte und mit einer Handbewegung dort war. Hier auf den Rosenwiesen lebten in einer kleinen Kolonie die Feen. Sie hatten sich hierher gerettet, da keine der anderen Welten sie aufnehmen wollten. Hier hatten sie sich eingerichtet. Diese Feen waren klein, manche so groß wie eine Libelle, andere hatten die Größe eines Kolibris, eines Adlers oder die einer Hummel. Alle trugen bunte Bekleidung und ihre Häuser lagen in den Bäumen und großen Büschen. Alle Feen hatten durchsichtige farbige Flügel und waren den ganzen Tag unterwegs. Im Gegensatz zu den viel größeren Elfen waren die Feen immer friedlich gesinnt, freundlich, hilfsbereit und fröhlich. Balthazar und Serafina wurden freundlich begrüßt und als sie ihr Anliegen vorbrachten, rief die Feenkönigin nach Rosalie, ihrer Botschafterin für besondere Fälle und gleichzeitig die schönste und anmutigste aller Feen. Sie war gerade von einem anstrengenden Flug von den Roten Bergen zurückgekommen. Balthazar streckte seine Hand aus und die Fee Rosalie landete darauf. Sie war klein genug, um darauf Platz zu nehmen. Ihr rosenrotes Kleid schimmerte in allen Rottönen, wenn sie sich bewegte. Es hatte ein feines goldenes Muster, ihre Flügel schimmerten in hellem rosarot. Ihre langen blonden Locken fielen ihr über den Rücken bis zu ihren kleinen Flügeln. Balthazar erklärte ihr die schwierige Mission. „Da kann ich mich ja erst einmal richtig ausruhen und bis zu meinem Einsatz schlafen.“ Dann nickte sie zum Einverständnis und sah ihn mit erwartungsvollen Augen an.

Balthazar griff in eine seiner Manteltaschen und holte eine wunderschöne Spieluhr heraus und öffnete sie. Rosalie flatterte hinein, ließ sich auf dem kleinen Drehteller nieder und versenkte sich in einen tiefen, tiefen Schlaf. Serafina und Balthazar schlossen die Spieluhr, legten ihre Hände auf den Deckel und murmelten gemeinsam eine Beschwörungsformel. Damit schickten sie die Spieluhr und Rosalie auf eine weite Reise, eine Reise in eine andere Welt, in eine andere Zeit, in einer Spieluhr, die Harfenklänge ertönen ließ, wenn man sie öffnete und beim ersten Öffnen Rosalie erwachen lassen würde. Dort in dieser anderen Welt, in dieser anderen Zeit, musste sie eine ganz wichtige Aufgabe erfüllen. Von dem Gelingen hing vielleicht der Fortbestand aller Welten ab. Als Balthazar und Serafina ihre Hände zurückzogen, war die Spieluhr verschwunden, wie von Zauberhand. Serafina und Balthazar bedankten sich bei den Feen und kehrten wieder zurück in sein Haus. „Jetzt können wir nur noch abwarten und hoffen. Alle Voraussetzungen für ein glückliches Ende, eine glückliche Zukunft aller unserer Welten sind erfüllt. Mögen alle guten Mächte sie begleiten! Lasst uns zusammen hoffen, dass es gelingt.“

Raoul

Er duckte sich tief hinter den zugezogenen Vorhang vor seinem Zimmerfenster, der bis hinunter auf den Boden ging, zog seine Füße dicht unter sich und hoffte, dass er unsichtbar war. Ein unheimliches Geräusch hatte ihn aufgeweckt, er konnte nicht identifizieren, was es gewesen war. Aber er hatte Angst. Er drückte sich noch weiter in die Ecke und kniff die Augen fest zusammen. Dann kam aus dem Schlafzimmer seiner Eltern ein kurzes Stöhnen, ein Poltern, dann war alles wieder ruhig. Schritte, leise und vorsichtig, den Flur hinunter, jede Tür wurde geöffnet, auch die seines Zimmers. Er hatte sein Bett glatt gezogen, wie sein Vater es ihm gezeigt hatte, nichts deutete darauf hin, dass er noch vor wenigen Minuten darin geschlafen hatte. Das Zimmer war aufgeräumt, keine kindliche Unordnung herrschte darin. Sein Vater hatte ihm diese Vorgehensweise schon vor Jahren beigebracht. Das sei lebensnotwendig, hatte er immer wieder gesagt. Es war zu einer zweiten Haut für ihn geworden. Lautlos atmete er aus und öffnete seine Augen. Die Neugierde siegte. Vorsichtig beugte er sich hinunter und lugte mit einem halben Auge unter dem Vorhang hindurch. Schwarze Soldaten-Stiefel tauchten auf, dann ein Knie, ein muskulöser, schwarz behaarter Arm tastete den Boden unter seinem Bett ab, ein seltsames, auffälliges schwarzes Tattoo kam in sein Blickfeld. Dann verschwand der Arm wieder. „Hier ist niemand, alles aufgeräumt, nichts liegt unter dem Bett. Das sieht man doch, dass hier keiner haust.“ Die Stimme war rau und tief, leise, unheimlich. Die Tür fiel ins Schloss, Schritte verklangen im Flur, die Haustür wurde fast geräuschlos zugezogen.

Er traute sich nicht, tief Luft zu holen. Lange Zeit verharrte er unbeweglich in seiner unbequemen Stellung. Was sollte er jetzt tun? Die Angst schnürte ihm die Kehle zu. Ließ ihn keinen klaren Gedanken fassen. Er wollte nur zu seinen Eltern. Er war doch noch ein Kind, ein Junge von gerade mal sechs Jahren. Sein Vater hatte ihn, seit er zurückdenken konnte, trainiert. Verhaltensmaßregeln, die ihm unsinnig erschienen, gingen ihm in Fleisch und Blut über. Sonst hätte er sich nicht so vernünftig verhalten können wie jetzt gerade. Er wartete, bis es etwas heller in seinem Zimmer wurde, das Morgenlicht durch die Rollladenschlitze drang. Dann schob er sich lautlos hinter dem Vorhang hervor, schlich auf Fußspitzen an die die Tür. Geräuschlos drückte er den Griff herunter, öffnete sie einen kleinen Spalt und schielte hinaus in den Flur. Die Bodenbeleuchtung hatte sich automatisch eingeschaltet. Es war kein Laut zu hören. Er sah sich in dem dämmrigen Licht um, alles war an seinem Platz. Es war niemand zu sehen. Langsam trat er hinaus. Schräg gegenüber war das Schlafzimmer seiner Eltern. Die Tür war geschlossen. Vorsichtig ging er hinüber und drückte den Türgriff hinunter.

„Mama? Papa?“ Leise flüsterte er die Worte in den Raum. Nichts. Stück für Stück schob er sich in den Raum, schloss die Tür hinter sich, die Fensterrollläden waren noch geschlossen. Es dauerte eine Weile, bis er das Bett erreichte, in dem seine Eltern normalerweise schliefen. Den Weg kannte er im Schlaf. Er tastete nach der Nachttischlampe und berührte sie kurz. Augenblicklich begann ein orangefarbenes Licht die Umgebung zu erhellen. Seine Eltern lagen in ihrem Bett und schienen zu schlafen. Nochmals flüsterte er: „Mama? Papa?“ Keine Reaktion. Er stupste seinen Vater vorsichtig mit seinem kleinen Zeigefinger an. Kalt. Lautlos schlich er zum Bett seiner Mutter und fasste ihre Hand an, die unter der Decke hervorlugte. Kalt. „Mama?“ Sie rührte sich nicht. Dann sah er das Blut. Da wusste er, dass sie nicht mehr lebten. Er traute sich nicht, die Decke zu lüften und nachzusehen, was ihnen genau zugestoßen war. Er wollte schreien, aber kein Laut kam über seine Lippen. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Langsam ging er zur Wand und ließ sich dort nieder, wippte hin und her, vor und zurück. Der Schmerz kam in Schüben. Schließlich weinte er still vor sich hin.

Nach ein paar Stunden stand er langsam auf, wischte sich die Tränen ab und ging hinaus. Das Licht ließ er brennen, sie sollten es nicht so dunkel haben. Er schloss die Tür hinter sich und ging zurück in sein Zimmer. Sein Rucksack lag im Schrank. Er holte ihn heraus, packte ein paar Kleidungsstücke ein, die er am liebsten anzog. Sein kleines Mobiltelefon, das Netzkabel, seinen iPad, mit dem er schon richtig gut umgehen konnte, seinen Lieblingsteddy, ohne den er nicht einschlafen wollte. Dann bückte er sich und griff unter sein Bett. Dort hatte sein Vater eine kleine Blechdose mit einem Klebestreifen befestigt, soweit nach oben, dass man sie auf den ersten Blick nicht sehen oder erfühlen konnte. „Hier sind auf einem USB-Stick Anweisungen für dich drin, wie du dich im Notfall, also falls mir und deiner Mutter etwas zustoßen sollte, verhalten musst. Bevor du dieses Haus verlässt, musst du sie lesen. Versprich es mir.“