Verloren in Dir - Jean Harvey - E-Book

Verloren in Dir E-Book

Jean Harvey

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Beschreibung

Ezra trägt Mauern aus Schmerz und Verlust, Jezabel scheint alles zu haben – Beliebtheit, Wärme, Geborgenheit. Doch als sich ihre Wege kreuzen, entsteht eine Nähe, die beide nicht mehr loslässt.
– und die Frage stellt: Kann man im größten Schmerz Halt finden, wenn man endlich jemanden hat, der bleibt?

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Jean Harvey

Verloren-2025-1759755364189

Texte: © Copyright by Jean Harvey

Umschlaggestaltung: © Copyright by Unsplash,Pixabay

Verlag: Jean Harvey Wiesentalstr. 54 79115 Freiburg [email protected]

BookRix GmbH Werinherstraße 3 D - 81541 München Amtsgerichts München, HRB 172828 USt-IDNr. DE259200829 (gemäß § 27 a UStG) Geschäftsführung: Johannes Conrady, Sandra Nyklasz, Giacomo D'Angelo

UUID: ff3e6105-f7d6-4195-af8e-771bfec6e76c
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Table of contents

1 Neuanfang

2 Zwei Welten die sich vermischen

3 Zuhause im Schatten

4 Gemeinsam Zeit verbringen

5 Zwischen Distanz und Nähe

6 Der Bruch, das Vertrauen und die Annäherung

7 Die Nacht zusammen

8 Aula

9 Familienessen und wie die Hände zueinander finden

10 Zum ersten Mal ganz nah

11 Freundinnen

12 Verlangen

13 Tanzfest

14 Der Tanz

15 Nach dem Tanz

16 Geständnisse

17 Erinnerung

18 Die erste zaghafte Berührung

19 Der "es war schön" Zettel

20 (wieder) so nah

21 Der erste Kuss

22 Verluste und Geständnisse

23 Wieder ein Kuss

24 Date am Abend

25 Gefühle und Gedanken

26 Veränderung

27 Wochenende

28 Montag

29 Am Stall

30 Das richtige

31 Der intime Kuss

32 Danach

33 Verlust und Trauer

34 Leere

35 Vom Früstückstisch bis ins Wohnzimmer

36 Die intimste Nacht

37 Der nächste Tag und die Beerdigung

38 Worte aus Liebe

39 Zusammen

Impressum

landmarks

Title page

Table of contents

Book start

1 Neuanfang

Ezra betrat den Klassenraum mit dem Gefühl, als hätte sie diese Situation schon hundertmal durchlebt. Ein neuer Anfang, wieder einmal. Sie war siebzehn, mit kurzem, dunklem Haar, grünen Augen, die stets mehr verrieten, als sie wollte. Ihr Ruf eilte ihr voraus, auch wenn hier noch niemand ihre Geschichte kannte. Doch die Stille, die in dem Moment aufkam, als sie eintrat, war ihr nur allzu vertraut.

Zwischen all den fremden Gesichtern war es eines, an dem sie hängen blieb.

Jezabel. Siebzehn, schön auf eine Weise, die keine Mühe brauchte. Ihr dunkles, langes Haar glänzte im Licht, und die Art, wie sie dort saß, von ihren Mitschülern umgeben, verriet, dass sie im Mittelpunkt stand – ganz ohne es erzwingen zu müssen. Beliebt, bewundert.

Ihre Augen trafen sich.

Ezras Blick, grün und wachsam, hielt sich an Jezabels fest, und Jezabels dunkle Augen erwiderten ihn ohne Zögern. Es war kein zufälliges Streifen, kein höfliches Mustern. Es war ein Innehalten, als hätte die Zeit beschlossen, kurz die Luft anzuhalten.

Niemand im Raum sprach es aus, niemand bemerkte vielleicht, was da geschah – und doch war es da, spürbar und still: dieser erste, unausweichliche Faden, der sich zwischen den beiden spannte.

Ezra senkte den Blick als Erste, doch der Augenblick war nicht vorbei. Er hatte gerade erst begonnen.

Ezra ging durch die Reihen, ihre Schritte bedacht, als würde jeder Platz sie prüfen, bevor er sie annahm. Niemand sagte etwas. Ein paar Köpfe wandten sich flüchtig zu ihren Freunden, ein paar Augenbrauen hoben sich. Man spürte dieses leise Raunen, das entsteht, wenn jemand Neues auftaucht und alle nur darauf warten, eine Geschichte in ihr Gesicht zu lesen.

Sie entschied sich für einen Platz nahe am Fenster, nicht ganz hinten, nicht ganz vorne – ein Zwischenraum, sicher genug, um nicht sofort im Mittelpunkt zu stehen. Sie ließ sich in den Stuhl sinken, stellte die Tasche neben die Beine und drehte den Kopf unauffällig hinaus. Draußen spannte sich der Himmel in einem matten Grau, als hätte er ihre Stimmung gespiegelt.

Ezra wusste, dass jemand sie ansah. Dieses Gewicht im Nacken, das man nicht ignorieren kann. Zögernd wagte sie es, den Kopf zu wenden – und da war Jezabel. Noch immer.

Sie tat nichts Auffälliges. Sie sprach nicht, sie lachte nicht, sie winkte nicht. Aber ihre Augen lagen auf Ezra, als wollte sie verstehen, wer dieses Mädchen war, das so still hereingekommen war und dennoch sofort auffiel.

Ezra hielt den Blick nicht lange aus. Sie wandte sich wieder dem Fenster zu, zwang sich, den Stift aus der Tasche zu nehmen, als wäre nichts gewesen. Doch ein unsichtbares Band blieb gespannt, kaum merklich, und doch stark genug, dass beide wussten: Das hier war mehr als nur ein flüchtiger Zufall.

Die Stunde begann, Worte rauschten wie Wasser an Ezra vorbei. Doch sie hörte nicht auf, sich dessen bewusst zu sein – Jezabels Blick, irgendwo hinter ihr, so sanft und gleichzeitig so scharf, dass er sich in sie hineinbohrte.

Der Gong beendete die Stunde, und sofort brach das Stimmengewirr los. Stühle verschoben sich, Hefte klappten zu, Taschen wurden mit einem dumpfen Schlag auf den Boden gezogen. Ezra blieb noch einen Moment sitzen, ließ die anderen an sich vorbeiziehen. Sie mochte es nicht, im Gedränge zu stehen, beobachtet zu werden, während sie sich einen Weg durch die Menge bahnte.

Jezabel stand in der Mitte einer kleinen Gruppe, lachte über etwas, das einer ihrer Freunde sagte. Es wirkte mühelos, fast selbstverständlich, wie sie sich bewegte – jeder Blick, jede Geste hatte Gewicht. Ezra zwang sich, nicht hinzusehen, und doch glitt ihr Blick immer wieder zu ihr, wie von allein.

Als der Raum sich leerte, nahm Jezabel ihre Tasche, verabschiedete sich beiläufig von den anderen – und ging nicht sofort hinaus. Sie steuerte auf Ezra zu.

Ezra spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog. Sie tat so, als würde sie in ihren Notizen blättern, obwohl da nichts stand.

„Du bist neu, oder?“

Jezabels Stimme war warm, klar, und irgendwie näher, als Ezra erwartet hatte.

Langsam hob sie den Kopf. Jezabel stand vor ihrem Tisch, das lange Haar fiel ihr über die Schulter, und diese dunklen Augen sahen direkt in Ezras hinein. Keine Spur von Abneigung, keine Spur von bloßer Neugier. Eher etwas dazwischen – aufmerksam, fast vorsichtig.

„Ja“

sagte Ezra knapp. Ihre Stimme klang tiefer, als sie gedacht hatte.

Ein kleines Lächeln huschte über Jezabels Lippen.

„Ezra, richtig?“

Ezra nickte. Sie wunderte sich, woher sie den Namen kannte, doch vielleicht hatte die Lehrerin ihn am Anfang genannt.

„Ich bin Jezabel.“

Es klang nicht wie eine Vorstellung – mehr wie eine Feststellung. Als müsse Ezra diesen Namen ohnehin schon kennen.

Für einen Moment stand da nur dieses Schweigen zwischen ihnen. Nicht unangenehm, eher gespannt. Dann nickte Jezabel leicht, als hätte sie gefunden, wonach sie gesucht hatte, und wandte sich schließlich zum Gehen.

Ezra sah ihr nach, länger als sie sollte.

Jezabel hatte schon zum Gehen angesetzt, blieb dann aber doch noch einmal stehen. Sie drehte sich halb zu Ezra um, und die Dunkelheit ihrer Haare schimmerte im Licht der Nachmittagssonne, die durch das Fenster fiel.

„Woher kommst du eigentlich?“

fragte sie beiläufig, fast so, als wäre es nur eine kleine Randnotiz – und doch klang es ehrlicher als die meisten Fragen, die Ezra bisher gehört hatte.

Ezra zögerte, ihre Finger umklammerten den Stift, den sie eigentlich längst weglegen wollte.

„Von einer anderen Schule“, antwortete sie, ausweichend.

Jezabels Augen verengten sich ein wenig, nicht misstrauisch, eher interessiert.

„Offensichtlich. Und? Gefällt es dir hier schon?“

Ezra zuckte mit den Schultern. „Hab’s noch nicht entschieden.“

Ein Lächeln, kurz, geheimnisvoll, huschte über Jezabels Gesicht.

„Dann hoffe ich, dass du es bald tust.“

Ohne eine weitere Erklärung nahm sie ihre Tasche und ging hinaus, so leise, wie sie gekommen war.

Ezra blieb zurück, das Echo dieser Worte in den Ohren.

In der Pause drängte sich der Schulhof voller Stimmen, Schritte, Lachen. Ezra stand etwas abseits, an eine Mauer gelehnt, ihre Kopfhörer locker um den Hals, ohne Musik. Sie tat so, als wäre sie in Gedanken versunken, während sie in Wahrheit jede Bewegung, jedes Geräusch schärfer wahrnahm.

Eine Gruppe kam lachend vorbei – mittendrin Jezabel. Sie war umringt von Freunden, doch als ihr Blick über die Menge wanderte, blieb er an Ezra hängen. Nur für einen Moment, dann blieb sie stehen.

„Ich bin gleich da“,

sagte sie beiläufig zu den anderen. Und bevor jemand fragen konnte, trat sie einen Schritt zur Seite, auf Ezra zu.

„Schon wieder allein?“

fragte sie, nicht spöttisch, sondern fast sanft.

Ezra hob den Kopf, versuchte sich nichts anmerken zu lassen.

„Scheint so.“

Jezabel nickte, trat näher, als wäre es das Natürlichste der Welt.

„Darf ich mich dazustellen?“

Ezra brauchte einen Atemzug zu lange, um zu antworten.

„Wenn du willst.“

Und so standen sie da, nebeneinander, während um sie herum das Chaos der Pause tobte. Ein leiser, unscheinbarer Moment, der sich für Ezra doch größer anfühlte, als er nach außen schien.

Der Weg nach Hause war wie immer länger, als er eigentlich war. Ezra kannte jede Ecke, jede kaputte Pflasterstelle auf dem Bürgersteig. Doch an diesem Tag schien jeder Schritt schwerer, als sie näher an das Haus kam, das sie ihr Zuhause nennen musste.

Die Tür knarrte, als sie sie aufschob. Schon im Flur hing der schwere Geruch in der Luft – eine Mischung aus Rauch, verschüttetem Bier und etwas, das längst Teil der Wände geworden war. Ezra hielt unbewusst den Atem an.

Sie hörte das leise Klirren von Glas, dann eine Bewegung im Wohnzimmer. Der Fernseher lief zu laut, die Worte verschwammen zu einem dumpfen Brummen.

„Ezra!“

Die Stimme ihres Vaters klang heiser, unklar. Er versuchte aufzustehen, man hörte den Stuhl scharren, dann ein leises Poltern, als er sich wieder fallen ließ.

„Bist du das?“

Sie antwortete nicht. Es war besser, wenn sie unsichtbar blieb. Mit schnellen, leisen Schritten ging sie die Treppe hoch, den Blick fest auf die Stufen gerichtet, als könnte sie sich selbst unsichtbar machen.

Ihr Zimmer war der einzige Ort, der ihr gehörte. Sie schloss die Tür leise hinter sich, drehte den Schlüssel, und die Stille darin umfing sie sofort. Es war kein schönes Zimmer, aber es war ihres. Poster an den Wänden, ein Stapel Bücher auf dem Boden, das Fenster weit geöffnet, damit die stickige Luft aus dem Rest des Hauses hier nicht eindrang.

Ezra ließ sich auf ihr Bett fallen, zog die Knie an die Brust und legte die Stirn dagegen. Der Lärm von unten drang gedämpft durch die Wände, doch hier oben konnte sie ihn fast ignorieren. Fast.

Sie griff nach ihrem Notizbuch auf dem Nachttisch, blätterte die leeren Seiten durch, ohne wirklich lesen zu wollen. Manchmal schrieb sie, wenn es zu laut wurde – Gedanken, Fragmente, einfach Worte, die nur ihr gehörten. Heute aber hielt sie den Stift nur in der Hand, starrte auf die Seite und dachte an den Blick von vorhin.

Jezabel.

Dunkle Augen, die nicht so schnell verschwanden, wie sie sollten. Etwas, das hängen blieb – wie ein Licht in all dem Dunkel.

Ezra atmete tief durch und ließ den Stift sinken. Irgendwo tief in ihr war da ein winziger, leiser Gedanke: dass vielleicht doch noch etwas anders werden könnte.

Jezabel ging in der Mitte ihrer kleinen Gruppe, die Freundinnen lachten, erzählten, tauschten schon Pläne für das Wochenende aus. Ihre Stimmen überschnitten sich, voller Energie, voller Selbstverständlichkeit.

„Und, was hältst du von der Neuen?“

fragte Clara, die immer die Erste war, wenn es darum ging, über andere zu reden.

„Sie ist irgendwie … anders, findest du nicht?“

„Komisch still,“

warf eine andere ein,

„so, als ob sie gar nicht hier sein will.“

Jezabel hörte zu, nickte beiläufig, doch ihre Gedanken waren schon längst abgedriftet. Sie sah Ezra wieder vor sich, wie sie in der Klasse gestanden hatte, mit diesen grünen Augen, die mehr sagten, als Ezra jemals laut aussprechen würde. Da war nichts Lautes, nichts Aufgesetztes – aber etwas, das blieb.

„Sie ist hübsch,“

sagte Jezabel schließlich, leise, fast mehr zu sich selbst als zu den anderen.

Die Freundinnen lachten kurz, überrascht, und eine meinte grinsend:

„Na, das hast du aber schnell bemerkt.“

Jezabel lächelte nur, aber in ihr regte sich etwas, das sie nicht benennen konnte. Es war kein einfaches Interesse, kein bloßes Beobachten. Eher ein Ziehen, ein unbestimmtes Gefühl, als ob hinter Ezras Schweigen etwas wartete, das die anderen nicht sahen.

Der Wind strich durch ihr Haar, während sie die Straße entlangging, und während ihre Freundinnen weiterredeten, hörte Jezabel gar nicht mehr richtig zu.

Sie dachte nur daran, wie Ezra im Klassenzimmer am Fenster gesessen hatte, still, fast unsichtbar – und trotzdem so schwer zu übersehen.

Die Nacht war still, bis das Klirren von Glas sie aufschrecken ließ. Ezra fuhr hoch, das Herz raste sofort. Unten im Wohnzimmer rumpelte es, die Stimme ihres Vaters durchbrach die Dunkelheit, heiser, unverständlich, aber laut.

„Ezra!“ Seine Schritte schwankten gegen die Möbel.

„Warum kommst du nicht runter?“

Sie schwang die Beine aus dem Bett, öffnete die Tür nur einen Spalt.

„Es ist mitten in der Nacht,“

sagte sie kühl, ohne ihre Stimme zu heben.

„Und? Das ist auch mein Haus!“

Seine Worte schwammen in Alkohol, begleitet vom dumpfen Schlag einer Faust gegen die Wand.

„Du tust so, als wärst du zu gut für mich. Immer dieses Schweigen!“

Ezra ballte die Hände zu Fäusten, spürte, wie die Wut in ihr aufflackerte, heiß und gleichzeitig kalt.

„Weil du mich nicht reden lässt,“

schoss sie zurück.

„Weil du alles ertränkst, was dir wichtig sein sollte!“

Ein Moment der Stille. Dann ein Fluchen, schwer und roh. Sie wusste, es würde nichts bringen, weiterzureden. Also schloss sie die Tür, lehnte sich dagegen und atmete tief. Tränen brannten in den Augen, doch sie blinzelte sie weg. Weinen half nicht. Niemals.

Am nächsten Morgen war das Haus noch immer dunkel, als hätte der Streit es verschluckt. Ezra kam zu spät los, rannte durch die Straßen, ihre Tasche halb offen, die Haare zerzaust. Das Klingeln des Gongs schnitt ihr entgegen, als sie das Schulgebäude erreichte. Der Unterricht hatte schon begonnen.

Langsam öffnete sie die Tür. Alle Köpfe wandten sich zu ihr. Sie spürte die Blicke, das Tuscheln. Der Lehrer, ein Mann mit strenger Miene und zu viel Bedürfnis nach Autorität, verschränkte die Arme.

„Ezra,“

sagte er mit gespielter Ruhe, die schärfer wirkte als ein Schrei.

„So stellen wir uns Pünktlichkeit hier also vor? Ist es an Ihrer alten Schule üblich gewesen, zu erscheinen, wann immer man Lust hat?“

Ein paar Schüler lachten leise. Jezabel sah nicht weg, ihre Augen lagen starr auf Ezra, als wollte sie den Moment mit ihr durchstehen.

Ezra aber blieb vollkommen ruhig. Sie stellte ihre Tasche ab, richtete sich auf und erwiderte den Blick des Lehrers, kühl, ohne ein Wort.

„Haben Sie nichts zu sagen?“

„Doch,“

erwiderte Ezra knapp.

„Dass ich jetzt hier bin.“

Ein Murmeln ging durch die Klasse. Der Lehrer schnaubte, schrieb etwas auf sein Blatt, als wollte er sie damit bestrafen. Doch Ezra setzte sich auf ihren Platz, ohne mit der Wimper zu zucken. Ihr Herz schlug heftig, aber sie ließ es niemanden sehen.

Cool bleiben – das konnte sie. Es war das Einzige, was sie seit Jahren gelernt hatte.

Der Unterricht zog sich wie Kaugummi, jedes Wort des Lehrers schien schwerer zu werden, je länger er sprach. Ezra saß am Fenster, den Stift in der Hand, aber die Spitze berührte kaum das Papier. Ihre Augen glitten nach draußen, dorthin, wo die Äste eines Baumes sich im Wind bewegten, als wollten sie ihr ein anderes Leben zuflüstern.

Sie war da – körperlich –, aber in Wahrheit war sie weit weg. Zurück in der Nacht, bei den lauten Worten ihres Vaters, bei dem Moment, in dem sie sich gewünscht hatte, einfach verschwinden zu können. Der dumpfe Druck in ihrer Brust ließ sie tiefer in den Stuhl sinken, so unsichtbar wie möglich.

Von der Seite aber fiel ein Blick auf sie.

Jezabel, die sonst aufmerksam wirkte, die mitschreiben konnte, während sie nebenbei mit einem ihrer Freunde flüsterte, ließ ihren Blick immer wieder zu Ezra wandern. Sie sah, wie deren Augen glasig auf das Fenster hinaus starrten, wie die Finger nervös den Stift drehten, ohne wirklich etwas damit anzufangen.

Es war nicht die Unaufmerksamkeit eines gelangweilten Schülers. Es war dieses Abwesende, das man spürte, wenn jemand innerlich an einem Ort war, zu dem sonst niemand Zutritt hatte.

Jezabels Stirn legte sich kurz in Falten. Sie drehte ihren Kopf kaum merklich, versuchte, Ezra unauffällig zu mustern. Doch Ezra bewegte sich nicht, ließ nichts erkennen, außer diesem stillen Schweigen, das schwerer wirkte als jede Antwort.

Jezabel konnte nicht sagen, warum es sie so beschäftigte. Aber etwas an diesem Schweigen rief nach ihr – leise, eindringlich, unausgesprochen.

Der Lehrer redete weiter, die Klasse lachte an der passenden Stelle. Doch zwischen all dem blieb Jezabels Aufmerksamkeit an Ezra hängen, wie ein unsichtbarer Faden, den niemand außer ihr bemerken konnte.

2 Zwei Welten die sich vermischen

Der Gong läutete das Ende der Stunde ein. Stühle rutschten, Hefte klappten zu, Stimmen erhoben sich. Ezra blieb sitzen, wie so oft. Sie wollte nicht in der Menge stehen, wollte nicht Teil des Lärms sein. Also ließ sie die anderen zuerst gehen, langsam, geduldig, als könnte sie sich so unsichtbar machen.

Doch als sie endlich ihre Tasche schulterte und sich Richtung Tür bewegte, wartete dort schon jemand. Jezabel lehnte lässig am Türrahmen, das lange Haar fiel ihr über die Schulter, und in den Augen lag ein Glanz, den man nicht einfach übersehen konnte.

„Hey,“

sagte sie, leise genug, dass es nicht wie ein Ruf klang, aber bestimmt genug, um Ezras Schritt anzuhalten.

Ezra hob den Kopf, erwiderte den Blick, vorsichtig.

„Was?“

„Ich wollte fragen…“

Jezabel schob die Hände in die Taschen, als wäre es die beiläufigste Sache der Welt.

„Ob ich dich ein Stück begleiten kann.“

Ezra runzelte die Stirn.

„Wir gehen doch gar nicht denselben Weg.“

Ein kleines Lächeln huschte über Jezabels Lippen.

„Vielleicht nicht. Aber ich habe Zeit.“

Für einen Moment stand Ezra reglos da, suchte in Jezabels Gesicht nach einem Grund, nach einer Absicht. Alles in ihr wollte abblocken, Nein sagen, wie immer. Doch etwas in diesem Blick hielt sie fest – etwas, das nicht wie Neugier wirkte, sondern wie echtes Interesse.

„Wenn du willst,“

sagte sie schließlich, so kühl sie konnte, auch wenn ihr Herz schneller schlug.

„Gut.“

Jezabel stieß sich vom Türrahmen ab und fiel neben sie, als wäre es das Natürlichste der Welt.

Und so gingen sie nebeneinander durch den Flur, schweigend zuerst, dann im Schritt fast im gleichen Takt.

Der Flur war längst still, als sie die Schule verließen. Die Sonne hing tief, tauchte die Straße in ein warmes, goldenes Licht. Nebeneinander liefen sie los, ihre Schritte hallten auf dem Pflaster – erst wortlos, dann von Jezabel durchbrochen.

„Du bist wirklich still,“

meinte sie nach einer Weile. Es klang nicht vorwurfsvoll, eher wie eine Beobachtung. Ezra zuckte mit den Schultern.

„Ich sag halt nur was, wenn’s nötig ist.“

„Hm.“

Jezabel nickte, als würde sie sich das Merken.

„Und was ist nötig?“

Ezra warf ihr einen kurzen Seitenblick zu, halb überrascht, halb amüsiert über die Frage.

„Kommt drauf an, wer fragt.“

Ein leises Lächeln huschte über Jezabels Gesicht.

„Dann habe ich ja Glück, dass ich’s bin.“

Für einen Moment war da ein Schweigen zwischen ihnen, kein unangenehmes, eher ein Abtasten. Ezra spürte, wie ihr Herz gegen die Rippen pochte, obwohl sie sich äußerlich nichts anmerken ließ.

„Und? Woher kommst du?“

fragte Jezabel schließlich, die Stimme weich.

Ezra schob die Hände tiefer in die Taschen ihrer Jacke.

„Von woanders.“

„Das habe ich schon vermutet,“

erwiderte Jezabel trocken, und ein Funkeln huschte über ihre Augen.

„Aber woanders ist groß.“

Ezra schwieg. Sie wollte nicht, dass Jezabel zu viel sah. Nicht von den Dingen, die sie lieber für sich behielt. Und doch, irgendwie, schien es schwerer als sonst, sich einfach zu verschließen.

„Du musst nicht antworten,“

fügte Jezabel nach einer Weile hinzu, fast sanft.

„Ich frag nur, weil… ich’s wissen will. Nicht, weil ich’s muss.“

Ezra atmete langsam aus, blickte wieder geradeaus.

„Vielleicht erzähl ich’s dir irgendwann,“ murmelte sie.

Jezabel lächelte. „Dann warte ich eben.“

Sie bogen in eine Nebenstraße. Ezra wusste, dass Jezabel hier eigentlich nicht entlang musste, doch sie sagte nichts. Irgendwie war es angenehm, nicht allein zu laufen.

Und zum ersten Mal seit Langem fühlte sich Ezra nicht wie das Mädchen, das unsichtbar sein wollte.

Die Sonne stand schon tiefer, als sie die letzten Meter nebeneinander gingen. Die Straße war fast leer, nur das Summen der Stadt im Hintergrund. Ezra hatte bisher geschwiegen, jede Frage abgewehrt oder im Nichts verlaufen lassen. Doch diesmal war es anders – vielleicht, weil Jezabel nicht drängte.

Kurz bevor die Wege sich trennten, blieb Ezra stehen. Sie trat mit der Spitze ihres Schuhs gegen einen Stein, als wollte sie Zeit gewinnen.

„Texas,“

sagte sie schließlich, ohne sie anzusehen.

„Ich komm aus Texas.“

Jezabel hob leicht die Augenbrauen, überrascht über das plötzliche Geständnis.

„Texas,“

wiederholte sie leise, als würde sie den Klang schmecken.

„Weit weg.“

Ezra nickte. Ihr Blick wanderte zu Boden.

„Mein Vater war bei der Army. Jedenfalls eine Zeit lang. Danach…“

Sie brach ab, zuckte mit den Schultern.

„Naja. Danach war’s nie wieder wie vorher.“

Ein Schweigen legte sich über sie, schwer, aber nicht unangenehm. Jezabel hätte nachfragen können – doch sie tat es nicht. Stattdessen sah sie Ezra nur an, mit diesem Blick, der keinen Spott, keine Neugier, sondern nur echtes Zuhören bedeutete. Ezra spürte es, und für einen Atemzug war es fast, als würde der Druck in ihrer Brust leichter. Dann nickte Jezabel.

„Danke, dass du’s gesagt hast.“

Ezra blinzelte, überrascht.

„Warum?“

„Weil’s nicht egal ist,“

antwortete Jezabel schlicht.

Sie gingen noch ein paar Schritte, dann trennten sich ihre Wege. Jezabel bog nach rechts ab, Ezra geradeaus. Ein letzter Blick über die Schulter, ein kurzes, kaum sichtbares Lächeln. Und dann waren sie allein, jede auf ihrem Weg – aber mit etwas, das blieb.

Jezabel hatte ihre Tasche locker über die Schulter geworfen, die Schritte gleichmäßig, fast mechanisch. Doch in ihrem Kopf war es alles andere als ruhig.

Sie dachte an Ezra.

An das Mädchen mit den grünen Augen, die so viel verbargen und doch so schwer zu übersehen waren. An die kühle Art, die Ezra zeigte, als würde sie eine Mauer um sich herum hochziehen, Stein für Stein. Aber auch an den Moment, als diese Mauer kurz durchbrochen wurde. Texas. Army. Ein Vater, der in diesem Wort mehr Gewicht hatte, als Ezra je aussprechen würde. Jezabel runzelte die Stirn, während sie weiterging. Es war merkwürdig, wie jemand, den sie kaum kannte, sich schon so in ihre Gedanken schleichen konnte. Normalerweise war es einfach – sie wusste, wer interessant war und wer nicht, wer sich lohnte und wer unsichtbar blieb. Doch Ezra passte in keine dieser Schubladen. Sie erinnerte sich an das kurze Zögern, bevor Ezra sprach. Dieses fast widerwillige Eingeständnis, als wäre jedes Wort ein Risiko. Und doch hatte sie es gesagt. Gerade ihr. Jezabel. Ein kleines Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Nicht aus Spott, nicht aus Triumph – sondern aus etwas, das sie selbst noch nicht ganz greifen konnte. Die Laternen gingen an, warfen gelbes Licht auf den Gehweg. Jezabel zog die Jacke enger um sich, aber in ihr war es warm. Etwas Neues, das sie nicht benennen wollte, weil sie wusste: Sobald sie es benannte, würde es real. Und während sie den Schlüssel in die Haustür steckte, fragte sie sich, warum ausgerechnet Ezra – das Mädchen, das stiller war als alle anderen – sich jetzt lauter anfühlte als alles, was sonst in ihrem Leben war.

3 Zuhause im Schatten

Das Haus lag in Dunkelheit, nur das flackernde Licht des Fernsehers unten drang gedämpft durch den Boden. Ezras Vater war wieder eingeschlafen, irgendwo zwischen Bierflasche und zerknitterter Decke. Sie hatte die Tür zu ihrem Zimmer geschlossen, den Schlüssel im Schloss gedreht – ein kleines Ritual, das ihr wenigstens das Gefühl von Sicherheit gab. Die Luft roch nach aufgestautem Tag, doch am offenen Fenster wehte ein schwacher Abendwind herein. Ezra ließ sich aufs Bett sinken, die Beine angewinkelt, das Gesicht ins Kissen gedrückt. Für einen Moment wollte sie einfach alles vergessen – die Schule, die Blicke, die Stimme ihres Vaters. Aber dann schob sich eine andere Erinnerung dazwischen: Jezabels Augen. Dunkel, aufmerksam. Und die Worte, die Ezra beinahe widerwillig ausgesprochen hatte. Texas. Army. Vater. Sie seufzte, setzte sich auf und griff nach der Gitarre, die in der Ecke stand. Der Lack war an manchen Stellen schon matt, die Saiten hatten ihre Spuren an den Fingern hinterlassen. Sie legte den Arm darum, als wäre sie ein vertrauter Freund. Die ersten Akkorde klangen leise, noch unsicher. Dann wurde es ein Rhythmus, ein Muster, das nur ihr gehörte. Kein Lied, das andere kannten, sondern etwas Eigenes – eine Melodie, die aus ihr herausfloss, unruhig und doch sanft. Ihre Finger fanden die Saiten, während ihre Gedanken zurückwanderten. Jezabel, die am Türrahmen gewartet hatte. Jezabel, die neben ihr gegangen war, ohne Grund. Jezabel, die nicht gelacht hatte, als Ezra ein Stück ihrer Wahrheit preisgab. Ein Ton brach ab, sie griff neu an, strich wieder über die Saiten. Leise. Heimlich. Nur für sich.

4 Gemeinsam Zeit verbringen

Am nächsten Tag lag über dem Schulhof die typische Unruhe der Pause. Schüler liefen durcheinander, lachten, schrien, tauschten Essen und Gerüchte. Ezra stand wie gewohnt ein wenig abseits, die Hände in den Taschen, den Blick auf den Boden gerichtet. Doch diesmal wartete sie nicht nur auf das Ende der Pause – diesmal wartete sie auf sie. Und dann sah sie Jezabel. Sie war wie immer inmitten von Stimmen, doch etwas stimmte nicht. Ein Typ – groß, breitschultrig, mit einem Grinsen, das zu selbstsicher war – stand dicht vor ihr. Paul. Sein Name fiel oft genug, wenn über Fußball oder Partys geredet wurde. Ezra sah, wie er sich vorlehnte, Jezabels Arm fast berührte.

„Komm schon, nur ein Drink. Heute Abend, ich hol dich ab,“

hörte man ihn sagen, laut genug, dass ein paar andere Jungs daneben grinsend lauschten. Jezabel lächelte nicht. Ihr Blick wich zur Seite, ihre Schultern zogen sich leicht zurück.

„Nein, Paul. Wirklich nicht.“

Doch er ließ nicht locker.

„Ach komm, stell dich nicht so an. Nur ein bisschen Spaß.“

Seine Hand wanderte einen Schritt zu nah, als wollte er ihr den Weg versperren. Ezra spürte, wie ihr Herzschlag schneller wurde. Normalerweise hätte sie sich aus allem rausgehalten, unsichtbar bleiben – das war ihre Regel. Doch diesmal nicht. Nicht, wenn Jezabel so deutlich zeigen musste, dass sie es nicht wollte. Also trat sie vor.

„Sie hat nein gesagt,“

sagte Ezra, ruhig, aber mit einer Schärfe, die sofort in der Luft hing. Paul wandte sich zu ihr, überrascht, dann verächtlich.

„Und was mischst du dich ein, Neue?“

Ezra verschränkte die Arme, stellte sich direkt neben Jezabel.

„Weil du’s nicht kapierst. Lass sie einfach in Ruhe.“

Für einen Moment hing Stille in der Gruppe. Pauls Augen blitzten, als wollte er kontern, aber er murmelte nur „eingebildet“ und stapfte schließlich davon, seine Freunde zogen ihn mit spöttischem Gelächter hinter sich her. Ezra blieb still, die Muskeln noch angespannt, bis sie sicher war, dass er wirklich weg war. Dann erst wandte sie den Kopf zu Jezabel.

„Alles okay?“

Jezabel nickte, ein leises Lächeln, das nicht gespielt war, huschte über ihr Gesicht.

„Danke,“ sagte sie,

und ihre Stimme klang ehrlich – vielleicht ehrlicher als sie sonst jemals vor den anderen klang. Für einen kurzen Moment standen sie da, mitten im Lärm des Pausenhofs, und doch war es, als wären nur sie beide übrig geblieben.

Der Schulhof füllte sich wieder mit Stimmen, als wäre nichts geschehen. Paul war verschwunden, die anderen hatten sich zerstreut, und doch hing zwischen Ezra und Jezabel noch die Schwere der Situation. Jezabel trat einen Schritt näher, zog sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Willst du dich zu mir setzen?“

fragte sie direkt, fast so, als wäre es keine Bitte, sondern eine Selbstverständlichkeit. Ezra zuckte kaum merklich die Schultern. Ihr Gesicht blieb ruhig, die grünen Augen kühl.

„Muss nicht.“

Jezabel lachte leise, nicht spöttisch, sondern überrascht.

„Du bist wirklich schwer zu knacken, weißt du das?“

„Ich bin nicht hier, um mich knacken zu lassen,“

erwiderte Ezra, die Tasche noch über der Schulter. Doch trotz der Worte machte sie keine Anstalten, zu gehen.

„Trotzdem.“

Jezabels Stimme wurde weicher.

„Es wäre… schön, wenn du dich setzt. Nur heute.“

Ezra ließ sich Zeit. Sie starrte einen Moment über den Schulhof, so als würde sie abwägen, ob es das Risiko wert war. Dann setzte sie sich langsam auf die Bank, einen Schritt entfernt von Jezabel. Nicht zu nah, nicht zu vertraut – aber da.

„Na also,“

sagte Jezabel mit einem kleinen Lächeln. Ezra verschränkte die Arme, lehnte sich zurück, als wäre es nichts Besonderes.

„Nur weil ich grad nichts Besseres zu tun hab.“

Doch in Wahrheit spürte sie, wie sich etwas in ihr regte – ein kaum merkliches Ziehen, das sie nicht zugeben wollte.

Jezabel ließ es so stehen, lächelte, und begann einfach zu reden, als wäre es das Normalste der Welt, dass Ezra jetzt neben ihr saß.

Und während Ezra nach außen kühl blieb, wusste sie tief in sich, dass dieser Moment etwas war, das sie nicht so leicht wieder abschütteln konnte. Die Bank fühlte sich kühl unter Ezras Händen an. Sie saß da, die Tasche neben den Beinen, den Blick nach vorn gerichtet. Um sie herum tobte der Pausenhof: Lachen, Rufen, das Scheppern von Flaschenautomaten. Doch zwischen ihr und Jezabel wirkte alles wie eine stille Blase.

„Also,“

begann Jezabel, ihre Stimme leicht, fast spielerisch.

„Texas, Army, dein Vater. Klingt… groß.“

Ezra hob eine Augenbraue.

„Du merkst dir Sachen.“

„Nur die, die wichtig sind.“ Jezabel lächelte.

Ezra sah sie kurz an, dann wieder weg.

„War nicht so besonders. Texas ist wie überall – nur heißer.“

„Und die Army?“

Ezra zuckte die Schultern.

„Hat ihn beschäftigt. Zu sehr.“

Ihre Finger spielten am Saum ihrer Jacke. Sie wollte das Thema abwehren, doch ein kleiner Teil in ihr ließ die Worte einfach herausfallen.

Jezabel nickte langsam, fragte nicht weiter. Stattdessen wechselte sie geschickt die Richtung.

„Und was beschäftigt dich?“

Ezra starrte sie an, überrascht von der Direktheit.

„Mich?“

„Ja.“

Jezabel zog die Beine an, drehte sich etwas zu ihr.

„Du wirkst, als wärst du überall mit dem Kopf – nur nicht hier.“

Ezra hielt den Blick stand. Ihre Stimme war ruhig, beinahe gleichgültig.

„Vielleicht stimmt das.“

Ein Schweigen folgte, diesmal nicht unangenehm. Dann grinste Jezabel leicht.

„Du bist wirklich schwer zu lesen. Wie ein Buch ohne Titel.“

Ezra musste fast lachen, aber sie drückte es hinunter.

„Vielleicht will ich nicht gelesen werden.“

„Oder du wartest nur auf die richtige Person.“

Ezra wandte sich wieder ab, doch in ihrem Innern regte sich etwas, das sie nicht so schnell loswurde. Jezabels Stimme, weich und sicher zugleich, schob sich zwischen all die Mauern, die sie um sich gebaut hatte. Die Glocke läutete das Ende der Pause. Schüler erhoben sich, strömten zurück ins Gebäude. Ezra stand auf, schnallte sich die Tasche um.

„Danke, dass du dich gesetzt hast,“

sagte Jezabel, ehe sie sich trennten.

Ezra zuckte die Schultern, kühl wie immer.

„War nur eine Bank.“

Doch während sie ging, wusste sie, dass es mehr gewesen war.

Die Sonne senkte sich schon, als Jezabel mit ihren Freundinnen am Brunnen vor der Stadtbibliothek saß. Bücher blieben unberührt in den Taschen, stattdessen wurden Eistee-Flaschen herumgereicht und Neuigkeiten getauscht. Wie immer ging es schnell um die Schule, um Leute, um das, was „alle“ dachten.

„Also, die Neue,“

begann Clara, und allein an ihrem Tonfall hörte Jezabel, dass es nicht nett werden würde.

„Ezra, oder? Schon ein bisschen merkwürdig, findest du nicht? Sie redet ja kaum.“

Mira, die meist alles nüchtern sah, zuckte die Schultern.

„Vielleicht ist sie einfach schüchtern. Manche sind halt nicht so…“

– sie machte eine Geste, die irgendetwas zwischen offen und laut bedeuten sollte – „wie wir.“

„Oder sie hält sich für was Besseres,“ warf eine andere ein.

„Die guckt immer so, als würde sie alles durchschauen. Voll arrogant.“

Jezabel hatte bis dahin geschwiegen, die Flasche in der Hand, den Blick auf das Licht, das sich im Wasser des Brunnens spiegelte. Doch bei diesen Worten hob sie den Kopf.

„Arrogant?“

Ihre Stimme war ruhig, aber fest.

„Nein. So wirkt sie nicht.“

Clara grinste.

„Ach komm, du bist doch nur nett, weil sie dich gestern vor Paul gerettet hat.“

„Nein,“

widersprach Jezabel, und diesmal war ihr Blick ernst.

„Sie ist nicht arrogant. Sie ist… vorsichtig. Das ist was anderes.“

Einen Moment herrschte Stille. Ihre Freundinnen schauten sie an, teils überrascht, teils amüsiert. Niemand war es gewohnt, dass Jezabel jemanden verteidigte, den sie kaum kannte.

„Na gut,“

meinte Mira schließlich,

„dann eben vorsichtig. Aber seltsam bleibt sie trotzdem.“

Jezabel lehnte sich zurück, schüttelte leicht den Kopf.

„Manchmal ist seltsam das Interessanteste.“

Ihre Freundinnen lachten, und das Gespräch glitt weiter zu Partys und Lehrern, doch Jezabel hörte nur halb zu. Sie spürte, wie sie Ezra unbewusst in Schutz genommen hatte – ohne groß nachzudenken, ohne Absicht. Es war einfach passiert.