Vermeer – Im Spiegel seiner Zeit -  - E-Book

Vermeer – Im Spiegel seiner Zeit E-Book

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Beschreibung

Als sich Holland im 17. Jahrhundert vom spanischen Joch befreit hatte, erlebte das Land eine beispiellose Entfaltung. Das Goldene Zeitalter war angebrochen und auch die Malerei erlebte einen glanzvollen Aufschwung. Niemals zuvor gab es in der europäischen Malerei eine derartige Fülle von Malern auf höchstem Niveau wie zu dieser Zeit in den Niederlanden. JAN VAN MEER VAN DELFT gehörte neben Rembrandt und Frans Hals zweifelsfrei zu den bedeutendsten Malern dieser Epoche. Bereits im Alter von 24 Jahren entstand sein Meisterwerk „Bei der Kupplerin“, das neben weiteren Werken seines Oeuvres mit etlichen Detailaufnahmen in über 140 digitalen Abbildungen in diesem Buch dokumentiert wird. Dieses neu bearbeitete E-Book beschreibt Leben und Werk Vermeers im Spiegel seiner Zeit.

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Seitenzahl: 208

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Als sich Holland im 17. Jahrhundert vom spanischen Joch befreit hatte, erlebte das Land in der Folgezeit in allen Bereichen eine beispiellose Entfaltung. Das Goldene Zeitalter war angebrochen. Diese Phase der Blüte sollte bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts andauern.

Auch die holländische Malerei erlebte jetzt einen Aufschwung. Niemals in der Geschichte der europäischen Malerei hat es auf so engem Raum eine solche Fülle von Malern bei so hohem Niveau gegeben, wie im Holland des 17. Jahrhunderts.

Jan Vermeer van Delft zählt unbestritten neben Frans Hals und Rembrandt Harmensz van Jijn zu den bedeutendsten holländischen Malern dieser Epoche. Sein sehr knappes Oeuvre von nur 34 eigenhändigen Bildern zeichnet sich durch eine kühle und gelassen gebändigte Farbsinnlichkeit aus. Bei aller Freude am Polychromen hat Vermeer in einer eigenständig entwickelten Technik den Konturen die Schärfe genommen und überdies durch das Aufsetzen von reinfarbigen gellen Tupfen die Oberfläche der Gegenstände in ihren Farben vibrieren lassen. Das Spiel mit Hell-dunkel-Effekten, die malerische Gestaltung von Licht wird zum eigentlichen Akteur seiner Darstellung. Die „Handlung“ seiner Bilder spielt meistens in bürgerlich eingerichteten Innenräumen, in denen sich ein oder zwei Figuren meistens belanglosen Tätigkeiten hingeben.

Über das Leben Jan Vanmeers sowie seine Einflüsse ist wenig überliefert. Er wurde am 31.10.1632 in Delft getauft und am 15.12.1675 in Delft begraben. Im Alter von 24 Jahren entstand sein Meisterwerk Bei der Kupplerin, das zugleich einen Höhepunkt seines Gesamtwerkes markiert.

Dieses Buch ist mit über 140 Farbfotos ausgestattet, die das Oeuvre Jan Vermeer van Delfts sowohl im Spiegel seiner Zeit dokumentieren als auch die zeitlose Schönheit seiner Gemälde in den Vordergrund stellen.

Jan Vermeer Allegorie der Malerei (auch: Die Malkunst oder Der Ruhm der Malkunst), Detail vom → Bild

HAJO DÜCHTING

Jan Vermeer van Delft

IM SPIEGEL SEINER ZEIT

JAN VERMEER VAN DELFT

Im Spiegel seiner Zeit

Hajo Düchting

Digitalisierte Neuausgabe 2020

Hrsg. Heinz Hermann Serges

© Originalausgabe by Royal Smeets Offset B.V., Weert, Niederlande

© by Media Serges B.V., Weert, Niederlande

© by Serges Medien, 42659 Solingen

Alle Rechte vorbehalten.

Für Werke von Bildenden Künstlern, angeschlossen bei einer CISAC-Organisation (oder vergleichbaren Organisationen) sind die Urheberrechte geregelt mit Beeldrecht Amsterdam, Niederlande

© 1996 c/o Beeldrecht

Realisierung der Digitalausgabe: Zeilenwert GmbH., 07407 Rudolstadt und Ingenieurbüro Müller, 76228 Karlsruhe

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Biographischer Überblick

Kapitel 1

Jan Vermeer: ein Maler „ohne Biographie“

Die Beziehung zu Carel Fabritius

Zeugnisse einer neuen Sehweise: zwei Delfter Ansichten Vermeers

Das alte Delft

Die wirtschaftliche Lage der Künstler zur Zeit Vermeers

Holland während des sog. Goldenen Zeitalters

Fragmente zu Vermeers Biographie

Kapitel 2

Bildthemen und Sinngehalt der Genremalerei

Das Genrebild als eigenständige Gattung

Symbol und Emblem im holländischen Genre

Zwei zentrale Motive: Liebeswerben und Briefthematik

Ein weiteres beliebtes Genrethema: die Musik

Die „fröhliche“ oder „lockere“ Gesellschaft

Die „bordeeltjes“

Kapitel 3

Von der konventionellen Historie zum Zentralthema: die „Versuchungen der Liebe“ bei Vermeer

Annäherung an das Hauptthema: Bei der Kupplerin

Das schlafende Mädchen: der Beginn von Vermeers Meisterschaft

Versuchungen der Liebe

Liebe und Musik

Das Motiv des Liebesbriefs

Erweiterungen der Liebesthematik

Kapitel 4

Zwischen Genre und Porträt

Die Frauenfigur im häuslichen Rahmen

Bildnisse von rätselhafter Schönheit

Zwei Darstellungen von Wissenschaftlern

Kapitel 5

Zwischen Erzählung und Sinnbild: zwei allegorische Gemälde Vermeers

– Die Allegorie des Glaubens

– Die Allegorie der Malerei

Kapitel 6

Vermeers geheimnisvolles Vermächtnis: seine Nachwirkung im Wandel der Zeitströmungen

Umstrittene Zuschreibungen

Der Fall Uylenburgh

Vermeer im Dunkel der Vergessenheit

Die Wiederentdeckung

Der Fall van Meegeren

Biographien der Künstler

Register

Literaturverzeichnis

Der Autor

Biographischer Überblick

1615

Die Eltern des Künstlers heirateten am 16. April in Amsterdam. Der Vater, ein Bürger aus Delft, heißt Reynier Jnasoon Vos. Die Mutter wird im Trauschein Dingnum Balthasars genannt; in späteren Urkunden heißt sie Dyna oder Dymphna Baltens. Reynier ist in mehreren Berufszweigen tätig: Zur Zeit seiner Eheschließung war er vielleicht noch Seidenweber für Kleidungsstoffe; nach der Eheschließung betrieb er jedoch den Gasthof „Mechelen“ im Zentrum von Delft an der Ecke des Oudemanhuisteeg. Reynier Vos scheint aber auch als Maler und Kunsthändler tätig gewesen zu sein. 1631 wird er in die Delfter Lukasgilde aufgenommen.

1632

Am 31. Oktober wird Johannes (Jan) Vermeer als zweites Kind seiner Eltern in das Taufregister der Delfter Nieuwe Kerk eingetragen. Als Taufzeuge wird ein gewisser Pieter Bremer genannt, vielleicht ein Verwandter des Delfter Historienmalers Leonaert Bramer, in dessen Lehre Vermeer möglicherweise gegangen ist.

In Delft wird der Naturforscher und Zoologe Antonie van Leeuwenhoek geboren, der das Mikroskop verbesserte und die roten Blutkörperchen, Infusorien, Bakterien sowie die Spermatozoen entdeckte. Er wird später auch in der Verwaltung der Stadt tätig sein und in dieser Eigenschaft zum Nachlassverwalter Vermeers, zu dem er offensichtlich persönliche Beziehungen hatte, ernannt werden.

Vermeers Vater stirbt. Vermeer übernimmt offensichtlich neben dem Gasthof vom Vater auch die Tätigkeit des Kunsthändlers. Die Mutter blieb noch einige Zeit bei dem Sohn, um den Haushalt zu führen und zog sich später in ein Haus in der Nähe des Marktplatzes, in der Vlamigstraat, zurück.

1653

Am 5. April verheiratet sich der einundzwanzigjährige Jan Vermeer mit Catharina Bolens, die aus einer reichen Familie aus Gouda stammt. Trauzeuge ist unter anderem der Maler Leonaert Bramer. Das junge Paar richtet sich zunächst in dem oberen Stockwerk des Gasthauses „Mechelen“ ein. Am 29. Dezember wird Vermeer in der Delfter Lukasgilde aufgenommen.

1654

Am 12. Oktober Explosion des Pulvermagazins von Delft bei der über zweihundert Häuser zerstört werden, unter den Opfern befindet sich auch der seit 1650 in Delft ansässige Carel Fabritius. Arnold Bon hält die Grabrede und kommt bei dieser Gelegenheit auf Vermeer zu sprechen, den er als würdigen Nachfolger des bedeutenden Malers bezeichnet.

1656

Das erste datierte Werk von Vermeer, Bei der Kupplerin, entsteht.

1657

Vermeer steckt offensichtlich in finanziellen Schwierigkeiten und nimmt ein Darlehen von 200 Gulden auf.

1660

Zur Zeit des Todes eines seiner Kinder im Dezember 1660 wohnt Vermeer bereits im Haus seiner Schweigermutter Maria Thins am Oude Langendijk.

1662

Vermeer wird einer der Obmänner (Hoofdman) der Delfter Künstlergilde.

1663

Balthasar de Monconys, Mitglied des französischen Kronrates, Alchimist und Kunstsammler, bereist die Niederlande und besucht auch die Künstler des Landes; in Leyden kommt er mit Gerard Dou und Frans Mieris zusammen, in Rotterdam mit Anton Delorme, in Delft besucht er Vermeer. In seinem Tagebuch vermerkt er, dass Vermeer keine Bilder zeigen konnte, dafür aber ein Delfter Bäcker ein Bild von Vermeer besessen habe, dessen Kaufpreis von 600 Gulden er allerdings als überteuert empfunden habe.

1667

Dirck van Bleyswyck erwähnt Vermeer in seiner „Beschreibung von Delft“ (Beschriijvinge der Stadt Delft).

1668

Nach den inzwischen entstandenen vielen undatierten Bildern malt Vermeer Der Astronom, sein zweites Werk, das eine Datierung aufweist.

1669

Drittes datiertes Werk: Der Geograph

1670

Erneute Wahl Vermeers zum Vorsteher der Delfter Malergilde. Am 13. Mai stirbt Vermeers Mutter. Am 13. Juli tritt er offiziell das Erbe des Gasthofes „Mechelen“ an.

1672

Ludwig XIV. fällt vom Niederrhein aus in die Niederlande ein, die sich nur durch Öffnung der Deiche vor den vorrückenden Truppen retten können, wobei große Ländereien verlorengehen, darunter auch verpachtetes Land von Vermeers Schwiegermutter, was die finanzielle Lage der Familie sehr negativ beeinflusst haben dürfte. Möglicherweise aus diesem Grund entschließt Vermeer sich zur Verpachtung seines Gasthauses für 180 Gulden jährlich. Im selben Jahr reist Vermeer zusammen mit dem Maler Jacob Jordaens nach Den Haag, wo er angeblich italienische Bilder, die der Kurfürst von Brandenburg zu erwerben beabsichtigt hatte, auf ihren Wert hin beurteilen soll. Die Berufung zeigt sein hohes Ansehen in der Gilde. Das Verfassen von Expertisen wurde aufgrund der hohen Honorierung gern übernommen. In diesem Fall kamen Jordaens und Vermeer übereinstimmend zu der Überzeugung, dass es sich um in Holland entstandene, großenteils minderwertige Nachahmungen italienischer Meister handelte.

1675

Reise Vermeers nach Amsterdam, wo er ein Darlehen von 100 Gulden aufnimmt. Im Dezember stirbt Jan Vermeer, er wird am 15. dieses Monats in der Oude Kerk von Delft bestattet. Er hinterlässt acht noch minderjährige Kinder, die bei der Mutter leben. Der Maler war zu diesem Zeitpunkt hoch verschuldet. Seine Witwe muss Bankrott erklären. Konkursverwalter wird Antonie van Leeuwenhoek.

1676

Catharina Bolens überlässt dem Delfter Bäckermeister Hendrick van Buyten zwei Vermeer-Gemälde zur Abdeckung einer Schuld von 617 Gulden und 6 Stüver. Der Haarlemer Kaufmann Jan Colombier kauft Catharina Bolens 26 Gemälde ab. Mit dem Erlös wird eine Schuld von 500 Gulden an Janetie Stevens aus Delft beglichen. Am 24. Februar überschreibt die Witwe das bis dahin in ihrem Besitz befindliche Bild Die Malkunst (Allegorie der Malerei) ihrer Mutter Maria Thins. Am 29. Februar wird der Nachlass des Malers inventarisiert.

1680

Maria Thins wird am 27. Dezember in Delft beerdigt.

1688

Vermeers Witwe stirbt.

1696

Am 16. Mai werden bei dem Kunsthändler Gerard Houet in Amsterdam 134 Bilder versteigert, darunter 21 Werke von Vermeer.

Jan Vermeer: ein Maler „ohne Biographie“

Jan Vermeer gehört neben Frans Hals (um 1580-1666) und Rembrandt Harmensz. van Rijn (1606-1669) unbestritten zu den drei bedeutendsten holländischen Malern des 17. Jahrhunderts. Dies ist um so erstaunlicher, als er im Vergleich zu diesen beiden anderen großen Vertretern der holländischer Malerei jener Epoche ein nur äußerst schmales Werk von wohl kaum mehr als 34 gesicherten Bildern hinterlassen hat. Hinzukommt, dass auch sein Motivkreis, zumindest im Vergleich mit Rembrandt, als äußerst eingeschränkt gelten kann. Er beschäftigte sich nur in Einzelfällen mit den großen, von den Käufern überwiegend gewünschten Bildthemen der Zeit, das heißt biblischen und mythologischen Historien sowie dem Porträt (das etwa Frans Hals, der wichtigste Bildnismaler dieser Ära, in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellte). Vielmehr galt Vermeers Interesse fast ausschließlich dem Genrebild, das nach dem Verständnis der Kunstkenner jener Epoche eine eher geringer zu bewertende Bildgattung darstellte. Dennoch, und dies ist ebenfalls ein überraschendes Faktum, scheint der Maler zeitweilig erstaunlich hohe Preise für seine Werke erzielt zu haben. Doch existieren hierüber keine verlässlichen Angaben, sondern nur Vermutungen. Dies gilt auch in vielen weiteren Punkten, denn es gibt wohl kaum einen anderen bedeutenden Künstler der letzten dreihundert Jahre, der seiner Nachwelt so viele Rätsel hinsichtlich seiner Biographie, der Stellung in seiner Zeit sowie der Gedankenwelt aufgibt, die den Hintergrund seiner spezifischen Auffassung vom Genrebild und der daraus wiederum er wachsenden besonderen Maltechnik war. So ist Vermeers zahlenmäßig so kleines und qualitativ so überragendes Lebenswerk bis heute immer wieder Anlass zu verschiedensten Deutungsversuchen und erscheint dennoch in seiner geheimnisvollen Schönheit und unergründlichen Stille fast unberührt von allen wissenschaftlichen Fragen nach dessen Gestalt und Wertcharakter.

Wenig nur ist über Vermeers Leben bekannt geworden. Nach neueren Untersuchungen stammt Vermeer aus Familienverhältnissen, in denen er schon früh Berührung mit der Malerei hatte. Sein aus Antwerpen zugereister Vater Reynier Jansz. Vermeer war zwar gelernter Kaffaweber (Kaffa war ein für Kleidungsstücke verwendeter Seidenstoff), unterhielt dann einen Gasthof in Delft, gab aber bei seinem Eintritt in die Delfter Lukasgilde, die „Bruderschaft“ der Maler, als offiziellen Beruf „Konstverkoper“ (Kunsthändler) an. Es ist nicht auszuschließen, dass er vielleicht sogar selbst Maler war. Das wäre nicht verwunderlich, da im Holland des 17. Jahrhunderts aufgrund des Überangebots an Künstlern viele Maler neben ihrer eigentlichen Profession bürgerlichen Berufen nachgehen mussten.

Auch der 1632 geborene Jan Vermeer übte wahrscheinlich neben der Malerei noch andere Tätigkeiten zum Broterwerb aus. Das Gasthaus „Mechelen“, das sein Vater 1641 in guter Ortslage in Delft erworben hatte und das 1652 als Erbe an Vermeer überging, wurde offensichtlich auch von Künstlern besucht. Belegt sind jedenfalls Kontakte von Vermeers Vater mit den Malern Balthazar van der Ast (um 1593-1657), Pieter van Steenwyck (um 1615-1654) und Pieter Anthonisz. van Groenewegen (1626- um 1658). Die Begegnungen in diesem Gasthaus könnten also den jungen Vermeer hinsichtlich seiner Entscheidung für die Künstlerlaufbahn nachhaltig beeinflusst haben.

Balthazar van der Ast, Stilleben mit Früchten, um 1635 Öl auf Holz, 36,2 x 51,8 cm München, Alte Pinakothek

Über Vermeers Ausbildung ist allerdings so gut wie nichts bekannt. Voraussetzung für die Aufnahme in die Delfter Lukasgilde, die am 29. Dezember 1653 erfolgte, war wohl eine sechsjährige Lehrzeit bei einem anerkannten Maler. Allerdings gibt es so gut wie keine Hinweise darauf, bei wem Vermeer diese Lehrzeit absolviert haben könnte. Eine stilistische Prägung ist ohnehin kaum nachweisbar, denn die meisten im Delft des 17. Jahrhunderts tätigen Maler, darunter der Porträtist Michiel Jansz. van Miereveld (1567-1641), der schon erwähnte Stillebenmaler Balthazar van der Ast und die Genremaler Anthonie Palamedesz. (1601-1673) und Jacob van Velsen (†1656), besaßen zwar gute handwerkliche Fähigkeiten, waren aber keine innovativen Künstler wie Rembrandt oder Frans Hals. Delfts künstlerische Tradition war infolge der engen Verbindungen zum Oranierhof in Den Haag eher aristokratisch-konservativ geprägt.

Obwohl die oranischen Prinzen keine besonders herausragenden Kunstmäzene waren, gaben sie doch eine Reihe von Kunstwerken in Auftrag, überwiegend Porträts und Historienbilder, gelegentlich auch Fresken. So waren zum Beispiel zwei Delfter Künstler, Christiaen van Couwenbergh (1604-1667) und Leonaert Bramer (1596-1674), mit der Ausschmückung des Palastes Huis ten Bosch bei Den Haag beauftragt worden und konnten ihre in Italien erworbenen Fähigkeiten, illusionistische Wandbilder zu malen, unter Beweis stellen.

Künstlerische Kontakte Vermeers zu Bramer und Couwenbergh sind zwar nicht nachzuweisen, doch ist beispielsweise urkundlich gesichert, dass Bramer 1653 als Zeuge bei Vermeers Vermählung mit Catharina Bolens anwesend war. Sicher ist also, dass gewisse Verbindungen zu dem relativ konservativen Kreis der Delfter Künstler bestanden, und auf diesem Wege könnte der jungen Vermeer auch Anregungen zumindest für seine künstlerischen Anfänge empfangen haben, in denen er sich, wohl eher den Ratschlägen etablierter Malerkollegen und dem Zeitgeschmack gemäß als den eigenen Neigungen folgend, zunächst kurz biblischen und mythologischen Themen zuwandte.

Carel Fabritius, Ansicht des Oude Langedijk in Delft, 1652 Öl auf Leinwand, auf Holz aufgezogen, 15,5 X 31,6 cm London, The National Gallery

DIE BEZIEHUNG ZU CAREL FABRITIUS

Vermeer entwickelte seinen Stil zunächst wohl unter dem Einfluss des Rembrandtschülers Carel Fabritius (1622-1654), auch wenn dieser kaum sein direkter Lehrer gewesen sein dürfte. Fabritius war bis 1643 in Rembrandts Werkstatt und anschließend selbständig in seinem Geburtsort Midden-Beemster bei Amsterdam tätig gewesen, bevor er 1650 Bürger von Delft wurde. In dieser Delfter Zeit begann er sich endgültig von Rembrandts Stil zu lösen und entwickelte seine Szenen vor hellen Hintergründen unter Verzicht auf die dramatischen Helldunkel-Kontraste Rembrandts. Zudem veränderte er die räumlichen Konstruktionen seiner Bilder durch starke perspektivische Verkürzungen und extrem in den Vordergrund gerückte Gegenstände, die sich gewissermaßen zwischen den Betrachter und die im Mittel- oder Hintergrund angeordnete Szene stellten: alles dies Besonderheiten, die auch einen Großteil von Vermeers späteren Genrebildern kennzeichnen. Fabritius in diesem Sinne reifste Bilder wie Die Torwache (→ Bild), die Vermeer mit großer Sicherheit beeindruckten, entstanden 1654, also in dem Jahr, als Fabritius bei der Explosion des Delfter Pulverturms, die ganze Teile der Stadt in Schutt und Asche legte, ums Leben kam.

Sein Tod veranlasste den Delfter Buchdrucker und Verleger Arnold Bon zu seinem Gedenken ein Gedicht zu verfassen, dessen letzte Strophe auf Vermeer aufmerksam macht: „So erlosch denn dieser Phönix (Carel Fabritius) zu unserem Schaden/ Inmitten seines Ruhmes schied er aus dem Leben./ Doch glücklich aus der Asche durfte sich erheben,/ Vermeer als Meister folgend auf denselben Pfaden.“1 Vermeers Wertschätzung von Fabritius geht schon daraus hervor, dass er in seiner Bildersammlung allein drei Werke des Malers besaß.

Carel Fabritius, Selbstbildnis, um 1654, Öl auf Holz, 65 x 49 cm Rotterdam, Museum Boymans-van Beuningen

Carel Fabritius, Die Torwache, 1654, Öl auf Leinwand, 68 x 58 cm Schwerin, Staatliche Museen

Gerade in dieser Hinsicht dürften auch schon die vor 1654 von Fabritius gemalten Motive Vermeers größte Aufmerksamkeit erregt haben, so etwa die Ansicht des Oude Langendijk in Delft (→ Bild) von 1652. Dieses Bild wirkt perspektivisch verzerrt, was aber nicht auf ein Unvermögen im Gebrauch der künstlerischen Mittel, sondern auf die offensichtliche Verwendung der sog. Camera obscura als Hilfsmittel bei der Bildgestaltung zurückgeht, also auf die Lochkamera, jenen damals gebräuchlichen Vorläufer des Fotoapparates, der eine präzise Darstellung des Motivs unter Einbeziehung einer völlig neuartigen Tiefenwirkung ermöglichte. Die kontemplative Stimmung der Ansicht des Oude Langendijk (→ Bild), die sich im Gegenüber von sinnendem Musiker und Stadtsilhouette mit Kirche ausdrückt, scheint auf eine versteckte Symbolik hinzuweisen. Fabritius verwendete die architektonische Kulisse als wichtiges Kompositionselement und zur Ausdruckssteigerung – neue künstlerische Mittel, die Vermeer vielleicht von ihm übernahm. Ein anderes Bild von Fabritius, die erwähnte Torwache, zeigt ebenso einen über das vordergründig Dargestellte hinausweisenden Sinn. Das Flachrelief über dem Torbogen enthält eine Darstellung des Hl. Antonius mit dessen Attribut, dem Schwein, als Symbol für die, von dem Heiligen überwundenen Laster der Sinnlichkeit und Schwelgerei. Antonius symbolisiert die Wachsamkeit gegenüber der Sünde, der metaphorisch das Motiv der schläfrigen Torwache entgegengesetzt wird. Die Pflichtvergessenheit des Wächters wird noch zusätzlich durch den aufmerksam den Schläfer anstarrenden Hund akzentuiert: Der Hund erscheint hellwach, der Posten aber ist – wie die Säule hinter ihm, die nichts trägt – eine Personifikation der Nutz- und Achtlosigkeit, die es dem Bösen leicht macht, Eingang zu finden. Diese hier gezeigte Verflochtenheit von Figur und Umgebung, wie auch die Verzahnung der Bilddetails zu einer moralisierenden Aussage dürfte ihre Wirkung auf den jungen Vermeer nicht verfehlt haben, ebenso wie die naturalistischen Licht- und Schatteneffekte, mit denen Fabritius in Delft zu experimentieren begann und die Vermeers entsprechende Auffassungen zu antizipieren scheinen. In den frühen Werken Vermeers, wie Bei der Kupplerin (→ Bild), finden sich außerdem in der Pinseltechnik und der Helldunkel-Wirkung rembrandtsche Elemente wieder, die ebenfalls von Fabritius angeregt worden sein könnten.

Carel Fabritius, Der Distelfink, 1654 Öl auf Holz, 33,6 x 22,5 cm Den Haag, Mauritshuis

Gerard Houckgeest, Grabmal Wilhelm des Schweigers in der Nieuwe Kerk in Delft, 1651 Öl auf Holz, 77,5 x 65,4 cm Den Haag, Mauritshuis

ZEUGNISSE EINER NEUEN SEHWEISE: ZWEI DELFTER ANSICHTEN VERMEERS

Mitte des 17. Jahrhunderts begann sich in Delft eine neue Schule der Malerei zu entwickeln, die bestimmte Örtlichkeiten und identifizierbare Bauwerke als wichtige Teile der Bildkomposition einführte. Die um 1650 entstehenden Kircheninterieurs von Gerard Houckgeest (um 1600-1661) und Emanuel de Witte (um 1617-1692), beide vorübergehend in Delft tätig, zeigen bis in die Details präzise wiedergegebene Innenräume von bekannten Delfter Kirchen, die durch geschickte perspektivische Blickwinkel den Eindruck von Spontaneität und Lebendigkeit schaffen. Gleichzeitig entwickelte sich eine neue Sensibilität für die Gestaltung des Lichts: Durch einfallende Lichtstrahlen und leuchtende Farbtupfer wurden die Szenen zusätzlich belebt. Die in den Niederlanden heimische Tradition topographischer Malerei wurde von Pieter Saenredam (1597-1665) angeführt und verstärkte sich nach dem Westfälischen Frieden von 1648 infolge des gewachsenen Bürgerstolzes beträchtlich.

Auch Vermeer hat sich in diesem Genre hervorgetan, als er die Ansicht von Delft (→ Bild) malte, ein weites Panorama der Stadt mit einigen Figuren an einem fragmentarischen Ufer im Vordergrund. Mit Hilfe des in Willem Blaeus „Atlas von 1649“ enthaltenen Plans von Delft (→ Bild) hat man die Position Vermeers von dem höheren Geschoss eines Hauses an der Schie rekonstruieren können. Das weite Panorama wird er wohl durch Verwendung einer Camera obscura eingefangen haben. Die Komposition geht dabei auf ein frühes Bild von Esaias van de Velde (um 1591-1630), Blick auf Zierikzee von 1618, zurück.

Trotz seines realistischen Charakter ist Vermeers Bild jedoch nicht streng topographisch aufgebaut. Um die Stadtkulisse in möglichst vielen Aspekten (Stadttore, Kirchen, Brücke, Bürgerhäuser usw.) zu zeigen, hat der Maler die Hausformen vereinfacht und zum Teil perspektivisch zusammengezogen. Die Gebäude am Fluss bilden ein reiches Ensemble verschiedener Texturen, Farben und Formen, so dass neben den Materialwerten auch bestimmte Lichteffekte erscheinen. Das Licht spielt in diesem Bild eine besondere Rolle. So hat Vermeer die Stadtsilhouette durch einen hohen, wolkenbedeckten Himmel kontrastiert, der sich im oberen Drittel verdunkelt. Das durch die Wolken brechende Licht spiegelt sich nicht nur effektvoll im Wasser, sondern bildet sich auch in einem reizvollen Spiel von hellen und dunklen Partien auf den Gebäuden der Stadt ab. Auch in diesem Punkt tritt die topographisch genaue Wiedergabe zugunsten eines atmosphärischen Eindrucks zurück, der ganz offensichtlich das zentrale Anliegen dieser Vermeerschen Komposition ist. Die fast irreal wirkende Beleuchtung des Kirchturms der Nieuwe Kerk in der rechten Bildhälfte könnte zudem eine inhaltliche Bedeutung haben. In der Nieuwe Kerk wurden seit 1622 die Gebeine von Wilhelm 1. von Oranien aufbewahrt, der 1584 im Delfter Prinsenhof einem Attentat zum Opfer gefallen war. In der Stadt galt daher diesem niederländischen Statthalter als Held des Widerstands gegen die spanische Fremdherrschaft besondere Verehrung.

Esaias van de Velde, Ansicht von Zierikzee, 1618 Öl auf Leinwand, 27 x 40 cm Berlin, Staatl. Museen – Preußischer Kulturbesitz, Gemäldegalerie

Jan Vermeer, Ansicht von Delft, 1660/61 Öl auf Leinwand, 98,5 x 117,5 cm Den Haag, Mauritshuis

Ein Diagramm der Funktion von Linsen in einer Camera obscura von 1642

Auf die Verwendung einer Camera obscura verweisen wiederum die hellen Farbtupfen auf den dunklen Gebäuden im Uferbereich. Das durch eine solche Lochkamera entstehende Bild wird von intensiven Farbakzenten und Lichtkontrasten gekennzeichnet, die Vermeer bei der malerischen Ausarbeitung seines Bildes, besonders bei der Darstellung der schimmernden Reflexionen auf der Wasseroberfläche übernahm. Solche Effekte wären in der Realität aber nur im Sonnenlicht sichtbar, nicht in den dunklen Schattenpartien wie in Vermeers Bild. Man darf sich also den Einsatz der im 17. Jahrhundert so beliebten Camera obscura nicht als Mittel zu einer präzisen Nachzeichnung vorstellen. Gerade Vermeer verstand es immer, einen über die topographische Situation und die realen Lichtverhältnisse, also über die sichtbare Wirklichkeit hinausweisenden Eindruck herzustellen. Wichtiger als die mimetische Genauigkeit der Stadtszene war Vermeer ein spezifischer Stimmungsgehalt, der sein gesamtes Werk auszeichnet.2

Jan Vermeer, Straße in Delft, um 1657/58, Öl auf Leinwand, 54,3 x 44 cm, Amsterdam, Rijksmuseum

Das gilt auch für Straße in Delft (→ Bild), die zweite der beiden Stadtansichten, die er schuf. Im Unterschied zu ähnlichen Straßen- und Hofszenen von Jan Steen und Pieter de Hooch, z. B. dessen Dienstmagd mit Kind im Hof (→ Bild) von 1658, leitet Vermeer den Blick nicht die Straße hinab, sondern über sie hinweg, direkt auf ein typisches Delfter Gebäude zu, mit einer genau wiedergegebenen, von einem schießschartenähnlich eingeschnittenen Staffelgiebel bekrönten Ziegelsteinfassade, die nach links zu einem anderen Gebäude weiterleitet. Da die meisten Fensterläden des Hauses zugezogen sind, wirkt das Haus fast hermetisch geschlossen, und über der gesamte Szene liegt der Eindruck einer eigentümliche Stille, fast Leblosigkeit. In der geöffneten Haustür sitzt eine Frau, die mit einer Klöppelarbeit beschäftigt ist. Vom Innenraum ist nichts zu erkennen, er verliert sich in einem unbestimmbaren Dunkel. Im Hofdurchgang sieht man eine Dienstmagd, die sich an einer Wassertonne zu schaffen macht, ein Motiv, das sich später bei dem französischen Maler Jean-Baptiste Siméon Chardin wiederfinden wird. Vor einem Haus spielen Kinder auf einem mit Fliesenplatten bedeckten Bürgersteig.

Pieter de Hooch, Dienstmagd mit Kind im Hof, 1658 Öl auf Leinwand, 73,5 x 62,5 cm, London, The National Gallery

So reichhaltig die Materialtexturen ausgeführt sind, so wenig ausgearbeitet erscheinen die Figuren, die nur durch einige Farbtupfen ohne Details und Mimik angedeutet wurden. Bei aller Genauigkeit der beinahe liebevoll geschilderten Architekturdetails war Vermeer offensichtlich auch hier vorrangig an der Vermittlung eines bestimmten Stimmungsgehalts interessiert, der diese Delfter Ansicht über ihre zweifellos topographisch getreue Wiedergabe und den szenischen Realismus hinaus in eine überzeitliche Dimension transponiert. Die dargestellte Szenerie ist letztlich Vorwand, um einen Moment der Stille, vielleicht sogar des Stillstands, festzuhalten in einer Komposition, die ganz bewusst dem Strom der Zeit entrückt zu sein scheint. Hierin liegt die eigentliche Thematik Vermeers, die auch nahezu alle seine Genrebilder kennzeichnet und selbst bei den für Vermeer im Grunde völlig untypischen Motiven, also den beiden frühen Historienbildern und der späten, offensichtlich als Auftragsarbeit entstandenen Allegorie des Glaubens, noch durchscheint.

DAS ALTE DELFT

Delft war die dritte Stadt der Niederlande, die im Jahre 1246 Stadtrecht erhalten hatte. Als Zentrum des Widerstandes und Residenz Wilhelm von Oraniens nahm sie im niederländischen Befreiungskrieg eine wichtige Rolle ein und brachte einige hervorragende Gestalten des neuen Staates hervor: die Admiräle Piet Hein und Maarten Harpertszoon Tromp; Prinz Friedrich Heinrich, Sohn Wilhelms von Oranien; Hugo Grotius, Jurist und Staatsbeamter, der die Grundsätze internationalen Rechts aufstellte und den Gelehrten Anthonie van Leeuwenhoek (1632-1723), der möglicherweise mit Vermeer befreundet war.

Durch die enge Verbindung mit dem Hause Oranien traf die Stadt der Tod Prinz Wilhelms II,, der 1647 die Nachfolge seines Vaters angetreten hatte, im Jahre 1650 besonders hart. Kurz nach dem Tod des Prinzen beschlossen die Generalstaaten die Abschaffung des Amtes eines Statthalters. Die folgende „Erste Statthalterlose Zeit“ (1651-1672) verlieh dem Bürgertum mehr Rechte und verlagerte den Machtschwerpunkt von Den Haag nach Amsterdam. Hinzu kam eine wirtschaftliche Flaute in Delft, das seinen Handelsvorsprung an größere Häfen wie Amsterdam und Rotterdam abgeben musste. Die berühmte Delfter Keramikindustrie blühte zwar weiterhin, doch kamen andere Wirtschaftszweige zum Erliegen oder gerieten gegenüber konkurrierenden Städten ins Hintertreffen. Delft wurde eine Stadt der Ruheständler und Pensionäre und bildete bald einen Hort des konservativen Calvinismus. Der einst so lebhafte Ort sank zur Bedeutungslosigkeit herab, in der er bis ins 19. Jahrhundert hinein verharrte. Tröstlich ist vielleicht, dass damit auch der historische Stadtkern des einst so lebhaften Orts seit Vermeers Zeiten bis auf den heutigen Tag im großen und ganzen erhalten geblieben ist. Man kann noch heute den Stadtplan von Willem Blaeu benutzen, um sich im historischen Viertel zu orientieren.

Egbert Lievensz. van der Poel, Die Explosion vom Pulverhaus zu Delft am 12. Oktober 1654, Öl auf Leinwand, 31 x 47,5 cm Delft, Stedelijk Museum, Het Prinsenhof