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Beschreibung

Quantifizierende Verfahren versprechen Transparenz, objektive Beurteilungsmöglichkeiten und mehr Entscheidungsqualität. Nach ihrem Siegeszug in Amerika haben sie mittlerweile auch universitäre Regierungstechniken und akademische Wahrheitspolitiken in Europa umgestaltet und »unternehmerische Universitäten« hervorgebracht. Der Band untersucht die Bedeutung dieser Veränderungen für die Geschlechterdynamiken an Hochschulen, für Karriereverläufe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, für Gleichstellungspolitiken und die Gender Studies und fragt, wie diese selbst in jene Dynamiken eingebunden sind.

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3Vermessene Räume, gespannte Beziehungen

Unternehmerische Universitäten und Geschlechterdynamiken

Herausgegeben von Sabine Hark und Johanna Hofbauer

Suhrkamp

Übersicht

Cover

Titel

Inhalt

Informationen zum Buch

Impressum

Hinweise zum eBook

Inhalt

Cover

Titel

Inhalt

Sabine Hark und Johanna Hofbauer

:

Vermessene Räume, gespannte Beziehungen. Unternehmerische Universitäten und Geschlechterdynamiken

I

. Vermessung und Demarkationen legitimen Wissens: Gender Studies und feministische Kritik

Gudrun-Axeli Knapp

:

Warum nicht vermessen sein? Anmerkungen zur Dialektik feministischer Aufklärung

Gabriele Griffin

:

Ein Schuss Energie oder ein Schuss ins Knie? Geschlechterwissen in der unternehmerischen Universität aus britischer Sicht

Aline Oloff, Anja Rozwandowicz und Susanne Sackl-Sharif

:

Ambivalente Disziplinierung. Die Institutionalisierung von Gender-Studies-Studiengängen unter den Bedingungen der Vermessung

Heike Kahlert

:

Exzellente Wissenschaft? Das strukturelle Scheitern von Koordinierter Frauen- und Geschlechterforschung im Wettbewerb

II

. Leistungsmaßstäbe – Gleichstellung: Verhandlung von Zugangschancen in vermessenen Räumen

Bettina Heintz

:

Ohne Ansehen des Geschlechts? Bewertungsverfahren in Universität und Wissenschaft

Katharina Kreissl, Johanna Hofbauer, Birgit Sauer und Angelika Striedinger

:

Subjektivierungen in vermessenen Räumen. Wissenschaftsnachwuchs zwischen Fremd- und Selbstführung

Ilse Costas, Stephanie Michalczyk

:

Wissenschaftliche Subjekte im Spannungsfeld von Performanz und Wettbewerb Quantitative Leistungsindikatoren und ihre verborgenen geschlechterdifferenzierenden Effekte

III

. Gleichstellung und Diversity Management unter der Bedingung von Vermessung und Evaluierung

Sara Ahmed

:

Gleichstellung und Performance-Kultur

Julia Nentwich und Ursula Offenberger

:

Kennzahlen als verräterische Verbündete. Eine übersetzungstheoretische Perspektive auf hochschulische Gleichstellungsreformen

IV

. Un-Vermessen und ausgeblendet: Sorgearbeit und Selbstsorge

Kendra Briken, Birgit Blättel-Mink, Alexandra Rau und Tilla Siegel

:

»Sei ohne Sorge« Vom Vermessen und Un/Sichtbarmachen akademischer Sorgearbeit in der neoliberalen Hochschule

Rosalind Gill

:

Auditieren, quantifizieren, zerstören. Vom Leben in der neoliberalen Universität

Johanna Hofbauer und Sabine Hark

:

Vermessen sein. Widersprüchliche Verwerfungen progressiver und regressiver Elemente

Über die Autor*innen

Fußnoten

Informationen zum Buch

Impressum

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7Sabine Hark und Johanna Hofbauer

Vermessene Räume, gespannte Beziehungen

Unternehmerische Universitäten und Geschlechterdynamiken

1. Regieren mit Zahlen

Vor einigen Jahren berichtete eine Kollegin, die an einer kanadischen Universität lehrt, von einer Erfahrung in der Kommission, die an ihrer Universität über tenure, also die Festanstellung von Assistenzprofessor*innen, zu entscheiden hat. Wiederholt war es dem multidisziplinär zusammengesetzten Komitee nicht gelungen, Einvernehmen zu erzielen über die fachübergreifend gültigen Kriterien, die den Entscheidungen zugrunde gelegt werden sollten. Um hier ein für alle Mal Klarheit zu schaffen, beschloss die Kommission, künftig auf schlichte Arithmetik zu setzen. Statt die vorgelegten Schriften inhaltlich zu bewerten, sollten fortan einfach die Seiten der Publikationen gezählt, also quantitativ gemessen statt qualitativ bewertet werden.

Wenn sich diese Geschichte Anfang der 2000er-Jahre für deutsche oder österreichische Ohren noch einigermaßen skurril angehört haben mag, so ist das geschilderte Vorgehen 2018 – mit inzwischen elaborierter generierten quantitativen Indikatoren – auch in den hiesigen Hochschulsystemen gängige Praxis. Der Magie und Macht der Zahlen, dem ihnen scheinbar innewohnenden Versprechen von Objektivität und Transparenz, Unmissverständlichkeit und Nachvollziehbarkeit, der »Aura des Notwendigen«,[1] die Zahlen zu entfalten in der Lage sind, können sich Wissenschaftler*innen wie wissenschaftliche Organisationen und Institutionen auch hierzulande immer weniger entziehen. Zu verführerisch ist die Evidenz der Zahl, die für sich zu sprechen scheint, die Möglichkeit, disziplinär bedingte Divergenzen in der allgemeinen, abstrakten 8und universell anschlussfähigen Sprache der Mathematik aufheben und die aus diesen Differenzen resultierenden Entscheidungsschwierigkeiten überwinden zu können. Zahlen lügen nicht – das glauben nicht nur Technikwissenschaftler*innen, auch für viele Geisteswissenschaftler*innen ist die Zahl inzwischen das Maß der akademischen Dinge. Wer in den vergangenen Jahren nur einmal an einer Fakultätsratssitzung teilgenommen hat, kennt den Moment, in dem die an die Wand projizierten Tabellen und die in Diagramme geronnenen Zahlen jede Diskussion über Mittel- und Personalverteilung, über Lehrdeputat und akademisches Prestige beenden.

Es sind solche »quantifizierenden Formen sozialer Rangbildung«,[2] also Verfahren der kalkulatorischen Steuerung und metrisierten Leistungserfassung und ‑beurteilung, die im Zuge der Implementation von New Public Management (NPM) europaweit an Universitäten und Hochschulen Einzug gehalten haben und den hochschulischen Alltag mehr denn je beherrschen.[3]Metrics rules! ist der hochschulische Imperativ der Stunde, gewissermaßen die Einpflanzung eines Paradoxons ins Herz des Systems Wissenschaft. Denn die durch quantitative Verfahren generierten Zahlen machen die angeblich hinterlegten wissenschaftlichen Inhalte, also das, wor9auf sich wissenschaftliche Reputation dem weithin geteilten Selbstverständnis von Wissenschaftler*innen zufolge eigentlich gründet, zwar nicht sichtbar, sie werden in der Regel aber dennoch mitgetragen und nur selten boykottiert – und fließen überdies zunehmend auch in die Selbstbeschreibungen von Wissenschaftler*innen ein.[4] Gar nicht so selten, dass im eigenen CV der persönliche h-Index[5] oder der Punktwert der universitätsinternen Leistungsbewertung vermerkt ist und noch die tägliche Statusmeldung akademischer Plattformen, »Personen in 6 Ländern haben Ihr Profil angeschaut«, als Nachweis des eigenen akademischen Erfolgs (miss)verstanden wird – eine Form »gehaltlosen Erfolgs«,[6] die Sighard Neckel als generelles Signum unserer Zeit ausgemacht hat.[7]

Arithmetische Verfahren der Erfassung und Bewertung akademischer Leistungen fügen sich so ein in die Universalisierung des gemeinhin im Modus numerischer Vergleiche operierenden 10Wettbewerbs; auch sie haben teil an der Durchdringung von immer mehr Lebensbereichen mit daten- und indikatorenbasierten Formen der Bewertung und Kontrolle, an der Ersetzung von »Fragen nach Rechenschaft und Verantwortung durch Methoden des Rechnungswesens«,[8] an der Normalisierung von quantifizierenden Grammatiken der Klassifikation, Differenzbildung und Hierarchisierung. Kennziffern gelten als Verbündete für Gleichstellungs- und Diversitätspolitiken, impact factors regieren das Publikationsverhalten der einzelnen Wissenschaftler*in, Benchmarkings und internationale Rankings steuern die strategische Ausrichtung von Universitäten, Leistungspunkt-Systeme machen aus dem Studium eine (auch) buchhalterische Aktivität, bei der am Ende weniger zählt, was studiert wurde, als der Saldo des ECTS-Kontos.

Vorangetrieben durch supranationale Politiken, die das »intellektuelle Potenzial Europas«[9] wecken sollen, haben dergestalt umfassende Governance-Reformen im Bereich der tertiären Bildung die europäischen Wissenschaftssysteme in der Tat in den vergangenen beiden Jahrzehnten auf allen Ebenen grundlegend transformiert. Zentrale Elemente jener in der Forschungsliteratur durchaus unterschiedlich bewerteten Reformen sind, so der gemeinsame Ausgangspunkt aller Beiträge in diesem Band, die formalen und informellen Operationen und Mechanismen der Vermessung hochschulischer Räume, wissenschaftlicher Praktiken und wissenschaftlicher Performanz. Sie sind Teil einer »großen Transformation«, die die Hochschulen, wie wir sie kannten, radikal umgestaltet haben.

112. Die globale Neuerfindung der Universität als unternehmerische Einheit

Mit der Diagnose einer »großen Transformation« schließen wir lose an die Analysen Karl Polanyis an,[10] der in den 1940er-Jahren bekanntlich die Herausbildung moderner Marktgesellschaften als great transformation beschrieben hat. Deren zentrale Kennzeichen waren die parallele Ausbildung von Marktwirtschaften und Nationalstaaten und vor allem eine immer stärker werdende Marktorientierung sowie die Verselbstständigung der Wirtschaft gegenüber der Gesellschaft. Die im frühen 19. Jahrhundert zunächst in Europa entstandene moderne Forschungsuniversität ist Teil jener Umgestaltung feudaler Staaten zu modernen, bürokratisch verwalteten Gemeinwesen. Sie wurde erst durch diese Transformation möglich und hatte zugleich wesentlichen Anteil an ihr, namentlich durch die auf den Nationalstaat und die Herausbildung nationaler Kulturen bezogenen Funktionen der Universität. Die Universität, wie wir sie kannten, war ein nationales Unternehmen, ermöglicht und zugleich begrenzt durch zwei parallele Entwicklungen: Ein spezifischer Vertrag zwischen Staat und Wissenschaft garantierte Letzterer für ihre Mitarbeit am Aufbau der nationalen Kultur und Identität im Gegenzug akademische Freiheit; die spezifische Binnenorganisation der modernen Universität, die dialektische Einheit von Forschung und Lehre, war das Fundament für Innovation und Leistungsfähigkeit.[11] Beides wird durch die unternehmerisch werdende Universität tendenziell außer Kraft gesetzt. Der Staat braucht die Universitäten weniger für die nationalen Aufgaben als für die Sicherung seiner globalen Wettbewerbsfähigkeit. Die vorrangige Aufgabe der Universität ist daher nicht länger die Produktion guter Bürger, sondern die Sicherung genau dieser Wettbewerbsfähigkeit. Ihre Spiritus Recti sind nicht Wilhelm von Humboldt und Johann Gottlieb Fichte, sondern Sundar Pinchai und Sheryl Sandberg. Damit erodiert indes weitgehend unbemerkt auch die Idee aka12demischer Freiheit, denn die Universität muss jetzt liefern, was der Markt verlangt. Und im Innern der »Exzellenzuniversität«, so Bill Readings schon Mitte der 1990er-Jahre, ersetzt »das allgemeine Prinzip der Verwaltung die Dialektik zwischen Forschung und Lehre«, sodass diese »als Teile des Berufslebens unter der Verwaltung zusammengefasst werden«.[12]

Der in den frühen 1990er-Jahren begonnene globale Prozess der Umgestaltung der akademischen Institutionen kann in diesem Licht betrachtet daher mit Fug und Recht als eine »große Transformation« verstanden werden, handelt es sich doch um nicht weniger als die globale Neuerfindung der Universität als unternehmerische Einheit.[13]

Kurz zusammengefasst geht es dabei im Wesentlichen um die Reformulierung des Verhältnisses von Staat und Hochschulen, um Vermarktlichung und Managerialisierung innerwissenschaftlicher Vorgänge sowie um die Verschärfung von Verteilungskämpfen zwischen Fachbereichen, Hochschulen und (nationalen) Universitätssystemen. In einem politischen Kontext, in dem seitens des Staates die Steuerung der Hochschulen auf einen supervisorischen Regulierungsmodus mittels Zielvereinbarungen, Verträgen und wettbewerbsorientierter Mittelvergabe umgestellt wird, müssen sich die Hochschulen in einem zusehends wettbewerbsökonomisch strukturierten Umfeld bewegen und sehen sich gezwungen, betriebswirtschaftliche Methoden der hierarchischen Führung anzuwenden respektive generell ihre Organisationsentwicklung an Managementprinzipien zu orientieren. Dazu gehört, elementare Dimensionen wissenschaftlicher Praxis – wie die Kriterien der Leistungs- und Erfolgsmessung, die Beurteilung von Forschungsgegenständen oder die Entwicklung und Legitimation ihrer theoretischen Grundlagen – umfassenden metrisierenden Verfahren zu unterziehen und sich einer verstärkten intermediären Kontrolle durch Hochschulräte oder Evaluationsagenturen zu unterwerfen.[14]

13Die Universität wird also immer mehr auf die Seite des Marktes gezogen, allerdings ohne dass sie aus der staatlichen Aufsicht entlassen wird. Sie wandelt sich, wie Jan Masschelein und Maarten Simons beobachten, von einer Institution, deren Sinn Bildung durch Forschung ist und die anhand ihrer Übereinstimmung mit ebendiesem Sinn beurteilt wird, zu einer am Output orientierten Organisation, die allem und jedem unter dem Gesichtspunkt der Ressource begegnet und »die sich selbst als Teil eines Wettbewerbsumfelds sehen und sich auf ihre unternehmerischen Möglichkeiten konzentrieren soll, um produktiven Gebrauch von ihren Ressourcen zu machen und einen Bedarf zu decken«.[15] Gefordert wird daher von der Universität und allen ihren Angehörigen, sich räumlich in einem je zu definierenden Umfeld zu positionieren, sich »dauerhaft am Bedarf auszurichten« und dabei »mit begrenzten Ressourcen« auszukommen, weshalb »eine unternehmerische Haltung und Kreativität zu essentiellen Qualitäten« nicht nur der Hochschulen, sondern auch der einzelnen Wissenschaftler*innen werden.[16]

Die »große Transformation« zielt mithin nicht nur auf die Institution, sie erfasst auch die wissenschaftlichen Subjekte. Es ist die neoliberal gewandete Figur des Homo oeconomicus, des Nutzen kalkulierenden Unternehmers seiner selbst, die zunehmend den Homo academicus, den Bürger der alten civitas academia, ersetzt. Denn was alle, Hochschullehrende wie Studierende gleichermaßen, heute zu verstehen haben, ist, ihr wissenschaftliches Leben als einen »Produktionsprozess« aufzufassen, »den sie in Hinblick auf größtmögliche Innovation und Leistung managen können und müssen«.[17] Zur unternehmerischen Universität gehört deshalb auch die imperativ das Handeln der Subjekte anleitende »Management-Maxime: erneuern und Leistung erbringen«,[18] »In14novationslücken« finden und »Leistungsniveaus« anheben. Denn innerhalb der »unternehmerischen akademischen Welt« zirkuliert deutlich vernehm- und nicht ignorierbar »eine klare und drängende Botschaft: Vergleiche dich, sei besser als die anderen, erhöhe deine Leistung, das heißt erhöhe deinen Output durch effizienteren Einsatz der Ressourcen oder, anders gesagt, optimiere das Input-Output-Verhältnis«.[19]

Wendy Brown hat diesen Imperativ als das zentrale Kennzeichen der »schleichenden«, die Demokratie und ihre Institutionen – wozu auch die Universität gehört! – aushöhlenden »neoliberalen Revolution« ausgemacht:

In dem Maße, wie sich eine normative Ordnung der Vernunft über drei Jahrzehnte hinweg zu einer weit und tief verbreiteten Regierungsrationalität entwickelte, verwandelt der Neoliberalismus jeden Bereich und jedes Unterfangen des Menschen gemeinsam mit den Menschen selbst gemäß einem bestimmten Bild des Ökonomischen. Jedes Verhalten ist ökonomisches Verhalten; alle Bereiche des Lebens werden in ökonomischen Begriffen und Metriken erfaßt und gemessen, auch wenn diese Bereiche nicht direkt monetarisiert werden. Innerhalb der neoliberalen Vernunft und in den Bereichen, die von ihr beherrscht werden, sind wir bloß noch und überall Exemplare des Homo oeconomicus, der selbst eine historisch spezifische Form hat. Weit entfernt von Adam Smith’ Geschöpf, das von dem natürlichen Drang ›zu handeln und Dinge gegeneinander auszutauschen‹ angetrieben wird, ist der heutige Homo oeconomicus ein sorgfältig konstruiertes und reguliertes Stück Humankapital, das die Aufgabe hat, seine Position im Wettbewerb zu verbessern und wirksam einzusetzen sowie seinen (monetären und nichtmonetären) Bestandswert über all seine Bemühungen und Schauplätze hinweg zu fördern.[20]

Kurzum, die »Herrschaft der Zahlen«[21] – und das meint im akademischen Kontext, wie gesagt, vor allem Formen der metrisierten Leistungsmessung und der indikatorengestützten Steuerung von Forschung und Lehre – reorganisiert im akademischen Kosmos Regierungstechniken und Wahrheitspolitiken, sie installiert 15neue Sichtbarkeitsregime[22] und generiert neue Subjektivierungsweisen. Willem Halffman und Hans Radder sprechen in diesem Zusammenhang von einem »Regime der Fetischisierung von Indikatoren«:[23] einem Regime, dem es »weniger um qualitativ hochwertige Ergebnisse, die es ohnehin nicht bewerten kann, zu tun ist als um Performance: die taktisch klug ersonnene und einfallsreich polierte Illusion von Exzellenz«.[24] Dabei bilden Zahlen Leistung nicht einfach ab, vielmehr werden soziale Phänomene durch statistische Verfahren erst zu Tatsachen, wie Eva Barlösius in anderem Zusammenhang überzeugend darlegen konnte.[25] Zahlen »geben vor, eine Realität zu zeigen, die außerhalb von ihnen liegt und durch sie sichtbar gemacht werden kann«, so auch Bettina Heintz.[26] Und mehr noch: Zahlen machen aus sozialen Phänomenen nicht nur je spezifische soziale Tatsachen, sie erschaffen die soziale Welt neu, indem sie unsere Vorstellungen von Wert und gesellschaftlichem – und akademischem – Status verändern. Es zählt, was gezählt werden kann.

Doch obwohl auch in der hochschulischen Gegenwart »das soziale Geschehen ständig vergleichend beschrieben« und in der Regel der Vergleich »als selbstverständlicher Hintergrund vorausgesetzt« wird, rückt dieser selbst kaum in den Fokus und wird bislang nur selten »zu einem Untersuchungsgenstand«.[27] Dass beispielsweise quantitative Leistungsmessungen und Rangordnungen sich auf Merkmale richten, die der Wissenschaft äußerlich sind, die wissenschaftliche Qualität höchstens indizieren, aber nicht messen können, weshalb die so generierten Daten immer noch qualitativ 16interpretiert werden müss(t)en, wird in der Forschung zwar immer wieder konstatiert, ist im praktischen Umgang mit Kennziffern jedoch kaum handlungsleitend.[28]

Im Gegenteil: Weil »numerisch repräsentierte Informationen« von Kontextbezügen weitgehend gereinigt sind und »folglich auch ohne Hintergrundwissen und in unterschiedlichen Kontexten kommunikativ anschlussfähig« erscheinen[29] und weil wir Zahlen und den Expert*innen, die sie generieren, vertrauen, schaffen Zahlen nicht debattierbare Faktizität: Wir setzen schlicht um, was sievorzugeben scheinen. »Die Wissenschaft«, heißt es etwa lapidar in einem Statement des Österreichischen Wissenschaftsrats aus dem Jahr 2014, »ist es gewohnt, zu messen. Sie ist es ebenso gewohnt, selbst gemessen zu werden, Rechenschaft über ihr Tun abzulegen«.[30]

3. Vergleichende Vermessung

Vermessene Räume, gespannte Beziehungen fokussiert die europaweiten Hochschultransformationsprozesse bewusst unter der Perspektive der vergleichenden Vermessung, stellt diese doch das vielleicht markanteste Element jener hier nur kursorisch skizzierten Transformationsprozesse dar, wie der zunehmende Einsatz von Kennziffern und der allerorten beobachtbare Glaube an sie verdeutlicht. Kennziffern werden heute nicht nur in den Hochschulen für alle erdenklichen Prozesse und Zusammenhänge gebildet, etwa um die sachgerechte Verwendung öffentlicher Mittel darzustellen, Budgethaushalte abzubilden, Flächen zu verwalten, Beiträge zur Wissenschaftsentwicklung auszuweisen, berufliche Werdegänge zu dokumentieren, Qualitätsentwicklungen der Lehre zu beobachten.[31] Die vergleichende Beobachtung und Bewertung wird beispielsweise als 17erforderlich angesehen, um die Qualität und den Erfolg eines Studiengangs zu prüfen, eine Personalentscheidung zu rechtfertigen, den ungleichen Zugang zu knappen Ressourcen zu legitimieren oder deren Ungleichverteilung zu bekämpfen.[32] Kennziffern dienen der Entscheidungsvorbereitung oder der Abkürzung von Entscheidungsprozessen. Einrichtungen, die Stipendien oder Fördermittel vergeben oder Wissenschaftler*innen aus dem Ausland einladen wollen, sind auf international kommunizierbare Beurteilungsstandards angewiesen. Rankings von Publikationsorganen bieten short cuts zur Einstufung der Qualität von Forschungsleistungen und ihrer Autor*innen.[33] Als hochwertig gelten die Zeitschriften mit den höchsten Ablehnungsraten beziehungsweise mit der größten Zitationshäufigkeit (nach etablierten Indizes).[34] Der Wert eines research grant wird nicht zuletzt an der Höhe der Fördersumme bemessen.[35]

Metrisierte Indikatoren für Forschungsqualität scheinen dabei die Unübersichtlichkeit auf beiden Seiten zu reduzieren: Gutachten in Vergabeprozessen für Stipendien, Sabbaticals und Forschungsmittel orientieren sich an Journal- oder Hochschul-Rankings, Publikationsstrategien richten sich an den Impact-Faktoren von Fachzeitschriften aus.[36] Komplexitätsreduktion gilt allgemein als ein 18zentrales Motiv für die Zunahme indikatorengestützter Steuerung. Ihre Legitimation beruht auf Annahmen wie: Messzahlen schaffen Transparenz, Standardisierungen erhöhen die Berechenbarkeit, die rechnerische Gegenüberstellung von Leistungskennzahlen bewirkt eine objektivere Beurteilung und steigert so die Entscheidungsqualität.[37] Kritische Punkte bleiben aber nicht zuletzt die Intransparenz der Definition und Zuweisung von Leistungskategorien (und die damit verbundenen Evaluierungs- und Selektionsprozesse) beziehungsweise die Qualitätssicherung in Peer-review-Verfahren sowie die Kontrolle von Gatekeeping-Prozessen.[38]

Vermessene Räume, gespannte Beziehungen leistet einen Beitrag zur kritischen Wissenschafts- und Hochschulforschung, die diese – im Namen der »Exzellenzsteigerung« betriebenen – Veränderungen in den Rahmenbedingungen von Wissenschaft und wissenschaftlicher Arbeit ebenso wie die Auswirkungen auf die epistemischen Kulturen und Praktiken bereits seit Längerem untersucht.[39] Wissenschaftler*innen stünden unter zunehmendem Leistungsdruck, Output-Orientierung und strategische Publikationsplanung im Sinne der Herstellung von least publishable units schadeten der Forschung. Innovation als Imperativ fördere die Neigung zu forschungsinhaltlicher Nischenbildung, die Beurteilung von wissenschaftlicher Leistungsfähigkeit nach Maßgabe der Höhe von Drittmitteln verleite zu opportunistischen, gelegenheitsgetriebenen Forschungsstrategien. Diese Entwicklungen erinnern 19an Beobachtungen zur Beschleunigung und Dynamisierung in der Moderne,[40] zur Entgrenzung und Vermarktlichung von Arbeit, die sich in der Kritik am kannibalisch agierenden »akademischen Kapitalismus« zuspitzt.[41]

4. Vermessung und Geschlechterdynamiken

Was diese Veränderungen für die hochschulischen Geschlechterverhältnisse und ‑dynamiken, für die unterschiedlichen Karriereoptionen und ‑verläufe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, für Gleichstellungspolitiken und die Gender Studies bedeuten und wie diese selbst in ambivalenter Weise in jene Transformationsdynamiken eingebunden sind, ist bisher vor allem seitens der hochschulbezogenen Geschlechterforschung analysiert worden. Der Band sucht hier die bislang weitgehend getrennt arbeitenden Felder der Hochschulforschung einerseits und der Geschlechterforschung andererseits ins Gespräch zu bringen. Ins Zentrum gerückt wird insbesondere die Frage, welche Rolle Vermessung und Metrisierung in der (Re‑)Organisierung von Geschlechterverhältnissen und für die Strukturierung von Geschlechterdynamiken und Gleichstellungspolitiken spielen. Untersucht wird, wie Metrisierung vergeschlechtlichte und vergeschlechtlichende Subjektivierungsprozesse gestaltet und welche Effekte sie für die Formen und Inhalte des wissenschaftlichen Geschlechterwissens zeitigt.

Diese Art, Fragen zu stellen, impliziert, dass dem Geschlechterverhältnis ein systematischer Stellenwert beigemessen wird, dass Geschlecht ein Unterschied ist, der in der Regel in der civitas academia einen Unterschied macht – eine in der Forschungsliteratur nicht unumstrittene Annahme. Doch schon ein flüchtiger Blick in die Geschichte der Universität und des wechselvollen Verhältnisses 20von Frauen* und Wissenschaft genügt, um festzustellen, dass deren Anwesenheit als Subjekte des Wissens womöglich in der Tat von zu kurzer Dauer gewesen ist, um die Autorität des institutionengeschichtlich männlich codierten Homo academicus sowie die vergeschlechtlichte Regulierung von Wissenschaftsfähigkeit nachhaltig erschüttert zu haben.[42] Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ist die klare Vorstellung von der »faktischen und häufig auch für notwendig gehaltenen Männlichkeit der Wissenschaft«,[43] die die soziale Schließung und Monopolisierung der akademischen Ausbildung legitimiert, institutionell und gesetzlich abgesicherter Konsens. Dabei ist der Ausschluss der Frauen* aus der modernen Wissenschaft nicht allein Ergebnis überkommener geschlechtersegregierender Traditionen, die die Moderne langsam, aber stetig verzehren wird. Im Gegenteil: Erst im Zuge der Umstellung der gesellschaftlichen Primärdifferenzierung von Schichtung auf funktionale Differenzierung, in der eben auch die Wissenschaft als autonome Sphäre erst entsteht, werden Frauen* definitiv aus dieser ausgeschlossen. Denn diese Ausdifferenzierung der Wissenschaft war aufs Engste mit der spezifisch modernen geschlechtlichen Differenzierung und der damit verbundenen Dissoziation von Öffentlich und Privat, von Erwerbstätigkeit und Familie verknüpft. »Das moderne Konzept der Familie als private Intimsphäre und die Professionalisierung der Forschungspraktik«, so Theresa Wobbe, hätten »neue Auffassungen von Arbeit und Arbeitsteilung, die geschlechtlich definiert wurden«, begründet.[44] Die wissenschaftliche Tätigkeit, die sich jetzt als eigenständiger Handlungstypus herausbildete, »wurde an ein Konzept der geschlechtlichen Arbeitsteilung gekoppelt, das zur gleichen Zeit als neues, die Funktionssysteme übergreifendes Prinzip entstand«.[45]

Die kontradiktorische und zugleich komplementär organisierte 21Trennung der Geschlechter, die mit der Herausbildung des modernen Universitätssystems verbundene räumliche Trennung von Wissenschaft und Familie sowie die Konstruktion der wissenschaftlichen Tätigkeit als männlich codierter und Männern vorbehaltener Tätigkeit zwischen Beruf und Berufung[46] können mithin als die entscheidenden Koordinaten angesehen werden, innerhalb deren der Ausschluss der Frauen* aus der modernen Wissenschaft organisiert ist. Zwar erkämpfen sich Frauen* in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts den formalen Zugang zunächst zur universitären Ausbildung und dann auch sukzessive zu Lehre und Forschung. Doch sind mit der Beseitigung der juridischen Barrieren auch die kulturellen Klippen und die in die organisatorischen Strukturen eingelassenen Hürden überwunden? Ist die Gleichsetzung von Intellektualität mit männlichem Geschlecht in der unternehmerischen Hochschule nachhaltig unterbrochen? Ist die Tatsache irrelevant, dass die Wissenschaft als autonome Sphäre sich als exklusiv männliche Sphäre etablierte, hundert Jahre nachdem Frauen* das Recht auf Habilitation zugestanden wurde? Oder trifft noch immer zu, dass Frauen* »bei ihrem ersten Auftreten symbolisch nicht member of the club, sondern Geschlecht« repräsentieren, ihre »bloße Anwesenheit die informelle Kommunikation der Brüderhorde mit ihren Clubregeln und dem old boys network« irritiert, wie Friederike Hassauer so unnachahmlich formulierte?[47] Ist »Wissenschaft als Beruf« tatsächlich Männerdomäne geblieben? Stattet sie den Homo academicus aus mit Habitus, mit Bildungskapital, mit universitärem Machtkapital, mit symbolischem Kapital – alles gebunden an »die im Feld wirksame Eigenschaft«, an das stärkste Machtpotenzial: männliches Geschlecht?

Vermessene Räume, gespannte Beziehungen positioniert sich im Kontext dieser Fragen mit seinem Schwerpunkt auf Vermessung innerhalb der hochschulbezogenen Geschlechterforschung, die sich kritisch mit der Veränderung der Arbeits- und Forschungsbedingungen im Zuge der Umstellung auf den Modus »unternehmerischer Universität« und der Realisierung einer Politik der 22»Exzellenzsteigerung« auseinandersetzt.[48] Die Beiträge greifen in diesem Zusammenhang zentrale geschlechterbezogene Problemstellungen auf, die im Kontext des Wirklichwerdens unternehmerischer Universitäten neue Gestalt annehmen. Im Einzelnen geht es um Problemstellungen im Bereich der Anerkennungskriterien von Leistung und der Laufbahnchancen in der Wissenschaft und um die Chancen für Geschlechterforschung im Kontext von Exzellenzinitiativen und Output-Orientierung. Im Bereich der Definition mehrheitsfähiger politischer Anliegen geht es um die Definition und Verankerung von Gleichstellungs- und Diversitätspolitik an Hochschulen sowie schließlich um die Definition legitimen Wissens und die Gestalt von Gender Studies im Kontext des europaweiten Studienreformprozesses. Gefragt wird, wie Controlling und eine zunehmend metrisierte Leistungserfassung und ‑beurteilung die Bedingungen für wissenschaftliche Arbeit, Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit an Universitäten verändern, ob quantitative Bewertungsverfahren lediglich alte, geschlechtliche Ungleichheit generierende Prozeduren in neuem Gewand darstellen oder aber die Chance geschlechtsneutraler Rekrutierung bieten.

Gefragt wird aber auch nach den Spielräumen für die geschlechtergerechte Ausgestaltung von Wissenschaft und Forschung in der 23solcherart vermessenen Hochschule. Was bedeutet es für die Chancen von Frauen* in der Akademie, wenn der männlich codierte Homo academicus zunehmend zu einem akademischen Homo oeconomicus mutiert? Und nicht zuletzt stellen sich für Gleichstellungspolitiken und Gender Studies in diesem Kontext Fragen neu: Was bedeutet die Forderung nach der Ausweitung gleichstellungspolitischer Monitoring-Instrumente wie beispielsweise Gender Budgeting für die kritische Reflexion von Macht- und Herrschaftsverhältnissen in der Wissenschaft? Inwiefern beziehungsweise unter welchen Bedingungen kann hochschulische Gleichstellungspolitik mit Kennziffern argumentieren und im Rahmen der Managementlogik der unternehmerischen Universität operieren, ohne zugleich normative Konzepte wie die des »unternehmerischen Selbst«[49] in der Wissenschaft zu übernehmen und fortzuschreiben?[50] Welche Bedingungen schafft die vermessen(d)e Universität für die Reproduktion sozialer Beziehungen in der Forschung und Lehre, wie entwickeln sich Care-Dimensionen wissenschaftlicher Praxis im Rahmen der Vermessung und Vermarktlichung der Universitäten?

Damit zielt der Band auf eine feministische und geschlechtertheoretische Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen und Effekten hochschulischer Reformen. Vermessene Räume, gespannte Beziehungen verweist hier auf strukturelle Konfliktlagen. Die Rede von »gespannten Beziehungen« deutet auf anhaltende Konflikte im Geschlechterverhältnis hin, wobei an dieser Stelle zunächst offenbleibt, ob diese sich primär entlang der Geschlechterdifferenz artikulieren oder ob und unter welchen Umständen auch andere soziale Differenzen beziehungsweise potenziell Ungleichheit generierende Positionierungen ins Spiel kommen (Care-Verantwortung, Lebensführungskonzepte, Sexualität, Alter, soziale Herkunft respektive Bildungsbiografie, Migrationshintergrund). »Gespannte Beziehungen« verweist darüber hinaus aber auch darauf, dass un24gleichzeitige Entwicklungen innerhalb beziehungsweise zwischen Universitäten und nationalstaatlichen Hochschulsystemen Geschlechterverhältnisse und Geschlechterdynamiken je unterschiedlich rekonfigurieren.

Die Implikationen dieses Umbaus werden aus einer die verschiedenen Beiträge umspannenden Perspektive erarbeitet, die hinsichtlich der Bedeutungen von Vermessung auf theoretisch ertragreichen Grundlagen beruht. »Vermessungen« können diskurs- oder praxistheoretisch, mit Blick auf neue Regierungstechniken oder Klassifikationssysteme, steuerungs- oder mikropolitisch gedeutet werden. Sie können ein metaphorisches Verständnis von »Raum« anwenden oder ein sozialstrukturelles Konzept zugrunde legen, etwa die Vorstellung sozialräumlicher Segregation. »Räume« können abstrakt gedeutet werden, im Sinne von Räumen der Subjektivierung, oder auch konkret als organisationale Arenen und mikropolitische Räume der Intervention. Die »gespannten Beziehungen« meinen etwa die bereits erwähnten strukturellen Konflikte im Geschlechterverhältnis, gegensätzliche Positionen in der Auseinandersetzung um gleichstellungspolitische Handlungsspielräume, symbolische Kämpfe um Demarkationen legitimen Wissens oder widersprüchliche Bedingungen der Subjektivierung. Ein wesentlicher Aspekt der Spannungsverhältnisse können die Verwerfungen sein, die aus der widersprüchlichen Verfugung progressiver und regressiver Elemente des Wandels resultieren.

Die Vermessung hochschulischer Räume und Praxisformen beinhaltet über den Sektor der tertiären Bildung hinaus aber auch eine für die kritische, auch feministische Auseinandersetzung mit dieser Entwicklung interessante Ambiguität. Der Band greift hier die lange Tradition feministischer Vernunftkritik auf und sucht diese über die Kritik der Vermessung zu schärfen. Vermessung verweist auf die säkularen Prozesse der Rationalisierung, in deren Rahmen die Vermessung der Welt ein neues, auf Vernunft begründetes Weltverständnis konstituiert. Der Kult der Zahlen maskiert sich hier als Rationalisierung. Im weiteren Sinn ist an den für Max Webers Analyse moderner bürokratischer Herrschaft zentralen Prozess okzidentaler Rationalisierung zu denken, an die Bedeutungszunahme formaler Aspekte und metrischer Parameter als Charakteristika moderner Verwaltung, die auf Sachlichkeit und Vernunft gebaut ist, im Einklang mit den Werten der Aufklärung. Quantifizierende 25Beschreibungen und metrische Größen suggerieren eine sachliche, wertneutrale Deutung der Wirklichkeit und scheinen eine geeignete Basis für die vernunftgesteuerte Lenkung gesellschaftlicher Institutionen.[51] Im politischen Diskurs wird der Einsatz von Metriken sinngemäß als eine kohärente Weiterführung des Projekts der Aufklärung verstanden, versehen mit neuen Anforderungen an Steuerung.

Aus Sicht der kritischen, auch feministischen Sozialwissenschaft stellt die Vermessung sozialer Räume freilich ein Einfallstor für politische Machtausübung dar. Sie hebt den »Willen zum Wissen« (Michel Foucault) auf ein neues Niveau – bezogen auf die Definition der Steuerungsparameter sowie auf den Modus und die Reichweite der Governance hochschulischer Prozesse. Hierbei geht es nicht nur um die fortschreitende Überwachung im Rahmen einer »Regierung aus Distanz«, wie Peter Miller und Nicolas Rose[52] es genannt haben – eine Neubelebung disziplinarisch verfahrender Macht, wie Foucault sie beschrieben hat, einer Macht, die die Individuen ins Scheinwerferlicht rückt und das so geschaffene »Disziplinarindividuum in seiner Unterwerfung festhält«.[53] Denn vermessende Techniken und Politiken strukturieren auch die unmittelbar relevanten Deutungssysteme, sie schlagen sich nicht nur in sozialen Klassifikationen nieder, sondern auch in den praktischen Taxonomien und Beurteilungsmaßstäben der Akteur*innen. Die mit Vermessungen verbundenen, von ihr hervorgebrachten Sichtweisen sind daher auch relevant, insofern sie symbolische und soziale Teilungsprinzipien generieren und den herrschenden Klassifikationen Legitimität verschaffen.

Vermessungen sind daher nicht erst ab dem Zeitpunkt der Anwendung von Methoden und Messinstrumenten interessant. Vielmehr gilt es, den Weg zu jenen Macht- und Herrschaftsverhältnissen zurückzuverfolgen, die den praktischen Methoden Sinn und Glaubwürdigkeit verleihen. Es gilt, ihre symbolischen Gewaltwirkungen zu ergründen – beispielsweise die eng mit Vermessungen verknüpften Prämissen des Exzellenzdiskurses: Exzellenz sei mess26bar und könne als Eigenschaft oder Leistung »isoliert« von sozialen Zuschreibungen beziehungsweise von Kontextfaktoren abgelöst beurteilt werden; Exzellenz werde durch marktliche Formen der Wissenschaftskonkurrenz befördert, in der sich die »besten Köpfe« durchsetzen. Die kritische Analyse der Machtwirkungen metrisierender Governance muss jedoch ebenso offenbleiben gegenüber Beobachtungen reflexiver Aneignung von Governance auf der Ebene der Subjektivierung wie für Zeichen des Widerstands, etwa in Form »ironischer Distanz« des Subjekts gegenüber steuerungspolitischen Zugriffen.[54] Genauso wichtig ist es, jenen Aktivitäten Rechnung zu tragen, die neue Governance-Techniken im Sinne der Umsetzung von Gerechtigkeit und Gleichstellung einsetzen.

5. Zu den Beiträgen

Vermessene Räume, gespannte Beziehungen versammelt feministische und geschlechtersoziologische Analysen zu vier Kernthemen in der Debatte über die sich stetig ausbreitende Vermessung der Wissenschaft und in ihr. Unter dem Titel »Vermessung und Demarkationen legitimen Wissens: Gender Studies und feministische Kritik« werden in der ersten Sektion die Herausforderungen für die feministische Kritik und die Legitimation von akademischem Genderwissen verhandelt. Den Anfang macht hier Gudrun-Axeli Knapp. In »Warum nicht vermessen sein? Anmerkungen zur Dialektik feministischer Aufklärung« greift sie die Doppeldeutigkeit im Begriff des »Vermessen«-Seins beziehungsweise des »Vermessen«-Werdens auf und zeichnet die Situation feministischer Wissenschaft, Gesellschaftskritik und Gleichstellungspolitik im Kontext der umfassenden Vermarktlichung der Gesellschaft und der Reformierung der Hochschulen nach den Prinzipien neuer Governance. Feministische Politik und Praxis stehe vor der paradoxen Anforderung, eine radikale Auseinandersetzung mit der Gesellschaft zu betreiben und zugleich stets auch über die gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse radikal hinausdenken zu müssen. Die Analyse der Hochschulreformen im Zeichen einer umfassenden Vermessung 27von Institutionen, Subjekten und Wissenschaftsleistungen führe die Schwierigkeit einer solchen Kritik, die zugleich »vermessene« – radikale – Forderungen erhebe, vor Augen. Feministische Politik argumentiere zwar im Sinne der Werte der Aufklärung und kämpfe für vorurteilsfreie und leistungsgerechte Beurteilung, erkenne aber zugleich die Ambiguität metrisierender Verfahren, die unter den Bedingungen der Vermarktlichung eingesetzt würden und unter diesen Bedingungen Geschlechterungleichheiten reproduzierten und legitimierten. Knapp benennt im Rahmen ihrer differenzierten Analyse die Herausforderungen, die aus dieser paradoxen Konstellation erwachsen: Vermessung im Zeichen der Vermarktlichung einerseits bekämpfen und sie zugleich im Streben nach Gleichheit und Gerechtigkeit verteidigen zu müssen.

Gabriele Griffin schildert in »Ein Schuss Energie oder ein Schuss ins Knie? Geschlechterwissen in der unternehmerischen Universität aus britischer Sicht« die Bedeutung der Managerialisierung und Vermarktlichung der britischen Universitäten für das kritisch-reflexive Geschlechterwissen. Wie auch die Beiträge von Rosalind Gill und Sara Ahmed verdeutlichen, ist das Beispiel der britischen Hochschulreformen nicht nur deshalb aufschlussreich, weil Großbritannien Vorreiter der neoliberalen Hochschul-Governance ist und die Implementation des New Public Management bereits seit Längerem vergleichsweise rigoros vollzieht. Auch die reformbegleitenden Vermessungsprozesse, das Ranking der Universitäten und das Rating der einzelnen Wissenschaftler*innen sind dort besonders weit fortgeschritten. Der Kategorie impact factor beziehungsweise Wirkung komme hier für die Geschlechterforschung eine tragende, wenn auch widersprüchlich zu bewertende Rolle zu. Da diese einerseits im Allgemeinen hohe Impact-Werte erziele und sich die Universitäten andererseits als unternehmerisch tätige Einrichtungen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst und im Sinne unternehmerischen Handelns zugleich um eigenständige Akzente in der Wissensgesellschaft bemüht seien, könne die quantifizierende Kategorisierung in Form von Impact-Faktoren die wissenschaftliche und politische Legitimation akademischen Geschlechterwissens auch befördern. Griffins Analyse zeigt allerdings, dass die Wirkung von Impact-Faktoren wesentlich von politischen Rahmenbedingungen abhängt. Dies wird nicht zuletzt im Blick auf die Unterschiede zwischen dem englischen und dem schwe28dischen Universitätssystem deutlich, denn die vermessen(d)e und unternehmerische Universität schafft durchaus je unterschiedliche Möglichkeitsbedingungen für kritisch-reflexives Geschlechterwissen. Sie kann nachteilige Rahmenbedingungen entwickeln – einen »Schuss ins Knie« in England –, oder aber vorteilhafte – einen »Schuss Energie« in Schweden.

Aline Oloff, Anja Rozwandowicz und Susanne Sackl-Sharif präsentieren in »Ambivalente Disziplinierung. Die Institutionalisierung von Gender Studies-Studiengängen unter den Bedingungen der Vermessung« die Ergebnisse ihrer Studie »Nach Bologna. Gender Studies in der unternehmerischen Hochschule« zur Institutionalisierung von Gender-Studies-Studiengängen an Universitäten im deutschsprachigen Raum. Im Zuge der Studienstrukturreform öffneten sich in den Augen der interviewten Gender-Studies-Expert*innen mit der Option, eigene Studiengänge einrichten zu können, durchaus Möglichkeitsfenster für die Gender Studies. Die Option Studiengang habe es ermöglicht, den Inhalten der Gender Studies eine intelligible institutionelle Gestalt zu geben, und günstige Bedingungen für die Legitimierung des Wissensgebiets geschaffen. Zugleich seien die Gender Studies damit allerdings erheblich unter Handlungsdruck geraten. Hochschullehre wurde im Zuge der Reform neu vermessen, ein System aus Modulen und Leistungspunkten, quantifizierter Lehrevaluierung und Portfolio-Prüfungen sei entstanden. Studiengänge müssten sich nun (auch) auf der Basis von Leistungsindikatoren rechtfertigen. Diese schränkten die Gestaltungsmöglichkeiten der Gender Studies als interdisziplinäres, nur wenig kanonisiertes Fach, das sich zudem durch ein ausgeprägt kritisch reflexives Selbstverständnis auszeichne, womöglich stark ein. Ressourcenknappheit an den Universitäten habe weitere Zugeständnisse bei der Ausgestaltung der neuen Studiengänge erzwungen. Gender-Studies-Studiengänge scheinen demnach einerseits durchaus erwünscht an der unternehmerischen Universität, tragen sie doch zur Profilbildung bei und liefern kostengünstige Lehre für hohe Studierendenzahlen. Andererseits, so steht zu befürchten, gehen die Gender Studies für diesen Institutionalisierungserfolg zu viele Kompromisse ein.

Der Beitrag von Heike Kahlert, »Exzellente Wissenschaft? Das strukturelle Scheitern von Koordinierter Frauen- und Geschlechterforschung im Wettbewerb«, fragt vor dem Hintergrund der 29zunehmend über wettbewerbliche Verfahren organisierten Verteilung öffentlicher Mittel sowohl nach den Beweggründen der Einwerbung von Drittmitteln für Frauen- und Geschlechterforschungsprojekte wie nach den antizipierten Erfolgsfaktoren im Drittmittelwettbewerb. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass die öffentliche Förderung der Forschung insbesondere für diejenigen Wissenschaftsbereiche von Bedeutung ist, die ohnehin über eine geringe Grundausstattung verfügen, nicht auf Förderung etwa aus der Wirtschaft zählen können oder nur vergleichsweise marginal in Hochschule und Forschung verankert sind. All dies treffe auf die Frauen- und Geschlechterforschung in besonderem Maße zu. Als vergleichsweise junge Wissenschaftsrichtung, die sich vornehmlich aus den Geistes‑, Kultur- und Sozialwissenschaften speist und zugleich in diesen zumindest randständig Fuß gefasst hat, bilde sie exemplarisch spezifische Probleme ihrer Herkunftsdisziplinen unter Bedingungen der stetig um sich greifenden Vermessung der Wissenschaft ab. Wie diese scheine auch die Geschlechterforschung unter unternehmerischen Bedingungen einem erhöhten Legitimationsdruck bezüglich ihrer Existenz ausgesetzt und in ihrer Weiterentwicklung auf (hochschul‑)externe ideelle wie materielle Förderung angewiesen zu sein. Politisch und gesellschaftlich partiell als wissenschaftliche Innovation begrüßt, drohe sie doch im ökonomisch ausgerichteten Wettbewerb um exzellente Wissenschaft strukturell zu scheitern.

Die Beiträge in der zweiten Sektion, »Leistungsmaßstäbe – Gleichstellung: Verhandlung von Zugangschancen in vermessenen Räumen«, setzen sich aus unterschiedlichen Theorieperspektiven mit Standards der Leistungsbeurteilung in der Wissenschaft und an Universitäten auseinander. Zunächst geht Bettina Heintz in »Ohne Ansehen des Geschlechts? Bewertungsverfahren in Universität und Wissenschaft« aus systemtheoretischer Perspektive der Frage nach, warum sich leistungsstarke Frauen* heute in der Wissenschaft zwar durchsetzen können, hartnäckige Geschlechterbarrieren aber dennoch fortbestehen. Wissenschaftler*innen, so Heintz’ Argument, gehören zwei Systemen an, die nach unterschiedlichen Logiken operieren: dem System Wissenschaft einerseits, den Hochschulen und Universitäten als Organisationen andererseits. Für eine Wissenschaftslaufbahn benötigen sie die Währungen beider Systeme – die Nachweise der an Universitäten im Rahmen eines formali30sierten Verfahrens gemessenen Leistung und die Zurechnung der im Funktionssystem der Wissenschaft geschaffenen Reputation. Heintz rekonstruiert die Chancen und Hürden für Frauen* in der Wissenschaft als Produkt des spannungsreichen Zusammenspiels zwischen indikatorenbasierter, versachlichender Leistungsmessung auf der einen und qualitativer Bewertung auf der anderen Seite, die nach wie vor auf informelle und interaktionsabhängige Beurteilungsverfahren gründet und Geschlecht bei der Einschätzung von Leistung routinemäßig ins Spiel bringt.

Katharina Kreissl, Johanna Hofbauer, Birgit Sauer und Angelika Striedinger präsentieren in »Subjektivierungen in vermessenen Räumen. Wissenschaftsnachwuchs zwischen Fremd- und Selbstführung« Forschungsergebnisse aus einer Foucault’schen Theorieperspektive. Sie fassen die Vermessung von Universitäten als eine Regierungstechnologie mit inhärentem Anspruch auf Fremdführung der Wissenschaftssubjekte. Die Untersuchung beruht auf narrativen Interviews mit Postdocs unterschiedlicher Disziplinzugehörigkeit an österreichischen Universitäten. Im Zuge der jüngsten Universitäts- und Dienstrechtsreformen wurden die Karriereanforderungen formalisiert, die Verknappung der Karrierestellen führte aber zugleich eine Verschärfung des Wettbewerbs zwischen den Nachwuchskräften herbei. Die Autor*innen analysieren die Deutungen der Postdocs, ihre Strategien im Umgang mit den veränderten Bedingungen für wissenschaftliche Laufbahnen und den neuen Spielregeln im Kampf um Beschäftigung und Anerkennung an reformierten Universitäten. Im Ergebnis zeigt sich, dass die vermessen(d)e Universität durchaus ambivalent wahrgenommen wird, als ein Sozialraum, der durchschaubar und zugleich intransparent wirkt, als eine Institution, in der sich Individuen nicht nur regeltreu, sondern auch listig und »eigensinnig« verhalten. Den wachsenden Leistungs- und Anpassungsdruck bewältigen sie mitunter spielerisch und mit einem Sinn für ihre eigene Handlungskompetenz. Die ungleichen Neigungen zu Macht- und Anerkennungsspielen sowie die ungleiche Ausstattung mit den für eine erfolgversprechende Teilnahme an jenen Spielen erforderlichen Zeit- und Mobilitätsressourcen führt aber auch die vergeschlechtlichenden Implikationen der neuen Governance in der Wissenschaft vor Augen.

Ilse Costas und Stephanie Michalczyk kommen in ihrem Beitrag »Wissenschaftliche Subjekte im Spannungsfeld von Performanz 31und Wettbewerb. Quantitative Leistungsindikatoren und ihre verborgenen geschlechterdifferenzierenden Effekte« zu dem Schluss, dass bestehende Geschlechterasymmetrien in der Wissenschaft im Rahmen der vermessen(d)en und unternehmerischen Universitäten eher reproduziert als aufgebrochen werden. Sie präsentieren Ergebnisse einer empirischen Studie, die Veränderungen der Arbeits- und Aufstiegsbedingungen in Deutschland und Frankreich gegenüberstellt. Die Autor*innen beurteilen die Entwicklungen in den beiden Ländern differenziert. In Deutschland herrsche ein besonders hoher Leistungsdruck, bei einer gleichzeitig ausgeprägten Tendenz zu befristeten Stellen und verschiedenen Varianten der Teilzeitbeschäftigung. Das Prekarisierungsrisiko des wissenschaftlichen Nachwuchses verstärke in Kombination mit traditionellen Mustern privater Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern und ungleicher Unterstützung durch Vorgesetzte die Laufbahnrisiken für Frauen*. Vermessende Verfahren der Leistungsbeurteilung, wie etwa die bibliometrischen Leistungsindikatoren, führten in diesem Kontext eher dazu, den Leistungsdruck zu erhöhen und den weiblichen Nachwuchskräften die ungleichen Bedingungen des Wettbewerbs um Karrierestellen immer wieder vor Augen zu führen. In den Interviews mit französischen Nachwuchskräften zeigen sich hingegen auch Formen der affirmativen Aneignung der neuen Governance. Im Unterschied zu Deutschland ist atypische Beschäftigung in der Wissenschaft in Frankreich weniger verbreitet, metrisierende Verfahren können in diesem Zusammenhang eher als eine Maßnahme der Steigerung von Leistungsgerechtigkeit interpretiert werden. Die Autor*innen kommen insgesamt dennoch zu einem kritischen Urteil und heben die Unverhältnismäßigkeit der Bedeutung und Wirkmächtigkeit metrischer Indikatoren hervor, die von androzentrischen Machtstrukturen durchdrungen sei.

Die Beiträge der dritten Sektion, »Gleichstellung und Diversity Management unter der Bedingung von Vermessung und Evaluierung«, diskutieren Chancen und Risiken einer auf metrischen Indikatoren beruhenden Qualitätssicherung und Evaluierung. Im Rahmen der managerialisierten Universität steigen Anforderungen an die schriftliche Dokumentation von Vorhaben und Maßnahmen der Gleichstellungspolitik. Diese Schriftstücke sind Bestandteil der Kontraktualisierung und des indikatoren- und kennziffernbasierten Gleichstellungs-Controllings. Sara Ahmed setzt sich in »Gleichstel32lung und Performance-Kultur« kritisch mit den Folgen der Formalisierung von Diversitäts-Politiken auseinander. Die Dokumentationen von Zielen und Maßnahmen sowie die Zusammenstellung des entsprechenden Datenmaterials werden allgemein als Ausdruck der Leistungsorientierung und Managerialisierung von Universitäten verstanden. Die alltägliche Praxis zeige jedoch, dass Universitäten weniger umsetzen als vielmehr darstellen. Sie richteten ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Präzisierung und Differenzierung von Integrationsmaßnahmen, auf die Aktualisierung der Daten, auf selbstvermessende und die Vermessung kommentierende und reflektierende Aktivitäten. Einrichtungen der Diversitäts-Politik könnten daher das Gegenteil dessen bewirken, was Universitäten im Namen der Managerialisierung vorgeben zu tun. Mehr, als für Chancengleichheit zu sorgen, reproduzierten sie Ungleichheit und verschleierten deren Ursachen. Um die Dokumente des Diversity Management zu effektiven Werkzeugen und Ressourcen der Politik zu machen, bedürfe es daher zuallererst der grundlegenden Bereitschaft und des Willens zur Veränderung an Universitäten.

Auch Julia Nentwich und Ursula Offenberger erläutern in ihrem Beitrag »Kennzahlen als verräterische Verbündete. Eine übersetzungstheoretische Perspektive auf hochschulische Gleichstellungsreformen« die Ambivalenz der Metrisierung von Gleichstellungswissen. Aus der Perspektive der skandinavischen Institutionentheorie analysieren sie die Bedingungen für organisationalen Wandel, konkret am Beispiel der Implementation des Schweizer Bundesprogramms Chancengleichheit. Vermessung und Quantifizierung seien zwar treibende Kräfte der sogenannten »Organisationswerdung« von Universitäten, die mit neuen Chancen für Gleichstellung verbunden sei. Denn mit Kennzahlen ließen sich Gleichstellungslücken aufzeigen, konkrete Handlungsfelder der Gleichstellungspolitik benennen oder die Erfolge wirksamer Gleichstellungsarbeit in der Vergangenheit darstellen. Allerdings machten Universitäten sehr unterschiedlich Gebrauch von metrischen Indikatoren. Am Beispiel von zwei schweizerischen Universitäten zeigen die Autor*innen, wie Kennzahlen im einen Fall als »machtvolle Verbündete« der Gleichstellungspolitik fungieren und die Implementation von Maßnahmen der Antidiskriminierung rechtfertigen, im anderen Fall aber Leitungsverantwortliche für die Nicht-Zuständigkeit ihrer Universität argumentieren lassen. Die 33mit dem Bild der »Karriereschere« verbundenen Kennzahlen zur ungleichen Repräsentation von Wissenschaftlerinnen in den höheren akademischen Positionen signalisierten beiden Universitäten ein Problem; ob sie es angehen, hänge aber von den diskursiven Rahmenbedingungen und der mikropolitischen Einbindung der Gleichstellungsakteur*innen ab.

In der vierten und letzten Sektion, »Un-Vermessen und ausgeblendet: Sorgearbeit und Selbstsorge«, geht es schließlich um Vermessung als hochselektive Form der »Welterfassung«. Zwei Beiträge untersuchen die Folgen der Ausblendung von Sorgearbeit in der Wissenschaft und formulieren damit verbundene Perspektiven feministischer Politik. Kendra Briken, Birgit Blättel-Mink, Alexandra Rau und Tilla Siegel analysieren in »›Sei ohne Sorge‹. Vom Vermessen und Un/Sichtbarmachen akademischer Sorgearbeit in der neoliberalen Hochschule« die Sorge für andere nicht nur aus der Perspektive wachsender Übergriffe der Erwerbsarbeit auf die Reproduktionsarbeit, sondern konzipieren sie als Bestandteil der akademischen Arbeit selbst. Dazu zählen die Care-Dimension der Betreuungsarbeit im Verhältnis zwischen Lehrenden und Studierenden ebenso wie sorgende Praktiken in kollegialen, kooperativen Arbeitsbeziehungen zwischen Forschenden und Lehrenden. Nach Ansicht der Autor*innen gerät die Care-Dimension akademischer Arbeit mit der Umstellung auf neoliberale Regierungsformen an Universitäten erheblich unter Druck. Der vermessende Zugriff auf Lehr- oder Forschungsleistungen blende wesentliche Teile darin enthaltener Sorgearbeit aus beziehungsweise lasse nur spezifische, in der Logik der managerialisierten Institution bearbeitbare, weil als messbare Leistungen darstellbare Zusammenhänge gelten. Von Forschenden und Lehrenden werde erwartet, diese Arbeit im Hinblick auf die Ziele der Institution zu leisten, zugleich aber mit ihren Energien bewusst zu haushalten und ihre Anstrengungen vor allem auf die Produktion zählbarer Leistungen in Forschung und Lehre zu richten. Mit der Bearbeitung von Konflikten und Belastungen, die aus dieser doppelten und spannungsgeladenen Konstellation im erwarteten Leistungsverhalten erwachsen, werden die Subjekte alleingelassen oder an Beratungsstellen verwiesen. Die Universität lagere damit das Problem, das sie selbst generiert, an externe Einrichtungen und in die Lebenswelt ihrer Mitglieder aus. Nach einer umfassenden Problemdiagnose entwickeln die Autor*innen 34eine feministische Vision akademischer (Sorge‑)Arbeitsbedingungen, die ein ausreichendes Maß an Zeitsouveränität gewährt, und schließen mit einem Plädoyer für die Anerkennung von Kollaboration in der Wissenschaft als zeitaufwendigem Handeln. Forschung und Lehre müssten im Sinne der sogenannten slow scholarship entschleunigt werden.

Das Thema Sorge kehrt in Rosalind Gills Aufsatz »Auditieren, quantifizieren, zerstören. Vom Leben in der Neoliberalen Universität« mit veränderter Akzentuierung wieder. Gills Forschung dokumentiert die psychodynamischen Folgen neoliberaler Governance an britischen Universitäten, darunter vor allem die Folgen des massiven Leistungs- und Zeitdrucks im Rahmen der wettbewerbsökonomisch orientierten, quantifizierenden Leistungskontrolle. Gill entwirft das Porträt eines universitären Arbeitsalltags, in dem Erfahrungen der Überforderung, der Frustration und der Verletzung der persönlichen Würde an der Tagesordnung sind. Diese Folgen der destruktiven Rahmenbedingungen akademischer Arbeit werden gemeinhin aber verschwiegen, mehr noch: tabuisiert. Die Zustände physischer und psychischer Erschöpfung, die eine Folge auch der weit verbreiteten Status- und Zukunftsängste sind, nehmen indessen zu. Selbsthilfeangebote und die Einrichtung von Beratungsdiensten im Umfeld der unternehmerischen Universität erwecken den Eindruck, Probleme der Selbstsorge seien Probleme der Individuen und müssten folglich von diesen selbst gelöst werden. Der Artikel zeigt anschaulich die Schattenseiten eines angeblich effizienzsteigernden und leistungsfreundlichen Systems, das aber die soziale Reproduktion der Wissenschaft gefährdet. Er schließt mit der Forderung feministischer Politik, die strukturellen Ursachen dieser Entwicklung und die daraus erwachsende kollektive Problemlage zu benennen. Die Autor*in plädiert zudem für solidarisches Verhalten über alle Beschäftigtengruppen und akademischen Ränge hinweg, um den individualisierenden, und dabei vor allem auch Frauen* aus der Wissenschaft ausschließenden Kräften wirksam entgegenzutreten.

Im abschließenden Beitrag »Vermessen sein. Widersprüchliche Verwerfungen progressiver und regressiver Elemente« führen Johanna Hofbauer und Sabine Hark zentrale Diagnosen über die Entwicklung der Geschlechterverhältnisse und ‑dynamiken an vermessen(d)en, unternehmerischen Universitäten zusammen. Es 35zeigen sich für die unternehmerische Universität charakteristische Überlagerungen und widersprüchliche Verfugungen progressiver und regressiver Elemente. Reformelemente greifen abhängig von institutionellen Rahmenbedingungen, erhöhen Gestaltbarkeit und ermöglichen, den entsprechenden politischen Willen in den Reihen der Entscheidungsverantwortlichen vorausgesetzt, Projekte der Gleichstellung innerhalb der Organisation Universität weiter voranzutreiben. Zugleich wird deutlich, dass die Erwartungen an die Reformkraft der Vermessung, befördert durch den Steuerungsoptimismus neoliberaler Governance, überzogen waren und sind. Die vorliegenden Beiträge zeigen, dass metrisierende Verfahren weder gleichförmig eingesetzt noch überall gleich wirksam die Machtverhältnisse infrage stellen. Sie verändern lediglich die Parameter für den Kampf um legitimes Wissen, um gültige Leistungsmaßstäbe, um die Spielregeln der Gleichstellungspolitik und um die Anerkennung sorgender Reproduktionsarbeit innerhalb wie außerhalb der Universität. Metrisierung ist ein Instrument, das Ungleichheit und Machtasymmetrien bekämpfen, ebenso gut aber auch zu deren Stabilisierung beitragen kann. Diese Ambivalenz ist den neuen Steuerungsinstrumenten inhärent – Grund genug, um mit einem Plädoyer für die Fortführung einer reflexiven und kritischen Forschung zu schließen, die im Sinne einer beharrlichen Fortführung aufklärerischer und feministischer Projekte die soziale Praxis der neuen Metriken weiter untersucht.

Die Mehrzahl der hier versammelten Beiträge resultiert aus dem D-A-CH-Forschungsverbund »Entrepreneurial University und GenderChange: Arbeit – Organisation – Wissen«.[55] In diesen drei Feldern fokussieren die Projekte im Verbund hochschulische Transformationsprozesse und fragen zum einen, inwiefern diese Ausgestaltungen erfahren, die mit Geschlecht in Zusammenhang stehen, und zum anderen, wie sich die Gestaltung von Arbeit, Organisation und Wissen geschlechtsbezogen auswirkt. Der Verbund wird seit 2012 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Schweizer Nationalfonds (SNF) und dem österreichischen Fonds zur Förderung Wissenschaftlicher Forschung (FWF) finanziert. Die Konzeption des Verbunds knüpft an Diskussionen im Rahmen einer Internationalen Konferenz an der Universität Göt36tingen an, deren Ergebnisse in einem von Birgit Riegraf, Brigitte Aulenbacher, Edit Kirsch-Auwärter und Ursula Müller herausgegebenen Band breit dokumentiert sind.[56] An der Entwicklung der Forschungsagenda und an den begleitenden Reflexionen der Ergebnisse aller Projekte waren neben den Autor*innen mehrerer Beiträge zu diesem Band auch Angelika Wetterer, die im D-A-CH-Verbund gemeinsam mit Sabine Hark das Projekt »Nach Bologna. Gender Studies in der unternehmerischen Universität« geleitet hat, sowie Bożena Chołuj, Gabriele Griffin, Lisa Husuu, Edit Kirsch-Auwärter, Gudrun-Axeli Knapp, Beate Krais, Angela McRobbie, Richard Münch, Aylâ Neusel und Mustafa Özbilgin als Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats beteiligt.

Wir bedanken uns bei allen Kolleg*innen in den D-A-CH-Forschungsprojekten und bei den Mitgliedern des Beirats herzlich für die kollegiale Zusammenarbeit und den anregenden Austausch zu diesen bedeutenden Fragen. Gedankt sei auch den Kolleg*innen in den Projekten, Céline Camus, Gerlinde Malli, Elisabeth Zehetner, Sahra Dornick und Hannah Fitsch, Caroline Borra Karges, Niels Spielker und Sarah Zapusek sowie den Kolleg*innen Lisa Husuu, Andrea Löther, Angela McRobbie und Ada Pellert, die sich als Vortragende bei der D-A-CH-Abschlusstagung in unsere Diskussion einschalteten. Sara Ahmed, Rosalind Gill, Bettina Heintz sowie Birgit Blättel-Mink, Kendra Briken, Alexandra Rau und Tilla Siegel, die nicht am Verbund oder der Abschlusstagung beteiligt waren, deren Beiträge uns für die Thematik aber eminent wichtig erschienen, konnten wir davon überzeugen, weitere Texte beizusteuern. Sie alle ermöglichten es, ein breites Spektrum an Perspektiven zur Frage der vermessenen Räume und gespannten Beziehungen zusammenzustellen.

Bedanken möchten wir uns schließlich bei den Übersetzer*innen des queer_feministischen Übersetzungskollektivs gender et alia in Wien, Daniela Beuren und Katja Wiederspahn, für ihre sensible Übertragung der Texte von Sara Ahmed, Rosalind Gill und Gabriele Griffin ins Deutsche, bei Petra Schäfter für das ebenso sorgfältige wie stilsichere Lektorat und bei Eva Gilmer und Jan-Erik Strasser für die versierte Betreuung von Verlagsseite.

37I. Vermessung und Demarkationen legitimen Wissens: Gender Studies und feministische Kritik

39Gudrun-Axeli Knapp

Warum nicht vermessen sein?

Anmerkungen zur Dialektik feministischer Aufklärung

Im politisch entfesselten Zusammenspiel von Globalisierung und Neoliberalismus sind Problemkonstellationen und Konfliktlagen entstanden, auf die die Gesellschaft weder institutionell noch kulturell vorbereitet ist. In weiten Teilen der Bevölkerung hat sich das diffuse Gefühl eines Kontrollverlusts ausgebreitet. Verbunden ist es mit dem Eindruck unzureichender Steuerung oder Steuerbarkeit globaler Zusammenhänge, deren Auswirkungen im eigenen Alltag auf vielfache Weise erfahrbar sind. Manche der gegenwärtig wieder auf die Tagesordnung gerückten Themen erinnern an die Zeit der Protestbewegungen vor 50 Jahren. Wie damals werden Fragen nach dem Verhältnis von Kapitalismus, Autorität und Demokratie, von Öffentlichkeit und Erfahrung, von Freiheit des Denkens und den Formen seiner Einschränkung mit großer Vehemenz gestellt. Und wie damals geht es dabei auch um die gesellschaftliche Funktion der Medien sowie um den Beitrag der Wissenschaft zur Deutung und Gestaltung der Gegenwart. Doch die Rahmenbedingungen und politischen Vorzeichen sind andere als vor einem halben Jahrhundert. Diesmal sind es nicht aufbegehrende Studierende und mit ihnen sympathisierende linksliberale Intellektuelle, die den Ton und die Richtung der Auseinandersetzung vorgeben. Im Gegenteil: Es ist nicht zuletzt das Erbe ihrer Zeit, ihrer Tradition kritischer Aufklärung und ihrer Entwürfe einer zukunftsfähigen Gesellschaft, das mit auftrumpfendem Gestus angegriffen wird. Die Rebellion hat die Seiten gewechselt. Verstärkt durch die Lautsprecher dauererregter Massenmedien und die Vernetzungsmöglichkeiten des Internet kommt sie heute aus dem politischen Spektrum des Rechtspopulismus, der europaweit und darüber hinaus als Trendsetter für die öffentliche Diskussion auftritt.

Arjun Appadurai spricht vom länderübergreifenden Vormarsch einer »regressiven Multitüde«.[1] Diese schlägt politisches Kapital 40aus der neuen Unübersichtlichkeit mit den altbekannten Mitteln der Komplexitätsvernichtung: Mit simplifizierenden Problemdefinitionen und Schwarz-Weiß-Denken, mit klaren Freund-Feind-Schemata, ressentimentgeladenen Personalisierungen, stereotypen Schuldzuweisungen, einer Sprache des Tabubruchs und autozentrisch-autoritären Lösungsvorschlägen. Unter den Bedingungen einer »großen Regression«,[2] die nicht auf den Diskurs der Rechten begrenzt bleibt, sondern die Parameter der öffentlichen Selbstverständigung insgesamt zu verschieben droht, werden die kulturellen Leistungen differenzierenden, sachhaltigen Denkens sowie die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel zu überlebenswichtigen Ressourcen. Sie sind unverzichtbar, um die Zukunft einer Gesellschaft zu sichern, die ihre Lehren gezogen hat aus dem katastrophalen Versagen von Vernunft und Empathie im »Zeitalter der Extreme«.[3] Dies wäre die Stunde all jener Einrichtungen, deren Aufgabe die Bereitstellung und Kultivierung von Reflexionsmöglichkeiten, die Produktion gründlicher Analysen gesellschaftlicher Zusammenhänge, die abwägend-kritische Deutung der Probleme der Gegenwart und deren öffentliche Verbreitung ist. Zentrale politisch-ökonomische Weichenstellungen der vergangenen Jahrzehnte haben jedoch eher in eine Richtung geführt, die der Komplexitätsproduktion und -kommunikation auf breiter Front das Wasser abgräbt. Mit der Steigerung technischer Möglichkeiten der Beschleunigung und unter den Imperativen zunehmender Vermarktlichung haben sich die Praxisbedingungen in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen einschneidend verändert. Paradoxerweise steht dieser Prozess, der mit einer Verabsolutierung instrumenteller Welt‑, Selbst- und Sozialverhältnisse einhergeht, unter dem Vorzeichen eines Zugewinns an Rationalität. Die Universitäten und die Deutungswissenschaften, um die es im Folgenden gehen soll, sind davon substanziell betroffen.

Viele Kommentator_innen sind sich darin einig, dass sich die Universität in einer Krise befindet.[4] Auf dem Weg von der Ordi41narienuniversität von einst zur unterausgestatteten und überevaluierten Massenuniversität der Gegenwart ist sie zu einer betriebsförmig geführten Einrichtung mit Residuen der Selbstverwaltung und Symptomen der »Refeudalisierung« geworden,[5] die unter den widersprüchlichen Anforderungen, die an sie gestellt werden, ächzt und stöhnt. Angesichts der sozial wie politisch auseinanderdriftenden Gesellschaft ist die Situation durchaus brisant: Eine verbreitete inhaltliche Verunsicherung in den für Gesellschaftsbeobachtung und kulturelle Selbstreflexion zuständigen Fächern trifft auf eine fächerübergreifend wettbewerbsgesteuerte Umstrukturierung und tendenzielle Prekarisierung der Funktionsbedingungen von Hochschulen. Die ökonomisch induzierte Atemlosigkeit, die nun auch die Alma Mater erfasst, ist unzuträglich für alles, was mit langem Atem bedacht, beforscht, diskutiert und vermittelt werden müsste.

Wenn der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Peter Strohschneider, davon spricht, dass die Universität auf wachsenden Spezialisierungsdruck mit der Auslagerung all dessen reagiert, was die Wissenschaft mit der Gesellschaft verbindet,[6] wenn ein Vorsitzender der Gesellschaft für Politikwissenschaft seinen Kollegen und Kolleginnen vorhält, dass sie gesellschaftliche Relevanz nicht als Kriterium ihrer Arbeit ansähen,[7] und wenn journalistische Beobachter Professoren eine »Sprechunfähigkeit« angesichts der großen Fragen der Gegenwart attestieren, dann ist es an der Zeit, über eine »Krise der Klugen« nachzudenken. Der ap42pellierende Untertitel des so überschriebenen Zeit-Artikels lautet: »Wenn die Demokratie gefährdet ist, müssen die Universitäten viel politischer werden«.[8]

In meinem Beitrag will ich einige Schlaglichter auf Eigenheiten und den gegenwärtigen Zustand eines Wissenschaftsfeldes werfen, das von Anfang an politisch war und es seinem überwiegenden Selbstverständnis nach noch immer ist. Ein Feld, das sich genau dafür bis heute den Vorwurf einhandelt, interessenbasierte Pseudowissenschaft oder als Wissenschaft verbrämte Identitäts- und Gleichstellungspolitik zu sein; ein Feld kritischer Wissensproduktion, das sowohl in die umfassende Vermarktlichung der Gesellschaft[9] als auch in die ambivalente Umgestaltung der Governance der Hochschule verstrickt ist: der »akademische Feminismus«[10] im Kreuzungsbereich von Wissenschaft, Gesellschaftskritik und Gleichstellungspolitik. Ausgehend von der Mehrdeutigkeit des »Vermessen-Seins« feministischer Kritik sollen einige der Widersprüche und Paradoxien skizziert werden, in denen sich der akademische Feminismus bewegt und die er selbst hervorbringt, wenn er mit dem Fokus auf deren geschlechtliche Strukturierung Wissenschaft und Gesellschaft zu analysieren, zu kritisieren und zu transformieren beansprucht. Der Titel »Warum nicht vermessen sein?« spielt darauf an, dass jede kritische Theorie, die über den gesellschaftlichen Status quo hinauszuweisen sucht, angesichts der Disproportionalität von Macht, der Opazität weltumspannender kapitalistischer Vergesellschaftung und der faktischen Barrieren, auf die sie unter den Bedingungen arbeitsteiliger Wissenschaft 43und funktionaler Spezialisierung von Wissenschaft und Politik stößt, vermessen sein muss, wenn sie dem eigenen Anspruch genügen will. Zugleich wirft er die Frage auf, welche Optionen der akademische Feminismus hat, wenn er in der Scientific Community als Wissenschaft gelten und zählen, als kritische Theorie der Geschlechterverhältnisse auf dem Recht handlungsentlasteter Reflexion beharren, zugleich aber auch gesellschaftlich praktische Wirkung erzeugen möchte.

Auf der Folie einer historischen Skizze der Grundkonstellation von Frauenbewegung und feministischer Kritik im Allgemeinen geht es um die gegenwärtige Situation des Feminismus als kritischer Strömung in einem sich verändernden Wissenschaftssystem. Die Dialektik von Vermessen, Vermessen-Werden und Vermessen-Sein soll sowohl zur Seite der Geschlechterforschung bzw. des akademischen Feminismus als spezifischer Form kritischer Wissensproduktion wie auch anhand ihrer besonderen Beziehung zur Gleichstellungspolitik beleuchtet werden. Gefragt wird, auf welche Weise Geschlechterforscher_innen und Praktiker_innen der Gleichstellungsarbeit an Hochschulen selbst à contrecœur zu den Tendenzen beigetragen haben und beitragen, die feministischer Kritik in der Akademie den Atem und den Raum nehmen, so vermessen zu sein, wie sie es heute sein müsste.

1. Zur historischen Konstellation feministischer Kritik

Als Emanzipationsbewegung der Frauen und als politische Bewegung für die Rechte Einzelner ist der Feminismus, wie er sich in verschiedenen Strömungen im 19. und 20. Jahrhundert in vielen Ländern Europas und den USA formierte, ein genuines Kind der Aufklärung und der demokratischen Revolutionen, welche sich auf die Aufklärung berufen. Dass sie Freiheit, Gleichheit und Solidarität unter Bedingungen einer Gesellschaftsformation einklagt, in der die Möglichkeit zur Verwirklichung dieser Versprechen einerseits historisch gebahnt und andererseits strukturell verstellt ist, macht feministische Gesellschaftskritik zu einem Projekt, das sich in Widersprüchen bewegt und sich immer wieder herausgefordert sieht, reflexiv sowohl mit seinen Grenzen als auch mit seiner paradoxen Wirksamkeit umzugehen. Die »gegenstrebigen« und doch 44zutiefst miteinander verwobenen Tendenzen von Gleichheit und Freiheit, die »den Ausgangspunkt zur politischen Lagerbildung in der modernen Gesellschaft« bilden,[11] durchziehen als immanente Spannungen auch die großen Strömungen der Frauenbewegung, die – schlagwortartig verkürzt – als liberaler, sozialistischer und radikaler Feminismus unterschieden werden. Nicht nur in den Perspektivierungen feministischer Theorie schlagen sich Spannungen zwischen Gleichheit, Freiheit und Solidarität nieder;[12] sie manifestieren sich auch in den institutionellen Formen, die feministische Kritik im Dreieck von Wissenschaft, Gleichstellung und Frauenpolitik angenommen hat.

In den Texten und programmatischen Äußerungen der Aufbruchsjahre der Frauenbewegung in den 1970er- und 1980er-Jahren im deutschen Sprachraum sind drei Motive augenfällig, die ihre Verankerung in der Geschichte der westlichen Moderne bekunden: erstens die universalistische Emphase im Rekurs auf »Frauen« als politisches Referenzsubjekt des Feminismus. Die Emanzipationsbewegung der Frauen erinnert nicht nur daran, dass »Menschenrechte […] kein Geschlecht«[13] haben, und klagt gleiche Rechte für Frauen dort ein, wo sie noch immer ausstehen. Sie insistiert auch darauf, dass deren Verwirklichung mit einer grundlegenden Umgestaltung der Gesellschaft einhergehen muss. Dass die universalistische Emphase, die diesen Aufbruch begleitete, wesentlich auf der Ausblendung der faktischen Partikularität der jeweiligen Sprecherpositionen und der jeweils implizit gemeinten Adressat*innenkreise 45sowie auf der umstandslosen Verallgemeinerung spezifischer Problemlagen basierte, war Anlass für heftige, lehrreiche und noch nicht zu Ende gekommene Debatten. Trotz der vielstimmigen[14] intersektionalen, postkolonialen und dekonstruktiven Kritik des abstrakten Kollektivsubjekts »Frauen« und seiner queerfeministischen Erweiterungen ist jedoch der Gedanke, dass Gerechtigkeit in Geschlechterverhältnissen mehr umfassen müsste als die liberale Idee rechtlicher Gleichstellung und Gleichheit der Chancen im Sinne der Nicht-Diskriminierung, ein zentraler Bezugspunkt von Frauenbewegungen auf der ganzen Welt geblieben.[15]

Daraus resultiert, zweitens, ein utopischer Überschuss, eine Radikalität feministischer Kritik, die den Verhältnissen »an die Wurzeln« gehen will, um die Frauen deklassierenden Strukturen von Arbeit, Anerkennung und Macht zu verändern.[16] Wissenschaft, die bei diesem Vorhaben dienlich wäre, müsste die Einbettung von Geschlechtsunterscheidungen in die gesellschaftlichen Naturverhältnisse durchleuchten und die komplexen Verschlingungen von Differenz, Gewalt, Herrschaft und Ungleichheit ausloten, konkretisieren, vergleichen und öffentlich skandalisierbar machen. Dieser umfassende Anspruch, wie auch immer er im Einzelnen ausbuchstabiert worden ist und wird,[17] sprengt die beschränkten 46Zuständigkeiten der akademischen Disziplinen und das Vermögen Einzelner. Wie neuere Studien in Deutschland, Österreich und der Schweiz belegen,[18] liegt das bis heute verbreitete Selbstverständnis der Frauen- und Geschlechterforschung, ein von vielen getragenes kollektives, Disziplinen übergreifendes Wissensprojekt zu sein, in dem politischen Impetus begründet, dem sich die Entstehung der Frauen- bzw. Geschlechterforschung verdankt.

Das dritte Motiv, das die Emanzipationsbewegung der Frauen und auch den akademischen Feminismus kennzeichnet, besteht in einer in ihrem Kern ebenfalls emphatischen Vorstellung des Praktisch-Werdens von Kritik. Sie schlägt sich in der engen Verknüpfung von Theorie und Praxis nieder, die in der Geschichte der Frauenbewegung sowohl selbsterklärtermaßen »autonome« als auch pragmatisch-institutionelle Ausprägungen, insbesondere in Form der Gleichstellungspolitik, angenommen hat. Bei allen Unterschieden in der Zielsetzung und Wegführung gehen beide Richtungen davon aus, dass Veränderung »machbar« ist und dass feministischer Wissensproduktion dabei eine wichtige politische Rolle zukommt.

Der Feminismus der zweiten Welle ist aber nicht nur ein spätes Kind der Aufklärung und der Moderne, er verfügt auch, anders als seine Vorläufer, über die Erfahrung ihres Versagens und Scheiterns. Die Auseinandersetzung mit den Kehrseiten der Modernisierung gehört besonders in Deutschland zu den starken Beweggründen, 47die feministischer Kritik und deren Selbstreflexion eine spezifische Färbung gegeben haben.[19] Der Grat, auf dem Feministinnen zu balancieren hatten und haben, besteht darin, dass sie mit ihren Forderungen an Versprechen und Wertmaßstäbe der westlichen Moderne anknüpfen, die im Laufe der Zeit nicht nur unterschiedliche Auslegungen erfahren hatten, sondern in der an Katastrophen reichen Geschichte des »langen« 19. und des »kurzen« 20. Jahrhunderts[20]