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Susanna hat in Timm den Mann ihres Lebens gefunden. Den Mann, von dem sie glaubt, ihm bereits in einem früheren Leben geliebt zu haben und sie wagt mit ihm den Sprung in eine gemeinsame Zukunft. Aus der anfänglich zarten Liebe entwickelt sich schnell eine tiefe Verbundenheit. Das Gefühl, wirklich füreinander bestimmt zu sein. Aber so einfach wie die beiden sich das denken, wird es nicht. Es gibt nicht nur Menschen, die gegen ihre Beziehung sind sowie die Gefahr an normalen Alltagsdingen zu scheitern, sondern es scheint eine übergeordnete Macht zu geben, welche ihre Liebe erst wirklich in Gefahr bringt. Es tauchen nicht erklärbare Wahrnehmungen auf, die überwiegend Susanna spüren kann und während sie sich auf Grund dessen die Frage stellt, ob mehrere Welten miteinander verschlungen sein könnten, registriert sie nicht, dass es Timm ist, der eigentlich in Gefahr ist. Bis Susanna den Ernst der Lage wirklich begreift, ist es kaum noch möglich ihre Beziehung zu retten und es scheint aussichtslos zu sein, Timm von der mysteriösen Macht zu befreien.
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Seitenzahl: 892
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Susanna hat in Timm den Mann ihres Lebens gefunden.
Den Mann, von dem sie glaubt ihm bereits in einem früheren Leben geliebt zu haben und sie wagt mit ihm den Sprung in eine gemeinsame Zukunft.
Aus der anfänglich zarten Liebe entwickelt sich schnell eine tiefe Verbundenheit. Das Gefühl, wirklich füreinander bestimmt zu sein.
Aber so einfach wie die Beiden sich das denken wird es nicht.
Es gibt nicht nur Menschen, die gegen ihre Beziehung sind, sowie die Gefahr an normalen Alltagsdingen zu scheitern, sondern es scheint eine übergeordnete Macht zu geben, welche ihre Liebe erst wirklich in Gefahr bringt. Es tauchen nicht erklärbare Wahrnehmungen auf, die überwiegend Susanna spüren kann und während sie sich auf
Grund dessen die Frage stellt, ob mehrere Welten miteinander verschlungen sein könnten, registriert sie nicht, dass es Timm ist, der eigentlich in Gefahr ist.
Bis Susanna den Ernst der Lage wirklich begreift, ist es kaum noch möglich ihre Beziehung zu retten und es scheint aussichtslos zu sein, Timm von der mysteriösen Macht zu befreien
Dieser Roman ist die Fortsetzung von Ulrike Balkes Debütroman „Die falsche Zeit“
In „Die falsche Zeit“ konnte sich Susanna durch einen Unfall an ein Leben und ihre große Liebe im 17.Jahrhundert erinnern. Fest verbunden mit diesem Mann beginnt Susanna ihre Suche nach dessen Reinkarnation und findet ihn schließlich in Timm.
Ich konnte überhaupt nichts damit anfangen. Und so war es auch gar nicht verwunderlich, dass ich es im Religionsunterricht vergaß. Ein Buch mit Versen und Gedichten über das Leben.
Erst als meine Oma mich fragte, ob ich schon in ihrem Geschenk gelesen hätte, bemerkte ich, dass ich es vergessen hatte, und ich war froh, dass beim Hausmeister der Schule zwei solche Bücher abgegeben wurden. Wahllos griff ich nach einem.
Jahre später, meine Oma war längst gestorben, fiel es mir wieder in die Hände. Erst da begriff ich die Verse und die Gedichte. Wenn ich darin las, war es als spreche meine Oma zu mir. Unendlich wertvoll wurde dieses Buch für mich...
... und quälend die Erinnerung, dass ich nicht mehr wusste, ob es wirklich dieses Buch war, das meine Oma in ihren Händen gehalten hatte.
Ulrike Balke
Nun war sie weg. Noch vor kurzen hatte er sie direkt neben sich spüren können. Er wusste sie war aus einem anderen Leben zu ihm gekommen und dieses Wissen gab ihm die Sicherheit, an eine Zukunft mit ihr zu glauben.
Er wusste, dass seine im Kampf erlittenen Wunden tödlich sein würden, aber nun wo er sie neben sich gespürt hatte, fühlte er keine Angst mehr deswegen. Im Gegenteil, seine Hoffnung sofort zu ihr und somit in ihre Zeit zu können beflügelten ihn regelrecht.
Er hatte sogar probiert die Luft anzuhalten, damit er sofort in ihre Zeit konnte, aber es hatte nicht geklappt. Sie war ohne ihn gegangen.
Aber lange würde es nicht mehr dauern und er fühlte sich bereit und lächelte glücklich vor sich hin, bis ihm dieses blaue Licht in seiner Umgebung auffiel und hatte er sich das Licht des Todes nicht immer in einem strahlendem Weiß vorgestellt?
Vorsichtig versucht er die Lichtquelle ausfindig zu machen und erkannte das überdimensionale Augenpaar oben in der Ecke des Raumes.
Diese riesigen blauen Augen leuchteten ihn an und um sie herum nahm er eine Silhouette wahr, die Hörner hatte. Der ganze Umfang dieses Wesens schien einzig und alleine aus einem überdimensionalen Kopf zu bestehen.
Er sah auch ein leicht geöffnetes Maul, wodurch spitze Zähne in die Freiheit blitzten. Die Nase erinnerte in ihrer Optik an die Nüstern eines Stieres.
Er wusste, dieses Wesen, frei und von den Menschen gänzlich unbeeindruckt, spielte nach seinen eigenen Regeln.
Mit seinen blauen Augen schaute es nicht nur auf sein Krankenlager hinab, sondern mit seinen blauen Augen beleuchtete es die gesamte, bescheidene Bleibe, in welcher er sterbend lag.
Plötzlich öffnete sich das Maul weiter und als er hineinblickte sah er die unterschiedlichsten Bilder auf sich zukommen.
Eine schlafende Frau in einem Bett.
Dieselbe Frau in einer Hütte vor einem Mann stehend, welcher ein Handtuch um den Hals trug und dessen Oberkörper nackt war und vom Schweiß glänzte.
Erneut diese Frau und dieser Mann, mit plötzlich blauer Hautfarbe, in einem Tanz vertieft.
Der Mann auf einem Podest, vor einer Menschenmenge und über ihm schwebte der Kopf, der nun gerade auch über seinem Krankenlager schwebte.
Entsetzt trennte er seinen Blick vom Maul des Wesens und blickte wieder in dessen blaue Augen.
„Wer bist du?“, fragte er schwach.
„Ich bestimme wer mit wem zusammen leben darf“, begann das Wesen zu antworten, „das Leben, das du eben gesehen hast, ist nicht das Leben indem du mit ihr Leben darfst. In dem Leben bist du nur ein Springer.“
Schwer musste er schlucken. War es nicht noch vor einer gefühlten Sekunde gewesen, wo er sich auf ein neues Leben, mit der Frau die er liebte, gefreut hatte? Hatte er soeben Ausschnitte aus diesem erhofften Leben sehen können? Und wenn es so war, erklärte ihm dieses fürchterliche Wesen über seinem Kopf gerade, dass auch jenes Leben nicht ein Leben mit ihr sein würde?
„Ich mache dir ein Angebot“, hörte er wieder die Stimme über sich. „Du hast deine Aufgabe, ein Kind zu retten, in diesem Leben erfüllt. Du wirst in deinem neuen Leben deine Aufgabe, ein Kind zu retten, erfüllen. Ich gebe dir die Chance, die Frau in dem soeben gesehenen Leben, zu lieben. Dafür wirst du in dem Leben nicht nur eins, sondern zwei weitere Kinder retten müssen. Eines wird nicht deines sein und eines wird deines sein. Du wirst dich in dem Leben nicht mehr an mich erinnern. Aber ich gebe dir die Gabe mich spüren zu können. Immer“, ein leichtes, fast bedrohliches Hauchen entwich ihm, „immer und überall, wirst du mich spüren können“, wiederholte er seine Worte wie eine Drohung „und es wird dir Angst machen. Du wirst in deinem Leben von Ängsten geplagt sein. Du wirst an der Grenze des Erträglichen leben müssen. Dadurch wirst du anders sein, als alle anderen Menschen um dich herum, und du wirst einsam sein, weil niemand dich versteht.
Das alles erleidest du, nur weil du mich ständig spüren kannst und wirst. Und irgendwann, wenn du bereit bist, wirst du mich rufen. Dann zeige ich mich dir wie heute und ich zeige dir, welchen Weg du gehen musst, um ein Leben mit ihr zu führen.“
Mit müden und sterbenden Augen sah er das Wesen an und versuchte mühselig den Sinn seiner Worte zu erfassen.
„Wie rufe ich dich?“, fragte er schwach.
„Du gibst mir einen Namen. Irgendeinen Namen, der dir im Laufe deines Lebens, in irgendeinem Glauben auffallen wird.“ Ein leichtes ironisches Lachen entwich dem Wesen.
„Ich werde schon wissen, wenn du mich meinst“, hauchte es weiter. „Wieso gibst du mir diese Chance? Wenn es denn eine Chance für mich ist.“ „Ich gebe dir die Chance, weil du den Mann, den du eigentlich in diesem Leben töten wolltest, nicht getötet hast. Man tötet nicht! Man tötet nie! Egal wie viel Hass ein Lebewesen auslösen kann. Jedes Lebewesen hat ein Recht solange zu leben, bis es selber sein Karma ins Gute verwandelt hat.“
Tatsächlich schlossen sich, wie bei einem irdischen Wesen, kurz die großen blauen Augen, bevor sie wieder auf ihm ruhten. „Dafür dass du ihn aus freien Stücken Leben gelassen hast, würde ich, wenn du es willst, dir ein zusätzliches Leben schenken.“
Einen Augenblick wartete das Wesen und dann fragte es ganz direkt.
„Nimmst du mein Angebot an? Ich biete es dir kein zweites Mal. Du musst dich jetzt entscheiden. Für das Leben. Für die Kinder, oder gegen alles.“
„Ich nehme es an!“, sprach er ohne zu zögern und schaute erwartungsvoll weiter in das Gesicht.
Aber er hörte nur noch einen leises „Gut“ und die Silhouette, der blaue Schimmer seiner Augen, sowie auch die Kälte, die dieses Wesen ausstrahlte, verschwanden auf eine gewisse diffuse Art.
Diese Kälte hatte er gar nicht wahrgenommen, solange sie ihn umhüllt hatte. Erst jetzt nach seinem Verschwinden wusste er, dass er sie gespürt hatte.
Sein Blick glitt nach links und er sah wie die Zelttür geöffnet wurde und seine liebe Freundin hereinkam. Sie setzte sich neben ihn und fürsorglich blickte sie ihn an.
„Soll ich für dich beten?“, fragte sie sanft und er lächelte sie an.
„Nein danke, das brauchst du nicht mehr.“
Als sie die Augen aufschlug, hörte sie die Dusche aus dem Badezimmer. Auch hörte sie, wie das Duschgel genommen und wieder abgestellt wurde, so hellhörig wie es in diesem Hotel war. Sie drehte sie den Kopf und schaute auf seine leere Betthälfte, um sich dann aufzusetzen. Mit schmerzverzehrtem Gesicht fasste sie sich zwischen ihre Schenkel und blickte sich dann um, ob irgendein Kleidungsstück in der Nähe lag und das, was ihr am nächsten erschien, war sein Hemd. Sie griff danach, zog es sich über und als sie nach den Knöpfen tasten wollte, schüttelte sie über sich den Kopf. Richtig, die Knöpfe gab es ja nicht mehr.
Sie blickte in den gegenüberliegenden Spiegel und sah ihre langen, blonden und lockigen Haare wild um ihr Gesicht hängen und versuchte dann mit den Fingern die Haare etwas zu sortieren, während ihr zum ersten Mal auffiel, dass ihre Haut während der ganzen Zeit hier in Indien, ein wunderschönen Braunton angenommen hatte. Passend zu ihren goldbraunen Augen. Zufrieden darüber lächelte sie sich an und langsam stand sie auf, um zum Fenster zu gehen und diesen gelben Lappen, der wohl als Vorhang gedacht war, zur Seite zu schieben.
Sie hörte die Straßengeräusche des Morgens. Nur welcher Morgen war? Jegliches Zeitgefühl, jegliches Gefühl für die Uhr, waren ihr abhandengekommen. Hatte sie mehrere Nächte mit ihm verbracht? Oder war es tatsächlich nur eine einzige? Für eine einzige Nacht fühlte sie sich ganz schön wund da unten an. Trotzdem war eine Nacht mit ihm mehr als sie sich jemals vorgestellt hatte. Sie konnte sich nicht an Sex mit einem Mann aus dieser Zeit erinnern. Sie konnte sich an Sex mit Danny Baker im 17. Jahrhundert erinnern, was 1997 ja irgendwie total verrückt war, wie sie nun vor dem dreckigen Fenster feststellte. Der Sex mit Timm in der letzten Nacht, hatte ihr das Gefühl geben wirklich zu diesem Mann zu gehören und so intensiv hatte sie das bislang, auch in einer anderen Zeit, nie empfunden. Ihre Körper schienen wie zwei Stücke zu sein, die anscheinend nur ein Stück sein sollten. Nichts konnte erklären, warum dieses Stück irgendwann einmal geteilt worden war.
Die Leidenschaft, die er in ihr weckte, ließ sie völlig willenlos werden, so dass man annehmen könnte, es wäre ein leichtes für ihn, diese Tatsache irgendwie ausnutzen zu können. Sie beruhigte sich mit dem Gedanken, dass sie das Gefühl hatte, er würde ebenso empfinden. Hinsichtlich dieser Tatsache, würde er es hoffentlich nicht wagen, ihre Leichtfertigkeit auszunutzen.
Mit den Erinnerungen, die das heutige Leben ihr freigegeben hatte, konnte sie trotz romantischer Veranlagung kaum verstehen, wieso manche Menschen eine regelrechte Abhängigkeit zu einem anderen Menschen entwickelten. Aber plötzlich verstand sie nun, warum es Menschen gab, die von einer bestimmten Person nicht mehr loskamen. Diese letzte Nacht mit ihm war so absolut unglaublich gewesen, dass sie jede Frau bedauerte, die nicht von so einer Nacht mit ihm zehren konnte.
Dabei meinte sie nicht wirklich eine Nacht mit ihm, sondern sie meinte eine Nacht, mit dem Mann, den man bedingungslos liebt.
Die Dusche von nebenan war nun ruhig, doch er schien sich sehr viel Zeit zu lassen. Sie hörte manchmal irgendetwas klappern, dann wieder kurz die Wasserleitung, um letzten Endes, eine gefühlte Ewigkeit, absolut nichts zu hören. War er so langsam, weil er ebenfalls über die letzte Nacht nachdachte?
Draußen hörte sie das Hupen der Autos. Ein sicheres Zeichen, dass die Welt sich fortlaufend weiterdrehte.
Hinter den Mauern der Pension. Sie konnte ihn riechen, den Duft Indiens und sie wusste, sie musste bald zurück.
Erneut war es ruhig im Badezimmer. Was dachte er nun?
Sie knabberte gedankenverloren an ihrer Unterlippe, während ihre Gedanken zurückschweiften und sich plötzlich die lauten, knatternden Fahrgeräusche des Jeeps in ihren Kopf breit machten.
Timm und sie saßen in dem Jeep, zu dem sie schweigend vom Feigenbaum zurückgegangen waren und mit dem sie dann, ebenfalls schweigend, im Dunkeln zur Pension zurück fuhren.
Keiner von ihnen hatte gesprochen, nachdem sie ihr Plätzchen unter dem Blätterdach des Feigenbaums aufgegeben hatten, unter welchem sie sich, allen indischen Regeln zum Trotz, hemmungslos geliebt hatten.
Nichts war zu hören, als nur das Knattern des Motors und das Klappern der Karosserie. Sie machte sich während der ganzen Fahrt Gedanken, wie es nun weitergehen sollte.
Würde er sie einfach absetzten, um dann weiter zu seinem Hotel zu fahren? Heimlich hatte sie ihn die ganze Fahrt über beobachtet. Er sah gut aus. Er hatte blonde Haare, die ihm vorne teilweise geradezu verwegen in die Augen fielen und wenn er sie mit seiner Hand zu Seite schob, konnte sie seinen kräftigen und sehnigen Arm sehen. Sie fand es unwahrscheinlich erotisch so etwas zu sehen und ließ ihren Blick auf seinem weißen Hemd liegen, unter dem, wie sie nun wusste, sich die muskulöse, schön gebräunte Brust befand. Susanna konnte nicht sagen, was genau sie an diesem Mann am anziehendsten fand. Die lockere Frisur?
Seine wahnsinnig grünen Augen, die so romantisch von den dunklen, langen Wimpern umrahmt wurden? Oder schlicht seinen Körper?
Alles von ihm fesselte sie. Sogar seine etwas raue, erotische Stimme.
Sie hatten in dem Restaurant so viel gesprochen, es wurde so viel gesagt und trotzdem waren die Hemmungen zwischen ihm und ihr größer denn je. Sie wollte nicht, dass er sie einfach nur absetzte, aber den Motor ließ er laufen, als er vor ihrer Pension hielt. Sein Blick war geradeaus auf die Straße gerichtet. Gesagt hatte er nichts. Auch ansehen konnte er sie anscheinend nicht. Der Jeep war so unerträglich laut, dass irgendwelche Worte ihrerseits völlig sinnlos gewesen wären. Somit beugte sie sich, ohne noch zu überlegen, einfach zu ihm rüber und drehte den Schlüssel um.
Dann war es ruhig.
Kurz seinen Blick auf dem Zündschloss verweilend, sah er sie dann an.
„Kommst du mit zu mir“, fragte sie, „oder ... möchtest du lieber fahren? Ich meine, … es ist ok, wenn du fahren willst.“ Er schloss die Augen, lehnte seinen Kopf an die Kopfstütze und atmete schwer durch, bis es ihm gelang den Kopf zu drehen, um sie erneut anzusehen. „Ich kann dir das nicht sagen, Susanna. Ich weiß nicht was richtig ist.“ Er schluckte schwer bevor er weitersprach. „Bitte sag du es mir, bitte.“
Sie hob die Hand und berührte zart seine Wange. „Ich soll dir sagen, was du tun sollst?“ Er lächelte schwach. „Nein, du sollst mir sagen, was du willst.“ Jetzt lächelte sie kurz, wurde dann aber schnell sehr ernst. „Ich kann dich nicht gehen lassen, Timm. Ich möchte mich jetzt nicht eine Sekunde von dir trennen.“ Er ergriff ihre Hand und küsste sie, bevor er sie wieder ansah. „Mir geht’s genauso.“ Seine Stimme war nur noch ein Wispern.
Susanna atmete schwer durch, als sie nun daran zurückdachte. Ab da ging alles sehr schnell. Sie stiegen aus dem Auto und noch bevor sie die Hoteltür erreichten, küssten sie sich wild. In der Hotelhalle beherrschten sie sich und Susanna holte schnell ihren Schlüssel ab. Im Treppenhaus schafften sie nur eine der beiden Treppen und küssten sich erneut. Susanna spürte eine Erregung in sich, die sie bislang gar nicht kannte. Ihr Körper reagierte auf ihn mit einer rasenden Leidenschaft. Der nächste Stopp war ihre Zimmertür, auf der die Nummer 19 stand und als diese geöffnet war und beide drinnen angekommen waren, trat Timm die Tür mit seinem Fuß zu und ohne von ihr abzulassen, schob er sie zum Bett. Sie hörte den Stoff ihres Kleides reißen und mit einem betroffenen Gesichtsausdruck murmelte er etwas, wie eine Entschuldigung. Sie reagierte darauf indem sie sein Hemd einfach aufriss und die Knöpfe springen hörte. „Verzeihung“, murmelte sie atemlos, während er seine Küsse für ein Lächeln unterbrach und sie aufs Bett drückte. „Verziehen“, murmelte er, raffte ihr Kleid und schob sich zwischen ihre Schenkel. Susanna stöhnte auf, während er sie zwischen ihren Schenkeln küsste, um sich dann aufzurichten, seine Hose abwärts zu schieben und hart in sie einzudringen.
Ihr Herz raste immer schneller, das Rauschen in ihren Ohren wurde immer lauter und sie hörte seinen Atem, ebenfalls immer lauter und immer unkontrollierter. Er ergriff ihr Haar an ihrem Nacken, zog ihren Kopf zurück und schob seine Zunge erbarmungslos in ihren Mund. Sein Atem wurde zu einem lauten Stöhnen. Stoß auf Stoß nahm er sie in Beschlag. Dies alles hatte gar nichts mit der Romantik zu tun, von der Susanna bislang dachte, dass sie gerade so etwas benötigte. Im Gegenteil, ihrem Körper schien etwas völlig anderes zu gefallen. Die Härte und die Manneskraft von Timm erregten sie dermaßen, dass sie ihn immer fester umschlang, um ihn immer weiter und härter in sich zu spüren.
Sie liebten sich einmal, zweimal, dreimal. Die ganze Nacht ging es so weiter, bis es ihnen endlich gelang inne zu halten und sich anzusehen. Ihre Körper waren glänzend nass und sein Schweiß perlte sich beinah von seiner Stirn ab.
„Oh Gott Engelchen, wie lange kann man es tun, bevor man daran stirbt?“
Sie musste lachen bei seinem besorgten Gesichtsausdruck.
„Ich bin fünfundzwanzig, du wirst ein ähnliches Alter haben, nehme ich an.“ „Sechsundzwanzig“, flüsterte er leise und ihren Blick selber kaum noch kontrollierend, sah sie ihn leidenschaftlich an. Anscheinend so leidenschaftlich, dass er erneut die Kontrolle über seinen Atem verlor. „Ich denke“, fuhr sie fort, „wir müssen uns darüber noch keine Gedanken machen.“ Lächelnd legte er sich neben sie und zog ihren Schenkel über seine Hüfte.
„Dann ist es ja gut“, sprach er, während er nun, nur aus anderer Position erneut in sie eindrang.
An das Ende dieser endlosen Liebeskette konnte sie sich nicht mehr erinnern. Waren sie tatsächlich irgendwann eingeschlafen? Und war es tatsächlich nur eine Nacht? Als sie erwachte, war er im Bad.
Plötzlich zuckte sie aus ihren Gedanken hoch, als die Badezimmertür geöffnet wurde. Durch die Fensterscheibe, konnte sie sehen wie er um die Ecke kam und sich umsah, wahrscheinlich auf der Suche nach seinem Hemd. Ihre Blicke trafen sich durch die Scheibe, während er zu lächeln begann. „Ich hoffe wir tauschen noch“, sprach er während er sich ein Handtuch um die Hüfte band. „Ich glaube nicht, dass ich in dein Kleid passe.“ Sie grinste ihn an. „Deine Chancen auf einen Tausch stehen gut.“
Eine Weile betrachte er Susanna schweigend, immer noch durch die Scheibe, während er einfach hinter ihr stehen blieb. Unsicher erwiderte sie seinen Blick.
Wie war es jetzt zwischen ihnen? Jetzt, am Morgen danach? Oft kamen die Zweifel über das Getane mit dem Morgengrauen. Wie ging es ihm jetzt? Sie schluckte schwer. Ihr ging es tatsächlich nicht anders, als in der letzten Nacht. Sie sah seine muskulöse Brust, seine von sichtbaren Sehnen durchzogenen Arme und sie konnte es kaum glauben, dass sie, die sich selber eher für unscheinbar hielt die ganze Nacht, so intensiv, mit so einem attraktiven Mann verbracht hatte. Aber, so nahm sie ihre Gedanken wieder auf, was dachte er nun wohl?
Er trat noch etwas näher und legte seine Hände auf ihren Schultern ab, während sein Blick ernst auf ihrem verweilte.
„Heirate mich, Engelchen.“
„Waaaaaaaaaaaaas?????“
Abrupt drehte sie sich um und starrte ihn an. „Weißt du was du da sagst?“, fragte sie ihn entgeistert. Er antwortete nicht.
Sie sah seine grünen Augen, die ein leichtes schelmisches Grinsen verrieten. Ein kleines Aufflackern, das sich ganz gemächlich auf seinem Gesicht ausbreitete. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, dass er das unmöglich ernst meinen konnte, während sich sein Gesicht zu so einem verführerischen Lächeln verwandelte, dass sogar kleine Grübchen auf seinen Wangen erschienen. Nie waren diese ihr zuvor an ihm aufgefallen. Sie lachte auf. „Beinah hätte ich geglaubt, du meinst das ernst.“ „Hm“, entfuhr es ihm, dann drehte er sich von ihr fort und setzte sich auf den Stuhl, der an der Wand stand. Ein Bein locker über das andere gelegt. „Ich sah dich zum ersten Mal, als ich mit einer ganzen Ärzteschar an einer Visite teilnehmen durfte“, begann er, „sie sprachen an deinem Bett darüber, dass du an einem chronisch, subduralen Hämatom im oberen Bereich des rechten Stirnlappen leidest“. Susanna zog fragend die Augenbrauen hoch, aber er redete weiter. „Sie wiesen an, die Operation vorzubereiten und verließen dann geschlossen den Raum“, er unternahm eine kleine Pause.
„Das war das erste Mal, dass ich dich sehen konnte und ich vergaß einfach der Truppe zu folgen.“ Sein Blick löste sich von ihr, er stütze sich mit den Ellenbogen auf seine Knie und seine Augen glitten verträumt durch den Raum. „Ich weiß nicht, was in dem Moment passiert ist, aber ab dem Zeitpunkt, konnte ich an nichts anderes mehr denken als an dich. Ich war so gut wie immer bei dir.“ Er stand auf und ging auf sie zu. „Ich bin kein Heiliger, Susanna. Ich habe schon etliche Frauen gehabt.“ „Oh, wie nett“, entfuhr es ihr, aber er ignorierte ihre Bemerkung. „Nie wollte ich etwas Festes haben, ich habe Sex gehabt und mehr interessierte mich nicht. Falls ich mal gespürt habe, dass es von meiner Seite aus mehr werden könnte, habe ich es beendet.“
„Warum?“, fragte sie irritiert. „Es lohnt sich nicht“, flüsterte er leise. „Wieso? Was lohnt sich nicht, Timm?“
„Eine Beziehung lohnt sich nicht. Man investiert so viele Gefühle …, dafür, dass am Ende alles vorbei ist.“
Stirnrunzelnd sah sie ihn an. „Das muss doch gar nicht so sein. Ich meine, wenn es passt …, es gibt etliche Paare die ein ganzes Leben zusammen sind.“ „Bis einer stirbt und dann?“ Entsetzt sah sie ihn an. „Ach du meinst, auf ein gesamtes Leben lohnt es sich nicht?“ „Richtig.“ „Aber wenn man so denkt, dann lohnt sich doch gar nichts.“
„Auch richtig.“ Sie zog zum Schutze das Hemd enger um sich und stand vor ihm als würde sie plötzlich frösteln.
„Wieso …“, fragte sie zaghaft, „kommt man auf solche Gedanken?“ Erstaunt sah er sie an. „Das fragst du mich?
Ausgerechnet du? Gerade du musst es doch wissen, Susanna. Du warst dem Tod doch schon so nah und du hast bereits die Hälfte deines Lebens verloren.“ „Ich habe die Hälfte meines Lebens verloren?“, fragte sie nach.
„Deine Erinnerungen“, half er ihr auf die Sprünge. „Was ist ein Leben ohne Erinnerungen?“ „Ich habe Erinnerungen“, begann sie ihr Leben zu verteidigen und trat, immer noch in fröstelnder Haltung, ein paar Schritte rückwärts, während er das Wort wieder übernahm und lässig ein paar Schritte nach vorne ging, so dass er wieder direkt vor ihr stand. „Drei?
Oder vier? Schwammige Momente vor dem Unfall?
Vielleicht auch mal Ausschnitte aus der Schulzeit? Du hast als Kind gelernt. Wozu? Wenn du nun so vieles nicht mehr weißt davon. Du hast Menschen mit deiner Anwesenheit glücklich gemacht. Zum Beispiel deine Eltern. Du hast deinem Freund Liebe geschenkt. All das ist weg! Es ist für dich weg und es ist für die weg, die dich lieben.“ „Ich biete etwas anderes!“, fuhr sie auf und er zog fragend die Augenbrauen hoch, während sie weitersprach. „Ich bin nicht tot und selbst wenn ich es wäre hätte mein Leben in dieser Welt durchaus etwas bewirkt. Vielleicht merke ich das nicht. Vielleicht löse ich mit meiner Anwesenheit nur woanders etwas aus. Wenn es so ist, und ich glaube, dass es so ist, dann ist für mich der Sinn des Lebens, einfach zu Leben. Warum das der Sinn ist? Wieso das der Sinn ist?“, fragte sie sich doppelt und antwortete sich auch gleich direkt selber, „… das kümmert mich nicht! Leben ist für mich ständige Veränderung und ich glaube niemand auf diesem Planeten weiß warum das so ist.“ Sie ließ das Hemd los und hob die Hände fragend an. „Wieso soll sich nichts für mich lohnen? Ich bin doch da und solange ich da bin, lohnt sich alles, was ich für gut halte.“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht und zart berührte er ihre Wange. „Und du glaubst meine Frage, ob ich dich heiraten will, wäre nicht ernst gemeint?“ Völlig verblüfft sah sie ihn an. Seinen Antrag hatte sie bei diesem Dialog direkt wieder vergessen gehabt. Er tat so als bemerkte er das nicht und nahm zart ihr Gesicht zwischen seine Hände. „Du bist wie die Sonne, die vor mir aufgegangen ist, Susanna. Deine Strahlen erleuchten alles um mich und deine Wärme und Zuversicht berühren direkt mein Herz. Vom ersten Augenblick habe ich gespürt, dass du zu mir gehörst. Vielleicht habe ich mich dagegen gewehrt in Hajmar, weil ich solche Gefühle nicht kenne, aber …, wir gehören zusammen und du weißt das, Susanna! Du wärst mir nicht gefolgt, wenn du es nicht wüsstest.“ Er ließ ihr Gesicht los und ergriff stattdessen ihre Hände, während er vor ihr niederkniete.
„Heirate mich. Wir gehören zusammen, bitte heirate mich.“
„Aber …“, begann sie zaghaft, „wieso glaubst du nun, dass es sich lohnt?“ „Ich fühle mich mit dir verbunden und ich glaube ein Leben ohne dich, wäre gar kein Leben.“
Ihre Gedanken überschlugen sich, ja sie glaubte auch, dass sie zu diesem Mann gehörte, aber ging das nun alles nicht etwas schnell? Und wenn sie „Nein“ sagte, würde er das Ganze dann ganz beenden? Bei seiner soeben gehörten Einstellung war es möglich, dass er entweder nur ganz-oder gar nicht wollte und plötzlich hörte sie sich selber „ja“ sagen.
Sie war gar nicht fertig mit denken und sagte: „ja?“
„Ja?“, fragte nun auch er so erstaunt, als wenn er nie mit einem „ja“ gerechnet hätte.
Sie blickte zu ihm nach unten, wo er immer noch kniete und sah seine wunderschönen Augen, die voller Liebe und voller Erwartung zu ihr aufblickten und eine Woge voller liebender Gefühle durchflutete auf einmal ihren Körper.
„Ja“, sprach sie und lächelnd kniete sie sich nun auch vor ihn.
„Ja, ich heirate dich.“
Ihre Hand zitterte, als sie die Kaffeetasse abstellte. Das Frühstück war einfach, aber es machte satt. Nur …, sie fühlte sich nicht gut! Eher fühlte sie sich wie unter Drogen gesetzt. Da sie diese, sowie auch sonst nichts dergleichen zu sich genommen hatte, dachte sie ernsthaft darüber nach, ob es möglich war, dass der Rotwein auch noch nach zwei Tagen wirkte. Sie beobachte die Menschen in dem kleinen Frühstücksraum. Alles Touristen. Wahrscheinlich alles Menschen, die nun, kurz nach ihrem Frühstück, zum Flughafen aufbrachen. Nur sie nicht. Das heißt, was sie jetzt eigentlich machen würde, wusste sie gar nicht.
Erneut griff sie nach der Kaffeetasse, in der Hoffnung einen klaren Kopf zu bekommen. Was hatte sie nur gemacht?
Am Anfang war es wie ein schönes, großes Abenteuer, als sie mit ihrer Freundin Bianca aufgebrochen war, um einen Mann zu suchen, den sie gar nicht kannte. Es verschaffte ihr sogar Erleichterung nach ihm zu suchen. Während sie sich auf die Suche konzentrierte, vergaß sie, dass sie eigentlich alles vergessen hatte. „Möchten sie noch Kaffee?“, die Bedienung lächelte sie freundlich an. „Ja, gerne“, antwortete sie leise und sah zu, wie die dunkle Flüssigkeit in ihre Kaffeetasse erneut nachgefüllt wurde, mit der Erkenntnis, dass auch dieser Kaffee ihr nicht weiterhelfen konnte.
Susanna saß alleine an dem Tisch, da Timm bereits mit seinem Frühstück fertig, nun doch von seinem schlechten Gewissen geplagt, zum gegenüberliegenden Postgebäude gegangen war, um mit Jim in Hajmar zu telefonieren.
Nervös schaute sie dem morgendlichen Menschentreiben auf der Straße zu. Alles hatte sie vergessen, als sie aus dem Koma vor zwei Jahren erwacht war. Wer sie war. Wo sie lebte. Mit wem sie lebte. Ihre Freunde.
Nur bruchstückchenweise kamen die Erinnerungen zurück. Der Autounfall, der Betrug ihres damaligen Freundes mit einer Anderen. Die Erinnerungen an ihre Familie und an ihre Freundin Bianca. Letztere hatte maßgeblich dazu beigetragen, dass die Erinnerungen überhaupt bruchstückweise zurückkamen. Erneut griff sie nach dem Kaffee, fragte sich aber auch, ob das Zittern ihrer Hand eventuell sogar von dem Kaffee kam. Sie nahm einen Schluck und stellte ihn wieder ab. „Würden sie mir bitte noch ein Wasser bringen?“ Die Bedienung lächelte ihr im Vorbeigehen zu. „Bringe ich ihnen sofort.“ „Danke.“
Nervös fuhr Susanna sich mit ihrer Hand an die Stirn und schaute wieder hinaus. Es war für sie nicht das Schlimmste gewesen, dass sie sich an ihr Leben nicht mehr erinnern konnte. Schlimm war es gewesen, dass sie bei ihrem Erwachen der felsenfesten Überzeugung war, die Irin Rebecca Jonnson zu sein. Neunzehn Jahre alt und unsterblich verliebt in den Engländer Danny Baker. Sie war der Überzeugung, dass sie im 17. Jahrhundert als Emigrantin mit ihrer Familie nach Amerika ausgewandert war. Sie wusste alles aus diesem Leben. Sie konnte Tabak genauso gut anbauen wie Mais, nur dass das 1995 von ihr gar nicht verlangt wurde. Nun gut, damit kam sie klar.
„Bitte ihr Wasser“, die Bedienung lächelte sie erneut freundlich an, als sie ihr das Wasser auf den Tisch stellte.
„Brauchen sie sonst noch etwas?“, fragte sie fürsorglich,
„Sie sehen nicht gut aus.“ „Ein Beruhigungsmittel wäre nicht schlecht“, murmelte Susanna. „Was?“, fragte die junge Inderin, welche mit ihrer Jeanshose und ihrem weißen T-Shirt außerordentlich europäisch gekleidet wirkte. „Ach nichts“, winkte Susanna ab, „danke, das ist erst einmal alles.“ Die Runzeln noch auf der Stirn, verschwand die Bedienung wieder.
Nein, das war nicht das Schlimmste, nahm Susanna ihre Gedanken wieder auf. Das Schlimmste war, dass sie Danny nicht vergessen konnte. Sie versuchte mit diesem Verlust zu leben. Aber sie war nicht erfolgreich damit. Irgendwann hatte sie dann Nachforschungen betrieben.
Nachforschungen über Rebecca Jonnson und Danny Baker.
Nachforschungen über die im 17. Jahrhundert lebenden Indianer und über die Emigranten aus der alten Welt. Alles und jeden hatte es gegeben und seit dieser Erkenntnis nervte sie Bianca, dass sie bereits gelebt hatte. Logische Schlussfolgerung daraus: „Wenn sie wieder auf dieser Welt war, dann doch sicherlich auch Danny.“
Susanna sah die Behältnisse vor sich auf dem Tisch nachdenklich an. Sollte sie jetzt zum Wasser oder zum Kaffee greifen? Nun ja, der Kaffee wurde ja nur unnötig kalt. Zittern hin oder her. Allerdings hatte sie diesmal wirklich Mühe, den restlichen Kaffee wieder abzustellen.
Sie stütze ihr Gesicht mit den Händen ab, um weiter zu überlegen wie sie eigentlich in diese Situation kommen konnte, ohne, dass ihre Hände so stark zitterten.
Damals hatte sie Bianca mit in die USA geschleppt, um ihre Nachforschungen zu komplettieren und schließlich hatte sie Bianca mit in dieses Land geschleppt. Nach Indien.
Susanna seufzte schwer. Die arme Bianca. Nun ja, immerhin war sie nun wieder in Deutschland, was Susanna von sich nicht gerade behaupten konnte. Aber sie vermisste die Freundin, sowie die Gespräche mit ihr. Obwohl …, sie hatte ja Timm gefunden.
Die Überzeugung, dass dieser Krankenpfleger, welcher sie in Berlin Nacht für Nacht gepflegt hatte, nun besagter Danny war, entnahm sie aus ihren Visionen.
Als Rebecca hatte sie die Vision, das Danny während sie krank war zu ihr gesprochen hatte. Mehr noch, er hatte ihr seine Liebe gestanden. Susanna seufzte schwer bei dieser Erinnerung, nahm einen Schluck Kaffee und starrte dann zur Abwechslung mal wieder aus dem Fenster.
Nachdem sie ziellos, auf der Suche nach ihren Erinnerungen, durch die Welt gereist war, hatte sie dann die Vision, dass auch während ihres Komas jemand ihr eine Liebeserklärung gemacht hatte. Das musste natürlich Timm gewesen sein. Susanna schüttelte den Kopf. Der arme Krankenpfleger, welcher in der Zwischenzeit seine nächtliche Krankenpflege abgebrochen hatte, um als Entwicklungshelfer nach Indien zu gehen. Susanna war ihm nach dieser Erkenntnis natürlich umgehend gefolgt.
Selbstverständlich mit Bianca.
Kein Wort hatte er verstanden, warum sie eigentlich hier war. Susanna war über diese Tatsache auch nur kurz verwundert, weil ihr letztendlich dann doch die Erkenntnis kam, dass Timm gar nicht wusste, dass er eigentlich Danny war. Oder besser gesagt, gewesen war.
Ein verzweifeltes Stöhnen entrann Susannas Kehle und die Bedienung blieb natürlich prompt neben ihr stehen „Haben sie etwas bestellt?“ „Nein“, Susanna grinste sie breit an.
„Dachte, ich hätte etwas gehört“, murmelt die Bedienung und ging dann Gott sei Dank weiter. Gut, Susanna trank den letzten Kaffee und stürzte sich dann das Wasser hinunter.
Sie war so erfreut gewesen, dass Timm sie dann plötzlich von ihrem Rückflug zurückhielt. Bianca flog allein zurück nach Deutschland. Das war nicht einmal alles, Timm gab sogar zu, dass er ihr tatsächlich eine Liebeserklärung gemacht hatte. Der Rest ging dann ganz von allein.
Und jetzt saß sie hier! Allein mit Timm in Indien. Heiraten wollte sie ihn, wobei sie sich schon Gedanken machte, wie das so schnell hier in Indien funktionieren sollte. Keine Ahnung, was nach der Heirat passieren sollte. Kam er mit ihr nach Deutschland?
Blieb sie hier? Konnte sie überhaupt hier bleiben? Nun ja, ihr Visum betrug ein halbes Jahr, aber zu den Mitarbeitern der Entwicklungshilfe von International Development Berlin gehörte sie nicht. Konnte sie trotzdem bei Timm bleiben oder musste sie gar ohne ihn zurück? So ängstlich sie jetzt auch auf ihre Zukunft sah, so wusste sie doch, dass sie sich auf keinen Fall von Timm trennen wollte.
Mit dieser Erkenntnis und nun glücklicherweise etwas weniger zitternden Händen, verließ sie den Frühstücksraum und die Pension, um ihn zu suchen.
Er kam ihr mit seinem knopflosen Hemd und seinem inzwischen mehr als Dreitagebart vom Postgebäude entgegen. „Hast du Jim erreicht?“ „Ja, und wir machen noch einen Umweg bevor es nach Hajmar zurückgeht.“ Zart umfasste er ihr Gesicht und gab ihr einen Kuss. „Was denn für einen Umweg?“ „Ich muss nach Delhi.“ „Nach Delhi?“
Er nickte, ergriff ihre Hand und zog sie zum Postgebäude zurück. „Wir holen ein paar Pakete Verbandsmaterial ab.
Das geht schneller und ist sicherer, als der Postweg.
Außerdem“, er zögerte kurz, „außerdem möchte ich von Delhi aus noch einen Umweg über Matura machen.“ „OK“ Susanna sah ihn unsicher an. „Gibt es da auch noch etwas zu holen?“ Er lächelte sie an. „Nein“, und charmant legte er seinen Kopf zur Seite, während seine Augen geheimnisvoll aufleuchteten. „Da möchte ich tanzen.“ „Tanzen?“, entfuhr es ihr erstaunt und etwas lauter als geplant. „Ja“, lachte er auf, „oder wie immer man mein Vorhaben dann auch nennen mag, die einen sagen tanzen …, die anderen, nun ja …, du wirst es sehen“.
Bei seinen letzten Worten veränderte sich sein Blick, auf eine für Susanna seltsame Art. Tiefgründiger?
Geheimnisvoller? Oder bedrohlich?
Sie konnte seinen Blick und ihr Gefühl dazu nicht deuten und sah ihn verunsichert an. Im Nu tauchte wieder sein charmantes Lächeln auf. Dennoch ihre Verunsicherung blieb, die Angst blieb, etwas Falsches zu tun, indem sie mit einem fremden Mann, in einem fremden Land mitzog.
„Ein halbes Jahr gilt dein Visum, nehme ich an?“, sprach er weiter, ohne auf ihre Unsicherheit einzugehen. „Ja …, aber soll ich ein halbes Jahr mit dir hier bleiben?“ „Ich wollte sowieso im Dezember zurück. Dann läuft dein Visum ab“, er zögerte kurz bevor er weitersprach, „wir bleiben hier und fliegen gemeinsam zurück. Es sei denn ..., du willst nicht solange hier bleiben.“ Sein Blick war fragend auf sie gerichtet. „Ich habe ein bisschen Angst“, gestand sie ihm wahrheitsgemäß. „Angst vor meiner eigenen Courage, welche mich die letzten Wochen so angetrieben hat. Ich habe Angst vor diesem Land und ...“, sie zögerte etwas, „ich habe Angst vor dir.“
Sie wusste nicht, wie er auf diese Ehrlichkeit reagieren würde. Sie wusste gar nichts über ihn, wie sie erneut schmerzhaft feststellen musste. Sein Blick war warm auf sie gerichtet. „Ich habe auch Angst, Susanna.“ Bei dieser Bemerkung konnte sie die Erstauntheit in ihrem Gesicht nicht unterdrücken. „Natürlich habe ich keine Angst vor Indien, aber ich habe Angst vor dem, was wir hier gerade tun. Ich habe verdammt viel Angst, Susanna. Ich habe Angst, vor dem was wir tun. Ich habe Angst dich hierzubehalten. Ich kann und will dich nicht gehen lassen, aber meine Angst ist groß. Weil wir uns gar nicht kennen.
Weil ich dich trotzdem so liebe und ..., weil ich noch nie zuvor eine Frau so nah an mich heran gelassen habe.“
Es waren Ewigkeiten, in denen sie sich einfach nur ansahen. Versunken in den Augen des Anderen. „Es ist verrückt ...“, flüsterte sie leise, „aber ich glaube nach wie vor, dass es richtig ist“. Ihre noch vor kurzem sorgenvollen Gedanken verpufften bei seinem Charme und seiner Ehrlichkeit im nichts. Er schloss kurz die Augen und als er sie wieder ansah, konnte sie sehen, dass sein Blick feucht war. „Ich glaube es auch.“ Nur ablesen konnte sie den Satz von seinen Lippen. „Lass uns gehen“, fuhr er nun etwas lauter fort, „deine Eltern werden auf deinen Anruf warten.“
Nach dem zu Bett gehen am Abend lag sie noch länger wach und blickte an die Zimmerdecke. Timm schlief und hatte den Arm um sie gelegt. Sie spürte seine Nähe und seinen Atem und ihre eigene Nervosität.
Susanna erkannte sich kaum wieder, sobald sie Zeit zum Nachdenken hatte, stiegen Angst und Unsicherheit in ihr auf. Nur vor wem oder was eigentlich? Das wusste sie nicht. Sie hörte die Stimme von ihrem Vater in ihrem Kopf, der am Telefon nicht unbedingt zu ihrem Wohlbefinden beigetragen hatte.
Susanna hatte richtig vermutet, dass ihre Eltern sich große Sorgen gemacht hatten in der Zeit des Monsuns und wo sie nicht wussten, wo genau sich Susanna und Bianca in dem Land befanden und wie es ihnen ging. Susanna und Bianca wurden in dem Entwicklungsdorf, wo sie Timm fanden von dem Monsunregen überrascht und kamen von dort nicht mehr weg, obwohl sie es versucht hatten und Susanna lag nun auf dem Bett neben Timm und schüttelte bestimmt zum einhundertsten Mal den Kopf über ihr Verhalten damals.
Trotz Warnungen von Timms Freund Jim, war sie einfach mit Bianca im Auto losgefahren. Auch Bianca wollte lieber in Hajmar bleiben, aber sie selber war so stur und enttäuscht anscheinend nicht das in Indien zu finden, wonach sie suchte, dass sie einfach weiterfuhr. Sie gerieten mit ihrem Fahrzeug ins Flussbett. Bianca schaffte es noch sich aus dem Wagen zu retten, aber wären Timm und Jim den Beiden nicht gefolgt, wäre Susanna ertrunken. Timm hatte sie aus dem Wagen gezogen und kam dann selber dort nicht mehr weg und wäre ebenfalls fast ertrunken.
Susanna drehte den Kopf und blickte ihn an. Zart berührte sie seine Wange, während sie an diesen schrecklichen Tag zurückdachte und ihr erneut bewusst wurde, dass Timm, ohne die Wiederbelebungsmaßnahmen von Jim, heute nicht neben ihr liegen würde. Sie seufzte und blickte wieder an die Zimmerdecke.
Sie kamen alle vier wieder in Hajmar an und dort mussten auch Susanna und Bianca über Wochen bleiben. Der Ort war abgeschnitten nach dem Regen. Nur durch Hubschrauber aus der Luft, wurden notwenige Hilfspakete abgeworfen. Das Spital war voll von kranken Menschen.
Nie hatte Susanna bislang schrecklichere Bilder in ihrem Leben gesehen und ihre Eltern hatte in der Zeit überhaupt nicht gewusst, wo Bianca und Susanna waren. Sie mussten eine unendliche Angst ausgestanden haben, weil sie die Mädchen eigentlich in Delhi vermutet hatten und erst auf die Nachfrage von Susannas Vater bei der Entwicklungshilfe hörten sie, dass Timm Mühlbach wahrscheinlich gar nicht in Delhi sondern in Hajmar war und der Ort zur Zeit nicht erreichbar war.
Susanna seufzte erneut. Sie konnte ihrem Vater nicht übelnehmen, dass sie seine Ängste und Zweifel heute immer noch am Telefon gehört hatte. Sie hatte zwar noch gehofft, dass sie die Erleichterung, weil alles gut war, in der Stimme ihres Vaters hätte hören können, aber dies war nicht der Fall gewesen. Ihr Vater war nach wie vor besorgt.
Er wirkte enttäuscht, weil nur Bianca zurück nach Deutschland gekommen war und deutlich hatte er auch gesagt, dass er erwartet hätte, sie käme ebenfalls zurück nach Hause. Sie hatte ja nun mit Timm gesprochen und er verstand nicht, warum die Beiden sich nicht später in Berlin hätten kennenlernen können. Ihm gefiel es nicht, dass sie mit einem für ihn relativ fremden Mann, in einem für ihn total fremden Land blieb.
Susanna schluckte schwer, während sie bei ihren Gedanken die Zimmerdecke anstarrte. Ihr Vater war ihr Halt gewesen in den letzten Monaten, er stand immer hinter ihr, was ihr eine unwahrscheinliche Sicherheit vermittelt hatte. Seine plötzlichen Bedenken und Ängste machten sie traurig und während sie über ihre Enttäuschung nachdachte, wusste sie auf einmal warum sie innerlich so nervös war. Ohne die Unterstützung ihres Vaters, fehlte ihr die Gewissheit das Richtige zu tun! Und somit begann sie anzuzweifeln, dass es gut war in Indien bei Timm zu sein und sie gewichtete die Sorgen ihres Vaters überdimensional groß. Diese Sorgen schürten den Gedanken, dass alles in Indien schlecht und gefährlich wäre. Die Menschen, die Natur, die Krankheiten die es hier gab. Alles war gefährlich und auch der Mann an ihrer Seite war, durch seine Unbekanntheit, für ihren Vater ein gefährlicher Mann. Ein Mann, der sie vielleicht vom rechten Weg abbrachte und durch Susanna auf die schiefe Bahn gelangen könnte. Ein Mann, der sie missbrauchte oder eventuell schlagen würde. Ihr Vater hatte sich gewünscht, sie würde ihn weiter in Deutschland kennenlernen, aber jetzt in diesem Moment war ihr klar, dass ihr Vater selber ihn erst einmal gerne kennengelernt hätte.
Vorsichtig schielte Susanna zu Timm rüber und betrachtete ihn.
Die ganzen letzten Wochen hatte sie mehr oder weniger mit ihm verbracht. Klar war er anfangs auch abweisend zu ihr gewesen und hatte somit seine Grenzen ihr gegenüber abgesteckt. Aber nachdem Susanna seine Grenzen akzeptiert hatte, war er immer nett und höflich zu ihr gewesen. Er stand ihr auch sofort bei, wenn sie Probleme mit den Indern und deren Kultur bekam und sie dachte dabei an die wütende Mutter, die auf Susanna zustürmte, weil diese eine Fliege aus dem Gesicht deren Kindes verscheuchte. Timm war sofort da gewesen und hatte sich schützend vor Susanna gestellt und Timm hatte ihr das Leben gerettet, als sie drohte im Fluss zu ertrinken, nur weil sie im Monsun nach Hause fahren wollte.
Sie betrachtete ihn weiter. Für sie war er nicht schlecht. Ja, sie kannte ihn wenig bis gar nicht und sie wusste auch nicht ob man wirklich für ewig zueinander passen würde, aber schlecht? Gefährlich? Sie konnte es sich nicht vorstellen.
Erneut schaute sie wieder zur Decke. Sie war erwachsen. Es wäre schöner mit der Unterstützung ihrer Eltern gewesen, aber Fakt war, sie war erwachsen und sie würde diesen Weg weiter gehen und gab es überhaupt falsche Wege?
Oder gab es nur unterschiedliche Wege?
Plötzlich spürte sie, wie Timms Hand zart ihren Arm streichelte.
Sie sah ihn an. „Ich weiß was du fühlst“, sprach er leise und sein Blick war ernst auf sie gerichtet, „mein Vater versteht auch nicht, was ich hier mache. Mein Vater ist enttäuscht von mir, weil ich seiner Meinung nach hätte studieren können und es nicht nötig gewesen wäre Deutschland zu verlassen.“ Er hob seine Hand an und streichelte zart ihre Wange. „Es hilft, dass du erkannt hast, was dich so deprimiert. Klar wird deswegen eine leichte Traurigkeit darüber bleiben, Susanna. Aber es ist sinnlos zu lange darüber nachzudenken und ich glaube das ist etwas, was jeder Mensch irgendwann lernen muss, damit er seinen eigenen Weg gehen kann.“ Total überrascht sah sie ihn an.
„Woher weißt du, was ich gerade gedacht habe?“, fragte sie leise. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Ich wusste es nicht. Ich hab nur gespürt, dass es etwas für dich Wichtiges ist.“ Schweigend sah sie ihn an. „Schlaf jetzt“, flüsterte er und zog sie enger an sich. Sie schmiegte sich an ihn, während sie nun begann über Timm nachzudenken, aber auf einmal war das nicht mehr wichtig. Sie fühlte sich geborgen. Sie fühlte sich sicher und sie schlief einfach ein.
Jaipurs Zentrum hatte sie sich total anders vorgestellt, aber als sie im Nachhinein darüber nachdachte, war ihr nicht einmal klar, wie sie es sich vorgestellt hatte. Aber nicht so.
Es war bereits spät am Nachmittag, als sie Jaipurs Altstadt erreichten. Die Häuserfassaden mit ihren winzigen Fenstern, bogenförmigen Eingängen, geschwungenen Balkonen und Kuppeldächern im Licht der tiefstehenden Sonne erschienen ihr in einem satten Rosa. Das Schlendern durch die pulsierende Stadt gehörte anscheinend zu den Touristenzielen Nummer eins. Es waren hier fast so viele Europäer wie Inder zu erkennen. Es gab auch nur noch wenige vorbeiziehende Kamelkarren mit ihren stolzen, Turban geschmückten Antreibern, auf die Susanna irgendwie gehofft hatte. Stattdessen bestimmten neben den Fahrradrikschas immer mehr PKW und Busse das Stadtbild.
Sie begannen mit ihrem kleinen Ausflug am Singh Pol, einem jener sieben Eingangstore der Altstadt. Das ca.
sieben Meter hohe und drei Meter dicke Tor erhob sich majestätisch vor Susanna. Geradezu fasziniert blickte sie auf seine Türmchen, seine Balkone und Schießscharten. Sie schlenderten an zahllosen Marmorständen vorbei und irgendwann fragte sie: „Gibt es in dieser Stadt nichts anderes als Mamor?“ Timm lachte und grinste sie an.
„Jaipur ist noch aus früher Zeit in Mohallas eingeteilt“, antworte er. „Ach, tatsächlich? Und was soll das sein? Ich meine Mohallas?“ „Das bedeutet, dass bestimmten Vierteln der Stadt, bestimmte Handwerks- und Händlerschichten zugeteilt sind. Wir befinden uns jetzt gerade in der Berufssparte des Marmor.“ „Was du nicht sagst.“ Langsam gingen sie weiter, hin bis zum Choti Chaupar. An der Kreuzung trafen sich die über 30 Meter breiten Hauptstraßen der Altstadt. Die Straßenstände der Händler für Früchte und Blumen, boten hier ein so farbenprächtiges Bild, dass Susanna augenblicklich stehen blieb. Timm wartete geduldig, bis sie das Bild in sich aufgenommen hatte. Als sie ihn ansah, lächelte er auf sie herab. „Können wir weitergehen?“ Sie nickte und wanderte an seinem Arm weiter durch diese für sie so außergewöhnliche Stadt.
Kurz vor dem Johari Bazar beugte Timm sich zu ihrem Ohr. „Das nächste Handwerk dürfte dir besser gefallen.“
Und tatsächlich kamen sie dort erheblich langsamer voran, als kurz zuvor. Die Auslagen der Händler waren hier voll von Schmuck. Susanna glaubte niemals zuvor so viel und vor allem so unterschiedlichen Schmuck gesehen zu haben.
Sie sah verzierte hinduistische Götter, soweit sie diese mit ihrem Wissen erkennen konnte. Perlen in allen Farben, Goldschmuck und vor allem Silber, was, wie sie bereits deutlich erkennen konnte, bei den Inderinnen äußerst beliebt war. Er war ebenfalls aus Silber. Die Haare aufgetürmt zu einer asketischen Haarflechtenkrone, in welcher sich eine Mondsichel befand. Zu den zwei Augen, gesellte sich in der Mitte ein senkrechtes Drittes. Susanna betrachtete es interessiert. „Das ist das Auge der Erkenntnis“, flüsterte ihr Timm über die Schulter zu. Seine vier Arme hielten einen Dreizack, eine Trommel, eine Schlinge und eine Keule. Seine Kleidung bestand aus Raubtierfellen. Durch den Silberschmuck schwer zu erkennen, erkannte man es letztendlich an den Raubtierköpfen, die sorgsam verarbeitet an seinen Gewändern hingen. Um den Nacken hatte er eine Kobra geschlungen. Die ganze zierliche Figur befand sich in einem Ring, welcher an der Kette hing. „Wer soll das sein?“, fragte Susanna, während sie sich leicht zu Timm zurückdrehte. „Shiva“, antwortete Timm, „er ist aus dem Seuchengott Rudra und aus dem Feuergott Agni entstanden.
Der Kreis um ihn soll im Übrigen den Feuerkreis symbolisieren. Da drüben ist er nochmal und besser zu erkennen.“ Susanna ließ ihren Blick über die Auslagen zu der 30 cm hohen Figur in der Ecke gleiten, auf welche Timms Finger deutete. „Die Darstellung symbolisiert die Erschaffung und die Zerstörung des Universums“, begann er zu erklären. „Und er befindet sich in einem Feuerkranz?“, fragte Susanna, als sie auch dort einen runden Kreis um die Figur erkannte. „Hm, er tanzt in diesem Feuerkreis. Bei seinem Tanz bricht Shiva dem darunter lebenden Dämon der Unwissenheit Apasmâra das Rückgrat. So einen Tanz solltest du mal nachgestellt sehen.
Die vielen Glöckchen um seine Fußgelenke klingen wunderschön, wenn der Tänzer mit ihnen zum Takte tanzt.“
Susanna betrachtete die Figur. Sie war beeindruckt, dass die Hindus anscheinend eine sehr genaue Vorstellung über das Aussehen ihrer Götter hatten. Sie selber glaubte ja auch an Gott, aber abgesehen von Jesus, der in jeder Kirche traurig am Kreuz hing, hatte sie eigentlich keine Vorstellung wie der Gott, an den sie glaubte, eigentlich aussah. Außerdem musste sie darüber nachdenken, wie viel Timm über diese Götter wusste. Chiela, die junge Inderin, welche sie in Hajmar kennengelernt hatte, hatte ihr erzählt, dass Timm ein gläubiger Mensch war. Für Susanna eigentlich nichts Neues, weil so hatte sie ihn sich vorgestellt. Sie konnte sich in ihrer Überzeugung an ein Orakel im 17. Jahrhundert erinnern und dieses Orakel hatte ihr vorausgesagt, dass der Mann den sie liebt, ein gläubiger Mann ist. Sie löste sich von Shiva und drehte sich zu Timm um, aber dieser war nirgends zu sehen. Sie trat auf die Straße und sah nach rechts und nach links, um seinen blonden Kopf irgendwo zu erkennen. Sie sah ihn nicht und plötzlich nahm sie, so ohne ihn, ein gewisses Unwohlsein wahr.
In Timms Gegenwart waren ihr die Blicke der männlichen Inder gar nicht mehr aufgefallen, aber jetzt, wo sie alleine hier stand, spürte sie die teilweise verabscheuenden Blicke der Männer auf sich ruhen. Die Unsicherheit in ihr wuchs.
Hatte sie denn recht, wenn sie zu ihrem Vater sagte, dass sie hier in diesem Land auch alleine zurechtkommen würde? Alleine als Frau? Denn genau das hatte sie ihm in ihrem Telefonat auch trotzig erzählt. Einer der Inder ging so dicht an ihr vorbei, dass er ihre Brüste streifte und als sie ihm hinterher sah, drehte er sich um, grinste und nickte ihr auffordernd zu. Eine Geste, mit der sie nun gar nichts anfangen konnte. Sie zog die Augenbrauen hoch, als besagter Inder sich beim Gehen wieder nach vorne drehte, um an Timms Brustkorb abzuprallen. Hart sah dieser ihn an und seine Stimme auf Hindi klang alles andere als freundlich. In geduckter Haltung schob der Mann davon.
„Sie sind immer wieder erstaunt, wenn man sie mit ihrer Sprache anspricht“, kam er auf Susanna zu. „Wo warst du?“
„Da drüben, hatte dort etwas zu erledigen.“ Mit seinem Kopf nickte er zu dem Nachbargeschäft hinüber. „Ich bin froh, dass du wieder da bist, die Inder mögen mich nicht.“
„Sie mögen nicht dich nicht, sondern sie mögen deine Kleidung nicht“, Susanna blickte an ihrem enganliegenden Top und der blauen Jeanshose hinab. „Warum denn nicht?“
„Zu offenherzig!“ „Zu ... was?“ „Du zeigst zu viel von deiner Figur. Dein Busen ist zu erkennen. Die Schultern sind nicht komplett verdeckt. Das lässt dich in ihren Augen zu einem leichten Mädchen werden.“ „Na toll!“ „Ich bin jetzt ja da, wenn dich noch einer so ansieht oder anrempelt, dann haue ich ihn um!“ „Timm...!“ „Na gut“, besänftigte er seinen Tonfall, „vielleicht nicht sofort.“
Sie gingen weiter, erneut über den Choti Chaupar und Timm führte Susanna über eine der beiden Treppenaufgänge, an welchen er der davor stehenden Inderin 10 Rupien gab. Sie gelangten zu einer Plattform und blieben an dessen Geländer stehen. Eine faszinierende Aussicht über gleich mehrere Straßen hinweg, erstreckte sich vor ihnen. Den Blick auf rosa Häuser und die bunten Auslagen gerichtet, welche von hier oben selber wie ein einziges Schmuckstück wirkten, hatte Susanna das Gefühl sich mitten in einer Märchenwelt zu befinden.
Timm lehnte sich auf das Geländer und schaute hinab.
„Susanna, ich muss dir etwas gestehen“, begann er zaghaft.
Auch das noch. Susanna hielt augenblicklich die Luft an.
„Was denn?“, fragte sie unsicher. „Es ist wegen der Heirat.“ „So?“ „Hm“, er drehte sich zu ihr um und sah sie unsicher an. „Ich denke nicht, dass wir hier in Indien so einfach heiraten können.“ „Ach das meinst du, das habe ich mir eigentlich schon fast gedacht.“ Nahezu erleichtert kamen die Worte aus ihr heraus. Er hatte seinen Blick erneut über die Straßen gerichtet. „Nicht das meine ich, das war eigentlich von vorne herein klar und ich hatte auch nicht die Vorstellung, dass du etwas anderes annehmen würdest. Ich meine vielmehr, ich habe mit Jim telefoniert deswegen.“ Jetzt wurde Susannas Blick wieder misstrauisch. „Weswegen?“ Er drehte sich ganz zu ihr um und umfasste ihre Schultern. „Ich kann das nicht ..., ich kann nicht solange warten, bis wir in Deutschland sind.“
„Was hast du den vor?“, fragte sie unsicher. „Wenn du nicht willst, dann rufe ich Jim und Chiela wieder an und sage ab.“ „Was denn?“, fragte Susanna nun allmählich etwas ungeduldig. „Sie bereiten eine Hochzeit für uns vor.“
„Sie machen was?“ „Eine, die der hinduistischen Hochzeit ähnelt.“ Susannas Augen wurden immer größer, aber Timm sah sie unverwandt an und seine Stimme bekam einen tiefen, sanften Ausdruck. „Sie gilt nicht vor dem Gesetz.
Aber sie gilt für mich! Sie gilt, so hoffe ich, auch für dich. Würdest du so etwas mit mir tun? Einfach nur, weil wir uns lieben?“ Susanna hatte das Gefühl, dass der Boden unter ihr schwankte `Einfach nur, weil wir uns lieben` hatte er gesagt. Eine Hochzeit, die nur für sie beide von Bedeutung war, weil sie sich liebten. Und er schlug ihr das vor. Ihr Herz schien bei so viel Romantik regelrecht zu springen.
„Würdest du?“, fragte er erneut. „Ja!“, antwortete sie strahlend. Ein erleichtertes Lächeln erleuchtete sein Gesicht. „Dann sind wir ja jetzt verlobt“, sprach er so leise, dass es beinah schüchtern wirkte. Sie nickte nur leicht mit dem Kopf, während er den Ring aus seiner Tasche zog.
Einen reich verzierten, silbernen Ring, den er ihr sorgsam über den linken Ringfinger gleiten ließ. Er passte wie angegossen und während sie den Ring, mit inzwischen feuchten Augen betrachtete, reichte er ihr einen weiteren, etwas größeren Ring. Sie lachte kurz auf. „Du bist verdammt gut vorbereitet“, sprach sie, während sie den zweiten Ring nahm, um ihn ihm auf den Finger zu stecken.
„Während du dich von Indern hast begutachten lassen, habe ich die beiden hier gerade erstanden“, erklärte er nicht ohne einen gewissen Stolz hinter seiner grinsenden Mimik.
Schnell beugte er sich zu ihr herab und nur flüchtig berührten seine Lippen ihre. Auch darüber musste Susanna lächeln. Sie wusste dass dieser beinah flüchtige Kuss nur deswegen so flüchtig war, weil Timm sehr genau auf die Kultur in fremden Ländern achtete. Auch diese Eigenschaft faszinierte sie an diesem Mann. Er nahm ihre Hand.
„Komm“, zog er sie mit sich fort, „ich zeig dir das höchste Gebäude der Altstadt, den Iswari Minar Swarga Sal, erbaut von Maharaja Iswari Singh, dem Sohn von dem Gründer Jaipurs. Er war ein schwächlicher Herrscher und setzte seinem Leben durch Selbstmord ein Ende. Kannst du dir vorstellen, bei seiner Einäscherung ließen sich 21 Frauen mit ihm verbrennen.“ Susanna antwortete nicht, als er sie hinter sich herzog. Sie musste immer noch lächeln, bei seinem Versuch, die Leidenschaft zwischen ihm und ihr zu unterdrücken.
So schön es aber auch alles war und so gerne Susanna einfach weiter mit Timm das Land erkundet hätte, so schnell war es dann doch wieder vorbei, denn Timm war kein Urlauber hier und er musste arbeiten. Eine Tatsache die Susanna akzeptieren musste und mehr oder wenig gelangweilt saß sie auf einem Stuhl in der Ecke der Blechhütte, in der Timm Bilanz zog. Er stand vor dem Regal der verfügbaren Arzneien und hakte diese auf seiner Liste ab. Fragend zog er die Augenbrauen hoch, als er die vielen sich so ähnelnden Flaschen etwas abseits stehen sah.
Er nahm eine davon in die Hand und betrachtete das Etikett. „Schlangenserum? Was wollt ihr denn damit?“ „Die Schlangenbisse häufen sich“, antwortete Martin, während er das mitgebrachte Gut von Tim und Susanna auspackte.
Sie waren in Delhi angekommen und nachdem sie an einer großen Lagerhalle Verbandsmaterial, Spritzen und Medikamente in den Wagen geladen hatten, fuhren sie weiter in die Slums am Rande von Delhi, um einen Teil der Ware dort zu entladen.
„In Thar vielleicht, aber wir befinden uns hier in Delhi“, bemerkte Timm. „Am Rande Delhis“, kam die nüchterne Antwort von seinem Freund und Kollegen. „Ja und?“ Timm trat zu ihm an den Tisch und setzte sich ihm mit der Flasche gegenüber. Martin sah auf. „Leider treten auch hier neuerdings solche Fälle auf.“ „Hm, das ist aber ungewöhnlich. Wie kommen die Schlangen denn hierher?“
„Also wir nehmen an, dass sie durch die Bettler und Gaukler hierher kommen. Bei ihnen hatten wir die ersten Bisse zu verzeichnen“, erklärte Martin, während er sich auf seinen Stuhl zurücklehnte. „Wahrscheinlich haben sie sie in der Wüste gefangen und wollten hier mit ihnen ein paar Rupien verdienen. Oft wird es so gemacht, nachdem man ihnen die Giftzähne entfernt hat, aber anscheinend sind doch ein paar von diesen netten Tierchen entkommen. Ich meine, mit ihren Giftzähnen.“ Timm stellte die Flasche auf den Tisch. „Die haben uns hier noch gefehlt“, Martin winkte ab. „In erster Linie hat Emma sie wegen der eventuellen Möglichkeit eines Bisses bestellt. Eine große Gefahr stellen sie hier nicht dar.“ „Ich denke Emma ist zurück in Deutschland?“ Martins Blick schielte bei Timms Frage kurz rüber zu Susanna, die in der Ecke des Raumes saß und geduldig wartete bis Timm mit allem hier fertig war.
„Sie ist seit drei Wochen zurück“, antwortet Martin. „Aha“, kam es von Timm.
Susanna sog scharf die Luft ein, das hatte ihr noch gefehlt. Gab es hier irgendetwas, das sie vielleicht wissen sollte?
Sie fühlte sich eh schon unwohl hier, weil dieser Raum im Gegensatz zu dem Haus in Hajmar nicht größer als eine der Slumhütten war, welche direkt an das Gebäude angrenzten.
Die Hitze staute sich auf dem gesamten Gelände und es stank nach Müll und Kot, ihrer Meinung nach. Bei der Bemerkung, dass es hier zusätzlich Probleme mit Schlangen geben könnte, fühlte sich Susanna noch unwohler, dass aber nun noch der Name einer Frau fiel, auf den Timm irgendwie seltsam reagierte, brachte ihre Laune auf den absoluten Nullpunkt.
Am besten, dachte sich Susann, wäre es wohl wenn sie draußen warten würde und stand genau in dem Moment auf, wo die Tür schwungvoll aufgerissen wurde und eine junge blonde Frau hereinstürmte. Sie rannte direkt auf Timm zu, während sie freudig ausrief: „Timm, oh ist das schön, dass du da bist, ich hab mir solche Sorgen während des Monsuns gemacht.“ Sie wollte direkt um Timms Hals fallen, der inzwischen schon von seinem Stuhl aufgesprungen war und reflexartig einen Schritt zurück tat.
Sie zögerte und Timm nutzte die Gelegenheit sofort. „Wenn ich dir erst mal Susanna vorstellen darf“. Er deutete in Susannas Richtung und sie folgte mit ihrem Blick seiner Geste. „Wir wollen heiraten“, ergänzte er und ihr Blick ging umgehend von Susanna zu ihm zurück. „Ihr wollt was?“, fragte sie entgeistert und Timm wandte sich an Susanna, „Susanna, das ist Emma.“ Jetzt trafen sich die Blicke der beiden Frauen und Susanna konnte das blanke Entsetzen in Emmas Augen sehen. Sie sah zu Timm, welcher sich inzwischen entschlossen hatte lieber keine der beiden Frauen anzusehen, sondern die nichts aussagende Holzwand gegenüber zu betrachten. Susanna war die Erste die sich fing. Sie setzte ihren angefangenen Weg, in Richtung der nun schon offenstehenden Tür, fort und drehte sich dort nochmal kurz um. „Ich glaube, ihr zwei habt noch etwas zu bereden“, sprach sie, während Timm sie mit einem verlegenden Gesichtsausdruck nun doch wieder ansah. „Ja, also, ich gehe dann auch mal“, fügte Martin hinzu und drängelte sich noch vor Susanna aus der Tür heraus. Langsam drehte Susanna sich und folgte ihm.
Schulterzuckend sah Martin sie an. „Du brauchst nichts sagen“, erklärte Susanna, „wir kennen uns nicht und ich erwarte keinen Trost von dir.“ Fast erleichtert nickte Martin. „Ich warte im Auto auf Timm“, fügte Susann hinzu und ging dann langsam auf den Jeep zu und setzte sich auf den Beifahrersitz.
Sie wusste überhaupt nicht was sie denken sollte. Sie wusste nicht mal was sie fühlte. Hätte man ihr einen Schlag mit dem Hammer gegeben, wäre es wohl ein ähnliches Gefühl gewesen. Gefühlte Stunden schaute sie auf den sandigen Weg vor dem Auto, der, wie unschwer an den rechts- und links stehenden Wellblechhütten zu erkennen, direkt in die Slums führte. Aber als sie es schaffte ihren Blick von dem Weg zu lösen, sah sie auf der Uhr im Armaturenbrett, dass gerade erst 30 min vergangen waren.
In dem Moment sah sie Timm aus der Hütte kommen, direkt auf das Auto zu. Er stieg ein und an der Hütte sah sie nun wie Emma diese verließt und zügig nach rechts abbog, um hinter der Hütte zu verschwinden. Schweigend blickte sie zu Timm, der inzwischen saß und auf das Lenkrad starrte. „Es tut mir leid“, flüsterte er, „ich hab nicht damit gerechnet, dass sie hier ist. Ich hab nicht damit gerechnet, dass sie eventuell ein Thema wird. Ich hätte es dir sagen sollen.“ „Timm“, Susanna fand ihre Sprache wieder. „Es geht mich nichts an, was vor uns war und mit welcher Frau du eventuell mal etwas hattest, zusammen warst oder sonstiges, nur …“, sie schwieg einen Moment und beugte sich dann vor, um ihn besser, als nur im Profil zu sehen.