Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
"Versteckt - Deine Vergangenheit wird dich finden" ist das erste Buch von der am 22. August 1978 geborenen Österreicherin und erscheint über 10 Jahre nach der Erstveröffentlichung in neuem Glanz. "Versteckt - Deine Vergangenheit wird Dich finden" erzählt die Geschichte eines ungleichen Teams, das sich widerwillig zusammenrauft und auf ungewöhnliche Weise aufzeigt, wie wichtig es ist, Leidenschaft und Dankbarkeit für das Leben zu empfinden. Denn jeden Tag treffen wir Entscheidungen, die unser Schicksal unwiderruflich verändern und womöglich Einfluss auf das Leben anderer nehmen. Der 36-Jährige D.E.A. Detective Gerry O`Neil, dessen Wurzeln nach Schottland und Irland reichen, hat den Glauben an sich selbst und das Rechtssystem verloren. Während er gegen die Machenschaften der sizilianischen Mafia in New York City kämpft, holen ihn die Dämonen seiner Vergangenheit ein. Sie zeigen ihm, dass Blut nicht immer dicker als Wasser ist und nichts so ist, wie es scheint. Nur seine neue, chaotische Partnerin Agatha Jackson, a.k.a. AJ, ist aufgrund ihrer Hartnäckigkeit fähig, ihn aus seinem tiefen Loch von Depressionen, Schuldgefühlen und Alkohol zu ziehen. Als unschlagbares und explosives Team beginnen die beiden Polizisten die Straßen von New York zu säubern, um hinter die Identität des wahren Drahtziehers dieses schmutzigen Geschäftes zu kommen und diesem endgültig das Handwerk zu legen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 156
Veröffentlichungsjahr: 2022
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Dieses Buch widme ich
meinen Eltern, Albin und Frieda Höller.
Danke für euren unbeugsamen Glauben
an mich, euer Vertrauen und
eure Unterstützung.
VERSTECKT
- Deine Vergangenheit wird Dich finden -
TUCKED AWAY
- Your Past Will Always Find You -
Ein Drehbuch von
Elke Hoeller
(WGA)
SCHATTEN DER NACHT
NOVEMBER 2007, NEW YORK
IM DROGENREVIER
DER NEUE PARTNER
HOME SWEET HOME
EINE UNHEIMLICHE BEGEGNUNG
ZURÜCK IN DIE VERGANGENHEIT
SUNNY DIEGO SUCHT ZUFLUCHT
BESUCH VON FRANK CAPELARI
IM KRANKENHAUS
TATORT LITTLE ITALY
DIE JAGD
IM POLIZEIREVIER DER D.E.A.
SONNE ÜBER SIZILIEN
FRUSTTRINKER
ERINNERUNGEN
MÄNNERLIEBE
DIE SUCHE NACH SUNNY
SCOTLAND YARD
AUF DER FLUCHT
WELCOME TO THE USA
GEHEIME GESCHÄFTE
DER VERPATZTE DEAL
FLUGHAFEN ROM
DAS VERHÖR
AUFTRAG AUSGEFÜHRT
EINSATZBESPRECHUNG
ZEIT DER VERGELTUNG
DER GROSSE DEAL
DAS GESTÄNDNIS
SHOWDOWN
GAME OVER
DER NEUANFANG
AUSGLEICHENDE GERECHTIGKEIT
Tränen laufen Gerard, der noch vor wenigen Tagen mit seinen Eltern und seiner kleinen Schwester den 13. Geburtstag gefeiert hat, über die rot angelaufenen Wangen. Er hält sich in der Vorzimmerkommode am Gang vor dem Schlafzimmer seiner Eltern versteckt. Ein stickiger Geruch, der sich über die Jahre im Inneren des alten Holzstücks breitgemacht hat, steigt ihm in die Nase. Mit aller Kraft drückt er seine kleinen Hände gegen den Kopf und hält sich die Ohren zu. Er schließt seine grünblauen Augen ganz fest zu und versucht an etwas Schönes zu denken. Doch es gelingt ihm nicht, denn die grauenvollen Geräusche und der Anblick, die ihm in dieser Nacht geboten werden, machen es ihm schier unmöglich einen klaren und fröhlichen Gedanken zu fassen. Er zittert am ganzen Leib. Zwei Schüsse fallen kurz hintereinander. Dann weicht der abgestandene Geruch der alten Kommode einem verbrannten, beinahe fleischigen Geruch, der von außen in sein Versteck eindringt.
Vorsichtig öffnet er seine Augen und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. Atmen fällt ihm schwer. Er blickt durch den schmalen Spalt der Kommode, und seine unschuldigen Augen sehen das Grauen, das ihm besser hätte verwehrt bleiben sollen. Seine Mutter, Barbara O’Neil, Ehefrau des wohl einflussreichsten und angesehensten Rechtsanwalts Großbritanniens wurde soeben erschossen und liegt regungslos im Schlafzimmer am Boden neben ihrem geliebten Ehemann Frank. Der Vater zweier Kinder versucht mit aller Kraft und auf seinen Knien am Boden kauernd die Fesseln zu lösen, die ihm um die Handgelenke geschnürt und hinter dem Rücken festgezogen wurden. Der Mund wurde ihm mit einem Tuch verbunden. Sein Gesicht sieht aus als hätte es jemand mit einem Vorschlaghammer bearbeitet. Gerard sieht ein paar Gestalten, die es sich im Schlafzimmer seiner Eltern bequem gemacht haben und seinen Vater mit der Waffe bedrohen. Drei Männer und eine Frau sind im Zimmer, doch es ist zu dunkel, um die Gesichter der üblen Gestalten zu erkennen. Er bemerkt eine vierte Person. Neben der ihm unbekannten Frau steht noch jemand. Ein Junge, der sich ruhig zur Leiche der Mutter beugt und den blutverschmierten Körper der einst wunderschönen Schottin betrachtet. Der fremde Junge muss in Gerards Alter sein. Er kniet sich neben den toten Körper von Barbara O’Neil, dem von einem Moment zum anderen das Leben und der letzte Hauch Seele entweicht, die sie einst zu einer liebevollen Ehefrau und Mutter hat werden lassen. Vollkommen fasziniert beobachtet der fremde Junge wie sich das tiefrote Blut einen Weg über den sandfarbenen Teppich bahnt. Gerard hat diese Leute noch nie zuvor gesehen. Angestrengt versucht er zumindest das Gesicht der unbekannten Frau zu erkennen. Vergebens. Der Schlitz in der Kommode ist zu klein und die Gestalten werden wie von einem unsichtbaren Mantel in Dunkelheit gehüllt. Der fremde Junge hält den Kopf gesenkt. Auch sein Gesicht ist nicht zu sehen.
Wenige Minuten nachdem die Schüsse gefallen sind, verlässt die unbekannte Frau das Schlafzimmer. Sie winkt dem fremden Jungen zu und tritt in das Vorzimmer. Ohne eine Miene zu verziehen steht der Junge auf und geht zu ihr. Er nimmt ihre Hand und sieht sie mit großen Augen an. Sie hockt sich zu ihm. „Das hast du gut gemacht, mein Schatz. Ich bin sehr stolz auf dich. Noch einmal, dann können wir gehen.“ Der fremde Junge lächelt die Frau an, gibt ihr einen Kuss auf die Wange und umarmt sie. Er geht zurück ins Schlafzimmer von Frank und Barbara O’Neil. Die unbekannte Frau bleibt noch einen Moment an der Tür stehen, nimmt einen letzten tiefen Lungenzug von ihrer Zigarette, bevor sie den Stummel zu Boden fallen lässt und ihn mit ihren hohen Stöckelschuhen ausdämpft.
Gerard rutscht bei dem Versuch ihr Gesicht besser zu sehen ein Stück nach unten. Die Kommode ist zu klein. Er stößt sich das Bein und zieht die Aufmerksamkeit der unbekannten Frau auf die kleine Kommode, die unscheinbar auf dem langen Gang im ersten Stock des riesigen und impulsanten Hauses steht – kaum größer als ein Abstellschrank für Schuhe. Die Frau hört das dumpfe Geräusch. Gerard sieht ihre langen Beine, die immer näher auf ihn zu kommen. Plötzlich bleibt sie stehen. Gerard ist in seinem Versteckt ganz starr vor Angst. Er kann kaum noch atmen und verharrt in einer unbequemen Haltung, die es ihm unmöglich macht zu reagieren, sollte er in seinem Versteck entdeckt werden. Im Hintergrund albern die Männer herum und machen sich über den frustrierten Mann lustig, der verzweifelt versucht sich zu befreien, um etwas gegen dieses Grauen zu unternehmen.
Die unbekannte Frau ist verärgert über das kindische Verhalten der Männer. „Haltet die Klappe!“ Die Männer verstummen und schauen sich fragend an. Ein paar Sekunden lang wird es beinahe vollkommen still in dem prunkvollen Haus, das nur wenige Kilometer außerhalb von London liegt. Man könnte sogar das Fallen einer Stecknadel auf den weißen Marmorboden im Erdgeschoss des Hauses hören. Lediglich das verbitterte Stöhnen des Vaters hallt leise durch die großzügigen Räume. Gerard bewegt sich nicht. Die unbekannte Frau lauscht angestrengt.
Es ist nichts zu hören. Plötzlich geht die Eingangstür im Erdgeschoss auf. Die Stimme eines Mannes ist zu hören. „Hey! Wir müssen los! Sonst schöpft Jo noch Verdacht!“ Die unbekannte Frau wendet sich von der Kommode ab, geht zur Treppe und nickt dem Mann zu. Dann geht sie zurück ins Schlafzimmer.
Gerard atmet durch. Sie hat ihn nicht entdeckt. Erneut wagt er einen Blick durch den kleinen Schlitz in der Kommode. Aus dem Erdgeschoss fällt ein wenig Licht über das offene Treppenhaus ins Schlafzimmer seiner Eltern. Nun kann er zumindest Konturen der Gangster erkennen, die seinen Vater weiterhin in Schach halten. Er hört, wie jemand die Treppen herauf kommt. Ein, nein zwei Männer. Er kann sie lachen und reden hören. Er zittert. Sein Herz rast. Dann vernimmt er das Weinen seiner kleinen Schwester Sabrina. Nun ist eine andere Stimme mit Akzent zu hören. Jemand tritt aus dem Schatten, den die große Tür des Schlafzimmers auf den Gang wirft. „Hey! Seht mal, was ich gefunden habe.“ Die rauchige Stimme gehört dem Mann, der Gerards Schwester im Arm hält und sie der unbekannten Frau stolz präsentiert. „Sehr gut.“ Das kleine Mädchen weint bitterlich. Sie ist zwei Jahre alt. Ihre kleinen Bäckchen sind rot angelaufen und ihre haselnussbraunen Augen mit Tränen gefüllt.
Als sich vor wenigen Stunden die Kriminellen ihren Weg in das Haus gebahnt hatten, versuchte eine Angestellte mit dem Mädchen zu fliehen um Hilfe zu holen. Doch die Verbrecher hatten die Frau auf der Flucht erschossen und die 2-Jährige irrte verschlafen in dem riesigen Gebäude umher. Nun haben sie auch die Kleine in ihrer Gewalt. Gerard fragt sich, was sie mit ihr vorhaben und würde ihr am Liebsten zur Hilfe eilen. Doch dem 13-jährigen Jungen ist es unmöglich sich zu bewegen. Die Angst ist zu groß, der Schock sitzt zu tief. Das kleine Mädchen schreit ängstlich nach ihrer Mutter. „Mami!“ Doch sie kann sie nicht hören – sie ist tot.
Der unbekannten Frau ist das kleine Mädchen vollkommen gleichgültig. Sie ist eiskalt und verzieht beim Anblick des 2-jährigen Mädchens keine Miene. „Du weißt, was du zu tun hast. Also tu es!“ Der Mann nickt der Frau zu, dreht sich um und geht mit dem Mädchen den langen Gang entlang. Frank O’Neil versucht zu sprechen und um das Leben seiner Tochter zu betteln. Die Verbrecher lachen über den kläglichen Versuch sein Leben und das des Mädchens zu retten. Die unbekannte Frau ruft dem Mann hinterher: „Aber Benny, beeil dich gefälligst.“ Der Vater ist entsetzt. Er versucht aufzustehen, doch einer der Verbrecher tritt ihm ins Knie und drückt ihn zurück auf den Boden. Frank wirft einen verzweifelten Blick zu seinem Sohn in dessen Versteck. Der einst attraktive, charismatische Mann ist nur noch ein Abbild seiner selbst. Schmerz, Angst und die Gewissheit, dass er seine geliebte Tochter niemals wieder sehen wird, spiegeln sich in seinen mit Tränen gefüllten Augen wider. Keine Rettung – kein Ausweg. Er kann nichts weiter tun als zu akzeptieren, dass seine Familie in dieser Nacht ausgelöscht wird und beten, dass zumindest sein einziger Sohn unentdeckt bleibt und diesen Horror überlebt.
Das 2-jährige Mädchen schreit auf dem Weg in ihr Zimmer und zappelt mit den Beinen. Ihre Stimme ist heiser. Der muskulöse Mann hat alle Hände voll zu tun um das Mädchen fest zu halten. Dann betritt er mit der Kleinen im Arm das rosa farbene Kinderzimmer und schließt die Tür hinter sich. Das Weinen und die Schreie sind selbst durch die verschlossene Tür zu hören. Sie ruft verzweifelt ihre Mutter: „Mami, Mami! Nein! Mami!“ Weder sie noch der Vater der Kleinen können ihr helfen. Die verängstigten Rufe des Mädchens verlieren sich in einem erbitterten Krächzen, wie das eines kleinen Kauzes, der in der Ferne nach seiner Mutter ruft. Gerard hat furchtbare Angst um seine Schwester. Nur wenige Sekunden, nachdem der Mann mit der Kleinen in deren Zimmer verschwunden ist, fallen zwei Schüsse, denen eine bedrückende Stille folgt. Er hat das 2-jährige Mädchen getötet. Die Zimmertür geht wieder auf. Der Kindermörder geht auf den Gang und wischt sich mit einem Taschentuch Blutspritzer aus dem Gesicht, die beim Eindringen der Kugel in den kleinen Schädel des Mädchens auf ihn geschleudert wurden. Gerard begreift nicht, was soeben mit seiner Schwester passiert ist. Er ist vollkommen außer Fassung und würde am liebsten ganz weit weglaufen. Doch er muss ruhig bleiben, denn sonst würden diese Mörder ihn finden. Die unbekannte Frau gibt dem Mann, dem der eiskalte Mord an einem 2-jährigen Mädchen nichts auszumachen scheint, eine Anweisung. „Setz dich in den Wagen. Wir kommen sofort.“ Der Kindermörder nickt mit dem Kopf und geht die Treppen hinunter. Er öffnet die Haustür und verlässt das Gebäude, durch dessen großzügige Räume nicht länger Kinderlachen hallen, sondern sich ein unsichtbarer Schleier tiefer Trauer legen wird.
Drei Männer, die unbekannte Frau und der fremde Junge sind noch im Haus, im Schlafzimmer von Frank und Barbara O’Neil. Mit dem kaltblütigen Mord an seiner 2-jährigen Tochter hat der Vater jeden Funken Lebenskraft und Kampfgeist verloren. Einer der düsteren Gestalten gibt der Frau eine Waffe, die sie ohne ein weiteres Wort zu verlieren dem fremden Jungen in die Hand drückt. Der Junge lächelt die Frau an. Er dreht sich zu Frank O’Neil und drückt ab. Dann zieht er erneut den Schlagbolzen zurück und drückt ein zweites Mal ab. Der gepeinigte Körper des Familienoberhauptes fällt zu Boden. Er bewegt sich nicht mehr. Gerards zarter Körper erbebt beim lauten Knall, der dem tiefschwarzen, metallenen Lauf der Waffe entwichen ist. Sofort greift er sich an die Ohren und kneift seine Augen ganz fest zu. Es ist zu spät, dieses Geräusch hat sich in seine unschuldige Seele gebrannt.
Einige Zeit später öffnet er die Augen und blickt vorsichtig durch den kleinen Schlitz in der Kommode. Es scheint niemand mehr da zu sein. Eine bedrückende Stille hat sich über das Haus gelegt. Keine Schatten, die sich im Schlafzimmer hin und her bewegen, sind zu sehen. Keine Geräusche aus dem Erdgeschoss und keine Stimmen, die ihm Angst einflößen, sind aus dem Schlafzimmer seiner Eltern zu hören. Zaghaft öffnet er die Tür der Kommode und klettert langsam heraus. Seine dünnen Beine, die er die ganze Zeit über verkrampft eng an seinen Körper angezogen hatte, können ihn kaum tragen. Er fällt zu Boden. Ein unangenehmes Kribbeln durchfließt seinen dünnen Körper. Erst als das Blut wieder seinen Weg durch die Adern des verschreckten Jungen findet, bekommt er ein Gefühl und kann wieder gehen. In kleinen Schritten bewegt er sich auf das Zimmer seiner Eltern zu. Vorsichtig und verängstigt blickt er nach links und rechts um sicherzustellen, dass niemand mehr im Haus ist. Dann stößt er die Tür zum Schlafzimmer auf, die die Verbrecher beim Verlassen angelehnt hatten, und tritt zögernd ein. Ein seltsamer Geruch liegt in der Luft und hüllt das Zimmer in einen dunklen Nebel. Gerards Blick führt ihn an das Bett seiner Eltern. Vor dem Bett liegt seine Mutter. Er geht zu ihr. „Mom?“ Er rüttelt am mit Blut bedeckten Körper seiner Mutter. Ihr Nachthemd ist zerrissen, die Augen stehen weit offen und der Kopf ist zur Seite geneigt. Langsam geht er weiter. Sein Vater liegt regungslos am Boden. Er ist kaum wiederzuerkennen. Sie haben ihm brutal das Gesicht zerschlagen. Der Teppich ist mit dem Blut seiner geliebten Eltern getränkt. Gerard zieht auf dem Weg zur anderen Seite des Zimmers mit seinen kleinen Füßen eine blutige Spur über den ganzen Teppich. Mit Tränen in den Augen und vollkommen verstört legt er sich auf den Boden, eng neben den toten Körper seines Vaters. Er versteht nicht, dass seine Eltern tot sind. Er begreift nicht, dass seine Familie ausgelöscht wurde. Er ist alleine und sein junges Gehirn kann die Ereignisse, die in den vergangenen Stunden auf seine Familie eingebrochen sind, nicht verarbeiten. Er nimmt die Hand seines Vaters und streift dessen Ehering vorsichtig ab. Er steckt ihn auf seinen Finger. Tränen laufen ihm übers Gesicht. Er sieht die Lieblingsuhr seines Vaters, öffnet das Armband und hält sie ganz fest in seiner Hand, bevor er sich vollkommen erschöpft eng an den toten Körper seines Vaters legt. Er sucht seine Wärme. Doch die Kälte, die sich bereits über das ganze Haus gelegt hat, umschließt nun auch den Körper des toten Mannes.
Am nächsten Morgen entdeckt das Kindermädchen die Leichen der Familie und den kleinen Jungen, den einzigen Überlebenden, der die grausame Hinrichtung mit angesehen hat. Sie ist entsetzt und versucht dem Jungen sofort zu helfen. Gerard liegt blutverschmiert neben seinem toten Vater und reagiert nicht auf die Stimme des Mädchens, das sich zu ihm beugt und ihm vorsichtig mit der Hand über den Kopf streicht. Er ist nicht ansprechbar. Das Kindermädchen geht zum Telefon im Schlafzimmer und ruft sofort die Polizei.
10.30 Uhr. Der Radiowecker schaltet sich ein. Gerry öffnet die Augen und sieht sich um. Er ist zu Hause, in seiner Wohnung, in seinem Bett. Es war wieder nur dieser Traum. Immer wieder derselbe grauenvolle Traum.
Der 36-Jährige setzt sich langsam in seinem Bett auf. Den rechten Fuß zuerst, dann den linken. Nur nicht zu schnell aufstehen, der Kopf brummt. Tiefes Stöhnen. – Das war wieder eine lange Nacht. – Der erste Gedanke an diesem überaus späten Morgen: Frühstück. Schweren Gemüts steht Gerry endlich auf, geht zum Fenster und schiebt den Vorhang zur Seite. Die Sonne scheint. Hupen und Polizeisirenen sind zu hören. Er wirft einen kurzen Blick auf die Straße. Vor dem Nebengebäude steht ein Möbelwagen und Passanten laufen hektisch auf und ab. Er begibt sich in Shorts in die Küche und stellt Wasser auf. Den Herdknopf einmal kurz zur Seite gedreht und nur wenige Augenblicke später beginnt das Wasser zu kochen. Anschließend nimmt er eine Teetasse aus dem Küchenschrank und stellt sie neben den Herd auf die Arbeitsplatte. Vollkommen verschlafen torkelt er ins Badezimmer und kratzt sich dabei am Po. Der Weg dorthin ist für ihn heute ebenso beschwerlich wie für so mach anderen der Aufstieg auf den Mount Everest. Im Badezimmer liegen neben dem Waschbecken fein säuberlich zusammengefaltet ein elegantes Handtuch und darauf beinahe im rechten Winkel seine Zahnbürste und Zahnpasta. Den Wasserhahn nach rechts drehen und das Gesicht waschen; der zweite Gedanke an diesem wunderschönen Novembertag. Ein kritischer Blick in den Spiegel. Hinter einem Dreitagebart versteckt sich ein attraktiver, großer Mann mit grünblauen Augen. Er öffnet den Badezimmerschrank, der über dem Waschbecken hängt. Darin liegt eine kleine Porzellanbüchse. Er nimmt sie in die Hand und öffnet sie. Seine Hände zittern – zu viel Alkohol in den vergangenen Tagen. In der Büchse befindet sich Zahnseide. Er reißt ein paar Zentimeter davon ab und beginnt mit der Zahnpflege, während er erneut einen kritischen Blick in den Spiegel riskiert und dabei seinen Kopf nach links und rechts dreht. Ehe er sein Gesicht wäscht, putzt er sich für exakt fünf Minuten die Zähne und rubbelt seine Zunge ab. Aus der Küche ertönt ein Pfeifen – das Teewasser ist fertig. Der 1,87 Meter große Mann wischt sorgfältig das Waschbecken aus und geht in die Küche. Er nimmt das Wasser vom Herd und gießt sich etwas davon in seine Teetasse. Dann nimmt er eine kleine metallene Kugel mit Löchern aus der Schublade, befüllt sie mit frischem Tee und hängt sie in das heiße Wasser. Das war gestern Abend doch viel zu viel Whiskey. Er hält einen Augenblick inne und versucht sich an die letzte Nacht zu erinnern. Etwas orientierungslos geht er zurück ins Badezimmer und duscht. Bevor er sein tägliches Ritual fortsetzt und die Kleider für den heutigen Tag auswählt, wischt er die Dusche akribisch genau aus um keine Kalkflecken auf den dunklen Fliesen in seinem Bad zu hinterlassen und hängt die nassen Handtücher über den verchromten Wandheizkörper. Anschließend geht er zurück in die Küche, nimmt die Teekugel aus dem Wasser und fügt dem Ganzen ein wenig Milch hinzu. Mit der Tasse in der Hand stolziert er zurück ins Schlafzimmer. Er öffnet eine Tür, tritt ein und stellt sich mitten in seinen begehbaren Schrank. Kritisch wirft er einen Blick auf seine Anzüge, vorbei an den Hemden, bis hin zu den Jeans. Er schnappt sich eine blaue Jeans und ein T-Shirt – beides edle Stücke von einem bekannten Designer – und zieht sich an. Socken, Schuhe und eine Sonnenbrille liegen bereits auf einer Kommode für ihn bereit. Die Sonnenbrille in den T-Shirt-Kragen gesteckt, einen Blick in die Brieftasche. Bevor er die Wohnung verlässt, stellt er die Teetasse in den Geschirrspüler in der überaus geräumigen Küche, wischt den Tisch ab um keine Abdrücke zu hinterlassen und macht fein säuberlich sein Bett. 11.45 Uhr! Ab durch die Mitte. Im Gehen schnappt er sich seine Lederjacke, die auf einem Sessel hängt, und verlässt die Wohnung.