Verwobene Geheimnisse - Mario Draxl - E-Book

Verwobene Geheimnisse E-Book

Mario Draxl

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Beschreibung

Grenzdorf – ein verschlafener Ort am Rand der Welt, voller schräger Gestalten, großer Träume und bester Pizza. Im Zentrum: Riccos „Pizzeria Olé“, Treffpunkt für Waschbären, Dachse, Papageien und Bären, die lieber über Teig als über Politik streiten – bis eines Tages eine Fremde auftaucht: eine schweigsame Katze, die wortlos hinter dem Tresen zu arbeiten beginnt. Niemand weiß, woher sie kommt. Niemand erfährt, wie sie heißt. Und doch verändert sie alles. Zunächst ist da nur ihre stille Präsenz, ihr wachsamer Blick, ihr präzises Gespür für Ordnung im Chaos. Doch dann mehren sich unheimliche Vorfälle. Geräusche in der Nacht. Ein Beben aus dem Meer. Und ein seltsames Leuchten über dem alten Baum im Grenzgebiet – dort, wo sich einst eine uralte Spinne ein Netz webte, das noch immer hält. Seit über 900 Jahren. Während die einen tuscheln, die anderen verdrängen und wieder andere Pläne schmieden, rückt etwas Dunkles näher. Etwas, das mehr ist als ein Gerücht. Was hat es mit den Käfern auf sich, die plötzlich überall auftauchen – und was verbirgt die Katze mit den stillen Augen, deren Verhalten bald niemandem mehr entgeht? Ein modernes Tiermärchen über Zusammenhalt, Trauma, Rettung und die Kraft, auch ohne Worte zu wirken. Der erste Band einer epischen Geschichte über das Grenzland – mit Humor, Tiefe, leiser Magie und Figuren, die man nicht vergisst.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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VERWOBENE GEHEIMNISSE

 

 

von Mario J. Draxl

 

BUCH 1 der Liora - Reihe

 

 

 

 

 

 

 

 

 

IMPRESSUM:

 

Texte: © Copyright by Mario J. Draxl

Umschlaggestaltung: © Copyright by Mario J. Draxl – Zeichnung, mithilfe von KI verbessert

Verlag:

Mario J. Draxl

Rosengasse 18

A 6063 Rum

[email protected]

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vorwort

 

Jede Geschichte spielt an einem Ort und in einer Zeit.

Manche an vielen Orten, zu vielen Zeiten – und manche an einem ganz bestimmten Punkt im weiten Raum zwischen Fantasie und Wirklichkeit.

Auch unsere Geschichte, die heute hier beginnt, spielt an einem Ort und in einer Zeit. Wo genau, das lässt sich schwer sagen. Es könnte eine Welt, ganz weit entfernt, sein. Oder ein erdähnlicher Planet gleich nebenan. Vielleicht ist es auch unsere eigene Welt – nur zu einer anderen Zeit. Einer Zeit, bevor Menschen lebten. Oder nachdem sie schon längst verschwunden sind.

Was wir wissen:In dieser Welt leben Tiere.Sie leben weitgehend nicht allein, nicht wild und ohne Ordnung, sondern in Gemeinschaften, in Königreichen mit Königinnen oder Königen – oder in demokratieähnlichen Verbänden mit Präsidenten und Ministerien.Sie sprechen miteinander. Und zwar in Sprachen, die von Kontinent zu Kontinent verschieden sind.Sie gehen aufrecht, tragen Kleidung, streiten, lieben, kochen und träumen.Manche leben in Städten voller Technik, andere in Dörfern mit alten Bäumen, und wieder andere tief in der unberührten Natur.Und nein – Pferde gibt es keine. Zumindest hat bisher noch niemand eines gesehen.

In diesem ersten Band erfahren wir nur einen kleinen Teil über diese Welt.Aber vielleicht ist das genug, um sich selbst ein Bild zu machen – und ein wenig zu träumen.

Herzlich willkommen im Grenzland.Möge dir die Reise Freude bereiten.

Mario J. Draxl

Einleitung

Ricco Ratte war auf dem Weg nach Hause. Ein Zuhause, das er schon seit über 20 Jahren nicht mehr gesehen hatte. Er wusste nicht, was ihn dort wirklich erwarten würde, wie sich alles verändert hatte, oder ob alles beim Gleichen geblieben war. Er hatte vor mehr als 20 Jahren sein Zuhause verlassen, um seinen Vater zu besuchen, in der Hauptstadt des Kontinents, in Miramont. Nun war er auf dem Weg nach Hause, in eine ungewisse Zukunft. Er hatte zwar nur leichtes Gepäck – einen Rucksack –, aber einen Kopf voller Pläne.

 

Als Ricco Ratte nach all den Jahren endlich die Grenze zur Heimat überschritt, führte ihn der schmale, gewundene Pfad durch sanfte Hügel, die im goldenen Licht des späten Nachmittags schimmerten. Das Gras wogte sanft im Wind, dazwischen ragten einzelne uralte Bäume, die wie stille Wächter das Grenzland überblickten. Der staubige Weg, von Regenrinnen durchzogen, führte an Feldern vorbei, die sich bis zum Horizont erstreckten, wo dunkle Scheunen und niedrige Steinhäuser in der Ferne lagen.Er trug nur einen leichten Rucksack über der Schulter, sein Gang war locker, aber zielgerichtet. Seine Kleidung war schlicht, aber gepflegt – eine bequeme, dunkelblaue Hose aus robustem Stoff, ein helles Leinenhemd mit hochgekrempelten Ärmeln und eine leichte Weste darüber. Bei seiner Arbeit, die ihn durch den halben Kontinent Albionis geführt hatte, hatte er immer strenge Kochkleidung tragen müssen, mit Schürze und Kochmütze, oft eng und hitzig in den stickigen Küchen. Nun aber genoss er die Freiheit, sich in seiner Lieblingskleidung zu bewegen – bequem, aber nicht nachlässig. Er mochte es ordentlich, aber nicht übertrieben. 

Als er das erste Mal in der Ferne „sein“ Grenzdorf erblickte, hielt er inne. Die vertrauten Häuser schienen kleiner, gedrängter als in seiner Erinnerung. Das Dorf, das einst seine ganze Welt gewesen war, wirkte nun wie ein behaglicher Fleck in einer viel größeren Welt. Die Häuser aus Holz, meist einfach gehalten, viele verwittert, manche frisch gestrichen. In den Fenstern spiegelte sich das Licht der tiefstehenden Sonne. 

Ricco dachte kurz darüber nach, wie es gewesen war, als er von zu Hause weggegangen war. Das letzte Jahr, in dem er in Grenzdorf gelebt hatte – dem Dorf, das auch "Dorf an der Grenze" genannt wurde –, hatte er bei seinem Onkel verbracht. Kurz davor war seine Mutter, die ihn allein aufgezogen hatte, plötzlich und unerwartet verstorben, als sie beim Birnenpflücken von der Leiter fiel. Sie war auf der Stelle tot gewesen, und so war es nur logisch, dass sein Onkel, ein guter Mensch, ihn zu sich nahm.

Als er aber 15 war, wollte Ricco Ratte in die Hauptstadt reisen, um seinen Vater zu besuchen – einen Vater, von dem er nichts wusste, außer dass er reich war. Er wollte sich Geld von ihm ausborgen, um sich in Grenzdorf seinen größten Wunsch zu erfüllen: ein eigenes Restaurant zu eröffnen. Ricco Ratte hatte einige Male zu Hause mit seiner Mutter gekocht und sich dabei sehr wohlgefühlt.

Doch der Besuch bei seinem Vater verlief ernüchternd….

Miramont war eine Stadt der Wunder und der Reichtümer. Das sah man überall – an den glänzenden Kutschen, den ausladenden Gärten, den breiten Alleen mit ihren Laternen und prachtvollen Villen. Und mitten darin, am höchsten Punkt des Viertels, stand das Haus seines Vaters.

Ein Palast aus dunklem Stein, mit hohen Fenstern, eisernen Toren und einem Hof, in dem sich Marmorstatuen türmten. Doch trotz des äußeren Glanzes lag ein seltsames Gefühl über dem Anwesen. Die Fensterläden waren schief, als würden sie nie richtig geschlossen oder geöffnet. Die Türen knarrten, als Ricco sie aufstieß. Der Geruch von abgestandenem Rauch und verschüttetem Wein hing in der Luft.

Dann sah er ihn.

Sein Vater saß in einem schweren Ledersessel am Kamin. Seine Kleidung war teuer, aber zerknittert. Ein dunkler Wams mit goldenen Knöpfen, die ein wenig lose hingen, ein Hemd, das früher sicher schneeweiß gewesen war, jetzt aber leicht vergilbt wirkte. Seine Pfoten waren behangen mit Ringen, seine Krallen nicht gepflegt. Eine Karaffe mit vergorenem Beerensaft – „Beerenwein“, wie sie es in Miramont nannten – stand neben ihm, halb leer.

„Ah… der ... Junge.“ Seine Stimme war träge, schleppend. Er blinzelte träge zu Ricco hinauf, als würde er nur halb begreifen, wer vor ihm stand.

Ricco unterdrückte einen Seufzer. Er hatte sich viel von dieser Begegnung erhofft. Vielleicht würde sein Vater ihn in die Arme schließen, ihm helfen, seinen Traum zu verwirklichen. Doch stattdessen schien er kaum interessiert.

„Du siehst aus wie deine Mutter“, murmelte sein Vater, nahm einen Schluck aus seinem Glas und verzog leicht das Gesicht.

Ricco holte tief Luft. „Ich will ein Restaurant eröffnen. Ich brauche deine Unterstützung.“

Sein Vater lachte – ein raues, müdes Lachen. „Ein Koch also? Ich habe drei Köche. Essen ist etwas, das man kauft, nicht etwas, das man macht.“

Riccos Kiefer mahlte.

Die Räume um ihn herum waren vollgestopft mit Prunk – kostbare Teppiche, schwere Vorhänge, goldene Kandelaber. Doch die Möbel waren staubbedeckt, das Holz hatte Kratzer. Der einstige Reichtum hatte seinen Glanz verloren, genau wie der Mann, der hier lebte.

„Ich brauche nur ein wenig Kapital. Ein Startkapital. Ich werde es dir zurückzahlen.“

Sein Vater winkte ab. „Nein. Ich gebe nichts für Träumereien aus. Wer Erfolg haben will, muss sich selbst durchschlagen.“

Ricco starrte ihn an. „Du hast dein Vermögen doch auch nicht selbst erarbeitet. Du hast es erspielt.“

Ein Schatten huschte über das Gesicht seines Vaters. Einen Moment lang wirkte er wachsam, als hätte ihn das getroffen. Dann kippte er den Rest seines Glases hinunter und lehnte sich zurück.

„Glück ist eine Gabe“, murmelte er. „Hast du sie nicht, bist du verloren.“

In den drei oder vier Tagen, die er bei seinem Vater verbrachte, wurde ihm eines klar: Sein Vater hielt nichts von ihm. Er würde ihn nicht unterstützen. Denn sein Traum, ein Koch zu werden oder ein Restaurant zu eröffnen, war in dessen Augen lächerlich. Kein einziger Golddukaten von seinem unermesslichen Vermögen war ihm Riccos Zukunft wert.

Wütend verließ Ricco seinen Vater. Nach Hause nach Grenzdorf konnte er nicht zurück – es wäre eine Blamage gewesen. Er hatte vor seiner Abreise überall stolz und laut verkündet, dass er als berühmter Koch, mit Plänen und genügend Geld für sein eigenes Restaurant heimkehren würde. Jetzt, gescheitert, konnte er nicht zurück. Also blieb ihm nur eines: vorwärtszugehen.

Ricco war noch nie in Miramont gewesen, aber er wusste, dass es die fortschrittlichste Stadt im ganzen Reich war. Früher war der ganze mittlere Kontinent Albionis ein Königreich gewesen – so wie viele andere Reiche des südlichen Kontinents, in denen die großen Katzen als Könige und Königinnen herrschten. Tiger, Löwen, Leoparden – sie alle hatten noch immer dort ihre eigenen Königreiche. Doch Albionis hatte sich verändert. Heute regierte kein König mehr, sondern ein Präsident mit Ministern, der die Stadt und das Umland verwaltete.

Es gab Fortschritte, große Fortschritte. Kaum hatte Ricco die ersten Straßen von Miramont betreten, stieß er auf eine dieser Neuerungen: das sogenannte Telefon. Tiere konnten sich damit über weite Strecken hinweg unterhalten, ohne sich zu sehen. Für Ricco, der aus einem einfachen Dorf kam, klang das wie Magie.

Auch gedruckte Zeitungen waren überall zu sehen. An den Straßenecken standen Verkäufer, die laut die neuesten Schlagzeilen riefen, während Passanten ihnen eilig Münzen zusteckten.

Die Straßen wurden von Laternen erhellt, die mit Gas betrieben wurden oder in denen Ölflammen tanzten.

Und es gab Fahrräder. Unzählige. Sie ratterten durch die Straßen, und bevor Ricco sich versah, wäre er beinahe von einem überfahren worden. Gerade noch rechtzeitig sprang er zur Seite, sein Rucksack schlenkerte gegen eine Hauswand. Der Fahrer, ein geschäftiger Igel in Weste und Kappe, rief ihm ein genervtes „Aufpassen, mein Junge!“ zu und verschwand zwischen den anderen Fahrern. Ricco schüttelte den Kopf und sammelte sich wieder. Er hatte etwas viel Wichtigeres zu tun: Den Weg aus dieser Stadt heraus, weg vom Haus seines Vaters.

Er verließ das Anwesen mit leerem Beutel, aber mit einer klaren Entscheidung: Er würde sich sein Leben selbst aufbauen. Ohne diesen Mann, ohne sein Geld.

Und Jahre später, als er zurückkehrte, um das Erbe anzutreten, war ihm eines klar: Er würde keinen einzigen Tag in diesem Haus verbringen.

Jetzt, da er auf dem Weg nach Hause war, dachte er darüber nach, welcher Weg damals noch vor ihm und jetzt hinter ihm lag.

Bei ihm in Grenzdorf war es mit dem Fortschritt noch nicht so weit gekommen, wie in Miramont. Die meisten Tiere kochten noch so, wie es ihrer Art entsprach – mit Feuer, heißem Stein oder auf eine andere Weise, die sich über Generationen bewährt hatte.

Zum Beispiel gab es in seinem Dorf eine uralte Spinne, die sich auf einem Baum eingenistet hatte und es irgendwie geschafft hatte, das Feuer so zu beherrschen, dass es nur den Teekessel erwärmte, den sie für ihren Tee brauchte. Keiner wusste genau, wie sie es machte, aber es funktionierte.

Die Gesellschaft war jedoch im Wandel. Die gebildeten Tiere, die in den Städten und Dörfern lebten, gingen aufrecht, sprachen miteinander und trugen Kleidung. Manche ließen sich in bestimmten Situationen auf alle Viere hinunter, wenn es bequemer war oder ihnen instinktiv sinnvoll erschien.

Aber dann gab es noch jene, die in der unberührten Natur lebten. Und von diesen gab es im ganzen Kontinent viele. Sie liefen auf allen Vieren, redeten nicht – oder nur wenig – und trugen keine Kleidung.

Ricco wusste wohl, dass sie sich kaum von den anderen Tieren unterschieden. Dennoch war etwas anders. Die Welt veränderte sich, und er konnte es spüren.

Und Ricco wusste, dass er Teil dieser Veränderung sein wollte. Er wollte seinen Beitrag dazu leisten, diese Veränderung so zu gestalten, dass niemand ausgegrenzt wurde. Niemand sollte allein sein. Das wusste er ganz genau.

Sein Kopf war voller Ideen, wie das gelingen könnte. Und eine dieser Ideen war sein eigenes Restaurant.

So wanderte er nun durch die Stadt Miramont, die für ihn voller Wunder war. Während er die Straßen durchquerte, hallten noch die letzten Gespräche mit seinem Vater in seinem Kopf nach – oder besser gesagt, die Streitgespräche.

Sein Vater hatte sich nie um ihn oder seine Mutter gekümmert. Er hatte sein Glück in Miramont gemacht, der Stadt der Reichtümer. Der Grund für diesen Reichtum war ein riesiger Berg, der voller Diamanten und anderer wertvoller Rohstoffe war. Deshalb waren fast alle Bürger der Stadt wohlhabend – doch sein Vater war der reichste von allen.

Nicht, weil er so fleißig gewesen war. Sondern weil er ein Spieler war. Sein gesamtes Vermögen hatte er erspielt – und dabei unfassbares Glück gehabt.

Doch das, was Ricco am meisten erschreckte, war der Zustand, in dem er ihn vorgefunden hatte: Sein Vater trank vergorenen Beerensaft, Beerenwein, wie sie es nannten. Und zwar in ziemlichen Mengen. Als Ricco ihn besuchte, war er kaum nüchtern, sprach verwaschen und schwankte.

Ricco wollte alles andere, als so zu werden wie sein Vater. Er wollte nur ein paar Dukaten, um sich ein bescheidenes Leben aufzubauen. Aber sein Vater verweigerte ihm selbst das.

Gedankenversunken verließ Ricco die Stadt.

Sein erstes Lehrjahr begann in einem bescheidenen Gasthof am Waldrand. Es war ein uriges Haus mit dunklen Holzbalken und Fensterläden, die in den warmen Sommermonaten offen standen. Der Duft von frisch gebackenem Brot, angebratenem Fleisch und würzigen Kräutern wehte durch die Luft, als Ricco zum ersten Mal eintrat.

Der Gastwirt, ein alter Borkenkäfer mit wettergegerbtem Chitin, musterte ihn skeptisch.

„Hast du Erfahrung?“ fragte er mit brummender Stimme.

Ricco schüttelte den Kopf. „Nein. Aber ich will Kochen lernen.“

Der Wirt nickte langsam. „Dann fang ganz am Anfang an. Gemüse schneiden. Zwiebeln hacken. Würzen. Salate zubereiten. Jeden Tag. Wochenlang. Erst wenn du das kannst, sehen wir weiter.“

Und so begann seine Lehrzeit. Er lernte, wie man Messer richtig hält, wie man Kräuter fein hackt, ohne sie zu zerquetschen, und wie wichtig ein gutes Timing beim Kochen war. Nach Monaten des Schnippelns und Würzens durfte er schließlich sein erstes eigenes Gericht zubereiten – eine einfache Suppe.

Die Gäste lobten den Geschmack, der Gastwirt klopfte ihm auf die Schulter. „Gar nicht schlecht, Kleiner.“

Doch Ricco wollte mehr.

 

Er zog weiter, in eine geschäftige Handelsstadt mit unzähligen Garküchen. Dort lernte er die Kunst des schnellen Kochens – wie man unter Zeitdruck arbeitet, mit nur wenigen Zutaten ein köstliches Gericht zaubert und wie man den perfekten Geschmack findet.

Hier wurde sein Instinkt für Aromen geschärft. Er probierte exotische Gewürze, lernte von wandernden Händlern neue Rezepte und entdeckte seine Liebe zu Teigwaren. Die geschickten Bäcker der Stadt zeigten ihm, wie man aus wenigen Zutaten ein luftiges, knuspriges Brot machte – eine Lektion, die ihn später auf die Pizza führen sollte.

 

Seine nächste Station war eine Fischerstadt an der Küste. Dort arbeitete er in einer Taverne, in der riesige Steinöfen prasselten. Hier lernte er, wie man den perfekten Teig herstellt, der Hitze standhält, wie man Feuer kontrolliert und wie man aus frischen Zutaten ein Gericht kreiert, das nach Meer schmeckte.

Ein alter Schildkrötenkoch zeigte ihm, wie man dünne, knusprige Fladenbrote backt – eine frühe Form von Pizza. Es war diese Erfahrung, die ihn dazu brachte, sich mit Teig, Belägen und Backzeiten intensiver auseinanderzusetzen.

 

Jahre später führte ihn seine Reise in südlichen Länder des mittleren Kontinents, wo er schließlich das Geheimnis der perfekten Pizza entdeckte. In einer kleinen, aber berühmten Pizzeria lernte er bei einem alten Waschbärenmeister die hohe Kunst der Pizza-Zubereitung.

„Pizza ist keine Mahlzeit, Ricco“, sagte der Meister. „Pizza ist eine Kunst. Es geht nicht nur um den Teig oder den Belag. Es geht um die Balance. Die Hitze. Die Luft. Das Gefühl.“

Hier perfektionierte er seine Technik: Er lernte, wie man den Teig dünn ausrollt, ohne ihn zu zerreißen. Er entdeckte, dass Tomatensauce eine Wissenschaft für sich war – nicht zu sauer, nicht zu süß. Er experimentierte mit verschiedenen Käsesorten, bis er den perfekten Geschmack fand. Er übte, den Teig zu werfen, ihn in der Luft zu drehen, um ihn gleichmäßig dünn zu bekommen. Die Menschen im Dorf beobachteten ihn fasziniert, während er die Pizza mit geschickten Händen formte und in den glühenden Steinofen schob.

Nach einer Weile bemerkte sein Meister, dass Ricco bereit war.

„Du bist nicht nur ein Koch, Ricco. Du bist ein Künstler. Es ist Zeit, dass du deinen eigenen Weg gehst.“

Mit diesem Segen und einem Kopf voller Rezepte machte sich Ricco auf den Weg zu seiner nächsten Station, um weiter an seinem Traum zu arbeiten.

 

Der Duft von geröstetem Fleisch hing noch in der Luft, als Ricco das Messer an seinem Schurz abwischte. Der Abend in der kleinen Hafenküche war ruhig gewesen, das Feuer in den Öfen gedämpft, die letzten Gäste mit zufriedenen und gefüllten Bäuchen auf dem Heimweg. Es war ein guter Ort, nicht luxuriös, aber ehrlich. Hier war er kein Herr, kein Adliger, sondern ein Koch. Und genau das wollte er sein.

Doch an diesem Abend betrat jemand die Küche, der nicht hierher gehörte. Zwei Männer in dunklen, makellosen Westen, mit harten Gesichtern und geradem Rücken.

„Ricco Ratte?“, fragte der Ältere von beiden.

Ricco spürte, wie sich sein Nacken verspannte. Er wusste sofort, wer sie geschickt hatte.

„Ja“, antwortete er kühl und wischte sich die Pfoten an einem Küchentuch ab.

Der Jüngere trat vor. „Ihr Vater wünscht Euch zu sehen.“

Ein bitteres Lächeln huschte über Riccos Gesicht. „Er wünscht mich zu sehen? Nach über zwanzig Jahren?“

Der Ältere nickte steif. „Er liegt im Sterben.“

Ricco starrte auf das Messer in seiner Hand. Jahre waren vergangen, ohne dass er auch nur einen Gedanken an seinen Vater verschwendet hatte. Und jetzt – jetzt sollte er zurückkehren?

Er seufzte tief. Dann legte er das Messer beiseite, nahm seine Tasche und verließ die Küche, ohne sich noch einmal umzusehen

 

Die beiden Männer, die ihn aufgesucht hatten, waren hartnäckig gewesen. Sie hatten drei Jahre lang nach ihm gesucht – denn Ricco hinterließ keine festen Adressen, zog von Stadt zu Stadt, arbeitete hier und da, ohne Spuren zu hinterlassen. Er schrieb keine Briefe, hielt keine Kontakte.

Doch nun stand er wieder vor dem Anwesen seines Vaters.

Miramont hatte sich kaum verändert. Die breiten Straßen, die kunstvollen Laternen, die üppigen Gärten der Reichen. Das Haus seines Vaters ragte noch immer wie ein dunkler Palast über der Stadt, ein Monument aus Stein und Gold.

Doch als Ricco durch das schwere Eisentor trat, lag eine merkwürdige Stille über dem Ort. Die Diener standen im Schatten, die Vorhänge waren zugezogen. Die Luft roch nach alten Zigarren, nach abgestandenem Wein, nach einem Leben, das längst vergangen war.

„Er ist vor zwei Tagen gestorben“, sagte der Anwalt, der ihn erwartete. Seine Stimme war sachlich, geschäftsmäßig, ohne große Emotionen.

Ricco nickte nur.

Er hatte sich nicht sicher gewesen, was er fühlen würde. Wut? Trauer? Erleichterung? Doch als er durch die riesige Eingangshalle schritt, von Gold und Prunk umgeben, spürte er nur Leere.

Der Leichnam seines Vaters war bereits fortgebracht worden. Es gab keine letzte Begegnung, keine letzten Worte. Nur dieses Haus voller Reichtum – und die Erkenntnis, dass es nichts bedeutete.

Der Anwalt führte ihn in das Arbeitszimmer seines Vaters. Ein dunkler Raum mit hohen Bücherregalen, schweren Holzmöbeln, einer Bar voller erlesener Spirituosen. Auf dem Schreibtisch lagen Pergamente – das Testament.

„Ihr Vater hat Ihnen alles hinterlassen. Es gibt keinen anderen Erben.“

Ricco ließ den Blick durch den Raum schweifen. Die Teppiche waren teuer, die Möbel edel. Doch in den Ecken lag Staub, und in den Aschenbechern ruhten halbgerauchte Zigarren. Sein Vater hatte inmitten von Reichtum gelebt – und war dabei langsam verfallen.

Ein Diener öffnete einen Tresor. Berge von Gold, glänzende Juwelen, Urkunden über Ländereien.

„Ihr Erbe, zumindest ein kleiner Teil davon“, sagte der Anwalt ruhig.

Ricco starrte auf den Reichtum vor sich. All das hatte sein Vater erspielt. Nicht durch Fleiß oder Talent – sondern durch pures Glück und rücksichtsloses Risiko.

Der Anwalt seines Vaters teilte ihm mit: Ricco war nun die reichste Ratte des Landes.

„Ihr Vater hat Ihnen alles hinterlassen. Es gibt keinen anderen Erben.“

Ricco konnte es nicht fassen. Er? Reich?

Er hatte keine Ahnung, was sein Vater alles besessen hatte. Während der Anwalt ihm eine endlose Liste an Besitztümern vorlas, hörte er kaum zu.

Schließlich fragte er nur eine einzige Frage:

„Wie viel brauche ich, um ein Restaurant zu eröffnen? Habe ich dafür genug geerbt ?“

Der Anwalt runzelte die Stirn. „Nun…“

Ein Diener ging zu dem großen Tresor. Ein kleiner Berg aus Goldmünzen wurde daraus hervor befördert. Dahinter glitzerte und glänzte noch mehr an Gold und an Edelsteinen.

Der Anwalt nickte. „Das sollte genügen.“

Ricco überlegte kurz. „Und wie viel braucht ihr, um das Haus in Schuss zu halten, die Angestellten zu bezahlen und sicherzustellen, dass ich jederzeit zurückkommen kann?“

Der Anwalt tauschte einen Blick mit den Dienern. Ein weiterer, etwas kleinerer Berg an Münzen wurde aus dem Tresor genommen.

„Das reicht für mindestens zehn Jahre.“

Ricco nickte. „Gut.“

Dann seufzte der Anwalt und lächelte leicht. „Falls Sie es nicht gelesen haben, Herr Ratte – Sie haben mir gerade die Vollmacht erteilt, Ihr Vermögen zu verwalten und zu mehren. Ich werde dafür sorgen, dass nichts verschwendet wird. Ihr Erbe wird sicher und bereit sein – jederzeit, wenn Sie zurückkehren. Durch diesen Vertrag bekomme ich einen kleinen Anteil als Gehalt, aber nur dann, wenn ich das Vermögen wirklich vermehren kann. Und Ihr könnt sicher sein, ich werde alles daran setzen, dass Euch das Geld nie ausgeht – und ich meinen Anteil bekomme !“

Ricco wusste nicht, ob es ihn beruhigen sollte oder nicht.

Doch eines wusste er: Jetzt konnte er nach Hause gehen.

Mit einem leichten Rucksack voller Habseligkeiten, einem schweren Beutel voller Münzen und einem Kopf voller Ideen machte er sich auf den Weg.

Zurück nach Grenzdorf. Dann legte er die Hände auf den Tisch, sah dem Anwalt fest in die Augen und sagte:

„Gut. Dann gehört mir das alles. Aber ich werde nicht hier wohnen.“

Und mit einem Beutel voller Gold und einem Kopf voller neuer Pläne verließ Ricco das Haus seines Vaters – für immer, wie er dachte.

 

Ricco Ratte kehrt zurück

Als Ricco nach all den Jahren endlich die Grenze zur Heimat überschritt, hatte er einen Kloß im Hals. Die vertrauten Hügel, die engen Wege zwischen den Feldern, der Fluss, der das Dorf teilte – all das war noch da. Aber war es wirklich noch sein Zuhause?

Das Dorf schien ihm kleiner als in seiner Erinnerung. Damals, als Junge, hatte es wie die ganze Welt gewirkt. Nun wirkte es eher wie ein gemütlicher Fleck in einer viel größeren Landschaft.

Er ließ den Blick über die Häuser gleiten. Hier und da sah er vertraute Gesichter, aber sie hatten sich verändert. Falten, graues Fell, langsamere Bewegungen. Und dann gab es die Jüngeren – Gesichter, die er noch nie gesehen hatte.

Die ersten Blicke der Dorfbewohner trafen ihn. Einige blieben neugierig stehen. Manche runzelten die Stirn, versuchten sich zu erinnern.

„Ricco?“ rief schließlich eine Stimme.

Er drehte sich um.

Frau Dachs, die alte Bäckerin, stand mit einem Laib Brot in den Pfoten vor ihrem Laden. Ihre schwarzen Knopfaugen wurden groß.

„Das gibt’s doch nicht! Ricco Ratte! Bist du’s wirklich?“

Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Ja, Frau Dachs. Ich bin’s.“

Sofort eilte sie näher. „Junge, du bist ja erwachsen geworden! Mein Gott, wie lange ist das her?“

„Sehr lange.“

„Dein Onkel – Gott hab ihn selig – hat noch jahrelang von dir gesprochen. Er hat immer gesagt: ‚Mein Neffe kommt zurück, wenn er bereit ist.‘“

Ricco senkte den Blick. Sein Onkel war also nicht mehr da.

„Wie lange …?“

„Drei Jahre“, sagte sie sanft. „Er hat immer gehofft, dich noch mal zu sehen.“

Ricco nickte langsam.

Das tat weh. Er hätte sich gewünscht, dass sein Onkel ihn noch einmal empfangen hätte. Aber das Leben hatte andere Pläne gehabt.

„Also … was führt dich zurück?“ fragte Frau Dachs schließlich.

Da hellte sich Riccos Blick auf.

„Ich werde hier bleiben. Ich werde etwas aufbauen.“

„Oh?“

Er nickte und ließ den Blick über den leeren Bauplatz am Rande des Dorfes schweifen.

Das hier würde der Ort sein, an dem sein Traum wahr wurde.

 

Ricco stand mit verschränkten Armen auf seinem Grundstück. Ein leeres Stück Land, mit ein paar Sträuchern und alten Steinen, an dem er sich sein Restaurant vorstellen konnte.Er wusste genau, wie es aussehen sollte – nicht nur eine einfache Pizzeria, sondern ein einladender Ort, an dem sich jeder willkommen fühlt.

Er begann, den Boden auszumessen. Drei große Rundbauten sollten das Herzstück bilden – einer für die Öfen, einer für die Gäste und einer für die Vorräte und die Küche.

Doch die Dorfbewohner beobachteten ihn skeptisch.

„Er ist gerade erst angekommen und buddelt schon wie ein Wahnsinniger“, murmelte ein alter Maulwurf.„Vielleicht baut er sich ein eigenes Mauseloch?“ lachte jemand.

Aber Ricco ließ sich nicht beirren.

Der erste Bauabschnitt: Fundament und Mauern

Mit einem kleinen Team begann er, den Boden zu ebnen. Die Mäusedrillinge halfen, indem sie eine präzise Karte des Geländes zeichneten.

„Hier müssen die Wände hin!“ rief einer.„Und da die Eingänge!“ ergänzte der zweite.„Und vergiss nicht die Fenster, sonst wird’s stickig!“ meinte der dritte.

Währenddessen schleppten die Bären Schwersteine für die Fundamente, die Otter holten Kiesel und Sand aus dem Fluss, und die Vögel überwachten von oben den Fortschritt.

Stein für Stein wuchsen die Mauern in die Höhe. Ricco achtete darauf, dass das Gebäude nicht nur stabil, sondern auch gemütlich wurde. Kein kalter Steinbau, sondern mit warmen Holzbalken, Fenstern mit buntem Glas und einem großen Gemeinschaftstisch in der Mitte des Gastraums.

Die Öfen – Das Herzstück der Pizzeria

Nach einigen Tagen standen die drei gewaltigen Öfen. Sie ragten wie uralte Bauwerke aus dem Boden, gewölbt und mit Schamottsteinen ausgekleidet, um die Wärme perfekt zu halten.

Als er das erste Feuer entfachte, stand eine kleine Gruppe Tiere um ihn herum und beobachtete skeptisch, wie sich das Holz entzündete.

„Was soll das sein?“ fragte ein Fuchs.„Ein Ofen,“ antwortete Ricco stolz.„Das ist aber ein riesiger Ofen … für was braucht man so was?“

Ricco grinste. „Für das Beste, was ihr je essen werdet.“

Das Interieur – Gemütlichkeit trifft auf Funktionalität

Mit den Wänden und Öfen fertig, begann der nächste Schritt: die Einrichtung.

Die Tische und Stühle wurden von den Bären gezimmert, aus schwerem Holz, das eine Ewigkeit halten würde. Die Mäuse flochten Weidenkörbe für Brot und Kräuter, während die Waschbären die Regale für Mehl, Öl und Gewürze bauten. Frau Dachs spendete eine alte Kupferklingel, die nun über der Tür hing und jedes Mal fröhlich bimmelte, wenn jemand eintrat.

An der Decke hingen getrocknete Kräutersträuße, und ein großer Steinbogen trennte die Küche vom Gastraum. Ricco hatte an alles gedacht.

Das große Problem – Wasser und Licht

Doch es gab ein Problem: Das Wasser musste herangeschafft werden.Das Dorf hatte zwar einen Brunnen, aber es war mühsam, ständig Wasser zu holen. Also ließen die Otter mit ihrer Erfahrung ein einfaches Leitungssystem aus Bambusrohren bauen, das das Wasser direkt in die Küche führte.

Auch die Beleuchtung war eine Herausforderung. Ricco entschied sich für eine Kombination aus Öllampen und Kerzen, die ein warmes, einladendes Licht verbreiteten.

Der letzte Schliff – Die große Eröffnung

Ricco hatte keine große Ankündigung gemacht. Kein Schild, keine Werbung, keine laute Einladung.Er hatte einfach das Feuer entfacht und den Duft von frisch gebackenem Teig durch das Dorf ziehen lassen.

Und das genügte.

Schon bald standen die ersten Tiere neugierig vor seinem Lokal – zuerst zögernd, dann immer mutiger.

„Was riecht denn hier so gut?“ fragte ein Fuchs, der zufällig vorbeikam.„Komm rein und probier es aus,“ sagte Ricco mit einem Lächeln.

Es dauerte nicht lange, bis alle Plätze belegt waren.Die ersten Pizzen kamen aus dem Ofen, und als der alte Maulwurf nach dem ersten Bissen sagte:„Nicht schlecht … vielleicht bleib ich doch ein paar Jahre länger im Dorf, wenn es hier so was gibt.“Da wusste Ricco: Er hatte es geschafft.

Und sogar General Wuff ließ sich blicken – nicht, weil er Hunger hatte, sondern weil er wissen wollte, was für eine neue „Strategie“ da im Dorf gefahren wurde.

Der Teig war knusprig, der Käse zog sich in langen Fäden, der Belag duftete nach frischen Kräutern. Ein Biss – und es war um die Gäste geschehen.

„Ricco … ich wusste nicht, dass Essen SO schmecken kann!“ staunte Frau Dachs.

„Das ist ja wie … wie … ein Stück Himmel auf der Zunge!“ rief eine junge Maus begeistert.

Ricco grinste. Es war ein Erfolg.

Er wusste, dass er hier richtig war. Dass er genau das tat, was er immer wollte.

 

Die Tische waren leer. Die Teller waren gespült. Das Feuer in den Öfen glühte nur noch sanft nach.

Ricco stand vor seinem Restaurant und ließ den Blick über das Dorf schweifen.

Es war still.

Nur das Zirpen der Grillen und das leise Rauschen des Windes begleiteten ihn.

Er atmete tief durch.

Er hatte es geschafft.

Nach all den Jahren, nach all den Rückschlägen und Umwegen – hier war er nun. In seinem eigenen Restaurant.

Er sah noch einmal über die Straße.

Für einen Moment hatte er das Gefühl, dass jemand dort gestanden hatte – eine Silhouette im Schatten der Nacht.

Doch als er blinzelte, war da nichts mehr.

Er schüttelte den Kopf und lächelte über sich selbst. Vielleicht war er einfach müde.

Er wusste nicht, dass ihn tatsächlich jemand beobachtet hatte.

Aber diese Geschichte würde erst viel später erzählt werden.

 

Elmar und der erste Pizza-Lieferdienst

Ricco liebte die frühen Morgenstunden.

Noch bevor die Sonne richtig über das Dorf stieg, machte er sich auf den Weg zum Markt. Er hatte ein spezielles Fahrrad mit einem großen Korb vorne, in das er frisches Gemüse, Obst und andere Waren packte.

Er radelte über die Pflastersteine, nickte den Marktfrauen zu, feilschte geschickt um die besten Zutaten.

Es war ein Ritual. Eines, das ihn daran erinnerte, warum er überhaupt zurückgekehrt war.

Doch an diesem Morgen kam ein Anruf.

Frau Dachs.

„Ricco, mein Junge… ich wollte heute in die Pizzeria kommen, aber ich kann nicht.“

„Was ist los?“

„Ach, ich habe mir den Fuß verstaucht. Ich wollte ja nur kurz Holz holen, aber nun liege ich hier mit einer dicken Pfote und komme nicht raus.“

Ricco dachte kurz nach. Dann sagte er: „Kein Problem. Ich bring dir was.“

Er packte eine frische Pizza in den Korb seines Fahrrads und radelte los.

Die zündende Idee

Als Ricco zurückkam, sah er Elmar den alten Briefträger, der mürrisch vor der Pizzeria stand und an einem Kaffee nippte.

„Morgen, Elmar!“ rief Ricco.

Der alte Esel hob eine Augenbraue. „Du machst jetzt auch Hausbesuche, oder was?“

Ricco lachte. „Frau Dachs kann nicht laufen. Was hätte ich tun sollen?“

Elmar brummte zustimmend.

Da machte es klick in Riccos Kopf.

„Sag mal, Elmar… du kennst doch jede Straße hier, oder?“

„Ha! Jede Straße, jedes Haus, jeden Hund und jede Maus!“

„Und du fährst noch immer gern Rad?“

Elmar schnaubte. „Junge, ich bin pensionierter Briefträger. Ich bin mein Leben lang geradelt. Meine Beine kennen gar nichts anderes!“

Ricco grinste. „Wie wär’s, wenn du für mich Pizzas ausfährst? Zwei Stunden am Abend. Nichts Großes.“

Elmar nahm einen Schluck Kaffee und dachte nach.

Er war zwar in Pension, aber seine Münzen reichten kaum für ein gutes Leben. Und zwei Stunden am Abend? Das klang machbar.

„Was zahlst du?“

Ricco zuckte mit den Schultern und nannte eine Summe, die ihm gerade einfiel. Elmar riss die Augen auf, das war mehr als er als Postbote im ganzen Monat verdient hatte. Und jetzt: für zwei Stunden am Tags. Elmar tat so, als überlegte er lange. Dann brummte er: „Abgemacht.“

 

Als Elmar nach der ersten Auslieferung zurückkam, sah er Ricco über einen Zettel gebeugt.

Ein Stück Pergament, auf dem mit krakeliger Schrift stand:

✦ RICCOS PIZZEN – JETZ AUCH ZU DIER NACH HUSE! ✦„Fals du Hungr hast und nicht komen kannst, bringt Elmar die Pizza! Einfach Ricco sagen! Das kostet nur ein paar extra Münzen, und die Pizzer ist bald da.“

Elmar legte die Ohren an. „Ricco… du kannst verdammt gut kochen. Aber schreiben ist nicht deine Stärke.“

„Hmpf.“ Ricco verschränkte die Arme.

„Lass mich mal machen.“ Elmar nahm einen frischen Zettel, holte eine Feder und begann:

RICCOS PIZZA-LIEFERSERVICE! Frisch. Schnell. Direkt zu dir nach Hause! Unser Bote Elmar bringt dir deine Lieblingspizza – heiß & lecker! Einfach in der Pizzeria anrufen und bestellen!

 

Dann kopierte er die Zettel – mit Hilfe der Mäuse-Drillinge, die begeistert halfen, sie zu vervielfältigen.

Am nächsten Morgen hatte jede Haustür und jeder Briefkasten im Dorf einen Reklamezettel.

Und noch am selben Abend ging die erste richtige Lieferung raus.

 

Ein paar Tage später trat Elmar, der Esel, kräftig in die Pedale. Seine langen Ohren wippten im Takt, während er schnaufend durch das Dorf strampelte. Der Drahtesel unter ihm knarrte bei jedem Hügel – so alt wie sein Besitzer, aber mindestens genauso zäh.

Heute war sein Geburtstag. Doch statt es sich in seinem kleinen Stall gemütlich zu machen, lieferte er Pizzen aus, um seine Pension aufzubessern. „Wer rastet, der rostet“, brummelte er leise, auch wenn sein linkes Knie schon bedenklich quietschte.

In seiner Pizzabox lag eine besonders große Rucola-Pizza, deren Duft ihm ständig in die empfindliche Eselnase stieg. Er schielte immer wieder zur Box hinüber, als würde die Pizza heimlich größer werden.

„Bestimmt für jemanden ganz Besonderen“, murmelte er und trat noch kräftiger in die Pedale. Die Pizza ließ ihn nicht los. Groß, saftig, voller frischem Rucola – und sein Magen knurrte unüberhörbar.

Doch als er nach und nach alle Pizzen auslieferte, stutzte er. Kein Adressaufkleber auf der Rucola-Pizza. Vielleicht war der Zettel abgefallen? Vielleicht ein Versehen? Er dachte kurz daran, in der Pizzeria anzurufen, aber… Gespräche, noch dazu am Telefon? Lieber nicht.

 

Sein letzter Kunde wartete schon: General Wuff – ein alter, ehrwürdiger Schäferhund, der noch genauso steif stand wie in seinen besten Tagen. Sein Haus thronte auf einer Klippe, als würde er dort das Meer bewachen.

Elmar klopfte vorsichtig an die massive Holztür. Keine Sekunde später wurde sie mit einem kräftigen Schwung aufgerissen. Der General stand da, makellos in seiner Uniform, die Medaillen glänzten, der buschige Schnurrbart bewegte sich kaum, als er sagte:

„Ah! Der Pizzajunge! Pünktlich wie ein Uhrwerk!“

Er nahm seine Pizza entgegen, drückte Elmar ein paar glänzende Münzen in die Hufe und war schon wieder verschwunden. Die Tür fiel hinter ihm zu wie ein Schlagabtausch im Schützengraben.

Elmar blinzelte. Das war’s für heute. Er war frei.

Oder doch nicht?

Denn die Rucola-Pizza blieb.

Ein seltsames Geschenk?

Er setzte sich auf einen Felsen, ließ die Beine baumeln und blickte hinaus auf das dunkle Meer. Die Wellen schlugen träge gegen die Klippen, als würden sie sich nicht entscheiden können, ob sie angreifen oder davonrollen sollten.

Sein Magen knurrte erneut. Vielleicht war es ein Versehen? Oder… vielleicht ein Geburtstagsgeschenk?

Er lächelte. Die Vorstellung gefiel ihm. Er klappte den Deckel hoch, sog den warmen Duft ein und nahm genüsslich den ersten Bissen. Der Teig war perfekt, der Rucola würzig. Er schloss die Augen. Herrlich.

Bis ein scharfes Wuff! hinter ihm ertönte.

Elmar erstarrte.

Langsam drehte er sich um – und da stand er: General Wuff, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, sein Uniformrock im Wind wehend, der Schnurrbart so steif wie sein Blick.

„Soldat! Was tun Sie da mit meiner Rucola-Pizza?“

Elmar schluckte – im wahrsten Sinne des Wortes. „Äh… also… es war kein Adressaufkleber… ich dachte…“

Der General trat näher. Sein Blick streng, aber funkelnd vor etwas, das Elmar nicht ganz deuten konnte. Schließlich zog er wortlos ein altmodisches Telefon aus seiner Jackentasche. Messingfarben, mit einer Kurbel.

„Rufen Sie an.“

Elmar seufzte. Er war der geborene Befehlsempfänger. Mit zittrigen Hufen drehte er die Nummer. Erwartete Tadel. Doch statt dessen…

Ein fröhliches Happy Birthday sang ihm aus dem Hörer entgegen.

Er riss die Augen auf. „Was…?“

Überraschung!

Der General grinste breit, was sein Gesicht nur noch kantiger wirken ließ, und schob wortlos die Tür zu seiner Veranda auf.

Dort stand ein Tisch. Gedeckt für zwei. Die Teller blitzten im Schein der untergehenden Sonne, und aus einer Kanne dampfte Tee.

„Ein Soldat sollte seinen Geburtstag nicht allein verbringen“, sagte Wuff knapp.

Und das war’s. Kein langes Gerede, kein sentimentaler Schnickschnack. Nur diese eine Geste.

Sie setzten sich. Aßen schweigend. Doch es war kein unangenehmes Schweigen – eher das von Kriegern, die sich nicht viele Worte machen mussten.

Die Pizza schmeckte besser, als sie je geschmeckt hatte. Und als Elmar nach dem dritten Stück fragte: „Warum?“, antwortete der General nur: „Kameradschaft, mein Junge. Ich habe gelernt, sie nie zu unterschätzen.“

Das war der Anfang einer tiefen Freundschaft.

So könnte der Abend enden – zwei alte Seelen, die den Blick aufs Meer richteten, auf die dunklen Wellen, die in der Ferne rauschten. Keine großen Worte, kein Tamtam.

 

Aber dann blieb Elmars Blick plötzlich an einer seltsamen Konstruktion hängen, die auf einem hölzernen Ständer am Rand der Terrasse stand. "Was ist das für eine merkwürdige Skulptur?" fragte er neugierig. General Wuff schmunzelte und klopfte mit der Pranke auf das Gerät. "Das, mein lieber Freund, ist kein Kunstwerk, sondern mein Sehglas. Und es ist mehr als nur ein einfaches Fernrohr. Es kann sich in alle Richtungen drehen. Willst du es einmal ausprobieren?"

Neugierig trat Elmar näher, legte das Auge an das Glas und rief überrascht aus: "Ich sehe alles viel näher! Das ist ja unglaublich! Woher hast du so etwas?"

General Wuff lehnte sich zurück, verschränkte die Pranken hinter dem Kopf und begann mit rauer Stimme zu erzählen: "Das ist eine lange Geschichte, mein Freund. Es war zu einer Zeit, als ich noch Admiral zur See war. Wir segelten mit einer Mannschaft von fünfundzwanzig Matrosen und zwei Offizieren durch unbekannte Gewässer.

---ENDE DER LESEPROBE---