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Smart, sexy, spannend – nach »Bad Summer People« der neue Beach Read der SPIEGEL-Bestsellerautorin Emma Rosenblum
Einmal im Jahr lädt das trendige Tech-Start-Up Aurora seine Top-Führungskräfte in ein luxuriöses Fünf-Sterne-Resort nach Miami Beach. Mit Jetski-Rennen als Teambuilding-Maßnahme, exklusivem Dinner beim Nobel-Japaner und Champagner-Cocktail-Party. Dieses Jahr neu dabei: Caitlin Levy, die gerade von Auroras exzentrischem Gründer John Shiller abgeworben und als Head of Events eingestellt wurde. Denn sind wir mal ehrlich: Wer kann zu einem sechsstelligen Jahresgehalt, plus Aktienpaket und einem geradezu unverschämten Bonus schon Nein sagen?
Als Caitlin ihre neuen Kollegen kennenlernt, stellt sie schnell fest, dass bei Aurora nicht alles Gold ist, was glänzt. Hinter den Kulissen gibt es Spannungen, Konflikte, Affären – und die Aussicht auf Millionen beim bevorstehenden und absolut geheimen Verkauf des Unternehmens. Als nach der ersten Nacht eine Kollegin verschwindet, bedroht das den Deal – und darf deshalb auf keinen Fall an die Öffentlichkeit geraten.
Sie alle wollen ihren Anteil. Sie alle haben ein Geheimnis. Sie können einander nicht trauen, und das wissen sie genau. Doch sie haben nicht damit gerechnet, dass unter ihnen ein Mörder ist …
Ein Roman wie ein Sprung in einen glitzernden kühlen Pool an einem heißen Sommertag.
»Juicy und voller bissigem Humor.« Glamour
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 440
Veröffentlichungsjahr: 2025
Smart, sexy, spannend – nach »Bad Summer People« der neue Beach Read der SPIEGEL-Bestsellerautorin Emma Rosenblum
Einmal im Jahr lädt das trendige Tech-Start-up Aurora seine Top-Führungskräfte in ein luxuriöses Fünf-Sterne-Resort nach Miami Beach. Mit Jetski-Rennen als Teambuilding-Maßnahme, exklusivem Dinner beim Nobel-Japaner und Champagner-Cocktail-Party. Dieses Jahr neu dabei: Caitlin Levy, die gerade von Auroras exzentrischem Gründer John Shiller abgeworben und als Head of Events eingestellt wurde. Denn sind wir mal ehrlich: Wer kann zu einem sechsstelligen Jahresgehalt plus Aktienpaket und einem geradezu unverschämten Bonus schon Nein sagen?
Als Caitlin ihre neuen Kollegen kennenlernt, stellt sie schnell fest, dass bei Aurora nicht alles Gold ist, was glänzt. Hinter den Kulissen gibt es Spannungen, Konflikte, Affären – und die Aussicht auf Millionen beim bevorstehenden und absolut geheimen Verkauf des Unternehmens. Als nach der ersten Nacht eine Kollegin verschwindet, bedroht das den Deal – und darf deshalb auf keinen Fall an die Öffentlichkeit geraten.
Sie alle wollen ihren Anteil. Sie alle haben ein Geheimnis. Sie können einander nicht trauen, und das wissen sie genau. Doch sie haben nicht damit gerechnet, dass unter ihnen ein Mörder ist …
Ein Roman wie ein Sprung in einen glitzernden kühlen Pool an einem heißen Sommertag – mit exklusivem Farbschnitt in limitierter Erstauflage
Emma Rosenblum begann ihre Karriere beim New York Magazine. Nach Stationen bei Bloomberg Businessweek und Glamour wurde sie schließlich Chefredakteurin bei ELLE. Für eine große New Yorker Digitalmedien-Gruppe entwickelt sie heute Content-Strategien. Mit ihrem Mann und den beiden gemeinsamen Söhnen lebt Emma Rosenblum in New York City. Ihr erster Roman »Bad Summer People« wurde auf Anhieb ein internationaler Bestseller und schaffte es in die Top Ten der SPIEGEL-Bestsellerliste. Mit »Very Bad Company« legt sie eine zweite unwiderstehlich spannende Sommerlektüre vor. Ihre Romane sind der perfekte Beach Read und machen süchtig wie ein sommerlicher Cocktail, von dem man nicht genug bekommen kann.
»Ein Beach Read mit Biss.« Publishers Weekly
»Gleichermaßen dekadent wie unterhaltsam.« Kirkus
»Der neue Roman von Emma Rosenblum ist juicy und voller bissigem Humor.« Glamour
www.cbertelsmann.de
EMMAROSENBLUM
VERY
BAD
COMPANY
EIN LUXUSHOTEL, ZEHN GÄSTE, ZEHN GEHEIMNISSE. EINS DAVON TÖDLICH
ROMAN
Aus dem Englischen von Carolin Müller
Die Originalausgabe erschien 2024
unter dem Titel Very Bad Company
bei Flatiron Books, New York.
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Copyright © der Originalausgabe by Emma Rosenblum 2024
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2025
C. Bertelsmann in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)
Redaktion: Annika Krummacher
Umschlaggestaltung: Favoritbuero
nach einem Entwurf von Grace Han
Umschlagmotiv: (c) Getty Images
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN 978-3-641-32681-4V001
www.cbertelsmann.de
Für alle, die schon mal einen durchgeknallten Chef hatten, sich außen vor gefühlt haben oder einen Arbeitskollegen oder eine Arbeitskollegin heiraten (oder umbringen) wollten
Auroras alljährliches Führungskräfte-Retreat
Dienstag, 23. April – Freitag, 26. April
Location:
1 Hotel, Miami Beach
Teilnehmer
John Shiller, Chief Executive Officer
Dallas Joy, Chief Technology Officer
Zach Wagner, Chief Revenue Officer
Martin Ito, Chief Information Officer
Debrah Foley, Chief People Officer
Nikki Lane, Executive Vice President, Engineering
Olive Green, Director of Communications
Caitlin Levy, Head of Events
Jessica Radum, Head of Partnerships
Organisation:
Madison Bez, Assistentin von John Shiller
Ablaufplan:
Dienstag, 23. April
Ankunft am Morgen, Check-in im HotelWahlweise Gesichtsbehandlung oder Massage im hotel-eigenen Bamford Wellness SpaMittagessen und Nachmittag zur freien Verfügung, Erkundung des Hotels, Entspannung am Strand oder am Pool18:00 Uhr: Kick-off-Drinks im Watr auf der Dachterrasse des Hotels20:00 Uhr: Abendessen im ZZ’s, Miami Design DistrictAfterparty im LIV Nightclub des Fontainebleau Hotels mit einem Specialauftritt von ANZMittwoch, 24. April
9:00 Uhr: Frühstück im Habitat, Lobby-Ebene des Hotels10:00 – 12:00 Uhr: »State of Your Business«-Präsentationen, Business-Konferenzraum im 2. Stock des Hotels13:00 Uhr: Mittagessen im Lucali in Sunset Harbor15:00 – 17:00 Uhr: Jetskiing auf dem Lake Pancoast19:00 Uhr: Abendessen im Carbone in der Collins Avenue, South of FifthDonnerstag, 25. April
9:00 Uhr: Frühstück im Pinthouse, Lobby-Bereich des Hotels10:00 – 12:00 Uhr: Move your Body beim Aurorathon! Flamingo Park (bitte in Sportbekleidung kommen)Mittagessen nach Belieben15:00 – 17:00 Uhr: »Aurora and Beyond: Denkanstöße«, Konferenzraum des Hotels, 2. Stock19:00 Uhr: Abendessen im Stubborn Seed in der Washington AvenueFreitag, 26. April
Vormittag zur freien Verfügung10:00 Uhr: Parasailing am Strand13:00 Uhr: Abschiedsessen im Surf Club, Four Seasons HotelAbreiseProlog
Wenn du durch die Hölle gehst, geh weiter.
Winston Churchill
John Shiller hatte keineswegs gewollt, dass jemand stirbt. Er war in Palo Alto aufgewachsen, nicht gerade eine Hochburg, was Morde angeht. Sein Vater Erik hatte schon früh in der Tech-Szene mitgemischt und sich im Dunstkreis von Legenden wie Bill und Paul und Steve und Steve bewegt, ohne es je ganz in den Olymp geschafft zu haben. Er war ein Mann fürs operative Geschäft und half den jungen Genies dabei, ihr Business zu optimieren. John wuchs in einem schönen Haus auf, besuchte die Menlo School, eine schicke Privatschule, und bekam zu seinem sechzehnten Geburtstag einen Jeep Grand Cherokee.
Aber seinen Vater quälte der übergroße Erfolg der anderen, der Gedanke an die Milliarden, die er selbst nie verdient hatte. John sah ihn häufig im Gras des gepflegten Gartens sitzen, mit einem Bier in der Hand, gequält von der Vorstellung, nicht reich genug zu sein. »Ich hätte selbst eine Firma gründen sollen«, hatte John seinen Vater bestimmt eine Million Mal sagen hören. »Keine Ahnung, warum ich es nicht getan habe.«
Schon früh in seinem Leben hatte sich John geschworen, anders zu werden als sein Vater. Er würde einer jener Auserwählten sein. Einer der Steves und Bills. Zwar war er kein brillanter Engineer, aber er verstand den Markt und die Menschen, und er durchschaute früh, dass es bei jedem Unternehmen, egal welcher Art, vor allem darum ging, sich erfolgreich an ein Publikum zu verkaufen, seien es Kunden, Investoren oder ein Treuhänderausschuss. Und das konnte er.
Doch nun brach alles über ihm zusammen, Stück für Stück. Er war mit einem solchen Hochgefühl in diese Woche gestartet und hatte sich darauf gefreut, im Wall Street Journal dafür gewürdigt zu werden, eines der profitabelsten geschäftlichen Manöver der Geschichte vollzogen zu haben. Stattdessen saß er nun neben seiner Assistentin Madison Bez in einem Uber und war auf dem Weg in die Rechtsmedizin, um eine Leiche zu identifizieren. Die Zugbrücke der Venetian Causeway East Bridge war hochgeklappt – irgendein Wichtigtuer in einer Megajacht, der mitten in der Nacht hier durchschippern musste –, wodurch John mehr Zeit hatte, darüber nachzudenken, wie er überhaupt in diesen Schlamassel hineingeraten war.
Alles, wofür er so hart gearbeitet hatte, alles, was er erreicht hatte, wäre ihm um ein Haar entrissen worden, und zwar von seinen eigenen Leuten. Er hatte sich um seine Teammitglieder gekümmert, sie ins Herz geschlossen, ihnen so viel gegeben. Geld! Aktienbeteiligungen! Die Möglichkeit, an der Seite von John Shiller zu arbeiten! Nur um von ihnen verraten zu werden, von jedem einzelnen.
Sein großes Vorbild Winston Churchill hatte einmal gesagt: »Wenn du durch die Hölle gehst, geh weiter.« Und John wollte weitergehen. Er würde nicht so werden wie sein Vater, sondern kämpfen und gewinnen, koste es, was es wolle.
Endlich schloss sich die Zugbrücke, und das Auto setzte sich wieder in Bewegung. Die Biscayne Bay glitzerte im Mondlicht, als John auf das Institut für Rechtsmedizin zusteuerte.
Artikel auf TechRadar.com
Montag, 22. April, 10:32 Uhr
Aurora erweitert Führungsriege
Von Kaya Bircham
Das AdTech-Start-up Aurora erweitert sein Führungsteam, wie TechRadar exklusiv erfahren hat. Der Tech-Branchen-Liebling hat Caitlin Levy als neue Head of Events eingestellt und sie dazu von einem wichtigen Posten bei Viacom abgeworben. Der Schritt markiert einen Strategiewechsel für Aurora und wirft eine offensichtliche Frage auf: Was hat ein AdTech-Unternehmen, das keine Events veranstaltet, mit einem Head of Events vor?
»Wir freuen uns, Caitlin Levy an Bord zu haben, und können es kaum erwarten, zu sehen, was sie in ihrer neuen Rolle bewegt«, so Aurora-Sprecherin Olive Green per E-Mail.
John Shiller, der gewiefte CEO von Aurora, hat mit Sicherheit etwas in petto. Über alle weiteren Entwicklungen hält TechRadar.com Sie auf dem Laufenden.
Teil 1
Dienstag, 23. April
Unsere Sternstunde
Caitlin Levy
Caitlin Levy hasste Turbulenzen. Sie hasste es auch, in der Economyclass zu reisen. Doch nun war sie unterwegs nach Miami auf ihrer ersten Geschäftsreise als Head of Events für Aurora, eingeklemmt in der hintersten Reihe des Flugzeugs, und wurde so heftig durchgeschüttelt, dass ihre goldenen Armreifen klirrten. Sie hatte das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen, aber das Anschnalllicht leuchtete, und sie saß zwischen einem großen Mann mit behaarten Unterarmen und einem Jugendlichen, der selig vor sich hin schnarchte.
Das hatte rein gar nichts mit dem schicken Managerleben zu tun, das sie sich vorgestellt hatte, als sie vor zwei Wochen ihren Vertrag mit Aurora unterzeichnet hatte, aber sie hatte den Flug zu spät gebucht, und die Businessclass war bereits voll gewesen. Beim Einsteigen war sie an ihren neuen Kollegen vorbeigelaufen, die mit Kopfhörern im Ohr und aufgeklappten Laptops bereits auf ihren Plätzen saßen und am Champagner nippten. Sie war erleichtert darüber, dass keiner von ihnen auch nur in ihre Richtung geschaut hatte – für peinliche Kennenlerngespräche war bei der Ankunft im Hotel noch genug Zeit.
Der Grund für Caitlins Reise nach Florida war das alljährliche Führungskräfte-Retreat für die Topmitarbeiter des Unternehmens. Als Caitlin ihr Angebot über DocuSign angenommen hatte, hatte John Shiller, der exzentrische CEO von Aurora, mit einem knappen Einzeiler geantwortet: Gerade noch rechtzeitig für Miami! Weder Herzlichen Glückwunsch noch Willkommen im Team oder Wir können es kaum erwarten, dass Sie bei uns anfangen! Das Retreat war offenbar ein wichtiges Ereignis, und so hatte Caitlin eingewilligt mitzufahren, obwohl sie ihren neuen Posten noch gar nicht offiziell angetreten hatte. Eigentlich hätte sie jetzt eine kleine Auszeit zwischen zwei Jobs gehabt, und ihr Mann Mike hatte sich beschwert, weil er vier Nächte lang mit den Kindern allein war, damit sie an »irgendwelchen bescheuerten Teambuilding-Übungen teilnehmen und sich mit ihren neuen Kollegen besaufen« konnte, wie er es abfällig nannte, aber da konnte er nicht auf Caitlins Mitleid zählen. Ihr Sohn Joey hatte sogar gefragt, ob Daddy »babysitten« würde, während Caitlin weg war.
»Dein Vater ist dein Vater und kein Babysitter«, hatte sie gesagt – laut genug, dass auch Mike es im Nebenzimmer hören konnte. Obwohl sie beide fordernde Jobs hatten, übernahm Caitlin, wie die meisten berufstätigen Frauen, die sie kannte, den Mental Load der Familie. Sie organisierte alles rund um Schule und Sportverein, und außerdem alle Arzttermine und Playdates. Sie blieb zu Hause, wenn die Kinder krank waren. Sie verschob Meetings, wenn eines von ihnen sie brauchte. Zwar brachte sich Mike auf eine Weise ins Familienleben ein, wie es Caitlins eigener Vater nie getan hatte. Er wechselte Windeln und las den Kindern Gutenachtgeschichten vor, doch obwohl Caitlin und er ungefähr gleich viel verdienten, hatte sein Job Vorrang. Immer.
Als das Flugzeug von weiteren Turbulenzen durchgeschüttelt wurde, klammerte sich Caitlin ängstlich an den Sitz. Das kannte sie gar nicht von sich. Sie war vierzig und sehr erfolgreich. Letztes Jahr hatte sie es sogar in die Liste der »40 under 40« des Business Magazins Crain geschafft, wenn auch ganz knapp. Seit fast zwanzig Jahren organisierte sie Events und Veranstaltungen für große Unternehmen. Sie war ausgesprochen wettbewerbsorientiert, und bei den Leuten, mit denen sie zusammenarbeitete, galt sie als »verbissen«. Einmal schrieb eine Assistentin versehentlich in einen Chat, in dem auch Caitlin war: Caitlin sollte echt mal runterkommen! Sie rettet nicht die Welt, sondern plant Partys. (Die Assistentin wurde sofort gefeuert.) Caitlin hatte bisher nur bei großen Firmen gearbeitet: auf der Agenturseite bei Edelman, dann für Medienunternehmen wie Condé Nast und Hearst und zuletzt bei Viacom. Alles Namen, die ihren Eltern und deren Freunden ein Begriff waren. Doch Aurora gehörte nicht dazu, und obwohl das Unternehmen seit seinem Start im Jahr 2017 enorm gewachsen war, machte es sie nervös, für eine so junge Firma zu arbeiten.
Sie setzte ihre Noise-Cancelling-Kopfhörer auf und schloss die Augen, um das Schnarchen ihres Sitznachbarn auszublenden und ihre Nerven zu beruhigen. Ihre neue Assistentin hatte ihr heute Morgen das Programm für das Retreat geschickt. Zuerst würden sie zum 1 Hotel gebracht werden, um einzuchecken, und danach waren alle für eine Spa-Behandlung angemeldet. Caitlin hatte sich für ein »Organic Awaken Resurfacing Facial« entschieden, von dem sie hoffte, dass es ihr Gesicht um mindestens ein Jahr verjüngen würde. Von fünfzehn bis siebzehn Uhr konnte sie entweder an den Pool oder zum Strand gehen oder in ihrem Zimmer entspannen und ihre E-Mails abrufen. Das Abendprogramm begann um achtzehn Uhr mit Drinks im Watr, der Rooftop-Bar des 1 Hotels, gefolgt von einem Abendessen um zwanzig Uhr im ZZ’s, einem privaten Supper Club im Design District. Danach ging die Party weiter, mit einer Tischreservierung im LIV, einem der exklusivsten Nachtclubs in ganz Miami. Eine DJane namens ANZ, von der Caitlin noch nie etwas gehört hatte, legte an diesem Abend auf. Warum bestanden in Miami alle Namen aus zufällig zusammengewürfelten Buchstaben, die anscheinend nichts bedeuteten? Allein von dieser Überlegung war Caitlin erschöpft.
Sie und Mike gingen kaum noch aus. Sie waren meist so ausgelaugt von der Arbeit und den Kindern – Joey war sieben Jahre alt und Lucinda neun. Als sie sich kennenlernten, war Mike noch Creative Director bei der angesagten Werbeagentur Digitas gewesen, und Caitlin hatte bei Condé Nast gearbeitet, wo sie Spitzenevents wie die Met Gala und die Oscar Party von Vanity Fair organisierte. Damals waren sie ständig ausgegangen, hatten getrunken und getanzt, waren schick gekleidet gewesen und für jeden Spaß zu haben. Das war einmal. Heutzutage bestand ihr Leben fast nur noch aus den üblichen faden Routinen von Menschen in ihren Vierzigern: Arbeit, Hausaufgaben, Sport am Wochenende, Geburtstagsfeiern, Schulfeste. Jeans. Turnschuhe. Pyjamahosen am Abend. Gähnende Langeweile.
Sie lebten in dem teuren New Yorker Vorort Bronxville in einem lichtdurchfluteten weißen Haus im Kolonialstil mit vier Schlafzimmern. Caitlin liebte ihren Mann, meistens zumindest. Und sie liebte ihre Kinder, immer. Sie machte voller Begeisterung Karriere, aber sie langweilte sich zu Tode. War das wirklich alles? Hatte sie den höchsten Punkt der Karriereleiter bereits erreicht? Sie war Executive Vice President bei Viacom gewesen und hatte die Upfronts der Fernsehsender organisiert, ein lukrativer, respektabler Job. Sie hatte Macht und Geld, und alles in allem war es kein besonders hart verdientes Brot. Sie hatte sogar noch Zeit für ihre Kinder und für die Planung der gottverdammten Schulfeste. Sie war auch nicht auf der Suche nach einem neuen Job gewesen. Aber natürlich ist das der beste Moment, um einen zu finden.
John Shiller hatte sie einen Tag vor den Ferien per E-Mail angeschrieben und ihr die Stelle angeboten. Nicht irgendein Headhunter. Nicht die Personalabteilung von Aurora, sondern der CEO selbst. Wie er an ihre private E-Mail-Adresse gelangt war, wusste sie nicht – sie benutzte sie eigentlich nur für die Korrespondenz mit der Schule. Die Betreffzeile lautete: Hey. Sie hatte gerade an ihrem Tee in ihrer makellosen Küche im Shaker-Stil genippt und in ihren mit Raureif bedeckten Garten hinausgeblickt, als die E-Mail eintrudelte.
Hallo, Caitlin Levy,
ich würde Sie liebend gerne persönlich kennenlernen. Wir haben nämlich eine neue Position, für die Sie die perfekte Besetzung wären. Veranstaltungen sind Auroras Zukunft, und Sie können ein Teil davon sein! Ich setze meine Assistentin Madison in cc, um ein Treffen zu vereinbaren. Es tut sich was.
Cheers
John
Caitlin zeigte Mike die E-Mail am Abend, als die Kinder im Bett waren und sie bei einem Glas Wein vor dem Kamin saßen. Im Fernsehen lief Top Chef, und sie hatten sich beide darauf gefreut. Mike gab ihr das Handy mit hochgezogener Augenbraue zurück.
»Dieser John klingt wie ein Spinner«, befand er. Dann lehnte er sich auf der Couch zurück, legte die Füße auf den Couchtisch und hinterließ dabei mit den Sohlen seiner Hausschuhe Abriebflecken auf dem Glas, was Caitlin schier wahnsinnig machte.
»Ist Aurora nicht irgend so ein AdTech-Start-up? Was hat das denn mit Veranstaltungen zu tun?« Mike fuhr sich durchs Haar, das sich in den letzten fünf Jahren erheblich gelichtet hatte. Auf seinem Oberkopf befand sich eine kahle Stelle, so groß wie ein Hockey-Puck. Neuerdings hatte Caitlin Träume, in denen sie Mike betrog, immer mit einem gesichtslosen Mann. Die Details waren verschwommen, und normalerweise war Caitlin diejenige, die die Initiative ergriff. Sie wachte stets mit Schuldgefühlen auf und war erleichtert, dass es nur ein Traum war.
»Das ist nicht bloß ›irgendeine‹ AdTech-Firma, das ist die AdTech-Firma«, betonte Caitlin und ärgerte sich, weil Mike nicht im Geringsten beeindruckt war, dass der CEO eines der angesagtesten Start-ups sie gezielt kontaktiert hatte. Tatsächlich hatte Caitlin »AdTech« googeln müssen, nachdem sie Johns E-Mail erhalten hatte. Sie konnte in Erfahrung bringen, dass es um Tools und Software ging, die es Werbetreibenden ermöglichte, digitale Kampagnen über verschiedenste Kanäle strategisch zu planen und zu verwalten und so ihre Zielgruppen bestmöglich zu erreichen, aber die genauen Details waren ihr weiterhin unklar.
»Okay, da gebe ich dir recht«, sagte Mike. Nach all den Jahren arbeitete er immer noch bei Digitas und leitete deren Mediengruppe. Im Gegensatz zu Caitlin, die sich schnell nach Abwechslung sehnte, blieb Mike lieber in derselben Firma. »Aber warum brauchen sie jemanden, der Veranstaltungen organisiert?«
»Ich weiß nicht, aber ich werde es herausfinden«, sagte sie.
Mike zuckte mit den Schultern. »Wenn du meinst. Ich hab gehört, dass John Shiller ein totaler Wichtigtuer ist. Dass er eigentlich nichts draufhat, außer Investoren an Land zu ziehen. Aber ich schätze mal, wenn er die richtigen Mitarbeiter hat, muss er nicht mehr können. Und du wärst sicherlich eine Bereicherung für jedes Führungsteam.« Mike rutschte auf Caitlins Seite der Couch hinüber und begann versöhnlich ihre Schultern zu massieren.
Als sich das Flugzeug abrupt zur Seite neigte, schlug Caitlin die Augen auf. Die Turbulenzen waren nun so stark, dass sogar der müde junge Mann auf dem Gangplatz wach wurde. Doch er zog sich einfach seine Basecap über die Augen und machte es sich schnell wieder gemütlich. Caitlin holte ihr Handy heraus und öffnete die PDF-Datei der Präsentation, die sie morgen halten sollte. Sie musste noch daran arbeiten, aber Caitlin hatte nicht einmal genug Platz, um ihren Laptop zu öffnen. Der Arm ihres anderen Sitznachbarn lag fast auf ihrem Schoß.
Auf der ersten Folie stand vor schwarzem Hintergrund: Events bei Aurora – eine ganz neue Welt! Auf der nächsten Folie stellte Caitlin sich vor: ein Foto, ihr Lebenslauf, gefolgt von einer Liste ihrer größten Erfolge bei früheren Jobs. Sie hatte noch zwei weitere Folien angelegt, eine mit der Überschrift »Die neue Event-Strategie« und eine namens »Umsatzziele und Chancen«. Aber die waren noch leer, und Caitlin hatte keine Ahnung, was sie darauf schreiben sollte.
Obwohl sie sich mit John über das Unternehmen und seine erstaunliche Technologie unterhalten hatte, war sie sich immer noch nicht ganz im Klaren darüber, was genau von ihr erwartet wurde. Als sie ihn gefragt hatte, welche Art von Veranstaltungen er sich für Aurora vorstellte oder ob er ihr Beispiele für irgendwelche Events nennen könnte, hatte er seltsam unwirsch reagiert, das Thema gewechselt und ins Leere gestarrt.
Aber das war nicht Johns einziger Tick. Vor ihrem ersten und einzigen Treffen mit ihm, ein paar Wochen, nachdem er sie angeschrieben hatte, stellte Caitlin einige professionelle Erkundungen an. Sie las jedes Interview, das es von ihm gab, und stellte fest, dass er ein erfolgreicher Redner war. Vieles von dem, was er für die Märkte vorausgesagt hatte, war auch eingetreten. Aber sie konnte keinen einzigen Fernsehauftritt bei Bloomberg oder CNBC finden, was vermutlich an einer bewussten Entscheidung der PR-Abteilung von Aurora lag. »Er ist … seltsam«, hörte sie immer wieder von Leuten, die ihm persönlich begegnet waren. Auch Varianten von »er ist sehr von sich überzeugt«. Und am häufigsten: »Er ist wahrscheinlich im Spektrum, wie alle Tech-CEOs.«
Caitlin war vor Neugier fast geplatzt, als sie die Lobby des Freehand Hotels für ihr erstes Gespräch über diesen mysteriösen Job betrat.
Johns Assistentin Madison Bez hatte darauf bestanden, dass sie sich in einer Bar statt in den Büroräumen von Aurora trafen. John möchte, dass das Gespräch absolut diskret abläuft, hatte sie gemailt. Caitlin hatte ihn an einem Ecktisch vorgefunden, wo er bereits an einem Whiskey nippte. Er trug ein blaues Lacoste-T-Shirt mit Rundhalsausschnitt, eine leuchtend orangefarbene Hose und weiße Nike-Turnschuhe. Sie musste insgeheim über Madisons Anmerkung schmunzeln – wenn John nicht auffallen wollte, war diese Hose sicher nicht zielführend.
Als er aufstand, um sie zu begrüßen, war sie überrascht, wie klein er war. Höchstens einen Meter siebzig – kleiner als sie selbst in ihren Stöckelschuhen. Er wollte sie umarmen, womit Caitlin überhaupt nicht gerechnet hatte, weshalb sie reflexartig zurückwich und die ganze Situation dadurch noch unangenehmer machte. Es endete in einer Art gegenseitigem Schulterklopfen. John nahm schnell wieder Platz und bedeutete Caitlin, sich neben ihn zu setzen, so dass sie beide auf derselben Seite des kleinen Tisches saßen. Caitlin trug ein einfaches schwarzes Etuikleid, schick, aber seriös. Der Wollstoff des Kleides klebte an ihrem verschwitzten unteren Rücken. So nervös war sie schon lange nicht mehr gewesen. Es war ein belebendes Gefühl.
»Caitlin, Caitlin, Caitlin, wo fangen wir an?«, sagte John. Es war zwar erst achtzehn Uhr, aber die Bar füllte sich langsam, und Caitlin kam der Gedanke, dass jemand, den sie kannte, hereinspazieren und denken könnte, sie würde Mike betrügen. John trug einen hellbraunen Vollbart und hatte schmale grüne Augen in einem ansonsten eher langweiligen Gesicht. Sie merkte, dass er auf eine Antwort von ihr wartete. Eine hübsche Kellnerin stellte einen Negroni vor Caitlin hin. Dankbar nahm sie einen großen Schluck.
»Woher wussten Sie, dass ich Negroni mag?«, fragte sie.
John lachte. »Ich mache meine Hausaufgaben, bevor ich mich mit Leuten treffe.«
»Ich auch«, konterte sie und fühlte sich verwegen. Sie fragte sich, was er sonst noch über sie gehört haben könnte, und lächelte ihn an. Flirtete sie etwa mit ihm? Wie seltsam. Mit seinen neununddreißig Jahren war John ein Jahr jünger als sie. Sie wusste, dass er unverheiratet war. Auf Partyfotos von Getty hatte sie ihn mit wechselnden sehr schönen und sehr jungen Frauen gesehen.
»Die meisten Leute haben Sie in den höchsten Tönen gelobt«, sagte er. »Ein paar ehemalige Kollegen, deren Namen nichts zur Sache tun, nannten Sie aber auch ›rücksichtslos‹ und ›überambitioniert‹.«
Caitlin spürte, dass sie errötete.
»Aber«, fuhr John fort, »in meinen Augen ist das etwas Positives. Ich erwarte von meinen Teammitgliedern sogar eine gewisse Rücksichtslosigkeit! Ein Charakterzug, der die besten Generäle auszeichnet.«
Caitlin hatte gelesen, dass John ganz versessen auf den Zweiten Weltkrieg war und bei Auktionen schon Millionen für Memorabilien ausgegeben hatte. Man munkelte sogar, dass er das private Kriegstagebuch von Winston Churchill besaß und es in einem Safe in seinem Haus in Miami aufbewahrte.
Bevor Caitlin irgendwelche Fragen zu dem Job stellen konnte, verlor sich John in der Erzählung von Auroras Entstehungsgeschichte. Caitlin kannte bereits das Wesentliche: John und seine beiden besten Freunde, Dallas Joy und Robbie Long, waren vor zehn Jahren aufsteigende Stars in der New Yorker Techszene gewesen. Sie hatten schon immer gemeinsam ein Unternehmen gründen wollen, doch dann war Robbie auf tragische Weise an einer Überdosis Drogen gestorben, bevor sie die Chance dazu gehabt hatten. Robbie war von AdTech fasziniert gewesen, und so kamen John und Dallas eines Abends bei einem Abendessen in Brooklyn auf die Idee, Aurora zu gründen. Sie überließen sogar der Verlobten von Robbie, Meagan Hudson, einen Teil des Startkapitals. Dallas, der Programmierer, entwickelte den erstaunlichen Algorithmus von Aurora, und John, der geniale Verkäufer und Geldbeschaffer, begeisterte die Investoren dafür. Aurora wuchs und wuchs und revolutionierte die Art und Weise, wie Werbung online gekauft und angezeigt wurde. Sechs Jahre später hatte Aurora bereits über vierhundert Mitarbeiter, Büroräume in New York und Miami und wurde mit einer halben Milliarde Dollar bewertet.
»Sie sehen also, Caitlin, es gibt keinen Ort, an dem Sie jetzt lieber arbeiten würden als bei Aurora«, sagte John. Seine grünen Augen huschten auf ihrem Gesicht hin und her, ohne dass sich ihre Blicke wirklich kreuzten. »Ich würde das nicht öffentlich sagen, aber unter uns: Es gibt keinen besseren CEO auf der Welt als mich.« Er grinste sie leicht gestört an. »Nicht Elon, nicht Tim, nicht Sundar und schon gar nicht Mark, diese kleine Pussy.«
»Sie sind auf jeden Fall wirklich gut darin, sich selbst zu verkaufen«, räumte Caitlin diplomatisch ein. Sie wusste, dass sie sich von seinem Ego (und dem Wort »Pussy«) abgeschreckt fühlen sollte, aber irgendwie hatte sein Gepose den gegenteiligen Effekt. Sie beugte sich vor und rückte noch etwas näher an ihn heran, nahe genug, um sein Moschus-Aftershave riechen zu können. »Ich kann mich auch gut verkaufen. Aber zuerst muss ich wissen, worum es bei dem Job geht«, sagte sie.
»Alles zu seiner Zeit«, erwiderte John. »Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass Sie die richtige Person sind, um unser Führungsteam zu vervollständigen, und ich freue mich, verkünden zu können, dass ich – wie immer – richtig lag.«
Das Treffen verlief weiter in dieser Weise, mit viel Geplänkel, aber wenig Inhalt. Sie verließ das Freehand Hotel, überzeugt von Johns Charisma, aber nicht viel mehr. Caitlin kam es nicht so vor, als verfügte er über eine ausgeklügelte Eventstrategie, sie hatte eher den Eindruck, dass er nur aufs Geratewohl die Fühler ausstreckte und gar nicht ernsthaft auf der Suche war. Das Gefühl bestätigte sich, als sie danach nicht sofort von ihm hörte.
»Für diesen Typen hättest du sowieso nicht arbeiten wollen«, meinte Mike. (Er war offensichtlich erleichtert, dass die Sache geplatzt zu sein schien.) Caitlin tauchte wieder in ihren Job bei Viacom ein und füllte ihre Tage mit dem üblichen Löschen von Bränden und dem Schlichten von Streitigkeiten unter den Angestellten, genervt davon, ihre Zeit verschwendet zu haben. Doch dann, zwei Monate später, erhielt sie eine weitere E-Mail von John, diesmal mit der Betreffzeile Angebot.
Caitlin, Caitlin, Caitlin, lautete die Anrede. Sie öffnete sie, während sie an ihrem Büroschreibtisch im einunddreißigsten Stock des One Astor Plaza saß, nur einen Block vom Times Square entfernt. Drei Tage pro Woche pendelte sie nach Manhattan und ließ ihr Leben in der Vorstadt gerne hinter sich, wenn sie die Metro North von Bronxville und dann den Shuttle von der Grand Central Station nahm. Im Büro hatte sie das angenehme Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben, selbst wenn sie nichts anderes tat, als auf die Skyline von Downtown zu starren. Außerdem trug sie gern hohe Absätze und Lippenstift.
Caitlin wandte sich wieder Johns E-Mail zu.
Ich melde mich erneut bei Ihnen, um Ihnen die Chance Ihres Lebens zu bieten. Es handelt sich um die Position Head of Events bei Aurora. Ihr Gehalt wird 2,5 Millionen Dollar betragen, mit einem jährlichen Bonus von 500 000 Dollar. Zusätzlich erhalten Sie bei Jobantritt als Erfolgsbeteiligung Aktien im Wert von 200 000 Dollar mit der Option auf mehr. Und ich weiß, dass Sie erfolgreich sein werden! Ich glaube an Sie. Es erstaunt mich immer wieder, was für dumme Jobentscheidungen die meisten Menschen treffen. Bitte enttäuschen Sie mich nicht, indem Sie sich mit diesen Leuten gemein machen. In Kürze wird sich Debra Foley, unsere Personalchefin, bei Ihnen melden und Ihnen die Einzelheiten erläutern. Ich freue mich, Sie an Bord zu haben!
Cheers
John
Caitlin las die E-Mail noch einmal, um sich zu vergewissern, dass sie die Zahlen richtig gelesen hatte. Drei Millionen Dollar? Sie hatte gedacht, dass Start-ups nur kleine Gehälter zahlten. Und so viele Anteile an der Firma? Das musste ein Scherz sein. Zurzeit verdiente sie alles in allem etwa eine Million Dollar im Jahr, und das nach einigem Gefeilsche mit Viacom und mehreren Erhöhungen zum Jahresende. Bevor sie es sich anders überlegen konnte, antwortete sie:
Danke für das überaus großzügige Angebot, John! Aber was genau wird meine Aufgabe sein?
Keine fünf Sekunden später reagierte er.
Das werden Sie schon noch herausfinden.
Einige Minuten später erhielt sie ihre erste E-Mail von Debra Foley, die ihr die Bedingungen des Angebots erläuterte und einen Vertrag per Docusign anhängte, den sie unterzeichnet zurückschicken sollte. Es waren noch so viele Fragen offen, doch wider besseres Wissen und ohne weitere Personen bei Aurora gesprochen zu haben, nahm sie die Stelle an. Mike unterstützte sie widerwillig (es blieb ihm auch nichts anderes übrig, denn ihr Gehalt war jetzt mehr als dreimal so hoch wie seines). Als Paar würden sie nun etwa vier Millionen Dollar im Jahr verdienen – mehr als genug, um sich einen hübschen Zweitwohnsitz in Quogue oder Montauk zu kaufen, wovon Caitlin schon seit Jahren träumte.
Endlich setzte das Flugzeug zum Landeanflug auf Miami an. Caitlin konnte den blaugrünen Ozean sehen, der an die Stadt mit dem gitterartigen Straßennetz grenzte, weiße Gebäude, die hoch in den Himmel ragten, und die Sonne, die sich im Wasser spiegelte. Der Wetterbericht sagte für die Dauer des Führungskräfte-Retreats einen wolkenlosen Himmel und knapp dreißig Grad voraus, und Caitlin hoffte, zwischen den Teambesprechungen und Essensterminen ein wenig Zeit am Strand verbringen zu können.
Als sie aufblickte, sah sie einen Mann, der den Gang entlangging und in jede Sitzreihe spähte, als ob er nach jemandem suchte. Sie erkannte ihn von seinem Foto auf Auroras »Über uns«-Seite: Zach Wagner, der Chief Revenue Officer des Unternehmens. Seinem Lebenslauf hatte sie entnommen, dass er aus der Welt der traditionellen Werbung kam und als Chief Marketing Officer für mehrere große Einzelhandelsmarken, darunter Macy’s und American Eagle, tätig gewesen war, bevor er auf die andere Seite wechselte und nun bei Aurora seine vielseitigen Beziehungen innerhalb der Branche nutzte. Mit seinem lockigen schwarzen Haar und dem typischen offenen und attraktiven Gesicht eines Verkäufers sah er aus wie ein Mittvierziger. Er trug Jeans, ein Sportsakko und Turnschuhe von New Balance im Cool-Dad-Look. Der Pilot hatte bereits den Landeanflug angekündigt, also nahm Caitlin an, dass Zach auf dem Weg zur Toilette war, obwohl sie sich fragte, warum er dafür nach ganz hinten gekommen war. Doch dann blieb er vor ihrer Reihe stehen und starrte sie an. Sie lächelte zögernd, unsicher, ob er wusste, wer sie war.
»Caitlin Levy? Die Caitlin Levy?« Zach hielt ihr über den schlummernden Teenager hinweg die Hand entgegen. Erwartete er etwa ein High Five? Sie berührte kurz seine Hand.
»Sie müssen Zach Wagner sein«, sagte sie. »Ich habe schon so viel über Sie gelesen. Das Interview, das Sie neulich im Journal gegeben haben, war großartig.«
»Danke! Wie schön, Sie persönlich kennenzulernen«, sagte Zach. Das Flugzeug schaukelte ein wenig, und er musste sich am Sitz festhalten, um nicht in Richtung Toilette zu purzeln. »Ich freu mich riesig, dass Sie an diesem Retreat teilnehmen, und es tut mir leid, dass Sie dafür Ihren Urlaub unterbrechen mussten, aber ich denke, es lohnt sich. Wissen Sie, John lebt für diese Führungskräfte-Retreats. Und ich glaube, er hat heute Abend eine große Ankündigung zu machen, die Sie nicht verpassen wollen.«
Caitlin war von dieser Neuigkeit überrascht. John hatte während ihres Gesprächs nichts von einer bevorstehenden wichtigen Ankündigung erzählt.
»Ich freue mich darauf, alle zu treffen, bevor ich offiziell anfange«, sagte sie.
»Ich weiß auch, dass John große Erwartungen in Sie setzt«, sagte Zach und zog die Augenbrauen hoch.
Caitlin fragte sich, ob Zach von der Höhe ihres Gehalts wusste. Über den Bekannten einer Bekannten hatte sie gehört, dass Zach gerne trank und jede Party in Schwung brachte. Sie hatte auch das Gerücht gehört, dass er ein ziemlicher Scherzkeks sein konnte, ein Talent, das ihm in den frühen Achtzigern gute Dienste geleistet hatte, ihn neuerdings aber vermehrt in Schwierigkeiten brachte. Offenbar hatte er ein Motivationsmeeting für sein Team mit einem Kopfschmuck und einer Gesichtsbemalung abgehalten, die an die indigene Bevölkerung Amerikas erinnerten, und lautes Kampfgeschrei von sich gegeben. Es war der totale HR-Albtraum gewesen.
»Und ich hoffe, dass ich diese Erwartungen erfüllen kann«, sagte Caitlin neutral. Sie war sich nicht sicher, wie offenherzig sie sein sollte. War Zach auf ihrer Seite? Oder war die Bemerkung über die »Erwartungen« eine Anspielung darauf, dass sie überbezahlt wurde? Normalerweise hatte Caitlin ein Händchen für gute Beziehungen am Arbeitsplatz. Sie hatte einen hohen emotionalen Quotienten und spürte, was die Leute wirklich von ihr wollten. Aber hier betrat sie Neuland – eine ganze Gruppe von Leuten, die ihr komplett unbekannt waren und die teilweise schon seit Jahren zusammenarbeiteten. Sie würde zunächst deren Dynamik beobachten und einzeln mit ihnen sprechen müssen, bevor sie sich entschied, mit wem sie sich zusammentun wollte.
Das Flugpersonal bat die Passagiere, sich zur Landung hinzusetzen und anzuschnallen. »Das ist mein Stichwort«, sagte Zach. »Ich kann es kaum erwarten, mich später näher mit Ihnen zu unterhalten. Ich freue mich schon auf die Afterparty im LIV! Achtung, Alter-Mann-im-Club-Alarm!« Er deutete eine Tanzbewegung an, um das Gesagte zu unterstreichen, während sich das Flugzeug im selben Moment nach links drehte, sodass er den Gang hinuntertaumelte. Caitlin musste sich ein Lachen verkneifen.
»Sir, Sie müssen sich jetzt hinsetzen!«, rief ihm eine gereizte Flugbegleiterin zu, die sich selbst bereits angeschnallt hatte.
»Ja, ja, ich mach ja schon«, brummte er und drehte sich noch einmal zu Caitlin um. »Irgendwie scheinen in letzter Zeit alle ihren Sinn für Humor verloren zu haben. Ist Ihnen das auch schon mal aufgefallen? Bis später und viel Glück!«, rief er, bevor er den Weg zurück in die Business Class antrat. Caitlin fragte sich, ob er seinen Champagnerkonsum nicht lieber ein wenig drosseln sollte. Sie hatten noch einen langen Tag vor sich.
Dann sah sie wieder auf ihr Handydisplay und öffnete erneut ihre weitgehend leere Präsentation. Sie würde John einfach sagen müssen, dass sie noch nicht viel anzubieten hatte. Bevor sie eine Strategie entwerfen konnte, benötigte sie genauere Anweisungen, und sie hoffte, während dieses Retreats die Gelegenheit zu bekommen, das persönlich mit ihm zu besprechen. Aber die leeren Slides ihrer Präsentation hinterließen ein flaues Gefühl in ihrem Magen, und sie fühlte sich wie in einem der Albträume, in denen man unvorbereitet zu einer Prüfung erscheint.
Sie landeten holprig auf dem Miami International Airport, und Caitlin floh so schnell wie möglich aus ihrer Reihe. Eine weitere Schmach war, dass sie ihr Handgepäck vor dem Flug hatte einchecken müssen, da der Flieger bereits voll war und keine Gepäckfächer mehr frei waren. Sie wollte nicht, dass ihre neuen Kollegen das mitbekamen. Wer war schon so bescheuert, sein Gepäck für eine nur viertägige Geschäftsreise einzuchecken?
Nachdem sie das Flugzeug verlassen hatte und die Hitze Floridas angenehm in die Fluggastbrücke strömte, sah sie die Aurora-Führungsriege vor dem Hudson-News-Laden zusammenstehen. Caitlin setzte ihre Chloé-Sonnenbrille auf, suchte Deckung hinter einem groß gewachsenen Pärchen, das schwer nach Touristen aussah, und huschte in Richtung Gepäckausgabe. Sie würde ihre künftigen Kollegen später im Hotel treffen.
Während des zehnminütigen Wegs durch den Flughafen, vorbei an den Gates von Caribbean Airways, an den Empanada-Restaurants und den Rentnern, die mittags schon an ihrem Weinglas nippten, schmiedete Caitlin ihren Schlachtplan. Sie würde John bei den Drinks vor dem Abendessen abpassen und ihm erklären, dass sie sich noch nicht ausreichend vorbereitet fühlte, um am nächsten Tag ihre Präsentation zu halten. Er würde Verständnis haben müssen, denn er hatte ihr bisher noch keinerlei Anhaltspunkte gegeben. Caitlin fühlte sich ein wenig unwohl bei dem Gedanken, ihren neuen Chef gleich enttäuschen zu müssen. Sie war immer eine Einserschülerin und später eine leistungsbereite Mitarbeiterin gewesen. Sie wusste, wie man mit Vorgesetzten und Untergebenen umging, und ihre Veranstaltungen gingen stets ohne Drama über die Bühne, waren perfekt geplant und brachten Geld ein. Caitlin nahm an, dass John sie genau deshalb eingestellt hatte.
An der Gepäckausgabe wimmelte es von Reisenden, die einen Koffer nach dem anderen auf Gepäckwagen stapelten. Caitlin stand vor dem Band und hoffte, dass es schnell gehen würde, schließlich wollte sie ihre Gesichtsbehandlung nicht verpassen. Sie würde ihrem neuen Team die beste Version von sich präsentieren, strahlende Haut inklusive.
Plötzlich spürte sie ein Schulterklopfen und drehte sich um. Vor ihr stand eine große, auffällige Frau in einem rosa Leinenkleid, die ihr rötliches Haar zu einem lässigen Pferdeschwanz hochgesteckt hatte: Jessica Radum, Head of Partnerships bei Aurora. Caitlin kannte sie nur vom Sehen, aber sie hatten sich noch nicht persönlich kennengelernt. Jessica hatte Veranstaltungen besucht, die Caitlin geplant hatte. Schließlich wurde eine attraktive Frau, die in der Technologiebranche erfolgreich war, heutzutage überall eingeladen.
Caitlin wusste, dass Jessica, John und Dallas sich schon lange kannten. Bereits in ihren Zwanzigern hatten sie zur selben Clique gehört, und auf Konferenzen und Branchentreffs schmückte sich John noch immer gern mit der attraktiven Jessica. Was Caitlin jedoch nicht so recht durchschaute, war deren Rolle in der Firma. Bisher waren ihr noch keine bedeutenden Partnerschaften zwischen Aurora und anderen Unternehmen zu Ohren gekommen, und sie war sich nicht sicher, was Jessica eigentlich zum Umsatz beitrug.
»Oh mein Gott, Caitlin Levy!«, rief Jessica.
Caitlin nahm schnell ihre Sonnenbrille ab und kam sich albern vor, weil sie sie drinnen trug.
»Wie schön, dass es geklappt hat«, fuhr Jessica fort.
»Ich freue mich sehr, dabei zu sein«, erwiderte Caitlin.
Jessica war so groß, dass Caitlin mit ihren knapp eins siebzig zu ihr aufschauen musste, wenn sie mit ihr sprach.
»Nur um das klarzustellen, normalerweise gebe ich mein Gepäck für eine Geschäftsreise nicht auf«, beeilte Caitlin sich zu sagen. »Die Airline hat mich dazu genötigt.«
»Ich gebe immer eine Tasche auf«, sagte Jessica. »Ich kann mich nie entscheiden, was ich mitnehmen soll, also packe ich einfach alles ein.« Sie kicherte.
Caitlin fiel auf, dass Jessica keinen Ehering trug. Sie fragte sich, was es damit auf sich hatte.
»John hat mir schon gesagt, dass du an dem Retreat teilnehmen wirst. Ist doch okay, wenn wir uns duzen, oder? Jedenfalls bin ich begeistert, eine weitere starke, weibliche Führungskraft im Team zu haben«, sagte Jessica. »Jetzt werden die Frauen in der Überzahl sein!« Ihre Stimme war tief und sanft, und Caitlin konnte sich vorstellen, dass sie bei den Leuten gut ankam. Eine Barbie mit Köpfchen.
Dass sie John so früh in ihrem Gespräch erwähnte, war sicherlich ein Machtspiel. Caitlin hatte im Laufe ihrer Karriere mit vielen Menschen beiderlei Geschlechts zusammengearbeitet, aber Frauen waren im Allgemeinen bissiger und gefährlicher. Caitlin würde ein Auge auf sie haben müssen.
»Debra ist auch hier«, sagte Jessica und zeigte in Richtung Toiletten. Caitlin sah Debra Foley, Auroras Personalchefin, mit einem schwarzen Rollkoffer auf sie zukommen. Sie trug eine zweckmäßige Khakihose, Schuhe von Keds und ein schlichtes blaues T-Shirt. Ihre Sonnenbrille hatte sie sich ins Haar gesteckt, das zu einem Bob geschnitten war.
»Debra, sieh mal, wen ich hier entdeckt habe!«, rief Jessica ihr entgegen und zupfte an Caitlins Ärmel.
Debra lächelte breit und zeigte eine attraktive Reihe großer weißer Zähne. »Da ist sie ja! Willkommen, Caitlin, willkommen bei Aurora!«
Debra Foley war kleiner als Caitlin und hatte die athletische Statur einer Softballspielerin. »Wir duzen uns hier übrigens alle. Ich freue mich, dass wir dich noch vor dem Retreat ins Boot holen konnten. Wir haben dieses Jahr so ein tolles Programm, und wir sind alle schon sehr gespannt auf deinen Vortrag.«
Caitlin spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog.
»Ach, das wird sicher nichts Großes«, wiegelte Caitlin ab. »Ganz im Gegenteil, schließlich kenne ich meine Stellenbeschreibung noch nicht einmal im Detail. Ich hatte gehofft, hier vor Ort mehr zu erfahren.«
Das Gepäckband setzte sich in Bewegung und fing an, einen Koffer nach dem anderen auszuspucken. Caitlin und Jessica sahen sich nach ihren Gepäckstücken um und zogen sie vom Band, als sie auftauchten.
»Sollen wir?«, fragte Debra und deutete auf den Ausgang.
Caitlin hatte eigentlich vorgehabt, allein zum Hotel zu fahren, aber sie ließ sich nichts anmerken und folgte Debra und Jessica, die ein ausgesprochen seltsames Paar abgaben, durch die Tür hinaus.
Die heiße, feuchte Luft schlug Caitlin ins Gesicht, als sie das Gebäude verließen. Sofort entspannte sie sich und genoss das tropische Klima. Sie stiegen in ein wartendes Taxi. Caitlins Jeans klebte an dem glühend heißen schwarzen Ledersitz. Der Fahrer kurbelte die Fenster hoch, drehte die Klimaanlage auf und fuhr dann auf der Interstate 195 über die Bucht nach Miami Beach. Caitlin schätzte es sehr, dass Miami so nah an New York lag und doch eine ganz andere Welt war. Sie liebte die Palmen, die Stürme und die engen Outfits. Sie fand es toll, dass alle hier so braun gebrannt waren. Sie, Mike und die Kinder kamen mindestens zweimal im Jahr her, um Mikes Eltern zu besuchen, die sich in Boca Raton zur Ruhe gesetzt hatten. Vor kurzem waren auch einige von Caitlins Freunden nach Miami gezogen, und jedes Mal, wenn sie hierherkam, spürte sie die Anziehungskraft, die der Ort auf sie ausübte.
»Mach dich auf einen verrückten Abend gefasst«, sagte Jessica, die auf dem mittleren Sitz saß, die langen Beine gegen die von Debra gedrückt. Caitlin konnte Jessicas Parfüm riechen, eine süßliche Vanillenote. »John schmeißt nämlich gerne wilde Willkommenspartys.«
»Manchmal ein bisschen zu wild«, ergänzte Debra.
Jessica lachte. »Keine Sorge, Caitlin, Debra wirkt bloß wie eine miesepetrige HR-Tante, aber wenn man ihr ein bisschen Alkohol einflößt, tanzt sie auf den Tischen und kauft Shots für alle.«
»Das ist gar nicht wahr«, protestierte Debra. »Und bitte jag Caitlin keine Angst ein, sie ist noch ganz neu.«
»So leicht jagt man mir keine Angst ein«, erklärte Caitlin. »Vergesst nicht, dass ich beruflich Partys plane. Ich habe schon alles gesehen.«
Sie hielten vor dem 1 Hotel, dessen Eingang sich unter einer riesigen weißen Markise verbarg. Die Tür des Wagens öffnete sich, und was Caitlin zunächst für einen Hotelportier gehalten hatte, entpuppte sich als John Shiller persönlich. Er trug eine rote Hose, ein weißes Lacoste-Shirt und eine übertrieben große Persol-Sonnenbrille.
»Ladys, Ladys, Ladys!«, rief er und gab jeder von ihnen eine verschwitzte Umarmung. »Bienvenidos a Miami, wie der große Will Smith sagen würde. Euch erwartet hier eine unglaubliche Zeit. Un. Glaub. Lich. Diese Stadt ist heiß, aber Aurora ist noch heißer, vor allem, wenn einige meiner liebsten weiblichen Executives uns die Ehre geben. Wir werden Spaß haben, wir werden Brainstorming machen und ein noch stärkeres Unternehmen werden, wenn das überhaupt möglich ist. Aber jetzt genießt erst mal eure Wellness-Behandlungen, und wir sehen uns heute Abend wieder. Ich habe eine Ankündigung zu machen, die euch umhauen wird.«
Damit machte er auf dem Absatz kehrt und ließ die drei Frauen mit ihrem Gepäck stehen.
»Danke, dass du uns mit den Koffern hilfst, John!«, rief Jessica ihm nach. »So typisch.«
Debra lachte. Caitlin war sich nicht sicher, was sie hier erwartete, aber sie war bereit, sich darauf einzulassen.
Olive Green
Olive Green, die Unternehmenssprecherin von Aurora, klopfte energisch an die Tür eines Hotelzimmers. Keine Antwort. Als sie erneut klopfte, schlugen ihre Ringe an das weiße Holz.
»Ich bin da!«, rief eine Stimme so laut, dass man sie auch draußen hören konnte. »Kommen Sie bitte später wieder!«
Olive klopfte unbeirrt weiter an die Tür und freute sich insgeheim über die Irritation, die sie dadurch wohl auslöste.
Schließlich schwang die Tür auf, und zum Vorschein kam Zach Wagner in einem flauschigen weißen Hotelbademantel. Sein Haar war zerzaust, vermutlich hatte er gerade versucht, ein Nickerchen zu machen. Über sein Gesicht zog ein verschmitztes Grinsen, als statt des Reinigungsservices Olive vor ihm stand. Sie huschte ins Zimmer und schob Zach zurück zum Bett. Dann öffnete sie seinen Bademantel gerade weit genug, um ihm einen äußerst befriedigenden Blowjob zu geben.
»So, das sollte dir helfen, dich zu entspannen«, sagte sie in ihrem perfekten britischen Upper-Class-Englisch, zog ihre goldenen Riemchensandalen aus und ließ sich neben ihm auf das Bett plumpsen. Sie trug ein langes schwarzes Kleid, das ihr üppiges Dekolleté perfekt zur Geltung brachte.
Olive hatte es schon neulich in einer wichtigen Vorstandssitzung getragen, und Zach hatte den Blick nicht von ihren Brüsten wenden können. John hatte ihm zugezwinkert, als er ihn dabei erwischte, und auch Olive war die Sache nicht entgangen.
»Ich dachte, wir wollten damit bis heute Abend warten«, sagte Zach. Er schob ihr Kleid hoch und begann, ihren Oberschenkel zu streicheln, wobei er sich langsam nach oben vorarbeitete.
Olive schlug spielerisch seine Hand weg. »Oh nein, nichts da«, sagte sie.
»Da verpasst du was«, entgegnete er achselzuckend.
Zach und Olive hatten keinen Sex. Na ja, zumindest keinen richtigen Sex. Sie waren seit drei Jahren Kollegen, und alle bekamen mit, dass sie miteinander flirteten. Zach nannte Olive scherzhaft seine »Aurora-Wife«, und Olive lachte laut über seine dummen Witze. Ihre Kollegen meckerten wegen der Chemie zwischen den beiden, die »der Arbeit nicht zuträglich« sei, und Zach hatte schon eine strenge Abmahnung deswegen bekommen. Das Ganze hatte seinen Höhepunkt auf dem letztjährigen Firmenretreat in Miami erreicht. Nach einem besonders feuchtfröhlichen Abendessen im Faena Hotel, wo sie untergebracht waren, verschwanden Zach und Olive in sein Zimmer, um einen letzten Drink zu nehmen, nachdem alle anderen bereits zu Bett gegangen waren. Dort waren aus dem Geplänkel Berührungen geworden, die darin mündeten, dass Olive auf die Knie ging und Zach den besten Blowjob seines ganzen Lebens bescherte. Danach war sie abrupt aufgestanden und gegangen.
Von da an wurde es zu einer Gewohnheit: Auf Dienstreisen – und nur auf Dienstreisen – beglückte Olive Zach mit Oralsex. Sie hatte ihm erklärt, dass sie nichts anderes tun werde, weil das »im Arbeitskontext eine Grenze« sei, die sie nicht überschreiten wolle. Zach seinerseits hatte eine Freundin, eine gehässige Ex-Frau und einen pubertierenden Sohn am Hals. Also beschränkte sich ihre Beziehung strikt auf diese eine Sache, was ein Jahr lang für sie beide auch genau richtig gewesen war.
»Was ist das für eine aufregende Ankündigung, die John heute machen will?«, fragte Olive und ließ sich auf die Matratze sinken.
»Ich hab da so eine Ahnung, aber ich bin nicht befugt, darüber zu reden«, erwiderte Zach schelmisch.
»Ach, komm schon, bitte.« Obwohl Olive für die Unternehmenskommunikation zuständig war, wurde sie von John oft bis zur letzten Minute über Vorgänge in der Firma im Unklaren gelassen, was sie sehr ärgerte. So hatte er sie über Caitlin Levys Einstellung erst einen Tag vor der öffentlichen Bekanntgabe informiert, sodass sie keine Zeit mehr gehabt hatte, eine ordentliche Pressemitteilung zu verfassen. Sie wusste auch nicht, was sie antworten sollte, als die Reporter sie fragten, warum Aurora eine Eventmanagerin eingestellt habe, wo sie doch derzeit … keinerlei Veranstaltungen durchführten.
»Bitte«, bettelte sie und klimperte eindrucksvoll mit den Augenwimpern.
»Ich sag’s dir, wenn du Sex mit mir hast«, feilschte Zach und kroch auf sie zu, bevor er in sich zusammensackte und Olive losprustete. Mit ihren dreiundvierzig Jahren war sie etwa zehn Jahre älter als Zachs Freundin Melissa, die im Gegensatz zu Olive auch noch einen yogastraffen Körper hatte. Olive wohnte mit ihren beiden Töchtern Poppy und Penelope, zehn und zwölf Jahre alt, in den beiden obersten Etagen eines Brownstone-Hauses in der 12th Street. Olive und ihr Ex-Mann Henry, der in der Private-Equity-Branche arbeitete, hatten es vor acht Jahren gekauft, nachdem sie endgültig beschlossen hatten, in der Stadt zu bleiben.
»Hast du Caitlin Levy schon kennengelernt?«, wollte Olive von Zach wissen. »Ich habe gehört, sie musste beim Flug hierher in der Economyclass sitzen. Ha! Geschieht ihr recht, weil sie mir meine Gehaltserhöhung weggenommen hat!«
»Du weißt, dass das nicht so läuft«, sagte Zach. »Wir hatten einen bestimmten Betrag für diese Stelle im Budget, und dein Gehalt kommt aus einem ganz anderen Topf. Sei nicht so überambitioniert.«
»Das bin ich nicht! Warum denken Männer immer, dass Frauen ›überambitioniert‹ sind? Das ist eine Beleidigung. Ich hab mir diese Gehaltserhöhung verdient, und John meinte, ich müsse nur noch ein paar Monate warten, weil wir die Kosten gerade niedrig halten müssen. Und dann höre ich, dass Caitlin Levy, eine Eventmanagerin«, sie schnaubte verächtlich, »in unser Führungsteam kommt. Und ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass sie sehr viel verdient.«
Warum hatten sie Caitlin überhaupt eingestellt? Womöglich war an der Sache irgendetwas faul? Wenn ja, musste Olive darauf vorbereitet sein. Sie war die Frontfrau der Firma und würde als Erste zu Fall kommen, sollte etwas Zwielichtiges aufgedeckt werden. Jedenfalls hatte sie vor, John auf dieser Reise zur Rede zu stellen.
»Du weißt doch gar nicht, ob sie wirklich so viel verdient«, sagte Zach kopfschüttelnd.
Aber Olive wusste es sehr wohl. Nikki Lane, Auroras glamouröse schwarze Executive Vice President of Product and Engineering, hatte Olive erzählt, dass Caitlin fast drei Millionen Dollar verdienen werde. Olive verdiente etwa die Hälfte. Und das war nicht fair. Ganz und gar nicht.
»Wie auch immer, ich habe sie schon kennengelernt«, sagte Zach und versuchte, Olives düstere Stimmung zu heben. »Sie wirkte leicht nervös. Das war sympathisch. Ich denke, du wirst sie mögen.«
»Ich mag niemanden«, konterte Olive.
»Ach, komm schon. Du bist doch mit Debra und Nikki befreundet«, sagte er. Die drei waren eine eingeschworene Clique, die John die »Oberlehrerinnen« nannte, weil sie die Männer gerne für ihr infantiles Verhalten rügten. »Außerdem ist es klar, dass Caitlin Johns neuer Liebling sein wird, also würde ich an deiner Stelle einfach gute Miene zum bösen Spiel machen, lächeln und nett sein.«
»Ich hasse es, nett zu sein!«, entgegnete Olive.
»Ich weiß. Aber du bist nett zu mir!«
»Nur wenn wir unter uns sind!«, betonte sie.
Er beugte sich vor, um ihr einen Kuss zu geben, aber sie schubste ihn weg. Niemand wusste von Zachs und Olives Arrangement. Zach war zwar technisch gesehen nicht Olives Chef – sie war John direkt unterstellt, genau wie er –, aber es hätte ernste Konsequenzen, wenn es sich herumsprechen würde. John würde durchdrehen, Debra würde sie beide umbringen, und wahrscheinlich würde der Vorstand eingeschaltet werden.
»Du sagst mir also nicht, welche Überraschung uns heute Abend erwartet, und du lästerst auch nicht mit mir über Caitlin. Du bist echt zu nichts zu gebrauchen, Zach.« Sie stand auf und schlüpfte wieder in ihre goldenen Sandalen. »Wir sehen uns bei den Drinks. Tschüss!«
Olive öffnete die Tür, spähte kurz nach links, dann nach rechts, ging anschließend im Eiltempo den Flur entlang und nahm den Aufzug hinunter ins Erdgeschoss. Sie bekam Gänsehaut von der kalten Klimaanlage und verfluchte mal wieder die Klimatisierungsobsession der Amerikaner, die sie als einen Frontalangriff auf Frauen empfand, die tendenziell schneller froren als Männer.
Olive blieb noch ein wenig Zeit bis zu ihrer Gesichtsbehandlung, also beschloss sie, sich nach jemandem zum Quatschen umzusehen. Debra war in ihrem Zimmer und schlief, aber vielleicht konnte sie ein anderes williges Opfer finden. Olive schlängelte sich lauernd durch die Lobby aus glattem, grauem Marmor, ging vorbei an den Portiers, die auf ankommende Gäste warteten, und verließ dann das Gebäude auf der Rückseite in Richtung Strand. Draußen war es feucht und schwül, und das Kleid klebte ihr sofort an der schweißnassen Brust. Olive hatte ihre helle, fast durchscheinende Haut von ihrem Vater geerbt, der aus North Yorkshire stammte (ihre aus London stammende Mutter war der vornehmere ihrer Elternteile). Beim ersten Anflug von Hitze oder Verlegenheit schlichen sich unliebsame rote Flecken auf Olives Dekolleté und krochen über ihren Hals bis zu den Wangen hinauf. Diese unkontrollierbare, errötende Haut war das Unbritischste an ihr.
Sie umrundete die Pools, ging vorbei an Gästen, die lasen oder ein Nickerchen in der Nachmittagssonne machten. Die Frauen sahen allesamt gut aus, waren fit und gepflegt, die Männer dagegen wirkten schlaffer und hatten Kugelbäuche. Das 1 Hotel war kein Partyhotel, dafür war es zu teuer. Es beherbergte hauptsächlich Führungskräfte wie Olive, aber auch reiche Familien und Paare, die einen Kurzurlaub in Miami Beach machten. Olive zog das Faena vor, wo sie letztes Jahr abgestiegen waren, aber das war noch teurer, und die Firma hatte allein für die Zimmer Hunderttausende lockermachen müssen. Dieses Mal wollten sie mehr auf die Reisekosten und Spesen achten. Konkret bedeutete das, dass sie vierzigtausend Dollar für Tische im LIV ausgaben, statt achtzigtausend. Es war eben alles relativ.
Sie begab sich hinunter zur Strandpromenade, dem reizvollen Weg, der zwischen dem Meer und einer Reihe von Luxushotels verlief. Zwei Mittzwanzigerinnen flanierten vorbei, bekleidet nur mit Bikinis und Turnschuhen. Beim Gehen wippten ihre großen, falschen Brüste munter auf und ab. Olive musterte sie finster. Die jungen Frauen von heute überließen nichts mehr der Fantasie. Sie hatte versucht, ihren Töchtern einen gewissen britischen Sinn für Anstand beizubringen, aber manchmal machte sie sich Sorgen, dass auch bei ihnen die amerikanische Vorliebe für Fleisch, Fleisch und noch mal Fleisch die Oberhand gewinnen würde.
In diesem Moment kamen Dallas Joy, Mitgründer von Aurora und Chief Technology Officer, und Martin Ito, Chief Information Officer, auf Olive zugejoggt und blieben vor ihr stehen.
Martin, ein halber Japaner und stolz bekennender Schwuler, trug kein Hemd. Seine definierten Bauchmuskeln schimmerten in der Sonne und erinnerten Olive an ein Steak, das gerade auf den Grill gelegt wurde. Dallas hatte Achtzigerjahre-Laufkleidung an – knappe Shorts und ein Stirnband im Stil von John McEnroe. Zach hasste Dallas und beschwerte sich ständig bei Olive über ihn. Er hasste es, dass Dallas näher an John dran war als er selbst. Er hasste es, dass Dallas ein Mitgründer war und deshalb viel reicher werden würde als er selbst. Zach hasste es auch, dass Dallas offenbar nicht wirklich arbeiten musste, und er hasste es außerdem, dass Dallas frei von all den Verpflichtungen war, die Zach im Leben zu tragen hatte. Genaugenommen, so vermutete Olive, hasste