Vespasian: Das ewige Feuer - Robert Fabbri - E-Book

Vespasian: Das ewige Feuer E-Book

Robert Fabbri

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Beschreibung

Das britische Bestseller-Epos über das Leben des Kaisers Vespasian geht weiter! Exakt recherchierte Historie und packende Action für Fans von Bernard Cornwell, Simon Scarrow und Ben Kane. A.D. 63: Vespasian ist Gouverneur von Africa, wo er 500 römische Bürger in einem weit entfernten Wüstenstaat befreien soll. Vespasian hofft, so in Kaiser Neros Gunst aufzusteigen. Doch in dem Staat trifft er auf eine versklavte Bevölkerung kurz vor der Revolte. Vespasian flieht mit den römischen Bürgern durch die fruchtlose Wüste, stets verfolgt von den Rebellen ... In Rom leben die Menschen derweil in Angst und Schrecken vor Neros Verbündeten. Kann der Kaiser gestoppt werden, bevor das Reich an sich selbst zerbricht? Und wer soll Nero Einhalt gebieten?

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Seitenzahl: 571

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Robert Fabbri

Vespasian: Das ewige Feuer

Historischer Roman

 

 

Aus dem Englischen von Anja Schünemann

 

Über dieses Buch

Nicht weniger entsetzlich als der Anblick waren die Geräusche: Über das Sausen des Windes hinweg war das Donnern einstürzender Mauern zu hören, das Krachen, Knirschen und Zischen Tausender Tonnen Holz, die von den Flammen verzehrt wurden, und zwischen alldem war da noch ein weiteres Geräusch: das Wehklagen einer Million Menschen. Es schien in seiner tiefen Verzweiflung allen anderen Lärm zu übertönen. Und die Leute, von denen es ausging, waren überall, wo das Feuer nicht war. Auf der Flucht vor dem Brand strömten sie über die Brücken, sie rannten über offenes Gelände, drängten sich durch enge Gassen und stürmten durch die Stadttore hinaus, wobei Kranke, Alte und kleine Kinder von der Masse niedergetrampelt wurden. Und währenddessen stießen all die Männer, Frauen und Kinder unablässig ihre verzweifelten Klagelaute aus, denn das Feuer griff immer weiter um sich, sprang von einem Gebäude zum nächsten über. Inzwischen hatte es den südlichen Rand des Forum Romanum erfasst, und auf dem Forum, am Fuß des Palatin, stand der Tempel der Vesta lichterloh in Flammen.

Vita

Robert Fabbri, geboren 1961, lebt in London und Berlin. Er arbeitete nach seinem Studium an der University of London 25 Jahre lang als Regieassistent und war an so unterschiedlichen Filmen beteiligt wie «Die Stunde der Patrioten», «Hellraiser», «Hornblower» und «Billy Elliot – I Will Dance». Aus Leidenschaft für antike Geschichte bemalte er 3500 mazedonische, thrakische, galatische, römische und viele andere Zinnsoldaten – und begann schließlich zu schreiben. Mit seiner epischen historischen Romanserie «Vespasian» über das Leben des römischen Kaisers wurde Robert Fabbri in Großbritannien Bestsellerautor.

 

Mehr zum Autor und zu seinen Büchern: www.robertfabbri.com

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel «Vespasian. Rome’s Sacred Flame» bei Corvus/Atlantic Books, Ltd., London.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, September 2020

Copyright © 2020 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«Rome’s Sacred Flame» Copyright © 2018 by Robert Fabbri

Redaktion Tobias Schumacher-Hernández

Karten © Peter Palm, Berlin

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung HAUPTMANN & KOMPANIE Werbeagentur, Zürich,,

nach der Originalausgabe von Atlantic Books Ltd.

Coverabbildung Illustrator: Tim Byrne

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-00632-4

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

Für Ian Drury, Gaia Banks, Nicolas Cheetham, Sara O’Keeffe, Toby Mundy und Will Atkinson in Dankbarkeit für ihren Beitrag zur Veröffentlichung der «Vespasian»-Serie.

Prolog

Rom, November A.D. 63

Das Kind hatte nicht länger als hundert Tage gelebt, nun wurde es in die Unsterblichkeit erhoben. Im Januar hatte das ganze Reich die Geburt der Claudia Augusta, der Tochter des Kaisers Nero und seiner Kaiserin Poppaea Sabina, begeistert gefeiert. Doch bald nach der Frühjahrs-Tagundnachtgleiche war sie einer Kinderkrankheit erlegen. Der Senat hatte dem verstorbenen Kind göttliche Ehren votiert, um den Schmerz des trauernden Vaters zu lindern, der ebenso maßlos war wie seine Freude über die Geburt. Nun liefen Tränenströme über seine bleichen Wangen in den goldenen Bart unter dem Kinn, während Nero, prächtig in einer goldgesäumten purpurnen Toga, einen Kienspan nahm. Er entzündete ihn an dem Feuer, das die sechs Priesterinnen der Vesta aus ihrem Tempel hergebracht hatten.

Die versammelten hochrangigen Senatoren – allesamt vormalige Prätoren oder Konsuln – hatten in Ehrerbietung vor der jüngsten Gottheit im römischen Pantheon ihr Haupt mit einer Falte ihrer Toga bedeckt. In feierlichem Ernst sahen sie zu, wie der Kaiser den brennenden Kienspan an das Kleinholz auf dem Altar hielt. Das Feuer griff darauf über; Rauch kringelte sich zum Dach des neuen Tempels neben dem des Apollon auf dem Palatin empor. In den sieben Monaten seit dem Tod des Kindes hatten Sklaven Tag und Nacht an dem Bauwerk gearbeitet, und Nero hatte persönlich jedes prächtige Detail überwacht. Dieses Projekt hatte ihn so in Anspruch genommen, dass er darüber die Geschäfte Roms gänzlich vernachlässigt hatte.

In der vordersten Reihe der Versammlung hatte Titus Flavius Sabinus alle Mühe, angesichts dieser ganz und gar lächerlichen Zeremonie einen Anfall von Heiterkeit zu unterdrücken. Er war schon früher zugegen gewesen, wenn Verstorbene vergöttlicht wurden, und hatte die Vorstellung immer recht befremdlich gefunden, ein toter Mensch könne durch gesprochene Formeln und am Heiligen Feuer Roms entzündete Flammen als Gott zu neuem Leben erweckt werden. So wurden Götter nicht geschaffen, das wusste Sabinus. Sie wurden in einer Höhle aus dem Fels geboren wie sein Herr Mithras. Es war unfassbar, dass ein kleines Kind, das kaum mehr geleistet hatte, als an der Brust seiner Amme zu saugen, als göttlich verehrt werden sollte. Während nun der mit Bändern geschmückte Widder für das Opfer zum Altar geführt wurde und die zwei Priester des neuen Kultes Beschwörungen anstimmten, wäre Sabinus beinahe dem drohenden Lachanfall erlegen. «Als Nächstes werden wir wohl auch noch einen Feiertag zu Ehren der göttlichen Claudia Augusta einführen», flüsterte er seinen Nebenmännern zu, seinem Schwiegersohn Lucius Caesennius Paetus und seinem Onkel Gaius Vespasius Pollo, einem Mann in den Siebzigern von gewaltiger Leibesfülle mit zahlreichen Kinn- und Bauchfalten.

«Hmm? Wie, lieber Junge?», fragte Gaius, dessen Gesicht eine Maske religiöser Andacht war.

Sabinus wiederholte seine Vermutung.

«In diesem Fall werde ich einen Ehrenplatz bei den Spielen bekommen, denn ich habe dem göttlichen Kind ein mehr als großzügiges Opfer gestiftet, um dem Kaiser meine Frömmigkeit zu zeigen. Wenn er wieder einmal Geld braucht, wird er dadurch vielleicht weniger geneigt sein, mich aufzufordern, ein Testament zu seinen Gunsten aufzusetzen und mir die Adern zu öffnen. Und wenn ich mir all den kostbaren Marmor und das viele Gold in diesem Tempel ansehe, wird er wohl sehr bald wieder Geld brauchen.» Gaius strich sich eine sorgfältig gekräuselte, schwarz gefärbte Locke aus dem mit Lidstrich umrandeten Schweinsauge. Übertrieben andächtig sah er zu, wie ein Priester den Widder mit einem Hammerschlag betäubte und der andere ihm die Kehle aufschlitzte. Ein Blutschwall ergoss sich in das bereitstehende Bronzebecken. Durch den Schlag benommen, gab das zitternde Tier langsam sein Leben für eine Kindgöttin, die nicht einmal eine Ahnung gehabt hätte, was ein Widder überhaupt war.

Weitere Gebete wurden angestimmt, während zwei Tempeldiener den Kadaver auf den Rücken wälzten. Mit langsamen, präzisen Schnitten wurde der Körper geöffnet, und die Rippen wurden auseinandergebogen, um Herz und Leber freizulegen. Der Kaiser schaute unter Tränen zu, kniend, mit ausgestreckten Armen, ein Inbild des Grams, wie ein Schauspieler im Theater es nicht besser hätte darstellen können.

Die Priester entnahmen Herz und Leber. Ersteres wurde zischend in das entzündete Feuer gelegt, Letztere daneben auf den Altar. Die ganze Versammlung hielt den Atem an. Langsam, um die Spannung zu steigern, wischten die Priester sich das Blut von Händen und Unterarmen, ehe sie die Leber abtupften und die Tücher den Tempeldienern zurückgaben.

Jetzt war der Moment gekommen, auf den alle gewartet hatten: Die Leber wurde in Augenschein genommen. Nero, schaudernd und von Schluchzern geschüttelt, blickte durch ein Fenster hoch in der Rückwand des Tempels in den grauen, düsteren Himmel auf. Er hob den rechten Arm und ballte langsam die Faust, als wollte er etwas Unsichtbares aus der Luft greifen.

Die Gesichter der beiden Priester wurden immer andächtiger, während sie die Leber von beiden Seiten eingehend untersuchten.

Nero begann vor Spannung zu wimmern.

Nachdem sie Vorder- und Rückseite zweimal genau betrachtet hatten, wechselten die Priester einen Blick, nickten und wandten sich dann dem Kaiser zu.

«Die vergöttlichte Claudia Augusta wurde von den himmlischen Göttern angenommen und sitzt nun in ihrer Mitte», verkündete der Ältere der beiden feierlich.

Nero schnappte nach Luft und fiel in Ohnmacht – wohlweislich auf seine Arme, sodass sein Gesicht nicht auf dem Marmorboden aufschlug und womöglich Blessuren davontrug. Die versammelten Senatoren jubelten hingerissen und riefen die neue Göttin an, ihre Hände über sie zu halten.

«Wir sollten den Göttern sehr dankbar sein, dass sie ihre jüngste kleine Kollegin angenommen haben», bemerkte Gaius ohne eine Spur von Ironie, während er sich lautstark an dem Beifall beteiligte. «Vielleicht hat Nero jetzt den Kopf wieder frei, um sich auf die Regierungsgeschäfte zu konzentrieren.»

Sabinus streifte die Falte seiner Toga vom Kopf ab, denn der religiöse Teil der Zeremonie war beendet. «Hoffentlich. Seit mit dem Bau dieses Tempels begonnen wurde, hat er nicht eine Berufung verhandelt und nicht eine Petition gehört. Ich habe wenigstens hundert verurteilte oder beschuldigte Bürger aus allen Teilen des Reiches in der Stadt, die auf ihre Gelegenheit warten, an den Kaiser zu appellieren. Der Stadtpräfekt von Rom sollte nicht den Kerkermeister für gemeine Verbrecher spielen müssen, nicht einmal, wenn sie Bürger sind.»

Paetus runzelte die Stirn, während er ebenfalls sein Haupt wieder entblößte. «Der Stadtpräfekt ist von jeher für Gefangene zuständig.»

«Ja, mit der Unterstützung eines Prätors, aber nie für so viele zur gleichen Zeit. Gewöhnlich, wenn der Kaiser die Appellationen regelmäßig anhört, sind es nicht mehr als zwei oder drei auf einmal. Dieser widerliche kleine Paulus von Tarsus macht mir nichts als Scherereien. Er verbreitet seinen Dreck in Briefen an alle möglichen Leute. Die meisten seiner Schreiben werden durch meine Mittelsmänner abgefangen und vernichtet, aber manche kommen durch. Wenn ich ihn zur Rede stelle, sagt er, solange der Caesar nicht das Urteil über ihn gesprochen habe, sei es sein Recht zu schreiben, an wen er wolle. Selbst wenn die Inhalte aufrührerisch sind und sich gegen ebendie Gesetze richten, hinter denen er sich versteckt – unsere Gesetze. Aber wenn Nero sich wieder seinen eigentlichen Aufgaben zuwendet, werde ich den elenden Wicht bald los sein. Allerdings, nun ja …» Sabinus warf seinem Schwiegersohn einen bedauernden Blick zu. «Das heißt dann auch, dass du dich ihm stellen musst.»

«Ich hatte gehofft, ihm sei entgangen, dass ich aus Armenien zurück bin», gestand Paetus mit düsterer Miene. Sein knabenhaftes Gesicht war von dem Feldzug im Osten wettergegerbt, sodass seine ausgeprägten Vorderzähne noch weißer wirkten.

Ehe sie das Thema vertiefen konnten, gebot Nero mit erhobenen Armen Ruhe. Alle verstummten. Die Rührung des Augenblicks war zu viel für den Kaiser: Eine ganze Weile stand er nur da und trug tief atmend seine Erleichterung zur Schau. «Meine Freunde», sagte er schließlich, als er sich wieder ein wenig gefasst hatte, «welch ein Ereignis wir hier an diesem Ort miterlebt haben: Ich, der Sohn eines Gottes und Urenkel eines Gottes, bin nun auch noch Vater einer Göttin geworden. Ich, Euer Kaiser, habe göttlichen Samen.» Er wandte sich an seinen Freigelassenen Epaphroditus und streckte eine Hand aus. «Meine Kithara.» Der Freigelassene holte die siebensaitige Leier hinter dem Altar hervor, das Instrument, das der Kaiser seit nunmehr fünf Jahren spielte. «Zu Ehren dieses Tages und meiner göttlichen Tochter, die aus meinen Lenden entsprungen ist, habe ich einen Lobgesang komponiert.» Er zupfte einen Akkord und versuchte, einen dazu passenden Ton zu singen, allerdings ohne nennenswerten Erfolg. Seine schwache, raue Stimme konnte den Saal nicht füllen.

Sabinus verzog das Gesicht und wappnete sich. Gaius schaute sich besorgt nach einer Sitzgelegenheit um, doch es gab keine.

Mit zwei weiteren Akkorden, die nicht harmonierten, begann Nero ein misstönendes Klagelied mit holperigem Reim und Versmaß.

Strophe um Strophe sang er, und die Senatoren standen da und lauschten mit andächtiger Miene, als könnten sie ihr Glück nicht fassen, der Darbietung eines solchen Genies teilhaftig zu werden.

Sie hatten reichlich Übung darin: Bereits seit ein paar Jahren präsentierte Nero sich vor einem kleinen Publikum aus ausgewählten Senatoren als Musiker, als wäre er ein Sklave oder Freigelassener und nicht der Kaiser von Rom. Inzwischen war seine Mutter Agrippina auf seinen Befehl ermordet worden, und sein einstiger Lehrer Seneca, stets bemüht, den jungen Princeps zu Würde und Besonnenheit anzuhalten, hatte seinen Einfluss verloren. Seither hatte Nero erkannt, dass es nichts gab, das er nicht tun konnte. Er hatte seine Mutter ermordet, weil sie ihn verärgert hatte, seinen Bruder, weil dieser eine Bedrohung für ihn dargestellt hatte, und zuletzt seine Ehefrau Claudia Octavia, um sie durch Poppaea Sabina zu ersetzen. Poppaeas Hochzeitsgeschenk war der Kopf ihrer Vorgängerin gewesen. Niemand hatte Nero diese Taten vorgeworfen, weil niemand es wagte. Die gesamte römische Elite wusste, dass Nero es nicht ertragen konnte, wenn jemand schlecht über ihn dachte. Er wollte von allen geliebt werden, und wer zu erkennen gab, dass er diese Haltung nicht teilte, für den war kein Platz in Neros Stadt.

Denn Rom war mehr denn je Neros Stadt.

Niemand gab sich mehr Mühe, so zu tun, als könnte der Kaiser sich nicht alles nehmen, was er wollte. Augustus hatte wenigstens noch den Schein gewahrt, um zu verschleiern, dass seine Macht in Wahrheit absolut war. Selbst der ungestüme junge Kaiser Gaius – bekannt unter dem Spitznamen aus seiner Jugend, Caligula – hatte eine gewisse Rücksicht auf das Gesetz genommen: Wenn er es auf das Vermögen eines Mannes abgesehen hatte, so hatte er anstandshalber dafür gesorgt, dass ein ehrgeiziger Informant denjenigen fälschlich des Verrats bezichtigte. Nun jedoch war die Realität für alle schonungslos offensichtlich: Alles war letztendlich Eigentum des Kaisers. Denn wer hätte sich einem Mann widersetzen können, dessen Macht durch die fast zehntausend Mann starke Prätorianergarde abgesichert wurde? Und wer hätte ihm etwas verwehren wollen? Wenn er nun also ein Loblied auf die Göttin singen wollte, die aus seinen göttlichen Lenden entsprungen war, so mochte er das tun – keiner der Anwesenden gab im mindesten zu erkennen, dass sie hier nicht der großartigsten Komposition aller Zeiten lauschten, vorgetragen von dem meistgeliebten Mann, der je gelebt hatte.

Fast eine halbe Stunde später erreichte das Loblied sein schauriges Ende, ebenso geistlos wie unheroisch. Sofort wetteiferten die Senatoren darum, wer dem musikalisch hochbegabten Kaiser zuerst gratulierte und den lautesten Beifall spendete. Nero war natürlich überwältigt und völlig überrascht über diese begeisterte Reaktion und konnte die Bitten um eine Zugabe unmöglich abschlagen.

«Meine Freunde», krächzte Nero, als nach dem zweiten Vortrag der Applaus wieder erstarb. Seine Stimme war vom vielen Gebrauch noch heiserer als sonst. «Nun, da ich meiner Tochter zu ihrem rechtmäßigen Platz im Götterhimmel verholfen und ihr ein angemessenes Haus hier in Rom gebaut habe, richten sich meine Gedanken auf meinen eigenen Trost und den meiner Frau, der Augusta Poppaea Sabina.» Einen Handrücken an die Stirn gelegt, blickte er in die Rauchschwaden unter der hohen Kassettendecke mit Tafelgemälden zwischen Zedernholzbalken auf und seufzte melodramatisch. «Doch das muss warten, liebe Freunde, denn mir ist wohl bewusst, dass der Senat nach mir verlangt. Ich werde dem Ruf unverzüglich folgen. Corbulos Bericht über den Fortgang des erneuten Krieges gegen die Parther in Armenien muss verlesen werden. Es gilt, unsere Politik und den Verlauf des dortigen Konflikts zu überdenken, nachdem ich Corbulo ja wieder das Kommando im Osten übertragen musste, da der Partherkönig Vologaeses meinem Feldherrn Lucius Caesennius Paetus eine schmähliche Niederlage beigebracht hat.» Er hielt inne, und Rufe der Empörung über das Versagen des Generals wurden laut.

Paetus stand stocksteif da und ließ die Schmähungen über sich ergehen.

Sabinus trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. «Ich hätte nicht dafür sorgen sollen, dass er nach seiner Amtszeit als Konsul dieses Kommando bekam», raunte er seinem Onkel zu, leise genug, dass Paetus es nicht hörte. Nero hatte aus Angst und Eifersucht Corbulo, dem größten Feldherrn seiner Zeit, den Oberbefehl über die römischen Truppen in Armenien entzogen, nachdem dieser Vologaeses’ Bruder Tiridates vom armenischen Thron entfernt und durch Roms Klientelkönig Tigranes ersetzt hatte. Aus Corbulos Berichten war ersichtlich gewesen, dass er seine Sache allzu gut gemacht hatte. Kaiser liebten es zu siegen, aber nicht immer auch den Mann, der ihnen zum Sieg verhalf, und Nero hatte seinem General dessen Leistungen wahrhaftig nicht gedankt. Der Konflikt in Armenien war erneut entflammt, als Vologaeses wiederum Tigranes entmachtet und statt seiner erneut Tiridates auf den Thron gesetzt hatte. Sabinus hatte seinen Einfluss als Stadtpräfekt von Rom geltend gemacht, um dafür zu sorgen, dass Paetus zum Statthalter von Kappadokien ernannt wurde und zwei Legionen bekam, um Armenien wieder unter direkte römische Herrschaft zu bringen, doch Paetus hatte spektakulär versagt. Schließlich war Corbulo ermächtigt worden, ihm zu Hilfe zu eilen.

Gaius’ feiste Wangen zitterten vor Entrüstung. «Lieber Junge, du und dein Bruder, ihr habt wahrhaftig kein Glück mit euren Schwiegersöhnen, das muss einmal gesagt werden. Der von Vespasian hat seinerzeit bei der Revolte in Britannien seine gesamte Legion verloren, und nun hat der deine den Glanz seines Konsulats eingebüßt, indem er sich mit seinen zwei Legionen den Parthern ergab, die sie unter das Joch schickten, ehe sie ihnen gestatteten, ohne ihre Waffen und Rüstungen aus Armenien abzuziehen.»

Nero gebot mit Gesten Ruhe, dann wandte er sich direkt an Sabinus, obwohl Paetus direkt neben ihm stand. «Nun, da Euer Schwiegersohn kürzlich nach Rom zurückgekehrt ist, könnt Ihr ihm sagen, dass ich ihn zu Ehren der Vergöttlichung meiner Tochter unverzüglich begnadige. Er würde sonst womöglich noch vor Sorge umkommen, während er mein Urteil erwartet. Offenbar ist er ja anfällig für Panik.»

Die Versammelten brachen in schallendes Gelächter aus. Paetus lief vor ohnmächtigem Zorn rot an.

Sabinus erbleichte. «Gewiss, Princeps.»

Neros Lächeln ließ die Grausamkeit, die in ihm schlummerte, mehr als nur erahnen. «Und dann, nachdem die Senatssitzung beendet ist, werde ich natürlich die ausstehenden Appellationen anhören. Alle, die ein Urteil von mir wünschen, sollen auf dem Forum warten, Präfekt.»

«Ich werde dafür sorgen, Princeps.»

«Gut. Ich werde mir im Dienste Roms die Finger wund arbeiten und meine eigene Bequemlichkeit gänzlich hintanstellen.»

Das rief gewaltigen Jubel hervor, der diesmal weniger geheuchelt war, denn zum ersten Mal seit dem Tod seiner Tochter würde Nero in den Senat kommen und ihnen sagen, was sie zu denken hatten.

 

«Corbulo hat sich geweigert, mir zu Hilfe zu kommen, Vater», beteuerte Paetus, während er, Sabinus und Gaius zwischen den übrigen Senatoren den Palatin hinuntergingen.

«Das ist aber nicht die Version, die der Kaiser gehört hat», erinnerte Gaius ihn. «Wir alle haben dort im Senat gesessen und gehört, wie Vologaeses’ triumphierender Brief verlesen wurde. Er frohlockte darüber, wie er dich großmütig ziehen ließ, obwohl er die Möglichkeit hatte, dich zu vernichten und deine beiden Legionen auszulöschen. Leider traf dieser Brief lange vor deinem ein.»

«Und Corbulos Bericht ebenfalls», fügte Sabinus hinzu. «Er machte nur allzu deutlich, dass du dich in eine verzweifelte Lage hineinmanövriert hattest, aber zu stolz warst, es einzugestehen und um Hilfe zu bitten. Und nun bezichtigt der Kaiser dich öffentlich, in Panik geraten zu sein, und macht dich zum Gespött.»

«Das werde ich ihm nie verzeihen!»

Gaius verzog das Gesicht und schaute sich erschrocken nach den anderen Senatoren um. Sie bogen jetzt nach links auf die Via Sacra ab und näherten sich dem Forum. «Nicht so laut, lieber Junge. Solche Bemerkungen können ein übles Nachspiel haben.»

Paetus machte ein finsteres Gesicht. «Glaubt nicht, ich würde eine solche Schmach ungerächt lassen.»

Sabinus packte seinen Schwiegersohn am Arm und zog ihn dicht zu sich heran. «Hör mir zu, Paetus: Mit Rücksicht auf meine Tochter wirst du nichts Törichtes unternehmen, das dich in Gefahr bringen könnte. Schiebe alle Gedanken an Rache beiseite und konzentriere dich darauf, Neros Gunst wiederzuerlangen, denn ob es dir passt oder nicht, er hat uneingeschränkte Macht über jeden Bereich unseres Lebens, und er ist ein entsetzlich launischer Mensch. Hast du mich verstanden?»

Paetus befreite sich aus seinem Griff. «Es ist unerträglich. Nicht einmal unsere Ehre wird uns mehr zugestanden.»

«Unsere Ehre ist mit dem Untergang der Republik verblasst, inzwischen ist sie nur mehr eine vage Erinnerung. Nero hält alle Macht in seinen Händen, somit bleibt uns natürlich keine Ehre. Aber uns bleibt immer noch das Leben.»

«Und was ist das Leben ohne Ehre?»

Darüber war Gaius sich vollauf im Klaren: «Weit angenehmer als der Tod ohne Ehre, lieber Junge.»

 

«Als dann der parthische Marionettenkönig Tiridates Gesandte schickte, um über einen Friedensschluss zu verhandeln, wies ich sie nicht ab», las Lucius Verginius Rufus, der zweite Konsul, aus Corbulos schriftlichem Bericht vor, «denn ich hatte von einer Rebellion im Osten des Partherreiches gehört und erkannte, dass Vologaeses nicht zwei Kriege gleichzeitig führen wollte. Deshalb erklärte sich der Großkönig zu einem Waffenstillstand bereit. Indessen die Verhandlungen ihren Fortgang nahmen, bestrafte ich all diejenigen armenischen Edelleute, die erst uns die Treue geschworen und alsdann nach Paetus’ Debakel die Seiten gewechselt hatten, mit Tod oder Verbannung. So stellte ich die Treue der Verbliebenen sicher.» Verginius hielt inne, da ein düsteres Raunen durch die Reihen der Senatoren lief, die auf Schemeln entlang beider Längsseiten des Senatsgebäudes saßen.

Sabinus legte Paetus eine Hand auf den Arm, um ihn auf seinem Sitz zu halten.

«Anschließend machte ich ihre Festungen sämtlich dem Erdboden gleich, damit sie nicht erneut gegen uns benutzt werden können. Tiridates bat um eine Friedensverhandlung von Angesicht zu Angesicht, und ich wählte dazu denselben Ort, an dem Paetus geschlagen worden war. Ich scheute mich nicht davor, da ich fand, eine Machtdemonstration am Schauplatz ihres früheren Sieges würde den Kontrast zwischen den beiden Situationen hervorheben.»

Wieder lief ein Raunen durch die Versammlung, und Sabinus bemerkte, dass viele Augenpaare sich auf seinen Schwiegersohn richteten. Nero, der neben Verginius auf einem kurulischen Stuhl saß, schnalzte demonstrativ mit der Zunge.

«Ich wollte mich von Paetus’ Schande nicht beeinträchtigen lassen, deshalb schickte ich seinen Sohn, der als Militärtribun in meinem Stab dient, mit ein paar Einheiten voraus, um jegliche Spuren jener unseligen Begegnung zu beseitigen. Er übernahm das bereitwillig, darauf bedacht, das Andenken an die Torheit seines Vaters austilgen zu helfen.»

Das war beinahe zu viel für Paetus – jetzt mussten alle, die um ihn herumsaßen, ihn körperlich zurückhalten. Nero grinste höhnisch bei dem Anblick.

«Ich traf mit einer Eskorte aus zwanzig Reitern ein, gleichzeitig mit Tiridates, der ein ähnlich starkes Gefolge bei sich hatte. Zu meiner Freude kann ich berichten, dass er mir die Ehre antat, als Erster vom Pferd zu steigen. Daraufhin ging ich ihm ohne Zögern entgegen, ergriff seine beiden Hände und rühmte den jungen Mann dafür, dass er den Krieg ablehnte und stattdessen eine Einigung mit Rom anstrebte. Wir gelangten zu einem ehrenhaften Kompromiss: Er erklärte, er werde seine Krone zu Füßen der Statue des Kaisers ablegen und nach Rom kommen, um sie aus Neros Hand erneut zu empfangen. Ich habe diesem Vorgehen grundsätzlich zugestimmt, sofern der Kaiser es billigt, und die Begegnung endete mit einem Kuss.»

Sämtliche Blicke richteten sich auf Nero. Alle Anwesenden erinnerten sich an das letzte Mal, als Corbulo eine rasche Einigung in Armenien gemeldet hatte: Damals waren die Senatoren in Jubel ausgebrochen, doch Nero hatte sie wütend zum Schweigen gebracht und erklärt, Corbulo habe nur getan, was jeder von ihnen hätte leisten können. Diesmal wollten sie erst vom Kaiser hören, was sie von der Angelegenheit zu halten hatten, ehe sie reagierten. Sie brauchten nicht lange zu warten.

«Welch ein Schauspiel das sein wird!», rief Nero aus, stand auf, hob einen Arm und blickte in die Ferne, als sähe er die Zukunft bereits vor sich. «Stellt Euch vor: Ein König aus der Arsakidendynastie, kein Geringerer als der Bruder des parthischen Großkönigs, kommt als Bittsteller nach Rom. Er kommt zu mir! Er wendet sich nicht an seinen Bruder, sondern an mich, weil ich der Mächtigste bin. Indem er mich als denjenigen anerkennt, der die armenische Krone vergeben kann, bestätigt er meine Herrschaft über Armenien. Ich habe gesiegt!»

Nero breitete die Arme aus, wie um das gesamte Haus einzuschließen, und die Senatoren erhoben sich fast gleichzeitig und jubelten ihrem Kaiser zu, dem Herrn von Armenien.

«Steh auf!», befahl Sabinus barsch und zerrte Paetus hoch, damit dieser in den Beifall einstimmte. «Und mach ein erfreutes Gesicht.»

Paetus schloss sich widerstrebend dem Applaus an.

«Anscheinend hat Corbulo die Kunst erlernt, dem Kaiser zu schmeicheln», bemerkte Gaius, der durch die Anstrengung, Nero zu preisen, stark ins Schwitzen geriet. «Das dürfte sein Leben ein wenig verlängern.»

Und so klatschten sie, riefen, winkten mit Falten ihrer Togen und streckten ihre Hände nach dem Kaiser aus, der sich in dem Ruhm sonnte. Endlich begannen auch die ausdauerndsten Senatoren zu ermüden. Als Nero bemerkte, dass die Lautstärke allmählich nachließ, brachte er den Beifall zum Verstummen und setzte sich wieder.

«Gibt es sonst noch etwas?», erkundigte er sich bei Verginius, als alle wieder Platz genommen hatten.

«Nur noch ein paar Zeilen, Princeps.»

«Nun, dann verlest sie, ehe ich gehe, um die Appellationen zu hören.»

«Da von jeher der Statthalter von Syrien Amtsgewalt über Judäa hat und da ich Syrien bereits stark mit Steuern belastet habe, um diesen Krieg zu finanzieren, wies ich den Prokurator Porcius Festus an, die Steuern in jener Provinz deutlich zu erhöhen. Ferner werde ich dafür sorgen, dass sein Nachfolger Gessius Florus diese Politik fortsetzt, wenn er im neuen Jahr eintrifft. Es ist nichts, das sie sich nicht leisten könnten, denn die Juden sind notorisch wohlhabend, wie schon ein Blick auf ihren Tempelkomplex bestätigt. Die zusätzlichen Steuereinnahmen werden einen erheblichen Teil der Kosten für die Neuausrüstung der zwei Legionen decken, die Paetus durch seine Unbedachtsamkeit in die Niederlage führte und die ich inzwischen nach Syrien zurückgeholt und unter mein Kommando gestellt habe.»

Die letzten Worte hallten durch den Saal, dann wurde es still.

Nero saß bebend vor Wut da, die Armlehnen seines Stuhls krampfhaft umklammert. Dann fasste er sich, stand abrupt auf und stürmte mit wehender purpur-goldener Toga hinaus.

«Oh weh, liebe Jungen», murmelte Gaius, während nach Neros Abgang der Saal in Tumult ausbrach. «Corbulo schart Legionen um sich – mir scheint, dadurch hat er das gute Ansehen wieder zunichtegemacht, das er sich verschafft hatte, indem er Nero als Königsmacher dastehen ließ.»

«Und ich dachte schon, aus dieser Angelegenheit würde gar nichts Gutes mehr entstehen», bemerkte Paetus, ein unangenehm höhnisches Grinsen auf dem Gesicht.

 

«Antrag abgelehnt!», schrie Nero. Ein weiterer verurteilter Bürger, ein Ritter, der zuvor des Mordes an seinem Geschäftspartner für schuldig befunden worden war, fiel der schlechten Laune des Kaisers zum Opfer. «Wie lautete das ursprüngliche Urteil?»

Epaphroditus warf einen raschen Blick auf das Schriftstück, das er vor sich auf dem Tisch hatte. «Tod durch Enthaupten, Princeps.»

«Entzieht ihm die Bürgerrechte und werft ihn den wilden Tieren vor zur Strafe dafür, dass er mir meine Zeit gestohlen hat.»

Die große Menge überwiegend einfacher Leute, die sich um das Gericht unter freiem Himmel versammelt hatte, rief Beifall, denn der Pöbel sah es immer gern, wenn ein Höhergestellter verurteilt wurde, und scherte sich nicht sonderlich darum, ob es bei der Anhörung gerecht zugegangen war.

Der Verurteilte warf sich auf den Boden und flehte um Gnade, doch er wurde an den Füßen gepackt und davongeschleift. Seine Finger krallten sich noch in die Ritzen zwischen den Pflastersteinen auf dem Forum.

Sabinus schaute sich nach den gut zwanzig weiteren Bittstellern um. In den zwei Stunden, die Nero nun schon zu Gericht saß, hatten sie nichts als Ablehnungen mit angesehen, und so schien keiner der Wartenden mehr zuversichtlich. Wirklich keiner? Doch, ein Mann fiel Sabinus ins Auge: Klein, mit schütterem Haar und krummen Beinen, trug Paulus von Tarsus einen Ausdruck heiterer Gelassenheit zur Schau, den man in Anbetracht seiner bedrohten Lage beinahe mit dem leeren Blick eines geistig Verwirrten verwechseln konnte.

«Eine interessante Reaktion, findet Ihr nicht auch? Überaus, nun … was ist das passendste Wort dafür? Überaus gefasst, ja, genau, gefasst, wenn man bedenkt, dass er vor einen Kaiser treten muss, dessen Sorge um einen potenziellen Rivalen im Osten anscheinend noch den letzten Funken Gerechtigkeitssinn in ihm ausgelöscht hat.»

Sabinus drehte sich um und blickte in das aufgedunsene Gesicht von Lucius Annaeus Seneca. «Von wem sprecht Ihr, Seneca?»

«Von Paulus von Tarsus natürlich. Es war nicht zu übersehen, wie eingehend Ihr ihn eben angeschaut habt.»

Sabinus’ Neugier war geweckt. «Ihr kennt ihn?»

Seneca strahlte ihn in seiner onkelhaften Art an und legte ihm einen speckigen Arm um die Schultern. «Seit er nach Rom gekommen ist, um an den Kaiser zu appellieren, bedrängt er mich ständig, ich solle meinen Einfluss auf Nero geltend machen, damit seine Anklage wegen Aufwiegelei fallengelassen wird.»

«Aber Ihr habt doch gar keinen Einfluss mehr auf Nero.»

Seneca klopfte Sabinus auf die Schulter. «Nun, ganz so verhält es sich nicht, und das wisst Ihr auch. Ich habe noch immer Zugang zu ihm, nur nimmt er meinen Rat aus Prinzip nicht mehr an. Es bereitet ihm Freude, mir seine Missachtung zu zeigen, indem er das genaue Gegenteil dessen tut, was ich ihm empfehle. Und Epaphroditus bestärkt ihn noch darin, um mir vor Augen zu führen, dass er jetzt die Macht hinter dem Kaiser ist. Es ist, nun … wie würdet Ihr es nennen? Es ist ein Ärgernis, ja, ein Ärgernis – wenigstens war es eines.»

Sabinus begriff sofort. «Bis Ihr dazu übergegangen seid, dem Kaiser das genaue Gegenteil dessen zu raten, was Ihr erreichen wollt?»

«Ach, mein Freund, wie gut Ihr doch unseren Nero versteht. Nun, ich habe einiges von dem abscheulichen Atheismus gelesen, den Paulus vertritt, und davon, wie er seine Anhänger drängt, den Kaiser nicht als die höchste Macht auf Erden anzuerkennen – wie scheinheilig, da er sich doch nur zu gern mit seiner Appellation an ihn wendet. Also beschloss ich, Paulus seine Bitte zu erfüllen: Ich habe Nero beschworen, in seinem Fall Milde walten zu lassen.»

Sabinus nickte beifällig. «Gut. Ich musste in meiner Zeit als Statthalter von Thrakien und Makedonien etliche seiner Anhänger kreuzigen lassen. Sie verleugnen die Götter, weigern sich, dem Kaiser Opfer zu bringen – oder auch nur um des Kaisers willen, wie die Juden es tun –, und glauben an ein nächstes Leben, das besser ist als das in dieser Welt. Deshalb scheinen sie den Tod kaum zu fürchten, der offenbar uns alle bald ereilen wird, da das, was er das Ende der Tage nennt, angeblich unmittelbar bevorsteht. Das Ganze ist gefährlich, wider die Vernunft und fanatisch, und es steht im Widerspruch zu allem, woran unsere Vorfahren seit Generationen geglaubt haben.»

«Dem stimme ich zu, auch wenn er in einem Punkt recht hat.»

«Worin denn?»

«Ich habe eine Kopie eines Briefes von ihm an einen griechischen Anhänger gesehen. Darin schrieb er, die Frauen sollten schweigen. Ach, würde Poppaea Sabina sich doch nur an diese Empfehlung halten.» Seneca kicherte über seine eigene Bemerkung. «Euer Bruder Vespasian wäre gewiss auch dieser Ansicht», fügte er hinzu, gerade als Paulus vor den Kaiser geführt wurde.

Epaphroditus las von einer Schriftrolle ab. «Gaius Iulius Paulus, angeklagt durch Porcius Festus, den scheidenden Prokurator von Judäa. Der Vorwurf lautet, er habe Hetze gegen die Römer und die Juden verbreitet und einen Aufruhr angestiftet. Er lehnte einen Prozess in Jerusalem ab und zog es vor, direkt an Euch zu appellieren, Princeps.» Epaphroditus reichte dem Kaiser das Dokument. «Seneca hat in diesem Fall zur Milde geraten», fügte er mit einem verschlagenen Blick zu Seneca hinzu.

Nero musterte Paulus, als nähme er einen unschönen Hautausschlag in Augenschein. «Nun?»

Paulus lächelte den Kaiser übertrieben liebenswürdig an und breitete die Arme aus. «Princeps, möge der Friede des Herrn Euch besänftigen und –»

«Komm zur Sache!» Nero war nicht in der Stimmung, sich besänftigen zu lassen.

Paulus wich ob dieser Heftigkeit einen Schritt zurück. «Ich, äh … Es tut mir leid, Princeps.» Er rieb seine Hände, zog die Schultern hoch und lächelte so schmeichlerisch, dass Sabinus ganz übel wurde. «Princeps, ich wurde missverstanden. Ich kam nach Jerusalem, um Geld zu überbringen, das für die Armen gesammelt worden war. Die Priester im Tempel verwehrten mir, es zu verteilen. Sie fanden, es sei ihre Aufgabe, doch das hätte bedeutet, dass sie alles selbst behalten hätten. Als ich protestierte, ließ der Hohepriester mich durch die Tempelwache verhaften und übergab mich dem Prokurator. Daraufhin brach der Aufruhr los.»

Nero unterbrach ihn. «Es gab also einen Aufruhr, und du hast dich deinen Priestern widersetzt, die um meinetwillen Opfer darbringen. Und zudem wolltest du persönlich Geld an die Armen verteilen, als wärest du der Quell aller Wohltätigkeit und nicht ich, dein Kaiser?»

Paulus schien verunsichert. «Nun, ja, und dann auch wieder nicht. Ich –»

«Schafft ihn fort», befahl Nero, «und richtet ihn hin.» Er schaute zu Seneca hinüber. «Milde?» Angewidert schüttelte Nero den Kopf.

Selbst Sabinus war erschrocken über die Willkür, mit der Nero an diesem Tag Recht sprach. «Es freut mich sehr, dass wir Paulus für immer los sind, aber ich bin doch erleichtert, dass er meinen Schwiegersohn schon begnadigt hatte, ehe er Corbulos Bericht zu Ende hörte.»

«Wahrhaftig ein Glück», pflichtete Seneca ihm lächelnd bei, während Paulus sich ohne Gegenwehr in Ketten legen ließ. «Und ein höchst befriedigender Urteilsspruch.»

«Denkt Ihr, es gibt irgendeine Möglichkeit, den Schaden wiedergutzumachen, den Paetus am Ansehen meiner Familie angerichtet hat?»

«Das hängt ganz von zwei Dingen ab: wie Euer Bruder Vespasian seine Sache in Africa macht und wie Ihr über den Vorschlag entscheidet, den ich Euch unterbreitet habe.»

«Wie ich schon sagte, Seneca: Ich werde keine Entscheidung fällen, ehe nächstes Frühjahr mein Bruder zurück ist und ich mit ihm gesprochen habe.»

«Bis nächstes Frühjahr könnten wir alle bereits tot sein.» Seneca lächelte freudlos und ging davon. Da schien mit Paulus plötzlich eine Veränderung vor sich zu gehen: Seine liebenswürdige Art verflog schlagartig, da ihm die Endgültigkeit seines Urteils bewusst wurde. Er schaute auf seine Fesseln hinunter, dann straffte er sich und blickte Nero in die Augen. «Euer Urteil bedeutet mir nichts. Diese Welt wird nicht mehr lange bestehen. Ich verlasse sie nur ein wenig früher als Ihr, denn der Tag des Gerichts ist nahe. Bis dahin werde ich bei meinem Herrn sein, Jeschua bar Joseph, dem Christus.»

«Wartet!» Nero hob eine Hand. «Was hat er gesagt? Christus?»

«Ich glaube schon, Princeps», bestätigte Epaphroditus.

Nero beäugte Paulus. «Du bist also ein Anhänger dieses neuen Kultes um den gekreuzigten Gott, wie?»

«Ich glaube, dass der Christus für unsere Sünden gestorben ist», erwiderte Paulus entschieden. «Und dass er sehr bald wiederkehren wird, am Ende der Tage, welches rasch naht. Das Aufgehen des Hundssterns wird es ankündigen, und es wird hier seinen Anfang nehmen.»

Über diese Worte schien Nero höchst erfreut. «Ach, tatsächlich? Wird es das?» Er wandte sich an Sabinus. «Haltet ihn im Tullianum sicher verwahrt, Präfekt, vielleicht kann sein Tod mir später noch von Nutzen sein.»

Teil I

Garama, 400 Meilen südlich der römischen Provinz Africa, Dezember A.D. 63

I

Was Vespasian am meisten beeindruckte, war nicht die Stadt Garama selbst, sondern die umgebende Landschaft. Felder mit Weizen und Gerste wechselten mit Obstgärten voller Feigenbäume und Viehweiden. So etwas war in großen Teilen des Imperiums kein ungewöhnlicher Anblick, doch hier außerhalb der Grenzen des Imperiums südlich von Leptis Magna in der Provinz Africa, nach einer vierhundert Meilen weiten Reise durch die Wüste, nahm es sich wahrhaftig wie ein Werk der Götter aus.

Eine gute Stunde nach dem gestrigen Sonnenaufgang, kurz bevor die Karawane ihr Lager aufgeschlagen hatte, um nach ihrem Nachtmarsch die sengend heißen Stunden des Tages zu verschlafen, war die Reihe ferner Berge als begrünt erkennbar geworden. Nun, als nach einem weiteren Nachtmarsch gen Süden erneut die Sonne höher stieg, konnten sie die ganze Schönheit dieser unglaublichen Oase genießen. Nur wenige Meilen vor ihnen thronte auf einem Berg dreihundert Fuß über der Wüstenebene eine Stadt mit hohen Türmen, und zu beiden Seiten davon erstreckte sich wenigstens zehn Meilen weit nichts als fruchtbares Land. In diesem Meer aus Grün waren Gruppen winziger Gestalten auszumachen, offenbar Arbeitstrupps.

«Dieser Anblick ist so unwahrscheinlich wie der einer Vestalin, die nackt Spagat macht.»

Vespasian schaute sich nach dem Urheber dieser Bemerkung um, einem Mann Anfang siebzig mit zahlreichen Narben, dessen Blumenkohlohren und gebrochene Nase ihn als ehemaligen Boxer kenntlich machten. Er saß auf einem Pferd neben Vespasian und trug ebenso wie dieser einen weichen, breitkrempigen Strohhut. «Wie kannst du so sicher sein, Magnus, dass Vestalinnen nicht nackt Gymnastik treiben?»

Magnus wandte sich Vespasian zu. Sein eines Auge blinzelte in die aufgehende Sonne, das andere spiegelte nur ihren Schein, denn es war eine Glasattrappe – und keine besonders gelungene, wie Vespasian insgeheim schon immer fand. «Ich sage ja nicht, dass sie nicht nackt rumspringen und allerlei interessante Kunststücke und Verrenkungen machen. Ich sage nur, es ist unwahrscheinlich, dass ich davon jemals was zu sehen bekomme, wenn Ihr versteht, was ich meine?»

«Ich verstehe durchaus, und du hast vermutlich recht: Selbst wenn sie Publikum zuließen, würden sie dich sicher nicht einlassen, dafür siehst du viel zu unappetitlich aus.» Vespasian grinste, wobei seine trockenen Lippen schmerzhaft rissen. Er zuckte zusammen und fasste sich an den Mund.

«Das geschieht Euch recht, weil Ihr Euch ständig über mich lustig macht, Herr.» Magnus nickte befriedigt. Dann beugte er sich vor, um den Mann an Vespasians anderer Seite anzureden. «Bezichtigt er dich je der Unappetitlichkeit, Hormus? Oder ist er zu seinem Freigelassenen höflicher als zu seinem ältesten Freund?»

Hormus kratzte sich in seinem spärlichen Bart, der sein leicht fliehendes Kinn nicht ganz kaschieren konnte, und lächelte schüchtern. «Ich interessiere mich ja gar nicht für nackte Frauen, also macht es für mich keinen Unterschied, ob der Herr mich für unappetitlich hält oder nicht.»

«Das beantwortet nicht meine Frage.»

«Ich weiß.»

Magnus knurrte, dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf das Wunder vor ihnen. «Unter diesen Bergen liegt also ein Meer?»

Vespasian leckte sich einen Blutstropfen vom Finger. Schweiß lief unter seinem Hut hervor und juckte in dem dichten Bart an Kinn und Wangen. Die grelle Sonne zwang ihn zu blinzeln, und der ohnehin beständig angespannte Ausdruck auf seinem runden Gesicht wirkte dadurch noch verkrampfter. «Ein Meer oder ein großer See, wer weiß? Fest steht, dass sie Hunderte Brunnen haben, aus denen sie ein Bewässerungssystem mit unterirdischen Rohren speisen. Und von irgendwoher muss das Wasser ja kommen.»

«Also, ich wünschte, es wäre nicht da, dann hätten wir nicht herzukommen brauchen.»

«Und ich dachte, du siehst dir gern mal etwas Neues an.»

«Von wegen.» Magnus rieb sich stöhnend den Rücken. «In meinem Alter ist das einzige Neue, was ich gern sehen will, ein neuer Tag.»

Mit Rücksicht auf seine Lippen grinste Vespasian lieber nicht über den Witz seines alten Freundes, der ihn schon seit fast achtunddreißig Jahren begleitete. Stattdessen trieb er sein Pferd weiter zu dem Weg, der in Windungen zur Stadt hinaufführte. Auch er wäre jetzt lieber woanders gewesen.

Doch die traurige Wahrheit war, dass er keine andere Wahl gehabt hatte. Wieder einmal war er zum Opfer politischer Machenschaften in Rom geworden, allerdings war er diesmal selbst schuld, da er sich durch Manipulation einen begehrten Posten gesichert hatte. Das war nun einmal die einzige Möglichkeit, in Neros Rom voranzukommen. Vespasians Mätresse Caenis, die selbst im Palast arbeitete, hatte ein Dokument in die Hände bekommen, das ihr Macht über Epaphroditus verschaffte. Es brachte ihn mit einer Angelegenheit in Verbindung, welche dem Kaiser nicht gefallen hätte. Es war nur naheliegend erschienen, dass sie den mächtigen Freigelassenen von der Existenz dieses Schriftstückes in Kenntnis setzte, damit Vespasian zum Statthalter von Africa ernannt wurde. Epaphroditus war nichts anderes übriggeblieben, als seinen Einfluss auf Nero zu nutzen, damit Vespasian das Amt und er selbst im Gegenzug das belastende Dokument bekam. Das war dem Freigelassenen ganz und gar nicht recht gewesen, denn normalerweise hätte er für einen solch prestigeträchtigen Statthalterposten ein hohes Bestechungsgeld kassiert. Doch nicht allein Epaphroditus’ Feindschaft hatte Vespasian diese Reise an den äußersten Rand der bekannten Welt eingetragen. Eine noch größere Macht steckte dahinter: die Kaiserin Poppaea Sabina. Warum sie sich ihm gegenüber so feindselig verhielt, wusste Vespasian nicht, aber seine Erfahrung mit der kaiserlichen Politik sagte ihm, dass es für Bosheit oft keinen anderen Grund gab als den Reiz, Macht über Schwächere auszuüben.

Aus Rache für das entgangene Bestechungsgeld hatte Epaphroditus also Nero vorgeschlagen, Vespasian eine besondere Aufgabe zu übertragen. Wenn er schon einmal als Statthalter in Africa diente, sollte er die Freilassung der römischen Bürger erwirken, die im Reich der Garamanten in Sklaverei lebten. Dutzende, wenn nicht Hunderte von ihnen schufteten auf den Feldern des Königreiches. Poppaea Sabina hatte den Vorschlag begeistert befürwortet. Sie hatte Nero zugeredet, es wäre eine großartige Ruhmestat, wenn er etwas erreichte, das andere Kaiser vor ihm vergeblich versucht hatten. Nero hatte deshalb Vespasian beauftragt, eine Gesandtschaft zu Nayram, dem König der Garamanten, zu schicken, die im Namen des Kaisers verhandeln sollte. Mit kaltem Lächeln und düsterem Blick hatte Poppaea ihrem Mann vorgeschlagen, es wäre doch viel besser, wenn Vespasian persönlich ginge, und falls er scheitern sollte, wäre es das Beste, wenn er nicht zurückkehrte. Nachdem Nero die Angelegenheit einen Herzschlag lang gründlich erwogen hatte, war er ihrer Meinung gewesen. Vespasian hatte innerlich geflucht, doch er konnte Epaphroditus nicht vorwerfen, dass er Vergeltung übte, wie auch jeder andere es an seiner Stelle getan hätte. Poppaeas plötzliche Bosheit hatte Vespasian allerdings verwirrt. Ihm war nichts anderes übriggeblieben, als einzuwilligen. Immerhin würde er nun mehr als ein Jahr lang außerhalb von Poppaeas Reichweite sein. Vielleicht konnte sein älterer Bruder Sabinus zu Hause in Rom in der Zwischenzeit herausfinden, was die Kaiserin gegen ihn hatte. So war er im Alter von vierundfünfzig Jahren nach Africa aufgebrochen, kurz nachdem sein ältester Sohn Titus Sabinus’ Nichte Arrecina Tertulla geheiratet hatte. Doch was ein Jahr in Luxus und Bequemlichkeit hätte werden sollen, war zum genauen Gegenteil geraten.

Hier ritt er nun also an der Spitze einer Karawane aus Kaufleuten, welche regelmäßig die Route durch die Wüste nahmen, und einer halben Ala einer numidischen Auxiliartruppe auf ihren stämmigen kleinen Ponys, die anscheinend mit ebenso wenig Wasser auskamen wie ihre Reiter, so sehr waren sie an die Wüste gewöhnt. Außerdem hatte Vespasian seine elf Liktoren bei sich, die ihre Fasces auf die Rücken ihrer Pferde geschnallt hatten.

Er trieb sein Reittier erneut an, damit es etwas zügiger bergauf lief, denn er wollte die Stadt erreichen, ehe die Sonne am klaren Wüstenhimmel noch viel höher stieg. Die Türme der Stadt ragten über ihnen auf, und sie hörten die Hornsignale der Wachen, welche die deutlich vergrößerte Karawane ankündigten.

Fünfzehn Tage – beziehungsweise Nächte – waren sie von Leptis Magna bis hierher unterwegs gewesen, über diverse Brunnen, Oasen und Wasserstationen entlang der Karawanenroute, die das Königreich der Garamanten mit dem Imperium verband. Allerdings hatte die Vorbereitung weit mehr Zeit in Anspruch genommen als die eigentliche Reise, denn die Wasservorräte am Weg reichten nur für eine kleine Karawane mit zwanzig bis dreißig Kaufleuten. Vespasians Trupp war jedoch deutlich größer, und auf dem Rückweg würden noch Hunderte dazukommen.

Gleich nach seiner Ankunft in der Provinz im April hatte er befohlen, die Vorräte an den Wasserstationen erheblich aufzustocken. Er hatte Tausende Amphoren nach Süden geschickt, damit sie am Weg vergraben wurden. Das hatte sechs Monate in Anspruch genommen. Zuvor hatte er die Sufeten, die beiden obersten Magistrate in Leptis Magna – der Stadt, die Garama am nächsten war –, erst mit Drohungen zur Kooperation bewegen müssen. Als die Arbeiten endlich abgeschlossen waren, war Vespasian im November per Schiff von Karthago, der Hauptstadt von Africa, aufgebrochen. Er war dicht an der Küste entlanggesegelt und hatte in Hadrumetum, der zweitgrößten Stadt der Provinz, Station gemacht. Dort hatte er feststellen müssen, dass sich eine beträchtliche Menge Arbeit angehäuft hatte, denn sein Vorgänger Servius Salvidienus Orfitus hatte während seiner gesamten Amtszeit Karthago nicht verlassen. Da Vespasian in Eile war, hatte er sich nur einen Tag in der Stadt aufgehalten und nicht einmal ein Zehntel der ausstehenden Appellationen gehört. Deshalb war er trotz seiner elf Liktoren von den verärgerten Berufungsführern mit Rüben beworfen worden, als er wieder an Bord seines Schiffes gegangen war. Vespasian hatte Orfitus für seine Versäumnisse verflucht und geschworen, seine persönliche Schmach irgendwie zu rächen, dann war er zum Hafen von Leptis Magna weitergefahren. Die Stadt lag ungefähr mittig zwischen Karthago und dem fernen Kyrene in der Nachbarprovinz Kyrenaika, wo er fast dreißig Jahre zuvor als Quästor gedient hatte.

Die Sufeten dieser entlegenen Hafenstadt hatten sich nur widerwillig seinen Befehlen gefügt, denn bis zum Beginn des Jahres war Leptis Magna eine freie Stadt gewesen, auf welche der Statthalter nur geringen Einfluss hatte. Das hatte sich nun aufgrund von Neros ständiger Geldknappheit geändert: Er hatte der Stadt das Latinische Recht verliehen und sie im Gegenzug zu einem Municipium erklärt. Den Einheimischen hatte das nicht gefallen, doch sie konnten sich dagegen ebenso wenig wehren wie gegen die neu eingeführten Steuern. Das Ergebnis war, dass die Sufeten sich recht widerspenstig gebärdeten; da sie es nicht gewohnt waren, Befehle zu empfangen, hatten sie sich von Anfang an gegen Vespasian gestellt. Einer seiner ersten Boten, ein Optio mit einer Eskorte aus acht Mann, war nicht zurückgekehrt. Daraufhin hatte Vespasian durch eine ernste Drohung seine Entschlossenheit demonstriert. Insgeheim hatte diese Widersetzlichkeit ihn aber auch belustigt, denn Leptis Magna war die Geburtsstadt seiner Frau Flavia Domitilla, die er während seiner Amtszeit in Kyrene kennengelernt hatte.

Vespasian lächelte in sich hinein, als er endlich den Gipfel erreichte und die Tore von Garama vor sich sah. Vielleicht war der unabhängige Geist der Stadt, in der seine Frau aufgewachsen war, die Erklärung für ihren Eigensinn, der ihm während ihrer gesamten Ehe immer wieder zum Ärgernis wurde.

«Was ist so komisch?», erkundigte sich Magnus und nahm seinen Hut ab, um sich zum hundertsten Mal an diesem Tag den Schweiß von der Stirn zu wischen.

«Wie?» Vespasian schrak aus seinen Tagträumen auf.

«Dachtet Ihr vielleicht gerade daran, wie Ihr mit Rüben beworfen wurdet? Daran habe ich mich nämlich eben erinnert, und es fällt mir immer noch schwer, nicht laut darüber zu lachen, wann immer ich Euch anschaue.»

«Ja, sehr komisch. Ungefähr so komisch, wie Orfitus es finden wird, eine Rübe in den Arsch gerammt zu bekommen, wenn ich ihm in Rom begegne. Aber wenn du es unbedingt wissen willst: Ich dachte gerade daran, dass die Haltung der Sufeten gegenüber Autoritäten vielleicht Flavias Benehmen erklärt. Schließlich hat sie die ersten rund zwanzig Jahre ihres Lebens in Leptis Magna zugebracht.»

Magnus knurrte unverbindlich. «Vielleicht, aber Ihr habt über Flavia nicht die gleiche Macht wie über die Sufeten.»

«Wie meinst du das?»

«Nun, ist das nicht offensichtlich? Als diese Leute nicht mithelfen wollten, die Wasservorräte am Weg aufzustocken, habt Ihr ihnen geschrieben, das sei in Ordnung, sofern sie mit auf die Expedition kämen, um Euch weitere Wasserstellen zu zeigen. Und prompt haben sie sich Euren Wünschen gefügt. Der Unterschied ist der: Bei diesen Leuten hättet Ihr Eure Drohung wahrgemacht. Aber würdet Ihr jemals versuchen, Flavia gefügig zu machen, indem Ihr droht, sie mitzunehmen, sodass Ihr dann ihr ständiges Gejammer ertragen müsstet?»

Vespasian schauderte bei der bloßen Vorstellung.

«Diese beiden fetten Hundesöhne hättet Ihr nur zu gern schwitzend im Sattel sitzen sehen, zweihundert Meilen vom nächsten Badehaus und Knabenbordell entfernt. Aber ehe Ihr Flavia hierher mitgenommen hättet, würdet Ihr lieber dem Arschloch der Medusa ins Auge blicken, wenn man das so sagen kann.»

Dem konnte Vespasian nicht widersprechen. «Allerdings könnte ich dann wenigstens sicher sein, dass sie nicht all mein Geld verprasst, wie sie es versucht hat, als ich das letzte Mal längere Zeit fort war.»

«Wohl wahr. Bestimmt zählt sie darauf, dass Ihr Euch auf diesem Posten gewaltig bereichert, und hat deshalb ihre Ausgaben bereits verdoppelt oder gar verdreifacht.»

Wieder schauderte Vespasian.

«Ich rate Euch deshalb, Eure Macht auszunutzen, um Geld zu scheffeln, ehe im März die Seewege wieder offen sind und Euer Nachfolger kommt. Denn ich wette, wenn Ihr heimkehrt, hat Eure Frau schon jeweils vier Sklavinnen, die ihr beim Baden zur Hand gehen, ihr das Haar richten, die Schminke und die Kleidung. Und da sind die noch nicht mitgezählt, die ihren Schmuck und die Schuhe aussuchen oder sich für den Fall bereithalten, dass ihr vielleicht danach ist, etwas Süßes zu knabbern oder dem Bacchus zu huldigen, natürlich mit dem edelsten Falernerwein, den sie, ohne Kosten zu scheuen, von den angesehensten Weinhändlern auf dem Forum gekauft hat, denselben, die den Kaiser beliefern, denn weshalb sollte die Frau eines Statthalters sich mit etwas Geringerem begnügen?»

Vespasian sah seinen Freund stirnrunzelnd an, als dieser nach seiner Tirade Luft holen musste. «Bist du endlich fertig?»

Magnus knurrte wieder. «Ich wollte es ja nur mal gesagt haben.»

«Vielen Dank auch. Du hast dich sicher ganz verausgabt.»

«Vergesst nicht, dass sich bewahrheitet hat, was ich gesagt habe, als Ihr sie aus Kyrene mitnahmt: Damals sagte ich, sie würde wenigstens zwei Dienerinnen brauchen, die ihr das Haar richten, und Ihr hattet einen gewaltigen Streit mit ihr, als Ihr die dritte wieder verkauftet. Die hatte sie sich hinter Eurem Rücken zugelegt in der törichten Annahme, jemand, der so aufs Geld schaut wie Ihr, würde es nicht bemerken.»

«Ich dachte, du seist fertig?»

«Jetzt schon.»

«Gut. Dann kann ich mich nun vielleicht meiner eigentlichen Aufgabe widmen und über die Freilassung all der römischen Bürger verhandeln, die hier versklavt sind?»

«Wenn Ihr nur Profit daraus schlagt», murmelte Hormus kaum hörbar.

Vespasian starrte seinen Freigelassenen entgeistert an. Eine solche Kühnheit hatte er sich noch nie herausgenommen. «Jetzt auch noch du, Hormus?»

Hormus nickte. «Magnus hat recht: Flavia wird das Geld schon ausgegeben haben, ehe Ihr es habt, also solltet Ihr zusehen, dass Ihr es bekommt.»

Vespasian versuchte, die Bemerkung abzutun, doch insgeheim wusste er, dass Magnus ins Schwarze getroffen hatte. Er hielt sein Pferd an, als das Stadttor von Garama geöffnet wurde und ein ungeheuer beleibter Mann in einer Sänfte herausgetragen wurde. Die Träger hatten sichtlich Mühe mit ihrer Last. Ein halbes Dutzend Sklaven umringten die Sänfte und wedelten ihm mit riesigen Fächern aus Palmblättern so kräftig zu, dass sein Gewand im Luftzug flatterte und sein langer Bart wehte. Es war ein ziemlich seltsamer Anblick.

Um den Hals trug er eine Amtskette, die sich in die Mulde zwischen seinen Brüsten schmiegte. «Ich bin Izebboudjen, Kämmerer Seiner erhabensten Majestät Nayram von den Garamanten, des Herrn der tausend Brunnen. Seine erhabenste Majestät wünscht zu erfahren, wer sich Seiner Hauptstadt nähert.» Er sprach Griechisch mit dem Akzent eines hochgebildeten Mannes.

Vespasian musterte den Kämmerer ein paar Augenblicke lang. Ihm fiel auf, dass der Mann kaum zu schwitzen schien, denn sowohl seine Kleidung als auch die sichtbaren Partien seiner braunen Haut waren trocken. Die Sklaven, die ihm zufächelten, machten ihre Arbeit offenbar ausgezeichnet. Ihnen selbst hingegen lief der Schweiß in Strömen hinunter, ebenso wie den Sänftenträgern. «Mein Name ist Titus Flavius Vespasianus, ich bin der Statthalter der römischen Provinz Africa, und ich bin gekommen, um mit Eurem Herrn Nayram zu sprechen.»

«Ihr meint natürlich Seine erhabenste Majestät Nayram von den Garamanten, den Herrn der tausend Brunnen, Statthalter.»

Vespasian neigte den Kopf und bemühte sich, ernst dreinzuschauen. «Gewiss, Izebboudjen.» Da er an die natürliche Überlegenheit seines eigenen Volkes glaubte, dachte Vespasian nicht daran, vor irgendeinem albernen kleinen Potentaten zu kriechen, ganz gleich, über wie viele Brunnen er Herr sein mochte.

Izebboudjen fand sich damit ab, dass er diesen Römer wohl nicht dazu bringen würde, den vollen Titel seines Herrn zu gebrauchen. Er verbeugte sich in seiner Sänfte so tief, wie es einem Mann von seiner Leibesfülle im Sitzen möglich war. «Willkommen, Statthalter. Eure Soldaten müssen ihr Lager außerhalb der Mauern aufschlagen, ebenso wie die Kaufleute der Karawane. Sie bekommen Speise und Trank, so viel sie begehren, denn niemand soll Anlass haben, dem Herrn der tausend Brunnen mangelnde Großzügigkeit vorzuwerfen. Ihr selbst dürft mit einer kleinen Eskorte in die Stadt kommen, für Euch werden Räumlichkeiten im Palast hergerichtet. Wie viele werden es sein?»

«Ich nehme meine elf Liktoren und zwei Gefährten mit.»

«Sehr wohl. Folgt mir, und ich werde Euch eine Audienz beim Herrn der tausend Brunnen verschaffen.»

 

Garama war alt, sehr alt, das war deutlich zu sehen, als sie durch das Tor ritten und die breite Hauptstraße sich vor ihnen auftat. Die Häuser zu beiden Seiten waren überwiegend zweistöckig und aus sonnengetrockneten Lehmziegeln gebaut, die kleinen Fenster mit Läden verschlossen. Diese Häuser waren vielfach ausgebessert und überstrichen, da schon zahlreiche Generationen sie instand gehalten hatten. Keines war schäbig, aber auch keines neu gebaut. Doch mehr als die Häuser zeugte die Straße selbst vom Alter der Stadt: Die Steine waren vom jahrhundertelangen Gebrauch glatt geschliffen und tief gefurcht von all den Wagenrädern, Hufen und Füßen, sodass die sanft gewellte Oberfläche das gleißende Sonnenlicht in viele verschiedene Richtungen reflektierte. Das Faszinierendste war jedoch, wie sauber diese Straße war. Nirgends war auch nur eine Spur von dem Schmutz zu sehen, den man auf einer öffentlichen Straße normalerweise erwartet hätte, seien es faulende Gemüse- oder Obstreste, menschlicher und tierischer Unrat oder sonst irgendwelche Abfälle gleich welcher Art. Nichts, nicht einmal eine Nussschale, dabei war die Straße durchaus nicht leer. Zahlreiche Menschen waren dort unterwegs, allesamt männlich und alle ziemlich korpulent. Manche spazierten mit Freunden daher, andere kauften in den offenen Läden ein oder saßen da und spielten ein Spiel mit Steinen auf einem seltsam anmutenden Brett. Dabei aßen sie von Geschirr, das aus Rom importiert war, und tranken aus Bechern gleicher Herkunft.

Auch Fuhrwerke waren zu sehen, und dank ihnen erkannte Vespasian, wie diese Stadt so sauber gehalten wurde. Ein Maultier erleichterte sich ausgiebig mitten auf der Straße. Der Wagenlenker kümmerte sich nicht um die dampfenden Hinterlassenschaften, sondern fuhr einfach weiter. Doch kaum dass er fort war, kamen zwei Sklaven herbeigerannt, die irgendwo in der Nähe gewartet haben mussten. Einer trug eine Schaufel und einen Sack, der andere eine Amphore und einen Lappen. Im Handumdrehen verschwand der Maultiermist in dem Sack, und der Fleck auf dem Boden wurde mit Wasser weggespült, dann wurde mit dem Lappen nachgerieben. «Hast du das gesehen?», fragte Vespasian verblüfft.

Magnus nickte. «So was habe ich noch nie gesehen. Machen sie das mit jedem bisschen Schmutz?»

«Wenn ja, wer zahlt für die Sklaven?», überlegte Hormus laut.

Auf ihrem Weg den Hang hinauf – wobei die Liktoren neugierige Blicke auf sich zogen – wurde deutlich, dass dasselbe überall geschah: Zwei weitere frische Kothaufen, ein Hund, der in der Hitze verendet war, und ein paar schimmlige Kohlköpfe, die ein Händler aussortiert und einfach auf den Boden geworfen hatte, endeten ebenfalls in den Säcken der Straßenkehrer. Wann immer irgendwelcher Abfall auf die Straße fiel, eilte sogleich von irgendwoher ein Sklave herbei, um ihn aufzusammeln.

«Haltet Ihr alle Eure Straßen so sauber, Izebboudjen», fragte Vespasian den Kämmerer, «oder nur diese Hauptstraße?»

Izebboudjen drehte mühsam den Kopf und schaute belustigt drein. «Sauber? Wir tun das nicht, um die Stadt sauber zu halten – Sauberkeit ist nur ein Nebeneffekt. Wir sammeln jedes Fitzelchen Abfall, um unsere Felder damit zu düngen.» Er wies mit ausladender Geste auf die Wüste, die sich unter ihnen erstreckte, so weit das Auge reichte. «Wir sind von Ödland umgeben, deshalb darf hier nichts vergeudet werden. Das Einzige, was wir verbrennen, sind unsere Leichen, das heißt, die von freigeborenen Bürgern. Sklaven und Freigelassene kommen auf die Felder.»

«Freigelassene?»

«Ja. Davon gibt es nur ganz wenige, und sie werden nur unter dieser Bedingung freigelassen. Aber das kleine Opfer bringen sie gern, um die Freiheit zu erlangen.»

«Herr!», rief eine Stimme hinter Vespasian auf Latein. «Ich bin ein römischer Bürger!»

Vespasian wandte sich um und sah einen Sklaven über die Straße auf sich zurennen. Fußgänger wichen hastig nach beiden Seiten aus, als er sich Vespasians Trupp näherte, rief und mit den Armen fuchtelte.

Vespasian wendete rasch sein Pferd.

«Nehmt Euch in Acht, Statthalter!», rief Izebboudjen.

Im selben Moment, als Vespasian sein Ross antrieb, um dem Sklaven entgegenzureiten, stieß der Mann plötzlich einen Schrei aus und riss die Arme hoch. Mit durchgebogenem Rücken stürzte er vorwärts zu Boden. Er schlitterte noch ein paar Fuß über den glatten Stein der Straße, ehe er mit weit aufgerissenen, glasigen Augen liegen blieb. Blut rann aus einer Wunde hinter seinem Ohr und tropfte auf den Boden, wo sich langsam eine Lache ausbreitete. Ein Stück hangabwärts erblickte Vespasian zwei riesenhafte, muskelbepackte Männer mit rasierten Köpfen, nur mit einem Lederschurz bekleidet und jeder mit einer Schleuder in der Hand. Sie gingen gemächlichen Schrittes auf den Toten zu.

«Ihr hattet Glück, Statthalter», sagte Izebboudjen. «Es kommt nicht oft vor, dass die Sklaventreiber ihr Ziel verfehlen, aber wenn ein Sklave durchgeht, ist es dennoch stets ratsam, Abstand zu halten, wie alle anderen auf der Straße es getan haben.»

Vespasian schaute sich um: Die Straße war wieder voller Menschen, die ihrer Wege gingen, als wäre nichts gewesen. Einer der Sklaventreiber hob den schlaffen Körper auf und warf ihn über die Schulter, um ihn davonzutragen und damit zu tun, was immer getan wurde, um ihn in Dünger umzuwandeln.

Vespasian wandte sich voller Entrüstung wieder an den Kämmerer. «Er war ein römischer Bürger!»

Izebboudjen zuckte die Schultern. «Was er war, bevor er versklavt wurde, ist nicht von Belang. Hier war er nur ein Sklave, wie alle Sklaven im Königreich vom Herrn der tausend Brunnen selbst gekauft und somit dessen Eigentum. Er duldet bei ihnen keinen Ungehorsam.» Er deutete auf seine Sänftenträger und die Sklaven, die ihm zufächelten, und gab ihnen einen Wink, den Weg fortzusetzen. «Sie sind weit zahlreicher als wir. Deshalb lassen wir ein paar von ihnen frei, die Stärksten, und setzen sie als Sklaventreiber ein. Denkt nur, was geschähe, wenn wir unsere Kontrolle auch nur für einen Moment lockern würden. Ich nehme an, Ihr in Eurem Rom habt eine ganz ähnliche Situation, wenn auch vielleicht nicht so ausgeprägt wie hier.»

Vespasian musste einräumen, dass Izebboudjen nicht unrecht hatte. Es hatte einmal den Vorschlag gegeben, alle Sklaven in Rom einheitlich zu kennzeichnen, doch der Gedanke war aus genau diesem Grund verworfen worden: Wenn ihnen bewusst würde, wie sehr sie den Freigeborenen und Freigelassenen zahlenmäßig überlegen waren, könnten die Folgen verheerend sein. «Ja, aber dieser Mann war ein römischer Bürger, er hätte gar kein Sklave sein dürfen.»

«Warum nicht?»

«Weil … weil er ein Bürger Roms war.» Vespasian fiel keine logische Begründung ein, und ihm war durchaus klar, dass kein Gesetz verbot, Bürger zu versklaven. Er hatte Flavia kennengelernt, nachdem ihr damaliger Liebhaber Statilius Capella von den Marmariden gefangen genommen worden war, einem Stamm von Sklavenhändlern östlich von Kyrene. Hätte Vespasian den Mann nicht gerettet, so hätte er die gefahrvolle Reise durch die Wüste in dieses Königreich antreten müssen und würde nun wohl noch immer auf den Feldern schuften, oder wahrscheinlich wäre er bereits ein Teil derselben. «Es ist unrecht, freigeborene Römer zu versklaven.»

«Warum? Wie viele Garamanten haltet Ihr in Eurem Reich als Sklaven? Oder auch Parther, Nubier, Skythen, Germanen – soll ich fortfahren?»

«Aber die sind alle … nun, keiner von denen ist römischer Bürger.»

Izebboudjen kicherte. «Ich denke, wir sollten diese Diskussion lieber beenden, ehe einer von uns beiden sich lächerlich macht.»

Vespasian verkniff sich eine bissige Erwiderung, denn ihm war schmerzlich bewusst, wer von ihnen beiden gerade Gefahr lief, sich lächerlich zu machen. Außerdem wollte er es sich mit Izebboudjen nicht verderben, denn er wusste nicht, ob dieser ihm nicht noch in den Verhandlungen mit seinem Herrn, dem der zahlreichen Brunnen, behilflich sein könnte.

 

Nayram war vielleicht der dickste Mann, der überhaupt lebte; jedenfalls war er der dickste, den Vespasian je gesehen hatte. «Sag kein Wort», zischte er Magnus verstohlen zu, als sein Freund beinahe hörbar nach Luft schnappte. Vespasian richtete seine Toga, bis die Falten zu seiner Zufriedenheit fielen. Er fühlte sich erfrischt von dem Bad und der Rasur, die er nach seiner Ankunft in seinen Räumen im Palast genossen hatte. Seine elf Liktoren, prächtig in ihren reinweißen Togen, standen hinter ihm und zu beiden Seiten, ihre Fasces aufrecht vor sich gehalten, und verliehen seiner Erscheinung zusätzliche Würde.

Alle in dem riesigen Audienzsaal waren auf den Beinen, als wenigstens vierzehn sehr kräftige Sklaven Seine erhabenste Majestät Nayram von den Garamanten, den Herrn der tausend Brunnen, auf einem Ruhebett von immensen Ausmaßen hereintrugen. Vespasian vermutete, dass er es kaum je verließ. Es war unmöglich auszumachen, wie dick er wirklich war, denn er war in üppige Gewänder gehüllt, die mit den Laken zu verschmelzen schienen. Sie waren im gleichen Tiefblau, Blassgrün und sanften Rot gehalten wie die glänzenden Keramikfliesen, die den Boden, die Wände und das Deckengewölbe des Raumes zierten. Jedenfalls wabbelte es unter diesen Gewändern reichlich, das ganze Bett schien ständig in Bewegung zu sein. Auf dem Kopf trug der König eine riesige, schlecht sitzende Perücke, deren rotes Haar ihm über die Schultern fiel und die Speckrollen, aus denen sein Hals bestand, teilweise verdeckte.

Izebboudjen verbeugte sich als Erster, als Nayram auf seinem Bett hereingetragen wurde. Im Vergleich zu seinem Herrn wirkte der Kämmerer geradezu schlank. Überhaupt waren die anwesenden Höflinge die beleibteste Versammlung, die Vespasian je gesehen hatte, und das wollte schon etwas heißen, wenn man bedachte, wie korpulent viele Männer in den höchsten Rängen der römischen Gesellschaft waren.

Mit großer Sorgfalt und Anstrengung gelang es den Sklaven, Nayrams Bett ganz sanft auf dem Boden abzustellen, sodass der König nicht durchgerüttelt wurde. Er schien zu schlafen. Aus dem Hintergrund kam eine Schar Sklaven mit Fächern herbei, um dem Fleischberg Kühlung zuzufächeln.

Anschließend wandte Izebboudjen sich an die Versammelten und trug Nayrams Titel vor, die noch weit zahlreicher waren, als Vespasian bisher angenommen hatte. Als der Kämmerer fertig war, richtete er das Wort an seinen König. «Erhabenste Majestät, vor Euch steht Titus Flavius Vespasianus, der Statthalter der römischen Provinz Africa.» Dann setzte er sich mit gekreuzten Beinen auf den Boden, und die Übrigen folgten seinem Beispiel. Nur Vespasian, Magnus, Hormus und die Liktoren blieben stehen.

Eine ganze Weile herrschte völlige Stille.