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Vespasian: Das Schwert des Tribuns E-Book

Robert Fabbri

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Beschreibung

Ein Mann von niederer Geburt. Ein Held, geschmiedet im Feuer der Schlacht. Seine Bestimmung: Er werde der größte Kaiser von Rom. Das Jahr 26 n. Chr.: Der 16-jährige Vespasian verlässt sein behütetes Heim. Er will den Namen seiner Familie ehren, sich der Armee anschließen und Rom dienen. Doch die größte Stadt der Welt befindet sich in der eisernen Gewalt von Seianus, Kommandeur der Prätorianergarde. Blutjung und unerfahren wird Vespasian in die Politik Roms hineingezogen und muss aus der Stadt fliehen. Er nimmt einen Posten als Tribun in Thrakien an. Dort liegt Rebellion in der Luft – denn vor dem Machtringen in Rom gibt es kein Entkommen …

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Robert Fabbri

Vespasian. Das Schwert des Tribuns

Historischer Roman

 

 

Aus dem Englischen von Anja Schünemann

 

Über dieses Buch

Ein Mann von niederer Geburt.

Ein Held, geschmiedet im Feuer der Schlacht.

Seine Bestimmung: Er werde der größte Kaiser von Rom.

 

Das Jahr 26 n.Chr.: Der 16-jährige Vespasian verlässt sein behütetes Heim. Er will den Namen seiner Familie ehren, sich der Armee anschließen und Rom dienen. Doch die größte Stadt der Welt befindet sich in der eisernen Gewalt von Seianus, Kommandeur der Prätorianergarde.

 

Blutjung und unerfahren wird Vespasian in die Politik Roms hineingezogen und muss aus der Stadt fliehen. Er nimmt einen Posten als Tribun in Thrakien an. Dort liegt Rebellion in der Luft – denn vor dem Machtringen in Rom gibt es kein Entkommen …

Vita

Robert Fabbri, geboren 1961, lebt in London und Berlin. Er arbeitete nach seinem Studium an der University of London 25 Jahre lang als Regieassistent und war an so unterschiedlichen Filmen beteiligt wie «Die Stunde der Patrioten», «Hellraiser», «Hornblower» und «Billy Elliot – I Will Dance». Aus Leidenschaft für antike Geschichte bemalte er 3500 römische Zinnsoldaten – und begann schließlich zu schreiben. Mit seiner epischen historischen Romanserie «Vespasian» über das Leben des späteren römischen Kaisers wurde Robert Fabbri in Großbritannien Bestsellerautor.

Für Leo, Eliza und Lucas in Liebe

Prolog

Falacrina, achtzig Meilen nordöstlich von Rom, A.D. 9

«Möge mit der Hilfe der Götter unser Werk von Erfolg gekrönt werden. Ich bitte dich, Vater Mars, meinen Hof zu reinigen, meinen Grundbesitz und meine Familie, in jedweder Weise, die du für die beste erachtest.»

Titus Flavius Sabinus hob bittend die geöffneten Hände zum Himmel, um den Schutzgott seiner Familie anzurufen, während er dieses uralte Gebet rezitierte. Er hatte eine Falte seiner reinweißen Toga über den Kopf gezogen zum Zeichen der Demut vor der Gottheit, deren Gunst er beschwor. Um ihn herum stand seine Familie: seine Frau, Vespasia Polla, mit ihrem neugeborenen Sohn im Arm; daneben seine Mutter, dann sein älterer Sohn, der bald fünf Jahre wurde. Hinter ihnen standen seine Freigelassenen und schließlich seine Sklaven. Sie alle waren um den Grenzstein am nördlichsten Punkt des Grundbesitzes in den pinienduftenden Bergen des Apennin versammelt.

Titus beendete das Gebet und ließ die Hände sinken. Sein älterer Sohn, der ebenfalls den Namen Titus Flavius Sabinus trug, trat vor den Stein und schlug viermal mit einem Olivenzweig daran. Damit war die feierliche Prozession rund um Titus’ Anwesen vollendet, und sie machten sich wieder auf den Weg zum Hof der Familie.

Der Rundgang hatte bei Tagesanbruch begonnen und mehr als acht Stunden gedauert, und soweit der kleine Sabinus es beurteilen konnte, war nichts Außerordentliches geschehen. Sein Vater hatte an jeder Ecke des Grundbesitzes das richtige Gebet gesprochen; es war kein Vogelflug zu beobachten gewesen, der als unheilvolles Vorzeichen hätte gelten können; kein Blitz war aus dem kalten, klaren Spätnovemberhimmel herabgefahren; und die Opfertiere, Ochse, Schwein und Widder, waren folgsam mitgegangen.

Sabinus führte den Widder; seine Hörner waren mit leuchtend bunten Bändern geschmückt, und seine stumpfen Augen blickten unwissend zum letzten Mal in die Welt.

Unter gewöhnlichen Umständen hätte der bevorstehende Tod des Widders Sabinus keine Sorgen bereitet. Er hatte schon oft mit angesehen, wie Tiere geopfert oder geschlachtet wurden, und hatte sogar Pallo, dem Sohn des Verwalters, geholfen, Hühnern den Hals umzudrehen. Der Tod gehörte ganz selbstverständlich zum Leben dazu. Dennoch hätte er diesen Tod gern verhindert, weil durch ihn ein neues Leben – das seines neugeborenen Bruders – gereinigt werden sollte. Er wünschte, er könnte diese Zeremonie unterbrechen, deren Höhepunkt jetzt bevorstand. Doch er wusste, dass er damit den Zorn der Götter auf sich gezogen hätte, und diese fürchtete er ebenso sehr, wie er sein neues Geschwister hasste. Anlässlich der Geburt seines Bruders, vor nur neun Tagen, hatte Sabinus mit angehört, wie seine Großmutter Tertulla seinem Vater berichtet hatte, eine Eiche auf dem Anwesen, die dem Mars geweiht war, habe einen so dicken Wurzelschössling getrieben, dass es aussehe, als wäre ein zweiter Baum daraus erwachsen. Als Sabinus’ Schwester geboren worden war, hatte der Baum nur einen kurzen, dünnen, kränklichen Schössling hervorgebracht, der rasch verwelkt und eingegangen war – ebenso wie sie. Bei seiner eigenen Geburt war der Schössling lang und kräftig gewesen, eine glückliche Verheißung, doch das war nichts im Vergleich zu dem, was dieses Omen für seinen Bruder ankündigte. Er hatte gehört, wie sein Vater laut dem Mars für ein solches Kind gedankt und seinen besten Ochsen, das beste Schwein und den besten Widder für die Reinigungszeremonie versprochen hatte, die Lustratio, bei der er den Knaben offiziell als seinen Sohn anerkennen und ihm einen Namen geben würde.

«Ich werde ihn mit größter Sorgfalt aufziehen, Mutter», sagte Titus und küsste sie auf die Wange. «Dieser Knabe ist zu Großem bestimmt.»

Tertulla lachte schallend. «Du verlierst noch eher den Verstand als ich, Titus. Die Republik ist tot, und das Reich wird von einem einzigen Mann beherrscht – wie weit kann ein Kind einer ritterlichen Grundbesitzerfamilie aus den Bergen es wohl bringen?»

«Lach nur, Mutter, aber wenn ein Omen Größe verheißt, so ist es der Wille der Götter, und nicht einmal der Kaiser hat die Macht, sich ihnen zu widersetzen.»

Seit Sabinus diesen Wortwechsel mit angehört hatte, kämpfte er jedes Mal mit den Tränen, wenn er sah, wie seine Mutter den kleinen Bruder im Arm hielt. Fast fünf Jahre lang hatte er allein die Liebe und den Schutz seiner Familie genossen, doch jetzt sollte ein anderes Kind auch in den Genuss kommen und ihm gar vorgezogen werden.

Als sie sich endlich dem Haus näherten, wappnete er sich innerlich. Er wusste, dass er seine Rolle in dieser Zeremonie mit der Würde spielen musste, die den Flaviern geziemte, dem alten Sabinergeschlecht, in das er hineingeboren war. Er würde seinen Vater Titus nicht enttäuschen.

Die Prozession zog in den Stallhof und bis zum hinteren Ende vor einen steinernen Altar, der dem Mars geweiht war. Darauf lag ölgetränktes Holz aufgeschichtet. Zur Rechten steckte in einem eisernen Halter eine brennende Fackel; zur Linken lagen auf einem hölzernen Tisch eine Axt und ein Messer.

Sabinus vergewisserte sich, dass der Widder ruhig an seiner rechten Seite stand, so, wie man es ihm gezeigt hatte, dann schaute er in die Runde. Neben seinem Vater stand seine Mutter, den in Tücher gewickelten kleinen Bruder im Arm. Sie war feierlich in ein Gewand aus schwarzer Wolle gekleidet, die Stola, die bis zu ihren Fußknöcheln hinabfiel. Ein langer, karminroter Mantel, die Palla, die ihr fest geflochtenes, pechschwarzes Haar zur Hälfte bedeckte, war um ihren Körper gewickelt und über den linken Unterarm drapiert. Als sie Sabinus’ Blick spürte, schaute sie zu ihm hinüber, und ihre dünnen Lippen teilten sich zu einem Lächeln, das ihr schmales Gesicht erhellte. Ihre dunklen Augen waren von Liebe und Stolz erfüllt, als sie ihren kleinen Sohn in seiner Toga dastehen sah, ein winziges Abbild ihres Mannes.

Daneben stand seine Großmutter. Sie war zur Geburt des Kindes und der Zeremonie der Namensgebung von ihrem Landgut bei Cosa an der Küste nördlich von Rom angereist. Bereits über siebzig Jahre alt, trug sie das Haar noch immer so, wie es in den letzten Jahren der Republik in Mode gewesen war: über der Stirn gelockt und im Nacken zu einem festen Knoten gebunden. Diese Haartracht betonte ihr rundes Gesicht, das sie ihrem Sohn und ihren Enkeln vererbt hatte.

Hinter der Familie waren die Freigelassenen des Hofes versammelt. Salvio, der Gutsverwalter, der Sabinus immer ein Stückchen Honiggebäck oder eine getrocknete Feige zusteckte, wenn er ihn sah, hielt den Ochsen am Halfter. Sein zwanzigjähriger Sohn Pallo stand neben ihm und hielt das Schwein an einer Leine. Beide Tiere warteten geduldig, und der leichte Windhauch spielte mit den bunten Bändern, mit denen auch sie geschmückt waren. Hinter ihnen standen etwa zwanzig weitere Männer und Frauen, deren Existenz Sabinus bewusst war, deren Namen und Aufgaben er jedoch nicht im Einzelnen kannte.

Dann waren da die Sklaven, an die fünfzig von ihnen, die er im Allgemeinen behandelte, als wären sie unsichtbar, doch heute waren auch sie zugegen, um Zeugen der Namensgebung des neugeborenen Sohnes der Familie zu sein und am anschließenden Festmahl teilzunehmen.

Titus trat vor den Altar, senkte den Kopf und murmelte ein kurzes Gebet. Dann nahm er die brennende Fackel von dem Ständer und stieß sie in das ölgetränkte Holz, das sofort von den Flammen erfasst wurde. Beißender schwarzer Rauch stieg gen Himmel.

«Vater Mars, gib, dass meine Ernte, mein Korn, meine Weingärten und meine Pflanzungen gedeihen und reichen Ertrag bringen. In dieser Absicht habe ich diese Opfergaben um mein Land führen lassen. Bewahre meine Maultiere, meine Schafhirten und Herden. Schenke mir, meinem Haushalt und meinem neugeborenen Sohn Gesundheit und Wohlergehen.»

Vespasia legte ihm behutsam das in Tücher gewickelte Bündel in die Arme. Sabinus beobachtete schweigend und wie versteinert, wie sein Vater das Kind hochhielt.

«In deiner Gegenwart und bezeugt durch Nundina, die Göttin der Reinigung, nehme ich ihn in meine Familie auf und gebe ihm den Namen Titus Flavius Vespasianus, und ich erkläre ihn zum freigeborenen Bürger Roms. Mit dieser Bulla stelle ich ihn unter deinen Schutz.»

Er streifte eine Lederschnur mit einem silbernen Talisman über den Kopf des Kindes; diesen würde es bis zum Mannesalter tragen, um den bösen Blick abzuwehren.

Titus übergab den Säugling wieder seiner Frau und nahm einen Weinkrug, der neben dem Altar stand, sowie drei knusprige Fladen aus Mehl und Salz. Er goss jedem der Opfertiere ein paar Tropfen Wein auf den Kopf und zerkrümelte einen Fladen darüber. Dann nahm er die Axt, ging auf den Ochsen zu, berührte den Nacken des Tieres mit der Klinge und hob sie dann zum tödlichen Schlag. Der Ochse senkte den Kopf wie zum Zeichen, dass er sich in sein Schicksal fügte. Verunsichert hielt Titus inne, weil es schien, als böte das Tier sich selbst als Opfer dar. Er schaute sich um. Seine Frau fing seinen Blick auf und gab ihm mit leicht geweiteten Augen zu verstehen, er solle fortfahren. Schließlich rief er zum klaren blauen Himmel empor: «Um meinen Hof und Grundbesitz zu reinigen und zur Sühne opfere ich diesen Ochsen, den besten aus meinem Bestand. Vater Mars, bitte nimm in diesem Sinne meine Gabe an.»

Mit einem gewaltigen Hieb schnellte die Axt durch die Luft. Den Ochsen durchlief ein Zittern, als die messerscharfe Klinge sauber sein Genick durchschlug und den Kopf halb abtrennte. Ein Strahl purpurroten Blutes spritzte auf Sabinus und die anderen Umstehenden, Menschen wie Tiere. Alle vier Beine knickten gleichzeitig ein, und der Ochse brach tot zusammen.

Titus, ebenfalls blutbespritzt, legte die Axt ab und ergriff das Messer. Er wandte sich dem Schwein zu, das neben Pallo stand, dem Anschein nach unberührt von dem gewaltsamen Tod, der sich eben in nächster Nähe ereignet hatte. Erneut sprach er das Gebet über dem Opfertier, dann legte er die linke Hand unter den Kiefer des Schweins, bog den Kopf nach oben und schlitzte ihm mit einem schnellen, kraftvollen Schnitt den Hals auf.

Jetzt war der Widder an der Reihe. Sabinus wischte sich etwas von dem warmen, klebrigen Blut aus den Augen, dann legte er die Hände zu beiden Seiten auf den Rücken des Tieres und hielt es fest, während das Gebet ein drittes Mal gesprochen wurde. Der Widder hob den Kopf und blökte einmal gen Himmel, als Titus das Messer scharf über seine Kehle zog; ein Blutschwall ergoss sich über die Vorderbeine des Tieres, die zitterten und unter ihm nachgaben. Sabinus hielt den sterbenden Widder, der keine Anstalten machte, sich zu wehren, während er verblutete. Bald gaben auch die Hinterbeine nach, und wenige Schläge später setzte das Herz aus.

Salvio und Pallo wälzten die Opfertiere auf den Rücken, damit Titus ihnen mit langen Schnitten die Bäuche aufschlitzen konnte. Der versammelte Haushalt hielt den Atem an, als die beiden Männer die Kadaver öffneten und die Rippen auseinanderbogen. Der Gestank der Eingeweide erfüllte die Luft, als Titus geschickt mit beiden Händen die Herzen herausholte, die er als Opfergaben für Mars aufs Feuer warf. Mittlerweile über und über voller Blut, schnitt er die Lebern heraus und legte sie auf den hölzernen Tisch. Seine Augen weiteten sich vor Erstaunen, als er die Organe abwischte; er winkte die Umstehenden näher heran, damit sie die Lebern genauer betrachten konnten, die er nacheinander hochhielt. Auf der Oberfläche einer jeden waren große Flecken zu sehen. Sabinus’ Herz tat einen Sprung – sie waren nicht makellos. Er hatte genügend Opfer mit angesehen, um zu wissen, dass eine Leber mit einem unnatürlichen Zeichen darauf das denkbar schlechteste Omen war; auf allen dreien Flecken zu finden, war gewiss eine Katastrophe. Mars würde diesen Kümmerling von einem Bruder nicht unter seinen Schutz nehmen.

Als er näher heranging, konnte Sabinus die Formen der Flecken deutlich erkennen. Doch es sollten noch viele Jahre vergehen, ehe er ihre Bedeutung wirklich verstehen würde.

Teil  I

Aquae Cutiliae, fünfzig Meilen nordöstlich von Rom, A.D. 25

I

Vespasian roch den Duft von knusprig gebratenem Schwein, als er sein Pferd die letzten paar hundert Schritt bergauf zum Hof auf dem neuen Landgut seiner Eltern in Aquae Cutiliae trieb. Vor ihm neigte sich die Sonne schon gen Westen; sie tauchte die Mauern und Terrakottafliesen der flachen Gebäude in warmes Licht und hob die unterschiedlichen rötlichen, bernstein- und kupferfarbenen Schattierungen hervor, sodass das Gehöft zwischen den dunklen Koniferen und Feigenbäumen, die es umgaben, zu leuchten schien. Es war ein wunderbarer Ort: hoch im Vorgebirge des Apennin gelegen, im Norden und Osten von Bergen überragt, während sich nach Süden und Westen die Ebene von Reate auftat. Seit den letzten drei seiner nunmehr fast sechzehn Lebensjahre war dies sein Zuhause gewesen, seit seine Familie sich mit dem Geld, das sein Vater als Steuerpächter für das Reich in der Provinz Asia eingenommen hatte, hier niedergelassen hatte.

Vespasian stieß die Fersen in die verschwitzten Flanken seines Pferdes, um das erschöpfte Tier zu einer schnelleren Gangart anzutreiben, denn er konnte es nicht erwarten, endlich heimzukehren. Drei strapaziöse Tage lang war er unterwegs gewesen, um mehr als fünfhundert Maultiere von den Sommerweiden am östlichen Rand des Grundbesitzes auf näher am Hof gelegene Weiden zu treiben, wo sie die kälteren Monate verbringen sollten. Dort gab es Unterstände und Futter, und sie waren vor Schneefällen und den scharfen Winden geschützt, die von den Bergen herabfahren würden. Im Frühjahr sollten sie an die Armee verkauft werden. Bis dahin würden die Fohlen geboren sein, und der ganze Ablauf würde von vorn beginnen. Natürlich hatten die Maultiere sich gegen das Zusammentreiben gesträubt, und Vespasian und seine Gefährten hatten sich in einem langen, zähen Ringen am Ende dank schierer Sturheit und geschickten Gebrauchs der Peitsche durchgesetzt. Allerdings war seine Befriedigung darüber, die Aufgabe erfüllt zu haben, dadurch getrübt worden, dass bei der abschließenden Bestandsaufnahme nicht wenige Maultiere fehlten.

Vespasian wurde von sechs Freigelassenen und Pallo begleitet, der das Amt des Gutsverwalters übernommen hatte, nachdem sein Vater Salvio zwei Monate zuvor auf der Straße zwischen Aquae Cutiliae und dem anderen Landgut der Familie in Falacrina, Vespasians Geburtsort, getötet worden war. Seit jenem Zwischenfall ritt niemand mehr allein oder unbewaffnet aus, nicht einmal innerhalb der Grundstücksgrenzen. Aquae Cutiliae war von Bergen und Schluchten umgeben und bot somit ideale Zuflucht für Räuber und entlaufene Sklaven. Sie stahlen Vieh und raubten Reisende auf der Via Salaria aus, der Straße von Rom nach Reate und über den Apennin bis ans Adriatische Meer, die entlang der südlichen Grenze des Anwesens verlief. Nur ein Narr würde in diesen Zeiten ohne Eskorte reisen, selbst so nah an einer großen Stadt wie Reate, die gerade noch in Sichtweite auf einer Anhöhe lag.

Der Duft nach Essen wurde stärker, je näher sie dem Hof kamen, und Vespasian bemerkte, dass die Haussklaven außerordentlich beschäftigt schienen. Er wandte sich grinsend an Pallo. «Mir scheint, meine Eltern geben ein Festessen zur Feier der Heimkehr der heroischen Maultiertreiber von ihrem alljährlichen Kampf gegen den vierbeinigen Feind.»

«Und zweifellos wird man uns auffordern, unsere Gesichter rot anzumalen, und uns im Triumphzug um die Grundstücksgrenze führen», gab Pallo zurück. Die gute Laune seines jungen Herrn wirkte ansteckend. «Hätten wir doch nur Gnade walten lassen und ein paar Gefangene heimgebracht, um sie dem Mars Victor zu opfern zum Dank für unseren Sieg.»

«Gnade?», rief Vespasian aus, der sich für die Vorstellung zu begeistern begann. «Gnade gegen einen solch ruchlosen und entsetzlichen Feind wie den, mit dem wir es aufgenommen haben? Niemals; das hätte Maultieraufstände überall auf dem Landgut zur Folge, und schon bald würden sie über uns triumphieren. Dann würdest du als Sklave auf dem Wagen des Maultiergenerals mitfahren und hättest die Aufgabe, ihm in sein langes Ohr zu flüstern: ‹Gedenke, du bist nur ein Maultier!›» Vespasian ritt zwischen den schweren hölzernen Torflügeln hindurch in den Hof, gefolgt vom Lachen und scherzhaften Wiehern seiner Kameraden.

Die Gebäude waren im Rechteck um einen Hof angeordnet, der sechzig mal dreißig Schritt maß: zur Rechten vom Haupthaus begrenzt, an den anderen drei Seiten von Ställen, Lagerräumen, den Quartieren der Freigelassenen, Werkstätten und der Baracke für die Feldsklaven. Mit Ausnahme des Stallgebäudes, in dessen Obergeschoss sich die Schlafräume der Haussklaven befanden, waren alle Gebäude einstöckig. Auf dem Hof wimmelte es von Menschen, Sklaven, Freigelassenen und Freien, die alle rege beschäftigt waren, es jedoch nicht versäumten, sich vor dem jüngeren Sohn ihres Herrn zu verbeugen, als dieser vorbeiritt. Vespasian saß ab und erkundigte sich bei dem Stallburschen, der sein Pferd in Empfang nahm, was es mit der Betriebsamkeit auf sich habe. Der Junge war es nicht gewohnt, von einem Mitglied der Familie direkt angesprochen zu werden. Er errötete und stammelte auf Latein mit starkem Akzent, er wisse es nicht. Vespasian wurde klar, dass ihm wahrscheinlich niemand außerhalb des Familienkreises sagen konnte, was vor sich ging. Er musste abwarten, bis er seinen Vater fragen konnte, der ihn sicher rufen lassen würde, nachdem er den Bericht seines Verwalters über den Viehbestand entgegengenommen hatte. Vespasian nickte dem Jungen zu und ging ins Haupthaus. Durch eine Seitentür trat er direkt ins Peristyl, den bepflanzten Innenhof, der von einem Säulengang umgeben war. Von diesem ging sein Zimmer ab. Jegliche Hoffnung, seiner Mutter aus dem Weg zu gehen, wurde zunichte, als sie aus dem Tablinum zum Vorschein kam – dem Empfangsraum, durch den man in das Atrium gelangte.

«Vespasian», rief sie, und er blieb wie angewurzelt stehen.

«Ja, Mutter», erwiderte er zurückhaltend und begegnete ihrem strengen Blick.

«Während du unterwegs warst und Bauer gespielt hast, ist eine Nachricht von deinem Bruder eingetroffen. Er kehrt heim; wir erwarten ihn heute Abend.»

Ihr herablassender Ton verdarb ihm augenblicklich seine strahlende Laune. «Dann sind die Vorbereitungen also nicht zu Ehren meiner Rückkehr nach drei Tagen im Gelände?» Er konnte dem Drang, sie zu reizen, nicht widerstehen.

Sie schaute ihn verständnislos an. «Sei nicht unverschämt. Wie kommst du auf den Gedanken, du würdest dafür geehrt werden, dass du niedere Arbeiten auf dem Gut verrichtest? Sabinus hat Rom gedient; wenn du dich einmal entschließt, es ihm gleichzutun, anstatt dich hier in den Bergen mit Freigelassenen und Maultieren gemein zu machen, dann kannst du erwarten, dass dir Ehre zuteilwird. Jetzt geh, wasch dich und zieh frische Kleidung an. Ich erwarte, dass du deinem Bruder heute Abend höflich begegnest, auch wenn ich bezweifle, dass sich an deinen Gefühlen ihm gegenüber in den Jahren seiner Abwesenheit etwas geändert hat. Es würde dir jedenfalls nicht schaden, wenn du dich bemühst, mit ihm auszukommen.»

«Das würde ich ja, Mutter», erwiderte Vespasian und fuhr sich mit einer Hand durch das verschwitzte, kurz geschnittene dunkelbraune Haar. «Wenn er mich nicht immer nur drangsalieren und herablassend behandeln würde. Nun, jetzt bin ich vier Jahre älter und stärker als bei unserer letzten Begegnung, und er sollte sich in Acht nehmen. Ich lasse mir nicht mehr alles gefallen wie ein elfjähriger Knabe.»

Vespasia Polla blickte in das runde, olivfarbene Gesicht ihres Sohnes und erkannte in seinen sonst so freundlichen Augen eine stählerne Entschlossenheit, die sie nie zuvor bei ihm gesehen hatte. «Nun, ich werde mit Sabinus sprechen, wenn er eintrifft, und ihn bitten, das Seine zu tun, um den Frieden zu wahren. Und ich erwarte, dass du das Deine tust. Denk daran, es sind zwar vier Jahre vergangen, seit du ihn zuletzt gesehen hast, aber für deinen Vater und mich sind es acht, da wir bereits in Asia waren, als er sich den Legionen anschloss. Verderbt uns nicht mit eurem Streit das Wiedersehen.»

Ohne seine Erwiderung abzuwarten, verschwand sie in Richtung der Küche. Zweifellos um irgendeinen niederen Küchensklaven in Schrecken zu versetzen, dachte Vespasian, während er in sein Zimmer ging, um sich umzukleiden.

Vespasian hatte Sabinus nicht vermisst, während dieser vier Jahre lang bei der Legio VIIII Hispana in Pannonien und Africa im Rang eines Militärtribuns gedient hatte, dem untersten Offiziersrang. Die Brüder waren nie gut miteinander ausgekommen. Vespasian verstand nicht, warum, und es kümmerte ihn auch nicht, es war einfach eine Tatsache: Sabinus hasste ihn, und im Gegenzug verabscheute er Sabinus. Doch trotz allem waren sie nun einmal Brüder, also beschränkten sie ihren Umgang in Gesellschaft auf steife Förmlichkeit. Wenn sie unter sich waren – nun, Vespasian hatte von klein auf gelernt, Situationen zu vermeiden, in denen er mit seinem Bruder allein war.

Auf der Truhe in seiner Schlafkammer stand eine Schüssel mit warmem Wasser bereit. Er zog den Vorhang vor den Eingang, entkleidete sich und machte sich daran, den Staub von drei langen Tagen bei den Maultieren abzuwaschen. Anschließend rieb er sich mit einem Leinentuch trocken, zog eine frische weiße Tunika über und gürtete sie. Die schmalen senkrechten Purpurstreifen an der Vorderseite zeigten, dass er dem Ritterstand angehörte. Er nahm einen Calamus und eine neue Buchrolle, setzte sich an sein Schreibpult, das außer dem Bett das einzige Möbelstück in dem kleinen Raum war, und begann, anhand der Notizen auf einer Wachstafel die Anzahl der Maultiere zu verzeichnen, die sie umgetrieben hatten. Streng genommen wäre dies die Aufgabe des Gutsverwalters gewesen, aber Vespasian hatte eine Vorliebe für Buchführung und Bestandsaufnahmen und betrachtete diese Arbeit als nützliche Übung für später, wenn er einmal eines der Landgüter seiner Familie erben würde.

Er war von jeher bei Arbeiten auf dem Hof aufgeblüht, auch wenn es allgemein mit Stirnrunzeln betrachtet wurde, wenn jemand aus dem Ritterstand derlei Tätigkeiten selbst verrichtete. Seine Großmutter hatte ihn in seinem Interesse an der Landwirtschaft bestärkt, als er und sein Bruder fünf Jahre lang auf ihrem Hof bei Cosa gelebt hatten, während die Eltern in Asia gewesen waren. In dieser gesamten Zeit hatte er den Tätigkeiten der Freigelassenen und der Sklaven auf den Feldern mehr Aufmerksamkeit geschenkt als seinem Grammaticus oder Lehrer. Dementsprechend waren seine rhetorischen Fähigkeiten und seine Kenntnis der Literatur beklagenswert unzulänglich, aber was er über Maultiere, Schafe oder den Weinbau nicht wusste, das war nicht wissenswert. Einzig auf dem Gebiet der Arithmetik hatte der Grammaticus Erfolge erzielt, denn Vespasian hatte erkannt, wie wichtig diese Disziplin war, wenn es darum ging, die Gewinne und Verluste des Gutes zu berechnen.

Er war fast fertig, als sein Vater ohne anzuklopfen eintrat. Vespasian stand auf, neigte den Kopf zum Gruß und wartete, bis er angeredet wurde.

«Pallo hat mir berichtet, dass wir im vergangenen Monat sechzehn Maultiere aus unserem Bestand verloren haben, ist das richtig?»

«Ja, Vater. Ich bin noch nicht ganz fertig mit der Bestandsabrechnung, aber sechzehn werden es in etwa sein. Die Hirten sagen, sie können nicht verhindern, dass die Räuber immer wieder einzelne Tiere stehlen. Das Gelände ist so weitläufig.»

«Das muss aufhören. Diese Hundesöhne werden uns noch ausbluten lassen. Jetzt, da Sabinus zurück ist, werden wir ihnen ein paar Fallen stellen und hoffentlich einige von ihnen zur Strecke bringen. Dann werden wir ja sehen, ob sie weiterhin Nägel durch Füße und Handgelenke riskieren wollen oder ob das Ungeziefer endlich die verdammten Hände von meinem Besitz lässt.»

«Ja, Vater», brachte Vespasian noch heraus, als dieser ihm bereits den Rücken gekehrt hatte.

Titus hielt in der Türöffnung inne und schaute sich nach seinem Sohn um. «Du hast gute Arbeit geleistet, Vespasian», sagte er in ruhigerem Ton, «mit so wenigen Männern all die Tiere herzutreiben.»

«Danke, Vater. Es macht mir Freude.»

Titus nickte knapp. «Ich weiß», sagte er mit einem wehmütigen kleinen Lächeln, dann ging er.

Beflügelt vom Lob des Vaters, stellte Vespasian seine Abrechnung fertig, kam zu dem Ergebnis, dass sie tatsächlich sechzehn Tiere verloren hatten, räumte das Schreibpult auf und legte sich aufs Bett, um sich auszuruhen, bis sein Bruder kam. Doch als Sabinus eine halbe Stunde später eintraf, geschah es ohne Aufhebens, und Vespasian verschlief es.

 

Vespasian schrak auf; es war dunkel. Mit der Befürchtung, zu spät zum Abendessen zu kommen, sprang er aus dem Bett und trat in das von Fackeln erhellte Peristyl hinaus. Als er aus dem Atrium die Stimme seiner Mutter hörte, ging er darauf zu.

«Wir müssen den Einfluss meines Bruders Gaius nutzen, um dem Jungen bald einen Posten als Militärtribun zu verschaffen», sagte seine Mutter gerade. Vespasian verlangsamte seine Schritte, da ihm klar wurde, dass von ihm die Rede war. «Er wird nächsten Monat sechzehn Jahre. Wenn er es weit bringen soll, wie die Omen bei seiner Geburt prophezeit haben, dürfen wir nicht zulassen, dass er länger auf dem Hof bleibt und sich seinen Pflichten gegenüber der Familie und Rom entzieht.»

Als sie eine Prophezeiung erwähnte, horchte Vespasian auf und schlich sich näher heran.

«Ich verstehe deine Sorge, Vespasia», erwiderte sein Vater. «Aber der Junge hat sich zu lange auf die Bewirtschaftung des Gutes beschränkt, statt sich die Fähigkeiten anzueignen, die er braucht, um im politischen Leben Roms zu bestehen. Vom Militär ganz zu schweigen.»

«Die Göttin Fortuna wird ihre Hand über ihn halten, damit die Prophezeiung sich erfüllt.»

Vespasian konnte kaum an sich halten; warum drückte sie sich nicht deutlicher aus?

«Was ist mit Sabinus?», fragte Titus. «Sollten wir uns nicht auf ihn als den älteren Sohn konzentrieren?»

«Du hast vorhin selbst mit ihm gesprochen, er ist jetzt ein erwachsener Mann. Ehrgeizig und skrupellos genug, um seinen eigenen Weg zu finden, es vielleicht sogar – anders als mein Bruder – weiter als bis zum Prätor zu bringen, was für die Familie eine große Ehre wäre. Selbstverständlich werden wir ihn nach Kräften unterstützen, aber wir brauchen ihn nicht anzutreiben. Titus, siehst du nicht, dass Vespasian der Weg dieser Familie zum Ruhm ist? Jetzt ist unsere Zeit gekommen. Wir haben das Geld gut angelegt, das du als Steuerpächter in Asia eingenommen hast. Du hast dieses Landgut günstig erworben und erfolgreich aufgebaut. Zusammen mit der Mitgift, die ich in die Ehe gebracht habe, beträgt unser Vermögen nach der letzten Schätzung mehr als zwei Millionen Sesterzen. Zwei Millionen Sesterzen, Titus. Das und der Einfluss meines Bruders genügen, um unserer Familie zwei Sitze im Senat zu sichern; aber der Aufstieg dorthin kann nicht hier in den Sabiner Bergen geschehen.»

«Du hast recht. Vespasian sollte seine Laufbahn beginnen, und ich sehe, dass man ihn dazu antreiben muss. Aber noch nicht. Vorher habe ich mit ihm und seinem Bruder noch etwas anderes im Sinn, nun, da Sabinus zurück ist. Ohnehin können wir nichts unternehmen, bis im Januar die neuen Magistrate ihre Ämter aufnehmen.»

Vespasian lauschte so angestrengt, dass er nicht bemerkte, wie sich von hinten jemand anschlich, bis plötzlich eine Hand ihn am Haar packte und mit einem Ruck seinen Kopf zurückriss.

«Schleichst du hier herum und lauschst, kleiner Bruder? Du hast wohl noch immer kein Benehmen gelernt», raunte die vertraute Stimme von Sabinus, während dieser seinen Griff verstärkte.

Vespasian stieß einen Ellenbogen nach hinten in Sabinus’ Bauch und riss sich los. Er fuhr herum, duckte sich, um einer Geraden auszuweichen, die auf seine Nase gezielt war, und erwiderte den Schlag. Sabinus packte Vespasians Faust und drückte mit eisernem Griff dessen Arm nach unten, wobei er das Handgelenk verdrehte, sodass er in die Knie gezwungen wurde. Der erkannte, dass er unterlegen war, und gab die Gegenwehr auf.

«Du bist kampflustig geworden, wie?», bemerkte Sabinus, der boshaft auf ihn hinunterschaute. «Das macht beinahe deine schlechten Manieren wett. Es ist äußerst unhöflich, einen älteren Bruder, der nach vier Jahren heimkehrt, nicht zu begrüßen.»

Vespasian hob den Blick. Sabinus hatte sich verändert: Der dickliche Sechzehnjährige, der ihn vor vier Jahren drangsaliert hatte, war zum Manne gereift. Anstelle von Fett hatte er Muskeln angesetzt, und er war ein paar Fingerbreit gewachsen. Sein rundes Gesicht war kantiger geworden, doch in den braunen Augen lag noch immer derselbe boshafte Glanz, als sie Vespasian über die breite, ausgeprägte Nase hinweg anblickten, die für die Männer ihrer Familie typisch war. Es schien, als hätte das Leben in der Legion Sabinus gutgetan. Er hielt sich mit einer erhabenen Würde, die jegliche sarkastischen Erwiderungen, die Vespasian einfielen, im Keim erstickte.

«Es tut mir leid, Sabinus», murmelte er, während er sich aufrichtete. «Ich wollte dich begrüßen, aber ich bin eingeschlafen.»

Sabinus zog die Augenbrauen hoch. «Nun, kleiner Bruder, schlafen sollte man nachts; du tätest gut daran, dir das zu merken, da du bald das Mannesalter erreichst. Du hast noch immer deinen ländlichen Akzent – höchst amüsant. Komm, unsere Eltern warten.»

Damit ging er ins Haus, und Vespasian blieb glühend vor Scham zurück. Er hatte vor seinem Bruder Schwäche gezeigt und war von ihm zurechtgewiesen und geschulmeistert worden; es war unerträglich. Entschlossen, nie wieder so weibisch zu sein, tagsüber ein Nickerchen zu halten, eilte er Sabinus nach. Seine Gedanken begannen um die Prophezeiung zu kreisen, von der er eben gehört hatte. Seine Eltern kannten sie, aber wer wusste sonst noch davon? Sabinus? Er bezweifelte es. Sein Bruder musste damals noch zu jung gewesen sein, und ohnehin, selbst wenn er davon wusste, würde er es niemals zugeben. Wen konnte er also fragen? Seine Eltern – und eingestehen, dass er gelauscht hatte? Wohl kaum.

Sie betraten das Haupthaus durch das Tablinum und gingen weiter ins Atrium. Titus und Vespasia erwarteten die Brüder auf zwei bunt bemalten hölzernen Stühlen am Impluvium, dem Sammelbecken für das Regenwasser, das durch die rechteckige Öffnung in der Mitte des Daches fiel. An allen vier Ecken des Beckens standen Säulen, die das Dach trugen. Diese Säulen waren tiefrot bemalt, im scharfen Kontrast zu den blassen Grün-, Blau- und Gelbtönen des kunstvollen Steinmosaiks auf dem Boden, das Szenen aus dem Lebensalltag der Familie darstellte, ihre Arbeiten und ihren Zeitvertreib.

Es war ein kalter Oktoberabend, doch das Atrium wurde durch die Hypokausten der Fußbodenheizung sowie durch ein großes Holzfeuer in der Feuerstelle rechts vom Tablinum erwärmt. Das flackernde Licht vom Feuer und einem Dutzend Öllampen erhellte die schaurigen wächsernen Totenmasken der flavischen Vorfahren, die aus ihrer Nische zwischen der Feuerstelle und dem Lararium über die Familie wachten – dem Altar, der den Schutzgöttern des Hauses geweiht war. An den Wänden ringsum, im schwachen Licht undeutlich zu erkennen, befanden sich kunstvolle Fresken in satten Rot- und Gelbtönen, die mythologische Szenen darstellten. Dazwischen befanden sich Durchgänge zu Nebenräumen.

«Setzt euch, meine Söhne», forderte der Vater sie munter auf, anscheinend in gehobener Stimmung, da erstmals nach acht Jahren der enge Familienkreis wieder vollzählig versammelt war. Die Brüder ließen sich auf zwei Schemeln ihren Eltern gegenüber nieder. Eine junge Sklavin wusch ihnen die Hände mit einem feuchten Tuch; eine andere brachte jedem einen Becher warmen, gewürzten Weines. Vespasian bemerkte, dass Sabinus den Mädchen anerkennend nachschaute, während sie sich entfernten.

Titus goss ein paar Tropfen Wein auf den Boden. «Ich danke den Göttern unseres Hauses, dass mein ältester Sohn wohlbehalten zurückgekehrt ist», sagte er feierlich. Dann hob er seinen Becher. «Wir trinken auf euer Wohl, meine Söhne.»

Die vier tranken, dann stellten sie ihre Becher auf dem niedrigen Tisch zwischen ihnen ab.

«Nun, Sabinus, du hast es in der Legion wohl gut angetroffen, wie? Du musstest nicht nur Garnisonsdienst verrichten, sondern hast einen richtigen Krieg miterlebt. Ich wette, du konntest dein Glück kaum fassen?» Titus lachte, stolz, einen Sohn zu haben, der im Alter von zwanzig Jahren bereits ein schlachtenerprobter Veteran war.

«Ja, Vater, so ist es», erwiderte Sabinus und begegnete dem Blick seines Vaters mit selbstzufriedenem Grinsen. «Wir waren wohl alle enttäuscht, als ich der Neunten Hispana in Pannonien zugeteilt wurde. Da es dort nur gelegentlich Raubzüge über die Grenze zu bekämpfen gab, schienen die Aussichten gering, mich dort besonders hervorzutun.»

«Aber dann kam dir Tacfarinas’ Aufstand in Numidien zur Hilfe», warf Vespasia ein.

«Wir sollten den Göttern danken, dass rebellische Könige sich höher aufzuschwingen versuchen, als es ihnen zusteht», bemerkte Titus, hob erneut den Becher und lächelte seinem älteren Sohn zu.

Sabinus nahm den Trinkspruch begeistert auf. «Auf Tacfarinas, den Wahnsinnigen, der drohte, die Getreidelieferungen von Africa nach Rom abzuschneiden, und dann Vertreter schickte, um mit dem Kaiser zu verhandeln.»

«Diese Geschichte ist uns zu Ohren gekommen», sagte Titus lachend. «Offenbar hat Tiberius sie allesamt vor seinen Augen hinrichten lassen und verkündet: ‹Nicht einmal Spartacus hat es gewagt, Vertreter zu entsenden.›»

Sabinus stimmte in das Gelächter ein. «Und dann hat er uns hinunter nach Africa geschickt, als Verstärkung für die Dritte Augusta, die einzige Garnison in der Provinz.»

Während Sabinus weitererzählte, schweiften Vespasians Gedanken ab. Da ihm niemand einfiel, den er nach den Omen zu seiner Geburt hätte fragen können, wandte er sich wieder dem Problem der Maultierdiebe zu. Es war für sein Leben weitaus relevanter als Kriegsgeschichten von Rebellionen und langen Märschen – Dinge, mit denen er keine Erfahrung hatte und die ihn kaum interessierten. Auch wenn Hieron, sein griechischer Lehrmeister im Umgang mit Waffen und im Ringkampf, ihn zu einem leidlich guten Kämpfer mit dem Schwert – Gladius – und dem Wurfspeer – Pilum – ausgebildet hatte und er dank seiner stämmigen Statur und der breiten, muskulösen Schultern auch im Ringkampf die meisten Gegner auf den Rücken legen konnte, fühlte er sich doch hauptsächlich als ein Mann der Scholle. Hier würde er seine Schlachten schlagen, im täglichen Kampf mit der Natur in dem Bemühen, dem Grundbesitz seiner Familie Profit abzuringen. Sollte Sabinus seinen Weg in der Welt machen und den Cursus Honorum durchlaufen, die Abfolge militärischer und ziviler Ämter.

«Ich erinnere mich an das Gefühl, in den Krieg zu ziehen», hörte Vespasian seinen Vater wehmütig sagen, und er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Gespräch. «Wir waren voller Begeisterung, des Sieges gewiss, denn einen anderen Ausgang kann es für Rom nicht geben; das Imperium duldet keine Niederlage. Wir sind von Barbaren umgeben und dürfen niemals zulassen, dass sie Rom als schwach ansehen. Man muss ihnen zeigen, dass es nur ein mögliches Ende gibt, wenn sie es mit Rom aufnehmen, und dass dieses unausweichlich ist: der Tod der Männer und die Versklavung ihrer Familien.»

«Ganz gleich, wie viele Leben es kostet?», fragte Vespasian.

«Ein Soldat muss bereit sein, sein Leben für das größere Wohl Roms zu lassen», erwiderte seine Mutter knapp, «in der festen Gewissheit, dass Roms letztlicher Triumph seine Familie, seinen Grundbesitz und seine Lebensweise vor denen schützen wird, die uns zu vernichten suchen.»

«Genau, meine Liebe!», bekräftigte Titus. «Dieser Grundsatz schmiedet eine Legion zusammen.»

«Deshalb hat sich unsere hohe Moral während der zwei Jahre, die wir dort waren, gehalten», stimmte Sabinus zu. «Wir wussten, dass wir alles tun würden, was erforderlich wäre, um zu siegen. Es war ein schmutziger Krieg; keine richtigen Feldschlachten, nur Überfälle, Vergeltungsschläge und kleinere Kämpfe. Aber wir haben sie aus ihren Verstecken in den Bergen getrieben und uns eine Gruppe nach der anderen vorgenommen. Wir haben ihre Festungen niedergebrannt, ihre Frauen und Kinder versklavt und alle Männer im kampffähigen Alter hingerichtet. Es war eine langwierige, blutige Arbeit, aber wir haben durchgehalten.»

«Ha, was habe ich gesagt, Vespasian?» Titus strahlte triumphierend. «Jetzt, da Sabinus zurück ist, haben wir jemanden, der weiß, wie mit dem Ungeziefer in den Bergen zu verfahren ist. Schon bald werden wir diese mordenden Maultierdiebe an Kreuze schlagen.»

«Maultierdiebe, Vater? Wo?», fragte Sabinus.

«In den Bergen östlich des Anwesens», antwortete Titus. «Es geht nicht nur um Maultiere; sie haben auch Schafe und ein paar Pferde gestohlen, und vor zwei Monaten haben sie Salvio ermordet.»

«Salvio ist tot? Das tut mir leid.» Sabinus schwieg und dachte mit Wärme an den freundlichen Mann zurück, der ihm als Kind immer Süßigkeiten zugesteckt hatte. «Das allein wäre schon Grund genug, Rache zu üben. Ich werde mit einem Trupp unserer Freigelassenen losziehen und dem Abschaum zeigen, wie Rom mit ihresgleichen verfährt.»

«Ich wusste, du würdest darauf brennen, gegen sie auszuziehen. Sehr gut, mein Sohn. Nimm auch deinen Bruder mit, es ist an der Zeit, dass er etwas anderes zu sehen bekommt als das Hinterteil eines Maultiers.»

Titus lächelte Vespasian zu, um ihm zu verstehen zu geben, dass das scherzhaft gemeint war, doch Vespasian hatte es nicht als Kränkung aufgefasst. Ihn begeisterte die Vorstellung, die Maultierdiebe kollektiv zu bestrafen; das würde dem Hof nutzen. Dies war die Art von Kampf, für die er sich interessierte, etwas Greifbares, eng mit der Heimat verbunden, kein Krieg gegen fremde Stämme an entlegenen Orten, die er nur vage vom Hörensagen kannte.

Sabinus hingegen schien wenig erfreut über den Vorschlag, doch sein Vater bestand darauf. «Auf diese Weise habt ihr die Möglichkeit, euch besser kennenzulernen, als Männer, nicht als zänkische Knaben, die sich bei jeder Gelegenheit streiten.»

«Wenn du es sagst, Vater.»

«Ich sage es. Ihr könnt beide gehen, euren eigenen kleinen Africafeldzug führen und ein paar Rebellen zur Strecke bringen, wie?» Titus lachte.

«Wenn die Jungen sie mit der Hilfe von nur ein paar Freigelassenen fangen können», versuchte Vespasia den Überschwang ihres Mannes zu dämpfen, «dann ist das nicht mit Kämpfen zu vergleichen, bei denen man eine Legion hinter sich hat.»

«Keine Sorge, Mutter, ich habe in meinen zwei Jahren in Africa genug darüber gelernt, wie man raubgierige Rebellen aus ihren Verstecken lockt. Ich werde eine Möglichkeit finden.» Sabinus sprach mit einer Selbstsicherheit, die Vespasian überzeugte.

«Siehst du, Vespasia», sagte Titus und beugte sich über den Tisch, um seinem ältesten Sohn aufs Knie zu schlagen, «die Armee hat etwas aus ihm gemacht, so wie es bei mir war und wie es schon sehr bald auch bei Vespasian sein wird.»

Vespasian sprang auf und sah seinen Vater erschrocken an. «Ich habe nicht den Wunsch, mich den Legionen anzuschließen, Vater. Ich bin hier glücklich! Bei der Führung des Landguts mitzuhelfen, ist das, worin ich gut bin.»

Sabinus schnaubte verächtlich. «Ein Mann hat kein Recht, Land zu besitzen, wenn er nicht dafür gekämpft hat, kleiner Bruder. Wie willst du erhobenen Hauptes deinesgleichen in Rom gegenübertreten, wenn du nicht an ihrer Seite die Waffe erhoben hast?»

«Dein Bruder hat recht, Vespasian», redete seine Mutter ihm zu. «Sie werden dich verlachen als den Mann, der Land bewirtschaftet, das er nie verteidigt hat. Das wäre eine unerträgliche Schmach für dich und den Namen unserer Familie.»

«Dann gehe ich eben nicht nach Rom. Ich gehöre hierher, und hier will ich sterben. Soll Sabinus in Rom die Ämterlaufbahn antreten, ich bleibe hier.»

«Willst du etwa für immer im Schatten deines Bruders leben?», fuhr Vespasia ihn an. «Wir haben zwei Söhne, und beide werden glänzen. Es wäre eine Beleidigung der Götter unserer Familie, wenn ein Sohn sein Leben allein auf die Landwirtschaft vergeudete. Setz dich wieder, Vespasian; wir wollen nicht weiter davon sprechen.»

«Ganz genau», pflichtete sein Vater ihr bei. «Du kannst dein Leben nicht hier in den Bergen verbringen wie irgendein dummer Bauer in der Provinz. Du wirst nach Rom gehen und in seinen Legionen dienen, weil ich es so will.» Er nahm seinen Becher und leerte ihn, dann stand er abrupt auf. «Wie du weißt, wird ein Mann zuallererst aufgrund der Errungenschaften seiner Ahnen beurteilt.» Titus hielt inne und wies auf die Totenmasken ihrer Vorfahren in der Wandnische neben dem Lararium. «Insofern bin ich ein Mann von geringem Wert und ihr zwei seid von noch geringerem.

Wenn wir den Stand unserer Familie erhöhen wollen, müsst ihr beide als Emporkömmlinge den Cursus Honorum durchlaufen. Das ist schwer, aber nicht unmöglich, wie Gaius Marius und Cicero in der alten Republik bewiesen haben. Allerdings leben wir heute in anderen Zeiten. Um voranzukommen, brauchen wir nicht nur die Unterstützung von Leuten, die höher stehen als wir selbst, sondern auch den Rückhalt von Amtsträgern im Hause des Kaisers. Um ihre Aufmerksamkeit zu erringen, müsst ihr euch in den zwei Disziplinen hervortun, die Rom am höchsten schätzt: in militärischer Tapferkeit und administrativem Geschick.

Sabinus, du hast dich schon als fähiger Soldat bewiesen. Vespasian, auch du wirst bald diesen Weg einschlagen. Aber du hast in der Führung unserer Familiengüter bereits gezeigt, dass du ein Händchen für Verwaltungstätigkeiten hast, ein Gebiet, für das Sabinus bislang wenig Interesse gezeigt hat.»

Bei diesen Worten blickte Vespasia ihre Söhne direkt an, und ein kleines ehrgeiziges Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie erkannte, worauf Titus hinauswollte.

«Vespasians erster Schritt wird sein, als Militärtribun in den Legionen zu dienen. Sabinus, dein nächster Schritt ist ein administratives Amt in Rom als einer der Vigintiviri, der zwanzig niederen Magistrate. Ich schlage vor, dass ihr in den nächsten zwei Monaten euer Wissen teilt und einander unterrichtet. Vespasian wird dir zeigen, wie man ein Gut verwaltet. Im Gegenzug wirst du ihm die grundlegende militärische Ausbildung angedeihen lassen, die gemeine Legionäre erhalten, damit er in den Legionen nicht nur überleben, sondern es zu etwas bringen kann.»

Vespasian und Sabinus starrten ihren Vater entgeistert an.

«Ich dulde keinen Widerspruch. Dies ist mein Wille, und ihr werdet folgen, ganz gleich, wie ihr zueinander steht. Es ist zum größeren Wohl unserer Familie und hat somit Vorrang vor jeglichen kleinlichen Streitigkeiten zwischen euch beiden. Vielleicht wird es euch beide lehren, einander in einer Weise wertzuschätzen, wie ihr es in der Vergangenheit nicht vermochtet. Ihr werdet beginnen, sobald ihr euch der Maultierdiebe angenommen habt. Am ersten Tag wird Sabinus der Lehrer sein und am nächsten Tag Vespasian, und immer so weiter, bis ich überzeugt bin, dass ihr beide bereit seid, nach Rom zu gehen.» Titus schaute auf seine Söhne hinunter und blickte ihnen nacheinander in die Augen. «Seid ihr einverstanden?», fragte er in einem Ton, der nur eine Antwort zuließ.

Die Brüder wechselten einen Blick. Welche Wahl hatten sie?

«Ja, Vater», antworteten beide.

«Gut. Nun lasst uns essen.»

Titus führte die Familie in das Triclinium, wo die Speisesofas für das Abendessen bereitstanden, und klatschte in die Hände. Plötzlich war der Raum von geschäftigen Haussklaven erfüllt, die Platten mit Speisen hereintrugen. Varo, der Hausverwalter, bedeutete ihnen, zu warten, während die Familie mit der Hilfe von diensteifrigen Sklavenmädchen auf drei großen Sofas Platz nahm, die um einen niedrigen rechteckigen Tisch standen. Die Mädchen zogen den Männern die Sandalen aus und ersetzten sie durch Pantoffeln, dann breiteten sie vor jedem ein Mundtuch auf dem Sofa aus und wuschen ihnen erneut die Hände mit feuchten Tüchern. Als alles bereit war, befahl Varo, die Vorspeise aufzutragen, die Gustatio.

Sabinus betrachtete die Platten voller Oliven, gebratenem Schweinefleisch und Mandelwürsten, Blattsalat mit Lauch und Stücken von Thunfisch mit in Scheiben geschnittenen gekochten Eiern. Er wählte eine besonders knusprig aussehende Wurst aus und brach sie in zwei Hälften, dann richtete er den Blick auf seinen Bruder. «Wie viele Räuber gibt es dort oben in den Bergen?», erkundigte er sich.

«Ich fürchte, ich weiß es nicht», gestand Vespasian.

Sabinus nickte, steckte ein Stück Wurst in den Mund und begann, geräuschvoll zu kauen. «Dann sollten wir es gleich morgen früh herausfinden.»

II

«Sie kommen von dort drüben», sagte Vespasian zu Sabinus und deutete auf die zerklüfteten Berge gegenüber. «In dieser Richtung gibt es meilenweit nichts als Berge und Schluchten.»

Es war die dritte Stunde des Tages; sie waren vor einem Höhenkamm abgesessen und das letzte Stück geduckt hinaufgekrochen, und jetzt spähten sie vorsichtig über den Kamm. Unter ihnen erstreckte sich weites Grasland, das etwa eine halbe Meile weit zu einer engen Schlucht hin abfiel, die es von den felsigen Hängen im Osten trennte. Zu ihrer Rechten lag ein Wald, der von dem Höhenkamm aus die obere Hälfte des Abhangs zur Schlucht überzog.

Sabinus überblickte eine Weile lang das Gelände und schmiedete einen Plan.

Die Brüder waren kurz nach der Morgendämmerung aufgebrochen und hatten Pallo, ein halbes Dutzend weitere Freigelassene und zwei Dutzend Maultiere mitgenommen. Pallo, der seinen Vater rächen wollte, hatte die Männer ausgewählt, die sie begleiten sollten. Sie alle waren Freigelassene vom Hof, die als Aufseher über Sklaven, Vorarbeiter oder geschickte Handwerker tätig waren. Die drei Jüngeren, Hieron, Lykos und Simeon, waren wie Pallo in die Sklaverei geboren worden. Die anderen, Baseos, Ataphanes und Ludovicus, ein riesenhafter Germane mit rötlich blondem Haar, waren bei Grenzscharmützeln in Gefangenschaft geraten und aus dem einen oder anderen Grund der Hinrichtung entgangen, um in die Sklaverei verkauft zu werden. Sie alle hatten eines gemeinsam: Titus hatte sie freigelassen, nachdem sie seiner Familie treu gedient hatten, und sie waren jetzt römische Bürger, die den Namen der Flavier trugen und bereit waren, nötigenfalls dafür zu sterben. Jeder von ihnen hatte ein Bündel von zehn Wurfspeeren auf den Rücken seines Reittiers gebunden und trug einen Gladius am Gürtel. Alle hatten Jagdbogen, bis auf Baseos, einen alten, gedrungenen, schlitzäugigen Skythen, und Ataphanes, einen hochgewachsenen, zierlichen Parther mittleren Alters. Die beiden trugen kurze recurve Kompositbogen von der Art, wie die Reitervölker des Ostens sie bevorzugten.

«Also, Jungs, hier legen wir unseren Köder aus», sagte Sabinus schließlich. «Vespasian, du und Baseos, ihr führt die Maultiere den Hang hinunter und bindet sie einzeln zwischen dem Waldrand und der Schlucht an. Dann schlagt ihr ein Zelt auf und macht ein großes Feuer. Benutzt möglichst feuchtes Brennmaterial, damit es reichlich Rauch gibt. Sie sollen bemerken, dass ihr dort seid.

Pallo, du gehst mit Lykos und Ludovicus hinter dieser Anhöhe entlang. Ein paar Meilen weiter nördlich steigt ihr in die Schlucht hinab, dann kommt ihr am anderen Rand des Weidelandes wieder herunter. Geht so nah an die Maultiere heran, wie ihr könnt, ohne dass Späher von den Hängen gegenüber euch bemerken. Ich und die Übrigen werden zum Waldrand dort hinuntergehen. Von dort pirschen wir uns an die Maultiere an.

Vespasian, gib uns eine Stunde, um in Stellung zu gehen, dann reitest du mit Baseos wieder den Hang herauf, als wolltet ihr auf die Jagd gehen. Wenn ihr über den Kamm seid, kehrt ihr um, kommt im Schutz des Waldes zurück und schließt euch uns an. Dann warten wir. Wenn wir Glück haben und unsere Beute sich blicken lässt, warten wir ab, bis sie bei den Maultieren sind, ehe wir angreifen. Pallo und seine Jungs schneiden ihnen den Fluchtweg durch die Schlucht ab, sodass sie in der Falle sitzen. Also los.» Zufrieden mit sich selbst, schaute Sabinus in die Runde; alle nickten zustimmend. Es schien ein durchaus vernünftiger Plan zu sein.

 

Vespasian und Baseos führten ihre Pferde durch den Wald. Die Maultiere waren sicher an langen Stricken angebunden, das Zelt war aufgeschlagen und ein qualmendes Feuer entfacht. Vor sich sahen sie den Waldrand, wo Sabinus und sein Trupp warteten. Ihre Pferde hatten sie an Bäume gebunden. Vespasian ließ sich neben seinem Bruder nieder.

«Ich habe gesehen, wie Pallos Trupp etwa zwei Meilen nördlich in die Schlucht gestiegen ist. Ich hoffe, niemand anders hat sie gesehen», flüsterte Vespasian.

«Wenn doch, wäre es nicht weiter schlimm», erwiderte Sabinus. «Nichts deutet darauf hin, dass sie etwas mit den Maultieren zu tun haben, sie könnten einfach ein paar entlaufene Sklaven auf der Jagd sein.»

Sie richteten sich aufs Warten ein. Hundert Schritt hangabwärts weideten die Maultiere friedlich. Der Tag schritt voran, und das Feuer brannte herunter, bis nur noch ein kleines Rauchfähnchen davon aufstieg.

«Was machen wir, wenn es dunkel wird?», fragte Vespasian, brach einen Laib Brot in zwei Hälften und bot Sabinus eine an.

«Dann schicke ich ein paar Jungs aus, damit sie das Feuer wieder anfachen und nach den Maultieren sehen. Aber ich hoffe, so lange brauchen wir nicht zu warten», antwortete Sabinus, der seine natürliche Abneigung gegen seinen Bruder überwand und das angebotene Brot nahm. «Nun, kleiner Bruder, ich werde dich also lehren, ein Legionär zu sein, und du wirst mich lehren, Maultiere zu zählen, oder was immer es ist, was du tust. Ich hoffe, du vergeudest nicht meine Zeit.»

«Es geht um weit mehr als um reine Bestandsaufnahmen, Sabinus. Die Anwesen sind riesig; es gibt eine Menge zu verwalten. Da sind die Freigelassenen, die für uns arbeiten: Im Tausch gegen einen eigenen kleinen Hof schmieden sie Werkzeuge für die Landwirtschaft, scheren die Schafe, überwachen die Begattung der Pferdestuten durch die Eselshengste, kümmern sich um die schwächlicheren Maultierfohlen und Lämmer, beaufsichtigen die Sklaven auf den Feldern und so weiter. Dann sind da die Sklaven selbst.»

Vespasian redete sich in Begeisterung, obwohl das Gesicht seines Bruders einen abwesenden Ausdruck angenommen hatte. «Sie müssen je nach Jahreszeit für unterschiedliche Arbeiten eingeteilt werden: pflügen, Rebstöcke stutzen, Weizen oder Trauben ernten, Amphoren herstellen. Es nutzt nichts, fünfzehn Urnae Wein oder Olivenöl zu erzeugen, wenn man es nicht lagern kann; also muss man vorausdenken und die Arbeitskräfte sinnvoll einsetzen, um zu jeder Jahreszeit von jedem Mann den größtmöglichen Nutzen zu haben.

Dann müssen alle verpflegt, eingekleidet und untergebracht werden, dazu muss man eine Vielzahl von Waren einkaufen. Jede Ware muss im Voraus zu der Jahreszeit gekauft werden, in der sie am günstigsten ist, man muss also den Markt vor Ort kennen. Umgekehrt müssen wir unsere Erzeugnisse jeweils zu der Jahreszeit verkaufen, da sie den größtmöglichen Gewinn bringen. Vorausdenken, Sabinus, man muss immer vorausdenken. Weißt du, was wir jetzt gerade verkaufen sollten?»

«Ich habe keine Ahnung, aber ich nehme an, du wirst es mir verraten.»

Vespasian grinste seinen Bruder an. «Finde es heraus und sage es mir morgen in unserer ersten Lektion.»

«Also gut, du kleiner Besserwisser, das werde ich – aber nicht morgen, denn morgen bin ich an der Reihe.» Sabinus sah Vespasian boshaft an. «Und wir beginnen mit einem Tagesmarsch, zwanzig Meilen in fünf Stunden, gefolgt von Schwertübungen.»

Vespasian verdrehte die Augen, sagte jedoch nichts. Während er ein Stück Brot abriss und in den Mund steckte, wurde ihm klar, dass Sabinus weitaus mehr Möglichkeiten hatte, ihn in den nächsten paar Monaten zu quälen, als umgekehrt. Er schob diesen unliebsamen Gedanken von sich und schaute sich um.

Die Sonne, die den Zenit weit überschritten hatte, stand jetzt hinter ihnen und beschien den felsigen Hang jenseits der Schlucht. Als Vespasians Blick darauf ruhte, sah er kurz etwas aufblinken. Er stieß Sabinus an.

«Dort drüben, bei dem umgestürzten Baum», flüsterte er und deutete in die Richtung. «Da habe ich eben etwas glänzen sehen.»

Sabinus schaute hinüber; wieder blinkte etwas auf. In der flimmernden Hitze konnte er undeutlich eine Gruppe von etwa einem Dutzend Männern ausmachen, die ihre Pferde über einen schmalen, gewundenen Pfad zwischen Felsen und Spalten zur Schlucht hinunterlenkten. Am Fuß des Hanges angekommen, saßen sie rasch ab und folgten dem Verlauf der Schlucht hundert Schritt südwärts. Hier war der Rand weniger steil, sodass sie ihre Pferde hinunterführen konnten, durch den Bach und auf der anderen Seite wieder hinauf auf das flavische Weideland.

«So, Jungs, wir haben Gesellschaft. Wir warten ab, bis sie die meisten Maultiere losgebunden haben, ehe wir zuschlagen. Auf diese Weise behindern die frei laufenden Tiere ihren Rückzug. Wenn wir angreifen, will ich, dass ihr so viel Lärm macht, wie ihr könnt. Diejenigen von euch, die aus dem Sattel mit dem Bogen schießen können, tun es, die Übrigen warten, bis wir nah genug heran sind, um Speere zu werfen. Und achtet auf die Maultiere.»

«Macht Euch um die keine Sorgen, Sabinus», sagte Pallo düster. «Ich vergeude keine Speere auf Maultiere.»

Die anderen grinsten und gingen ihre Pferde holen.

«Du hältst dich immer in meiner oder Pallos Nähe, kleiner Bruder», knurrte Sabinus, während sie leise aufsaßen. «Vater will dich heil und ganz wiederhaben. Keine Heldentaten. Es macht für uns keinen Unterschied, ob wir die Hundesöhne tot oder lebendig erwischen.»

Die Vorstellung, womöglich selbst einen Menschen töten zu müssen, traf Vespasian wie ein Schlag; Räuber kollektiv zu bestrafen, war in seinem bisherigen – vergleichsweise behüteten – Leben nicht vorgekommen, doch er war entschlossen, sich wacker zu schlagen. Während er sein Pferd neben das von Sabinus lenkte, nahm er sich vor, seinem Bruder keinen Anlass zu geben, noch schlechter von ihm zu denken, als er es ohnehin tat. Er umklammerte sein Pferd fest mit den Schenkeln und griff hinter sich, um fünf der leichten Wurfspeere aus seinem Vorrat zu ziehen. Vier nahm er in die linke Hand, die auch die Zügel hielt, den fünften in die rechte. Er schob den Zeigefinger durch die Lederschlaufe auf halber Länge des Schaftes, die wie eine Schleuder wirkte und die Reichweite und Durchschlagskraft erheblich steigerte. Er war bereit, soweit er das eben von sich behaupten konnte. Mit einem verstohlenen Blick zu den anderen stellte er fest, dass sie ebenfalls ihre Ausrüstung überprüften, allerdings mit routinierter Gelassenheit; sie alle hatten so etwas schon erlebt, und ihm war deutlich bewusst, dass er der einzige Neuling war. Sein Mund war trocken.

Sie warteten schweigend und beobachteten, wie die entlaufenen Sklaven langsam den Hang heraufkamen, um die Maultiere nicht zu erschrecken. Zwei von ihnen waren unten in der Schlucht geblieben, um den Rückzug zu sichern.

«Pallo und seine Jungs werden sich um sie kümmern», sagte Sabinus, erleichtert, dass die Räuber dadurch nicht mehr ganz so stark in der Überzahl waren.

Vespasian zählte elf Mann. Sie ritten auf Pferden unterschiedlicher Größe, die sie zweifellos alle von diesem oder einem der benachbarten Landgüter gestohlen hatten. Ihre Kleidung war überwiegend ärmlich; manche trugen Hosen, wie es bei den Barbaren im Norden und Osten üblich war. Ein paar hatten edle Mäntel um die Schultern, sicher von wohlhabenden Reisenden erbeutet, die ihren Raubzügen zum Opfer gefallen waren. Alle hatten sich seit Wochen nicht rasiert; ihre zerzausten Bärte und das lange Haar verliehen der Gruppe etwas Bedrohliches, das Vespasian an räuberische Stämme an den Grenzen des Imperiums denken ließ.

Sie erreichten die Maultiere. Sechs der Männer saßen ab und schlichen geduckt zu dem Zelt. Auf ein Zeichen stießen sie ihre Speere durch das Leder, um jeden zu durchbohren, der sich womöglich im Inneren versteckte. Als sie das Zelt leer fanden, kehrten sie zu den Maultieren zurück und begannen, sie loszubinden. Ihre Kameraden ritten langsam im Kreis, um die ängstlichen Tiere zusammenzuhalten. Sie hielten Wurfspeere und Bogen bereit, um die Hüter der Maultiere niederzustrecken, falls diese zurückkehren sollten.

Sabinus trieb sein Pferd an und schrie aus Leibeskräften, während er aus der Deckung stürmte. «Auf sie, Jungs, lasst keinen dieser Hundesöhne entkommen!»

Die anderen galoppierten Hals über Kopf hinter ihm her, wobei jeder die Schlachtrufe seines eigenen Volkes ausstieß. Im Handumdrehen hatten sie das offene Gelände zwischen dem Waldrand und den erschrockenen Räubern zur Hälfte überquert. Diejenigen, die abgesessen waren, hatten Mühe, ihre Pferde zwischen den panischen Maultieren wiederzufinden, die ihre Leinen hinter sich herzogen und um die Beine von Männern, anderen Maultieren und Pferden gleichermaßen schlangen.

Baseos und Ataphanes lösten die ersten Pfeile. Vespasian vergaß zu schreien, als er voller Bewunderung zusah, wie sie ihre Bogen auszogen, lösten, den nächsten Pfeil auflegten und den Bogen erneut auszogen, das Ganze so rasch, dass der vorige Pfeil sein Ziel noch nicht erreicht hatte, und dabei behielten sie allein mit den Beinen ihre Pferde vollkommen unter Kontrolle.

Die ersten Pfeile streckten zwei entlaufene Sklaven sowie ein Maultier nieder, das schrill wiehernd zu Boden ging und mit den Hufen trat, sodass die übrigen Tiere sich vor Schreck aufbäumten und ausschlugen.

«Ich sagte, gebt acht auf die verdammten Maultiere, ihr Trottel!», schrie Sabinus Baseos und Ataphanes an, die jetzt nach links schwenkten, um das Getümmel zu umrunden.

Diejenigen unter den entlaufenen Sklaven, die im Sattel saßen, hatten sich inzwischen aus dem Chaos befreit und ihre Pferde bergauf gewendet, um sich dem Angriff zu stellen. Schon lösten auch sie ihre Pfeile. Vespasian fühlte den Luftzug, als eines der Geschosse dicht an seinem linken Ohr vorbeipfiff, und eine Welle von Panik stieg in ihm auf. Er erstarrte, während Sabinus, Ludovicus und Hieron ihre Wurfspeere schleuderten. Der Schwung des Angriffs bergab verlieh den Speeren zusätzliche Wucht; zwei schlugen so heftig ein, dass einer sich durch den Leib eines Reiters hindurch in das Hinterteil seines Pferdes bohrte, sodass der Mann an dem Reittier festgepflockt war, das in seiner Qual versuchte, den schreienden Reiter abzuwerfen. Der andere Wurfspieß zerschmetterte einem Pferd den Schädel; es stürzte augenblicklich tot zu Boden, begrub seinen Reiter unter sich und bespritzte ihn und seine Kameraden mit warmem, klebrigem Blut. Das genügte, um die übrigen drei Räuber in die Flucht zu schlagen, die wendeten und auf die Schlucht zuritten, wo sie ihre beiden Gefährten, die als Nachhut zurückgeblieben waren, nicht mehr vorfinden würden.

«Überlasst sie Pallos Trupp», rief Sabinus, während er und Ludovicus ihre Pferde wieder in die Richtung der Maultiere wendeten. Vespasian, glühend vor Scham, dass er gezaudert hatte, folgte seinem Bruder und überließ es Hieron, dem flüchtigen Sklaven am Boden, der inzwischen unter seinem Pferd hervorgekrochen war, den Garaus zu machen. Der Mann kam mühsam auf die Beine und wischte sich das Pferdeblut aus den Augen, dann sah er nur noch Hierons Klinge in Höhe seines Halses durch die Luft sausen. Sein abgetrennter Kopf fiel zu Boden, und die Augen schienen ungläubig auf den zuckenden, enthaupteten Körper zu starren, während ihm mit dem Blut der letzte Rest Leben entwich.

Baseos und Ataphanes waren indes nicht untätig gewesen. Drei weitere entlaufene Sklaven lagen im Gras, von befiederten Pfeilen durchbohrt, und der sechste versuchte gerade, zu entkommen. Sabinus zog sein Schwert und verfolgte ihn im Galopp. Der Fliehende warf einen Blick über die Schulter, und obwohl ihm klar sein musste, dass er keine Chance hatte, rannte er noch schneller – vergebens. Im nächsten Moment hatte Sabinus ihn erreicht und versetzte ihm mit der Breitseite des Schwertes einen Schlag gegen den Hinterkopf, der ihn betäubte.

Vespasian schaute hangabwärts in Richtung der Schlucht und sah, wie einer der drei fliehenden Reiter, von einem Pfeil getroffen, rücklings vom Pferd stürzte. Als seine Gefährten sahen, dass ihnen der Fluchtweg abgeschnitten war und ihre beiden Kameraden mit aufgeschlitzten Kehlen am Boden lagen, wendeten sie hastig ihre Pferde nach links und ritten nordwärts in vollem Galopp am Rand der Schlucht entlang. Vespasian trieb sein Pferd ebenfalls zum Galopp an, denn er erkannte, dass die beiden entkommen würden, wenn es ihm nicht gelang, ihnen den Weg abzuschneiden. Seine Entschlossenheit, dass diese zwei Männer nicht der Gerechtigkeit entgehen sollten, gesteigert durch den Drang, seine eben gezeigte Schwäche wettzumachen, erzeugte ein seltsames neues Gefühl in ihm: Blutdurst. Die Mähne seines Pferdes wehte im Wind, als er schräg den Hang hinuntergaloppierte, auf die beiden Reiter zu. Er nahm wahr, dass Sabinus und Hieron ihm folgten und ihm zuriefen, er solle warten, doch er wusste, dass dazu keine Zeit war.

Die Entfernung zwischen ihm und den Verfolgten verringerte sich rasch, er richtete sich im Sattel auf und schleuderte mit aller Kraft einen Wurfspeer nach dem vorderen Reiter. Die Spitze bohrte sich tief in den Bauch des Pferdes, das Tier überschlug sich im Sturz und begrub seinen Reiter unter sich, sodass dessen Rückgrat mit widerlichem Knirschen brach. Der zweite Mann musste sein Tempo verringern, um den wild ausschlagenden Hufen des am Boden liegenden Pferdes auszuweichen, was Vespasian die Gelegenheit verschaffte aufzuholen. Sein Gegner hieb heftig mit dem Schwert nach Vespasians Kopf. Der duckte sich und warf sich im selben Moment gegen den nun aus dem Gleichgewicht gebrachten Reiter. Beide stürzten schwer zu Boden, wälzten sich mehrmals übereinander, und jeder versuchte, den anderen irgendwo zu packen, sei es am Arm, am Hals, an den Haaren oder wo auch immer. Am Ende fand Vespasian sich unter dem entlaufenen Sklaven wieder, außer Atem und orientierungslos. Während er noch nach Luft rang, schmetterte eine Faust in sein Gesicht, er spürte einen scharfen Schmerz, und etwas in seiner Nase knirschte; Blut spritzte ihm in die Augen. Dann schlossen sich zwei raue Hände um seinen Hals, und ihm wurde klar, dass er um sein Leben kämpfte. Das Verlangen zu töten wich dem reinen Überlebensinstinkt. Verzweifelt warf er sich nach links und rechts in dem vergeblichen Versuch, den Griff seines Gegners zu lockern. Seine Augen traten hervor. Durch das Blut sah er das Gesicht des Mannes; seine aufgesprungenen Lippen verzogen sich zu einem höhnischen Grinsen, das Zahnstumpen entblößte, und sein stinkender Atem schlug Vespasian entgegen. Der schlug wild nach dem Gegner und traf ihn an den Schläfen, doch noch immer verstärkte sich der Druck auf seine Kehle. Kurz bevor ihm die Sinne schwanden, hörte er einen dumpfen Laut und fühlte, wie ein Zucken seinen Gegner durchlief. Vespasian blickte auf. Die Augen des Mannes waren entsetzt aufgerissen, der Mund erschlafft; eine blutige Speerspitze ragte aus seinem rechten Nasenloch.

«Was habe ich über Heldentaten gesagt, du dummer kleiner Scheißer?»

Vespasian sah, noch immer verschwommen durch das Blut, Sabinus dastehen, mit beiden Händen einen Wurfspeer umklammert, an dem der erschlaffte Körper des entlaufenen Sklaven hing. Sabinus schleuderte ihn verächtlich beiseite und streckte die Hand aus, um seinem Bruder aufzuhelfen.