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Schon in frühester Kindheit versucht die kleine Lena, ihre Tierliebe, die schon in jenen Tagen schier unermesslich ist, an die Tiere der Nachbarschaft zu geben. Leider machen ihr andere Menschen immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Lange Zeit bleibt Lena ohne tierischen Begleiter, bis sie schließlich ihre große Liebe kennen lernt. Auch wenn er zwei Beine hat, so unterscheidet er sich in einer anderen Art und Weise von allen anderen Männern: Er hat ein großes Herz und erfüllt Lenas größten Wunsch!
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Seitenzahl: 341
Veröffentlichungsjahr: 2014
Viechernarrisch
© 2014 Irene Brunmeier
Erste Auflage – E-Book
Umschlaggestaltung, Illustration: Irene Brunmeier
Lektorat, Korrektorat: Hildegard Außerbaur-Seibl Übersetzung: keine weitere Mitwirkende: Monika Brunmeier,
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN: 978-3-8495-7885-5
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
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ISBN: 978-3-8495-7885-5
Lena Bach
Viechernarrisch
Selbsterlebte Geschichten aus dem Tierreich
Zum Nachdenken
Vielleicht stünde es um die Welt besser, wenn die Menschen Maulkörbe, und die Tiere Gesetze bekämen.
Georg Bernhard Shaw
“Würde man Menschen mit Tieren kreuzen, würde dies die Menschen veredeln, aber die Tiere herabsetzen.”Mark Twain
Mit einem kurzen Schwanzwedeln kann ein Hund mehr Gefühl ausdrücken als mancher Mensch mit stundenlangem Gerede.
- Louis Armstrong –
Liebe Leser!
Eine gute Freundin meinte kürzlich, als ich ihr einige Anekdoten aus meinem Leben erzählte, dass ich Tagebuch führen und meine Erlebnisse mit Mensch und Tier auch anderen zugängig machen sollte. Im Allgemeinen finde ich mein Dasein nicht so aufregend, wahrscheinlich weil es für mich das normalste der Welt scheint, ständig alle möglichen Lebewesen in unseren Haushalt zu integrieren. Meist solche, die vorher kein artgerechtes Leben hatten, überflüssig wurden und auch schon mal misshandelte Tiere, aber auch solche, die mich ganz einfach faszinieren und die ich deshalb gerne um mich habe.
Es ist mir aber schon öfter aufgefallen, dass meine Mitmenschen, die „normaler“ leben als wir, dieses chaotische Zusammenleben von Pferden, Schafen, Kühen, Hunden, Katzen und Meerschweinchen als durchaus aufregend empfinden und sich meine kleinen Geschichten staunend und belustigt anhören. Immer wieder werde ich aufgefordert, mehr davon zu erzählen. Nun habe ich ja auch schon ein paar Jährchen auf dem Buckel, wie man so schön sagt, und so dachte ich mir, bevor meine Arthrosen mich endgültig dazu zwingen, den Stift für immer aus der Hand zu legen, bringe ich die eindrücklichsten Ereignisse aus meinem Leben mit den Tieren zu Papier. Vielleicht will es ja wirklich der ein oder andere lesen und hat seine Freude daran. Mal sehen.
1…Munkel und andere Tiere
Schon seit meiner frühesten Kindheit war ich nach Aussage meiner Mutter und anderen, die mich aus dieser fernen Zeit kennen, „viechernarrisch“. Das ist der bayerische Ausdruck für tierlieb. Dabei konnte ich meine Tierliebe leider nur in der Nachbarschaft unter Beweis stellen, denn in dem kleinen Häuschen, in dem ich aufwuchs, regierte meine Oma, und der waren Haustiere ein Gräuel.
Also suchte ich in meinem engsten Umfeld nach vierbeinigen Freunden und wurde bald fündig. Die „Stadlerin“, die etwa so alt war wie meine Oma, besaß einen stattlichen grau-weißen Kater namens Munkel. Er ließ sich streicheln, kraulen und hochheben und war auch einem Spielchen mit kleinen Ästen und Steinen nie abgeneigt.
Ich entkleidete meine Puppen, die ich nackt und ungeliebt zu Hause zurückließ, und zog mit meinem Puppenwagen los, um Munkel, mit Mütze und Hemd ausgestattet, darin herumzukurven. Fest eingepackt ins Federbettchen ließ er sich die holprige Fahrt eine Zeit lang gefallen. Dann hatte er endgültig genug davon und nahm jedes Mal Reißaus, sobald er mich mit meinem Wägelchen ankommen sah.
Also parkte ich schwer enttäuscht meine Karre im Garten und machte mich auf den Weg, um neue Opfer zu suchen. Leider war in unserer Straße mit Hunden und Katzen nicht viel los und so wurde ich nicht fündig.
Was ich allerdings fand, war eine Blindschleiche, die zwischen die Speichen eines Fahrrades geraten war, sodass ihr Kopf beinahe abgetrennt war. Ich nahm die Ärmste mit nach Hause, wo ich aus Omas Kommode im Schlafzimmer ein Taschentuch nahm, es mit Franzbranntwein tränkte und mit einer ordentlichen Portion Penaten-Creme am Hals der Blindschleiche befestigte.
Danach drückte ich eine Kuhle in Omas riesiges Federbett und legte die Blindschleiche hinein. Leider vergaß ich, meiner Oma Bescheid zu geben, und so fiel sie fast in Ohnmacht, als sie das kleine Viecherl in ihrem Bett entdeckte, das zur Krönung noch ihr versautes Taschentuch um den Hals trug. Meine Oma, die sich aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen in den Kopf gesetzt hatte, dass ich der größte Satansbraten auf Gottes Erde sei, versohlte mir ordentlich den Hintern und setzte mich anschließend zusammen mit meinem Patienten vor die Tür.
Gegenüber von unserem Haus lag damals noch ein Wirtsgarten mit großen Kastanienbäumen, unter denen einer der Straßenanwohner seinen fahruntüchtigen VW Karman-Ghia abgestellt hatte. Die Türen waren offen, also legte ich meinen Findling auf den Beifahrersitz und wünschte ihm baldige Genesung.
In den folgenden zwei Tagen sah ich immer wieder nach meinem Freund und brachte ihm Wasser und Gras, weil ich mit meinen vier Jahren nicht wusste, was Blindschleichen so fressen (Meine Oma wollte ich natürlich nicht fragen). Und siehe da: Am dritten Tag schlängelte sich das Tier aus dem Taschentuch und der Kopf saß fest am Körper. Leider kannte mein Freund keine Dankbarkeit und verzog sich schon nach kurzer Zeit ins hohe Gras, wo er dann für immer verschwand.
Ich weiß bis heute nicht, ob es dasselbe Tier war, das an einem der darauffolgenden Tage von einem Kieslaster auf der Teerstraße platt gefahren wurde. Was ich jedoch noch genau weiß, ist, dass ich erneut eine ordentliche Tracht Prügel bezog, als meine Oma feststellte, dass ich den Beifahrersitz des Karman-Ghia mit Penaten-Creme, Franzbranntwein- und Grasflecken versaut hatte.
Allerdings regte sich die Gute völlig umsonst auf, da wenige Wochen später ein Schrotthändler den kaputten Wagen abholte.
Einige Tage nach dem Vorfall mit der Blindschleiche erinnerte ich mich an meinen Puppenwagen, der immer noch verwaist im Garten stand. Als ich darauf zuging, sah ich Munkel, der, angezogen von dem weichen, sonnengewärmten Bettchen, sein Schläfchen darin hielt.
Ich konnte mein Glück kaum fassen. Ganz leise und vorsichtig näherte ich mich dem Kater, streichelte und kraulte ihn und erzählte ihm eine lange Geschichte von kranken Blindschleichen und verständnislosen Omas. Nach langer Zeit erst wachte er auf, gähnte und streckte sich, machte einen Katzenbuckel und verschwand Richtung Stadlerin.
Von da an kam er jeden Tag, hielt sein Schläfchen, spielte mit den geklauten Wollknäueln meiner Oma und hörte sich geduldig meine Geschichten an. Bald kam ich auf die Idee, kleine Portionen meines Mittagessens für Munkel abzuzwacken, damit er sich den Weg zur Stadlerin sparen konnte.
Zu jener Zeit, also in den späten sechziger Jahren, konnte man in den Läden noch kein Katzenfutter finden. Jeder, den ich kannte, fütterte seine Haustiere mit Essensresten und Milch. Munkel nahm meine Mahlzeiten freudig entgegen und hielt sich nun wirklich mehr bei uns auf als bei seiner Besitzerin.
Im Winter lockte ich ihn ins Haus, wo er auf dem Fensterbrett Stellung bezog. Das war sehr praktisch, weil er, wenn meine Oma kam, schnell aus dem Fenster geschoben wurde, um ihn später wieder einzulassen. Ich war glücklich wie noch nie und wähnte mich schon als stolze Katzenbesitzerin, doch da hatte ich die Rechnung ohne die Stadlerin gemacht.
Sie sorgte sich natürlich wegen des vermehrten Ausbleibens ihres Katers und machte sich auf die Suche nach ihm. Weit musste sie nicht gehen. Sie fand ihn friedlich schlafend in meinem Puppenwagen und ab ging die Post nach Hause mit ihm.
Meine Oma hielt mir eine gehörige Standpauke, bei der Sätze wie „Aneignung fremden Eigentums“ fielen und verbot mir Umgang und Fütterung.
Trotz Wegfall der Häppchen erschien Munkel bald wieder jeden Tag auf der Bildfläche. Schon damals wusste ich genau, dass man eine Katze ohnehin nicht „besitzen“ konnte. Man konnte höchstens ihre Gunst erlangen, und das war mir bei Munkel zweifellos gelungen.
Als er eines Tages auf unserer immer stärker befahrenen Straße überfahren wurde, gab es keinen, der mehr um ihn getrauert hat, als ich. Mein bester Freund war für immer fort und ich war lange Zeit untröstlich. Stundenlang saß ich am Fenster und sah in die Richtung, aus der er immer gekommen war.
Meiner Mutter tat ich damals so leid, dass sie mir trotz Omas Ablehnung eine Katze schenken wollte. Aber immer, wenn ich an Munkels Schicksal dachte, fiel mir ein, dass es jeder anderen Katze in unserer Straße genauso ergehen würde, und so verzichtete ich aus freien Stücken. Dafür waren sie einfach zu schade.
Weil ich dennoch ohne Tiere nicht leben wollte, fing ich mir eine Maus. Das hört sich so einfach an, war aber in Wirklichkeit das Schwierigste, was ich damals in meinem jungen Leben ausführte. Wochenlang beobachtete ich eine Feldmaus, eruierte sämtliche Löcher, aus denen sie aus dem Boden kommen würde und hatte eines Tages wirklich das Glück, sie zu erwischen. Leider erwischte sie mich auch, und zwar mit den Zähnen am Zeigefinger. Dennoch verschwendete ich nicht eine Sekunde lang den Gedanken daran, sie loszulassen. Ich biss nun meinerseits die Zähne zusammen und versuchte vorsichtig, die der Maus aus meinem Finger zu lösen, ohne sie dabei fallenzulassen.
Mit meiner pochenden, blutenden Wunde wickelte ich das bissige Ding in meine Strickweste und rannte schnurstracks nach Hause, wo schon seit Wochen mein Bücherschrank für den neuen Mitbewohner ausstaffiert bereit stand. Das Gitter eines alten Vogelkäfigs sollte den Ausbruch des Nagers verhindern. Leider hatte ich nicht damit gerechnet, dass mein neuer Kumpel sich durch die Rückwand der Sperrholzwand beißen würde. So hatte ich plötzlich nach wenigen Tagen nicht nur einen ramponierten Schrank, (Wie sollte ich das nur meiner Oma erklären?) sondern auch eine freilaufende Maus im Zimmer (???)
Mit viel Geduld, Zwieback und Brotkrümeln gelang es mir allerdings nach einigen Wochen, die Maus dazu zu bewegen, auf meine Hand zu klettern. Glauben Sie mir, das war überhaupt nicht einfach und heutzutage würde ich an so einer Aufgabe schier verzweifeln. Damals machte mir dieses Geduldsspiel gar nichts aus. Vielmehr freute ich mich über jeden noch so kleinen Erfolg. Nach einer gewissen Zeit hatte ich meinen Freund so weit, dass er auf meiner Schulter saß, sich putzte, und anschließend zu den Leckereien in meiner Hand huschte. Sogar streicheln durfte ich das putzige Ding, solange ich keine hastigen Bewegungen machte.
Die schwierigste Aktion war es, das Mäuschen dauerhaft vor meiner Familie zu verstecken. Über so einen Hausgenossen wäre auch meine Mutter nicht erfreut gewesen. Ich erinnerte mich noch gut an die Mausefallen, die sie im Herbst auf dem Dachboden aufgestellt hatte, um dem dauerhaften Rumoren ein Ende zu bereiten. Fast ein Jahr lang ging alles gut und keiner bemerkte die Anwesenheit meines mittlerweile zahmen Nagers, zumal er sich ruhig verhielt und die meiste Zeit in einer meiner Westentaschen steckte. Als ich jedoch mit meiner Mutter einen Sonntagsausflug in den Münchner Tierpark unternahm, war nach unserer Rückkehr mein Liebling unauffindbar.
Ich stellte mein Zimmer auf den Kopf, rückte das Bett von der Wand, ich rief und schnalzte, ohne Erfolg. Die Maus war und blieb verschwunden. Zu allem Überfluss durfte ich es mit meiner aufgeregten Suche nicht übertreiben, um die Aufmerksamkeit der Erwachsenen nicht auf meinen geheimen Zimmergefährten zu lenken.
Nach Tagen der Ungewissheit fasste ich mir ein Herz und fragte beiläufig nach der Entdeckung einer Maus in meinem Zimmer, was allerdings nur ein Achselzucken bei den Befragten auslöste. Schließlich musste ich mich mit der Tatsache abfinden, dass mein Freund in meiner Abwesenheit das Weite gesucht und gefunden hatte. Traurig, wie ich war, hoffte ich für ihn auf ein gutes Leben und verabschiedete mich in vielen Nächten unter Tränen von ihm.
Ein anderes Mal, als ich meine Mutter abholen wollte, die täglich um 15.00 Uhr aus der Frühschicht kam, fand ich eine Eidechse. Sie sonnte sich auf einem Stein und verharrte total bewegungslos, so dass ich sie zuerst einmal für tot hielt.
Als ich ihr zu nahe kam, wurde sie plötzlich lebendig und kurz darauf war sie verschwunden. Ich untersuchte das Gelände etwas genauer und nach und nach entdeckte ich viele von den braun-grünen Eidechsen, die auf den Steinen ihr Sonnenbad nahmen. Sofort kam mir der Gedanke, eine dieser Echsen zu fangen und mit nach Hause zu nehmen, doch als es mir tatsächlich nach langer Zeit gelang, eine zu fassen, hielt ich zu meinem Entsetzen nur deren Schwanz in der Hand. Schwer enttäuscht trat ich den Rückweg zur Firma an und nahm meine Mutter in Empfang, um sie sofort mit tausend Fragen über diese Spezies zu löchern. Meinen Bericht über den abgetrennten Schwanz quittierte sie mit einem Lachen. „Das hätte ich dir vorher sagen können“, meinte sie. „Eidechsen werfen in Todesangst lieber ihren Schwanz ab, als sich fangen und einsperren zu lassen.“
Nachdenklich grübelte ich auf dem Heimweg über das arme Tier nach, dem ich solch eine Angst eingejagt hatte. Anscheinend eignete es sich nicht als Haustier und ich verwarf den Gedanken daran. Außerdem hätte ich gar nicht gewusst, womit ich es füttern sollte.
Trotz meiner Einsicht zog es mich von da an immer öfter in das „Tal der Eidechsen“, wie ich es insgeheim nannte. Ich begnügte mich damit, den Tieren zuzusehen, wie sie umherhuschten, kleine Fliegen fingen und sich auf den Steinbrocken wärmten, die auf dem ganzen Grundstück verstreut lagen. Manchmal sah ich auch silberne Schlangen, die zusammengerollt die Wärme genossen, während nach einer heftigen Regenphase in den entstandenen Tümpeln kleine Kaulquappen ruderten. Später entwickelten sich daraus niedliche Frösche, die eine schwarz-gelbe Bauchfärbung hatten.
Dieses Gelände war mein allerliebster Abenteuer-Spielplatz. Es gab unzählige Tiere hier, wenn man nur die Augen offen hielt. Hier fühlte ich mich wohl und dachte nicht im Traum daran, Schulfreunden von meiner Entdeckung zu erzählen, da die meisten mit den Tieren nur Unfug trieben.
Meine Enttäuschung war riesengroß, als man ein Jahr später das Brachland neben der Fabrik aushob und mit einem Betonklotz zubaute. Ich dachte an all die Kreaturen, die nun heimatlos geworden waren und an mein verlorenes Paradies.
Von da an weigerte ich mich vehement, meine Mutter von der Arbeit abzuholen, da ich den Anblick des verbauten Grundstücks nicht mehr ertragen konnte.
Wieder war ich der Tiere beraubt worden, die ich doch so sehr liebte. Nicht einmal die Beobachtung in freier Wildbahn war mir vergönnt. Ich hatte den Eindruck, alle Welt habe sich gegen mich und meine Tierliebe verschworen. Als ich zum fünften Geburtstag wieder nur einen Plüschhund bekam, weinte ich Rotz und Wasser. Meine Oma schimpfte mich ein undankbares Ding und sperrte den Hund in den Schrank, doch das war mir egal.
2…Prinz
Ich ging mittlerweile schon zur Schule und auf dem Weg dorthin kam ich immer an einem großen Garten vorbei, den ein riesiger Schäferhund bewachte. Oft stellte ich mich an den Zaun und redete auf ihn ein. Er hörte aufmerksam zu, fiel mir nicht ins Wort und wedelte bald schon mit dem Schwanz, wenn er mich von Weitem sah.
Bei Gelegenheit kam ich mit der Besitzerin ins Gespräch, einer älteren Dame, die nicht mehr gut zu Fuß war. Ich erfuhr, dass der Name des Hundes „Prinz“ war und er gerne spazieren ging. Sein Frauchen konnte ihm diesen Wunsch aber nur noch sehr selten erfüllen, und so saß Prinz jeden Nachmittag am Gartentor und sah sehnsüchtig den Passanten nach.
Für mich war die Sache klar. Jeden Tag nach der Schule klingelte ich bei Frau Veitlbauer und sie übergab mir Prinz, der, bereits mit Halsband und Leine ausgerüstet, auf seinen Spaziergang wartete. Das sprach sich im Bekanntenkreis der Veitlbauerin herum, und schon bald war ich täglich mit mehreren Hunden unterwegs.
Ich war in meinem Element. Da ich die Schule und die Hausaufgaben locker schaffte, hatte auch meine Mutter nichts gegen die Spaziergänge einzuwenden. Zumindest solange, bis eine unserer immer besorgten Nachbarinnen Bedenken hinsichtlich der Gefahren äußerte, die beim Ausführen „sooo großer Hunde“ über ein Kind hereinbrechen konnten.
Es bestand die Möglichkeit, dass man an der Leine mit fortgerissen wurde, direkt in ein fahrendes Auto hinein, oder einer dieser „riesigen Köter“ würde plötzlich aggressiv und würde mich am anderen Ende der Leine zerfleischen.
Sie zeigte meiner Mutter wahre Höllenszenarien auf, und so endeten meine Spaziergänge abrupt mit dem strengen Verbot, je wieder einen fremden Hund auszuführen (ein eigener wäre mir ohnehin lieber gewesen).
Von diesem Tag an hasste ich die Nachbarin und mir fielen einige Dinge ein, mit denen ich ihr das Leben schwer machen konnte. Ich blockierte mit Stöcken den Griff ihres Gartentors von außen oder trat aus Versehen die Kehrschaufel mit dem Unrat um, den sie vom Bürgersteig gefegt hatte. Im Frühjahr verteilte ich die Baldriantropfen meiner Oma in ihrem Garten und lachte mich halbtot über die liebestollen Kater, die sich daraufhin einstellten. Sogar mitten in der Nacht hörte man ihre durchdringenden Schreie, die man mit denen kleiner Kinder verwechseln konnte. Gleich darauf knallte unsere Nachbarin erbost ihre Fenster zu und schimpfte über den schlafraubenden Lärm.
Ihr eigener Sohn, der etwa in meinem Alter war, durfte kein einziges Tier anfassen, um sich nur ja keine ansteckenden Krankheiten zu holen. Trotzdem war er ständig krank und durfte nicht zum Spielen raus. Wenn ich ihm eine Maus oder einen Frosch zeigen wollte, fiel seine Mutter fast in Ohnmacht und belehrte mich über die Krankheiten, die solche Tiere übertragen. Sie band mir auch den Bären auf, dass man von Kröten Warzen bekäme. Gott, was war die Alte schräg.
Über unser Spaziergangs-Verbot war nicht nur ich traurig. Auch Prinz fehlten unsere täglichen Wanderungen in die verschiedensten Ecken der Stadt. Da ich aber ein findiges Persönchen war, ersann ich schon bald eine in meinen Augen tolle Lösung für alle Beteiligten.
Jeden Sonntag, an dem ich die Heilige Messe besuchen sollte, die mir sowieso viel zu langweilig war, holte ich stattdessen Prinz ab und ging für die Dauer des Gottesdienstes auf Schleichwegen mit ihm Gassi. Das ging einige Wochen lang gut, bis unserer immer besorgten Nachbarin mein Fehlen in der Kirche auffiel.
Natürlich musste sie mich ausgerechnet bei meiner Oma verpetzen, die, was Kirche, Gott und den Pfarrer betraf, sehr katholisch war. Mein Fernbleiben vom Sonntagsgottesdienst war für sie der endgültige Beweis, dass bei mir Hopfen und Malz verloren war. Ich brauche wohl nicht eigens zu erwähnen, dass dieser Vorfall mich meiner Nachbarin nicht näher brachte.
Vielmehr verkörperte diese Frau für mich das personifizierte Unheil und wäre meine Mutter nicht gewesen, ich hätte sie nicht mal mehr gegrüßt.
3…Hansi
Die fehlenden Haustiere erzeugten meine ganze Kindheit hindurch den Wunsch, Abhilfe zu schaffen, aber gegen meine Oma kam man nicht an. Deshalb war ich mehr als überrascht, als ich zum 11. Geburtstag einen Wellensittich bekam.
Diese Art von Haustier war sogar für meine Oma vertretbar, weil Vögel in einem Käfig leben, keine Unordnung und wenig Arbeit machen. Dieses Klischee mochte für sämtliche Wellensittiche meiner Freundinnen gelten, nicht aber für meinen Hansi.
Innerhalb weniger Wochen suchte er seinen Käfig nur noch auf, wenn er Hunger oder Durst hatte. Die übrige Zeit verbrachte er auf meiner Schulter oder auf meinem Kopf, wo er an meinen Haaren zupfte. Sobald ich aus der Schule kam, ließ ich ihn frei und verbrachte meine Nachmittage in seiner Gesellschaft.
Er half mir bei den Hausaufgaben, indem er mit dem Schnabel die Ecken meiner Schulhefte in kleine Fetzen verwandelte. Meine Buntstifte bearbeitete er ebenso sorgfältig und auch mein Radiergummi wurde dank seiner unaufhörlichen Bemühungen unverwechselbar für meine Banknachbarin.
Mittags saß er auf meinem Tellerrand und pickte das verhasste grüne Zeug aus meiner Suppe. Die Salatschüssel nutzte er als Vogelbad und als meine Mutter sich grünen Pfefferminzlikör einschenkte, saß er auf dem Schnapsglas und nippte solange, bis er kopfüber an der Tischkante baumelte.
Ebenso gerne turnte er auf der Spiegelablage herum, attackierte seinen vermeintlichen Widersacher und verarbeitete die umliegende Tapete zu Konfetti. Meine Oma machte gute Miene zum bösen Spiel, aber sie änderte ihre Meinung über Vögel von Grund auf.
Manchmal konnte aber selbst sie nicht umhin, sich über Hansis Eskapaden zu amüsieren.
Wenn wir Mensch ärgere dich nicht spielten, flog er kurzerhand aufs Spielbrett und entführte die bunten Kegel. Die Würfel bekam er nicht zu fassen und aus Wut darüber kullerte er sie einfach auf die Erde.
Auf mein Händeklatschen hin flog er sofort auf meine Schulter und ein Fingerschnippen veranlasste ihn, auf der Deckenleuchte zu landen. Er war immer gut gelaunt, witzig und frech und ich liebte ihn über alles.
Ich vergaß nie, seinen Käfig zu reinigen, geschweige denn, ihn zu füttern. Keiner außer mir durfte meinen Vogel versorgen und beim Einkaufen war ich immer darauf bedacht, Hirse und Knabberstangen für ihn in den Korb zu legen.
An einem kalten Morgen im Herbst geschah dann etwas Schreckliches: Meine Oma, gekleidet mit mehreren Lagen Kleidung gegen die Kälte, brachte die Asche nach draußen in die Tonne. Leider bemerkte sie durch ihre Zwiebelmontur hindurch nicht, dass Hansi auf ihrer Schulter saß.
Dieser nutzte die Gunst der Stunde und flog auf und davon. Sein Verlust war für mich sehr schmerzhaft. Auch nach tagelangem Suchen blieb Hansi verschwunden. Meine Hoffnung, er würde wiederkehren, schwand nach einigen Tagen. Angesichts meiner Trauer versprach meine Mama mir, einen neuen Wellensittich zu kaufen, doch das wollte ich nicht.
Wenn nicht Hansi, dann eben keinen. Kein Vogel der Welt hätte Hansi ersetzen können. Und so blieb Hansi verschwunden, und ich „vogellos“.
Kurz vor meinem 14. Geburtstag starb meine Oma, und meine Mama wurde schwer krebskrank. Um nicht alleine sein zu müssen, kam ich in ein katholisches Ordensinternat. Der Traum vom Haustier war in weite Ferne gerückt, und ich sorgte mich 15 Monate um meine Mama, die diese Zeit in sämtlichen Krankenhäusern der Umgebung verbrachte. Als sie den Krebs endlich besiegt hatte und wir beide wieder in unserem Häuschen wohnten, war ich der wohl glücklichste Teenager der Welt, obwohl ich mich damals um viele Dinge kümmern musste, an die andere Jugendliche in diesem Alter noch keine Gedanken verschwendeten.
Während meine Freundinnen die ersten Schminkversuche wagten und an Partys teilnahmen, Jungs kennenlernten und langsam erwachsen wurden, sorgte ich mich um die täglichen Dinge des Lebens, bis meine Mutter wieder voll auf dem Damm war. Sie ist mittlerweile übrigens 83 Jahre alt und erfreut sich außer einiger weniger Alterswehwehchen bester Gesundheit.
4…Schweine, Ziegen und Bella
Nach der Schulzeit begann ich eine Lehre als Schriftsetzerin in einer Druckerei, zum einen, weil es das einzige war, was mich interessierte, zum anderen, weil meine Tante den Chef der Firma kannte und ein gutes Wort für mich einlegte.
Zu dieser Zeit war das sogenannte „Vitamin B“ wichtig, denn Lehrstellen waren knapp. Natürlich wäre ich viel lieber Tierärztin geworden, und bestimmt keine schlechte, doch es war klar, dass meine Mutter mir ein solches Studium niemals hätte finanzieren können.
Also wurde ich Schriftsetzerin. Die Arbeit machte mir Spaß. Nun begann auch ich, an den Wochenenden das Geheimnis „Diskothek“ zu lüften. Da ich zu dieser Zeit noch kein eigenes Auto besaß, fuhren wir zumeist per Anhalter in die örtlichen Tanzlokale, und so lernte ich praktisch auf der Straße meinen heutigen Ehemann kennen. Das war kurz vor meinem siebzehnten Geburtstag.
Ich hielt den Daumen hoch und er, zwei Jahre älter als ich, nahm mich in seinem alten Opel Rekord mit zur nächsten Disco. Wir unterhielten uns, tranken Cola und hörten Musik. Danach brachte er mich bis zur Haustüre. Auf diese Weise vergingen einige Wochenenden und wir verliebten uns ineinander.
Aus seinen Erzählungen wusste ich, dass seine ebenfalls alleinerziehende Mutter eine kleine Landwirtschaft betrieb. Es gab Schweine, Ziegen, Katzen und einen Hund. Wenig später nahm er mich zum ersten Mal mit nach Hause. Das erste, was ich sah, als ich aus dem Auto stieg, war eine grau-weiße Katze, die mich sofort an Munkel erinnerte. Wir gingen in den Schweinestall, wo mehrere Ferkel an den Zitzen der verschiedenen Muttersauen tranken. In einem älteren Teil des Stalles standen drei Ziegen und ein Bock, die mich neugierig beschnupperten.
Zwischen Stall und Wohnabteil befand sich ein langer, dunkler Flur, und kurz vor dem Ende des Flurs, am Aufgang zur Treppe, schnarchte eine Bernhardiner-Hündin namens Bella. Ich war sofort hin und weg und konnte kaum fassen, dass da so ein tolles Riesen-Ding lag, von dem ich schon immer geträumt hatte. Diese Rasse hatte mich schon immer magisch angezogen, diese traurigen Augen, der große Knuddelkopf, und dann eben allgemein diese Größe.
Große Hunde waren mir schon immer lieber als kleine Kläffer. Bella, die „Schöne“, machte ihrem Namen allerdings keine große Ehre. Erstens gehörte sie mit ihren sieben Jahren schon zum alten Eisen, da Bernhardiner leider keine große Lebenserwartung haben, und zweitens war sie nicht sehr gepflegt. Das Fell war schmutzverkrustet und voller Stroh, die Lefzen voll mit eingetrockneter Sabber, der auch Spuren auf ihrer großen Nase hinterlassen hatte.
Gleich bei meinem nächsten Besuch sollte sich das gründlich ändern. Ich bürstete ihr Fell, bis es glänzte, reinigte Augen und Ohren mit einem Schwamm und belohnte ihre Geduld immer wieder mit kleinen Leckerbissen.
Mir war natürlich bei meinem ersten Besuch bereits aufgefallen, dass mein Freund mir zwar den Stall gezeigt und alle Tiere vorgestellt hatte, mir das Wohnhaus und seine Mutter aber noch vorenthielt. Zuerst schob ich es auf die späte Stunde, aber schon ziemlich bald konnte ich mich vom Ausmaß der Wohnkatastrophe überzeugen. Die Küche sah aus wie ein Kohlenmeiler, verrußt und schmutzig, die Möbel waren zur Hälfte kaputt und verdreckt.
Auf einem uralten Sofa schlief Bella. Die Wohnstube, die auch als Schlafraum diente, sah unwesentlich besser aus, während der Rest des Hauses schier unbewohnbar war.
Mein Freund schämte sich für diese Wohnsituation, was natürlich völlig unsinnig war, da er mit seinen 19 Jahren schlecht ein neues Haus bauen konnte, und seine Mutter mit der Landwirtschaft, die nur Schulden einbrachte, sichtlich überfordert war. Nach wie vor hielt sie allerdings an dem Glauben fest, dass ihre Schweine eines Tages fetten Gewinn abwerfen würden, von dem sie ein neues Haus bauen konnte. Allerdings hätten die zehn Schweine im Stall dieses Vorhaben in keinem Jahrzehnt umsetzen können. Mein Freund war da realistischer und zahlte seit Beginn seiner Lehrzeit in einen Bausparvertrag ein. Da ich aber erst in allerletzter Instanz ein materiell denkender Mensch bin, interessierte mich das alles nur am Rande. Ich war verliebt bis über beide Ohren und malte mir die Möglichkeiten aus, die sich an diesem Fleckchen Erde für mich auftaten.
5…Hasso
Kurz vor meinem 18. Geburtstag, als wir fast ein Jahr zusammen waren und es, wenn es nach uns ging, auch bleiben würden, schaffte ich mir den ersten eigenen Hund meines Lebens an. Dass dieses Ereignis in keiner Weise geplant war, machte die Sache wirklich aufregend.
Wir waren zu Besuch bei Freunden. Ich stromerte auf dem Hof herum, entdeckte ein paar Stallhasen und schließlich einen älteren Mann, der gerade etwas mit voller Wucht gegen eine Steinwand warf. Dann bückte er sich nach dem nächsten Wurfgeschoss und in diesem Moment war ich so nahe, dass ich bereits erkennen konnte, worum es sich dabei handelte.
Es waren kleine Hundewelpen, oder besser gesagt, es war noch ein kleiner Welpe, dessen Schicksal in den nächsten Sekunden besiegelt sein würde. Ich brachte vor Schreck keinen Ton heraus, aber als der Mann seinen Arm über den Kopf hob, um Schwung zu gewinnen, nahm ich ihm den winzigen Welpen von hinten aus der Hand.
Völlig verdutzt drehte sich der Mann zu mir um und rief empört: „He, was soll das denn?“ Ich brachte das mittlerweile lauthals protestierende Hündchen außer Reichweite des wild gewordenen alten Bauern und entgegnete ihm vorwurfsvoll: „Was machen SIE denn da? Warum müssen die armen Dinger sterben, gerade dass sie auf der Welt sind? Das muss für die Hundemama doch schrecklich sein?!“
„Ach“, meinte er nur, „Das war ein Unfall mit dem Nachbarshund – ein Wolfshund. Und unsere Hündin ist ein Jagdhund. Keine gute Mischung. Eher eine verheerende. Die will doch keiner, da werfe ich sie lieber gleich tot.“
Ohne lange nachzudenken, rief ich: „Doch, ich will den hier haben!“ Gedanken über das Wie und Wo machte ich mir in diesem Moment noch nicht. „Bitte, bitte! Ich nehme ihn ganz sicher. Aber erst, wenn er alt genug ist -- und jetzt bringen wir ihn zu seiner Mama, damit sie sich beruhigt.“ Er willigte ein, wenn ich ihm versprach, dass ich den Kleinen auch ganz sicher in etwa acht Wochen abholen würde. Ich versicherte es ihm, versprach es hoch und heilig und war entzückt über die Wiedersehensfreude der Hündin, als der Mann ihr den Welpen in den Zwinger zurückbrachte.
Mein Freund, der in dem Moment dazu kam und dem ich die Umstände des Hundeerwerbs schilderte, lachte nur und meinte: „Das ist typisch, aber wenn’s dir Freude macht, warum nicht.“ Inzwischen hatte ich selbst Führerschein und Auto und so war es mir möglich, mein liebes Hundekind pünktlich nach acht Wochen abzuholen und ihn bis dahin auch regelmäßig zu besuchen. Ich spielte auch mit der Hundemama, die mir leid tat, weil sie nur ganz selten aus dem Zwinger gelassen wurde. Ich war in einem schrecklichen Zwiespalt. Einerseits vergönnte ich der Hundemama die Zeit mit ihrem einzigen Welpen, andererseits sehnte ich den Tag herbei, an dem ich meinen Hund endlich mit nach Hause nehmen konnte.
Wir hatten schon Vorbereitungen getroffen. Eine Hundehütte stand vor der Tür, Ball und Quietschpuppen lagen bereit und warteten auf ihren neuen Besitzer. Futter war ohnehin genug vorhanden, da Bella mittlerweile zu 75 % von mir versorgt wurde. Meine Schwiegermutter in spe tönte zwar lautstark, wie sehr sie ihren Bernhardiner liebte, doch sobald es an den Geldbeutel ging, egal ob für Futter oder den Tierarzt, verkündete sie stets, dass es ja „unser aller Hund“ wäre.
Inzwischen kümmerte ich mich auch um die Katzen, die vor meinem Auftauchen immer nur sporadisch gefüttert oder lediglich mit Milch versorgt worden waren. „Die sollen sich eine Maus fangen.“, hieß es dann immer. Also besorgte ich von meinem Lehrlingsgehalt Katzen- und Hundefutter und zahlte die Tierarztrechnungen.
Endlich war der Tag gekommen, an dem ich meinen „Hasso“ zu mir holen konnte. Trotz der traurigen Hundemama war ich überglücklich und flippte fast aus vor Besitzerstolz. Unsere alte Bella akzeptierte den Rotzlöffel sofort und half mir einige Male bei der Erziehung, sofern man das so nennen konnte, doch davon später.
Erst einmal war er bei mir und ich hatte mir eine Woche Urlaub genommen, um ihn einzugewöhnen. In dieser Woche machte er kaum eine Bewegung, bei der ich nicht zugegen war. Ich betrachtete ihn beim Schlafen, beim Fressen und beim Spielen. Für mich war er der schönste und beste Hund der Welt. Ich nahm ihn überall mit hin. Wo ich war, war auch Hasso. Ich platzte fast vor Stolz über meinen ersten Hund, der nicht aus Holzwolle und Plüschbezug bestand.
Ganz egal, was er anstellte, ich konnte ihm nie böse sein. Hasso war ein sehr lebhafter Hund und wenn ihm langweilig wurde, verfiel er auf die seltsamsten Ideen. Als ich seine Hundehütte einer Grundreinigung unterzog, fand ich so einiges, was schon längere Zeit vermisst worden war. Neben einem zeltförmigen BH lag ein zerkauter Holzkochlöffel, eine Farbsprühdose, mehrere Schuhe, aus denen sich allerdings kein Paar bilden ließ, Socken, Arbeitshandschuhe, eine Fahrradhupe und vieles mehr.
Ich fand heraus, dass er Wasser liebte und nahm ihn mit an den Badesee. Während ich noch damit beschäftigt war, mein Handtuch auszubreiten, schwamm Hasso schon voller Vergnügen im See. Als er aus dem Wasser ans Ufer hechtete, schüttelte er sich erst einmal ausgiebig die Nässe aus dem Pelz. Zu meinem Entsetzen machte er das ausgerechnet zwischen einigen Badegästen, die auf ihren Handtüchern in der Sonne gedöst hatten und nun eine kalte Dusche bekamen. Bevor aus den lauten Beschimpfungen Handgreiflichkeiten wurden, verzog ich mich mitsamt meinem rücksichtslosen Hund ans andere Seeufer.
Dort fand ich ein Plätzchen weit ab von den anderen Besuchern, wo Hasso ungestört seine Schwimm- und Schüttelübungen vollziehen konnte. Es war ein friedvoller, sonniger Nachmittag und irgendwann döste ich auf meinem Handtuch ein. Als ich die Augen wieder öffnete, lag mein Hund neben mir und ich freute mich, dass er so brav bei mir geblieben war. Die Freude ebbte allerdings schlagartig ab, als ich langsam erkannte, worauf er da so gelangweilt herumkaute.
Er hielt eine Flasche Sonnenöl zwischen den Pfoten und versuchte mit Ausdauer und seinen Zähnen den Stöpsel zu entfernen. In dem Moment, als ich ihm die Flasche wegnahm, bemerkte ich mehrere bunt leuchtende Objekte um unseren Liegeplatz herum. Da lag ein kleiner, roter Schwimmflügel mit abgebissenen Ventil; eine türkisfarbene Kinderbadehose und der Schläger eines Beachballspieles waren unversehrt. Von einem leuchtend-orangen Badeschuh fehlte ein Teil der Zierblüten und von einer Kindersonnenbrille ein Glas. Außerdem fand ich noch eine zerkaute Papiertüte mit den Resten einer Wurstsemmel und eine total zerbeulte Bierdose.
Nachdem mich erst einmal fast der Schlag getroffen hatte, ging ich los, um Hassos Beute an die rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben (mit Ausnahme der Wurstsemmel natürlich). Ich hatte Glück. Die Leute, vor allem die Kinder, nahmen die Sache mit Humor und amüsierten sich über meinen halberwachsenen Hundedieb. Auf dem Heimweg hielt ich ihm eine Standpauke und musste plötzlich an meine Oma denken. Wenn sie mich jetzt mit meinem Hund hätte sehen können, wäre sie bestimmt der Meinung, dass wir hervorragend zueinander passten.
Im Laufe der Zeit wurde Hasso größer, aber keineswegs klüger. Immer wieder schaffte er es, mich in die unmöglichsten Situationen zu manövrieren. Nahm man ihn an die Leine, kam es vor, dass er unvermittelt als Zugtier funktionierte. Das brachte mir unter anderem zwei gebrochene Finger ein, und so ließ ich ihn des Öfteren ohne Leine mitlaufen, wobei er den Abstand von fünf Metern selten überschritt.
Als wir eines Abends in der Stadt unterwegs waren, weckte ein Mann sein Interesse, der bewegungslos in einer Schaufensterpassage verharrte. Vor sich hielt er ein Prospekt mit dem Titel „Erwachet“. Neugierig schnüffelte Hasso um den Mann herum, und da dieser weiterhin völlig reglos blieb, hob der Rüde, der den Kerl wohl für einen Laternenpfahl hielt, sein Bein und urinierte auf seine Anzughose. In diesem Moment kam plötzlich Leben in den bis dahin Versteinerten und er schimpfte wie ein Rohrspatz. Augenblicklich wollte er wissen, wem dieses missratene Hundevieh gehöre. Da Hasso sich ein ganzes Stück von mir entfernt aufgehalten hatte, zuckte ich in meiner Verlegenheit mit den Schultern und entgegnete: „Keine Ahnung, wem der Hund gehört, mir läuft er auch schon die ganze Zeit hinterher.“ Schnurstracks verschwand ich hinter der nächsten Häuserzeile und machte mich aus dem Staub, gefolgt von meinem „missratenen Hundevieh“, das sich in diesem Moment schon wieder für ganz andere Dinge begeisterte.
Einige Meter vor uns waren drei ältere Damen unterwegs, von denen eine einen pelzbesetzten Mantel trug. Dieser Pelzbesatz hatte es meinem Hund angetan und ich konnte ihn nicht davon abbringen, immer wieder in den flauschig-weichen Mantelsaum zu sabbern. Da ich die Damen, die bislang von ihrem Verfolger nichts bemerkt hatten, nicht auf uns aufmerksam machen wollte, rief ich immer wieder ganz leise: „Komm her!“, worauf er natürlich nicht reagierte. Endlich, als der Pelzbesatz von seinem Speichel schon tropfte und ziemlich elend aussah, bekam ich meinen Tunichtgut am Halsband zu fassen und wieder einmal bogen wir recht eilig in eine andere Straße ab. Für diesen Abend hatte ich genug und wir gingen auf schnellstem Weg nach Hause.
Ein andermal waren wir um die Mittagszeit in einer benachbarten Straße unterwegs, Hasso wie so oft freilaufend. Eben hatte er noch höchst eifrig an einem Papierkorb geschnuppert, plötzlich war er wie vom Erdboden verschluckt. Suchend ließ ich meinen Blick die Straße entlang schweifen, da entdeckte ich eine halboffene Gartentür. Als ich näherkam, sah ich, dass auch die Haustür offen stand. In diesem Moment stürmte ein schwarzer Wirbelwind an mir vorbei und verschwand blitzschnell um die Ecke Richtung Heimat. Ich lief ihm eilends nach und als ich ihn eingeholt hatte, sah ich, was ihn so angetrieben hatte. Er trug stolz und siegessicher einen Kranz Knackwürste im Maul, den er im Innern des Hauses erbeutet hatte. Ihn jetzt noch auszuschimpfen hätte keinen Sinn gemacht, und so hoffte ich, dass es keinen Armen getroffen hatte und ließ ihm seine Mahlzeit.
Am Liebsten war ich mit ihm abseits der Stadt auf Feldwegen unterwegs, wo er nicht so viel Schaden anrichten konnte. Nachdem er am späten Abend in einem dunklen Schaufenster sein Spiegelbild als feindlichen Hund interpretierte, auf ihn zuhechtete und dabei dem Fensterglas einen ordentlichen Sprung verpasste, ließ ich mich mit ihm dort lieber nicht mehr sehen.
An den Wochenenden setzte ich ihn ins Auto und wir fuhren an die Inn-Auen. Ein kilometerlanger Dammweg neben dem Fluss bot für ihn das Rennvergnügen schlechthin und ich konnte ihn dabei gut im Auge behalten. Manchmal saßen Angler am Flussufer und warteten auf ihren Klappstühlen auf die Fische, die anbeißen sollten. Dieser Anblick versetzte meinen Hund natürlich in Alarmbereitschaft und geduckt schlich er von hinten an die still da sitzenden Herren. Sie bemerkten seine Anwesenheit meist erst, wenn er ihnen die Hüte oder Kappen, die sie trugen, mit der Schnauze übers Gesicht schob. Gerne machte er sich auch über den Inhalt der wasserbefüllten Eimer her, die die gefangenen Fische aufnehmen sollten.
Nachdem mir die Entschuldigungen ausgegangen waren, nahmen wir auf dem Rückweg die Straße unterhalb des Dammes. Im dichten Grauerlen-Bestand warteten zahlreiche Tümpel auf die Erkundung und wenn wir wieder beim Auto angelangt waren, triefte mein Draufgänger vor Nässe. Trotz aller mitgeführten Decken und Handtücher sah mein Wagen grundsätzlich so verlottert aus, dass ich mich schämte, jemanden darin mitzunehmen.
Obwohl ich ihn nie aus den Augen lassen durfte und er mir so manchen Ärger bereitete, war und blieb Hasso mein absoluter Traumhund, mit dem ich so viel Spaß und Freude hatte, wie nie zuvor.
6…Anka I
Als Hasso fast zwei Jahre alt war, heiratete ich meinen Freund. Wir richteten uns in dem uralten Bauernhaus ein Zimmer notdürftig her und besparten nun gemeinsam den Bausparvertrag, um uns möglichst bald ein neues Haus bauen zu können. Kurz danach wechselte ich den Arbeitsplatz, um die tägliche Wegstrecke von 80 auf 25 Kilometer zu reduzieren.
Nun hatte ich mehr Zeit für meine Tiere und für Besuche bei meiner Mutter, die seit meinem Auszug allein in unserem Häuschen lebte.
Mein Mann, der eine Automechanikerlehre absolviert hatte und seit jeher von Fahrzeugen aller Art geradezu besessen war, begann, neben seinem Job einen kleinen Gebrauchtteile-Handel aufzuziehen. Wir kauften Alt- und Unfallfahrzeuge, wo immer wir welche ergattern konnten. Im Rahmen dieser Beschaffungsmaßnahmen führte uns unser Weg eines Tages zum Städtischen Tierheim, wo ein alter Ford Taunus günstig zu haben war. Während mein Mann das Auto unter die Lupe nahm, sah ich mir die Tiere an, die herrenlos in den Zwingern herumsaßen, lagen oder sprangen.
Dabei fiel mir eine Hündin auf, die traurig und still an der Zwingertür saß. Sie bellte nicht, sie wedelte nicht freudig mit dem Schwanz, sie sah mich aus ihren tiefbraunen Augen an und seufzte, was sich irgendwie hoffnungslos anhörte. Ihre schmale Schnauze und die Hängeohren waren weiß gesprenkelt, der Rest der Hündin war schwarz. Aber ach, wie dieser Rest aussah, werde ich nie vergessen. Das ansonsten leicht lockige Fell schien auf dem Rücken abgescheuert zu sein. Um den Hals trug sie einen dicken Verband. Vom Tierheimbetreuer erfuhr ich dann, dass man ihr das Halsband aus dem Fleisch operiert hatte, da es eingewachsen war. Die fehlenden Rückenhaare stammten von einer Erfrierung. Die Haut glich an dieser Stelle gegerbtem Leder. „Sie frisst nichts mehr“, sagte der Betreuer. „Sie hat sich wohl aufgegeben. Dabei ist sie erst zwei Jahre alt.“
Auf dem Heimweg konnte ich die traurigen Augen nicht aus dem Kopf bekommen und mir liefen die Tränen nur so übers Gesicht. Mein Mann, der mich von der Seite betrachtete, fragte: „Ist das jetzt wegen dem Hund?“ Als ich nickte, wendete er wortlos den Wagen und fuhr zurück zum Tierheim.
Bereits eine halbe Stunde später kehrten wir mit „Anka“ auf dem Rücksitz zurück nach Hause. Dort sprang Hasso höchst aufgeregt um das Auto herum und konnte es nicht erwarten, seine neue Mitbewohnerin kennenzulernen. Es dauerte nicht lange, da hopste Anka ein wenig unbeholfen aus dem Wagen und erkundete zusammen mit Hasso die nähere Umgebung. Die alte Bella tat, was sie immer tat: Sie hob kurz ihren großen Kopf und schlief gleich darauf beruhigt weiter. Da es sich bei dem Neuankömmling nur um einen Hund handelte und nicht etwa um einen Panzer, gab es für sie keinen Grund zur Aufregung.
Hasso hingegen war sehr aufgeregt und er war bemüht, seiner neuen Freundin, über deren Ankunft er sich zweifellos sehr freute, gleich alle seine Spiel-, Schlaf- und Fressplätze zu zeigen. Bereitwillig teilte er sein Futter mit ihr und zu unserer Freude nahm sie die Brocken an, die er ihr etwas ruppig mit der Nase zuschob. Danach demonstrierte er der völlig verdutzten Hündin einen seiner „Freuden-Anfälle“, wie ich sie nannte. Dabei rannte er etwa zehn Meter in irgendeine Richtung, als ginge es um sein Leben, machte kehrt und lief die zehn Meter wieder zurück. Das Ganze wiederholte sich sieben- bis achtmal. Wenn ihm bei der Rennerei plötzlich die Betonmischmaschine in den Weg sprang, war das eben Pech. Manchmal ereilten ihn seine Anfälle im Haus. Besonders fatal war es, wenn während seiner Rennattacken die Tür zwischen Flur und Küche durch einen Luftzug ins Schloss fiel und er mit der Birne dagegen knallte. Er saß dann für eine Weile benommen da, um sich kurz danach mit voller Energie weiterzufreuen.
Anka betrachtete ihn dann regelmäßig mit einem Ausdruck, der sagen mochte: „Du armer Irrer.“ Ansonsten störte seine ungestüme Art sie überhaupt nicht. Sie selbst hatte ein ruhiges, ausgeglichenes Wesen. Sie klaute und zerbiss keine Sachen, lief beim Spaziergang nicht weg und jagte unterwegs keine Hasen und Rehe so wie er. Nicht, dass er jemals ein Tier erlegt hätte, ihm ging es dabei nur ums Rennen.