Vier Panzersoldaten und ein Hund - Janusz Przymanowski - E-Book

Vier Panzersoldaten und ein Hund E-Book

Janusz Przymanowski

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Beschreibung

Drei Jahre schon streift Janek durch die Wälder der Sowjetunion, wohin er bei Ausbruch des Krieges aus Polen geflohen ist. Er hat einen treuen Gefährten, seinen Hund Sharik. Eines Tages erfährt er, daß eine polnische Panzerdivision aufgestellt wird. Er hat nur noch einen Wunsch: mitzukämpfen. – Die Erlebnisse von Janek, den Panzersoldaten und dem Hund wurden ein sensationeller Publikumserfolg – als Buch und als Fernsehserie. Erstmals liegt die komplette, ungekürzte Fassung in einer Ausgabe vor.

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Titel der polnischen Originalausgabe:

»Czterej pancerni i pies«

Ins Deutsche übertragen von Ruprecht Willnow

Alle Rechte der Verbreitung vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist nicht gestattet, dieses Werk oder Teile daraus auf fotomechanischem Weg zu vervielfältigen oder in Datenbanken aufzunehmen.

Verlag Neues Leben – eine Marke der Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage

ISBN E-Book: 978-3-355-50055-5

1. Auflage dieser Ausgabe 2018

© 2005 Eulenspiegel Verlagsgruppe Buchverlage GmbH, Berlin

Umschlagentwurf: Buchgut, Berlin,

www.eulenspiegel.com

Erstes Buch

Tigerohren

Zum zweitenmal gingen sie an diesem Tag zur Schneise. Die Traktorenräder hatten sich in das feuchte Gras gegraben wie lange Raubtierkrallen. Der vom Pazifik wehende Monsun hatte sich etwas gelegt. Es regnete nicht, doch die Sonne schaute matt und kraftlos durch die Wolken.

Der Alte blieb einen Moment stehen und hielt Ausschau, den Stutzen in der Hand. Dann trat er wieder in den Wald. Mürrisch trottete Mura ihm nach, die Nase über dem Boden. Janek beschloß die Karawane.

Sie hatten heute kein Glück. Sicher, der Junge hatte gleich morgens nach Verlassen der Hütte mit seinem Kleinkalibergewehr, mit dem er im Winter Jagd auf Eichhörnchen machte, zwei Fasanen erlegt. Er trug sie jetzt am Gürtel, so daß die bunten Schweife fast die Erde berührten. Doch darum ging es gar nicht. Sie wollten sich einen Fleischvorrat für einige Tage anlegen, um danach weit hinter den Zedernberg zu ziehen.

Als die Schneise hinter den Bäumen verschwunden war, bog der Alte etwas nach rechts, bergauf. Im Tal wuchsen dunkle Weißbuchen mit gewundenem Stamm und ineinander verschlungenen Kronen. Weiter oben grünten Eschen, und auf dem Gipfel, wo mehr Luft und Licht war, ragten die Kronen koreanischer Zedern in den herabhängenden Himmel.

Sie arbeiteten sich langsam und lautlos durch die wilden Jasminschößlinge. Es dauerte ziemlich lange, ehe der Urwald spärlicher wurde und sie in trockenes, mit daurischen Birken vermischtes Eichenholz traten. Am Boden wuchsen vereinzelt Haselnußsträucher. Sie konnten jetzt den Abhang einige Schritt vor sich überblicken, und der Alte hängte den Stutzen um den Hals, das übliche Zeichen für eine Verschnaufpause während der Jagd.

Sie traten auf eine Lichtung, an deren Rand eine bemooste, vom Wind gefällte Weißbuche lag. Der Junge holte aus der Tasche, die an seiner Schulter hing, zwei Kanten ungesäuerten Brotes und ein Stück Räucherspeck. Sie setzten sich nebeneinander auf den Baumstamm und fingen an zu essen. Mit ihren scharfen Klappmessern schnitten sie sich dünne Scheiben von dem gelbgeräucherten Speck, schoben sie in den Mund, bissen ins Brot und kauten gemächlich. Sie ähnelten einander bei diesen gleichförmigen, ruhigen Bewegungen wie Vater und Sohn oder eher Enkel und Großvater, obwohl ein Blick in ihre Gesichter verriet, daß ihre Wiege nicht unter demselben Dach gestanden hatte. Der Alte hatte eine dunkle, von Wind und Wetter gebräunte Haut, hellgrüne Augen wie ein Habicht, hervorstehende Backenknochen, krauses, von silbernen Fäden durchzogenes Haar. Der Junge war hellblond, blauäugig, gertenschlank.

Sie schwiegen, denn der Wald fordert Stille. Ein überflüssiges Wort, und man überhört das Knacken eines Zweiges oder ein anderes Geräusch, das einem erfahrenen Ohr viel sagt.

Der Alte hielt der Hündin ein Stück Brot mit Speck hin. Sie nahm es unwillig, kaum die Kiefer öffnend, denn sie hatte noch nichts geleistet, es stand ihr nicht zu.

Janek holte Scharik, Muras Junges, aus seiner großen Jackentasche, einen Tolpatsch mit schwerem Kopf und großen, flaumigen Pfoten. Er hatte ihn Scharik, Kügelchen, getauft, denn der Kleine glich bei seiner Geburt tatsächlich einem zottigen Knäuel aschgrauer Wolle. Er gab ihm einen Happen, kraulte ihn hinter den Ohren und zauste ihn sanft am Pelz. Mura kam herbei und leckte ihm die Hand, als wolle sie sich für die Fürsorge um ihr Junges bedanken. Sie lächelte nach Hundeart nur mit der oberen Lefze, die von einer Luchskralle gezeichnet war.

»Hier ist noch jemand auf der Jagd«, sagte der Alte schließlich. »Ein Mensch oder ein Tier. Der Wald ist wie ausgestorben.«

In diesem Augenblick hob Mura den klugen, grauen Kopf und wit­terte.

»Such, Hund, such«, forderte der Jäger sie auf.

Sie setzte sich zuerst unschlüssig in Trab, rannte dann schneller direkt durch die Haselbüsche. Keine Minute später hörten sie ein Prasseln von der anderen Seite der Lichtung, etwas bewegte sich, huschte durch die Sträucher. Zwei Schatten sprangen hinter einer großen Eiche hervor, Mura vornweg, den Weg abschneidend, und etwas näher zu den Jägern hin ein mächtiger Keiler, dessen steil aufragende Rückenlinie nach hinten jäh abfiel. Sein Schwanz war kampfeswütig emporgereckt. Mura gab Laut und sprang näher zu ihm, bereit, sich mit gestreckten, federnden Beinen vom Boden abzustoßen oder plötzlich auszuweichen. Sie geriet jedoch mit den Vorderpfoten auf eine morastige Stelle. Das wurde ihr zum Verhängnis: Das angegriffene Wild stieß mit einer Kopfwendung zu. Da krachte ein Schuß. Das Tier zuckte, knickte die Vorderbeine ein und fiel wie vom Blitz getroffen.

Beide spürten, daß etwas Schlimmes eingetreten war. Sie rannten schnell, doch vorsichtig hin – der Alte mit dem Finger am Abzug, Janek das lange Jagdmesser in der Hand.

Der Keiler war tot. Mura lag auf der Seite in einer Blutlache. Ihre Lefzen zuckten noch. Sie bleckte die Zähne. Der Alte kniete nieder und legte ihr die Hand auf den Kopf. Er spürte, wie sie erstarrte, wie ihr Leben erlosch.

»Schade, warst ein guter Hund, Mura, ein guter Hund.«

Der Kleine witterte das Blut und winselte in der Tasche.

»Sie ist auf Morast geraten«, erklärte Janek ganz überflüssig.

Er hob mit der breiten Messerklinge eine längliche Grube aus, legte Mura hinein, schüttete Erde darauf und wälzte einen bemoosten Stein auf die Stelle. Er schnitt eine Kerbe in die Rinde der Eiche, um sie sich zu merken. Dann steckte er die Hand in die Tasche, streichelte Scharik, holte ihn heraus und stellte ihn auf das Laub. Er schaute zu, wie das Hündchen sich mit gespreizten Beinen ungeschickt in Bewegung setzte, noch unfähig zu begreifen, was geschehen war. Und plötzlich kam wie das Echo eines fernen Schusses, wie ein Vogelruf aus den Wolken die Erinnerung an die Trümmer des Hauses, an Brandgeruch und zu Pulver zermahlenen Mörtel.

»Bist nun allein, Scharik.«

»Niemand ist allein. So etwas kann jeden treffen«, brummte der Alte. »Der Hund ist schließlich unter Menschen.«

So etwas kann einen Hund und einen Menschen treffen, dachte Janek. Auch er war allein geblieben, fast allein. Um nicht einsam zu sein, war er um die halbe Welt gewandert. Er hatte den nicht gefunden, den er gesucht hatte. Aber als es ihm ganz schlecht ging, hatte er ein Heim gefunden. Es war anders als das, in dem er aufgewachsen war. Das war ein Steinhaus gewesen am Ufer eines Kanals in einer Hafenstadt. Dieses hier war aus Zedernbalken gefügt und abends erfüllt vom Gesang der Heimchen und dem Fauchen des Windes im Schornstein – am Ufer eines wilden Flusses.

Das dritte Jahr wohnte er schon in dem neuen Haus. Viele Dinge hatte er gelernt: beharrlich wie ein Wolf einer Spur zu folgen, den Wind zu erforschen, die Gerüche des Waldes und der Tiere zu unterscheiden, Geräusche und Fährten zu deuten, sich leise, gewandt und schnell fortzubewegen. Er hatte gelernt, mit dem Kleinkalibergewehr ein Eichhörnchen ins Auge zu treffen, um den schneeweißen Winterpelz nicht zu beschädigen. Den dritten Sommer wanderte er auf den Waldpfaden. Bis heute hatte er sich nie überlegt, wohin diese Pfade führten.

Die Sonne war noch mehr verblaßt. Wolken krochen hangabwärts, es begann zu regnen. Der Alte hängte den Stutzen an einen niedrigen Ast und streifte die Jacke ab. Er kniete bei dem Keiler nieder, öffnete mit dem Messergriff den Rachen und schälte die Hauer heraus. Sie waren gelb vor Alter, leicht gebogen wie Säbel und länger als eine Hand.

Janek kam ihm zu Hilfe. Sie schlitzten das Fell am Bauch auf, schnitten es um die Beine ein und zogen es ab, mit gewandten, leichten Schnitten nachhelfend.

Der Regen nahm zu; schwere Tropfen fielen von den Blättern. Sie beeilten sich. Die Schinken legten sie auf eine Zeltbahn neben sich. Mit aufgekrempelten Ärmeln schnitten sie aus dem Rücken über dem Hinterteil lange Streifen saftigen Lendenfleisches.

Plötzlich bellte der kleine Scharik, der in der Nähe durch das Moos und Blattwerk stöberte, kurz und warnend und knurrte. Es klang drollig.

»Smotri, sieh nur«, sagte der Alte, ein großes Stück frischen Fleisches in den Händen haltend. »Der will einen großen Hund nachma...«

Mitten im Wort brach er ab. Janek hörte das Fleisch auf die Erde plumpsen und raschelnd über die Blätter rollen. Jede hastige Bewegung vermeidend, wandte er langsam den Kopf. Aus dem Augenwinkel erblickte er zuerst den Alten, der in halbgeduckter Stellung erstarrt war und das lange, blutbefleckte Messer umkrampfte. Der Jäger stand regungslos, gespannt wie eine Feder. Er hielt den Kopf gesenkt, sein Nacken rötete sich langsam.

Janek folgte seinem Blick. Zwischen zwei Haselsträuchern unter einer Eiche erspähte er tief im Gras einen flachen Katzenkopf, umrahmt von einem rötlichen Backenbart. Neben dem Kopf zwei mächtige, in den Boden gekrallte Pranken. Dies alles verharrte bewegungslos, und nur der Schweif, der lange, elastische Schweif peitschte wütend die Flanken.

Dem Jungen wurde klar, warum sie auf kein Wild gestoßen waren, warum Mura nicht von ihrer Seite gewichen, warum der alte, erfahrene Keiler vor Angst rasend geworden und auf sie losgegangen war – im Wald hatte jemand gejagt, der stärker war, ein seltener Gast, Herr der Taiga und Berge, der ussurische Tiger. Dem Geruch frischen Blutes folgend, war er gekommen, die Beute zu holen, die ihm gehörte. Gewiß wunderte er sich über die unerwartete Begegnung mit Menschen. Seit den Zeiten des Krieges hatte er aufgehört, sich vor dem Krachen der Gewehre zu fürchten. Im Gegenteil, er war den Schüssen gefolgt, leichte Beute witternd. Deshalb war er jetzt zornig. Die Entfernung abschätzend, spannte er die Muskeln zum Sprung.

Ohne die geringste Bewegung zu machen, flüsterte der Alte: »Das Gewehr hängt am Ast ... Achtung ... Hol’s!«

Janek sprang, packte mit beiden Händen Kolben und Lauf. Der Ast brach mit trockenem Prasseln, und gleichzeitig rollte wie dumpfes Donnergrollen das Gebrüll des Tigers über die Lichtung. Der Junge wandte sich um, erfaßte einen rot-schwarzen Blitz und den zur Seite springenden Alten. Es gab nur eine Chance, einen Moment, kurz wie ein Herzschlag. Als das Raubtier die Vorderpranken aufsetzte und sich duckte, um sich für den nächsten Sprung abzustoßen, zielte Janek auf das weiße Zickzack im dunklen Fell und feuerte zwischen die funkelnden Augenschlitze.

Die große Katze schlug einen Purzelbaum, das Gebrüll brach urplötzlich ab.

Eine Weile warteten beide, bis das mit den Augen erfaßte Bild vom Gehirn verarbeitet war. Dann sagte der Alte: »Aus. Aber er hat mich noch mit der Pranke erwischt.«

Erst jetzt sah Janek den zerrissenen Stiefel und die zerfetzte, sich allmählich dunkelrot färbende Hose.

Der Alte setzte sich auf die Erde. Der Junge trat zu ihm, schnitt den Stiefelschaft von oben bis zum Knöchel auf und riß dann ein braungrünes Verbandpäckchen auf, wie es die Soldaten an der Front verwenden.

Der Jäger legte ihm die Hand auf den Kopf. Sein Gesicht war bleich, die Lippen waren grau.

»Danke, ich danke dir, Janek.«

»Was denn, Jefim Semjonytsch. Wofür?« Nur selten redete er ihn so an, denn alle hier in den Bergen im Umkreis von gut hundert Kilometern um den Zedernberg nannten ihn einfach den Alten.

»Für mein Leben.«

»Ich habe Ihnen ...« Er brach mitten im Satz ab.

Zu viele Worte müßte er gebrauchen, um alles zu sagen, und sie waren gewohnt, mit Worten sparsam umzugehen wie mit Munition.

Der kleine Hund stapfte langsam und vorsichtig über das nasse, glitschige Laub zu dem Tiger. Er sog tief die Witterung ein, zitterte. Die Angst ließ seine Hinterbeine einknicken, doch das schwere Köpfchen strebte eigensinnig vorwärts. Der ihm von Generation zu Generation mit der Muttermilch überlieferte Instinkt sagte ihm, daß der Feind tot war. So raffte er alle Kraft zusammen, knurrte furchterregend und riß, an der Hinterpranke des gefällten Riesen angelangt, mit den Zähnen am Fell.

»Gib mir den Kleinen.«

Janek packte das Hündchen am Genick, hob es auf und reichte es dem Alten. Scharik fand in dessen breiten, zerschrammten Händen bequem Platz wie eine Hummel in einem Malwenkelch. Semjonytsch hob die kleinen Lefzen, schaute sich die Zähne an und kraulte ihn dann hinter den Ohren. Das Fell war noch naß vom Regen.

»Ein tüchtiger Hund wird aus dir werden. Hast uns beide gewarnt.«

»Was nun?« fragte der Junge. »Können Sie gehen?«

Der Alte richtete sich auf, tat einen Schritt vor, einen zurück und setzte sich wieder.

»Schlecht. Außerdem müßten wir das Fleisch hierlassen. Ich halte mit Scharik hier Wache, und du gehst zur Schneise.«

Janek schaute auf die trübe Sonne hinter den Wolken, um die Tageszeit zu bestimmen.

»Er muß bald kommen.«

Er gab dem Alten das Gewehr, das er die ganze Zeit nicht aus den Händen gelassen hatte, nahm seine Kleinkaliberbüchse und ging mit großen Schritten über die Lichtung zurück.

»Warte.«

Er wandte sich um und sah, wie der Jäger, auf der Seite liegend, nach dem Tigerkopf langte und mit dem Messer die Ohren abschnitt.

»Komm her!« rief er und setzte sich auf. »Hier, heb sie gut auf, sie gehören dir.«

Janek kehrte zurück und nahm seine Trophäe in Empfang. Dann ergriff er mit beiden Händen nach Art der Chinesen, wenn sie einen lieben Gast begrüßen, die harte, ausgestreckte Hand des Alten.

Der Wind trug durch das Rauschen des Regens von weit her das schwache, rhythmische Rattern eines Motors. Er wußte, daß der Traktor zwei mit Zedernstämmen beladene Hänger bergan schleppte. Bald würde er den Paß bei den Fünf Weißbuchen erklimmen und dann talwärts rollen. Also sprang er über den gefällten Baum am Rande der Lichtung und rannte leichtfüßig davon. Er atmete tief den würzigen Bergwind ein, spürte den Duft der Blätter und Pilze. In der Tasche seines Hemdes steckten die abgeschnittenen Tigerohren, und tief in der Brust glomm Freude über den wohlgezielten Schuß.

Der Alte hatte unterdessen den Tabaksbeutel aus dunklem Hirschleder aus der Tasche geholt, aus einer gleichmäßig zusammengefalteten Zeitung ein viereckiges Stück Papier abgerissen und sich bedächtig eine Zigarette gedreht. Dann betastete er den Verband und legte das Bein bequemer, indem er den Fuß auf den Gewehrkolben stützte. Der kleine Hund wanderte, die Ohren spitzend, in einem weiten Kreis um ihn herum, seinen Dienst versehend wie ein richtiger, erwachsener Hund. Der Alte steckte den Beutel wieder in die Tasche, holte ein aus einer Patronenhülse gefertigtes Feuerzeug hervor, zündete die Zigarette an und rauchte.

Der Ruf der Wildgänse

Sie brauchten viel Zeit, denn der Alte konnte mit dem geschwollenen Fuß nicht auftreten, Janek und der Traktorist mußten ihn in die Mitte nehmen und stützen.

Dann fuhr Janek nochmals von der Schneise zur Lichtung, um dem Tiger das Fell abzuziehen und das Fleisch des Keilers zu holen. So verstrichen etwa zwei Stunden.

Sie mußten langsam und vorsichtig fahren, denn die schweren Hänger rutschten im nassen Gras und Schlamm. Noch ehe sie vom Hang des Zedernberges auf die ausgefahrene Talstraße kamen, brach die Nacht herein. Sie ließen die Hänger mit dem Holz am Straßenrand stehen und bogen mit dem Traktor in einen Seitenweg ein, der zur Hütte des Alten führte.

Bei ihrer Ankunft erlosch die letzte Röte am Himmel, es wurde ganz dunkel. Der Traktorist schaltete die Scheinwerfer an. Die Lichtbündel griffen Baumstämme und tiefhängende Kronen, Hausdächern gleich, aus der Dunkelheit. An der Seite glühte rötlich das heiß gewordene Auspuffrohr, aus der Öffnung stoben rote Funken und flogen seitlich davon.

Dann fuhren sie zwischen zwei kleinen Pfosten einer Umzäunung durch unter das Vordach. Der Traktorist stoppte den Schlepper und stellte auf kleine Umdrehungen. Da erst hörten sie, daß der Motor klopfte. Der Traktorist fluchte. »Fahr ihn in den Schuppen«, riet der Junge.

Er warf Felle und Fleisch unter das Dach, half dem Alten beim Absteigen, umfaßte ihn halb und führte ihn die Stufen zur Tür hinauf. Das Scheinwerferlicht erlosch, der Motor ratterte noch einmal auf und verstummte. Sein Lärmen wurde abgelöst durch das Rauschen des unsichtbaren Flusses. Der Traktorist kam schnell zurück, und alle drei traten zusammen in die geräumige Hütte.

Es roch nach Wärme, Kräutern und Tierfellen. Janek öffnete den Schieber im Schornstein, rührte in der Glut, warf trockenes Reisig darauf. Lustige Flämmchen zuckten auf, der Lichtschein huschte durch die Hütte und ließ die breiten Wandbänke, den langen Tisch und den buntbemalten Kasten für Kugeln und Pulver aus der Dunkelheit treten.

Sie warfen die nassen, vom Regen durchweichten Jacken ab. Janek goß Wasser aus dem Eimer in den Kochtopf und rückte ihn über die Glut. Erst jetzt fiel ihm ein, daß der kleine Hund in seiner Jackentasche schlief. Er holte ihn hervor und trug ihn in die Ecke zu Muras verlassener Lagerstatt.

Der Traktorist setzte sich, streckte die langen Beine in den schmutzigen Stiefeln von sich, ließ den schwarzen, kraushaarigen Kopf hängen und lamentierte: »Der Motor klopft, das ist nicht gut. Ich muß morgen zeitig losfahren, doch das Ding ist defekt. Er klopft. Hast du gehört, wie er klopft, Towaristsch? Ehe ich ihn repariert habe, ist es Mittag, vor der Nacht komme ich nicht hin.«

Der Alte hörte ihm nicht zu. Er saß auf der Bank neben dem Ofen und zog vorsichtig die Hose von dem verwundeten Bein. Janek trat in den Vorraum, holte das Fleisch, schnitt ein Stück ab und sagte beschwichtigend zu dem Traktoristen: »Beruhige dich. Die Nacht ist lang, da bringst du ihn in Ordnung.«

»Mir fehlen die Kräfte. Nachtarbeit ist schlechte Arbeit. Doch das Holz muß morgen hingebracht werden.«

»Hast du Reserveschalen für die Lager?«

»Ja.«

»Dann mach ich es.«

»Kannst du das?«

»Klar.«

Der Alte wärmte sich die Hände an der Glut und sagte nach einer Weile: »Laß die Töpfe, Janek. Hier in der Hütte weiß ich mir schon zu helfen. Wenn das Essen fertig ist, rufe ich.«

Der Traktorist erhob sich von der Bank, und die beiden Jungen gingen hinaus. Sie traten in den Schuppen, schlossen das Tor. Janek zog ein Stück Plane vom Heu und breitete es unter dem Trecker aus.

Sie sprachen kein Wort, verstanden sich auch so. Das heiße Öl rann in einem dünnen Strahl in den Eimer. Sie knieten sich zu beiden Seiten hin, legten einen Klotz unter, lösten Schrauben und nahmen das Gehäuse ab. Janek wischte die warmen Gelenke der Kurbelwelle mit Werg ab.

»Wie heißt du?« fragte der Traktorist.

»Jan Kos.«

»Jan Kos?« wiederholte der andere, die Worte bedächtig formend. »Schwierig.«

»Und du?«

»Grigori Saakaschwili.«

»Auch nicht grad leicht.«

»Ich bin aus Grusinien, Bruder. Verstehst du? Och, Berge sind da, und auf den Bergen glitzert weißer Schnee in der Sonne wie Zucker, man möchte dran lecken. Und hoch sind sie! Siehst du die Schraube hier? Und den Traktor?« Er zeigte mit ölverschmiertem Finger. »Die Berge hier sind wie diese Schraube, und die Berge dort wie der Traktor.«

Janek lag unter dem Traktor und überprüfte nacheinander die Lager. Er stieß sie hoch, zog nach unten – der Riß war in der zweiten Schale.

»Nimm die Kurbel, dreh den zweiten Kolben nach unten.«

Grigori befolgte die Weisung, dann hockte er sich hin und schaute unter den Traktor. Er beobachtete, wie Janek mit der Kneifzange den blockierenden Nadelkorb geschickt wegbog, herauszog und mit dem Schlüssel die Schrauben lockerte.

»Der Alte hat mir gesagt, du hast einen Tiger erlegt. Bist also ein guter Jäger. Jetzt schaue ich zu und sehe, du weißt auch über Traktoren Bescheid. Also nimm ihn, tritt an meine Stelle. Ich gehe zur Armee.«

Janek verrückte die Lampe, damit ihr Schein auf das Gesicht des Sprechers fiel.

»Nehmen sie dich?« fragte er ungläubig. »Wie alt bist du?«

»Neunzehn, und du?«

»Siebzehn«, log er, fast zwei Jahre zugebend.

Jetzt nahm der Grusinier die Lampe und leuchtete.

»Erst siebzehn? Hast einen Tiger erlegt, kennst dich bei Traktoren aus. Nehmen sie solche nicht?«

»Darum geht es nicht. Ich bin nicht von hier, sondern aus Polen. Und den Alten lasse ich nicht allein.«

Wie es häufig mit jemandem geschieht, der untätig anderen bei der Arbeit zusieht, spürte Grigori plötzlich Gereiztheit.

»Das ist unser Krieg. Der geht dich nichts an. Zieht ihr hier nur den Eichhörnchen und Waschbären das Fell über die Ohren!«

»Für Fliegerkombinationen.«

»Unsereins sitzt im Schützenloch, du in der Etappe. Sehr schlau.«

Janek drehte die letzte Schraube heraus, nahm die Lagerschale ab und legte sie auf die Plane. Dann glitt er unter dem Traktor hervor und stellte sich über den Traktoristen.

»Sehr schlau, sagst du? Und wer hat als erster gegen Hitler gekämpft? Mit der Westerplatte hat’s angefangen.«

»Wester … Kaum nachzusprechen. Was soll das sein, klingt so deutsch? Euer Krieg ist längst vorüber. In zwei Wochen haben sie euch zusammengeschlagen.«

»Und du, weißt du dich zu schlagen?«

»Weshalb?«

»Steh auf!«

Janek stellte die Lampe auf einen Stapel Holzscheite.

Leicht vorgeneigt standen sie sich gegenüber, aufgebläht wie zwei Kampfhähne. Sie sprangen. Grigori war bedeutend größer, packte Kos am Kopf und bog ihn unter sich. Janek zog im Fallen die Beine an, und als er mit dem Rücken den Boden berührte, streckte er sie mit aller Kraft und schleuderte den anderen an die Schuppenwand.

Schwer atmend standen sie auf.

»Hast du noch nicht genug?«

»Nein.«

Der Traktorist stürmte wieder vor, Janek unterlief ihn mit der Gewandtheit einer Wildkatze und warf ihn zu Boden.

Wieder sprangen sie auf, gingen wortlos aufeinander zu, doch plötzliches Motorengedröhn, von hoch oben durch den Wind hergetragen, ließ sie innehalten.

»Sie fliegen«, sagte Saakaschwili.

»Sie passen auf. Die Japaner sind nahe. Am anderen Ufer des Ussuri.«

Sie waren sich plötzlich gleichgültig geworden, lockerten die Muskeln und traten vor das Tor, die Köpfe emporgereckt. Der Himmel im Westen war etwas aufgerissen, Sterne blinkten. Sie konnten die Flugzeuge nicht sehen. Das Brummen entfernte sich und ging im Rauschen des Windes unter.

Sie traten wieder unter das Dach.

»Wollen wir uns weiter schlagen, oder hast du genug?« fragte Janek.

»Ach, Quatsch. Mein Krieg, dein Krieg – es ist ein und derselbe. Nimm meinen Traktor, ich gehe zur Armee.«

Sie schwiegen. Janek spürte ein Verlangen, dem anderen zu erklären, wie nahe dieser zehntausend Kilometer entfernte Krieg ihm war. Er wußte jedoch nicht, womit er anfangen sollte, und scheute sich, seine Gedanken in Worte zu kleiden.

»Jungs!« ertönte der Ruf des Alten.

Sie wuschen sich die Hände in Öl, rieben sie mit nasser Erde ab und spülten sie unter der Dachrinne. Dann holten sie die Lampe und kehrten in die Hütte zurück, wo auf der blanken Tischplatte warme Fladen aus Roggenmehl lagen und Wildschweinfleisch auf einem Blechteller dampfte.

Sie aßen schweigend. Dann trug Janek den rußigen Teekessel herbei, goß zwei Tassen ein und zögerte bei der dritten.

»Tee, aber ungesüßt, der Zucker ist alle. Willst du trinken?«

»Ich habe selbst welchen«, antwortete Grigori, holte ein Tuch aus der Tasche und wickelte es auf. »Ein Stück ist noch da. Gib mir ein Messer.«

Er zerschlug es mit dem Messergriff und gab jedem ein Stückchen. Sie tranken, wobei sie den Zucker im Mund behielten.

Scharik wachte auf und winselte in seiner Ecke. Der Traktorist sammelte die Zuckerkrumen in seinem Handteller, trat in die Ecke und verkündete fröhlich: »Klein, aber oho! Der leckt wie ein Alter und knabbert noch an meinen Fingern.«

Der Hund bellte glücklich und wedelte mit dem Schwanz. Janek schaute eine Weile lächelnd zu, holte dann den kurzen Pelz, breitete ihn auf der Bank aus und sagte: »Leg dich hin, schlaf! Das übrige mache ich allein.«

Saakaschwili löste den Gürtel, streckte sich aus und sagte schläfrig, die Arme unter den Krauskopf legend: »Schlaf nach der Arbeit ist guter Schlaf. Hier ist es warm, gemütlich, kein Wasser tropft einem auf den Kopf, doch richtig schlafen kann man eigentlich nur bei uns in Grusinien. Wenn du dich dort niederlegst, stellst du einen Krug Wein neben dich, die Tür steht weit offen, die Nacht und die Sterne treten ins Haus ...«

Es wurde still. Der Alte wollte rauchen, streckte die Hand nach der Zeitung aus, die neben der Lampe lag, reichte jedoch nicht hin. Janek erhob sich, um sie ihm zu geben. Sein Blick fiel auf das zusammengelegte Papier, und er behielt es in der Hand.

»Kann ich sie haben?« frage er.

»Du? Willst wohl rauchen?«

»Nein, ich bringe Ihnen eine andere Zeitung. Genau so eine. Einverstanden?«

»Meinetwegen«, antwortete der Jäger.

Janek steckte die Zeitung in die Brusttasche zu den Tigerohren und ging zum Schuppen.

Er setzte die neuen Schalen in das Lager, ölte sie ein, rückte sie zurecht und drehte ein paarmal die Kurbelwelle. Dann nahm er sie wieder ab. Beim Lampenschein sah er deutlich, wo die silberne Legierung genau der Form der Kurbelwelle entsprach – in den Vertiefungen waren Ölspuren geblieben. Mit einem scharfen Taschenmesser schabte er das weiche Metall in feinen Spänen ab und paßte wieder an.

Er wiederholte das Ganze geduldig ein zweites, drittes und fünftes Mal, bis nach der letzten Probe die Oberfläche glatt und sauber und mit einem dünnen Ölfilm bedeckt war. Er brannte darauf, in die Zeitung zu schauen, die er in der Brusttasche trug, denn in der Hütte hatte er nur zwei Wörter erkannt. Doch er hatte sich geschworen, erst die Arbeit zu beenden.

Der Regen hatte aufgehört, durch die Lücke unter der Dachtraufe sah man jetzt die dünne Mondsichel über den Bergen hängen. Janek versank in Nachdenken. War das derselbe Mond, der sich damals an die Mastspitzen der im Hafen liegenden Schiffe hängte? Derselbe, der sich im Wasser der Bucht und der Weichsel spiegelte?

Das Tor knarrte leicht, vom Wind bewegt. Der Junge fuhr zusammen, kroch wieder unter den Traktor und paßte das Lager zum letztenmal an. Er schraubte den Gehäusedeckel zu und goß Öl nach. Dann ließ er den Motor an und eine Weile im Leerlauf drehen. Schließlich schaltete er die Zündung aus, wartete, bis das Öl zurückgelaufen war, und steckte die Hand durch die Getriebeöffnung. Er tastete mit den Fingern nach dem Lager und prüfte, ob es sich erwärmt hatte.

Alles war in Ordnung.

Früher, in den Zeiten, die er gewöhnlich mit »damals« bezeichnete, wäre er jetzt zu seinem Vater gegangen und hätte gesagt: Erledigt. Dann stand der Vater auf und ging kontrollieren. Er tat dies gründlich, unabhängig davon, ob es sich um einen reparierten Teddybär, ein Modellflugzeug oder ein Fahrrad handelte. Danach pflegte er sich aufzurichten, ein Lächeln in den grauen Augen, ihm die Hand hinzustrecken und zu sagen: Gut gemacht.

So war das »damals«, inzwischen waren fast vier Jahre vergangen, seit Janek allein war. Plötzlich spürte er die bleierne Schwere der durchwachten Nacht, sein schmerzendes Genick nach dem Kampf mit Grigori.

Draußen wurde es kühl, unter den Bäumen, durch die Umzäunung krochen lautlos Nebelfetzen vom Fluß herauf.

Im Vorraum löschte er die Lampe. Seine Hände rochen immer noch nach Metall und Öl, obwohl er sie sorgfältig gewaschen hatte. Er drückte von unten gegen den Riegel, damit die Tür nicht knarrte, trat auf Zehenspitzen in die Hütte, ging zum Herd und schob mit einem angesengten Scheit die Asche von der roten Glut. Dann holte er die Zeitung aus der Tasche und faltete sie vorsichtig auseinander.

Was ihn interessierte, war unvollständig, rechts unten fehlte ein Stück. Er hielt das Papier vor die Augen, beugte sich zur Glut und las bei ihrem rötlichen Schein, die Wärme an der Wange spürend.

»Janek!«

Er fuhr auf.

»Was ist, Jefim Semjonytsch?«

»Lies laut vor. Der schläft, den weckst du nicht auf.«

Janek zögerte. Er spürte, wie ihm das Blut zu Kopf stieg, als habe man ihn auf frischer Tat ertappt. Es dauerte eine Weile, ehe er sich wieder in der Gewalt hatte und vorlas: »Mitteilung über die Einwilligung der sowjetischen Regierung, eine polnische Division aufzust...« Hier fehlte ein Stück Überschrift, kleingedruckt ging es weiter: »Die sowjetische Regierung hat beschlossen, der Bitte des Verbandes Polnischer Patrioten zu entsprechen, zum Zweck des gemeinsamen Kampfes auf dem Territorium der UdSSR eine polnische Division mit dem Namen ›Tadeusz Kosciuszko ...‹ Die Aufstellung der polnischen Division findet bereits ...«

Janek zog das Gesicht von der Glut weg, faltete die Zeitung langsam zusammen und sagte: »Das ist alles. Etwas fehlt: ist abgerissen.«

Wieder herrschte Stille in der Hütte, nur Grigori Saakaschwili, Traktorist aus Grusinien, atmete ruhig und gleichmäßig, nur Scharik winselte vor Sehnsucht nach der mütterlichen Wärme, die so plötzlich aus seinem Leben verschwunden war. Nach langer Pause fragte der Alte endlich: »Bleibst du noch solange, bis ich wieder laufen kann?«

Janek ging zu ihm und setzte sich auf den Rand der mit Fellen bedeckten Liegebank.

»Ganz bestimmt.«

»Bevor der Schnee kommt, ist es verheilt. Wenn ich laufen kann, halte ich dich nicht mehr«, sagte der Jäger langsam, bedächtig. »Es sind jetzt wohl zwei Jahre vergangen, seit mein Wanja in den Krieg zog. Er war älter als du, du entsinnst dich sicher, aber für die Kugel ist das einerlei, ob älter, ob jünger ... Sie macht keinen Unterschied. Doch ich werde dich nicht halten.« Er legte seine knorrige, breite Hand auf Janeks Knie.

»Wir müssen den Traktoristen wecken, der Morgen graut«, sagte der Junge, blieb jedoch unbeweglich sitzen und starrte in die erlöschende Herdglut.

»Jefim Semjonytsch, vielleicht kehre ich nach dem Krieg zu Ihnen zurück, ich habe doch sonst niemanden.«

»Red kein dummes Zeug«, entgegnete der Alte ruhig. »Deine Mutter ist tot, aber dein Vater findet sich vielleicht wieder. Wenn du fortgehst, gebe ich dir ein Paar warme, weiche Handschuhe aus Waschbärenfell mit. Und selbst wenn du deinen Vater nicht finden solltest, wirst du nicht zurückkehren, sondern bei deinen Leuten bleiben. Was du in der Zeitung gelesen hast, sind nur Wörter, und doch sind sie wie der Ruf der Wildgänse im Herbst, da hilft nichts mehr, du mußt in deine Heimat ziehen.«

Züge fahren westwärts

Der Transport hielt auf einem hohen Damm. Hinten funkelten ein paar Bahnhofslampen und zwei gelbe Fenster, doch die Waggons waren eingehüllt in dunkelblaue Nacht und glitzernden Sternenschein. Vorn schnaufte die Lokomotive und stieß einen Helmbusch aus Rauch schräg nach oben. Auf die Schienen fiel roter Schein aus den geöffneten Heizrosten und ließ die Räder als kirschrote Kreise hervortreten. Man hörte das gleichmäßige Zischen des Dampfes und das Knirschen des Schotters unter den Stiefeln der auf und ab gehenden Posten.

Die kantigen Quader der Güterwagen hoben sich steif gegen den Himmel ab. Auf den Dächern des ersten und letzten Wagens ragten die gestreckten Finger der Vierlingsflak empor. Bei jeder standen zwei Soldaten Wache. Einer von denen auf dem letzten Wagen spielte leise Mundharmonika.

Weit vorn, fast am Horizont, funkelten rote Signallichter, verschwanden und wurden plötzlich grün. Die Lokomotive heulte mit Baßstimme wie ein Schiff im Hafen, und ein metallisches Klirren lief die Wagenkette entlang, die Kupplungen spannend. Die Posten rannten zu den halbgeöffneten Türen, schwangen sich auf die Trittbretter und kletterten in die Wagen. Von unten sah man, wie die Räder ruckten. Der Zug trat seine weite Reise an.

In diesem Moment pfiff jemand leise in den Büschen am Bahndamm. Zwei Gestalten sprangen auf – ein Mensch und ein Hund. Eine Weile rannten sie neben dem anfahrenden Zug her, dann packte der Mensch den Hund, schleuderte ihn hoch, sprang nach, ergriff den Eisenbügel, zog sich hoch und verschwand sogleich im Dunkel.

Die Leute im Waggon schliefen auf dreistöckigen, aus ungehobelten Brettern gezimmerten Pritschen. Sie schnauften rhythmisch. Es roch nach Tuch, Tabak und Metall – der typische Geruch von Soldaten.

Nur einer, offenbar die Wache, saß auf seiner Kiste am Ofen in der Mitte des Wagens. Er hatte den Mantel an, das Gewehr mit aufgepflanztem Vierkantbajonett ragte über seine Schulter. Er legte gerade ein paar Scheite in den Kanonenofen. Bei dem Geräusch an der Tür wandte er sich nicht einmal um, fragte nur: »Bist du’s, Wanja?«

»Hm«, knurrte der Ankömmling undeutlich.

»Was bist du nur für ein Mensch!? Immer kommst du zu spät. Paß auf, du bleibst noch mal zurück. Wenn schon, dann nicht während meiner Wache.«

Er murmelte noch etwas vor sich hin, doch der, den er für Iwan hielt, antwortete gar nicht. Am Rand der unteren Pritsche war noch Platz. Jener legte sich und deckte sich mit einem Stück des Mantels seines Nachbarn zu. Der schlafende Soldat brummelte etwas, machte mechanisch Platz und drehte sich ächzend auf die andere Seite. Heu raschelte. Der verspätete Fahrgast nutzte dies aus, raffte einen tüchtigen Armvoll unter sich zusammen, schob es unter die Pritsche und flüsterte: »Hier, Scharik, hier ... Platz!«

Der Zug fuhr etwas langsamer, als sei er ermüdet durch die ununterbrochene Fahrt, bremste dann und stand. Vorn ertönte hell und munter eine Trompete. Noch ehe sie verstummte, kam die Antwort, ein Knirschen und Krachen der sich öffnenden Schiebetüren. Mit dem kalten Wind drang die graue Morgendämmerung in die Waggons, der Weckruf klang jetzt deutlicher, gebieterischer.

Die Rotarmisten erhoben sich, zogen die Stiefel an und sprangen, mit einem Gähnen den letzten Schlaf verscheuchend, auf das Gleisbett. Das Gras war silbern vom Reif und raschelte unter den Stiefeln. Sie liefen den Bahndamm hinunter, zertrümmerten mit den Absätzen die dünne Eisschicht im Graben neben dem Damm und wuschen sich. Sie benahmen sich dabei wie Schulkinder, spritzten, trieben Unfug und schrien vor Kälte und jenem prickelnden Reiz, den kaltes Wasser auf der Haut hervorruft. Lange frottierten sie Gesichter, Arme und die Brust mit Leinentüchern, bis die Haut krebsrot war. Dann liefen sie wieder hinauf und sprangen in die Waggons.

»Hier auf der unteren Pritsche schläft noch jemand. Steh auf, Faulpelz!«

»Laß ihn in Ruhe; der hat sicher Wache gehabt. Als ich aufgestanden bin, habe ich extra meinen Mantel liegen lassen, soll er schlafen.«

Die Essenholer trugen Kübel den Zug entlang, grüne ovale Thermosbehälter. Sie schoben sie in die Waggons und liefen weiter.

»Schraub den Deckel ab, Fedja, mal sehen, was es gibt.«

»Sieh nur genau hin! Denkst wohl, Piroggen mit Sahne und Quark?«

»Heiliger Bimbam!« Wieder Kascha!« rief der stämmige, rotbackige Fjodor.

»Borstsch da kascha – pistscha nascha!«1

Die Lokomotive pfiff kurz, dann folgte ein langes Signal, und der Zug fuhr an.

Jemand auf der obersten Pritsche, direkt unter dem Waggondach, sang in hohem Tenor: »Hirse gestern, heute, täglich uns zur Freude!«

Die Soldaten lachten laut, denn in dem Lied ist eigentlich vom Wein die Rede, der Freude bringt, und nicht von Hirsegrütze. Mit den Eßgeschirren den Takt schlagend, stellten sie sich am Kübel an.

»He, du! Willst du auch nichts essen?« Der pausbäckige Fjodor zupfte am Mantel. »Ist deine Sache, schlaf weiter, ich werde deine Portion ...«

Er sprach den Satz nicht zu Ende, blieb eine Weile verdattert stehen und brüllte dann: »Kinder, ein Fremder! Heiliger Bimbam, und ein Hund knurrt hier auch noch rum!«

Der Fremde schlief schon lange nicht mehr, die Trompete hatte ihn geweckt. Er wollte jedoch den Zeitpunkt hinausschieben, wo man ihn entdecken würde. Dies sollte besser während der Fahrt geschehen als an einem Haltepunkt. Nachdem man ihn nun ertappt hatte, sprang er von der Pritsche und stellte sich an die Wand. Zu seinen Füßen kuschelte sich ein junger kräftiger Hund mit einer Wolfsschnauze und einem zottigen, aschgrauen Fell.

»Wer bist du?«

Beide schwiegen, der Junge und der Hund.

»Ich will wissen, wer du bist!«

Keine Antwort. Alle Soldaten drängten sich um die beiden, neugierig, wie es weitergehen würde.

»Ein Truppentransport, und da schleicht sich diese Type ein. Wenn du nicht redest, werfen wir dich zur Tür hinaus.«

Der Hund fletschte die Zähne und sträubte das Fell.

Der große, kräftige Fjodor achtete nicht darauf, sondern packte den Jungen am Arm. Und plötzlich, seltsam – alle schauten zu, doch ehe es jemand merkte, lag der Soldat auf der Pritsche im Heu, und der Hund hielt einen Mantelfetzen zwischen den Zähnen. Der Junge hatte sich, nachdem er Fjodor mit einem Schlag zu Boden geworfen hatte, wieder in die Waggonecke zurückgezogen und stand mit dem Rücken zur Wand.

»So einer bist du? Haust zu wie ein Stier, heiliger Bimbam!«

Der Pausbackige erhob sich und ballte die Fäuste.

»Laß ihn!«

Ein Sergant mit dem Gardeabzeichen auf der verschossenen Uniformbluse trat in den Gang zwischen Pritschen und Wand. Er blieb vor dem Jungen stehen, sah ihn lange an, strich sich über den goldgelben Schnurrbart und sagte ruhig: »Du kommst ungeladen. Man fragt dich, du antwortest nicht. Das ist keine Art. Willst dich wohl mit allen schlagen? Wir fahren an die Front, und du?«

»Ich auch.«

Der Sergeant lächelte leicht.

»Verstehe, aber Kinder, noch dazu mit Hunden, werden nicht in die Armee aufgenommen.«

»Das soll noch ein Kind sein? Genossen, wie ein Stier hat er mir vor den Bauch gehämmert, ich spür’s jetzt noch«, jammerte Fjodor.

»Moment«, schnitt ihm der Sergeant das Wort ab und wandte sich wieder an den Jungen: »Außerdem, wenn du in den Krieg willst, mußt du aufs Militärkommissariat gehen. Dort werden sie dich messen, wiegen, dies und das fragen und dir ein Papier geben. Im Alleingang ist das unmöglich.«

Der Hund, beruhigt durch die gelassene, gleichmütige Stimme, machte einen halben Schritt vorwärts, schnupperte am Stiefel des Sergeanten und kehrte, nachdem er zweimal mit dem Schwanz gewedelt hatte, an seinen früheren Platz zurück. Janek dachte: Solche Ratschläge sind nichts Neues. Er wußte, daß man erst durchs Militärkommissariat mußte; nur, in den Papieren hatten sie sein genaues Geburtsjahr. Das konnte er dem Sergeanten doch nicht sagen.

»Du sagst nichts, ich glaube aber, du verstehst mich«, fuhr der Schnurrbärtige fort, durchaus nicht befremdet wegen der ausbleibenden Antwort. »Bist sicher von zu Hause fort, deine Mutter jammert, sie weiß nicht, wo du bist. Du mußt zurück.«

»Ich habe keine Mutter.«

»Was ist mit ihr?«

»Die Faschisten haben sie ermordet.«

Der Schnurrbart des Sergeanten zuckte, er überlegte und fügte verständnisvoll hinzu: »Und dein Vater ist an der Front.«

»Ich weiß nicht, er ist vermißt, im Krieg vor vier Jahren.«

»Damals war noch gar kein Krieg.«

»Doch, in Polen. Ich will zur polnischen Armee, bin schon drei Tage unterwegs.«

»Als Hase?«

Blinde Passagiere werden im Russischen Hasen genannt. Janek wußte das und nickte.

»Hast du irgendein Papier?«

»Papier hin, Papier her. Wir müssen ihn hinausschmeißen«, bellte Fjodor wütend.

»Mischen Sie sich nicht ein, Genosse Schütze, wenn Ihr Vorgesetzter mit jemandem spricht. Wer hat gestern abend beim Halten des Zuges Wache gehabt? Nun, wer, möchte ich wissen?«

»Ich, Genosse Sergeant.«

»Und was meinen Sie: Ist der Junge während Ihrer Wache zugestiegen oder mitsamt dem Hund durch den Schornstein hereingerutscht?«

Der Pausbackige antwortete nicht, trat zurück und versteckte sich hinter dem Rücken der anderen. Unterdessen hatte Janek aus der Tasche die zusammengefaltete Zeitung hervorgeholt und überreichte sie dem Sergeanten. Der drehte sie in den Händen, schaute sie an und gab sie ebenso sorgfältig gefaltet wieder zurück.

»Wir lesen selbst Zeitung, wissen Bescheid. Versteh doch: Was du brauchst, ist Bumaga, irgendein amtliches Papier, Dokument.«

Janek holte eine Bescheinigung der Jagdgenossenschaft hervor, für die Jefim Semjonytsch und er gearbeitet hatten.

»Du bist also Jäger?«

»Das ist ein Ding, Jäger!« sagte einer der Soldaten. »Möchte wissen, was du gejagt hast, Frösche oder Tiger.«

Alle lachten laut.

Janek antwortete nicht. Er langte wieder in die Tasche und hielt ihnen auf der flachen Hand ein großes zottiges Ohr hin. Das Gelächter verstummte, Stille herrschte im Wagen.

»Tatsächlich von einem Tiger. Na gut«, sagte der Sergeant. »Wir reden hier, unterdessen wird die Kascha kalt. Gebt dem Jungen und dem Hund erst mal zu essen. Dann werden wir weitersehen.«

Sie setzten sich auf die unteren Pritschen und schaufelten mit Holzlöffeln die fette Hirsegrütze. Der Sergeant schnitt von seiner Brotration ein Stück ab und gab es Janek. Durch die halbgeöffnete Tür glitt die grüne Taiga vorbei; weich und dick wie ein bis zum Horizont reichender Teppich.

Janek stand auf, ging zu Fjodor und sagte, auf den neben ihm liegenden Mantel weisend: »Geben Sie ihn her, ich nähe die Ecke wieder an.«

Der überlegte eine Weile und nickte dann.

Die zunächst Sitzenden sahen, wie der Junge die Mütze abnahm, ein Stück Faden herausholte, aus dem Futter eine Nadel zog und das abgerissene Stück mit sauberen Stichen von links annähte.

»Das kannst du gut. Wenn du an die Front kommst, wird man dich gleich zum Ersten Kompanieschneider machen«, bemerkte scherzend derselbe Soldat, der nach den Fröschen und Tigern gefragt hatte.

»Quasselt nicht herum«, sagte der Sergeant. »Nutzt die Zeit. In einer Stunde Waffendurchsicht.«

Janek zupfte den Sergeanten am Ärmel und wies auf die Waffe mit dem Stahltrichter an der Mündung, der Magazintrommel auf dem Lauf und den dünnen Beinen. »Ich könnte das Ding da reinigen.«

»Das ist ein LMG, ein leichtes Maschinengewehr. Kennst du dich damit aus?« fragte der Sergeant.

»Nein«, gestand er, »aber ich interessiere mich für Waffen.«

»Bring her, ich zeig es dir.«

Er nahm das Schloß mit knappen, geschickten Bewegungen auseinander, legte es wieder zusammen und wiederholte das Ganze.

»Kapiert?«

»Ich will’s versuchen.«

Beim erstenmal ging es mäßig, beim zweiten etwas schneller. Janek langte nach dem Kasten mit den Stoffetzen und der Ölkanne und machte sich bedächtig an das Reinigen dieses sinnreich durchkonstruierten, zuverlässigen Begleiters.

Scharik war höchst unzufrieden gewesen, daß man ihm den Mantelfetzen abgenommen hatte. Er wurde wieder mobil, wedelte mit dem Schwanz, packte Janeks Pelzmütze mit den Zähnen und setzte sich leise winselnd ihm gegenüber.

»Was hat er?« fragte der Sergeant.

»Er denkt, wir gehen auf Jagd.«

»Recht hat er, doch das ist eine Waffe für größeres Wild, und diese Jagd ist nichts für Kinder.«

Er streichelte den Hund. Scharik ließ es gnädig zu, er hatte wohl erkannt, daß dieser Mann mit der strengen, befehlsgewohnten Stimme ein Freund seines Herrn war. Der Sergeant dachte eine Weile nach und setzte hinzu: »Für Erwachsene eigentlich auch nicht, doch da es einmal sein muß.«

Janek zog den Lauf durch, legte das Schloß zusammen und wischte den Kolben ab.

»Aus dir wird mal was!« Der Sergeant klopfte ihm auf die Schulter.

Wieder wechselte der Rhythmus der Räder. Der Zug fuhr langsamer, die Lokomotive pfiff ein paarmal, die Waggons rumpelten über die Weichen und schoben sich in einen Bahnhof. Rechts und links standen andere Züge, zwischen den Gleisen liefen Uniformierte umher. Etwas weiter blinkte ein bis zum Horizont reichender See.

Wieder liefen Diensthabende den Zug entlang. Sie schleppten dicke Zeitungspakete, blieben vor jeder Tür stehen und reichten einige Zeitungen herein. Die Soldaten verteilten sie und vereinbarten: »Je vier Mann eine, und das Papier aufheben, damit wir was zum Zigarettendrehen haben.«

Fjodor trat zu Janek, klopfte auf das bedruckte Papier und sagte:

»Du, Jäger, hier ist was für dich: ›Die erste polnische Infanteriedivision Tadeusz Kościuszko hat bei Lenino eine Schlacht geliefert.‹ Hättest dich früher auf den Weg machen sollen, den Anfang hast du schon verpaßt. Derweilen gehst du wie ein Stier auf Soldaten der verbündeten Armee los, hetzt sie mit Hunden ...«

»Nehmen Sie es mir nur nicht übel«, bat Janek. »Das ergab sich so. Lassen Sie mich mitfahren. Ich kann die Waffen reinigen und mit meinem Hund Wache stehen. Wir lassen niemanden herein.«

»Warte hier auf mich«, befahl der Sergeant. »Ich gehe zu unserem Kommandeur und erkundige mich, was mit dir geschehen soll.«

Leicht gesagt: »Ich gehe und erkundige mich«, denn die Ausführung dieses Vorsatzes stieß auf unvorhergesehene Hindernisse – die dicke Pelzmütze des Sergeanten war verschwunden.

»Was sind das für Zustände?« Er wurde wütend und sträubte den Schnurrbart. »Posten, wo haben Sie ihre Augen? Sofort suchen!«

Erst suchte nur der Diensthabende, dann der ganze Zug. Nichts half, sie war wie vom Erdboden verschluckt. Nur Janek rührte sich nicht vom Fleck. Er überlegte, daß, wenn der Zug erst mal abgefahren war, er ein weiteres Stück Weg mit dem Transport fahren könnte.

Schließlich entschied der Sergeant: »Ich gehe ohne Mütze. Wenn ich zurückkomme und ihr habt sie noch nicht gefunden, könnt ihr was erleben.« Er hob drohend den Finger und wiederholte verzweifelt: »Ohne Mütze – das ist gegen jede Dienstvorschrift, doch ich gehe.«

Bei diesen letzten Worten sprang Scharik unter einer Pritsche hervor. Hocherfreut wedelte er mit dem Schwanz in der Hoffnung auf einen Spaziergang. Er setzte sich vor dem Sergeanten auf die Hinterbeine und hielt ihm seine Pelzmütze hin, die er zwischen den Zähnen hatte.

»Elender Köter!«

»Das ist kein Köter«, widersprach Janek. »Echtes sibirisches Wolfsblut.«

»Genosse Sergeant«, erklärte Fjodor. »Der Hund ist eben erst zur Truppe gestoßen und mit den Dienstvorschriften noch nicht vertraut.«

Alle lachten. Der Sergeant glättete die Mütze, setzte sie auf, winkte ab und kletterte die eisernen Sprossen hinab.

Janek hatte größte Lust, hinter ihm aus dem Waggon zu springen, denn er wußte aus Erfahrung, wie derartige Anfragen bei Vorgesetzten ausgingen. Doch das war schwierig, erstens gehörte es sich einfach nicht, zweitens hätten die Soldaten ihn bestimmt zurückgehalten. Sie saßen dicht nebeneinander in der weit geöffneten Tür, schauten auf den See und sangen: »Herrlicher Baikal, du heiliges Meer ...«

Der Sergeant kam unerwartet schnell zurück, stellte sich aufs Nachbargleis und winkte Janek zu.

»Komm, Scharik, sie schmeißen uns wieder hinaus.«

»Warum läßt du den Kopf hängen?« Der Sergeant legte ihm den Arm um die Schulter und führte ihn mit sich. »Keine Angst. Ich würde dich durchaus mitnehmen, da du kein Zuhause hast, aber du hast Glück. Wirst gleich sehen.« Sie gingen zu einem der Waggons auf dem Nachbargleis. In der Tür standen Zivilisten in Wattejacken und Mänteln. Einer wartete vor dem Waggon, an seiner zottigen Pelzmütze war mit schwarzem Faden ein Abzeichen angenäht – ein aus Konservenblech geschnittener Adler.

»Deine Leute«, sagte der Sergeant. »Sie fahren auch zur polnischen Armee. Gute Reise, Junge.« Er stieß ihn sanft auf den Waggon zu. »Und wenn du an der Front bist, halt die Augen offen. Vielleicht treffen wir uns noch mal.«

Der mit dem Adler lachte breit und streckte ihm die Hände hin.

»Ich heiße Jeleń. Gustav Jeleń.«

»Jan Kos«, stellte der Junge sich vor.

»Und der Hund?«

»Scharik.«

»Scharik? Was heißt das auf Polnisch?«

»Kügelchen.«

»Macht Platz, Jungs, hier kommt ein Neuer.«

Ehe Janek noch etwas sagen konnte, war er schon in der Luft. Jeleń hob ihn mühelos hoch und stellte ihn in den Waggon. Er wollte sich nach dem Hund bücken. Doch Scharik schnellte wie eine Feder hoch und sprang seinem Herrn nach. Janek wandte sich um, wollte rufen, sich von dem Sergeanten verabschieden, aber der war schon weit weg.

Janek schaute sich um. Erstaunt bemerkte er, daß auf der ersten mittleren Pritsche ein Mädchen saß. Sic trug Gummistiefel, Wattehosen und eine Jacke. Unter der Mütze aus grünem Tuch lugten lange, blonde Haare hervor. Ihre Hände waren klein und schmal.

Lächelnd fragte sie Janek: »Woher kommst du?«

»Von der Pazifikküste.«

»Ich meine in Polen.«

»Aus Gdańsk.«

»Ich aus Warszawa. Ich heiße Lidka.«

Janek kam es vor, als sei das von ungeheurer Wichtigkeit. Das Mädchen wies auf den Platz neben sich und sang:

»Kränze wand sie, warf sie in die Wogen des Flusses ...«

Verlegen trat er näher, blieb neben ihr stehen, hatte aber nicht den Mut, sich zu setzen. Er schaute auf das Nebengleis. Die Waggons dort waren voller Soldaten mit roten Sternen an den Pelzmützen. Langsam setzten sie sich in Bewegung, und zuerst ließ sich nicht feststellen, fahren sie oder die anderen. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, um die Erde und die Räder zu sehen.

Da erkannte er seinen Waggon – in der weit geöffneten Tür standen der pausbackige Fjodor und der Sergeant mit dem Schnurrbart. Wie soll ich den an der Front wiederfinden, überlegte er. Ich weiß nicht mal seinen Namen. Dann sah er noch die Vierlingsflak auf dem Dach und die Puffer des letzten Wagens.

Jeleń stieg ein und setzte sich zu ihm.

»Na, laß uns Freunde sein. Sie nennen mich Gustlik. Was guckst du so, tut’s dir leid? Wir fahren doch auch dorthin. Alle Züge fahren jetzt nach Westen.«

1 Borstsch und Grütze, das ist unser Essen. (russisches Sprichwort

Eine Kriegslist

Sie saßen auf den Brettern an den Seitenwänden des Lastwagens und hüpften in den Schlaglöchern hoch. Durch die offene Rückseite sahen sie die breite, von hundert Rädern zerfahrene Straße nach hinten gleiten.

Der Novembertag war kühl und klar. Die reifbedeckte Erde schien in den wolkenlosen verblichenen Himmel überzugehen. Sie fuhren durch ein Dorf. Dahinter bog der Wagen ab und fuhr einen steilen Hang hinab, mit den Reifen den feuchten Lehmboden knetend. Wie hoch das Ufer war, sahen sie erst, als der Belag der Pontonbrücke unter ihnen schwankte und knarrte.

Der Wind trug feinen Wasserstaub in ihre Gesichter. Schauten sie auf die Brücke, kam es ihnen vor, als glitten sie über die Wasserfläche und mit ihnen die durchfrorenen Pioniere in den grünen Mänteln mit hochgeschlagenen Kragen. Kleine Fähnchen flatterten an den Geländerstangen, lang vermißte weiß-rote Flaggen.

Janek entsann sich dunkel: Zum letztenmal hatte er sie gesehen, als Zivilisten in Schaftstiefeln und Tirolerhüten sie von den Masten rissen und auf die Straße schleuderten. Das war ein paar Tage vor Kriegsausbruch gewesen.

Janek strich sich über die nasse Wange und trocknete die Hand an der Wattejacke.

Er blickte auf Lidka, die neben ihm saß, konnte jedoch ihr Gesicht nicht sehen. Sie schaute nach hinten aus dem Wagen und richtete ihr Haar. Jeleń saß auf der anderen Seite und rieb seine breiten Pranken, daß man die Knorpel krachen hörte.

»Jetzt sind wir am richtigen Ort. Hier gehören wir hin.«

Sie waren aber noch nicht da, fuhren vielmehr durch ein zweites Dorf, dann in einen Wald, und hier erst hielten sie zwischen Zelten.

»Aussteigen, Endstation«, rief der Kommandeur aus dem Fahrerhaus.

Sie sprangen auf die Erde und entzifferten das Transparent, das am Eingang zum Lager zwischen zwei Föhren hing. Da sie es von hinten sahen, buchstabierten sie von rechts nach links: »Willkommen, Landstreicher von gestern – Soldat von heute.«

Bei den zwei Föhren stand ein Posten mit umgehängtem Karabiner. Sie umringten ihn und musterten ihn aufmerksam von den Stiefeln bis zu der viereckigen Feldmütze mit gestopptem Oberteil und dem dunkeloxidierten Adler. Er war anders als früher, nicht so elegant, breiter, doch man sah, daß es ein polnischer war.

»Leute, was schaut ihr so?« wehrte der Posten ab. »Habt ihr noch keinen Soldaten gesehen? Geht essen, sonst kommen die Einkäufer euch holen, und ihr schiebt Kohldampf.«

Sie gehorchten, gingen zur Küche und überzeugten sich bald, daß er recht gehabt hatte – kaum hatten sie ihre Suppe im Leib (natürlich Hirsegrütze, aber diesmal mit Fleisch), kam ein Lastwagen mit einem streng dreinblickenden Bürschchen. Wären nicht die Sterne auf den Schulterstücken gewesen, man hätte ihm den Offizier nie geglaubt.

»Bürger Soldaten, wer will zu den Panzern?«

Dann setzte er sich ins Zelt an einen Tisch, die Neuen wanderten einzeln hinein und zogen Jacken und Hemden aus, damit der Arzt sie untersuchen konnte.

Janek hatte sich etwas länger beim Essen aufgehalten, denn der Koch wollte sich nicht gleich überzeugen lassen, daß Scharik auch zur Truppe gehörte. Als er zum Zelt kam, trat Jeleń schon wieder heraus mit wirrem Haar, strahlendem Gesicht, aufgeknöpfter Wattejacke.

»Janek, komm schnell. Du willst doch auch zu den Panzern.«

»Ich würde gern mit dir zusammen bleiben, aber ich weiß nicht. Ich gehe, wohin sie mich schicken.«

»Grundfalsch. Du mußt dich selbst entscheiden. Ich bin schon eingetragen. Sie haben mich gefragt, weshalb, da habe ich gesagt, ich war schon bei den Panzern. Sie fragen, wo, ich sage, bei den Deutschen. Wurde mit Gewalt eingezogen. Sie fragen: Und was weiter? Ich sage: Ich hab die Brüder gefesselt und bin hinüber zum Russen gefahren. Sie sagen: Du gegen vier? Wie ging das zu? Da hab ich den, der schrieb, den der fragte, den Doktor und noch zwei Schwestern in weißen Schürzen an den Armen gepackt und zu einem Haufen zusammengedrückt, bis sie bettelten, ich soll sie freilassen. Es heißt, die Panzerbrigade bekommt den Namen ›Helden der Westerplatte‹.«

»Was sagst du da?«

»Du hörst ja, Westerplatte. Das waren die, die sich in Gdańsk zuerst verteidigt haben, weißt du das nicht? Janek ... wohin willst du?«

Doch Janek war schon zum Zelt gestürzt. Der Posten hielt ihn fest.

»Warte, da ist grad ein Mädchen drin.«

Lidka strahlte beim Herauskommen und sagte im Vorübergehen: »Angenommen. Sie brauchen ein Mädchen für den Funkdienst.«

Janek trat ein. Der Arzt nickte ihm zu und schimpfte auch gleich: »Zieh dich schneller aus, Junge. Wir haben nicht viel Zeit.« Er untersuchte ihn, hörte ihn ab und fragte, ob er gesund sei.

»Jawohl.«

»Kommen Sie hierher«, sagte der Fähnrich mit müder Stimme, »Name?«

»Jan.«

»Familienname?«

»Kos.«

»Wo geboren?«

»In Gdańsk.«

»Jetzt wohnhaft?«

»Im Pazifik-Küstenbezirk.«

»Kommst von weither. Geburtsjahr?«

»Neunzehnhundertsechsunddreißig.«

»Papiere?«

Janek reichte ihm die Bescheinigung, die besagte, der und der haben an den Hängen des Zedernberges gejagt und in drei Jahren soundso viele Pelze geliefert, die Norm also zu soundso viel Prozent erfüllt.

»Hier steht nicht, wann du geboren bist. Also in welchem Jahr?«

»Hab ich doch gesagt.«

»Du lügst. Ich hab doch Augen im Kopf. Der Dienst bei mir ist schwer, du gehst woandershin.«

In diesem Augenblick wurde der untere Zeltsaum von einer zottigen Schnauze hochgeschoben, Scharik kroch herein und setzte sich zu Füßen seines Herrn.

»Was ist denn das nun wieder? Wem gehört der Hund? Dir?«

»Ja.«

»Natürlich! Eine Panzerbrigade ist kein Tierpark. Kannst gehen.«

Janek bog gleich ums Zelt, um den Fragen der Freunde zu entgehen; mit gesenktem Kopf wanderte er auf und ab. Scharik verstand, daß etwas nicht so war, wie es sein sollte, lief voraus, kehrte um, sprang hoch und forderte Janek zum Spielen auf. Als dieser keine Anstalten machte, leckte er ihm die Hand und trottete still hinterdrein.

Schließlich steuerte Janek auf den kleinen, untersetzten Fahrer zu, der auf dem Trittbrett seines Lastwagens saß.

»Guten Tag.«

»Sei gegrüßt.« Der Fahrer salutierte, ohne aufzustehen, um zu zeigen, daß er schon ein alter Soldat war. »Wichura.«2

»Woher denn? Kein Lüftchen regt sich«, sagte der Junge erstaunt.

»Ich heiße so. Und du?«

»Kos.«3

»Wo?« revanchierte sich der Fahrer und schaute in die Bäume.

»Ich heiße so. Und wie heißt der Fähnrich, der aufnimmt?«

»Weiß nicht. Sein Vorname ist Zenek«, bemerkte er flüchtig, um nicht einzugestehen, daß er erst vorgestern zur Brigade gekommen war und noch nicht Bescheid wußte.

»Hast einen schönen Wagen.«

»Hm. Ist das dein Hund?«

»Ja. Wenn du Hunde gern hast, kannst du ihn streicheln, der beißt nicht. Platz, Scharik!«

Der Hund gehorchte und ließ sich, wenngleich unwillig, an den Ohren zausen.

Janek klopfte auf die Kotflügel, schaute unter die Haube, strich über das gewölbte Glas der Scheinwerfer. Er blieb eine Weile auf der anderen Seite an den Hinterrädern und kehrte dann zum Fahrer zurück.

»Gut gepflegt. Wo hast du fahren gelernt?«

»Mein Onkel fuhr ein Taxi in Warszawa, manchmal durfte ich im Hof üben. In Kasachstan nannte man mich den ›König der Landstraße‹.«

»In Kasachstan?«

»Ja. Hast einen guten Hund. Fährst du mit uns?«

»Ja, aber etwas später.«

Fähnrich Zenek trat aus dem Zelt, verlas die Namen und ließ antreten. Beim erstenmal klappte es nicht so recht, also ließ er wieder wegtreten, rief nochmals: »Achtung! In Doppelreihen angetreten!« Dann gab er Befehl, auf den Wagen zu steigen.

Janek sah, hinter einem Baum stehend, wie Jeleń und Lidka nach ihm Ausschau hielten, ließ sich jedoch nicht sehen. Wie sollte er erklären, daß der Fähnrich ihm sein Geburtsjahr nicht abgenommen hatte. Er konnte ihm das auch gar nicht verübeln, wußte er doch am besten, daß es zwei Jahre weniger waren.

Der Fähnrich und Wichura kletterten ins Fahrerhaus, der Starter surrte, doch der Motor sprang nicht an. Janek setzte sich hinter den Baum und spielte mit Scharik. Der Starter surrte ein zweites, ein drittes Mal, der Fähnrich sagte etwas zu dem Fahrer, der kletterte aus dem Wagen, wirtschaftete unter der Haube, klopfte mit dem Schlüssel.

»Ein neuer Wagen, was kann das sein?« fragte der Offizier.

»Weiß nicht. Alles in Ordnung, gleich geht’s los.«

»Das wollen wir erst mal sehen«, sagte Janek zu sich und gab dem Hund einen Klaps.

Der Fähnrich stieg aus dem Fahrerhaus, und die neuen Rekruten der Panzerbrigade kletterten vom Wagen.

»Vielleicht kann jemand mal mit der Kurbel anwerfen.«

»Gib sie her«, sagte Jeleń.

Janek sah, wie sein neuer Freund vor der Haube in die Knie ging, kräftig ruckte und dann lange drehte wie bei einem Leierkasten, so daß der ganze Wagen bebte.

»Genug«, sagte der Fahrer. »Verfluchter Mist, ein elender Kasten!«

Janek schlenderte näher und sagte zu Wichura: »Der Wagen ist in Ordnung, man muß nur wissen, wie er in Gang kommt.«

»Hau ab«, knurrte der König der kasachischen Landstraßen.

»Ich könnte das hinkriegen«, sagte Kos zu dem Offizier, trat aber sogleich wieder unter die Bäume, ohne eine Antwort abzuwarten.

Noch zehn Minuten vergingen, der Wagen rührte sich nicht.

Der Arzt trat aus dem Zelt: »Wenn es ein Mensch wäre, würde ich sagen: Aspirin oder Rizinusöl.«

Der Fahrer stapfte nervös auf und ab, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Er schaute auf die Uhr.

»Eine halbe Stunde stehen wir schon hier, zu Fuß wären wir längst da.«

Wichura setzte sich ins Gras, stemmte verzweifelt die Ellenbogen auf die Knie und packte seinen Kopf mit öligen Händen.

»Unbegreiflich. Alles ist intakt, und er will nicht anspringen.«

Janek trat wieder zu dem Offizier.

»Herr Leutnant, ich könnte das in Ordnung bringen.«

»Versuch’s.«

»Aber wenn ich es schaffe, nehmen Sie mich mit, ja?«

»Keinesfalls ... Na ja ..., meinetwegen, verdammt noch mal!«

»Wir sind aber zwei.«

»Wer denn noch?«

»Der Hund.«

»Hol euch alle der Teufel! Einverstanden.«

Janek trat an den Wagen, mit ihm der Fähnrich, der Fahrer und alle, die entgegen dem Befehl vom Wagen geklettert waren.

»Also, sobald der Wagen fährt, nehmen Sie uns beide mit?« fragte er nochmals, sich vergewissernd.

»Wir werden sehen«, brummte der Offizier, aber Jeleń, der danebenstand, sagte mit Baßstimme: »Sie haben es versprochen, alle haben es gehört.«

»Dann steigen Sie auf. Bürger Fähnrich, ins Fahrerhaus.«

Sie gehorchten. Als alle auf dem Wagen waren und der Offizier um den Kühler herumging, beugte sich Janek zu Scharik und sagte: »Such, Scharik, such. Herrchen hat was verloren.«

Der Hund kroch unter den Wagen, einem sanften Schubs folgend.

Janek stieg ein, drehte den Schlüssel und drückte auf den Starter. Der Motor knallte und verstummte. Er drückte nochmals. Der Motor surrte auf und brummte dann gleichmäßig bei kleiner Tourenzahl.

Wichura zupfte ihn am Ärmel. »Wie hast du das gemacht, Kos? Na, sag schon!«

Der Junge antwortete nicht. Er lief nach hinten, Scharik sprang zwischen den Rädern hervor, wedelte freudig mit dem Schwanz und apportierte einen dicken Wollschal.

Janek packte den Hund, reichte ihn in den Wagen, Jeleń faßte Janek unter und zog ihn hoch.

Die vorn Sitzenden hämmerten gegen das Fahrerhaus: »Fertig! Abfahren!«

Der Lastwagen ruckte an, fuhr schneller, man hörte, wie der Fahrer die Gänge einlegte und Gas gab, um die verlorene Stunde einzuholen. Jeleń hielt Janek umfaßt, daß dieser sich nicht rühren konnte, und schrie ihm ins Ohr: »Wie hast du das gemacht?«

»Eine Kriegslist. Man muß es eben auch hier haben.« Er klopfte sich mit dem Finger an die Stirn.

»Sag mir’s, oder ich erwürge dich.«

»Laß mich los, ich zeig es dir, du Bär.«

Als Gustlik seinen Griff gelöst hatte, holte Janek den rußigen Schal unter der Jacke hervor.

»Kapiert?«

»Hast den Auspuff verstopft? Und wer hat ihn herausgezogen?«

Kos antwortete nicht, wies nur unter die Bank, wo eine muntere Hundeschnauze hervorlugte.

Sie fuhren nicht lange. Nach einer halben Stunde bremste der Wagen, fuhr ein paar Kurven und hielt. Als sie heruntergesprungen waren, erblickten sie unter den Bäumen niedrige, moosbedeckte Dächer von Erdhütten. Leichter Rauch stieg aus den eisernen Schornsteinen.

»Wo sind unsere Panzer?« fragte Jeleń.

»Keine Angst, die kommen noch«, antwortete Wichura.

Der Fähnrich ließ antreten und befahl den beiden letzten im Glied, nämlich Janek und Gustlik: »Ihr geht zur Küche, Wasser holen und Kartoffeln schälen!«

2 Amsel (polnisch)

3 Hirsch

Gulasch

Ehe sie den Befehl ausführten, gingen sie noch mit den anderen zu der Erdhütte, in der sie von jetzt an wohnen sollten. Drinnen stand gegenüber der Tür ein großer eiserner Ofen.

Schnell belegten sie zwei Betten in seiner Nähe.

»Hier ist es am wärmsten. Und natürlich oben, die unten müssen dauernd aufstehen und Holz nachlegen«, erklärte Jeleń wie ein erfahrener Soldat. »Für Scharik richten wir ein Lager in der Ecke, den stört dann niemand.«

Sie ließen da, was sie nicht brauchten, und gingen gleich wieder hinaus, damit der Leutnant den Befehl nicht wiederholen müßte.

Die Küche war leicht zu finden. Schon von weitem sahen sie das auf Pfosten gespannte Zeltdach und den großen Kessel. Daneben lag gestapeltes Feuerholz, hinter einem Vorhang war ein Tisch in die Erde gegraben, stand ein aus rohen Brettern gezimmerter Schrank.

Ein dicker, kahlköpfiger Mann im mittleren Alter mit zwei Litzen auf den Schulterklappen kam ihnen entgegen. Janek schien es, als habe der Koch eine fremde Haut, viel zu weit für seinen Wuchs und seine Beleibtheit. Gustlik stieß seinen Kameraden in die Seite, nahm Haltung an und meldete: »Herr Korporal, Soldat Jeleń4 und Soldat Kos melden sich zum Dienst.«

»Gut, gut, wozu das Gebrüll. Der eine ein Vogel, der andere Rotwild, ein richtiger Zoo ist das«, witzelte er lahm.

»Du holst Wasser, und du setzt dich und schälst Kartoffeln.«