Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Hammerhai Professor Doktor Haiko Hammer hat das Waterworld-Wide-Web erfunden und lebt als Einsiedler in einer Unterwasserhöhle der Kanareninsel La Palma. Aber das soll sich ändern. Die äußerst attraktive Meeresschildkröte Torti Boba paddelt aus der Karibik daher. Der junge Delfin Yo Iruka entkommt dem Massaker von Taiji und landet ebenfalls bei Haiko. Ebenso wie Killerwal Men Orca, der eigentlich nur auf der Suche nach dem nächsten Submarin-Festival ist. Zu ihnen stößt Ping, ein Kaiserpinguin-Kind vom Südpol mit Talent zum Pop-Star. Unterwegs haben zwei der Meerestiere böse Erfahrungen mit dem Plastikmüll in den Ozeanen gemacht. Deshalb schmieden sie zusammen mit ihren menschlichen Freunden einen Plan, um die Kunststoff-Pest zu beseitigen. Aber sie haben mit dem Erdöl-Milliardär Frank Ruthless einen mächtigen Gegner. Wer wird dieses so wichtige Spiel gewinnen? Dieser tierische Science-Fiction-Roman für Kinder ab zehn Jahren und Junggebliebene enthält mehr als Visionen zur Rettung der Meere. Die Autorin streut wie nebenbei viele Informationen über die Ozeane und ihre Bewohner sowie über die Kanareninsel La Palma in den Text. Mal ernst und mal humorvoll verpackt. Die Botschaft ist, in unserer chaotischen Welt mit Kreativität und Zusammenhalt neue Wege zu gehen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 356
Veröffentlichungsjahr: 2023
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
In dieser fantastischen Science-Fiction-Geschichte spielen weit mehr als viere Meerestiere und ein Ping eine Rolle. Schaut mal, wer bei diesem Abenteuer alles dabei ist!
Zuerst die Tiere
Ping. Ein kleiner Kaiserpinguin mit großer Stimme auf der Suche nach sich selbst und seinen Eltern.
Pen Gewyn. Die Mutter von Ping. Eine Opernsängerin, deren Stimme sogar magische Inseln versenkt.
Smo King. Der Vater von Ping, der ebenfalls sehr gerne singt.
Professor Doktor Haiko Hammer. Ein hammermäßig intelligenter Haifisch, der alles erfindet, was gerade nötig ist.
Torti Boba. Eine Meeresschildkröte, die weiß, was sie will, sagt, was sie denkt und super aussieht.
Yo Iruka. Ein Großer Tümmler, der dem Delfin-Massaker im japanischen Taiji entkommt, sagenhaft Gitarre spielt und tolle Songtexte komponiert.
Chiko. Ein Freund von Yo in Taiji.
Men Orca. Ein charmanter Killerwal, der die Damenwelt liebt, aber sich nicht an die Leine legen lässt.
Mall Orca. Eine emanzipierte, alleinerziehende Killerwal-Lady mit harter Schale und weichem Kern.
Ibi Orca. Ein kleiner Killerwal, der seinem Namen keine Ehre macht, denn er will Vegetarier werden.
Euphausia Superba Dana Krilllógico. Eine Krill-Gene-ralin, die ein Heer von Stricklieseln befehligt und größten Wert auf korrekte Rechtschreibung legt.
Physalia von Polypen. Eine Portugiesische Galeere mit weltumspannendem Wissen, die von ihren Polypen total genervt ist.
Papageifische. Ein Schwarm von mutigen Fischen, die gefährliche Seeigel killen und gerne im Chor singen.
Wal Ter. Der Chef eines Pottwal-Clans, der zwischen Gran Canaria und Teneriffa lebt. Er, seine Frau Wal Damaise, seine Tochter Wal Ly, sein Bruder Wal Lenstein und seine Schwägerin Wal Purga erzählen sich gerne Witze und lachen, bis die Erdbebenmessgeräte ausschlagen.
Rudi. Ein Drückerfisch, der im Atlantik vor Puerto Naos Wache schiebt.
Melli. Eine junge Monarchfalterin, die ohne Punkt und Komma redet und sich gern mal verfliegt.
Leo Seal. Ein Seeleopard, der ganz fies in Menschenbeine und Pinguin-Flügel beißt.
Mr. Turtle. Ein Meeresschildkröter, der sich ins Zeug legt, um Vater der Kinder von Torti Boba zu werden.
Nose Bike. Ein Brillenpinguin am Strand von Simons Town in Südafrika, der wertvolle Informationen hat.
Joro Barta. Ein Buckelwal vom Nordpol, der vor La Palma singend eine Frau sucht.
Wolfsbarsche. Eine Horde von wilden Kerlen, die nichts anderes wollen, als aus der Fischzucht ausbrechen.
Christine Knapp. Eine Meereisphysikerin aus Holland, die den besten Kirschenkuchen zwischen Nord- und Südpol backt.
Alejandro Socarrón. Ein Meeresbiologe aus La Palma, der sich am liebsten mit den Lebewesen der Ozeane unterhält.
Rafael Socarrón. Der Vater von Alejandro, ein pensionierter Fischer aus La Palma, der immer noch gerne auf den Atlantik hinausfährt.
Harry Smart. Ein Astrophysiker und Astronom, der in den Observatorien von La Palma in die Sterne schaut und das Universum erforscht.
Frank Ruthless. Ein Erdölmilliardär aus Houston, Texas, der am liebsten der König der Welt wäre und keine Gnade kennt.
Noah Ruthless. Der Sohn von Frank, der sich für die Rettung der Meere einsetzt.
Aiden Upright. Ein Informatiker, der in Franks Unternehmen arbeitet und ein anständiger Mensch sein will.
Henry Slime. Ein Politiker, der rumschleimt und Franks Geld nimmt.
Walter Perfidy. Ein Mann, der versucht, Franks Erdölfirma grün zu waschen.
Venla Vakooja. Eine Biochemikerin aus Finnland mit hellroten Haaren und dunklen Absichten.
Jaka Vohun. Ein Gletscherforscher aus Serbien, der Frauen nachschielt und ganz schön schräg drauf ist.
Resi. Eine tierliebe Dame aus Bayern, die in Puerto Rico lebt.
José-Luis. Ein tierlieber Puerto Ricaner, der mit Resi verheiratet ist.
Nieves. Ein Mädchen aus La Palma mit einer tollen Stimme, das seiner Mutter María manchmal beim Putzen im Hotel hilft.
Sandra, Aida und Javier. Drei Jugendliche aus La Palma, die nicht besonders gut singen und nichts Gutes im Sinn haben.
Klaus, Federico und Facundo. Die Väter von Sandra, Aida und Javier, die ihrem eingebildeten Nachwuchs nicht alles durchgehen lassen.
Ana. Die palmerische Mutter von Sandra.
Lorena. Rezeptionistin im Hotel von Klaus.
Iosune, Pedro und Isa. Die Jury-Mitglieder eines Gesangstalent-Wettbewerbs auf La Palma mit einem Herz für Pinguine.
Charles. Ein Tierarzt aus England auf dem Forschungsschiff der Organisation zur Rettung der Ozeane (ORO) mit Namen Save the Seas.
Caterina Amato. Eine Astronautin auf der Raumstation International Universe Explorer (IUE).
Manolo und Juan: Hubschrauber-Piloten, die auf La Palma Waldbrände bekämpfen.
Estefanía García-Rodríguez. Eine Tiermedizin-Studentin von der Universität La Laguna auf Teneriffa (ULL), die beim Whale-Watching-Projekt des Vereins MEER auf La Gomera mitarbeitet.
Michael. Ein attraktiver Schiffssteward, der keinen blassen Schimmer von Datenschutz hat.
Besatzung der Oil-Drop. Ein Kapitän, Offiziere, Matrosen, Reinigungskräfte und drei finstere Leibwächter.
Für Nick
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
willkomen auf unsrer Reise durch die Waserwelten! Sie fürt zwar nicht durch alle siben Mere, aber wir komen gans schön rum. Das kan ich euch fersprechn!
Deshalb meind Gudrun, die die Geschichte fon mir und meinen Fröunden aufgeschriben hat, dass ihr am besten einen Globus nebens Bed stelen solt – oder wo auch imer ir am libstn schmökert. Das sind diese Kugeln mit den Kontinenten und Ozeanen unserer Erde. Vileichd haben ja Eure Eltern oder Großeltern so ein Drehding, früher warn di mal zimlich angesagt. Wenn ihr keinen Globus auftreibn könd, machd nix. Auf eurem Handy finded ihr ja ebenfalz Karten von unserem Blaneten.
Habt ihr´s? Dan schaut mal ganz nach unten auf der Weltkugel! Zum Südpol. Hier begint die Geschichte, als ich noch ein Bäbi war. Obwohl mir das inzwischen ab-so-lud peinlich ist. Doch Gudrun meind, das gehörd unbedingt dazu.
Aber sory, ich hab jetzt keine Zeid mehr zum Schreiben. Neben mir steht Yo und nerft.
Und jetzt sagt er auch noch, dass man nerft nicht mit f schreibt. Und dass ein Haufen Feler in meinem Texd sind. Der nerft wirglich. Deshalb gehen wir ja jezd zur Schule. Egal, wir müsen los: Hausaufgaben machen, Mere reten …
Also, Leute, sezd die Segl und stechd mit mir in Se!
Libe Grüse Ping
Kapitel 1
Die Kaiserpinguine in der Antarktis
Ping sprang.
Mit laut klopfendem Herzen, aber entschlossen zusammengebissenem Schnabel stieß sich das Kaiserpinguin-Kind an der Eiskante ab. Einige Meter weiter unten funkelte das Wasser des Rossmeers in einem satten Blau, das in den Wellentälern geheimnisvoll vor sich hin dunkelte. An diesem Spätnachmittag Ende Januar im Jahr 2023 verließ Ping zum ersten Mal das sichere Schelfeis. Diese gigantische weiße Fläche war seine Heimat. Hier war es im Juli vergangenen Jahres aus dem Ei geschlüpft.
»Wetten, dass das schief geht«, grölte Koks weiter oben in sicherer Entfernung zum Startplatz an der Klippe.
»Haaaar, haaaar.«
Hinter ihm und den anderen jungen Pinguinen, die dem Großschnabel wie immer ergeben lauschten, lag die Kolonie der Kaiserpinguine. Tausende von ihnen bewegten sich wie schwarze Tupfen über das schier unendliche Weiß. Nur ganz hinten am Horizont fand das Auge Halt, denn dort ragten die felsigen Gipfel des Transantarktischen Gebirges aus dem ewigen Eis.
Die Lache von Koks war tierisch laut, tief und krächzend. Sie klang grässlich hässlich, und sein fetter Schädel verbreiterte sich bei seiner schadenfrohen Grinserei bis zu den Kopf-federn, unter denen sich seine Ohren verbargen.
Ping hatte auf das fiese Gegröle von Koks noch nie eine passende Antwort gefunden. Was konnte man gegen diese Art einen niederzulachen, schon machen? Und jetzt hatte Ping sowieso andere Sorgen, denn es hatte abgehoben.
Koks Graf war der Macher im Kindergarten. Selbst ernannt. Wozu auch warten, bis ein anderer auf die Chef-Idee kam? Schließlich hatte er den größten Schnabel von allen und wusste, wie man die anderen an die Wand redete. Und wenn ihm jemand widersprach – was nicht oft geschah –, oder wenn es ihm zu blöd wurde – was oft und schnell geschah –, dann hackte er zu. Er war nämlich auch der Stärkste. Und der Schönste. Und der Klügste sowieso. Fand Koks zumindest. Deshalb drängelte er sich selbstverständlich – fast – immer nach vorn.
Vorn war das warme Innere des Kindergarten-Kringels in der Kolonie. Denn die Temperatur fiel im Winter, der in der Antarktis von April bis Oktober dauerte, an manchen Tagen auf um die minus 40 Grad Celsius und weniger. Obendrein tobten manchmal Stürme mit bis zu 200 Sachen über den Kontinent, der eigentlich eine riesengroße Eiswüste war. Dann konnten sich die Küken in ihrem flaumig-leichten Daunenkostüm nur warmhalten, indem sie einen Kreis bildeten und in einer Spirale ständig von außen nach innen trippelten.
Außen war die saukalte Todeszone. Innen war es schön kuschlig. Deshalb musste man ständig wechseln und in Bewegung bleiben.
Die Alten machten das auch so. Eigentlich machten das alle so. Bis auf Koks.
»Ich kann das ganze Gedrängel nur vom Zentrum aus checken«, behauptete er und blieb in der Mitte stehen wie ein Ofen in der guten Stube.
Nur wenn´s brenzlig wurde, überließ der listige Bestimmer gern mal den anderen den Vortritt. So wie jetzt beim ersten Sprung von der Klippe, den alle Jungschnäbel Ende Januar meistern mussten. Denn jetzt waren sie ein halbes Jahr alt.
Das Schelfeis im Rossmeer war seit Jahrtausenden nicht geschmolzen, deshalb hatten sich die Kaiserpinguine hier angesiedelt. Die feste, dicke Eisschicht war eine halbe Million Quadratkilometer groß und schwamm vor dem antarktischen Kontinent auf dem Wasser. Im Winter bildete sich auf dem davor gelegenen Meer eine zusätzliche geschlossene Eisdecke bis zum Horizont, die im Sommer wieder wegschmolz: das sogenannte Meereis.
Jetzt, Ende Januar, trieben nur noch ein paar Schollen vom Meereis im Wasser, denn es war Hochsommer in der Antarktis. Dazwischen schwammen Eisberge. Wenn die Temperaturen im Sommer auf über null Grad Celsius stiegen, brachen sie von der Schelfeisfläche ab. Deshalb waren die großen Eisberge im Rossmeer oben ziemlich flach.
In diese unheimliche Suppe aus dunklem Wasser und Eisklumpen aller Art mussten die jungen Pinguine jetzt eintauchen. Ausreden ließen die Alten nicht gelten, denn im Oktober hatten die Küken damit begonnen, ihre hellgrauen, fluffigen Baby-Overalls abzulegen. Das nannte sich Mauser. Und jetzt trugen alle einen todschicken, schwarz-weißen Frack. Das waren sozusagen Neopren-Anzüge, die Pinguine schwimm- und tauchfähig machten. Denn die neuen Federn waren wasserdicht, und die dicke Speckschicht, die sich die Jungen im Lauf der Zeit angefressen hatten, wärmte obendrein.
Jedenfalls hatten die Mamas und Papas jetzt den Schnabel voll von den nimmersatten Küken, um die sie sich bisher so liebevoll gekümmert hatten. »Sucht Euch Euer Futter gefälligst selbst«, schnauz-schnatterten die zahnlosen Pinguin-Eltern. »Den lieben langen Tag rein ins Meer, Fische und Krill fangen, raus aus dem Meer, die Pampe runterwürgen, vorverdauen, wieder raufwürgen und Euch in den Hals stecken – jetzt haben wir die Faxen dicke!«
Die Alten kannten keine Gnade. Auch dass im Wasser Feinde lauerten, war ihnen piepegal. Gefahr drohte von den gefährlichsten Wesen der Weltmeere, schwarz-weißen Orcas, die man auch Killerwale nannte. Und außerdem wohnten da unten die spitzzahnigen Bestien der Antarktis: Seeleoparden, die kleine und große Pinguine zum Fressen gernhatten.
»Es gibt einen Trick«, machten die Alten den ängstlichen Jungen Mut. »Eine oder einer von Euch muss als Erstes springen und die Biester ablenken. Dann können die anderen fröhlich und unbesorgt ins Wasser hüpfen.«
Das klang nach einem guten Plan, und die Jungen hatten auch oft zugeschaut, wie die Alten diesen Trick angewendet hatten. Nur: Wer wollte freiwillig der oder die Erste sein?
»Ich mach´s«, hatte Ping am Tag des Klippensprungs mit seinem feinen Stimmchen zum Erstaunen aller gezwitschert. Die Kindergarten-Pinguine klipp-klapperten aufgeregt mit den Schnäbeln und wackelten mit den Flügeln. Ping drängelte sich doch sonst nie vor? In erster Linie versuchte es doch immer, den ständigen Ärger mit Koks zu vermeiden. Oder überhaupt Ärger mit irgendjemandem.
»Ja, wenn das so ist, dann mal los!«, meinte der Checker, der in diesem Fall natürlich keine Einwände hatte. Er flüsterte den anderen lediglich hinter vorgehaltenem Flügel zu, dass das Ping-Ding ganz schön doof sei. Ganz ohne Gemeinheiten ging es bei ihm halt nicht. Und dann hielt er listig und bauernschlau seinen großen Schnabel.
Koks hatte Ping von Anfang an auf dem Kieker gehabt. Also vom ersten Tag an, als das Pinguin-Baby von seinem Vater in den Kindergarten gebracht worden war.
Zwar hatte Smo King – wie es sich bei Kaiserpinguins gehörte – das Ei zwei Monate lang unter seiner Brutfalte gewärmt, bis Ping schlüpfte.
Aber dann lief alles anders als bei allen anderen: Pings Mama mit dem schönen Namen Pen Gewyn kam nicht wie geplant von ihrer Reise im Meer zurück, um Smo beim Babysitten abzulösen. Wie es sich bei Kaiserpinguins eigentlich gehörte. Und niemand wusste, warum.
Und so steckte Smo sein Kleines kurzerhand in den Kindergarten. »Ich muss es hierlassen«, erklärte er den Aufpasser-Mamas und den bereits versammelten Küken. »Pen ist nicht erschienen, und ich habe einen Riesenkohldampf.«
Smo musste unbedingt eine Weile hinaus ins Meer, um Futter zu finden. Schließlich hatte er sich beim Brüten zwei Monate lang nicht vom Fleck gerührt und nichts gefressen. Jetzt wog der eigentlich sehr stattliche Pinguin-Mann nur noch halb so viel wie zuvor. Vor lauter Hunger vergaß er sogar, seinem Kind einen Namen zu geben. Pen und er hatten ursprünglich geplant, zusammen einen Namen auszusuchen, und zuvor wollten sie noch heiraten. Aber jetzt waren die ganzen schönen Pläne futsch.
»Mir ist klar, dass Du jetzt sehr tapfer sein musst«, sagte Smo und streichelte Ping liebevoll übers Köpfchen. »Ich finde es furchtbar, Dich allein zu lassen und werde immer an Dich denken. Aber ich muss jetzt was fressen und Deine Mum suchen. Ich bin höchstwahrscheinlich im Flügelumdrehen wieder zurück.“
Dann spickte Smo ins Meer, tauchte noch ab und zu zwischen den Eisschollen auf, winkte und verschwand.
Ping stand da und fragte sich, was tapfer wohl war. Aber es konnte sich nichts darunter vorstellen. Und es fragte sich außerdem, warum Pen nicht zurückgekommen war und Smo einfach wegschwamm. Ob sie es gar nicht lieb hatten? War es vielleicht seine Schuld, dass Mum nicht zurückwollte? Ratlos schaute Ping die anderen an, die sich ringsum drängelten. Vorneweg Koks der Checker.
»Wie heißt Du eigentlich?«, fragte er und kickte etwas Schnee in die Richtung von Ping.
»Weiß nicht …« Das Kleine von Smo und Pen zitterte. Vor Kälte und vor Kummer, dass sein Vater es allein gelassen hatte. Und auch, weil die anderen so viele waren und nicht besonders freundlich schauten.
»Das gibt´s doch nicht«, krächzte Koks. »Kein Papa, keine Mama und kein Name. Dann bist Du ja gar kein richtiger Pinguin. Du bist ja höchstens ein Ping.«
Und so kam Ping zu seinem Namen. Es widersprach nicht. Ping war besser als nichts. Ping wollte nicht pingelig sein. Und irgendwie, dachte es, ist Ping doch gar nicht mal so schlecht. Klang doch lustig.
Trotzdem schlossen die anderen keine Freundschaft mit ihm. Denn weder Smo noch Pen kamen wie versprochen zurück. Und Ping war und blieb irgendwie anders. Schüchtern. Kleiner und dünner als die anderen. Und es bibberte ständig unter seinen seidenweichen Daunen.
»Ein Pinguin, der friert, ist wie ein Fisch ohne Gräten«, grölten die anderen, angeführt vom Schreihals Koks.
»Haaar, haaar.«
Die anderen dagegen entwickelten sich prächtig. Ihre Mütter und Väter fütterten sie seit ihrem Schlupf aus dem Ei nach Leibeskräften. Abwechselnd und von morgens bis abends. Das verwaiste Ping bekam jedoch nur ab und zu ein paar Reste ab. Meistens von der gutmütigen Mama von Koks.
Koks sah das natürlich gar nicht gern, denn er war geizig. Und eifersüchtig. Alles sollte sich bitteschön immer nur um ihn drehen. Und so umkreiste er Ping voller Neid und knatterte missgünstig mit seinem Angeber-Schnabel, wenn seine Mutter das Nachbarskind fütterte. Kaum sah seine Mama mal nicht hin, schnappte er Ping die Brocken wieder vor der Nase weg, obwohl er schon pappsatt war. Hinterher war dem Blödmann schlecht, und er konnte gar nicht mehr richtig watscheln und das Gleichgewicht halten. Oft kippte er dann auf seinen dicken Bauch und flutschte darauf solange übers Eis, bis er irgendwo gegen einen Buckel rummste und stoppte. Alle, die in seiner Rutschbahn standen, hüpften schnell zur Seite. Niemand hatte Lust, den schweren Brocken aufzufangen und womöglich plattgewalzt zu werden.
»Der macht mal Karriere«, sagten sie grinsend. »Den hält nichts auf.«
Sie behielten recht. Auf irgendeine Art und Weise hatte Koks immer den Schnabel vorn.
Ping war einfach noch viel zu klein, um sich gegen den Rüpel zu wehren. »Soll er doch die raufgewürgte Fischpampe fressen«, sagte es zu sich selbst, weil ja sowieso fast nie jemand mit ihm sprach. »Mir schmeckt das eklige Zeug eh nicht.«
Und so war Pings junges Leben alles andere als eine Fahrt auf dem Kinderkarussell. Oft wanderte es allein durchs Schneetreiben – nur weg von den anderen. Dabei stieß Ping eines Tages in einer Schneewehe am Rand der Pinguin-Stadt auf einen kleinen Spalt.
Neugierig steckte es sein Köpfchen hinein – und entdeckte einen magischen Ort! Eine kleine Höhle aus weichen, lockeren Schneeflocken, zwischen denen kleine Plättchen in allen möglichen Farben steckten.
Ping watschelte hinein und mummelte sich in den Schnee. Nach einer Weile wurde es ganz mollig warm, und es war so schön ruhig. Das endlose Geschnatter der anderen war in diesem Versteck nicht zu hören. Nur der Wind strich am Spalt vorbei, wehte aber nicht herein. Das klang wie ein Lied.
Jetzt fehlten nur noch Mum und Dad, und alles wäre so schön. Warum kamen sie nicht zurück? Wo waren die beiden nur abgeblieben? Irgendetwas musste passiert sein, da war sich Ping ganz sicher. Es überlegte, dass es vielleicht eine gute Idee wäre, Pen und Smo zu suchen, statt immer nur zu warten. Aber wie sollte es das anstellen? Es war ja noch ein Küken, mit seinen Babydaunen konnte es nicht schwimmen. Es würde absaufen wie ein Stein. Ping seufzte. Seine Pläne mussten warten.
Um sich von den traurigen Gedanken abzulenken, zog Ping die bunten Plättchen aus dem Schnee seiner Höhle und spielte damit. Sie waren mal glatt, mal rau: »So etwas habe ich noch nirgendwo gesehen«, rief es fröhlich aus und sortierte die bunten Teilchen nach Grün und Rot, nach Gelb und Blau, nach Lila, Orange, Schwarz und Braun und versuchte, daraus Türmchen zu bauen. »Jetzt habe ich etwas, was die anderen nicht haben.«
Und so erlebte Ping in seiner kleinen Höhle zum ersten Mal seit dem Abschied von Smo ein kleines Stück Glück und begann zufrieden vor sich hin zu trällern. Denn es hatte noch etwas, das die anderen nicht hatten, aber das war ihm gar nicht klar: eine wunderbare Stimme, die klang wie das Streichen über Gitarrensaiten aus Samt. Ping sang, die anderen krächzten und knatterten.
Die Lieder kannte Ping von Papa Smo, der beim Brüten ständig seine starke Stimme hatte erschallen lassen. Die Texte der Songs verstand Ping nicht, sie waren in einer fremden Sprache verfasst. Das kam daher, dass Smo zusammen mit Freunden in der amerikanischen Forschungsstation auf der nahegelegenen Ross-Insel eine Band gegründet und Lieder der Menschen gesungen hatte.
Ping wusste das nicht, aber es war auch egal. Es kannte alle Songs auswendig, denn sie hatten sich in sein Gedächtnis eingegraben, noch bevor es geschlüpft war. Schließlich war Smo zwei lange Monate auf dem Ei gehockt und hatte ein Lied nach dem anderen zum Besten gegeben, um sich die Zeit zu vertreiben.
Die Liebe zur Musik lag in der Familie – und Ping hatte sie wohl geerbt. Nicht nur Smo war hochmusikalisch. Mama Pen war als Opernsängerin umhergereist und sehr berühmt, nicht nur in Pinguinkreisen. Aber wie gesagt, all das wusste Ping natürlich noch nicht.
Mum und Dad hatten einfach viel zu früh die Flatter gemacht.
Überhaupt hatte Ping keine Ahnung vom Leben, und dass es außerhalb des Schelfeis-Plateaus eine große weite Welt gab. Einen Planeten, der zwar Erde hieß, aber zu 71 Prozent von Ozeanen und Meeren bedeckt war – hätte der Planet da nicht eigentlich Wasser heißen müssen?
Ping war freilich noch weit davon entfernt, solche Fragen zu stellen. Doch es lauschte bei jeder Gelegenheit, wenn sich die Alten unterhielten. Denn es lernte unheimlich gern was dazu.
Eines Tages hörte Ping, wie die Mutter von Koks mit einer Freundin tratschte.
Frau Graf erzählte von entfernten Verwandten in Südafrika. Die hießen Brillenpinguine und wurden auch Eulen des Meeres genannt. Ping musste kichern und hielt sich schnell das Flügelchen vor den Schnabel, damit es nicht bemerkt wurde. Dann berichtete die Freundin von Mama Graf von ihren Verwandten. Genauer gesagt von ihrem Cousin auf der Antarktischen Halbinsel, die beim Rossmeer gleich um die Ecke lag.
»Er macht sich Sorgen, weil es dort immer wärmer wird – sogar im Wasser. Die Familie überlegt deshalb, weiter nach Süden in unsere Richtung zu ziehen, wo es kälter ist.«
Ja, in der Antarktis ist alles genau verkehrt herum wie auf der nördlichen Halbkugel unseres Planeten. Im Winter ist Sommer, im Sommer Winter, im Süden ist es kälter und im Norden wärmer. Da muss man sich erst mal dran gewöhnen.
»Wenn Du mich fragst, bringt das Wandern in unsere Richtung Deinen Verwandten nicht viel«, meinte die Mama von Koks ratlos und runzelte ihre schwarzen Stirnfedern. »Mir kommt es vor, als ob das Meereis auch bei uns immer weniger wird …«
»Wenn ich darüber nachdenke, muss ich Dir recht geben. Ich habe außerdem das Gefühl, dass im Sommer mehr und mehr Stücke von unserem Eisschelf abbrechen«, antwortete ihre Freundin besorgt. »Meine Güte, wer weiß, wohin das noch führen soll?«
Das Meereis war für die Kaiserpinguine und auch für alle anderen Tiere an der Küste und im Wasser des Südpolarmeers lebenswichtig. Im langen antarktischen Winter bildete es sich, weil das Wasser kälter wurde, und dehnte sich aus, soweit man sehen konnte. Im kurzen Polarsommer zog sich das Meereis wieder zurück.
Das war seit Urzeiten so. Aber in den vergangenen Jahren schien im Sommer, wenn die Sonne in Antarktika niemals unterging, mehr Eis als früher zu schmelzen. Könnte es sein, dass die Stadt der Pinguine in Gefahr war?
Ping verstand die Sorgen der beiden Damen noch nicht. Es hörte nur das Wort warm. Das vergangene halbe Jahr als Pinguin-Kind lief vor ihm ab, gezeichnet von Kälte, Hunger und Spott.
»Wer bin ich eigentlich?«, fragte Ping sich traurig und schaute seine winzig kleinen Flügelchen und seine Schwimmflossenfüßchen an. »Bin ich ein Vogel? Bin ich ein Fisch? Oder vielleicht doch ein richtiger Pinguin?«
Ping spürte, wie sich in seinem Hals ein dicker Kloß bildete. Doch Ping weinte nie. So weit käme es noch, dass Koks sich darüber lustig machte. Ping schluckte die Tränen hinunter und vergrub sie in seinem Innern, wo sich manchmal etwas Schweres breit machte und mit feinen Fäden an seinem Herzen zog.
Aber Ping lächelte und sang. Und so bemerkte niemand, wie einsam sich das Pinguin-Kind fühlte.
Hie und da aß es einen von Mama Graf hochgewürgten Happen, besuchte den Kindergarten und verkroch sich dann gleich wieder in seiner Höhle.
So verging die Zeit, bis Ende Januar für alle kleinen Pinguine der große Tag X gekommen war, und Ping sich völlig überraschend freiwillig als Voran-Springerlein gemeldet hatte.
Und dann war Ping gesprungen. Warum auch nicht? Es hatte nichts zu verlieren. Es konnte doch nur besser werden. Und keiner in der Kolonie würde es vermissen.
Weil es niemand die Technik des Klippen-Jumpings gelehrt hatte, wusste Ping nicht, dass es einfach seine Flügelchen abspreizen musste, um elegant ins Wasser zu spicken.
Und so kugelte Ping in lustig anzusehenden Saltos auf das heute ausnahmsweise mal ruhige Meer zu. Kurz vorm Aufschlag holte es noch einmal tief Luft, die nach eisigem Nichts und einem Hauch von Fisch roch.
Das Letzte, was Ping hörte, war das heisere »Haaar, haaar« von Koks. Und ein lautes, überraschtes »Uuuuiiiii – Ping hat es getan!« von den anderen.
Ping dachte noch erstaunt, dass das fast respektvoll klang. Konnte das sein?
Dann machte es pflatsch.
Zum Glück konnte Ping nicht hören, wie die Orca-Mutti etwas weiter unter im Wasser rief: »Auf geht´s, Junge, es gibt bald Abendessen!«
Kapitel 2
Die Save the Seas bringt drei Freunde
Mit halber Kraft schob sich die Save the Seas durchs Rossmeer in Richtung des Eisschelfs, auf dem die Kaiserpinguine lebten. Dann nahm das Forschungsschiff der Organisation zur Rettung der Ozeane, die alle nur abgekürzt ORO nannten, mehr und mehr Fahrt weg. Langsam glitt es parallel zu den steil aus dem Wasser schießenden Klippen des Schelfeises dahin.
Die Aufbauten des Eisbrechers waren genauso weiß wie das Eis, und seine gelben Schornsteine und Kräne hoben sich an diesem Spätnachmittag scharf vom stahlblauen Himmel ab. Von außen nicht sichtbar versteckten sich Labore und Kabinen im Innern des grün angestrichenen Schiffbauchs. Dort würden rund 50 Forschende aus aller Welt in den nächsten Wochen an ihren Experimenten arbeiten und wohnen.
Jetzt drängelten sich die Doktorinnen und Doktoren, die allesamt schlaue Sachen studiert hatten, an Deck und bewunderten die wunderschöne Küstenlinie, deren Weiß die Augen blendete.
Drei von ihnen waren Freunde, die auf einer kleinen Insel namens La Palma lebten, wenn sie nicht in Sachen Wissenschaft über den Globus reisten: Die Niederländerin Christine Knap, der Palmero Alejandro Socarrón und der Deutsche Harald Smart. Christine nannten alle nur Chrissie, Alejandro wurde Alex gerufen, und Harald war einfach nur Harry.
Ein Windstoß peitschte übers Deck der Save the Seas, wo Harry und Alex von einem Fuß auf den anderen hüpften. Die beiden großen, starken Männer bibberten trotz ihrer dick-gepolsterten Polarforscherkleidung und jammerten.
»Alter, wenn ich gewusst hätte, wie kalt das ist, wäre ich auf La Palma geblieben«, ächzte Harry.
»Yo también!«, bestätigte der sonnenverwöhnte Alejandro.
Chrissie, die ihren zierlichen Körper nur mit einem leichten blauen Anorak schützte, lachte laut auf. Solche Weicheier! Dabei war doch gerade Sommer in der Antarktis. Die beiden sollten mal den Winter im ewigen Eis erleben!
Chrissie war Meereisphysikerin und an den Polen der Erde zuhause. In diesem Beruf hatten Frostbeulen nichts verloren. Chrissie hatte in ihren 37 Lebensjahren noch nie gefroren. Im Gegenteil. Sie besaß einen sechsten Sinn für Eis, bei dessen Anblick ihr stets warm wurde. Jetzt aber eher heiß. Denn der Rückgang des Meereises in der Antarktis machte ihr Sorgen. Sie war hier, um dem auf den Grund zu gehen.
Doch im Moment genoss Chrissie einfach die Ankunft im Rossmeer. Ihre kleinen, weißen Zähne blitzten mit ihren unternehmungslustigen blauen Augen um die Wette, während ihre platinblonden kurzen Haare lustig in der Brise wirbelten. Sie streckte ihre freche Nase in den Wind und atmete voller Behagen die kalte Luft ein. »Schaut nur, da drüben die Kolonie der Kaiserpinguine und die letzten Eisschollen dieses Sommers!«, rief sie mit ihrem lustigen holländischen Akzent und zeigte in Richtung Land, wobei sie nicht mal Handschuhe trug.
»¿Díos mío, has visto alguna vez algo así?«, schrie Alejandro plötzlich auf. Um die anderen darauf aufmerksam zu machen, dass er etwas Außergewöhnliches gesichtet hatte, zeigte er mit den Händen fuchtelnd aufs Schelfeis. »Da springt gerade ein kleiner Pinguin von der Klippe und schlägt dabei Saltos!« Verblüfft kratzte sich Alex am Kopf mit dem vollen dunklen Haar und vergaß vor lauter Lachen zu frieren. Dabei rutschte dem fast immer gutgelaunten Palmero beinahe seine eckige, randlose Brille von der Nase, durch die seine gutmütigen braunen Augen stets neugierig, aber freundlich in die Welt schauten.
»Tranquilo, Alter, Du bist ja richtig aufgeregt«, neckte ihn Harry. »Alles wegen eines kleinen Pinguins?«
»Donde hay pingüinos, hay orcas – wo Pinguine sind, gibt´s auch Orcas! Das ist mein schönstes Geschenk!«
Heute war der 30. Januar. Alejandro hatte Geburtstag und wurde 40 Jahre alt. Und er war jetzt ganz sicher, hier bald auf Orcas zu stoßen. Denn wegen ihnen fuhr er auf der Save the Seas in die Kälte. Der Meeresbiologe und leidenschaftliche Taucher hatte sein Leben und seine Forschung den Walen und Delfinen verschrieben. Auch zuhause auf La Palma trieb er sich ständig unter Wasser herum und lauschte ihren Stimmen. In den submarinen Welten der Kanarischen Inseln hatten manche Wale und Delfine einen festen Wohnsitz, während andere auf ihren Reisen durch die Ozeane nur hindurchzogen. Aber Orcas waren eine absolute Seltenheit.
Hier in der Antarktis lebten dagegen viele der schwarz-weißen Riesen. Und Alejandro wollte sich auf dieser Fahrt erstmals mit einem Orca unterhalten. Dafür hatte er zusammen mit Harald ein ganz spezielles, neuartiges Gerät entwickelt: Das Time-Kügelchen. Time stand für Tier-Mensch. Denn Harald und Alejandro waren auch Tüftler und Bastler.
»Freut mich für Dich«, sagte Harry zu seinem Freund. »Wenn´s hier nur nicht so lausig kalt wäre. Das einzig Gute daran ist, dass das Platada immer gut gekühlt ist. Cumpleaños feliz, Alex!« Um mit Alejandro auf dessen Geburtstag anzustoßen, nahm Harald eines der aus La Palma mitgebrachten Biere aus seinem Rucksack und öffnete es lässig mit einem Feuerzeug. Der Kronkorken floppte mit einem lauten Peng von der Flasche und flog aufs Deck.
Ein großer Fehler!
»Den hebst Du aber sofort wieder auf!«, zischte Chrissie.
Alejandro lachte, und Harald gehorchte sofort, obwohl er sonst eigentlich nur machte, was er wollte. Aber mit der Eisfrau war nicht gut Kirschen essen, wenn man die Umwelt verschmutzte. Deshalb nannten sie Chrissie heimlich den Kirschenkuchen. Und auch, weil sie süß und sauer zugleich sein konnte.
Harald war Astrophysiker und Astronom. Er reiste mit der Save the Seas nach Antarktika, um seine Forschungen in Sachen kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung fortzusetzen. Dabei geht es um die Frage, wie die ersten Elementarteilchen und das Universum überhaupt entstanden sind. Klingt kompliziert. Ist es auch. Und deshalb kann diese Geschichte in Lehrbüchern für Intelligenzbestien wie Harald Smart nachgelesen werden.
Dabei sah Harald im Gegensatz zu seinem schlaubebrillten Freund Alejandro gar nicht aus wie ein Gelehrter. Er war aber einer, sogar in der Quantenphysik kannte er sich aus.
Der Astrophysiker hatte lange blonde Haare, die er meist zu einem Zopf zusammenband, sonst wären sie im Wind schnell zu vielen unlösbaren Dreadlocks verzottelt. Sein Mund wurde halb von einem blonden Schnauzbart verdeckt, auf seiner schönen, geraden Nase saß fast immer eine dunkle, schmale Biker-Brille, und seinen Kopf zierte meist ein Basecap.
Dazu trug Harry so gut wie immer schwarze T-Shirts mit Harley-Davidson-Aufdruck. Er war jetzt 42 Jahre alt und fuhr, seitdem er den Führerschein hatte, leidenschaftlich gern Motorrad. Zuhause auf La Palma schraubte er am liebsten vor seiner Garage in der Sonne an seiner Oldtimer-Harley.
Aber jetzt saß der Biker dick eingemummelt auf der Save the Seas und fror. Was ihn warm hielt, war der Gedanke an die Ross-Insel im Westen des Rossmeers mit dem aktiven Vulkan Mount Erebus, wo die Save the Seas heute für einige Wochen vor Anker gehen würde.
Seit auf La Palma zwei Jahre zuvor und nur drei Kilometer von Haralds Haus entfernt der Vulkan Tajogaite ausgebrochen war, hatten es ihm die Feuerberge angetan. Jetzt schaute der kluge Mann nicht mehr nur ins All, sondern wollte auch wissen, was tief in der Erde vor sich ging.
»Wusstet Ihr, dass es unterm Eis der Antarktis 138 Vulkane gibt, die wir kennen, und vermutlich noch viele mehr, die wir nicht kennen?«, fragte er Christine und Alejandro.
Die beiden schüttelten die Köpfe. Von Vulkanen hatten sie erstmal genug. Aber Chrissie durchzuckte sofort ein schrecklicher Gedanke. Oh nein, diese Monster bedeuteten Hitze! Fußbodenheizungen dieser Art konnte ihr geliebtes Eis gewiss nicht verkraften.
»Was ist, wenn einer der Feuerberge unter der Antarktis ausbricht?«, fragte sie. »Dann würde doch noch mehr als jetzt schon wegschmelzen?«
Harry konnte sie nicht wirklich beruhigen, und er war ein Freund klarer Worte.
»Die Vulkan-Cracks meinen, dass es unter Antarktika einen Hotspot gibt, der Vulkane hervorbringen könnte«, sagte er. »Ihr wisst ja, was das heißt: Das gleiche Theater wie auf La Palma.«
Denn auch auf ihrer Lieblingsinsel war das Magma beim Vulkanausbruch 2021 aus einem sogenannten heißen Punkt im Erdmantel nach oben gestiegen. Chrissie, Alex und Harry waren dabei. Drei lange Monate hatte das Monster Feuer, Asche und Millionen Tonnen von Lava gespuckt – so wird Magma genannt, wenn es den Vulkan verlässt.
Diese feuerrote, ultraheiße Masse war nur knapp an den Häusern der drei Freunde vorbeigeflossen. Viele andere auf La Palma hatten nicht so viel Glück. Die glühenden Steine aus dem Innern der Erde zerquetschten und schmolzen ihr Hab und Gut und türmten sich dann meterhoch darüber auf.
Chrissie, Alex und Harry sahen sich betreten an. Es war gut, dass so viele Forschende auf der Save the Seas zusammenarbeiteten, um Antworten auf offene Fragen zu finden.
Denn vom ewigen Eis, wie es immer hieß, wenn die Menschen vom Südpol sprachen, konnte selbst ohne Vulkane keine Rede mehr sein.
Kapitel 3
Im Rossmeer ist was los!
Ping sank.
Und sank. Denn vor der Kolonie der Kaiserpinguine ging es gleich tief und steil hinunter. Die Klippe des Schelfeises fiel hier rund 500 Meter senkrecht zum Meeresgrund ab.
Mit weit aufgerissenen Augen sah Ping beim Hinabtrudeln eine völlig neue Welt: Die Eisberge gingen unter Wasser in die Breite wie Koks nach dem Fressen und waren viel, viel größer als es vom Land aus schien. Und die dicken Eisberg-Bäuche schimmerten in allen möglichen Weiß- und Blautönen und hatten wabenförmige Muster.
Ping staunte und sank weiter.
Es sah Eisschollen, die sich wie Balken ineinander und übereinander schoben und verkeilten. Manche hatten an der Unterseite eine moosgrüne Schicht wie ein vergammeltes Käsebrot, manche waren völlig von etwas Grünem durchzogen. Im Schatten schaukelten die Eissparren schmutzig-braun in den Wellen.
Je weiter Ping sank, desto dämmriger und trüber wurde die Sicht. Die Farben verblassten mehr und mehr.
Doch plötzlich flimmerten ein paar leuchtend blaue Punkte vor seinen Augen. Nanu? Dann mehr. Und noch mehr. Und plötzlich waren da unzählige funkelnde Tupfen, die um Ping herumwimmelten wie Flocken im Schneetreiben in der Pinguinstadt.
»Biste ein Stein oder lebensmüde?«, rief da ein feines, aber energisches Stimmchen in die Ohröffnung von Ping.
»Weiß nicht …«, antwortete es wie immer, um keinen Ärger zu kriegen, und kreiselte weiter Richtung Meeresgrund.
»Glaub´s ja nich, wie blöd kann man eigentlich sein?«, sagte das Stimmchen. »Biste ein Kaiserpinguin oder nich? Kannst nich unendlich tief tauchen, bei spätestens 500 Metern is Schluss.«
»Wirklich?«
Ping wusste nicht, ob es sich freuen sollte, dass es zum ersten Mal Pinguin genannt wurde, oder ob es Angst bekommen sollte.
»Schwing jetzt endlich Deine lahmen Flügel! Bist ja bereits bei 40 Metern. Schon viel zu viel für Anfänger!«
Ping hob seine Flügelchen. Und tatsächlich. Es blieb im Wasser stehen. Dann bewegte es die Schwingen nochmal und paddelte mit seinen kleinen Fußkrallen, zwischen denen sich flossenmäßig Haut spannte.
Ping konnte es nicht glauben. Es schwamm! Mit dem rechten Flügel wackeln: Linkskurve. Dann mit dem linken Flügel wackeln: Rechtskurve. Jetzt kam Ping auf den Geschmack. Schwimmen war so cool, hundert Mal cooler als das mühsame Watscheln auf den Flossen an Land – mal abgesehen vom lustigen Eisrutschen auf dem Bauch. Mit immer mehr Speed zischte es durch die blauen Punkte.
»Hey, komm wieder runter. Bist doch kein Sektkorken!«
»Wer spricht eigentlich mit mir?«, piepte Ping außer Atem.
»Leute, macht Euch mal kurz vom Acker, aber schnell, mit zwei l, gell!«, erschallte das Stimmchen nun in lautem Kommandoton.
Das blaue Gewimmel verschwand wie durch Zauberhand. Jetzt konnte Ping ein Tierchen erkennen, das nur ein paar Zentimeter groß vor ihm im Wasser schwebte und dabei immerzu gleichmäßig mit seinen vielen winzigen Füßchen ruderte. Es war ganz durchsichtig, an seiner Unterseite blinkten blaue Stellen, hinterm Kopf leuchtete was Rotes, und es blitzte Ping mit riesigen schwarzen Augen an.
»Gestatten«, sagte das Wesen nun in überraschend vornehmen Ton. „Euphausia Superba Dana Krilllógico mein Name, mit drei l, gell! Kurz Supi. Bin die Chefin von dem Krill-Haufen im Rossmeer, Krill mit zwei l, gell!«
»Danke Supi, ich glaube, Du hast mir das Leben gerettet!«
»Gern geschehen. Mal was anderes. Hab noch nie gesehen, dass ein Pinguin absäuft wie eine Kanonenkugel.«
»Niemand in der Kolonie hat mir das Schwimmen beigebracht, Mum Pen und Dad Smo sind raus ins Rossmeer und nicht zurückgekommen.«
»Gar nich gut. Aber jetzt kannstes ja. Kannst mit uns schwimmen, auf einen mehr oder weniger kommt´s in unserem Haufen nicht an«, bot Supi an. »Noch ne kleine Frage: Warum versuchste eigentlich nich, uns zu fressen? Wär doch normal für einen Pinguin.«
»Ich habe die Krillpampe, die mir die Mutter von Koks in den Schnabel gesteckt hat, nie gemocht«, antwortete Ping ehrlich. »Bin auf der Suche nach was, das mir schmeckt.«
Aber statt sich zu freuen, dass sie nicht gefressen wurde, ruckte Supi plötzlich mit dem Kopf. Alle ihre daran angewachsenen Ärmchen, die Thoracopoden hießen, zappelten wie verrückt, und sie schrie laut und gellend los.
»Jetzt wird´s kriminell mit zwei l, gell!«
Sofort begannen alle Krills wie wild mit ihren Füßchen zu strampeln. Ping begriff nichts. »Was ist denn los?«, fragte es.
»Klappe halten, nichts wie weg«, schrie Supi. »Im Anmarsch Orca-Mutti Mall mit zwei l, gell!«
Weiter unten aus der Dämmerung des Wassers ertönte jetzt ein langgezogenes »Iiiiiouuu …«
Und dann gleich nochmal »Iiiiouuu …«
Ping bekam eine Gänsehaut, pardon: eine Pinguinhaut. Seine Federn sträubten sich am ganzen Körper als es sah, wie aus der Tiefe ein riesengroßes, schwarz-weißes Etwas in seine Richtung schoss und dabei aus einem Loch oben in seinem Kopf unzählige Luftblasen ausstieß.
Ping schaute sich nach Supi und der Krillfamilie um. Die bewegten sich mit aller Kraft in Richtung eines gigantischen Stapels von Eisschollen, die sich unter der Wasseroberfläche ineinander verkeilt hatten. Aber mit ihren kleinen Beinchen kamen sie nicht schnell genug voran. Es war klar, dass sie das Monster aus der Tiefe gleich erwischen würde.
Aber hallo: Ohne dass Ping wusste, wie ihm geschah, lösten sich aus seinen Federn plötzlich abertausende von Bläschen. Ping bekam einen massiven Schub und zischte mit weit aufgerissenen Augen der Orca-Mutti entgegen. Die stoppte und guckte auch nicht viel intelligenter.
Und so standen sich Orca und Pinguin Schnauze an Schnabel im Wasser gegenüber und glotzten sich an.
»Was soll denn das?«, frage Mall völlig verdattert. »Ein Pinguin schwimmt auf mich zu und wagt, mir ins Auge zu blicken? Hast Du den Verstand verloren?«
»Weiß nicht …«, antwortete Ping standardmäßig.
»Du bist entweder total plem-plem oder echt clever«, meinte Mall und schüttelte ihren riesigen Kopf. Neben ihrem Auge schimmerte ein auffälliger, weißer Fleck in Herzform durchs schummrige Wasser.
»Weiß nicht …«, bibberte Ping. Schließlich hatte ihm niemand gesagt, dass Pinguine den Blasentrick draufhatten, um in Notfällen ihre Geschwindigkeit ratz-fatz zu verdoppeln und den Feinden im Düsentempo die Rücklichter zu zeigen. Das ahnungslose Ping war nur in die falsche Richtung gezischt, denn Steuern bei hohen Geschwindigkeiten will halt gelernt sein.
»Ich dachte immer, den Blasentrick hätten nur wir Orcas drauf, um unserer Beute die Orientierung nehmen«, grummelte Mall. »Und jetzt machen die Pinguine das nach. Was für Zeiten!«
»Tut mir leid, die Blasen begannen einfach automatisch zu blubbern …« Ping zitterte am ganzen Körper.
»Papperlapapp. Automatisch. Aber jetzt geh mir aus dem Weg, Du Winzling. Ich muss die Krillsippe schnappen, mein Kalb hat Hunger. Und ich auch.«
»Willst Du mich denn gar nicht fressen?«, fragte Ping völlig verblüfft. Jetzt ging es ihm wie vorhin Supi.
»Nö, nur meine Verwandten vom Orca-Typ B fressen Euch komische Schwimmvögel. Typ A frisst andere Wale und Seeelefanten und Typ C Fische. Ich bin irgendwie aus der Art geschlagen und stehe nur auf Krill. Es kribbelt so schön, wenn man die frechen kleinen Racker schluckt.«
»Igittigitt, na dann, Prost Mahlzeit!«
»Verarschen kann ich mich selber. Aus dem Weg jetzt!«
Mall schubste Ping ungeduldig zur Seite und schlug einmal mit ihrer riesigen Fluke. Dann flog sie nur so durchs Wasser. Kurz vorm Krillschwarm öffnete sie ihr mit scharfen, spitzen Zähnen bewaffnetes Maul, zum Zuschnappen bereit.
Supi blieb cool. Sie sah dem hungrigen Killerwal-Weibchen entgegen und trieb ihre Leute an. Die hatten dank Pings Eingreifen inzwischen eine kleine Spalte zwischen den Eisschollen erreicht und waren dabei, darin zu verschwinden.
»Vollgas«, feuerte Supi ihre Leute an. »Mit zwei l, gell!«
Ping sah atemlos zu. Hatte Supi denn gar keine Angst? Wollte sie sich nicht lieber zuerst selbst in Sicherheit bringen? Im Krillgeschwader war Supi die Checkerin. Aber irgendwie war sie ganz anders als Koks. Wenn´s brenzlig wurde, stand sie hinter ihren Leuten und beschützte sie – oder besser gesagt vor ihren Leuten, Auge in Auge mit der Gefahr. Solche Chefs gab es also auch …
Der letzte Leuchtpunkt flitzte in den Eisschollenspalt.
Supi hinterher. Keine Sekunde zu früh.
Direkt hinter Supi klappte das aufgerissene Killerwal-Maul zu, und Mall Orca knallte gegen den Eisschollenhaufen. Sie war einfach viel zu schnell.
»Aaaaaou...«, schrie sie, stinksauer vor Schmerz und Wut. Denn den Top-Prädatoren der Meere entkam selten jemand. Und noch seltener war, dass sich ein Orca eine Beule holte.
Ping schwamm zu ihr hin. »Ich glaube, Du warst ein kleines bisschen zu gierig«, meinte es und sah mit Bedauern, wie die Beule an Malls Stirn anschwoll. »Tut´s sehr weh?«
»Du schon wieder«, knurrte Mall. »Vielleicht sollte ich mein Menü doch auf Pinguin umstellen.«
»Ich hätte da eine bessere Idee.«
»Und was?«
»Wir suchen uns was Vegetarisches. Ist auch viel gesünder.«
Ping wusste zwar nicht genau, was Vegetarisch war, aber es hatte mal gehört, wie sich die Pinguin-Mütter darüber unterhielten. Sie waren teils weit herumgekommen und erzählten sich, dass an anderen Orten im Meer und auf der Erde Grünzeug wuchs, das man essen konnte. Und das obendrein sehr gesund sein sollte.
Mall schlug die Flossen über dem Kopf zusammen. Sie war fertig mit den Nerven. Entwischte Krillsuppe. Ein klugscheißerischer kleiner Kaiserpinguin. Und jetzt kam auch noch der immer hungrige Nachwuchs angeschwommen.
»Mama, was gibt´s heute zum Abendbrot?«, fragte ihr Sohn Ibi. »Darf ich Milch haben? Ich will nicht schon wieder Krill, ich mag das Kribbelzeug nicht.«
Ibi war etwas mehr als ein Jahr alt und wurde von seiner Mutter meistens noch gesäugt. Dabei presste er seine Schnauze gegen ihre zwischen Hautfalten am Bauch verborgenenen Zitzen, woraufhin Mall ihre Milch gezielt in seinen Mund spritzte. Aber wie das bei Orcas so ist, bereitete Mall den Kleinen so langsam darauf vor, dass er in ein paar Monaten endgültig seine eigene Beute fangen musste. Was nicht so einfach war. Ibi hatte schon einen ganz eigenen Geschmack.
Mall seufzte. Als alleinerziehende Mutter hatte man es wirklich nicht leicht. Und genau aus diesem Grund hatte sie stets einen Plan B in der Tasche. Sie war keines dieser Weibchen, die immer gleich nach dem Göttergatten riefen, der es dann richten sollte. Ein Glück, dass sie sich eine Kühlhöhle voller Plankton angelegt hatte, damit sie an Tagen wie heute nicht zu hungern brauchte. Etwas Gutes musste das saukalte Leben in der Antarktis ja haben.
Mall schwamm los, ohne tschüss zu sagen. Ibi zuckelte hinter ihr her und maulte weiter, dass er Krill bäh fand.
»Bäh sagt man nicht zum Essen«, schnauzte Mall und dachte, ein kleines bisschen Hilfe bei der Erziehung des kleinen Rabauken wäre manchmal vielleicht doch schön.
»Na toll«, murmelte Ping nachdenklich vor sich hin. »Es geht doch nichts über die Familie.« Dann schwamm es an die Wasseroberfläche. Dort holte es tief Luft, das hätte es fast