Vierhundert Seelen -  - E-Book

Vierhundert Seelen E-Book

0,0
20,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Im Nummer-1-New-York-Times-Bestseller der Herausgeber Ibram X. Kendi und Keisha N. Blain erzählen 80 außergewöhnliche Stimmen die vierhundertjährige Geschichte des afrikanischen Amerikas von 1619 bis in die unmittelbare Gegenwart.

Die Geschichte beginnt 1619, ein Jahr vor der Ankunft der Mayflower, als die White Lion etwa 20 »negroes« an der Küste Virginias ausspuckt und damit die afrikanische Präsenz in den späteren Vereinigten Staaten einleitet. Sie führt uns quer durch den enormen Einfluss der Schwarzen auf die Geschicke der jungen Nation.

Ibram X. Kendi und Keisha N. Blain versammeln 80 Autorinnen und Autoren, die sich der Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln nähern: durch die Augen großer historischer Ikonen oder durch die unerzählten Geschichten einfacher Menschen, durch Orte, Gesetze und Gegenstände. Während sich Themen wie Widerstand und Kampf, Hoffnung und Neuerfindung wie ein roter Faden durch das Buch ziehen, entfaltet diese Sammlung eine verblüffende Bandbreite an Erfahrungen und Ideen, die es in der Community der Schwarzen in Amerika immer gegeben hat. So erzählt dieses Buch u.a. von Leid und Trauma, von Unterdrückung und Befreiung, vom Kampf um Selbstbestimmung und rechtliche Gleichstellung, von gewaltigen Pionier- und Heldentaten, von der Entwicklung von Swing, Rock'n'Roll, Soul, Funk und HipHop und der Entstehung der Black-Lives-Matter-Bewegung.

Vierhundert Jahre Afrikanisch-Amerikanische Geschichte: Eine Reise voll von unmenschlicher Gewalt, visionären Kämpfen und erstaunlichen Errungenschaften.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 659

Veröffentlichungsjahr: 2024

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Zum Buch

Ibram X. Kendi und Keisha N. Blain versammeln 80 Autorinnen und Autoren, die sich der Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln nähern: durch die Augen großer historischer Ikonen oder durch die unerzählten Geschichten einfacher Menschen, durch Orte, Gesetze und Gegenstände. Während sich Themen wie Widerstand und Kampf, Hoffnung und Neuerfindung wie ein roter Faden durch das Buch ziehen, entfaltet diese Sammlung eine verblüffende Bandbreite an Erfahrungen und Ideen, die es in der Community der Schwarzen in Amerika immer gegeben hat. So erzählt dieses Buch u. a. von Leid und Trauma, von Unterdrückung und Befreiung, vom Kampf um Selbstbestimmung und rechtliche Gleichstellung, von gewaltigen Pionier- und Heldentaten, von der Entwicklung von Swing, Rock’n’Roll, Soul, Funk und Hip-Hop und der Entstehung der Black-Lives-Matter-Bewegung.

Zu den Herausgebenden

Ibram X. Kendi, geboren 1982 in New York, ist Gründungsdirektor des Antiracist Research and Policy Center, Professor für Geschichte und Internationale Beziehungen und hat die renommierte Andrew-W.-Mellon-Professur in the Humanities an der Boston University inne, die als besondere Auszeichnung für akademische und gesellschaftliche Leistung gilt und seit ihrer Gründung 1973 einzig von Elie Wiesel besetzt war. Für sein Buch »Gebrandmarkt. Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika« erhielt er 2016 den National Book Award. »How to Be an Antiracist«, sein viel beachtetes Standardwerk zum Thema Antirassismus, war ein New-York-Times-Nummer-1-Bestseller, in dem er anhand seiner eigenen Lebensgeschichte die Mechanismen von Rassismus sichtbar macht und nicht weniger als die radikale Neuorientierung unseres Bewusstseins fordert.

Keisha N. Blain, geboren 1985, ist eine preisgekrönte Historikerin, Professorin und Schriftstellerin, die als eine der innovativsten und einflussreichsten jungen Intellektuellen ihrer Generation gilt. Nach Promotion in Princeton ist sie inzwischen Professorin für African Studies und Geschichte an der Brown University. Sie war u. a. Guggenheim-Stipendiatin des Jahres 2022 und Carnegie-Fellow im gleichen Jahr. Zudem ist sie Autorin zahlreicher Bücher wie etwa des mehrfach preisgekrönten Buches »Set the World on Fire« sowie Kolumnistin für MSNBC, wo sie sich mit den Themen Race, Geschlecht und Politik in historischer und aktueller Perspektive beschäftigt.

Ibram X. KendiKeisha N. Blain (Hrsg.)

400 Seelen

Die Geschichte des Afrikanischen Amerika 1619–2019

Aus dem Amerikanischen von Sylvia Bieker, Aminata Cissé Schleicher, Bernd Gockel, Dominique Haensell, Ruth Keen, Marion Kraft, Andrea Kunstmann, Elke Link, Melody Makeda Ledwon, Felix Mayer, Mirjam Nuenning, Anna von Rath, Jacob Thomas, Alexander Wagner, Eleonore Wiedenroth-Coulibaly und Henriette Zeltner-Shane

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel »FOURHUNDREDSOULS: A Community History of African America, 1619–2019« im Verlag One World, New York.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © der Originalausgabe 2021

by Ibram X. Kendi and Keisha N. Blain

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2024 by btb Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

This translation published by arrangement with One World, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC, New York.

Umschlaggestaltung: semper smile, München

nach einem Entwurf von Penguin Random House UK

Umschlagmotiv: 110th St/Central Park North, Harlem, NY, 1970 © Shawn Walker

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-29327-7V001

www.btb-verlag.de

www.facebook.com/penguinbuecher

Für all die Seelen, die Covid-19 genommen hat

Editorische Notiz

Der vorliegende Text ist eine Auseinandersetzung Schwarzer US-amerikanischer Autor*innen mit ihrer eigenen Geschichte, herausgegeben von zwei der prominentesten Schwarzen Intellektuellen der US-amerikanischen Gegenwart. Die Sprache, die in den Texten der neunzig Beiträger*innen im Original zu lesen ist – sei es nun in der Form eines Essays oder eines Poems –, verwendet immer wieder – und überdies ganz bewusst – heute teils historische Begriffe, Wendungen und Ausdrücke, die nicht weiß gelesene Menschen gezielt diffamieren und auch sprachlich brandmarken. Der Verlag hat sich dazu entschieden, diesen Sprachgebrauch des Originals in den Übersetzungen zu übernehmen, soweit die Übersetzer*innen sich in den jeweiligen Texten nicht für alternative Sprachvarianten entschieden haben.

Wenn sich die aus rassistischen Kontexten herrührenden Adjektive schwarz/weiß auf Menschen beziehen, dann wird in diesem Buch Schwarz durchgängig mit großem Anfangsbuchstaben, weiß hingegen ohne diese Hervorhebung verwendet. Dem Verlag ist es ein Anliegen, zu betonen, dass beide Adjektive in diesem Kontext soziale Konstruktionen sind, auf die durch die Hervorhebung von »Schwarz« visuell hingewiesen wird. Der Begriff »Race« wird in diesem Buch nicht mit dem deutschen Wort »Rasse« übersetzt, da sich soziale Bewegungen in den USA und in Deutschland unterschiedlich mit diesem kolonialrassistisch belasteten Begriff auseinandersetzen. Der eindeutig ermächtigenden Aneignung des Begriffs im englischsprachigen Raum (auch über die USA hinaus) zur Markierung sozialer Unterdrückungsverhältnisse, steht im Deutschen die ursprüngliche biologistisch-rassistische Lesart gegenüber, die weiterhin latent mitschwingt. Daher geht es sozialen Bewegungen im deutschsprachigen Raum darum, den Begriff »Rasse« in ihren Auseinandersetzungen immer wieder als ein kolonial-rassistisches Konstrukt zu entlarven, das weit über den Nationalsozialismus hinaus verheerend eingesetzt wurde.

Inhalt

Einführung Eine Seelengemeinschaft

von Ibram X. Kendi übersetzt von Mirjam Nuenning

Teil 1

1619–1624 Ankunft

von Nikole Hannah-Jones übersetzt von Eleonore Wiedenroth-Coulibaly

1624–1629 Afrika

von Molefi Kete Asante übersetzt von Felix Mayer

1629–1634 Ausgepeitscht wegen Beischlafs mit einer Schwarzen Frau

von Ijeoma Oluo übersetzt von Andrea Kunstmann

1634–1639 Tabak

von DaMaris B. Hill übersetzt von Eleonore Wiedenroth-Coulibaly

1639–1644 Die Arbeit Schwarzer Frauen

von Brenda E. Stevenson übersetzt von Andrea Kunstmann

1644–1649 Anthony Johnson, Kolonie von Virginia

von Maurice Carlos Ruffin übersetzt von Alexander G. Wagner

1649–1654 Die Schwarze Familie

von Heather Andrea Williams übersetzt von Bernd Gockel

1654–1659 Unfreie Arbeit

von Nakia D. Parker übersetzt von Eleonore Wiedenroth-Coulibaly

Poem Bei Ankunft

von Jericho Brown übersetzt von Bernd Gockel

Teil 2

1659–1664 Elizabeth Keye

von Jennifer L. Morgan übersetzt von Aminata Cissé Schleicher

1664–1669 Das Taufrecht von Virginia

von Jemar Tisby übersetzt von Alexander G. Wagner

1669–1674 Die Royal African Company

von David A. Love übersetzt von Andrea Kunstmann

1674–1679 Bacons Rebellion

von Heather C. McGhee übersetzt von Alexander G. Wagner

1679–1684 Verbot Virginia den Waffenbesitz – oder verbot es nur die Selbstverteidigung und letztlich den bewaffneten Widerstand?

von Kellie Carter Jackson übersetzt von Bernd Gockel

1684–1689 Der Code Noir

von Laurence Ralph übersetzt von Felix Mayer

1689–1694 Die Germantown Petition gegen Sklaverei

von Christopher J. Lebron übersetzt von Eleonore Wiedenroth-Coulibaly

1694–1699 Die Middle Passage

von Mary E. Hicks übersetzt von Aminata Cissé Schleicher

Poem Mama, wo hast du dein Gewehr?

von Phillip B. Williams übersetzt von Eleonore Wiedenroth-Coulibaly

Teil 3

1699– 1704 The Selling of Joseph

von Brandon R. Byrd übersetzt von Dominique Haensell

1704–1709 Die Virginia Slave Codes

von Kai Wright übersetzt von Bernd Gockel

1709–1714 Der Aufstand in New York

von Herb Boyd übersetzt von Henriette Zeltner-Shane

1714–1719 Der Sklavenmarkt

von Sasha Turner übersetzt von Sylvia Bieker

1719–1724 Das Leben der Maroons

von Sylviane A. Diouf übersetzt von Mirjam Nuenning

1724–1729 Spirituals

von Corey D.B. Walker übersetzt von Mirjam Nuenning

1729–1734 Afrikanische Identitäten

von Walter C. Rucker übersetzt von Bernd Gockel

1734–1739 Von Fort Mose zu Soul City

von Brentin Mock übersetzt von Eleonore Wiedenroth-Coulibaly

Poem Vor der Revolution

von Morgan Parker übersetzt von Eleonore Wiedenroth-Coulibaly

Teil 4

1739–1744 Der Stono-Aufstand

von Wesley Lowery übersetzt von Bernd Gockel

1744–1749 Lucy Terry Prince

von Nafissa Thompson-Spires übersetzt von Marion Kraft

1749–1754 Rassismus im Zeitalter der Aufklärung

von Dorothy E. Roberts übersetzt von Bernd Gockel

1754–1759 Schwarze und Indigene Identität

von Kyle T. Mays übersetzt von Eleonore Wiedenroth-Coulibaly

1759–1764 Ein Schwarzer Junge: Die Großen Seen und der Mittlere Westen

von Tiya Miles übersetzt von Alexander G. Wagner

1764–1769 Phillis Wheatley

von Alexis Pauline Gumbs übersetzt von Marion Kraft

1769–1774 David George

von William J. Barber IIübersetzt von Alexander G. Wagner

1774–1779 Die Amerikanische Revolution

von Martha S. Jones übersetzt von Eleonore Wiedenroth-Coulibaly

Poem »Fälle ungewöhnlicher Grausamkeit konnten nicht ausgeschlossen werden«

von Justin Phillip Reed übersetzt von Bernd Gockel

Teil 5

1779–1784 Savannah, Georgia

von Daina Ramey Berry übersetzt von Anna von Rath

1784–1789 Die Verfassung der USA

von Donna Brazile übersetzt von Marion Kraft

1789–1794 Sally Hemings

von Annette Gordon-Reed übersetzt von Henriette Zeltner-Shane

1794– 1799 Der Fugitive Slave Act

von Deirdre Cooper Owens übersetzt von Melody Makeda Ledwon

1799–1804 Höhere Bildung

von Craig Steven Wilder übersetzt von Sylvia Bieker

1804–1809 Baumwolle

von Kiese Laymon übersetzt von Bernd Gockel

1809–1814 Der Louisiana-Aufstand

von Clint Smith übersetzt von Aminata Cissé Schleicher

1814–1819 Schwarze Queers

von Raquel Willis übersetzt von Anna von Rath

Poem Den »Albany 3« zum Gedenken

von Ishmael Reed übersetzt von Aminata Cissé Schleicher

Teil 6

1819–1824 Denmark Vesey

von Robert Jones Jr. übersetzt von Melody Makeda Ledwon

1824–1829 Freedom’s Journal

von Pamela Newkirk übersetzt von Alexander G. Wagner

1829–1834 Maria W. Stewart

von Kathryn Sophia Belle übersetzt von Melody Makeda Ledwon

1834–1839 Die National Negro Conventions

von Eugene Scott übersetzt von Andrea Kunstmann

1839–1844 Racial Passing – in eine andere Haut schlüpfen

von Allyson Hobbs übersetzt von Andrea Kunstmann

1844–1849 James McCune Smith, Doktor der Medizin

von Harriet A. Washington übersetzt von Aminata Cissé Schleicher

1849–1854 Oregon

von Mitchell S. Jackson übersetzt von Alexander G. Wagner

1854–1859 Dred Scott

von John A. Powell übersetzt von Alexander G. Wagner

Poem Kompromiss

von Donika Kelly übersetzt von Jacob N. Thomas

Teil 7

1859–1864 Frederick Douglass

von Adam Serwer übersetzt von Andrea Kunstmann

1864–1869 Der Amerikanische Bürgerkrieg

von Jamelle Bouie übersetzt von Alexander G. Wagner

1869–1874 Reconstruction

von Michael Harriot übersetzt von Melody Makeda Ledwon

1874–1879 Atlanta

von Tera W. Hunter übersetzt von Alexander G. Wagner

1879–1884 John Wayne Niles

von William A. Darity Jr. übersetzt von Felix Mayer

1884–1889 Philadelphia

von Kali Nicole Gross übersetzt von Elke Link

1889–1894 Lynchmorde

von Crystal N. Feimster übersetzt von Andrea Kunstmann

1894–1899 Plessy v. Ferguson

von Blair L. M. Kelley übersetzt von Alexander G. Wagner

Poem John Wayne Niles ... .--. . .- -.- ... / – --- Eremias Joseph Asghedom

von Mahogany L. Browne übersetzt von Aminata Cissé Schleicher und Eleonore Wiedenroth-Coulibaly

Teil 8

1899–1904 Booker T. Washington

von Derrick Alridge übersetzt von Felix Mayer

1904–1909 Jack Johnson

von Howard Bryant übersetzt von Ruth Keen

1909–1914 Schwarze Intellektuelle in der Öffentlichkeit

von Beverly Guy-Sheftall übersetzt von Felix Mayer

1914–1919 Die Große Migration

von Isabel Wilkerson übersetzt von Ruth Keen

1919–1924 Der Rote Sommer

von Michelle Duster übersetzt von Bernd Gockel

1924–1929 Die Harlem Renaissance

von Farah Jasmine Griffin übersetzt von Melody Makeda Ledwon

1929–1934 Die Great Depression

von Robin D.G. Kelley übersetzt von Ruth Keen

1934–1939 Zora Neale Hurston

von Bernice L. McFadden übersetzt von Marion Kraft

Poem Entwirrt und Entfesselt

von Patricia Smith übersetzt von Aminata Cissé Schleicher

Teil 9

1939–1944 Der Schwarze Soldat

von Chad Williams übersetzt von Ruth Keen

1944–1949 Die Schwarze Linke

von Russell Rickford übersetzt von Felix Mayer

1949–1954 Der Weg zu Brown v. Board of Education

von Sherrilyn Ifill übersetzt von Felix Mayer

1954–1959 Black Arts

von Imani Perry übersetzt von Dominique Haensell

1959–1964 Die Bürgerrechtsbewegung

von Charles E. Cobb Jr. übersetzt von Felix Mayer

1964–1969 Black Power

von Peniel Joseph übersetzt von Aminata Cissé Schleicher

1969–1974 Grundeigentum

von Keeanga-Yamahtta Taylor übersetzt von Dominique Haensell

1974–1979 Combahee River Collective

von Barbara Smith übersetzt von Marion Kraft

Poem Immer dasselbe Lied

von Chet’la Sebree übersetzt von Marion Kraft

Teil 10

1979–1984 Der Krieg gegen die Drogen

von James Forman Jr. übersetzt von Andrea Kunstmann

1984–1989 Hip-Hop mit Kopf

von Bakari Kitwana übersetzt von Bernd Gockel

1989–1994 Anita Hill

von Salamishah Tillet übersetzt von Dominique Haensell

1994–1999 Crime Bill

von Angela Y. Davis übersetzt von Dominique Haensell

1999–2004 The Black Immigrant

von Esther Armah übersetzt von Dominique Haensell

2004–2009 Hurrikan Katrina

von Deborah Douglas übersetzt von Elke Link

2009–2014 Die Shelby-Entscheidung

von Karine Jean-Pierre übersetzt von Aminata Cissé Schleicher

2014–2019 Black Lives Matter

von Alicia Garza übersetzt von Felix Mayer

Poem American Abecedarian / Amerikanisches Abecedarium

von Joshua Bennett übersetzt von Aminata Cissé Schleicher und Eleonore Wiedenroth-Coulibaly

Schlusswort Die kühnsten Träume unserer Ahnen

von Keisha N. Blain übersetzt von Mirjam Nuenning

Dank

Autor*innen

Übersetzer*innen

Anmerkungen

Register

Einführung Eine Seelengemeinschaft

VON IBRAM X. KENDI übersetzt von Mirjam Nuenning

Als im August 1619 etwa zwanzig »Negroes« von Bord der White Lion gingen und in britische Gesichter blickten, wussten sie es nicht.

Als ihre Füße den Boden in Jamestown, Virginia, berührten, wussten sie nicht, dass ihr Leben nie wieder dasselbe sein würde. Sie wussten nicht, dass sie ihre Community nie wiedersehen würden.

Vielleicht dachten sie an die Gewässer auf der anderen Seite des atlantischen Ozeans, die in den Cuanza-Fluss strömten, der in ihr westafrikanisches Heimatland floss. Vielleicht waren sie zu erschöpft von der Middle Passage, um sich Ndongo vorzustellen.

Der Name der westafrikanischen Nation Angola ist auf den Begriff Ngola zurückzuführen, dem königlichen Titel des Staatsoberhauptes von Ndongo. Die zwanzig Menschen aus Ndongo, die im August 1619 in Jamestown eintrafen, waren wahrscheinlich noch im selben Jahr in dem Land, das wir heute Angola nennen, während eines Sklavenraubzugs gefangen genommen und in die portugiesische Hafenkolonie Luanda gebracht worden, ohne zu ahnen, dass sie eine neue Community unter dem Herzen trugen.

In Luanda trafen sie auf 350 weitere gefangen genommene Ndongo und gemeinsam wurden sie wie Vieh auf die São João Bautista getrieben. Die portugiesischen Sklavenhändler stachen in See und steuerten auf die spanische Plantagenkolonie Vera Cruz in Mexiko zu. Doch sie kamen nie dort an. In den schimmernden karibischen Gewässern setzte das unter der Führung von Kapitän John Jope stehende englische Kaperschiff White Lion gemeinsam mit einem weiteren englischen Kaperschiff namens Treasurer zum Angriff an. Nicht weil sie Abolitionisten waren, sondern weil sie der damaligen untergehenden europäischen Großmacht Spanien den Kampf ansagten.

Die Angreifer beraubten die Menschenräuber einer Gemeinschaft von circa sechzig versklavten Menschen, wahrscheinlich diejenigen Personen an Bord, die am jüngsten und in der besten körperlichen Verfassung waren. Sie teilten die menschliche Beute zwischen der Treasurer und der White Lion auf und steuerten nach Norden, in Richtung der britischen Kolonien.

Als die White Lion den Atlantik hinaufsegelte, setzten bei den rund zwanzig Menschen aus Ndongo Geburtswehen ein. Historische Kräfte formten diese Community – und die Community prägte wiederum historische Kräfte. Am 20. August 1619, der symbolischen Geburtsstunde Afroamerikas, gebar diese Community an der Küste Virginias – und wurde geboren.

Die Ndongo waren nicht die ersten Menschen afrikanischer Herkunft, die nach Amerika kamen. Die ersten trafen bereits vor Christoph Kolumbus ein. Möglicherweise schlossen sich einige Menschen aus Afrika den spanischen Entdeckern an, die im 16. Jahrhundert auf Entdeckungsreise in die heutigen Vereinigten Staaten gingen. Eine Revolte versklavter Afrikaner*innen hinderte 1526 spanische Sklavenhalter daran, Plantagen im heutigen South Carolina aufzubauen. »Ein Stammregister aus dem Monat März 1619 zeigt, dass es [in Virginia] bereits zweiunddreißig Sklav*innen gab«, erklärte der Historiker Thomas C. Holt. Doch niemand weiß, wie und wann sie dort eintrafen. Niemand kennt die exakte Geburtsstunde Afroamerikas.

Vielleicht soll niemand sie kennen. Afroamerika ist wie die versklavte Frau, die tragischerweise niemals wusste, wann genau sie geboren wurde. Afroamerika ist wie der versklavte Mann, der, basierend auf der ersten Aufzeichnung eines Tages, an dem Menschen afrikanischer Herkunft in einer der dreizehn britischen Kolonien, die später die Vereinigten Staaten wurden, eintrafen, seinen eigenen Geburtstag wählte – den 20. August 1619. Seit diesem Jahr haben Menschen afrikanischer Herkunft, die in den Kolonien und später in den Vereinigten Staaten eintrafen oder geboren wurden, eine Community gebildet, die sich als Afroamerika oder als Schwarzes Amerika verwirklichte und manchmal identifizierte. Afro bezieht sich auf Menschen afrikanischer Herkunft. Schwarz bezieht sich auf Menschen, die als Schwarz rassifiziert werden.

Das Schwarze Amerika lässt sich definieren als Individuen afrikanischer Herkunft in Solidarität, ob unfreiwillig oder freiwillig, ob politisch oder kulturell, ob um des Überlebens willen, oder um des Widerstandes willen. Solidarität ist der Mutterleib der Community. Die Geschichte Afroamerikas ist die bunte Geschichte dieser mehr als vierhundert Jahre alten vielfältigen Community. Seitdem der Abolitionist James W. C. Pennington The Origin and History of the Colored People schrieb, das 1841 veröffentlichte erste Geschichtsbuch über das Schwarze Amerika, sind Geschichten über das Schwarze Amerika fast immer von Einzelpersonen geschrieben worden, meistens von Männern. Doch warum sollte nicht eine Community von Frauen und Männern die Geschichte einer Community aufzeichnen? Warum sollte nicht ein Schwarzer Chor dieses Spiritual in den Himmel der Geschichte singen? Vierhundert Seelen: Die Geschichte des Afrikanischen Amerika 1619–2019 ist dieser Community-Chor in diesem historischen Moment.

Die preisgekrönte Historikerin und Herausgeberin Keisha N. Blain und ich haben eine Community von achtzig Schwarzen Autor*innen und zehn Dichter*innen, die zu den besten Chronist*innen der vierhundertjährigen Schwarzen Geschichte gehören, zusammengebracht. Bei dieser Community handelt es sich um eine bemerkenswerte Auswahl aus Historiker*innen, Journalist*innen, Aktivist*innen, Philosoph*innen, Schriftsteller*innen, Politikwissenschaftler*innen, Jurist*innen, Anthropolog*innen, Kurator*innen, Theolog*innen, Soziolog*innen, Essayist*innen, Wirtschaftswissenschaftler*innen, Pädagog*innen, Dichter*innen und Kulturkritiker*innen. Zu dieser schreibenden Community zählen Schwarze Menschen, die sich als Frauen und Männer, Cisgender und Transgender, jünger und älter, heterosexuell und queer, dark-skinned und light-skinned identifizieren (oder identifiziert werden). Die Autor*innen sind Einwanderer*innen oder Nachfahren von Einwanderer*innen aus Afrika und der afrikanischen Diaspora. Die Autor*innen sind Nachfahren von versklavten Menschen in den Vereinigten Staaten.

Die meisten Texte in diesem Band wurden 2019 verfasst. Wir wollten, dass die Community während des vierhundertsten Jahres schrieb. Wir wollten, dass Vierhundert Seelen Geschichte schreibt und Geschichte ist. Die Leser*innen dieses gemeinschaftlichen Tagebuchs werden immer wissen, was Schwarze Amerikaner*innen über die Vergangenheit und die Gegenwart dachten, als Afroamerika symbolisch vierhundert Jahre alt wurde.

Jede*r der achtzig Autor*innen berichtet über eine Zeitspanne von fünf Jahren Schwarzer amerikanischer Geschichte, wodurch vierhundert Jahre abgebildet werden. Die Journalistin Nikole Hannah-Jones, Gewinnerin des Pulitzer-Preises und Initiatorin des Projektes 1619: Eine neue Geschichte der USA, ist die erste Autorin dieses Bandes und schreibt über die Zeit zwischen dem 20. August 1619 und dem 19. August 1624. Die letzte Autorin des Bandes, Cogründerin der Black Lives Matter Bewegung Alicia Garza, berichtet über die Zeit zwischen dem 20. August 2014 und dem 20. August 2019. Jeder Text ist unverkennbar und gleichzeitig den anderen Texten in Bezug auf die Länge relativ ähnlich; es entsteht eine in sich geschlossene, zusammenhängende Erzählung, bestehend aus deutlich unterschiedlichen – und dennoch vereinten – Stimmen. Ein Chor.

Und gemeinsam singt dieser Chor Akkorde des Überlebens, des Kampfes, des Triumphes, des Todes, des Lebens, der Freude, des Rassismus, des Antirassismus, der Schöpfung und der Zerstörung – die klarsten Akkorde Amerikas, Jahr für Jahr, Akkorde der Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie für alle. Vierhundert Akkorde.

Jeder Text beschäftigt sich mit einer Person, einem Ort, einer Sache, einer Idee oder einem Ereignis. Diese Kunstkammer achtzig unterschiedlicher Themen von achtzig unterschiedlichen Köpfen, die achtzig unterschiedliche Perspektiven wiedergeben, ist unerlässlich, um diese Community der Unterschiedlichkeit zu verstehen, die das Schwarze Amerika seit jeher ausmacht.

Vierhundert Seelen ist außerdem in zehn Teile unterteilt, die jeweils vierzig Jahre abdecken. Jeder Teil schließt mit einem Gedicht, das die jeweilige geschichtliche Zeitspanne in Versform festhält. Diese zehn Dichter*innen sind die lyrischen Solist*innen des Chores, sie singen die historischen Zwischenspiele. Geschichte lässt sich manchmal am besten von Dichter*innen festhalten – wie diese zehn Dichter*innen zeigen. Die ersten Verse stammen tatsächlich von den ursprünglichen zwanzig Menschen aus Ndongo.

John Rolfe, Virginias Hauptbeauftragter für Registrierung und bekannt als Ehemann von Pocahontas, stellte 1619 die Geburtsurkunde für das Schwarze Amerika aus. Er informierte Sir Edwin Sandys, Schatzmeister der Virginia Company of London, dass »ein holländisches Kriegsschiff … nichts als circa zwanzig Negroes mitgebracht« und gegen Nahrungsmittel eingetauscht hätte.

Nichts?

Das Leben war diesem Neugeborenen 1619 nicht garantiert. Freude war nicht garantiert. Frieden war nicht garantiert. Freiheit war nicht garantiert. Nur Sklaverei, Rassismus und der gewaltige Atlantik, der den Weg zurück nach Hause versperrte, schienen garantiert. Doch die Community begann zu singen, lange bevor jemand dieses alte Spiritual hörte:

We shall overcome,

we shall overcome someday.

Irgendwann werden wir es überwinden.

Es gibt kein treffenderes Wort als wir. Selbst, wenn es nicht auf Freiwilligkeit basiert – Schwarz zu sein in Amerika bedeutet, fast nie als Individuum behandelt zu werden. Das Individuum afrikanischer Herkunft wird nicht gesehen. Die sogenannte Black Race wird im Individuum gesehen. In der einen Frau werden alle Schwarzen Frauen gesehen. In dem einen Mann werden alle Schwarzen Männer gesehen.

Der Rassismus hat die Black Race – und alle Schwarzen Gruppen – konstruiert. Sie. Vierhundert Jahre lang hat der Rassismus das Schwarze Amerika konstruiert. Sie konstruiert, immer wieder. Doch die antirassistische Kraft in den Seelen Schwarzer Menschen hat das Schwarze Amerika die ganze Zeit über rekonstruiert, genauso wie wir uns in diesem Buch rekonstruieren. Wir haben uns immer wieder rekonstruiert. Aus ihnen wurden wir und wir verteidigten die Schwarze amerikanische Community, um alle Individuen in der Community zu verteidigen. Aus ihnen wurden wir, damit ich zu mir werden konnte.

Individuen afrikanischer Herkunft erkannten, dass sie erst frei sein würden, wenn das Schwarze Amerika frei war. Einzelne schlossen sich zu einer Community zusammen, um zu überwinden.

Und manches haben wir – die Community – tatsächlich überwunden. Die Community schaffte es, inmitten von Leid und Krieg für Momente der Freude und des Friedens zu sorgen. Die Community schaffte es, Kulturen, Subjekte und Objekte immer wieder neu zu erfinden. Die Community schaffte es, sich immer wieder zu befreien. Doch Irgendwann ist noch nicht da. Vierhundert Jahre später versucht die Community immer noch, zu überwinden.

Es gibt wahrscheinlich kein Wort, was Schwarze amerikanische Geschichte besser auf den Punkt bringt als Community. Seit der Ankunft der zwanzig Ndongo sind Individuen afrikanischer Herkunft zu einer Community gemacht geworden, mit allen Vor- und Nachteilen. Sie haben als Community fungiert, die Community verlassen und so vieles als Community durchlebt.

Ich weiß nicht, wie die Community überlebt hat – und manchmal gedeihen konnte – bei all dem, was ihr vierhundert Jahre lang genommen und vorenthalten wurde. Die Geschichte des Schwarzen Amerikas ist fast schon spirituell. Das Bestreben, den Tod zu überleben, der der Rassismus ist. Wie Geister haben sie den Tod überlebt. Eine seelenvolle Geschichte geschmiedet. Eine Geschichte voll von Seelen. Eine Seele für jedes Jahr der Geschichte.

Vierhundert Seelen.

Teil 1

1619–1624 Ankunft

NIKOLE HANNAH-JONES übersetzt von Eleonore Wiedenroth-Coulibaly

Vor vierhundert Jahren, im Jahre 1620, ging an der Ostküste des heutigen Nordamerika ein Frachtschiff vor Anker. Zuvor war es ganze sechsundsechzig grausam-mörderische Tage auf dem lebensbedrohlichen Atlantischen Ozean unterwegs gewesen. Die hundertzwei Passagiere an Bord dankten dem Universum, als sie nach über zwei Monaten endlich in der Ferne Land erblickten.

Diese Puritaner*innen waren aus England geflohen, auf der Suche nach religiöser Freiheit. All ihre Namen sind überliefert, so zum Beispiel James Chilton, Frances Cook und Mary Brewster. Heute noch berufen sich deren Nachfahren stolz auf diese Gruppe von Menschen, die in der für sie »Neuen Welt« vertraglich eine selbstbestimmte Führung begründeten (zumindest für sich, die europäisch-weiße Bevölkerung; die Indigene Bevölkerung hatte zuvor schon eine selbstbestimmte, eigenverantwortliche politische Führung).

Diese Puritaner*innen kamen auf der Mayflower (Maiblume), einem Gefährt, das »in der amerikanischen Geschichte als eines der wichtigsten Schiffe« betrachtet wird. Jeden Herbst erfreuen sich Grundschulkinder mit pfirsichrosafarbener hellbrauner oder kastanienbrauner Haut an den Geschichten über die mutigen Pilger*innen, indem sie mit selbst gebastelten schwarzen Kapitänshüten aus Papier selbst zu Passagieren der Mayflower werden. Unser Land hat rund um die Geschichte dieser Ankunft den nationalen Feiertag Thanksgiving geschaffen und sichert der Mayflower damit einen mythischen Platz im US-amerikanischen Narrativ.

Allerdings war ein Jahr vor der Mayflower, im Jahr 1619, ein anderes Segelschiff an eben derselben Ostküste vor Anker gegangen. Sein Name war White Lion (Weißer Löwe), und es sollte ebenfalls eines der bedeutendsten Schiffe in der Geschichte der USA werden. Jedoch gibt es kein Verzeichnis mit den Namen der Menschen an Bord und keine Nachfahrengesellschaft. Die Ankunft dieser Menschen wurde als so unbedeutend, ihr Menschsein als so gering erachtet, dass wir nicht einmal wissen, wie viele der Eingepferchten dem Rumpf der White Lion entstiegen und an Land gingen. Wir wissen nur, dass »etwa 20 oder mehr Negroes« an Land gingen und zu den britischen Kolonisten nach Virginia kamen. In seinem 1962 herausgegebenen bahnbrechenden Buch zur Geschichte der White Lion schreibt der Historiker und Sozialwissenschaftler Lerone Bennett Jr.: »Niemand ahnte, wie außergewöhnlich dieses Schiff tatsächlich war … [aber] vorher und nachher gab es kaum ein Schiff, das eine folgenreichere Fracht entlud.«

Diese »Fracht«, die zwanzig bis vielleicht dreißig Angolaner*innen, die direkt vom Deck der White Lion von britischen kriminellen Plünderern gegen Proviant und Vorräte eingetauscht wurden, war ebenso grundlegend für die US-amerikanische Geschichte. Während jedes Kind in den USA etwas über die Mayflower lernt, erfährt aber kaum eines etwas über die White Lion.

Dabei ist die Geschichte der White Lion uramerikanisch. Es ist die Geschichte des Grauens – und bietet alles, woran sich dieses Land lieber nicht erinnern mag –, den Makel einer Nation, die in erster Linie an ihre herausragende Einzigartigkeit glauben will.

Die ersten Männer und Frauen des Schwarzen Amerika kamen nicht hierher auf der Suche nach Freiheit oder einem besseren Leben. Gefangen und geraubt, auf ein Schiff verfrachtet und in Ketten gelegt, wälzten sie sich hungernd und leidend im Dreck. Etwa 40 Prozent der Angolaner*innen auf diesem gespenstigen Schiff überlebten die Überfahrt über den Atlantik nicht. Sie kamen an Bord nicht als Passagiere, sondern als Besitz. Sie wurden an weiße Kolonist*innen verkauft, die für sich selbst gerade ihre Demokratie schufen. Dies war der Beginn eines vierhundert Jahre langen Kampfes zwischen zwei entgegengesetzten Gründungsideen Amerikas.

Die White Lion wurde, wie Bennett es ausdrückte, in die »Hintergassen der amerikanischen Geschichte« verbannt. In den Schulen wird nicht alljährlich an diesen Moment im August 1619 erinnert. Die Kinder verkleiden sich nicht als Passagiere, führen keine Sketche auf. Es gibt keinen Feiertag zu Ehren dieses Schiffes. Die White Lion und die Menschen auf diesem Schiff sind aus unserem kollektiven Gedächtnis getilgt. Die Auslassung hat Methode: Im Schaffen einer gemeinsamen Geschichte ist das, an was wir uns erinnern, ebenso aufschlussreich wie das, was wir vergessen. Wenn die Ankunft der Mayflower für das Erscheinen der amerikanischen Freiheit steht, so markiert die Ankunft der White Lion die Anfänge der Sklavenhaltung in Amerika. Und obwohl die Schiffe im Abstand von nur einem Jahr ankamen, wurde das eine mit seinen Menschen unsterblich gemacht, das andere jedoch in der Erinnerung ausgelöscht. W.E.B. Du Bois nannte solches Auslöschen die Propaganda der Geschichtsschreibung. »Diese Art von Propaganda hat Menschen in der Vergangenheit dazu gebracht, Geschichte als ›Lügen‹ zu bezeichnen, ›auf die man sich geeinigt hatte‹; und die Gefahren solcher Fehlinformationen aufzuzeigen.« Nachzulesen in seiner maßgeblichen Abhandlung Black Reconstruction (1935). Du Bois führte aus, dass US-Amerika seine Geschichte gefälscht hatte, »weil die Nation sich schämte«. Er warnte aber auch: »Es ist stark zu bezweifeln, ob ein solches Vorgehen der Welt irgendeinen dauerhaften Gewinn bringt.«

Denn eines ist sicher: Wir können zwar die Erinnerung an die White Lion auslöschen, nicht aber ihre Wirkmacht. Diese beiden Schiffe, die White Lion und die Mayflower, befuhren die Weltmeere und verbanden beide die drei Kontinente, die das heutige Amerika entstehen ließen. Sie trugen die folgenschwersten und widersprüchlichsten Elemente in sich, die wir bis heute nicht überwunden haben.

Aufgrund dieser folgenschweren Widersprüche formulierte der Gründungsvater Thomas Jefferson, etwa 150 Jahre später, die majestätischen Worte der unveräußerlichen und allgemeinen Menschenrechte für ein neues Land, das ein Fünftel seiner Bevölkerung, im wörtlichen und übertragenen Sinne die Nachfahren der White Lion, in absoluter Unfreiheit hielt. Dieselben Widersprüche inspirierten Frederick Douglass – einen der Gründer der US-amerikanischen Demokratie – 1852 zu seinen flammenden Worten in Erinnerung an eine Amerikanische Revolution, die zwar weiße Menschen befreite, aber gleichzeitig ein weiteres Jahrhundert die Unterwerfung der Schwarzen Bevölkerung absicherte:

»Das ist es, was am 4. Juli gefeiert wird. Es ist die Geburt eurer nationalen Unabhängigkeit, eurer politischen Freiheit.

Was habe ich, was haben diejenigen, für die ich hier spreche, mit eurer nationalen Unabhängigkeit zu tun? Gelten die großartigen Prinzipien politischer Freiheit und natürlichen Rechtes in dieser Unabhängigkeitserklärung auch uns? Mitbürger*innen; über den Ausdruck eurer nationalen, aufgewühlten Freude höre ich das jammervolle Klagen von Millionen! Deren schmerzlich schwere Ketten von gestern werden heute noch unerträglicher durch euer Jubeln, das an ihre Ohren dringt. Falls ich dies jemals vergesse, falls ich mich an diese leidgeplagten und blutenden Kinder nicht mehr erinnere, ›möge meine rechte Hand abfallen und möge sich meine Zunge bis zum Gaumen hin spalten!‹ Sie zu vergessen, über das ihnen angetane Leid hinwegzusehen und in die populären Loblieder leichtfertig einzustimmen, wäre ein höchst skandalöser und scheußlicher Verrat und würde mich vor Gott und dieser Welt zum Schandmal werden lassen. Mitbürger*innen, mein Thema ist also die AMERIKANISCHESKLAVEREI. Ich werde diesen Tag und was ihn ausmacht mit den Augen der versklavten Menschen sehen. So wie ich hier stehe, verbunden mit den versklavten Menschen hier in Amerika, mache ich deren Unrecht zu meinem und ich zögere nicht, aus meiner tiefsten und ganzen Seele heraus zu erklären, dass Charakter und Gebaren dieser Nation mir niemals finsterer erschienen als an diesem 4. Juli. Ob wir uns den Erklärungen der Vergangenheit zuwenden oder den Bekundungen der Gegenwart, das Gebaren dieser Nation erscheint mir gleich grauenhaft und abscheulich. Amerika ist heuchlerisch angesichts seiner Vergangenheit, heuchlerisch angesichts der Gegenwart und ist entschlossen, auch in Zukunft heuchlerisch zu sein.«

Die Widersprüche zwischen diesen beiden gründungsstiftenden Ankünften der Mayflower und der White Lion sollten zum blutigsten Krieg in der US-amerikanischen Geschichte führen. Es ging darum, welcher Teil unserer Nation versklavt und welcher frei sein würde. Sie führten uns schließlich dahin, dass wir über ein Jahrhundert die Demokratie in andere Länder exportieren wollten und andernorts mit »Gebt mir eure Müden, eure Armen, eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren«[1] lockten, während wir den Nachfahren der auf Schiffen wie der White Lion unfreiwillig Angekommenen hier zu Hause brutalst demokratische Rechte verwehrten. Sie sollten uns zu den Wahlen – zunächst – eines ersten Schwarzen Präsidenten führen, direkt gefolgt von der Wahl eines weißen Nationalisten.

Das Auslöschen der Erinnerung an den August 1619 ist Teil eines jahrhundertelangen Bemühens, das Verbrechen zu verstecken. Wie Du Bois in The Souls of Black Folk[2] ausführt, wurden dabei gleichzeitig die Schwarzen Amerikaner*innen ihrer Herkunftslinie beraubt.

»Euer Land? Wie wurde es denn euer Land? Wir waren hier, noch ehe die europäischen Pilger*innen ankamen, … Wir webten uns ein – mit den Kett- und Schussfäden dieser Nation, wir führten ihre Kämpfe und Kriege, teilten ihre Sorgen, mischten unser Blut mit ihrem und jede unserer Generationen flehte dieses halsstarrige, geringschätzige Volk inbrünstig an, Recht, Barmherzigkeit und Wahrheit nicht zu missachten, damit diese Nation nicht mit einem Fluch bestraft würde. Unsere Lieder, unsere Mühen, unsere Freuden und unsere Warnrufe gaben wir dieser Nation in Blutsgeschwisterschaft. Sind diese Geschenke nicht wert, gegeben zu werden? Besteht nicht darin die Essenz von Arbeiten und Streben?

Wäre US-Amerika überhaupt Amerika ohne seine Schwarze Bevölkerung?«

Wir werden es nicht herausfinden. Das Schwarze Amerika ist – per Definition – ein Amalgam. Unsere Körper tragen afrikanische, Indigene und europäische Erbanlagen – wir sind das, was Amerika und Amerikaner*innen ausmacht. Wir sind der lebende Beweis der physischen, kulturellen und ideologischen Verschmelzung der Menschen, die hier – im Abstand von nur einem Jahr – mit Schiffen ankamen, und derjenigen, die bei deren Ankunft bereits hier waren. Egal, wie uns diese Geschichten vermittelt wurden, sie laufen nicht nebeneinander oder parallel zueinander, sondern sind von Beginn an unzertrennlich miteinander verflochten. Es ist schon lange nicht mehr angezeigt, eine dieser Geschichten einer anderen unterzuordnen. Wir müssen uns sowohl der White Lion als auch der Mayflower erinnern und der Powhatan[3] ebenso wie der Engländer*innen in Jamestown. Du Bois findet hierzu deutliche Worte: »Nationen taumeln und torkeln auf ihrem Weg; sie machen grauenhafte Fehler; sie begehen schreckliches Unrecht; sie bringen Großartiges und Schönes hervor. Und wäre es nicht zum Besten der Menschheit und ihrer Entwicklung, wenn wir hierüber die Wahrheit aussprächen, soweit die Wahrheit auszumachen ist?«

Die wahre Geschichte Amerikas beginnt hier, im Jahr 1619. Dies ist unsere Geschichte. Lasst uns nicht davor zurückschrecken.

1624–1629 Afrika

MOLEFI KETE ASANTE übersetzt von Felix Mayer

Niemand weiß, wann genau die ersten Menschen aus Afrika nach Nordamerika gelangten. Möglicherweise geschah das schon viele Jahrhunderte früher, als die ersten Aufzeichnungen es nahelegen. Gesichert ist, dass im Jahr 1526 Afrikaner*innen unter Lucas Vázquez de Ayllón in der Gegend des heutigen South Carolina ankamen. 1565 fand laut Berichten in Spanisch-Florida eine Heirat zwischen Luisa de Abrego, einer freien afrikanischen Frau, und Miguel Rodríguez statt, einem Eroberer aus Segovia. Diese Heirat ist die erste bekannte christliche Eheschließung auf dem Kontinentalgebiet der heutigen Vereinigten Staaten. Irgendwann erhoben sich die Afrikaner*innen in Spanisch-Florida gegen die Kolonisten und fanden Zuflucht bei den indigenen Amerikaner*innen. Jene, die nicht in die Wälder flohen, gelangten schließlich nach Haiti.

Als 1607 in Virginia die Siedlung Jamestown gegründet wurde – die erste britische Kolonie auf nordamerikanischem Boden –, lebten schon seit über hundert Jahren Afrikaner*innen in der Karibik. 1619 trafen Afrikaner*innen an der Landspitze Point Comfort vor Jamestown ein. Bereits 1624 bildete sich in Nordamerika allmählich ein Geflecht aus verschiedensten Ethnien. Angehörige der Yoruba, der Wolof und der Mandinka waren aus ihrer Heimat an der afrikanischen Westküste verschleppt und nach Amerika gebracht worden. Diese Mischung unterschiedlicher Kulturen ist der Kern des afrikanischen Erbes, das ein wesentlicher Bestandteil der britischen Kolonien auf nordamerikanischem Boden war.

Zur selben Zeit kämpften Afrikaner*innen in ihrer Heimat gegen die politische Zerstückelung, die durch die europäischen Mächte drohte – unter ihnen England, Portugal, Spanien, die Niederlande und Frankreich –, welche die Menschen und die Ressourcen des afrikanischen Kontinents mit einem unablässigen Trommelfeuer aus Mord, Raub und Brutalität überzogen. 1626 räumte an der Ostküste Afrikas der äthiopische Kaiser Sissinios gegenüber dem Patriarchen Afonso Mendes das Primat des Heiligen Stuhles vor der Orthodoxen Tewahedo-Kirche von Äthiopien ein, woraufhin der Vatikan die Kirche von Äthiopien kurzerhand in Katholische Kirche Äthiopiens umbenannte; diese Vereinbarung war jedoch nicht von Dauer, da die äthiopische Seite später ihre Autonomie zurückgewann.

Im Zuge anderer Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent traf im Jahr 1622 Muchino a Muhatu Nzingha von den Königreichen Ndongo und Matamba der Ethnie der Mbundu mit dem portugiesischen Gouverneur zusammen. 1624 standen die Zeichen auf Krieg. João Correia de Sousa, der portugiesische Gouverneur, bot Königin Nzingha bei den Verhandlungen anstatt eines Stuhles eine auf dem Boden liegende Matte an – bei den Mbundu war das die Art, wie man Untergebene behandelte. Nzingha weigerte sich, diese Erniedrigung hinzunehmen, befahl einer ihrer Dienerinnen, sich auf den Boden zu kauern, und saß während der Verhandlungen auf deren Rücken. 1622 stimmte sie zu, zum katholischen Glauben überzutreten, doch 1626 erkannte sie, dass sie in ihrem Kampf gegen die portugiesischen Sklavenhändler einen Fehler begangen hatte. Nicht nur die Portugiesen schrieben den Afrikaner*innen zahllose negative Eigenschaften zu; auch die englischen Puritaner, die Ende der 1620er-Jahre in Massachusetts landeten, begegneten ihnen mit derselben abscheulichen Haltung. Sie waren der Ansicht, Afrikaner*innen seien teufelsgleiche Wesen und pflegten eine Religion des Bösen und des Aberglaubens.

In Westafrika verloren die Überreste der Königreiche von Ghana, Mali und Songhai ihre Bevölkerung an europäische Kaufleute, die immer tiefer in den Kontinent vordrangen und mehr und mehr Afrikaner*innen verschleppten; weder zuvor noch danach in der Geschichte wurde eine so große Gruppe von Menschen von anderen Menschen zur Umsiedlung gezwungen. Die Mandinka, die Fulbe, die Wolof, die Yoruba, die Hausa und zahlreiche andere Ethnien wurden auf der einen Seite des Ozeans entwurzelt und auf der anderen Seite wieder eingepflanzt.

Da ja nicht afrikanischeSklav*innen nach Amerika gebracht wurden, sondern Afrikaner*innen, die versklavt worden waren, kann man davon ausgehen, dass unter den Menschen, die in den 1620er-Jahren nach Amerika gelangten, dieselbe stattliche Bandbreite an Persönlichkeiten und Charakteren zu finden war wie in jeder anderen Gruppe. Aus dem Gemenge, das sich unter der Vorherrschaft der Europäer entwickelte, bildeten sich verschiedene klar definierte Typen heraus: der Chronist, der Deuter, der Tätige, der Fürsprecher, der Erhalter, der Gedenkenbewahrer.

Alle diese Archetypen waren in den Kulturen Afrikas verwurzelt und schon lange vor dem Jahr 1624 entstanden. Der Chronist (der bei den Wolof und den Mandinka djeli hieß und für den die Serer, Aschanti, Yoruba und Bakongo andere Bezeichnungen hatten) war derjenige, der alles hörte, alles sah und die Geheimnisse aller Menschen kannte, sodass er oder sie später an wiederkehrende Muster der Vergangenheit erinnern konnte. Der Deuter war ein Prophet, der versuchte, das Althergebrachte und das Neue zu verstehen, sodass die afrikanische Bevölkerung durch die Integration afrikanischer Motive, Symbole und Werte in die noch zersplitterte neue Lebenswelt Halt fand. Der Typus des Tätigen entstand in den 1620er-Jahren und war der Afrikaner, der Ackerbau betrieb, Wälder rodete und sich mit den Schwierigkeiten auseinandersetzte, die das Leben in einer von Europäern geschaffenen Welt mit sich brachte; von Europäern, die fortwährend die Würde afrikanischer Menschen und das Erbe der indigenen Amerikaner*innen angriffen. Aufgabe des Fürsprechers war es, die Kulturen und die Werte Afrikas in die im Entstehen begriffene amerikanische Gesellschaft einzubringen. Dazu gehörte auch, das Handeln der Amerikaner in der Frühzeit der Kolonisierung klar zu benennen und für eine Gestaltung des Gemeinwesens einzutreten, die die Rechte von Afrikaner*innen sicherte. Der Erhalter propagierte eine deutliche Vorstellung von der Gesellschaft, damit das Gemeinwesen den Zusammenhalt nicht verlor, in Harmonie fortbestand und für alle Eventualitäten gerüstet war. Dem Gedenkenbewahrer kam in der afrikanischen Gemeinschaft eine spirituelle Rolle zu; er hielt die Afrikaner*innen in den Kolonien dazu an, ein Auge für Ereignisse zu haben, die Gemeinschaft stifteten, und sie im Gedächtnis zu bewahren. Häufig entwickelten diese Personen eine Spiritualität, die eng mit ihren afrikanischen Wurzeln verbunden war.

In der Frühzeit der afrikanischen Sozialisierung auf dem amerikanischen Kontinent wurden diese Rollen sowohl von Männern als auch von Frauen übernommen. Diese Figuren wurden zu Archetypen, durch die die afrikanische Community über Generationen hinweg ihre eigene Geschichte erzählte, sich dabei ihres heldenhaften Wesens vergewisserte und ihrem epochalen Freiheitskampf gegenüber jenem anderer Völker Konturen verlieh.

1629–1634 Ausgepeitscht wegen Beischlafs mit einer Schwarzen Frau

IJEOMA OLUO übersetzt von Andrea Kunstmann

Meine Mutter ist weiß, und ich bin Schwarz. Sie ist meine biologische Mutter, mein genetisches Erbe stammt zur Hälfte von ihr. Meine Haut hat nicht das kräftige Dunkelbraun meines Vaters, sondern, aufgehellt durch den Anteil meiner Mutter, nur den Farbton intensiver Sonnenbräune. Ich habe die Augen meiner Mutter, ihr Gesicht – und doch wird sie immer weiß und ich werde immer Schwarz sein. Wenn jemand nach meiner Hautfarbe oder meiner nicht eindeutigen Herkunft fragt, antworte ich: »Ich bin halb Nigerianerin.« Oder: »Meine Mutter ist weiß.« Ich aber bin nicht weiß – ich bin noch nicht einmal zur Hälfte weiß. Meine Mutter ist weiß. Ich bin Schwarz.

Meine Mutter ist weiß, und ich bin Schwarz, weil 1630 ein Kolonialgericht Hugh Davis dafür auspeitschen ließ, dass er als weißer Mann mit einer Schwarzen Frau geschlafen hatte. Seine Strafe erhielt er in Virginia vor den Augen eines Publikums aus Schwarzen und weißen Menschen, um allen vor Augen zu führen, welche Strafe auf den »Missbrauch seiner selbst zur Entehrung Gottes und Schande der Christenheit durch die Besudelung seines Leibs beim Beischlaf mit einer Negro-Frau«[4] stand.

Schon bevor Hugh Davis ausgepeitscht wurde, gab es antischwarzen Rassismus in den Kolonien. In einer Zeit, in der bestenfalls rund hundert Afrikaner*innen in Virginia lebten, wurden Ressentiments gegenüber Schwarzen vor allem religiös begründet: Weiße bezeichneten sich selbst als Christen und die Afrikaner*innen als Heiden.[5]

Schwarzenfeindlicher Rassismus kam nicht bereits voll ausgeprägt in der Neuen Welt an. Schritt für Schritt rechtfertigten und verstärkten sich antischwarzer Rassismus und die Sklaverei gegenseitig, breiteten sich immer weiter aus und sorgten so für ein flächendeckendes Netz systemischer Ungleichheit, der das Leben von Schwarzen und weißen Amerikaner*innen bis heute bestimmt.

Mit der Auspeitschung von Hugh Davis wurde allerdings ein zentraler Aspekt des »Rasse«-Konzepts in der Gesetzgebung verankert: die Exklusivität des Weiß-Seins.

Davis wurde nicht ausgepeitscht, weil er die Ehre einer Schwarzen Frau besudelt hatte. Es gibt keinerlei Belege dafür, dass die betroffene Frau dafür bestraft wurde, sich durch das Weiße besudelt zu haben. Davis wurde bestraft, weil er das Weiß-Sein in den Schmutz gezogen hatte – sein eigenes und das seiner Gemeinschaft. Hier handelt es sich um den ersten dokumentierten derartigen Fall in den Vereinigten Staaten, und er begründete die Vorstellung, Weiß könne durch sexuellen Kontakt mit Schwarz beschmutzt werden, weswegen die »Reinheit« des Weiß-Seins gesetzlich geschützt werden müsse.

Ich erinnere mich, wie meine Mutter mich vor einigen Jahren fragte, warum ich mich nicht als half-white bezeichne. Ich erklärte ihr: »Teil-weiß kann man nicht sein.«

Weiß-Sein ist ein Podest, von dem man nur herabstürzen kann.

Dass Weiß-Sein nur in reiner Form möglich ist, wurde mir mein ganzes Leben lang immer wieder bestätigt. Zu meinen frühesten Kindheitserinnerungen gehören die Fragen anderer Kinder, ob ich adoptiert sei. Wenn ich mit Nein antwortete, ich sei nicht adoptiert, die Frau mit der weißen Haut, die sie mit mir zusammen sahen, sei meine Mutter, starrten sie mich weiter verwirrt an, nicht in der Lage sich vorzustellen, wie ich entstanden sein könnte. Als ich älter wurde, haben Lehrer*innen, Chef*innen und Polizeibeamt*innen in mir immer nur das Schwarze gesehen. Leute, die meiner Mutter begegneten, betrachteten sie voller Mitleid. In ihren Köpfen formte sich die Geschichte einer gefallenen weißen Frau – vom Schwarz verführt und dann sitzengelassen mit zwei Schwarzen Kindern, die sie bis an ihr Lebensende an ihren tiefen Fall erinnern würden.

Für viele war meine Mutter die wiederauferstandene Angst der kolonialen Bürger*innen Virginias, die Hugh Davis’ Auspeitschung angeordnet hatten: eine auf immer befleckte Reinheit, ein ruinierter Stammbaum. Indem man Weiß zur »Rasse« der Reinheit stilisierte, konnte es nicht mehr vermischt, sondern nur in etwas anderes verwandelt werden – und damit war es vom Weiß-Sein ausgeschlossen. Die Vorstellung, eine ethnische Mischung würde Weiß nicht etwa vermehren oder modifizieren, sondern vernichten, war ein zentraler Beweggrund für viele rassistische Gesetze und Einstellungen.

An der Auspeitschung von Hugh Davis lässt sich erkennen, dass es bei der ersten Separation von Schwarz und Weiß in den nordamerikanischen Kolonien nicht um rassistische Bevorzugung, sondern um einen weißen Überlebenskampf ging. Diese Angst würde zu weit schlimmerer Gewalt als dem Auspeitschen eines weißen Mannes wegen Beischlafs mit einer Schwarzen Frau führen. Kurz nachdem der Schutz des Weiß-Seins vor Kontaminierung gesetzlich festgeschrieben worden war, wurde die Verantwortung dafür von den weißen Beteiligten auf die Schwarzen Menschen übertragen, die das Weiß zu besudeln wagten. Als 1640 wieder ein weißer Mann in Virginia vor Gericht stand, weil er eine Schwarze Frau geschwängert hatte, war sie es, die ausgepeitscht wurde, während man ihn zu Gottesdienst verurteilte.[6]

Mit Beginn des 19. Jahrhunderts rechtfertigten diese Ängste und die Wut über die mögliche Vernichtung des Weißen die Segregation in Städten und Gemeinden, am Arbeitsplatz und in den Schulen, was wiederum Schwarze Amerikaner*innen zu minderwertigen Wohn-, Arbeits- und Bildungsbedingungen verdammte. Angst rechtfertigte die Verhaftung, Züchtigung und das Lynchen Schwarzer Amerikaner*innen. Die Angst vor ethnischer Auslöschung, die in den Warnungen weißer Hassgruppen vor einem »Genozid an den Weißen« mitschwingt, begründet noch heute Gewalt gegen Schwarze Amerikaner*innen.

Die Idee weißer Reinheit diente nicht nur vierhundert Jahre lang einer extrem engen Definition des Weiß-Seins, sie sorgte auch dafür, dass Schwarz-Sein in keiner wie immer gearteten Weise sozial, politisch oder finanziell von der Nähe zum Weiß-Sein profitieren konnte. Da die Kinder eines weißen Elternteils nicht weiß sein durften, wenn der andere Elternteil Schwarz war, wurden sie von allen Chancen abgeschnitten, die weißen Menschen offenstanden, genau wie deren Kinder und Kindeskinder in den nachfolgenden Generationen. Auch wenn sich Schwarz-Sein nicht immer an der Hautfarbe ablesen lässt, so doch an den Arbeitslosen- und Armutsstatistiken, der Häufigkeit von Schulverweisen und Haftstrafen und an der Lebenserwartung.

Und deshalb bin ich heute Schwarz, und meine Mutter ist weiß. Ich bin Schwarz, weil ich keine andere Wahl habe, aber auch, weil ich mich für das Schwarz-Sein entschieden habe. Wenn ich in den Augen eines Polizisten, der mich kontrolliert, oder denen einer Vorgesetzten, die meine Leistungen beurteilt, ohnehin immer Schwarz sein werde, dann möchte ich es auch im Kreis meiner Familie und Freund*innen sein. Wenn ich in den Spiegel sehe, möchte ich Schwarz sehen.

Mir wurde vorgeworfen, mir mein Selbstbild von den »Rasse«-Konzepten der White Supremacists diktieren zu lassen. Man versichert mir, dass ich hier und heute – über fünfzig Jahre nachdem die Anti-miscegenation laws (Gesetze, die Beziehungen zwischen Menschen verschiedener »Rassen« verboten) für verfassungswidrig erklärt wurden – die Freiheit hätte, das Weiß-Sein meiner Mutter auch für mich zu reklamieren.

Immer, wenn ich zu hören bekam, mein Haar sei zu kraus, war es mein Schwarzes Haar, das schlechtgemacht wurde. Immer wenn mir erklärt wurde, meine Nase sei zu breit, war es meine Schwarze Nase, die diese Ablehnung erfuhr. Immer, wenn man Affe oder Gorilla zu mir sagte, war es mein Schwarz-Sein, über das hergezogen wurde. Immer, wenn ich als laut oder wild bezeichnet wurde, war es Ausdruck der Angst vor meinem Schwarz-Sein.

Und es ist mein Schwarz-Sein, das sich wehrte. Mein Schwarz-Sein, das überlebt hat. Die große Mehrheit Schwarzer Amerikaner*innen trägt weißes Erbgut in sich – häufig aufgrund der Vergewaltigung ihrer Schwarzen Vorfahrinnen durch weiße Sklavenhalter. Doch obwohl uns die Privilegien des Weiß-Seins vorenthalten wurden, hat unser Schwarz-Sein sich behauptet. Darauf bin ich sehr stolz.

Ich liebe meine Mutter. Wenn ich in den Spiegel sehe, blicke ich in ihr Gesicht. Doch Weiß-Sein als politisches und soziales Konstrukt existiert aufgrund der schieren Angst vor meiner Existenz und dient bis heute meiner Unterdrückung und Ausbeutung.

Bevor die systemischen Funktionen des Weiß-Seins, die mit der Auspeitschung von Hugh Davis begannen, nicht beseitigt sind, will ich für mich nicht in Anspruch nehmen, weiß zu sein. Und solange mein Überleben an meine Fähigkeit geknüpft ist, der Unterdrückung durch die weiße Übermacht zu widerstehen, werde ich einen Teufel tun und mich vom Weiß-Sein vereinnahmen lassen.

1634–1639 Tabak

DAMARIS B. HILL übersetzt von Eleonore Wiedenroth-Coulibaly

Ehe Rolfe Pflanzer wurde, fabulierte er Go-Go vor, dass Stalagmiten Diamanten wären. Er hatte nie wirklich einen Diamanten gesehen, aber das konnte er nicht zugeben.

Diamanten wurden von Reisenden in den Kolonien immer wieder erlogen, so wie das Gold auf den Straßen und das Mitleid von Missionaren. Das einzig Wirkliche in seinem Leben war ein afrikanisches Mädchen, das er in Bermuda auflas; die eine von den Zwillingen, die nicht schon auf hoher See, vor der gesetzlichen Küste des Landstrichs, der damals Virginola genannt wurde, gegen spanische Tabaksamen eingetauscht worden war. Dieses Mädchen also wurde nach Jamestown geschleppt und erschien in den Augen einer jungen Indigenen Prinzessin namens Pocahontas[7] wie eine wundersame Erscheinung. Die dunkle Haut dieses Mädchens, mit dem Hauch von Indigo war unter all den blassen Siedlern, die der jungen Prinzessin unter die Augen kamen, ein absolutes Wunder.

Und nun liebte Rolfe dieses Mädchen. Er zeigte ihr, wie sie in jedem Tabakblatt die Rippe, und zwischen den Pflanzreihen kriechend die Schädlinge finden konnte. Seit die versklavte Afrikanerin und Tabak in Jamestown aufgetaucht waren, fanden auch andere englische Siedler Wege, Lebensmittel einzutauschen und jeweils nach dem letzten Frost Tabak zu pflanzen. Pocahontas war jung und überzeugt, dass dieses Mädchen eine Jogahoh[8] war, eine mythische Gestalt, vertraut mit den Geheimnissen des Erdinneren. Sie wurde beim Namen Go-Go gerufen. Welche Kraft lag in Rolfe, dass er sich dieses magische Wesen gefügig machen konnte?

Es gab niemanden mehr, der den Chronisten über Go-Gos Schwester hätte erzählen können, diejenige, die er gegen die besten, von spanischen Konquistadoren geschmuggelten Tabaksamen eintauschte. Schnell beruhigte er sein schlechtes Gewissen darüber, dass er die Zwillingsschwester den Spaniern überlassen hatte, die zurück nach Portugal fuhren; sie waren ja auf dem Weg zu ihren Ehefrauen. Warum sollte er sich um das Mädchen Gedanken machen? Wo in der Neuen Welt gab es überhaupt die Zeit für Kümmernisse? Die Sorge um einen verlorenen Zwilling? Wo gab es den Raum, sich an all diese Menschen zu erinnern?

August 1635. Rolfe ist schon lange tot, und das Indigo-Mädchen Go-Go ist eine alte Frau, die seit Generationen in den Sümpfen von Virginia lebt und arbeitet, während Engländer*innen auf bezahlten Überfahrten in die Amerikas segeln, weil sie auf ein besseres Leben als in London hoffen. In Londons Elendsvierteln war Armut ihre Amme, dies galt vor allem für die Frauen. Bei den Überfahrten kam auf drei Männer eine Frau, jedoch fand keine auf der Reise ihr Glück. Kein Mann hatte auch nur einen Penny übrig. Nach mehreren Wochen auf See, als die Vorräte schwanden, achteten nur noch wenige Männer englisches Recht und scherten sich auch nicht darum, dass einem feinen Pinkel, der seine reiche Frau vergewaltigt hatte, schon mal als Strafe dafür der Kopf abgeschlagen worden war. Die Männer hatten keine Lust mehr, es miteinander zu treiben und begannen über Vergewaltigung der Frauen nachzudenken. Und das war nicht die einzige Gewalt, die diesen Engländerinnen widerfuhr. Ihre Körper erfuhren, dass eine Schlange nur dann gefährlich wird, wenn sie unter deinen Füßen ist und dass ein Blutegel Halt bieten kann. Sie begriffen, dass beide dich selbst bei niedrigem Wasserstand ertränken konnten und dass saftige Tabakblätter keinen Schatten spendeten. Sie lernten grenzenlose Arbeit kennen.

Vor und nach 1636 kamen Schiffe aus Angola und der Karibik mit Afrikaner*innen an Bord, die Leben in die vom Tod gegeißelten Kolonien brachten. Bei ihrer Ankunft erzählen ihnen die Indigenen und die in Vertragsknechtschaft befindlichen Weißen, wenn sie überhaupt mit ihnen reden, über die ersten zehn Siedler, von denen im ersten Jahr nur zwei überlebten. Dann erzählen sie von den englischen Horden, die sich wie Wildwuchs im Wald verbreiten, und von davonlaufenden Frauen. Und dann erzählen sie, dass alles anders wurde, als Rolfe mit den Samen und dem Indigo-Mädchen auftauchte, der Jogahoh, die nie krank wurde und die nun die Frau namens Go-Go ist. Und dann zählen sie laut vor, wie viele Kinder und Enkelkinder die Jogahoh hat. Und sie erzählen dir, woran du sie erkennst. An ihren Händen und ihrer Haut mit einem überweltlich-göttlichen Blauschimmer. Die Indigenen erzählen den Afrikaner*innen, dass es Go-Go war, die den Tabak aus der Erde sprießen ließ. Sie erzählen ihnen auch, dass die Engländer logen, sobald sie ihren Fuß auf den Boden gesetzt hatten und dass ihre letzte Lüge besagt: »Nur Afrikaner*innen können den spanischen Tabak am Leben erhalten.« Die Lüge besteht darin, dass nur die Afrikaner*innen die Tabakstängel ganz unten beschneiden und die Strapazen überleben können.

Die Wahrheit ist, dass König Charles I. einfach nie genug Steuern bekommen kann. 1639 unterteilt er Virginia in Landkreise und in jedem Landkreis lässt er die Köpfe zählen, um einschätzen zu können, was die Menschen dem König schulden, für seine Armeen. In eben diesem Jahr schreit Go-Go den sakralen Namen ihrer Schwester hinaus, während sie mitansieht, wie ihre blassäugige Enkelin auf die andere Seite des Flusses verkauft wird, damit die Tabaksteuer bezahlt werden kann.

1639–1644 Die Arbeit Schwarzer Frauen

BRENDA E. STEVENSON übersetzt von Andrea Kunstmann

Die Versklavung in Nord- und Südamerika brachte vielfältiges Leid und Elend über Individuen, Familien, Gemeinschaften und Kulturen von Millionen Afrikaner*innen. Die durch das unmenschliche System des transatlantischen Sklavenhandels ins britische Nordamerika verschleppten Menschen waren den Brutalitäten wehrlos ausgesetzt. Man war bestrebt, die Gefangenen ihrer Menschenwürde, ihres Selbstwertgefühls und ihrer traditionellen Rollen in ihren indigenen Kulturen und Gemeinschaften zu berauben, und dabei waren permanente Angriffe auf ihre Geschlechtsidentität zentraler Bestandteil der Gewalt.

Einer der ersten Versuche, diese Praktiken in Gesetze zu gießen, ist ein im März 1643 gefasster Beschluss der General Assembly, der Generalversammlung Virginias. Er enthielt folgende Maßnahme:

»Hiermit sei verordnet und beschlossen, dass vier Pfund Tabak … und ein Scheffel Mais … den Pastoren in den jeweiligen Pfarreien der Kolonie gezahlt werden für alle zehntpflichtigen Personen, das heißt ebenso für alle Jünglinge von sechzehn Jahren [aufwärts?] sowie alle Negro-Frauen im Alter von sechzehn Jahren.«

Diese wenigen Zeilen machten eine Schwarze Frau ab dem sechzehnten Lebensjahr zehntpflichtig, das heißt, die Kirche erhob Steuern auf sie – im Gegensatz zu weißen oder indigenen Frauen.[9] Damit setzte Virginias erste Regierung afrikanische Frauen gesetzlich auf eine Stufe mit Männern und negierte ihren Anspruch auf eine den anderen Frauen der Gesellschaft gleichwertige Weiblichkeit. Die weiße männliche Elite tat das mittels der bedeutendsten öffentlichen Institution der britischen Kolonie, ihrem gewählten Kontrollorgan. Sie rechtfertigte die Besteuerung Schwarzer Frauen als notwendigen Beitrag zur finanziellen Unterstützung der wichtigsten soziokulturellen Institution der Kolonie, der Kirche von England.

Dies hatte unmittelbar Einfluss auf das Leben afrikanischer Frauen in der Kolonie, egal, ob sie arbeitsverpflichtet (indentured), versklavt oder frei waren. Sklavenhalter gaben den finanziellen Druck der Steuerpflicht für die von ihnen versklavten Schwarzen Frauen an diese weiter. Die gesetzlich festgeschriebene Unterscheidung zwischen den körperlichen und charakterlichen Eigenschaften Schwarzer und anderer Frauen der Kolonialgesellschaft wirkte sich auf den Arbeitsumfang der afrikanischen Frauen ebenso aus wie auf die Strafen, die man ihnen auferlegte, wenn sie die Anforderungen nicht erfüllten. Die stärkere Arbeitsbelastung schadete wiederum ihrer Gesundheit, sie konnten bei Schwangerschaft kaum Fürsorge erwarten und hatten weniger Zeit, sich um betreuungsbedürftige Familienmitglieder zu kümmern. Alleinstehende freie Schwarze Frauen hatten große Mühe, ihre Steuern zu bezahlen, was die Wahrscheinlichkeit, zu verarmen und in Abhängigkeit zu geraten, erhöhte. Auch erschienen sie in den Augen freier Schwarzer Männer als potenzielle Ehefrauen weniger attraktiv, da keiner die zusätzliche finanzielle Belastung auf sich nehmen wollte. Das Othering Schwarzer Frauen in der amerikanischen Kolonialgesellschaft war der Grundpfeiler des Angriffs auf Schwarze Weiblichkeit, Männlichkeit, die Schwarze Familie und die soziokulturellen Rollen Schwarzer Erwachsener.

Aus dieser anfänglichen Maßnahme und vielen anderen, die im 17. Jahrhundert rasch in Gesetze verwandelt oder gewohnheitsmäßig praktiziert wurden, entstand ein Bild Schwarzen Frauseins, das sowohl afrikanischen als auch europäischen Zuschreibungen von Weiblichkeit widersprach. Dieses Frausein war synonym mit ökonomischer Produktivität statt Mutterschaft, körperlicher Robustheit statt weiblicher Verletzlichkeit sowie Promiskuität statt Zurückhaltung und ausgeprägtem moralischem Empfinden. Eine derartige Verzerrung der physischen, emotionalen, kulturellen, geschlechtlichen und spirituellen Identität Schwarzer Frauen führte dazu, dass sie öffentlich als Arbeitstiere, Huren und die Männlichkeit bedrohende Matriarchinnen wahrgenommen wurden. Bis heute liefert diese historische Entstellung eine gängige Rechtfertigung, um uns unsere Kinder wegzunehmen, uns physisch, politisch und sexuell auszubeuten und uns auf breiter Front zu kriminalisieren.

Das Timing der Verordnung von 1643 war weder Zufall noch Nebensache. Sie wurde erlassen, als klar war, dass die Kolonie Bestand haben würde und mit ausreichend Arbeitskräften auch profitabel sein könnte. Im dritten Jahrzehnt der britischen Präsenz waren afrikanische Arbeiterinnen bereits fester Bestandteil der Erfolgsformel für die koloniale Besiedelung. Die 1620 in der frischgebackenen britischen Kolonie durchgeführte Zählung ergab fünfzehn dieser Arbeiterinnen, die vermutlich alle 1619 mit der White Lion und der Treasurer eingetroffen waren. Während eine erhebliche Zahl Schwarzer weiblicher Arbeitskräfte in den Englischen Powhatan-Kriegen im Jahr 1622 oder bei anderen militärischen Auseinandersetzungen ums Leben kamen, ebenso wie durch Krankheiten, Unterkühlung, Unterernährung, Gewalttaten, schlechte medizinische Versorgung und Unfälle, wurden ständig weitere Frauen nach Amerika verschleppt. Auch wenn für das Jahr 1640 keine Bevölkerungsstatistiken mehr auffindbar sind, war Virginia zehn Jahre später die Heimat von dreihundert Afrikaner*innen, darunter viele Arbeiterinnen.[10]

Die Fähigkeiten der ersten Ankömmlinge prädestinierten sie für die einträgliche Arbeit mit Nutzpflanzen und -tieren. Bei den ersten Gefangenen im britischen Nordamerika, die beispielsweise aus Angola stammten, handelte es sich in vielen Fällen um erfahrene Bäuerinnen und Bauern In ihren ursprünglichen Gemeinschaften hatten sie seit Generationen verschiedenste Nahrungsmittel angebaut, darunter Getreide und Gräser wie Hirse und Sorghum, aber auch Bananen, Kochbananen, Bohnen, Erdnüsse, Ananas, Reis, Pfeffer, Yams, Süßkartoffeln, Zuckerrohr, Ölpalmen und Zitrusfrüchte. Sie setzten zur Gewinnung von Anbauflächen Methoden wie die Brandrodung ein, außerdem Arbeitsgeräte wie Hacken zur Bodenvorbereitung und zum Unkrautjäten. Sie hatten die Fruchtfolge praktiziert[11] und Rinder, Ziegen, Hühner, Schafe, Schweine und andere Tiere zu Nahrungszwecken gehalten, geschlachtet, verarbeitet und gehandelt.[12]

Im Gegensatz zu ihren Erfahrungen in Virginia und anderen britischen Siedlerkolonien im frühen 17. Jahrhundert gab es in ihrer west- und zentralafrikanischen Heimat eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. In den Gruppen, die Landwirtschaft betrieben, rodeten die Männer den Busch und bauten Nutzbäume an (beispielsweise Wein und Ölpalmen), die sie zu Medikamenten und Skulpturen verarbeiteten. Frauen pflanzten, pflegten und ernteten andere Nutzpflanzen. Die Männer waren für Hausbau, Textilien, Holz- und Eisenbearbeitung sowie den Handel über weite Strecken und die Jagd zuständig. Frauen kochten, betreuten die Kinder und übernahmen andere hauswirtschaftliche Aufgaben. In Küstengebieten tauchten Frauen auch nach Meeresfrüchten für den Verkauf und kochten Meerwasser zur Gewinnung von Salz, eine weitere begehrte Handelsware.[13]

Es dauerte nicht lange, bis man ihre Fähigkeiten im Haushalt und bei Ackerbau und Viehzucht bemerkte, was Mitte des 17. Jahrhunderts einen Gouverneur Virginias zu dem Hinweis veranlasste, der Anbau von Nutzpflanzen erfolge »nach Vorgabe unserer Negroes«[14].

Die Siedler*innen jedoch verlangten, dass Schwarze Frauen dieselben Tätigkeiten übernahmen wie Schwarze Männer. Sie hatten ebenso wie arbeitspflichtige Schwarze und weiße Männer das waldreiche Siedlungsgebiet ihrer Besitzer*innen zu roden, Holz zu schleppen sowie Hütten, Scheunen und Zäune zu bauen. Archäologische Funde aus dem 17. Jahrhundert in Chesapeake dokumentieren schwere Schäden an den Oberkörperskeletten junger Schwarzer Frauen, verursacht vermutlich von schweren Holzlasten auf Kopf und Schultern.[15] Sie pflanzten, pflegten, jäteten und ernteten Mais und andere Pflanzen, zusätzlich zum Tabak, der einträglichsten Nutzpflanze jener Zeit und zugleich im Anbau besonders arbeitsintensiv. Bereits fünf Jahre nach der Ankunft der ersten Gefangenen prahlte ein Pflanzer damit, seine Schwarzen und weißen Arbeiter*innen produzierten Tabak im Wert von 10 000 englischen Pfund.[16]

Wenn die Afrikanerinnen nicht unter der Aufsicht von Männern draußen arbeiteten, mussten sie ihren Herrinnen zu Diensten sein. Die ihnen übertragenen häuslichen Pflichten umfassten Gartenarbeit, die Versorgung von Nutztieren, Kochen, das Schlachten, Einsalzen und Konservieren von Fleisch, die Seifen- und Kerzenherstellung, Putzen, Waschen, Nähen, Kardieren, Spinnen, Weben, das Baden, Ankleiden und Frisieren ihrer Herrinnen sowie die Betreuung von Kindern – die ihrer Besitzer*innen und ihrer eigenen. Viele mussten auch Sexarbeit leisten.

In den 1640er-Jahren bestimmte harte Arbeit das Leben Schwarzer Frauen, und ihre Abgrenzung von anderen Frauen wurde mit dem Gesetz von 1643 festgeschrieben. Es hatte für Afrikanerinnen und von ihnen abstammende Frauen eine ganze Reihe unmenschlicher Folgen, die ihnen ihre Weiblichkeit raubten. Seine Inkraftsetzung durch die Generalversammlung und die Kirche von England, die beiden entscheidenden Machtfaktoren der ersten dauerhaften Kolonie im britischen Nordamerika, erwies sich als unumstößlich.

1644–1649 Anthony Johnson, Kolonie von Virginia

MAURICE CARLOS RUFFIN übersetzt von Alexander G. Wagner

An einem Morgen wie diesem steige ich zu meinem Wasser hinab. Die aufgehende Sonne bricht durch Nebel und Zweige, legt sich wie eine Haut über alles, der Geruch eines fremden Feuers steigt auf. Die Erinnerung an meinen eigenen Tod und meine Wiedergeburt hat mich aufgewühlt. Sie hat mir den Schlaf geraubt und meinen Geist erregt, sodass ich keine Ruhe mehr finde. An vielen solchen Morgen wandere ich umher wie ein krankes Bärenjunges. Für meinen Geist ist es wie Nebel, wie ein Traum. Aber unter meinem Stiefel fühlt es sich so echt an wie dieser knorrige Ast.

Ich bin wieder im Laderaum des kleinen Schiffes, das mich aus meiner Heimat entführt hat. Schmal und hochgewachsen kauerte ich in der Dunkelheit mit anderen meiner Art, sechs Männern und zwei Frauen, zwischen Fässern mit rotem Palmöl und dem, was an europäischer Wolle und Seide unverkauft geblieben war. Wir teilten die Hautfarbe, aber nicht die Sprache. Eine der Frauen blinzelte nicht einmal, als sie uns mit der Hand zeigte, dass drei ihrer Kinder durch die Verschleppung zu Waisen geworden waren.

Mit Ketten an das Unterdeck gefesselt, rissen wir wie Schlammfische die Mäuler auf, wenn das Wasser in den Rumpf stieg, der mit Pech schlecht abgedichtet war. Ich befand mich noch auf den grünen Hügeln meiner Kindheit, die die Portugiesen als ihre Jagdgründe betrachteten. Aber in Wirklichkeit befanden wir uns auf dem großen Wasser, und ich wusste, dass unsere Nussschale sinken würde, wenn die See sich aufbäumte. Nachdem ich mich tagelang von zähem Fleisch ernährt und in meinen eigenen Exkrementen gesessen hatte, wäre ich am liebsten auf Nimmerwiedersehen untergegangen. Aber es kam anders. Wir erreichten das Festland. Es folgten meine Wiedergeburt und Jahre der Zwangsarbeit.

Aber das liegt hinter mir. Seitdem ist mein Leben aufgeblüht wie eine seltsame Blume. Seit ich meine Mary getroffen habe. Haut von meiner Haut. Seele von meiner Seele. Man hat mir von stählernen Pferden erzählt. Aber das konnte mich nicht verführen: Sobald ich meine Freiheit erlangt hatte, sobald ich meinen Dienst getan hatte, sobald ich meinen Freipass hatte – keine Peitschenhiebe mehr, die mich aufs Feld trieben, bevor der Hahn krähte –, kaufte ich auch Marys Freiheit und die Verträge von fünf weiteren Männern, die für mich arbeiten sollten. Und nach den guten Gesetzen dieses Landes – den Gesetzen von King Charles – habe ich für jeden Arbeiter ein Stück Land von 20 Hektar erworben. Ich beanspruche diesen Teil von Gottes Erde als mein Eigentum. Und ich arbeite als mein eigener Herr.



Tausende von E-Books und Hörbücher

Ihre Zahl wächst ständig und Sie haben eine Fixpreisgarantie.