Visolaris - Claudia Wopalensky - E-Book

Visolaris E-Book

Claudia Wopalensky

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Beschreibung

In der Fortsetzung von Aquafunkel lernt Clara ihre zweite Heimat kennen. Sie findet neue Freunde und lernt mit ihrer Gabe umzugehen. Doch da ist noch etwas, etwas Beunruhigendes!

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Für Laura und Philipp

Ich danke meiner Tochter Laura für die Gestaltung des Buchumschlages und Daniela Frittum für das Lektorat.

In der Tiefe verborgen, Bedrohlich und kalt; Aus den Augen verloren, Vergessen und alt;

Erhebt sich das Böse Mit lachendem Mund; Kommt heimlich und leise Zu unerwarteter Stund ‘.

Inhaltsverzeichnis

Der Auftrag

Weihnachten im Trockenen

Die verlorene Stimme

Osterueberraschung

Die Reise

Eratonia

Terradome

Die Legende

Sonne und Mond

Zwischenzeit

Zu Hause

Auf der Jagd

Sommerschule

Alte und neue Freunde

Das Lied der Wale

Ein neuer Plan

Ueberraschende Wende

1 – DER AUFTRAG

Ein junger Mann eilte durch die Gänge des Palastes. Er war nicht besonders groß und sehr schlank. Er trug einen kurz geschnittenen Vollbart und sein schwarzes, glattes Haar fiel ihm bis auf die Schultern herab. Auffallend waren seine großen, dunkelgrünen Augen, die seinem Gesicht einen sanften Ausdruck verliehen. Er war mit einer hautengen, schwarzen Hose und einem ebensolchen Oberteil, auf dem zart kleine Mondsicheln silbern schimmerten, bekleidet. Es war Nacht und fast völlig still im Schloss. Nur manchmal surrte leise einer der kleinen Glasbälle, die in den Gängen schwebten und sie in silbernes Licht tauchten. Schließlich verlangsamte Triton seinen Schritt und trat auf einen kleinen Platz, dessen Mitte eine große schimmernde Kugel bildete. Die Kugel hatte einen Durchmesser von circa einem Meter und stand auf einem Sockel, der kreisförmig von acht schlanken Säulen umrahmt war. Ihr warmes und dennoch silbernes Licht zuckte unruhig. Ohne die Kugel zu beachten steuerte Triton zielstrebig auf eine der Türen zu, die von dem Platz wegführten. Er wollte gerade anklopfen, als er neben sich an der Wand einen Schatten wahrnahm. Es war noch jemand hier. Triton wandte sich um und stand seinem Bruder Nerius gegenüber. „Solltest du nicht auf dem Weg nach Pharland sein?“, begrüßte er diesen. Nerius nickte müde. „Das war ich auch, aber sie befahl mir sofort zu kommen. Weißt du, was sie so dringend mitten in der Nacht von uns will?“ Triton schüttelte den Kopf. Die Brüder traten an die Tür, die zu den Gemächern ihrer Mutter führte, und klopften. Wie von Geisterhand öffnete sich diese und sie betraten einen kleinen Vorraum, der in ein großes Zimmer führte. Der kreisförmige Raum war von einer Kuppel überspannt, an deren dunkler Decke unzählige Sterne glitzerten. Die beiden Männer blieben kurz stehen, verbeugten sich und richteten den Blick auf ihre Mutter.

Rhea saß in der Mitte des Zimmers auf einem großen, gepolsterten Sessel. Ihr Körper war in sich zusammengesunken. Sie war zur Gänze in einen dunkelblauen Mantel gehüllt, dessen Konturen mit dem Sessel zu verschmelzen schienen. Auffallend war ihr langes, weißes, glattes Haar, das offen fast bis auf den Boden fiel. Aus ihrem Mantel sahen ihre schmalen, weißen Hände hervor. Mit einer Hand stützte sie sich auf einen Stab, während die andere unbewegt in ihrem Schoß ruhte. Rheas Erscheinung strahlte eine große Müdigkeit aus, dennoch waren ihre Züge streng. Dieser Eindruck wurde auch durch die dicke Brille mit Perlmuttfassung unterstützt, die auf ihrer leicht gebogenen Nase saß. „Kommt näher!“, befahl sie ohne weitere Begrüßung. Triton und Nerius folgten dem Aufruf. Rhea warf ihren Söhnen einen kurzen Blick zu und begann dann mit unerwartet fester Stimme zu sprechen: „Ich habe euch rufen lassen, weil ich erfahren habe, dass Phobos sein Heer aufrüstet. Er soll viele Waffen gekauft haben. Man sagt auch, er habe ein militärisches Trainingslager eingerichtet. Außerdem habe er sich mit einigen nordischen Völkern verbündet und auch einige Nixengruppen sollen auf seiner Seite stehen.“ Triton und Nerius sahen einander ungläubig an. „Davon habe ich nichts gehört. Im Gegenteil, die Verhandlungen mit Phobos scheinen erstmals Aussicht auf Erfolg zu haben. Er hat sich ganz nach Norden zurückgezogen und die besetzten Gebiete im Süden freigegeben. Eine friedliche Lösung scheint greifbar nahe zu sein“, wandte Nerius ein. „Ja, das scheint so“, meinte Rhea nachdenklich, „aber, wenn es nicht so ist? Ich traue Phobos nicht. Wir müssen herausfinden, was er vorhat.“ Sie schwieg kurz und sah ihre Söhne an. „Wir müssen einen Kundschafter in sein Reich schicken. Jemanden, der es versteht, Phobos Vertrauen zu gewinnen. Er muss Phobos davon überzeugen, dass er seinen Plänen nützlich ist. Und es muss jemand sein, auf den wir uns verlassen können.“ Nerius warf Triton einen Blick zu und meinte dann: „Ich werde gehen.“ Rhea schüttelte den Kopf. „Das geht nicht. Du bist der König von Lunatan.“

„Ich habe schon lange auf den Thron verzichtet“, widersprach Nerius. Rhea wischte diesen Kommentar mit einer verächtlichen Handbewegung weg. „Diesen Unsinn habe ich nie akzeptiert. Du bist dafür bestimmt, Herrscher von Lunatan zu sein. Dein Volk braucht dich. Darüber gibt es keine Diskussion.“ „Ich werde meinem Volk in diesen schwierigen Zeiten dienen und alles tun, was nötig ist, diese Krise zu meistern, aber ich bin nicht sein König.“ Sie ignorierte seinen Einwand und fuhr fort: „Außerdem denke ich nicht, dass Phobos dir vertrauen würde. Warum solltest du dein Land verraten wollen? Du hast keinen Grund dazu. – Nein, das geht nicht. Du bleibst hier.“ „Was ist mit Okeanus?“, schlug Nerius vor. „Ich vertraue ihm.“ Rhea schüttelte den Kopf. „Nein, er muss hier für unsere Sicherheit sorgen, außerdem ist er unser bester Jäger.“ Es herrschte bedrücktes Schweigen, bis Triton aussprach, was alle dachten: „Ich muss gehen.“ Es fiel ihm schwer das zu sagen. Er war nicht wie sein Bruder. Er war kein Krieger. Rhea zuckte kurz zusammen, als sie seine Worte vernahm, und sagte leise zu sich selbst: „Nicht du.“ Aber Triton hatte es gehört und erwiderte verletzt: „Du vertraust mir nicht?“ Rhea schwieg lange und starrte auf den Boden, bevor sie sich an Nerius wandte. „Wir haben keine andere Wahl. Triton geht als Kundschafter in den Norden, gleich morgen früh. Veranlasse alles Nötige und kein Wort zu irgendjemand. Nur wir drei dürfen davon wissen.“ Nerius verneigte sich kurz und verließ schnellen Schrittes den Saal.

Rhea sah Triton lange prüfend in die Augen und er hielt ihrem strengen Blick stand. Schließlich begann sie betont langsam zu sprechen: „Du meinst, ich vertraue dir nicht?“ Sie hielt kurz inne und wiederholte dann: „Du glaubst wirklich, ich will nicht, dass du gehst, weil ich dir nicht vertraue?“ Triton sah ihr immer noch in die Augen und nickte. Sie seufzte, lehnte sich in ihrem Sessel zurück und schüttelte den Kopf. „Kannst du dich noch an Lunatan erinnern?“, fragte sie plötzlich unerwartet. Triton sah sie überrascht an. „Ja sicher, wie könnte ich nicht.“ Über Rheas Gesicht huschte ein kaum sichtbares Lächeln. „Und weißt du noch, wie wir hierher geflohen sind? Weißt du auch noch, was du gleich nach unserer Ankunft hier zu mir gesagt hast?“, fuhr sie fort. „Was meinst du?“, fragte Triton. „Du hast gesagt: “Wir haben viel Arbeit vor uns.“ Das hast du gesagt. Du warst zwölf, aber du hattest keine Angst. Du warst nicht verzweifelt. Es war dir völlig klar, was zu tun war. Ich war so stolz auf dich. Wir haben dann, so gut es ging, aus Xenion ein Klein-Lunatan gemacht. Triton, es sind deine Ideen und deine Träume, in denen wir alle leben. Glaubst du, ich kenne dich nicht? Ich bin deine Mutter und ich kenne dich besser als du dich selbst. Es gibt wahrscheinlich niemanden, der Lunatan mehr liebt als du. Nerius wird ein guter, starker König sein, aber du bist das Herz und die Seele unseres Volkes. Du kennst unsere Geschichte, unsere Traditionen, unsere Schriften. In dir lebt Lunatan weiter. Du bist der Einzige, der es wiederaufbauen kann, wenn die Zeit gekommen ist. Wenn du stirbst, stirbt auch Lunatan.“ Rhea schwieg und auch Triton sagte nichts, aber seine Augen füllten sich mit Tränen, die sich mit dem Wasser des Raumes vermischten. Rhea sah zu Boden und sprach weiter, so als würde sie gar nicht mit ihrem Sohn reden: „Von all meinen Kindern hast du die meisten Gaben erhalten und von allen habe ich dich immer am meisten geliebt.“ Sie sah ihm kurz in die Augen. „Ich will nicht, dass du gehst, weil du so wichtig bist. Ganz besonders jetzt. Jetzt, wo es wieder Hoffnung für uns gibt. Sag nicht, dass ich dir nicht vertraue, denn ich habe die Hoffnung Lunatans in deine Hände gelegt. Es geht um unser Volk und es geht um Clara.“

2 – WEIHNACHTEN IM TROCKENEN

Drei Monate davor lag Clara auf ihrem Bett und las, oder besser gesagt, sie versuchte es. Immer wieder legte sie ihr Buch zur Seite und schlug einzelne Begriffe in einem Wörterbuch nach. Schließlich gab sie es auf. Mit einem Seufzer legte sie die Bücher weg und beugte sich über den Rand des Stockbettes hinunter, um ihren Bruder nach der Uhrzeit zu fragen. Jakob, der gerade einen seiner Comics las, sah auf seine Armbanduhr und erwiderte: „Dreiviertel fünf! Jetzt kann es nicht mehr lange dauern.“ „Hoffentlich!“, seufzte Clara und lehnte sich wieder zurück. „Ich komme mit diesem Buch nicht weiter.“ „Was liest du denn?“ „Ach eines von den Büchern, die mir Anna letzten Sommer gegeben hat. Es heißt Sealife, Animals and Beasts. Alles ist auf Englisch!” „Frag doch Mama, ob sie dir hilft“, schlug Jakob vor. „Das hab‘ ich schon, aber sie meint, ich soll es zuerst selbst versuchen. Im Sommer könnte sie mir dann auch nicht helfen.“

Anna Taucher war Claras Schwimm- und Tauchlehrerin gewesen und sie hatte ihr am Ende des letzten Sommers eine Reihe von Büchern gegeben, die Clara bis zum Beginn der nächsten Sommerferien durcharbeiten sollte. Leider waren alle in englischer Sprache und Claras Englisch war noch nicht besonders gut. Der letzte Sommer hatte Claras Leben völlig auf den Kopf gestellt. Begonnen hatte alles mit einem Brief ihres Großvaters Max, der Clara und ihre Familie zu sich nach Schottland eingeladen hatte. Dort hatte Clara dann nicht nur erfahren, dass ihr Vater nicht ihr richtiger Vater war, nein, Claras leiblicher Vater war, und das schien nun wirklich unglaublich zu sein, ein Meermann. In diesem Sommer, den sie, da war sie sich sicher, nie wieder vergessen würde, hatte ihre Einführung in die Unterwasserwelt begonnen. Außerdem hatte sie erfahren, dass sie eine besondere Gabe hatte, die „Kraft der Sonne“ genannt wurde.

Ihre Gedanken wurden durch das Läuten einer hellen Glocke unterbrochen. Jakob sprang auf: „Endlich, Clara, komm!“ Clara kletterte die Leiter des Stockbettes hinunter und folgte ihrem Bruder ins Wohnzimmer. Dort warteten schon ihre Eltern. Das Zimmer war kaum wiederzuerkennen. Es erstrahlte im Kerzenschein eines Christbaums, der fast bis zur Decke reichte, sowie im Licht der Kerzen, die Iris auf allen Fenstern und Möbeln aufgestellt hatte, um dem Raum ein besonders festliches Aussehen zu verleihen. Clara genoss den Augenblick der Stille und bewunderte den Baum. Sie wusste nur zu gut, was nun kommen würde, es war unvermeidlich. Jedes Weihnachten stand es auf dem Programm. Vor der Bescherung wurde gemeinsam Stille Nacht gesungen. Nun war es zwar so, dass Clara eine sehr schöne Stimme hatte, aber leider konnte man das von den anderen Familienmitgliedern nicht gerade behaupten. Anton brummte immer vor sich hin, Iris sang immer etwas zu tief oder zu hoch und Jakob bewegte sowieso nur seine Lippen, was nach Claras Meinung noch die beste Entscheidung war. „Es wäre einfacher und vor allem viel schöner, wenn sie mich alleine singen lassen würden“, dachte Clara jedes Jahr, wagte aber nie diesen Vorschlag wirklich zu machen. Gott sei Dank hatte man sich darauf geeinigt, dass eine Strophe genug war. Meistens hatte Clara dann noch ein weiteres Weihnachtslied alleine vorgetragen, aber heuer war ihr nicht danach. Einerseits wollte sie nicht riskieren, dass die Kraft der Sonne sich bemerkbar machte, andererseits konnte sie es nicht erwarten, ihre Geschenke auszupacken. Sie war zu neugierig darauf, was Max, ihr Vater Nerius und ihr Onkel Triton ihr schenken würden.

Nachdem die letzten Töne von Stille Nacht verklungen waren, stürzten sich Clara und Jakob auf die Pakete, die unter dem Baum lagen, um sie zu verteilen. Während Jakob seine Geschenke sofort auspackte, sammelte Clara ihre zunächst. Sie setzte sich daneben und betrachtete den kleinen Stoß. Es waren vier Geschenke, zwei größere und zwei eher kleine. Mit welchem sollte sie beginnen? Sie entschloss sich schließlich das Geschenk ihrer Eltern als erstes zu öffnen. Es war eine kleine Spielzeugbadewanne. Clara wusste, was das bedeutete. Sie hatte sich zu Weihnachten eine Badewanne, keine zum Spielen, sondern eine richtige gewünscht, um die Möglichkeit zu haben unter Wasser zu sein. Anton, der auf die Bitte von Triton und Nerius, vom Rest der Familie nicht in Claras Geheimnis eingeweiht worden war, hatte sich zwar über diesen seltsamen Wunsch gewundert, ihn aber dann doch erfüllt. In den letzten beiden Wochen war der Einbau erfolgt und heute Abend wollte Clara die Badewanne erstmals ausprobieren. Nachdem sie sich bei Anton und Iris mit einem Kuss bedankt hatte, öffnete sie das Geschenk von Jakob. Es war eine Glasflasche, zur Hälfte mit Sand, zur anderen Hälfte mit Wasser gefüllt. Im Sand lagen Steine und Muscheln. Claras Augen strahlten. Sie wusste sofort, dass Jakob ihr damit ein Stück ihrer zweiten Heimat geschenkt hatte und fiel ihm vor Freude um den Hals. Jakob löste sich etwas verlegen aus der Umarmung. „Großvater hat mich auf die Idee gebracht“, sagte er. „Er meinte, du würdest sicher gerne ein Stück vom Meer mitnehmen.“ Clara nahm die Flasche in beide Hände und betrachtete ihren Inhalt, während sie diese langsam drehte. „Willst du deine anderen Geschenke gar nicht aufmachen?“, riss sie Jakob, der seinerseits eben ein Buch über das Tauchen auspackte, aus ihren Gedanken. „Du hast Recht.“ Clara öffnete neugierig das Paket ihres Großvaters. Es war ein orangefarbener Rucksack. Max hatte auch eine Karte beigelegt, auf der Folgendes geschrieben stand:

Liebe Clara!

Dieser Rucksack ist absolut wasserdicht. Ich denke, Du wirst ihn sicher gut gebrauchen können.

Frohe Weihnachten wünscht Dir

Dein Großvater.

Das war wirklich ein gutes Geschenk. Einen wasserdichten Rucksack hätte Clara schon einige Male gut brauchen können. Nun war nur mehr ein einziges Geschenk übrig. Es war ein sehr kleines Päckchen und als sie es in die Hand nahm, fühlte sie kaum sein Gewicht. Mit klopfendem Herzen öffnete sie die Schleife und entfernte das Papier. Sie fand darin eine Muschel, auf der in Silberschrift A27i stand. Als sie die Muschel vorsichtig öffnete, lag darin eine silberne Kette, deren Anhänger aus einem zarten Silbergeflecht bestand, in dem eine kleine Glasperle eingeschlossen war. Clara ahnte sofort, was das war. Sie nahm die Kette mit den Fingerspitzen heraus und entdeckte darunter folgendes Schreiben:

Liebe Clara!

Wir haben lange überlegt, was wir Dir schenken sollen. Triton hatte dann die Idee, einen speziellen Aquafunkel für Dich anfertigen zu lassen, damit wir leichter in Kontakt treten können. Er funktioniert ganz einfach. Du musst nur einen Tropfen Meerwasser auf die kleine Kugel im Anhänger fallen lassen. Das ist alles. Eine detaillierte Anleitung liegt bei.

Frohe Weihnachten wünschen Dir,

Nerius und Triton

Ein Aquafunkel! Ein eigener Aquafunkel! Das war wirklich ein wunderbares Geschenk. Sie würde jetzt jederzeit Nachrichten an Nerius und Triton schicken und nicht nur ab und zu mit ihnen am Telefon ihres Großvaters sprechen können. Am liebsten hätte sie den Aquafunkel sofort ausprobiert, aber sie musste sich noch etwas gedulden. Sie boxte Jakob, der neugierig, „Ist das ein Aqu- AU!“ fragen wollte, gerade noch rechtzeitig in die Rippen und sah ihn böse an. Das fehlte gerade noch, dass ihr Bruder jetzt alles verriet.

Jakob selbst hatte von Max ein Buch über das Tauchen bekommen und von Iris und Anton eine richtige Taucherausrüstung in seiner Größe. Clara hatte ihm ein Buch mit Geschichten, die im Meer spielten, geschenkt. Nun war klar, was Jakob im kommenden Sommer am Meer tun würde. Clara sah, dass Iris auch eine ähnliche Muschel wie sie selbst bekommen hatte, die sie aber schnell hinter ihrem Rücken verschwinden ließ.

Clara wollte das Abendessen so schnell wie möglich hinter sich bringen. Noch vor der Nachspeise sprang sie auf und lief ins WC, wo sie sich einschloss und den Aquafunkel aus der Muschel holte. Sie hängte sich die Kette um den Hals und nahm das kleine Fläschchen mit Meerwasser aus der Muschel. Mit der Pipette entnahm sie ein wenig Wasser und ließ einen Tropfen davon auf die Glaskugel fallen. Sofort begann diese silbern zu leuchten und sich wie wild um die eigene Achse zu drehen. Clara fand es nicht der Mühe wert die Anleitung zu lesen. Sie nahm den Anhänger in die Hand und sagte: „Message to Nerius of Lunatan.“ Die Kugel drehte sich immer schneller und schneller und begann zu blinken. Clara wollte gerade ihre Nachricht aufsprechen, als sie den Aquafunkel plötzlich, „Hallo Clara!“, sagen hörte. Clara war so verblüfft, dass sie zunächst gar nichts sagen konnte. Mit offenem Mund starrte sie die kleine Kugel an. „Clara, bist du noch da?“ Es war die Stimme ihres Vaters. „Ja! – Hallo Vater!“, antwortete sie immer noch überrascht. „Wieso kann ich denn mit dir reden?“

„Wenn du die Anleitung gelesen hättest, dann wüsstest du, dass dieser Aquafunkel nicht nur Botschaften übermitteln oder empfangen kann. Nein, man kann gleichzeitig senden und empfangen. Wir können uns richtig unterhalten.“ „Das ist toll!“, antwortete Clara begeistert. „Wie geht es dir?“, hörte sie Nerius fragen. „Gut“, sagte Clara, obwohl das eigentlich gar nicht stimmte. Es gab so einiges, was ihr Sorgen machte, aber sie wollte jetzt nicht mit ihrem Vater darüber sprechen. Clara erzählte Nerius, dass sie eine Badewanne zu Weihnachten bekommen hatte. Sie sprach von ihren Schwierigkeiten mit den englischen Büchern und dem Problem, alles vor Anton zu verbergen. „Und wie geht es dir?“, fragte sie ihren Vater. „Sehr gut“, antwortete Nerius. „Wie du weißt, bin ich vor zwei Monaten nach Xenion zurückgekehrt, aber ich besuche Max immer noch sehr oft. Wir haben unseren alten Handel wiederaufgenommen. In Xenion gibt es jetzt auch wieder etwas anderes als Algen zu essen und bald auch bestes Trinkwasser. Aber ich will nicht zu viel verraten, denn du wirst es selbst sehen, wenn du wieder da bist.“ „Darüber wird sich Triton aber freuen“, sagte Clara, da sie die Abneigung ihres Onkels gegen Algenkost kannte. „Das stimmt. Möchtest du gern mit ihm sprechen? – Warte ich hole ihn. Er ist bei Max in der Küche.“ „Ihr seid bei Großvater?“ „Ja, er hat uns zum Weihnachtsfest eingeladen.“ Clara hörte Schritte. Im Geiste sah sie Nerius die Küche von Max, die mehr einer Kombüse ähnelte, betreten. Sie hörte weitere Stimmen leise im Hintergrund. „Triton, Clara wants to talk to you“, sagte Nerius. „Clara! I’m coming!“, das war Tritons Stimme. Claras Herz pochte. Sie hörte wieder Schritte und das Rücken von Sesseln. Offenbar hatten sich Nerius und Triton an den großen Küchentisch gesetzt. „Clara! Ich freue mich so dich zu hören. Wie gefällt dir denn dein Geschenk?“ „Es ist toll, danke“, antwortete Clara. „Ich war mir bis zuletzt nicht sicher, ob es auch auf diese große Distanz funktionieren würde. Unser Entwicklungsteam hat wirklich gute Arbeit geleistet. Aber nun erzähl‘ mir, wie es dir geht.“ „Ganz gut“, antwortete Clara. Triton schwieg kurz und Clara wusste, dass er ihre Unzufriedenheit wahrgenommen hatte, aber er ging darüber hinweg und erzählte ihr davon, dass Max und er daran arbeiteten, eine Wasserleitung nach Xenion zu bauen. Die Pläne seien bereits fertig, aber sie müssten noch bis in den Frühling warten, bevor sie mit dem Bau beginnen konnten. Triton sprach davon, dass es jetzt hier sehr ungemütlich wäre. Es wäre ziemlich kalt und fast immer sehr stürmisch. Seit Wochen hätte sich die Sonne nicht mehr blicken lassen. Dennoch besuchte er Max mindestens einmal pro Woche. Clara lauschte seinen Worten, sie war glücklich seine Stimme zu hören und ihr wurde bewusst, wie sehr sie ihn vermisste.

Max wünschte Clara frohe Weihnachten und kündigte für die Osterferien seinen Besuch an. Als Clara sich gerade für den Rucksack bedanken wollte, klopfte es draußen an der Tür. „Ich muss jetzt Schluss machen“, sagte Clara, ließ den Aquafunkel unter ihrem Pullover verschwinden und steckte die Muschel in die Hosentasche. Es war Jakob. „Was tust du nur so lange da drinnen?“ „Ich komme ja schon.“ Clara öffnete die Tür. „Hast du mit Nerius gesprochen?“, fragte Jakob sofort. „Ja, und auch mit Triton. Ich erzähle es dir später.“ „Mama lässt dich fragen, ob du jetzt vielleicht in die Badewanne willst. Wenn ja, dann würde sie jetzt den Heizlüfter einschalten.“ „Sicher will ich!“, rief Clara, „Aber sie braucht nicht einzuheizen. Ich ziehe meine Meerkleider an.“ Clara lief auf ihr Zimmer und öffnete den Kleiderschrank. Ganz unten, hinter den Strumpfhosen und Socken versteckt, fand sie, was sie suchte. Sie nahm das Bündel heraus, wickelte es in ihren Pyjama und lief damit ins Bad, wo Iris und Jakob schon auf sie warteten. „Clara, wie warm willst du das Wasser?“, fragte ihre Mutter. „Nicht sehr warm, ich habe meine Kleider mit.“ Iris drehte das Wasser auf und schloss die Badezimmertür. Jakob begann damit, Meersalz in die Wanne zu streuen. „Wie geht es Nerius und Triton?“, wollte Iris wissen. „Gut, sie feiern mit Max Weihnachten. Aber du hast doch auch einen neuen Aquafunkel bekommen, oder nicht? Du solltest dich bei ihnen melden.“ „Jakob, das ist schon genug Salz!“, lenkte Iris ab, „Sonst kann Clara doch nicht mehr atmen!“ Jakob stellte die Packung mit dem Meersalz beiseite und zuckte mit den Schultern. Clara wickelte die Kleider aus dem Schlafanzug. Ihre dunkelgraue Hose und ihr dunkelblaues Oberteil mit den glänzenden Schuppen. Beides war aus elastischem, wasserdichten Haileder gefertigt. „Seid so gut und lasst mich allein!“, bat Clara. „Bist du sicher?“, fragte Iris, „Ich meine, immerhin hast du deine Kiemen“, sie flüsterte es fast, „schon lange nicht mehr verwendet.“ „Was soll hier schon passieren, in der Badewanne?“, entgegnete Clara. „Gut, dann viel Spaß!“, wünschte ihr Iris noch, bevor sie mit Jakob das Bad verließ.

Schnell schlüpfte Clara in ihre Wasserkleider. Die Hose war ihr schon etwas zu kurz geworden, aber sonst passte alles noch ganz gut. Das Material war wie eine zweite Haut, so elastisch umhüllte es ihren Körper. Clara betrachtete sich mit Wohlgefallen im Spiegel, während sie darauf wartete, dass sich die Wanne füllte. Langsam stieg sie hinein und legte sich auf den Rücken. Sie atmete tief aus, schloss Mund und Nasenklappen und tauchte unter. Sofort begannen wie von selbst ihre Kiemen zu atmen. „Endlich wieder Wasser!“ Sie schloss die Augen und stellte sich vor, sie läge in Großvaters Bucht im Meer. Während sie so vor sich hinträumte, begann plötzlich ihr neuer Aquafunkel zu leuchten und zu blinken. Clara nahm ihn in die Hand und hörte Triton sagen: „Clara, kannst du mich hören?“ „Ja Triton, ich höre dich, aber warte einen Augenblick.“ Clara setzte sich auf. Sie sprach nicht so gerne unter Wasser, wenn es sich vermeiden ließ. „Was tust du da?“, hörte sie ihren Onkel fragen. „Ich probiere meine neue Badewanne aus.“ „Ich dachte mir, du willst vielleicht mit mir reden.“ Clara holte tief Luft. „Ja.“ Sie wusste nicht recht, wo sie beginnen sollte. Triton half ihr: „Du würdest Iris gern alles erzählen?“ „Ja, das würde ich gern. Und ich würde auch gern Anton und meinen Freundinnen alles erzählen. Aber das geht ja nicht.“ Clara seufzte. „Außerdem werde ich wahrscheinlich die Schule wechseln müssen“, fügte sie noch hinzu. „Warum denn das?“, fragte Triton. „Wegen des Singens. Ich habe solche Angst davor, dass ich nicht mehr zu den Gesangstunden gehe oder so falsch singe, dass sich alle fragen, wie ich jemals die Eignungsprüfung geschafft habe. Ich habe Angst, dass, wenn ich singe, na du weißt schon, dass es wieder passiert.“ „Deine Gabe macht dir Angst“, stellte Triton fest. „Natürlich macht sie mir Angst. Deine Mutter erzählt mir, dass ich eine besondere Gabe habe und dass sie gefährlich sein kann. Und auch du hast mir nicht wirklich gesagt, was genau die Kraft der Sonne ist. Aber ich weiß, dass du dir große Sorgen machst, weil ich sie nicht beherrschen kann. Natürlich habe ich Angst und ich kann mit niemandem darüber sprechen, weil all das geheim bleiben muss.“ Clara atmete tief durch. Triton hatte schweigend zugehört. „Es tut mir leid. Es ist alles meine Schuld“, sagte er schließlich. „Nein, ist es nicht“, widersprach Clara schon etwas ruhiger. „Natürlich ist es meine Schuld. Wenn ich ein besserer Lehrer wäre, bräuchtest du dir keine Sorgen mehr zu machen. Du könntest deine Gabe beherrschen. Aber ich habe eine gute Nachricht für dich. Ich habe meinen alten Lehrer gefunden und ich bin mir sicher, dass er uns hier weiterhelfen kann.“

„Wirklich?“, fragte Clara zweifelnd. „Ja, er hat mich unterrichtet und mir versprochen, dir alles Notwendige beizubringen.“ Triton schwieg kurz, um dann zu sagen: „Du weißt, ich bin immer für dich da. Egal was es ist, du kannst mich zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen. Das weißt du doch?“ "Ich weiß“, sagte Clara und dachte bei sich, wie gerne sie jetzt bei ihm wäre. Sie dachte daran, wie er das Licht des Mondes zum Leben erwecken konnte und daran, wie er ihr Lunatan gezeigt hatte. Sie wusste, er lächelte, als er sagte: „Wir sehen uns ja wieder.“ Sie hatte fast schon vergessen, dass er ihre Gedanken lesen konnte. „Aber bis jetzt ist ja noch nichts geschehen“, stellte ihr Onkel nach einer kurzen Pause fest und holte Clara damit in die Realität zurück. „Nein, ich achte darauf weder besonders glücklich noch besonders traurig zu sein.“ „Ich weiß, das ist schwierig für dich, aber ich werde dafür sorgen, dass du so schnell wie möglich Hilfe bekommst“, beruhigte Triton seine Nichte. Eine kurze Zeit schwiegen beide, dann sagte Clara: „Triton, ich habe noch eine Bitte.“

„Ja?“ „Kannst du mir vielleicht eine Geschichte erzählen, eine Geschichte aus Lunatan? Ich werde mich ins Wasser legen, die Augen schließen und mir vorstellen, ich wäre dort.“ „Eine Geschichte? – Hm.“ Triton dachte nach. „Gut, ich glaube, diese könnte dir gefallen. Warte einen Augenblick, ich möchte es mir nur bequem machen.“ Clara hörte ein leises Drehgeräusch, dann das Rücken eines Sessels und ein paar leise Schritte und schließlich ein kaum hörbares Knarren, das schnell leiser wurde. Sie wusste, er war in seinem Arbeitszimmer, hatte seine Pfeife gefüllt, war vom Schreibtisch aufgestanden und hatte sich in die Hängematte gelegt. „So ist es besser“, meldete sich Triton auch schon wieder und begann mit seiner Erzählung. „Vor langer Zeit kamen unsere Vorfahren nach einer beschwerlichen Reise dort an, wo später das Reich Lunatan entstehen sollte. Sie kamen aus dem Süden unter der Führung eines jungen Kriegers mit Namen Antares. Viele hatten die Reise nicht überlebt und als sie am Ziel ankamen, fanden sie eine kalte, dunkle, unfreundliche See vor und sie zweifelten daran, ob sie hier jemals heimisch werden würden. Da hatte Antares eines Nachts einen Traum, oder auch eine Vision. Er sah sich selbst im Lichte des Vollmondes nach oben tauchen und das Mondlicht aus den Wellen in Behälter einfangen, die er fest verschloss. Darin brachte er die Strahlen des Mondes zu seinem Volk. Man sperrte sie in eine große, durchsichtige Kugel und sofort erstrahlte diese in silbrigem Glanz. Sie erhellte das gesamte Reich. Lunatan war entstanden. Es dauerte noch eine Weile, bis eine Technik entwickelt worden war, mit der diese Vision verwirklicht werden konnte, aber schließlich gelang es unseren Vorfahren tatsächlich, das Licht des Mondes einzufangen und Lunatan entstehen zu lassen. Der Mond wird seit damals von uns als Quelle des Lichts verehrt. Allerdings konnte er uns die nötige Wärme nicht geben. Erst als wir auch Sonnenstrahlen dazumischten, hatten wir unser Ziel erreicht. Die Verbindung von Mond und Sonne ist die Basis für unser Leben. Die Sonne wird oft vergessen, weil ihr Anteil nur gering ist, aber sie ist dennoch genau so wichtig.“ Clara lag in der Badewanne und lauschte dem Klang von Tritons Stimme. Sie hatte die Augen geschlossen und stellte sich sein Bild vor. Sie sah seine dunkelgrünen Augen, seine schwarzen, kurzen Haare und seinen Stoppelbart. Er stieg aus dem Meer, genauso wie sie ihn das erste Mal gesehen hatte. Sie lief ihm entgegen. Er umarmte sie und küsste sie auf die Wange. „Clara!“, Triton rief sie in die Wirklichkeit zurück. „Bist du noch da?“ „Ja, ich bin nur etwas müde.“ Triton lachte: “Vielleicht solltest du besser ins Bett gehen, bevor du in deiner Badewanne einschläfst.“ „Du hast recht“, sagte sie. „Gute Nacht, Triton.“

„Schlaf gut, Clara! Ich melde mich bald wieder.“ Clara ließ den Aquafunkel los und kletterte aus der Wanne. Sie sah auf die Uhr. Schon nach elf! Sie ließ das Wasser aus der Wanne und schlüpfte in den Pyjama. In ihrem Zimmer verstaute sie die Wasserkleider, die nie nass wurden, wieder hinten im Schrank. Jakob schlief schon. Sie konnte seinen gleichmäßigen Atem hören. Müde kletterte sie in ihr Bett und war sofort eingeschlafen.

3 – DIE VERLORENE STIMME

Als Clara am nächsten Morgen erwachte, fiel Schnee in dicken, weißen Flocken vom Himmel. Jakob, Clara und ihre Freundin Sabine bauten gemeinsam einen Schneemann im Garten und rodelten den nahegelegenen Berg hinunter. Nach dem Mittagessen nahm sich Clara wieder ihr Buch vor. Mühsam quälte sie sich Wort für Wort weiter. Es war ein Kapitel über Haie, das sie gerade las. Sie konnte sich die verschiedenen Namen und Eigenschaften der Tiere beim besten Willen nicht merken. Als ihre Mutter sie zur Jause rief, ließ sie das Buch erleichtert fallen.

Die folgenden Tage vergnügten sich die Kinder im Schnee, lasen Bücher und spielten Spiele. Es waren sehr erholsame Weihnachtsferien. Am meisten machte Clara aber ihr tägliches Bad in der Wanne Freude. Jeden Abend vor dem Schlafengehen zog sie sich ins Badezimmer zurück und legte sich ins Wasser, um mit Nerius und Triton zu sprechen.