Voll Verwünscht -  - E-Book

Voll Verwünscht E-Book

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Beschreibung

Es fängt harmlos an: Ein Surren in der milchigen Flasche, ein Schmierfleck auf der Öllampe, eine Münze am Brunnenrand, ein Klopfen an der Wichteltür. Schon wird entkorkt, gerieben, geworfen und geöffnet, was nie geöffnet werden sollte. Dann MUSS gewünscht werden. Was, wenn der Flaschengeist erkältet ist? Oder urlaubsreif? Die Wunschmaschine eine Erfüllung kreativ umsetzt oder der Brief für den Weihnachtsmann an den Falschen gerät? 21 funtastische Geschichten gehen diesen und anderen abenteuerlichen Fragen auf den Grund. Taucht ein und erlebt flapsige Feen, vertrottelte Trolle und schrullige Schrate. Ihr werdet lachen, fluchen, weinen und an eurem Verstand zweifeln – und vielleicht werdet ihr euch wünschen, hier und da dabei gewesen zu sein. Aber Vorsicht: Alle Wünsche auf eigene Gefahr!

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Seitenzahl: 379

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Vorwort
Bernd Schneider
Die Wunsch-Versehrten
Cel Silen
Ein gutes Geschäft?
Jelena Moesus
Rot trägt nicht nur der Weihnachtsmann
Julia Freyer
GeWünschT
Mailin Weder
Auf lock wünschen
Thomas Heidemann
Flibo und der mächtige Wumms
Melanie Petri
Der Lillet - Fee
Nicola Hölderle
Dein Wunsch ist mir Befehl
Joshua Friedrichs
Die Rückkehr der nicht mehr ganz so veganen Veganer:innen
Christiane Richter
Rosarot mit Primellust
Nele Sickel
Mehl nach Gefühl
Wilhelm Hager
Wunschlos glücklich?
Friederike Stein
Hatschi!
Jörg Fuchs Alameda
Fridtjof und die Wish Spell Academy
Jessie Weber
Vom Wünschen und Würzen
Tanja Kummer
Verwünscht?
Helmi
Rumors – alles nur Gerüchte
Dennis Puplicks
Es wächst ein Groll in meinem Bauch
Andreas Zwengel
Der Mann in Rot
Christoph Steinert
Die Wunschmaschine

Nele Sickel (Hrsg.)

Voll Verwünscht

ISBN 978-3-945230-76-3

1. Auflage, Allmersbach im Tal 2024

Cover: Christina Schlicht

Satz und Layout: Tanja Hamacher

Lektorat: Nele Sickel, Tanja Hamacher

© 2024, Leseratten Verlag, Allmersbach im Tal

www. leserattenverlag.de

Der Leseratten Verlag ist Fördermitglied beim

PAN Phantastik-Autoren-Netzwerk e.V.

Weitere Infos unter:

www.wir-erschaffen-welten.net

Vorwort

An dieser Stelle sollte eine spannende und mindestens genauso amüsante Anekdote darüber stehen, wie Herausgeberin und Verlag an das Thema Wünsche gekommen sind. Die Wahrheit ist allerdings – je nach Betrachtungswinkel – entweder schrecklich langweilig oder so verrückt, dass uns das eh keiner glauben würde. Also schweigen wir darüber. Hier stattdessen, was definitiv NICHT passiert ist:

Treffen sich ein Einhorn und eine übellaunige Fee auf einer Parkbank mit Blick auf einen Teich. Das Einhorn trägt eine bunt lackierte Metalldose zwischen den Hufen.

»Was hast du da?«, fragt die Fee.

»Willst du nicht wissen«, sagt das Einhorn.

»Will ich nicht oder soll ich nicht?«

Schweigen.

»Na toll. Erst werde ich schon wieder nicht zur nächsten Party eingeladen und jetzt grenzt du mich hier auch noch aus. Ihr seid doch alle scheiße!«

»Du wurdest wo nicht eingeladen?«

»Geht nicht darum, wo. Es geht darum, dass alle anderen Feen eingeladen sind und ich nicht. Die Ausreden werden auch immer beschissener. Früher hatten sie angeblich nicht genug Geschirr für einen weiteren Gast, heute wollen sie sich bei meiner Handynummer vertippt und mich deshalb nicht in die Party-Planungs-Gruppe aufgenommen haben. Alles Blödsinn. Die wollen mich nicht dabeihaben und sind zu feige, das zuzugeben. Die werden doof gucken, wenn ich trotzdem auftauche und sie übel verwünsche.« Ihr Blick gen Einhorn wird stechend. »Das mache ich nämlich mit denen, die mich ausgrenzen.«

Das Einhorn seufzt und hebt umständlich den Deckel von der Dose ab. Darunter kommt eine halb durchsichtige Kreatur, über und über bedeckt mit Kekskrümeln, zum Vorschein.

»Das ist mein Ticket raus aus dem Elend«, sagt das Einhorn. »Ein echter Flaschengeist – na ja, Dosengeist. Ich muss ihn nur mit Keksen aufladen, bis er voll ist, dann erfüllt er mir einen Wunsch.«

»Fo iffef«, piepst der Geist kauend. »Bin aber nof nif voll. Einer geht nof.«

»Hast du Kekse?« Das Einhorn mustert die Fee hoffnungsvoll.

Sie kramt in ihren Rocktaschen. »Was willst du denn haben, wenn er voll ist?«

»Ach, mir reicht es einfach. Früher waren die Leute andächtig, wenn sie mich gesehen haben. Haben mir Blumenkränze geflochten und die Mähne gestriegelt. Heute nur dumme Sprüche. ›Hey, fass mich an, ich bin noch Jungfrau.‹, ›Komm mal rüber, ich habe in meiner Hose auch ein Horn!‹ Ich hab genug. Der Kleine da soll mich in einen Narwal verwandeln und dann wohne ich dort vorn im Teich.«

»Ah, da musst du aber aufpassen. Wünschen ist nicht leicht.«

»Ftimmt«, piepst der Geist.

»Ist es nicht?«

»Hab da einiges von Kollegen gehört und auch selbst … na ja … vor ein paar Jahrhunderten, als ich noch zu Partys eingeladen wurde und den Geburtstagskindern gute Wünsche zuteilwerden lassen sollte, lief da nicht immer alles glatt.«

»Ach so. Das erklärt einiges. Hast du vielleicht Beispiele?«

Die Fee zieht einen bröckligen Karamellkeks aus der Tasche und hält ihn dem Geist entgegen, der inzwischen alle Krümel in der Dose vernichtet hat.

»Der ist aber nicht noch von der letzten Party, auf die du gehen durftest?«, fragt der Geist skeptisch.

»Nee, der ist älter.«

Er zuckt die Schultern und haut trotzdem rein.

»Beispiele?«, hakt das Einhorn nach.

»Nee, ist zu lange her und mein Gedächtnis, na ja … Dabei waren ein paar Storys sogar ganz witzig. Ich wünschte, irgendwer hätte die mal gesammelt.«

Das Einhorn schlägt sich den Huf gegen die Stirn.

Grinsend schiebt sich der Geist den letzten Krümel in den Mund. »Zu Befehl.«

So. Das ist also nicht passiert – und bei dieser Version bleibe ich.

Tatsächlich steckt in so einer Anthologie jede Menge Arbeit von vielen verschiedenen Leuten. Daher an dieser Stelle herzlichen Dank an alle Autoren, die uns ihre Geschichten anvertraut haben. Das gilt für diejenigen, deren wunderbare Texte wir hier gesammelt haben, aber auch für alle anderen, die uns ihre frischen Ideen und tollen Erzählungen zugesandt haben. Eine gute, runde Auswahl kann nur dann gelingen, wenn man eine große Zahl unterschiedlicher Texte zur Auswahl hat, und das hatten wir. Und auch wenn am Ende natürlich nicht alle Geschichten ins Buch aufgenommen werden konnten, hatten wir doch immer viel Vergnügen beim Lesen.

Genau das wünschen wir euch, die ihr diese Anthologie aufgeschlagen und euch durch das gesamte Vorwort gekämpft habt, nun auch: Viel Vergnügen beim Lesen!

Nele Sickel

Bernd Schneider

Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts geboren, ist Bernd Schneider ganz und gar ein Kind der 90er. Mit Computern aufgewachsen, gab und gibt es nur zwei große Interessen: Zocken und Bücher.

Okay, vielleicht auch noch Modellbau.

Und Angeln.

Und eigentlich wollte er ja auch noch Gitarre lernen …

Egal. Jedenfalls wollte er immer Autor werden und seine Freizeit mit Computerspielen verschwenden.

Im April 2023 war es dann so weit. Er wagte den Sprung in die Selbstständigkeit, nachdem er mit dem für ihn zuständigen Dschinn bei der Wunschagentur gesprochen hatte. Drei Wünsche also.

Ganz klar, erst mal erfolgreicher Autor werden.

Aber was dann?

Klar. 10.000 Follower auf Twitch.

Aber was jetzt?

Es gibt so viele Hobbys und nur einen Wunsch. Ich wünschte echt manchmal, das Leben wäre ein Computerspiel.

Moment.

Was? Nein, das war kein …

Ach, Mist.

www. instagram.com/agator_steam/

Die Wunsch-Versehrten

Kapitel 1:

Willkommen bei den Versehrten

»Hallo mein Name ist Al und ich bin Wunsch-Versehrter.«

»Hallo, Al«, antwortet der Chor.

Al setzt sich wieder. Er hat schon vor der Sitzung erklärt, dass er sich heute noch nicht öffnen möchte. Das ist in Ordnung. Vorerst kann er nur zuhören und die anderen unterstützen. Nach und nach erzählen drei von ihnen, die am heutigen Meeting teilnehmen, ihre Geschichten. Al fühlt einen Bezug zu jeder davon. Wer so lange im Wunsch-Business ist wie er, hat wohl schon alles erlebt. Nach knapp einer Stunde ist die Sitzung vorbei. Um noch nicht nach Hause zu müssen, begibt Al sich an die Snack-Bar. Gerade, als er sich einen Kaffee einschenkt, stößt ihn einer der anderen Teilnehmer an. Er nickt Al zu und öffnet einhändig, ohne hinzusehen, eine Bierflasche an der Tischkante.

»Erster Tag, stimmt’s?«

Al starrt sein Gegenüber zuerst nur verwirrt an. Es ist schon ein seltsames Kerlchen, das ihn da angesprochen hat. Klein, rundlich, mit blonden Locken und roten Backen schaut ihn der Typ mit glasigen Augen an. Er trägt eine weiße Toga. Al wird mit Schrecken klar, dass sein Gesprächspartner vermutlich nichts unter seiner ausgefallenen Robe trägt. Die ausbleibende Antwort scheint ihn nicht zu stören. Im Gegenteil, er plappert munter weiter.

»Jaja, ist hart am Anfang. Aber weißt du, einige von uns machen das schon verdammt lange. Mir halten sie alle eine Sache von vor tausend Jahren vor. Kannst dir das vorstellen?«

Al muss sich wirklich anstrengen, um den Worten zu folgen. Der Toga-Typ lallt gewaltig. Bevor Al nachfragen kann, geht der Redeschwall weiter.

»Alles, was ich anpacke, soll zu Gold werden. Das hat dieser Idiot gesagt. Wörtlich. Wörtlich hat er das gesagt. Ehrenwort.«

Langsam dämmert Al, wen er da vor sich hat.

»Oh, wie unfreundlich. Dio mein Name. Haste dir wahrscheinlich schon gedacht. Wegen der blöden Story mit Midas kennt mich ja jeder heutzutage. Er hats genau so gewollt. Alles zu Gold. Dieser blöde Sack.«

Dio trinkt sein Bier in einem Zug leer und während er aus dem Kasten unter dem Tisch das nächste hervorkramt, sucht Al mit den Augen nach dem Ausgang und denkt darüber nach, wie viele Sekunden er braucht, um die Tür zu erreichen. Oder sollte er sich entschuldigen, weil er seine Katze füttern müsste? Den Ofen vergessen? Einen Herzinfarkt simulieren?

Noch während er sich seinen Fluchtplan zurechtlegt, richtet Dio sich wieder auf und öffnet das nächste Bier genauso wie das erste, während er weiter redet.

»Nur diese eine Story, das ist alles, woran sich die Menschen heute noch erinnern. Er wollte reich werden und ich hätte ihn verflucht. Das ist einfach gelogen. Dieser Idiot wollte es so!«

Nachdem Al zum wiederholten Mal dazu ansetzt, etwas zu sagen, und Dio ungebremst weiter quatscht, beschließt er, bei der nächsten Gelegenheit seinen Fluchtplan in die Tat umzusetzen. Dio wird es wahrscheinlich nicht einmal bemerken. Seine Stimme wird immer lauter und er wird immer wütender, nachdem er auch das nächste Bier in einem Zug getrunken hat. Al ist sich sicher, dass es heute nicht seine ersten waren.

»Ich bin Dionysos verdammt noch mal! Der Gott der Partys. Ich habe den Menschen Alkohol und gute Stimmung gebracht. Und wie danken sie es mir? Ich bin für sie der Depp, der Midas zur Goldschleuder gemacht hat. Versteht ihr’s nicht? Er konnte sich wieder heilen, weil er mich gefragt hat. Die Nummer hat nur zwei Tage gedauert. Wir haben noch Jahre darüber gelacht.«

Tränen laufen über seine Wangen und er krallt sich in das Tischtuch. Mittlerweile brüllt er mehr, als dass er redet. Die leere Flasche hat er einfach gegen die Wand geschleudert und sich sofort eine neue gegriffen. Al geht mit langsamen Schritten rückwärts weiter in Richtung Tür. Er drückt bereits die Klinke nach unten, während Dio weiter zetert. Mittlerweile weint er hysterisch.

»Ich hatte einen zu viel getrunken. Mein Gott, ich dachte, er meint es so. Es war ein Unfall. Ein Unfall, verdammt! Nur’n Unfallllll.«

Während Al zur Bushaltestelle schlurft, hört er Dio im Gebäude weiter schreien und schimpfen. Er fühlt sich schlecht, weil er den armen Kerl alleine gelassen hat, aber die Situation war ihm einfach zu viel und zu surreal. Dios Geschichte war extremer als das, was die anderen erzählt hatten.

Als der Bus vorfährt, fragt er sich, ob es wirklich einen Sinn hat, noch mal hierher zu kommen. Gleichzeitig fragt er sich, was ihn am Termin nächste Woche erwartet.

Kapitel 2:

Alles für die Likes

Eine Woche später findet das nächste Treffen der Selbsthilfegruppe statt. Al nimmt im Stuhlkreis Platz und lässt den Blick durch die Runde schweifen. Auch Dionysos ist wieder da. Er sieht noch wesentlich betrunkener aus als bei ihrem letzten Treffen und vermeidet es panisch, Al in die Augen zu schauen. Ihm scheint die ganze Sache wohl doch etwas peinlich zu sein. Nach der Begrüßung fragt der Therapeut, wer sich öffnen möchte, und sofort fiept eine helle Stimme:

»Ich!«

Von einem Stuhl, von dem Al dachte, er sei leer, saust eine kleine Fee nach oben. Sie ist maximal zwanzig Zentimeter groß und schwirrt ganz aufgeregt hin und her. Die glitzernden Flügelchen und das rosa Kleid stehen im Kontrast zu ihren schwarz gefärbten Haaren, den Piercings und ihrem Arm voller Tattoos.

»Aber ich brauche noch einen Moment.«

Sie saust im Sturzflug zurück auf die Sitzfläche und wuchtet ein Zigarettenpäckchen auf. Auch, wenn es eine Packung wie jede andere ist, die man am Automaten um die Ecke kaufen kann, so sieht es bei der Fee aus, als würde sie einen Pkw stemmen. Nach einigen Sekunden schleift sie eine Zigarette aus der Schachtel und legt sie auf den Stuhl. Nun beginnt sie, an einem Feuerzeug zu zerren, das auch in der Box steckt. Ihre Flügelchen surren immer lauter und Al ist sich sicher, langsam kleine Schweißperlen auf der Stirn der Fee zu erkennen. Schließlich hat sie es geschafft und stellt das Feuerzeug aufrecht hin. Mit der Zigarette in beiden Händen springt sie mit den Füßen auf das Feuerzeug. Al ist sich sicher, dass höchstens die Fee dabei in Flammen aufgeht, doch direkt beim ersten Versuch glimmt die Zigarette auf und die Fee nimmt einen tiefen Zug. Al klappt beinahe der Kiefer herunter. Mit der Fluppe in den Händen schwirrt die kleine Fee wieder ein Stück nach oben und fängt an.

»Ich bin Glitter. Wie ihr seht, bin ich eine Fee.«

Sie schaut kurz in die Runde und begreift, dass die anderen auf etwas Bestimmtes warten.

»Ach ja und ich bin eine Wunsch-Versehrte.«

»Hallo, Glitter.« Der Chor hatte, was er wollte, und Glitter konnte mit ihrer Geschichte beginnen.

»Ihr wisst, wie das läuft: Alle paar Hundert Jahre suchen wir Feen uns einen Menschen aus, dem wir erscheinen und dem wir drei Wünsche erfüllen. Dafür gibt es von der Gewerkschaft Kohle und wir haben wieder ein paar Jahrhunderte Ruhe.«

Einige der Anwesenden nickten langsam, andere ließen ein leises »ah« ertönen.

»Es war letztes Jahr im Sommer. Meine Finanzen waren aufgebraucht. Diese scheiß Dinger werden immer teurer und mittlerweile verbrauche ich eine Zigarette pro Woche. Habt ihr eine Ahnung, wie aufwendig es ist, sie jedes Mal aus zu kriegen und rumzuschleppen?«

Sie nahm einen tiefen Zug an der Zigarette in ihren Händen, die dabei kaum aufglühte.

»Ich hab mir also einen Namen zuweisen lassen und mich in ihr Zimmer gezaubert. Ein junges Mädchen. Gerade siebzehn und bildhübsch. Ein Job wie Tausende andere. Ein Pferd, ein Prinz, eine Hochzeit.«

Sie nutzt die dramatische Pause, um einen weiteren Zug an der Zigarette zu nehmen. Danach schleudert sie diese wie aus dem Nichts in weitem Bogen davon und fängt an zu schreien. In Feen-Maßstäben heißt das, die Zigarette plumpst auf den Stuhl und Al hört das leise Fiepen der Fee ein kleines Bisschen lauter.

»Denkste! ›Ich will eine Million Follower haben!‹, hat sie zu mir gesagt. FOLLOWER! Was soll das bitte sein? Wer will schon verfolgt werden? Früher wollten die Leute noch ihre Ruhe.«

Aufgeregt fängt die Fee an, über dem Stuhl kleine Kreise zu fliegen. Sie redet sich immer mehr in Rage.

»Fünfmal hab ich sie gefragt. ›Ja, das ist mein Ernst‹, hat sie immer wieder gesagt. Ich hab nur meinen Job gemacht! Eine Millionen Follower waren bestellt – eine Million Verfolger hab ich ihr geliefert. Und wie immer, wenn eine Gruppe Menschen eine Rothaarige verfolgen, ist das schlecht für sie ausgegangen. Ich weiß nicht, wieso sie das unbedingt wollte. Immerhin, eine Million Menschen können einen wirklich beeindruckenden Scheiterhaufen für nur eine Person bauen.«

Ihre kleinen Runden werden immer schneller, während sie spricht. Mittlerweile rast sie nur so durch die Luft.

»Erst als sie nur noch Asche war und ich den Anschiss meines Lebens von der Gewerkschaftsvertreterin bekommen habe, hat mir jemand gesagt, was man heute unter Followern versteht. Wusstet ihr, dass diese Teenager es mögen, wenn Leute in diesem Internet-Ding ihnen zusehen, wie sie dumme Sachen tun? Einige können damit Geld verdienen. Wieso sagt einem das keiner in einer Fortbildung?«

Abrupt stoppt Glitter ihre wilde Raserei und stürzt sich zurück auf die Sitzfläche. Sofort beginnt sie wieder mit der Schwerstarbeit, sich ihre Zigarette anzuzünden.

Al ist fassungslos und fasziniert zugleich. Er wusste bisher auch nicht, was Follower sind. Auch wenn ihm die anderen leidtun, übt es eine gewisse Faszination auf ihn aus, zu hören, wie seine Wunsch-Kollegen in ihrem Job gescheitert sind. Auch wenn er sich dafür schämt, ist er gespannt auf die nächste Sitzung und die nächste Geschichte.

Kapitel 3:

Gold und Regenbögen

Woche drei. Al ist schon ganz aufgeregt, als er Platz nimmt. Eigentlich fühlt er sich schlecht dabei, aber die Treffen sind für ihn wie eine schlechte TV-Show. Solange es die anderen trifft und nicht einen selbst, ist es Entertainment. Ist man selbst das Opfer, ist es eine Tragödie.

Heute möchte der kleine Kobold seine Geschichte erzählen. Er entspricht wirklich jedem Klischee. Knappe vierzig Zentimeter groß, grüne Kleidung, weiße Haut und rote Haare. Er hat sogar eine kleine Pfeife im Mundwinkel hängen. Sein Akzent ist anstrengend, aber Al kann ihn mit etwas Mühe verstehen.

»McLintock mein Name. Fitzgerald McLintock. Wunsch-Versehrter.«

»Hallo, Fitzgerald.«

»Ihr kennt den Dreh. Mein Goldtopf steht am Ende eines Rainbow. Wer ihn findet, hat einen Wunsch frei.«

Allgemeines Nicken. Diese Regeln kennt scheinbar jeder Anwesende.

»Ich bin es leid. Alle wollen nur mein Gold. Aber das ist gar nicht der Deal. Sondern, dass sie für das Finden des Goldes einen Wunsch kriegen. Ich nehme mein Gold und verbuddel es woanders.«

Allgemeines, zustimmendes Gemurmel.

»Seit ein paar Years ist dieses Pack so greedy geworden. Gierig, greedy! Wollen nur den Pot. Greedy Pack!«

Nach den letzten Worten spuckt Fitzgerald wütend auf den Boden. Je wütender er wird, desto mehr driftet der Kobold in seine Muttersprache ab. Der Therapeut zieht mahnend eine Augenbraue nach oben, sagt aber nichts.

»Letztes Mal kam wieder so ein Hipster an. Hat den Topf durch Zufall ausgebuddelt. Ich bin erschienen and told him, er kriegt einen Wunsch. Was hat er gemacht? Wollt ihr wissen, what he did?«

Sein blasser Teint wird immer rötlicher und kleine Sommersprossen ploppen in seinem Gesicht auf. Vor lauter Wut spuckt er wieder auf den Boden. Der Therapeut springt auf, aber Fitzgerald winkt ab, bevor er etwas dazu sagen kann.

»Ja ja, I’m sorry. Passiert nicht mehr. Wo war ich? Ah ja. He kicked me! Er hat nicht einmal geantwortet, er hat mich nur weg gekickt, like a football. Ich bin über das halbe Field geflogen und als ich zurückgelaufen war, war er mit meinem Gold disappeared. Jetzt muss ich warten, bis er alles ausgegeben hat oder stirbt, damit mein Gold zu mir zurückkommt.«

Wütend stampft er ein paar Mal auf den Stuhl, bis die Sitzfläche knackt und er schnell fortfährt, bevor der Therapeut etwas sagen kann.

»Und das ist nicht der Einzige. Als der davor meinen Topf gefunden hat, hat er mich nur angewidert angeschaut. Piss off, hat er gesagt. Verpiss dich! Versteht ihr? Ich habe keine Choice. Ich muss jeden Wish erfüllen. Automatisch. Ich dachte immer, es geht nicht schlimmer aber …«

Al kann nicht anders. Obwohl er verzweifelt sein Pokerface halten will, muss er ein klein wenig schmunzeln. Sofort schauen ihn alle Anwesenden an. Al wird rot und räuspert sich.

»Tut mir leid. Ich … na ja, komm, ich erzähle euch von mir. Und keine Sorge, ihr dürft lachen. Ich finde es rückblickend auch teilweise lustig.«

Die versöhnlichen Gesichter sagen ihm, dass ihn die anderen verstehen. Der kleine Kobold zwinkert Al zu.

»Na gut, dann wollen wir mal. Dass ich ein Dschinn bin, seht ihr ja. Mein Name ist Al. Das ist kurz für Aladdin.«

Ein verwirrtes Raunen geht durch den Raum.

»Lasst mich raten: Ihr kennt alle nur den Zeichentrickfilm? Seit Jahrhunderten können sie sich meinen Namen nicht merken. Keine Ahnung, was da schief gelaufen ist. Nun aber zu meinen Problemen. Aber zuerst: Ja, ich bin Wunsch-Versehrter.«

»Hallo, Al!«

Cel Silen

Hallo, ich bin Tempest. Mein Dosenöffner Cel hat ihre Tastatur alleine gelassen, um sich einen Tee zu machen und weil ich ihre alte Bio langweilig fand, schreibe ich jetzt eine neue, und zwar, um ihr mein Leid mal klarzumachen.

Zuerst einmal wünschte ich mir, ich müsste morgens nicht erst ihre Lesezeichen fressen und ihre Haare anknabbern, bevor sie aufsteht, um mich vor dem Hungertod zu bewahren. Und wo wir gerade beim Thema Wünschen sind. Wäre es nicht wunderbar, wenn ich jeden Morgen erst auswählen könnte, welches Futter ich bekomme? Sie macht das immer falsch. Nur weil ich das gestern verschlungen habe, heißt das nicht, dass ich es heute auch noch essen möchte. Ein bisschen gesunder Katzenverstand und das Thema wäre erledigt. Und das Arbeiten ... Da lege ich mich vor die Tastatur und werde weggeschickt. Dann lege ich mich hinter die Tastatur – und Cel klackert die ganze Zeit auf den Tasten rum. Mit so was muss ich mich tagtäglich beschäftigen, das stell sich einer mal vor. Und das andere Frauchen – einfach nur frech! Da muss ich jeden Abend pünktlich auf dem Sofa meinen Platz eingenommen haben, sonst setzt sie sich da einfach hin. Dabei wünscht man sich doch nur ein bisschen Ruhe!

www. cel-silen.de

Ein gutes Geschäft?

Die bauchige Flasche mit der kleinen schwarzen Geisterkatze darin zog mich magisch an. Ich war mir nicht sicher, wie genau sie das tat, aber alle anderen Zaubertränke und Flaschengeister in dem kleinen Hexenladen verschwammen mit dem Hintergrund und wurden belanglos. Mein Einkaufszettel fiel mir aus der Hand. Die goldenen Augen der Katze wurden größer, ihr kleiner Mund mit den spitzen Zähnen bewegte sich und in meinem Kopf hallten die Worte »öffne mich« wider. Ich griff nach der Flasche.

»Sehr gut.« Die Stimme war schrill und flüsternd zugleich. »Und jetzt öffne mich.«

»Nicht so schnell, ich muss dich erst mal bezahlen.«

»Du kannst dir wünschen, nicht bezahlen zu müssen.«

»So ein Schwachsinn.« Ich stellte die Flasche auf den Tresen.

Der alte Mann mit dem angeklebten Bart und dem mehrmals geflickten Hexenhut betrachtete mich eindringlich. Er zog die Flasche zu sich ran und sagte mit starkem pfälzischen Akzent: »Das Schild hier haben Se aber schon gesehen, wa?«

Er hielt mir den Zettel mit der fetten roten Aufschrift entgegen: Achtung! Gefährlich!

Ich zuckte mit den Schultern. Was konnte an einer Katze schon so gefährlich sein?

»Na gut, öffnen Sie die aber erst, wenn Se draußen sind.«

»Kein Problem.«

»Dann sind das hundert Euro.«

Ich machte langsam einen Schritt zurück und schielte zu meinem am Boden liegenden Einkaufszettel. Das war zu günstig für Magie, die was taugte.

»Zu teuer?« Der Ladenbesitzer nahm Block und Stift zur Hand und kritzelte darauf herum. Sogar von hier konnte ich erkennen, dass er da keine Berechnungen anstellte.

»Ich kann Ihnen die Flasche für nur fünfundsiebzig Euro anbieten. Die Fähigkeiten der Geisterkatze sind einzigartig.«

Sein Grinsen kam mir eher verzweifelt als amüsiert vor und irgendwie war sein Akzent abhandengekommen.

»Sorry, aber nein danke.« Ich hob meine Einkaufsliste auf. Das kam davon, wenn man mal nicht beim Hexenladen des Vertrauens einkaufte.

Der Mann tauchte neben mir in einer Geschwindigkeit auf, die ich ihm nicht zugetraut hätte. »Kommen Sie, ich kann es Ihnen demonstrieren.« Er legte mir eine knochige Hand auf den Rücken und hielt mir die Geisterkatze hin.

Ich nahm sie ihm ab.

Die Schnurrhaare wippten seicht auf und ab, während sie versuchte, mich durch das Glas hindurch zu hypnotisieren.

Die Ladenglocke klingelte und ein Pärchen mit einem kläffenden Cocker Spaniel trat ein. Der alte Mann widmete sich dem Pärchen und ich blieb mit der Flasche allein.

»Du kannst dir wünschen, was immer du möchtest.« Die Geisterkatze schleckte sich über das Näschen.

Ich hielt das Glas auf meine Augenhöhe. »Machst du dann einen auf Dschinn?«

Der Geist hob seine Pfötchen. »Niemals.«

»Gut. Bring den Hund dazu, mit dem Bellen aufzuhören.«

Der Geist miaute, es blitzte auf und der Hund kläffte nicht mehr. Als ich die Sterne weggeblinzelt hatte, sah ich, dass der Hund auf einem weichen Ball herumkaute.

»Antistressball für Hunde«, schnurrte die Katze.

Gar nicht mal schlecht. »Und wo ist der Haken?«

Sie miaute und von der Decke baumelten plötzlich alle möglichen Haken. Kleiderhaken, Angelhaken, Bilderhaken.

Der Ladenbesitzer sah zu uns herüber. »Was meinen Sie? Fünfzig?«

»Was soll ich denn mit einer Geisterkatze im Glas?«

Der Schwanz der Katze zuckte. »Du könntest mich rauslassen. Dann hättest du eine Katze auf der Schulter.«

»Und dann?«

Sie deutete an die Decke. »Wie deutlich muss ich denn noch werden?«

Ich zuckte mit den Schultern. Sie hatte Talent, aber für fünfzig Euro? Verdächtig.

Mit ihren Pfoten machte die Katze eine regenbogenartige Bewegung. »Wenn Du mich heraus lässt, erfülle ich dir jeeeeden Wuuunsch. Ich bin auch pflegeleicht. Nur ein bisschen Fisch hier, ein bisschen Milch da … Flaschengeisterkatzenehrenwort.«

Das Pärchen hatte mittlerweile erfolgreich Ball und Hund getrennt und prompt fing er wieder an, alles anzukläffen.

»Na gut. Kannst du so was wie Kaffee kochen?«

Sie blitzte und ich hielt einen Iced Coffee von einer nicht allzu unbekannten Kaffeemarke in der Hand.

»Bring den wieder zurück.«

»Warum denn? Den hab ich selber gemacht.«

»Ach ja? Warum steht dann hier Naomi drauf?«

»Vielleicht heiß ich so? Woher willst du das denn wissen?« Ihre Schnurrhaare zitterten.

Ich seufzte. Eigentlich hätte ich sie schon lange wieder beiseitestellen sollen, aber sie war so verdammt niedlich.

Während sich das Pärchen am anderen Ende des Ladens beschäftigte, kam der Besitzer wieder zu uns.

»Fünfundvierzig. Letztes Angebot.«

»Für ne Katze im Glas, die Kaffee klaut?«

»Hey! Üble Nachrede!«, schrie die Geisterkatze.

»Meine Ware klaut keine andere Ware«, sagte der Besitzer.

»Gut, dann besorg mir doch mal einen Sportwagen.«

Die Geisterkatze blitzte. Ein Mann in schnittigem, knallroten Wagen rammte die Ladentür. Seinem verdatterten Gesichtsausdruck zu folgen war er eben wohl noch ganz woanders gewesen. Ich zog die Augenbrauen hoch. Die Katze hob entschuldigend die Pfoten.

»Vierzig Euro, und die Katze gehört Ihnen.« Der Ladenbesitzer griff sich meine Einkaufsliste. »Darauf bekommen Sie sogar noch Neukundenrabatt. Ich suche es Ihnen schnell zusammen.«

Die Katze schmollte, als sie ihm hinterher sah. »Ich hab das Gefühl, dass er mich loswerden will.«

»Er will bestimmt nur ein gutes Zuhause für dich.«

Sie schielte zu mir hoch und uns war beiden klar, dass das nicht der Fall war.

Ich seufzte. »Angenommen ich hätte vierzig Euro über. Kannst du versprechen, keine Straftaten mehr zu begehen?«

Die Geisterkatze öffnete freudig den Mund, ihre spitzen Zähne funkelten wie die eines Vampirs bei Vollmond. »Bestimmt! Flaschengeisterkatzenehrenwort!«

Der Ladenbesitzer stellte meine Einkäufe auf die Ladentheke und kratzte sich den angeklebten Bart.

»Hier, alles drin.«

Ich bezahlte und stellte die Katze auf den Tresen. »Warum wollten Sie sich denn nicht länger um sie kümmern?«

Er sah mich an, als hätte ich vorgeschlagen, er solle in seiner Unterwäsche den Mount Everest besteigen.

»Haben Sie sie noch alle?« Er räusperte sich. »Mit einem so erfolgreichen Geschäft kann ich mich doch nicht artgerecht um eine Geisterkatze kümmern.«

»Gut. Ich wünschte, Sie hätten mehr Personal.«

Meine Geisterkatze blitzte. Ich trug einen falschen Bart.

Die Katze im Glas kicherte, der Ladenbesitzer seufzte.

Ich nahm die Flasche wieder an mich und schüttelte sie ganz leicht. Die Geisterkatze wirbelte herum und kam kopfüber zum Stehen.

»So hatte ich das nicht gemeint.« Ich nahm den Bart ab.

»Ups. Versuchs noch mal!« Ihre Augen funkelten.

»Gut. Ich wünschte, jemand würde hier reinkommen und arbeiten wollen.«

Der Sportwagenfahrer öffnete die Tür. Genervt fuchtelte er mit dem Handy herum. »Kann mir mal jemand helfen? Ich muss zur Arbeit!«

»So auch nicht.«

Die Tür schloss sich von selbst wieder.

»So funktioniert das nicht.« Der Ladenbesitzer schob mir energisch meine Einkäufe hin.

»Und wie funktioniert es?«

Er zuckte mit den Schultern. »Woher soll ich das wissen? Finden Sie es irgendwo anders heraus, bevor mein Laden noch draufgeht. Ich will das Vieh hier nicht mehr haben.«

»Hey!«, sagten die Geisterkatze und ich gleichzeitig.

»Wenn ihr euch einig seid, dann seid euch vor meiner Tür einig.« Er kam hinter seinem Tresen vor, drückte mir die Einkäufe in die Hand und schob mich vor die Tür, wo der Sportwagenfahrer noch immer fanatisch telefonierte.

»Wo hast du den eigentlich her?«

Die Geisterkatze sah zufrieden mit sich aus. »Von ’nem Parkplatz.«

»Dann wünsche ich mir, dass er wieder dort ist.«

Es blitzte und der Fahrer verschwand. Der Wagen aber stand noch da. Ich entfernte mich schnell und unauffällig.

»Also kommst du jetzt mit zu mir, ja? Auch wenn ich dich freilasse?«

»Aye, aye.«

»Versprichst du, dich zu benehmen?«

Sie nickte eifrig.

Ich öffnete die Flasche. Was konnte an einer Geisterkatze schon gefährlich sein?

Jelena Moesus

Seit ihrer Geburt in 2001 liebt Jelena Moesus es, sich Geschichten auszudenken. Während es in den ersten Jahren viele Kommunikationsprobleme gab, die auf eine erschreckende Unkenntnis der Babysprache in vielen Erwachsenen rückzuführen ist, erschuf sie dann im Grundschulalter ihre ersten Charaktere auf Papier.

Das entging auch dem Weihnachtsmann nicht, der sie beauftragte, ihm etwas Arbeit abzunehmen und ihre Kreativität für die Suche nach einem Co-Wünscheerfüller einzusetzen. Ihr Fund mag etwas unkonventioneller sein, als er es sich vielleicht gewünscht hätte. Bisher hat er sich nicht weiter dazu geäußert.

Als Alternative begann Jelena, mit dem Wissen aus ihrem technischen Studium an einer Wünschemaschine zu arbeiten. Sobald deren Bau beendet ist, plant sie, ihren ersten Roman zu veröffentlichen.

Rot trägt nicht nur der Weihnachtsmann

Amira war schon sechs und damit in ihren eigenen Augen quasi bereits erwachsen. Und, so stellte sie sich vor, Erwachsene konnten ganz allein ihre Briefe an Santa schreiben. Das war auch, was sie Frau Graf sagte, bevor sie mit einem Blatt Papier und einem grünen Wachsmalstift unter ihrer Decke verschwand. Allerdings war es da zu dunkel, darum tat sie, was jede Erwachsene an ihrer Stelle getan hätte: Sie kroch unter ihr Bett. Endlich zufrieden mit den Lichtverhältnissen und ungestört von den anderen Kindern des Kinderheims machte sie sich daran, ihren Brief zu verfassen.

Letztes Jahr hatte sie sich ein Rennauto gewünscht, aber ganz offensichtlich hatte sie sich nicht klar genug ausgedrückt, denn was am ersten Weihnachtstag unter dem großen Baum in der Eingangshalle gelegen hatte, war ein Spielzeugauto. Was wollte Amira mit einem Spielzeugauto? Es hatte keinen Motor und noch nicht einmal darin sitzen konnte man!

Deswegen war sie dieses Jahr besonders vorsichtig. Sie wollte einen Hund haben. Einen echten, lebenden Hund, mit dem sie im Garten spielen konnte, wenn die Schule vorbei war. Natürlich hatte das Kinderheim nicht genug Geld, um allen vierzehn Kindern einen Hund zu schenken. Deswegen musste Amira ja Santa fragen.

Als sie zufrieden mit ihrem Brief war, faltete sie das Papier zusammen und rannte zu Frau Graf.

Diese schenkte ihr ein müdes Lächeln.

»Hast du auch mit deinem Namen unterschrieben, damit der Weihnachtsmann weiß, wem er das Geschenk bringen muss?«

Amira nickte. Sie wusste, wie man richtige Briefe schrieb, sie war schließlich schon sechs!

Frau Graf lächelte erneut und fuhr ihr sanft durchs Haar.

»Kinder!«, rief sie dann. »Zeit, die Briefe zum Weihnachtsmann zu schicken.«

Aufgeregtes Quietschen hallte durch die Flure und die anderen Kinder kamen aus ihren Verstecken, Schriftstücke in den Händen. Für die, die noch nicht schreiben konnten, hatte Frau Graf die Texte verfasst, und die entsprechenden Briefe hielt sie bereits in der Hand.

Amira ließ sich nicht von der Aufregung der anderen mitreißen. Als verantwortungsvolle Erwachsene sah sie es als ihre Aufgabe, Frau Graf zu helfen, eine gewisse Ordnung zu bewahren.

Sie hielt den Vorsatz für etwa zwanzig Stunden durch, bis zu dem Moment in der Garderobe, in dem Emil ihr seine Mütze ins Gesicht warf. Daraufhin sah Amira es als ihre oberste Pflicht an, aus Rache seinen linken Schuh zu verstecken.

Auch darum dauerte es eine Ewigkeit, bis endlich alle Kinder mit Stiefeln, Jacken, Mützen, Schals und Handschuhen angezogen waren, um zum traditionellen Weihnachtspost-Einwerfen aufzubrechen.

Wie jedes Jahr verschwand Frau Graf für eine endlos lange Zeit im Büro, um zu überprüfen, ob Santa noch immer dieselbe Adresse hatte.

Amira fragte sich, ob das wirklich nötig war. Jeder wusste, dass Santa am Nordpol lebte und selbst wenn er ein paar Straßen weiter gezogen war, würde der Postbote ihn schon finden, mit dem riesigen Rentierschlitten vor der Tür.

Als Frau Graf endlich zurückkam, steckten alle Briefe in einem fetten Umschlag.

»Ist die Adresse vom Weihnachtsmann noch die Gleiche?«, fragte Raja leise.

»Ja, keine Sorge.«

»Sag ich doch«, murmelte Amira und stapfte vorneweg durch die Tür nach draußen.

Schnee war über Nacht gefallen und ihr Atem hing in weißen Wolken vor ihr in der Luft. Die kahlen Obstbäume ragten wie lange Finger aus dem Boden. Sie schauderte. Vor dem Tor blieb Frau Graf stehen und drehte sich zu den Kindern um, die eine erwartungsvolle Traube um sie gebildet hatten.

»Wer will alles mit mir zum Briefkasten kommen?«

»Ich!«, war die mehrstimmige Antwort.

Sie fanden sich zu Zweierreihen zusammen. Amira stellte sich neben Emil und grinste.

»Ich wette, Santa findet meinen Brief am besten. Ich habe extra noch einen Weihnachtsbaum dazu gemalt.«

Emil schnaubte. »Der Weihnachtsmann ist nicht bestechlich.« Er überlegte für einen Moment. »Und wenn doch, dann findet er mein Rentier bestimmt besser als deinen Weihnachtsbaum.«

»Das hättest du wohl gerne. Deine Rentiere sehen aus wie Ziegen mit Gabeln auf den Köpfen.«

Emil streckte ihr die Zunge raus. Amira fand, dass das ein sehr kindliches Verhalten war, aber Emil war immerhin auch erst fünfeinhalb. Deswegen war es manchmal nötig, sich seiner Sprache zu bedienen. Sie erwiderte die Geste. Doch nur ganz kurz. Nur, um ihre Position klarzustellen.

Frau Graf gab das Zeichen. Eines nach dem anderen machten die Kinder sich auf den Weg durch das Tor und über den Zebrastreifen durch das Dorf zum Briefkasten.

Nicola Graf saß auf dem Stuhl in ihrem Büro und vergrub die Stirn in ihrer Hand. Ein Feuer flackerte im Kamin. Aber die Heizung war kaputt und überall in dem alten Gebäude zog es, sodass ihr ständig kalt war, und deswegen trug sie zusätzlich eine dicke Wolljacke. Vor ihr auf dem großen Eichentisch lagen die Wunschzettel der Kinder. Sie schloss die Augen.

Die Spendenlieferungen waren zu spät, die neuen Schneehosen hätten schon seit Langem hier sein sollen. Geld fehlte an allen Ecken und Enden und trotzdem konnte sie den Kindern nicht einfach sagen, dass es dieses Jahr keine Geschenke geben würde. Der Weihnachtsmann hatte schließlich keine Geldnot. Eigentlich unfair, dass er das ganze Jahr bequem in seiner Hütte am Nordpol sitzen konnte. Selbst wenn die Zeit kam, die Geschenke vorzubereiten, ließ er seine Elfen für sich arbeiten.

»Seine Arbeitszeiten müsste man haben.« Nicola seufzte.

Für einen Moment hatte sie echt überlegt, den Kindern zu sagen, dass der Weihnachtsmann dieses Jahr krank war und nicht kommen konnte. Hatte er bezahlte Krankheitstage? Brauchte er ein Attest für seinen Arbeitgeber? Wer sollte überhaupt sein Arbeitgeber sein? Sie schüttelte den Kopf. Dieser Job würde sie noch wahnsinnig werden lassen. Letztens hatte sie die ersten grauen Strähnen in ihren braunen Haaren entdeckt. Mit neunundzwanzig!

Nicola schrieb Ganz viele Kekse auf ihren immer unrealistischer werdenden Zettel mit den Wünschen der Kinder und nahm den nächsten Brief vom Stapel.

Hallo Santa,

Nein. Sie blinzelte. Das stand da nicht. Nicola zwang ihren müden Kopf zur Konzentration und begann erneut zu lesen.

Hallo Satan,

bitte geb mir einen hund. Ich pase auch gut auf ihn auf versprochen.

Aber einen echten hund kein spiel zeug wie letztes jar!

Hab dich lib (wen du mir einen hund schenkst)

Amira

In die untere Ecke hatte das Mädchen einen Weihnachtsbaum gemalt, der ein bisschen so aussah wie das Feuer in Nicolas Kamin. Satan? Sie vergrub den Kopf tiefer in ihrer Hand. Einen echten Hund. Sie hatte weder die Zeit noch das Geld noch den Nerv für einen Hund. Tränen am Weihnachtstag waren vorprogrammiert.

Trotzdem schrieb sie Hund auf ihre Liste. Vielleicht gab es ja ein Weihnachtswunder. Für Nicola hätte es schon gereicht, wenn die verdammten Schneehosen endlich ankämen und sich keins der Kinder eine Blasenentzündung zuzöge.

Der erste Weihnachtstag war sowohl der am dringendsten erwartete, als auch der gefürchtetste Tag des Jahres. Amira wachte mit der Sonne auf, wie eine Erwachsene eben, und warf ein Kissen auf Emil im Hochbett neben ihr, eher weniger wie eine Erwachsene. Er öffnete die Augen mit einem Murren, aber so, wie sie es sah, hatte sie ihm einen Gefallen getan. Weihnachten war der schönste Tag, also musste man so früh wie möglich aufstehen, um am meisten davon zu haben.

Emil schien ihr Geschenk nicht besonders wertzuschätzen, denn er blieb noch gefühlt stundenlang in seinem Bett liegen, die Decke über den Kopf gezogen.

Amira hatte keine Zeit, auf ihn zu warten. Sie zog also ihre Hausschuhe an, wickelte sich die Decke um ihre Schultern und huschte dann wie eine Superspionin das Treppenhaus hinunter. Die Lichterkette, die Frau Graf gemeinsam mit den Kindern um den Baum gewickelt hatte, strahlte schon golden.

Und darunter lagen die Geschenke, eingepackt in braunes Papier. Amira unterdrückte den Drang, auf und ab zu hüpfen. Jedes Kind fürchtete Weihnachten, denn was war, wenn Santa gerade dieses Haus vergessen hatte und es keine Geschenke gab? Oder wenn es die falschen Geschenke waren? Zum Beispiel nur ein Spielzeugauto, anstelle eines Rennautos?

Sie schlich sich an den Baum heran, während ihr Deckenmantel über den kalten Boden schleifte. Die Geschenke waren alle besorgniserregend klein.

»Hundi?«, fragte Amira vorsichtshalber.

Nichts bewegte sich. Und sowieso hätte ein Hund doch Luftlöcher in seiner Kiste gebraucht. Sie hatte außerdem gedacht, dass das Tier einfach nur eine Schleife um den Bauch tragen würde.

Aber da war kein Hund. Tränen stiegen ihr in die Augen und sie ließ sich lustlos rückwärts auf den Boden plumpsen.

»Wieso versteht Santa mich nicht?«, fragte sie leise.

Nie brachte er ihr das richtige Geschenk. Dabei war sie dieses Jahr so genau gewesen.

Wuff.

Amira blinzelte und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. »Hundi?«

Noch ein Bellen erklang, tief und laut.

Sie sprang auf. »Hundi!«

Santa hatte ihren Wunsch vielleicht doch erfüllt. Und während sie schon zur Tür rannte, bloß in Hausschuhen, ohne Jacke oder Handschuhe, dachte sie sich, dass es ja logisch war: Der Hund hatte Beine. Ihm war bestimmt langweilig gewesen, sodass er nicht die ganze Nacht unter dem Baum hatte sitzen wollen, und zum Spielen in den Garten gegangen war.

Ihre Decke schleifte durch den Schnee, aber Amira hatte nur Augen für den Hund. Er war fast so groß wie sie und sah nicht ganz so aus, wie sie ihn sich vorgestellt hatte. Sie hatte gedacht, dass es in ihrem Dorf jede Art Hund gab, die es auf der ganzen Welt geben könnte. Amira hatte nicht gewusst, dass Hunde auch glühend rote Augen und kleine Hörner haben konnten, oder zwei Köpfe. Oder dass ihr Fell rauchen konnte.

Ein sehr, sehr breites Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Hundi«, flüsterte sie andächtig.

Der Hund bellte.

Amira machte einen kleinen Hüpfer und fiel dem Tier um die Hälser. »Wir haben leider kein Hundespielzeug, das kann ich mir erst zu meinem Geburtstag wünschen. Aber wir haben einen großen Garten, siehst du ja, und dann können wir einen Stock suchen und ich nenne dich Flocke, kurz für Schneeflocke, weil es gestern geschneit hat, und heute bist du hier.« Sie ließ den Hund los, erinnerte sich an einen Teil von einem Film, den sie mal gesehen hatte. »Aber wenn du hier bist, dann musst du auch brav sein«, sagte Amira streng. »Sitz.«

Der Hund legte die Köpfe schief, als wäre er verwirrt. Amira sah weiter streng auf ihn herunter, bis er schließlich seinen Hintern auf den Boden setzte. Wo er den Schnee berührte, schmolz dieser zu Wasser und das schwarze Fell dampfte ein wenig.

Amira grinste breit. »Guter Hund.«

Flocke begann zu hecheln und mit dem Schwanz zu wedeln.

»Oh«, sagte sie plötzlich. »Ich muss Frau Graf Bescheid sagen, dass Santa hier war! Sie wird sich freuen.«

Flocke legte die Köpfe schief.

»Du bleibst am besten hier und suchst dir einen Stock, damit wir gleich spielen können, wenn ich angezogen bin, okay?« Amira machte einen weiteren kleinen Hüpfer und lief dann, so schnell sie konnte, zurück ins Haus.

Nicola Graf mochte Schlaf. Sie mochte es, acht bis neun Stunden am Tag nicht nachdenken zu müssen und stattdessen in ihren Träumen zivilisiert mit Zombies in der nächstgelegenen Drogerie zu reden. Sie mochte Schlaf, und deswegen fragte sie sich oft, wenn ein Kind früh morgens an ihre Tür hämmerte, obwohl sie erst spät in der Nacht zuvor zur Ruhe gekommen war, wieso sie diesen Beruf gewählt hatte.

»Frau Graf«, schallte es durch die Tür.

Lungen hatten diese Kinder. Manchmal glaubte sie kaum, dass so viel Ton aus so kleinen Körpern kommen konnte.

»Frau Graf, Santa war da!«

Hat Santa die Heizung repariert?, dachte sie noch halb im Schlaf. Natürlich nicht, antwortete sie sich selbst, nachdem sie eine vorsichtige Hand aus dem Schutz ihrer Decke gesteckt hatte. Fauler Sack.

»Frau Graf, aufwachen! Santa hat mir einen Hund gebracht.«

Nicola setzte sich auf. Basierend auf Amiras Reaktion auf das Spielzeugauto letztes Jahr konnte sie nicht das kleine Gummitier meinen, das Nicola auf einem Flohmarkt gefunden hatte.

»Er hat zwei Köpfe und leuchtende Augen.«

Dann doch ein Spielzeug. Vielleicht von den Nachbarn? Nicola konnte sich trotzdem nicht zurück ins Bett sinken lassen. Leuchtende Augen klang nach einer Batterie und ein Spielzeug mit Batterie war wahrscheinlich teuer und außerdem etwas, auf das die anderen Kinder neidisch sein würden. Sie musste Amira klarmachen, dass ein Spielzeug von den Nachbarn allen gehörte, nicht nur ihr, auch wenn es zufällig ein Hund war.

Also seufzte Nicola, schlug mit einem Schaudern die Decke zurück und begann, sich anzuziehen.

Der Hund hatte wirklich zwei Köpfe. Nicola blinzelte. Er hatte immer noch zwei Köpfe. Und Hörner. Und Feuer in den Augen und dampfendes Fell, und einen riesigen Ast im linken Maul, der von einem der Obstbäume zu kommen schien.

Amira stand mit einem stolzen Grinsen neben ihm. »Das ist Flocke. Er kann schon Sitz. Guck! Sitz.«

Der Hund setzte sich. Er hatte immer noch zwei Köpfe.

Müsste er nicht drei haben?, kam es Nicola in den Sinn und sofort fragte sie sich, ob nicht vielleicht Asbest in den alten Wänden war, das ihr Hirn zu Brei hatte werden lassen. Sie kniff sich in den Arm. Der Hund hatte immer noch zwei Köpfe.

»Ach du heilige Scheiße«, sagte sie, bevor sie es sich verkneifen konnte.

»Scheiße sagt man nicht«, tadelte Amira mit sichtlicher Genugtuung, sie beim Fluchen erwischt zu haben.

»Heilig?«

Nicola fuhr herum. Da stand ein Mann im Schnee, in einem blutroten Anzug. Er trug einen großen, silbernen Siegelring an der rechten Hand und das lange Haar zu einem Dutt zusammengebunden. Er hatte außerdem keine Fußspuren im Schnee hinterlassen.

»Und Sie sind?« Hatte sie zusätzlich auch noch vergessen, das Tor abzuschließen?

Der Mann lächelte selbstgefällig. »Ich habe viele Namen. Du würdest mich den Teufel nennen.«

Witzbold. »Mhm.« Nicola verschränkte die Arme vor der Brust. »Von welcher Behörde kommen Sie?«

Sein Lächeln verwandelte sich in einen irritierten Gesichtsausdruck. »Behörde?«

»Oder sind Sie wegen der Heizung hier?« Bitte sag Ja. Er sah nicht aus wie ein Handwerker, aber die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt.

»Nein«, sagte er zögerlich.

»Was ist der Teufel?«, fragte Amira.

Der Mann schenkte ihr ein schiefes Lächeln, das einen Schauer über Nicolas Rücken laufen ließ. »Hattest du schon einmal einen Albtraum, kleiner Mensch?«

Sie nickte mit großen Augen.

»Ich bin das, was deinen Albträumen Angst macht.«

»Oh.« Das Mädchen nickte verständnisvoll und schon nicht mehr ängstlich. »Also vertreibst du meine Albträume.«

Der Mann blinzelte.

Bevor er noch etwas sagen konnte, wandte Nicola sich an Amira. »Ausnahmsweise darfst du heute vor dem Frühstück ein bisschen draußen spielen. Aber nur bis die Glocken läuten, dann gehts zurück ins Haus. Verstanden?«

Amira quietschte leise und umarmte den Hund. »Komm mit, ich zeige dir den Rest vom Garten!«

Der Hund hatte immer noch zwei Köpfe. Er benötigte beide, um den riesigen Ast hinter dem Mädchen herzuziehen.

Nicola wandte sich zurück an den Mann. »Was wollen Sie hier?«

»Schauen, ob mein Höllenhund angekommen ist.«

»Der Hund kommt von Ihnen?« Zwei Köpfe oder nicht, das Tier war fast so groß wie das Mädchen und seine Zähne sahen spitz genug aus, um einen Hirsch zu reißen. Nicola richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und sah zu dem Mann hinauf. »Sie haben einer Sechsjährigen einen Kampfhund geschenkt? Sechs! Sie ist sechs! Wissen Sie, wie unverantwortlich das ist?«

Der Mann runzelte die Stirn. »Selbst meine schwächsten Dämonen können mit zweiköpfigen Höllenhunden umgehen.« Sein Gesichtsausdruck glättete sich, er atmete tief durch und warf einen hochmütigen Blick auf sie herab, so als wäre ihr Vorwurf nicht vollkommen berechtigt gewesen.

Nicola bildete sich ein, dass seine Augen außerdem rot aufblitzten.

»Ich bin der Teufel, Mephisto, Satan und es würde meinem Ruf sehr schaden, wenn ich auf einmal anfangen würde, verantwortungsvolle Dinge zu tun!«

Satan. Nein. Santa. Satan. Nein.

Amira spielte mit dem Hund. Er hatte immer noch zwei Köpfe.

Der Mann stand in einer Fläche aus makellosem Schnee.

Santa. Nein.

»Satan?«

»Ich kann mich nicht an das letzte Mal erinnern, das jemand mir einen Brief geschrieben hat.« Der angebliche Teufel zuckte mit einer Schulter. »Es hat mein Interesse geweckt.«

Nicola starrte ihn an, als hätte er zwei Köpfe.

Amira kam leise keuchend vor ihnen zum Stehen, der Hund dicht hinter ihr.

»Santa«, sagte sie und Besorgnis zeichnete ihr Gesicht. »Ist dir nicht kalt am Nordpol, wenn du mir deinen Hund schenkst?«

Der Teufel öffnete den Mund, schloss ihn, setzte erneut an: »Da, wo ich wohne, ist es sehr warm.«

Amira nickte wissend. »Wegen des Klimawandels.«

Nicola kniff sich ein weiteres Mal in den Arm. Es tat weh. Sie stand immer noch in der Kälte. Der Hund hatte immer noch zwei Köpfe. Und Hörner. Der Mann hatte auch Hörner, bemerkte sie jetzt.

»Erfüllst du alle unsere Wünsche?«, fragte das Mädchen unbeirrt. »Weil ich weiß, dass Emil sich einen Haufen Kekse gewünscht hat, der so groß ist wie unser Haus, und die kann er bestimmt nicht allein aufessen.«

»Nein«, sagte der Teufel. Er schien immer unsicherer zu werden.

Nicola fragte sich, ob sie in einem Fiebertraum feststeckte. Zur Sicherheit legte sie sich eine Hand an die Stirn. Kalt.

Amira seufzte. »Ich hab ihm gesagt, dass das ein unrealistischer Wunsch ist. Ich wette, so viele Kekse gibt es auf der ganzen Welt nicht. Nicht mal Santa kann so viele Kekse bringen, wenn es auf der ganzen Welt nicht so viele gibt.«

Der Teufel stemmte die Hände in die Hüften. »Ich besitze mehr Macht, als du jemals begreifen könntest, kleiner Mensch.«

»Wieso habe ich dann letztes Jahr nur ein Spielzeugauto bekommen?«

»Ich kann jeden Wunsch erfüllen«, beharrte der Teufel.

Amira hob den Kopf. »Hast du deine Mütze verloren?«

Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und Nicola bildete sich ein, dass der Himmel etwas dunkler wurde.