Vom Eigenen und dem der anderen - Eva Chiwaeze - E-Book

Vom Eigenen und dem der anderen E-Book

Eva Chiwaeze

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Beschreibung

Menschen, die Trauernde begleiten, sollten sich auf diese Aufgabe vorbereiten und sich dafür qualifizieren. Selbsterfahrung ist eine unabdingbare Voraussetzung, um zu begleiten. Durch die unbewusste Übertragung der eigenen Bedürfnisse, Ängste und Sicherheiten auf die Betroffenen und Angebote aus der eigenen Hilflosigkeit heraus behindern Begleitende möglicherweise Trauerprozesse und schaden denjenigen, denen sie gut tun wollen. Supervision für die Begleitenden ist eine zuverlässige und in anerkannten Ausbildungen verpflichtende Möglichkeit, durch Reflexion solche Entwicklungen zu erkennen und zu vermeiden. Das Buch ermutigt zum einen Begleitende zur Supervision und beschreibt zum anderen Methoden, die in diesem Themenbereich sinnvoll eingesetzt werden können. Supervisorinnen und Supervisoren erhalten Anregungen zur Erweiterung ihrer Feldkompetenz im Bereich Trauerarbeit und Trauerbegleitung.

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Hrsg. von Monika Müller

Die Buchreihe Edition Leidfaden ist Teil des Programmschwerpunkts »Trauerbegleitung« bei Vandenhoeck & Ruprecht, in dessen Zentrum seit 2012 die Zeitschrift »Leidfaden – Fachmagazin für Krisen, Leid, Trauer« steht. Die Edition bietet Grundlagen zu wichtigen Einzelthemen und Fragestellungen im (semi-)professionellen Umgang mit Trauernden.

Eva Chiwaeze

Vom Eigenen unddem der anderen

Supervision in der Trauerbegleitung

Vandenhoeck & Ruprecht

In Erinnerung an Matthias Dölling (1956–2016)

Mit 2 Abbildungen

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sindim Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-647-99819-0

Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de

Umschlagabbildung: Steffz/photocase.de

© 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,

Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen/

Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.

www.v-r.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlichgeschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenenFällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Satz: SchwabScantechnik, Göttingen EPUB-Erstellung: Lumina Datamatics, Griesheim

Inhalt

Vorwort

Supervision Ehrenamtlicher – eine Einführung

Trauerbegleitung – ein kleiner Überblick

Supervision in der Trauerbegleitung

Interviews

Monika Müller

Erwin Richter

Hannelore Schmidt

Marianne Ridder

Gabriele Mariel Pauls-Reize

Praxisbeispiele

Teamsupervision der Leiterinnen einer Trauergruppe für Witwer und Witwen

Teamsupervision zur Krisenintervention

Teamsupervision von Begleiterinnen für Trauerreisen

Einzelsupervision – Koordinator Ambulanter Hospizdienst

Einzelsupervision einer ehrenamtlichen Trauerbegleiterin

Gruppensupervision für ehrenamtliche Begleiterinnen eines Trauercafés

Methoden

Methoden zu Beginn der Sitzung

Methoden zur Fallbearbeitung

Methoden zum Abschluss der Supervisionssitzung

Feldkompetenz für Supervision in der Trauerbegleitung

Literatur

Anhang: Ethische Leitlinien der DGSv (Deutsche Gesellschaft für Supervision e. V.)

Vorwort

»Und sie setzten sich zu ihm auf die Erde sieben Tage undsieben Nächte lang, ohne dass einer ein Wort zu ihm redete;denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.«(Hiob 2,13)

Trauernde zu begleiten erfordert seelische und emotionale Kraft. Die Erfahrung von Ohnmacht angesichts der existenziellen Berührung durch die Offenbarung tiefen Schmerzes durch das Gegenüber und die damit oft verbundene Angst vor eigenen Verlusten – oder die Erinnerung an eigene Trauer – lösen persönliche Prozesse aus, die der Reflexion bedürfen, um die persönliche Sicherheit, den angemessenen Abstand und die achtsame Aufmerksamkeit für die Trauernden zu behalten. Supervision bietet sich als Format dazu an. Dies ist unbestritten. Supervision ist verpflichtender Bestandteil der durch den Bundesverband Trauerbegleitung (BVT) zertifizierten und anerkannten Ausbildungen zur Trauerbegleitung und wird aktiv Begleitenden regelmäßig empfohlen.

Trauerbegleitung wird inzwischen vielfältig angeboten. Der Begriff »Trauerbegleitung«, im Suchportal des Internets eingegeben, findet etwa 500.000 Treffer in einer halben Sekunde. Beim Begriff »Supervision für Trauerbegleiter« sind es circa 40.000 Verweise auf Angebote. Das ist eine Fülle, die dennoch nicht alle aktiv Begleitenden erreicht. Die Masse des Angebotes ist darüber hinaus nicht gleichzusetzen mit dem Maß seiner Qualität und Brauchbarkeit.

Trauernde werden oft durch Ehrenamtliche begleitet, die sich auf unterschiedliche Weise auf diese Aufgabe vorbereitet haben. Etliche begegnen Ausbildungsanforderungen, wie sie durch den BVT formuliert wurden1, und auch Supervisionsangeboten mit großer Skepsis.

Trauerbegleiterinnen und Trauerbegleiter, die aus therapeutischen und sozialpädagogischen, pflegerischen und seelsorglichen Arbeitsgebieten kommen, sind mit dem Format Supervision vertraut und nutzen es oftmals regelmäßig. Sie arbeiten im professionellen Kontext immer auch persönlich, mit ihren eigenen Erfahrungen und Geschichten, somit sind sie verwickelt. »Trauerbegleitende sollten bereit sein, sich einzulassen auf die Geschichte und das Schicksal eines trauernden Menschen mit dem je individuell erlittenen Verlust«, heißt es in der Beschreibung notwendiger Kompetenzen durch den Bundesverband Trauerbegleitung e. V. (Infobroschüre BVT e. V., 2015, S. 6). Wer verwickelt wird, braucht die Möglichkeit der regelmäßigen Distanzierung und des Verlassens der begleiteten Trauersituation durch Supervision. Für diejenigen, die Trauernde begleiten, ist Supervision notwendig. Die Kosten für die Supervision Ehrenamtlicher übernehmen in der Regel die Hospizvereine oder Kirchengemeinden. Selbstständige Beraterinnen und Berater beklagen allerdings die mit dem Angebot von Supervision verbundenen hohen Kosten. Da Trauerbegleitung durch die Krankenkassen nicht finanziell gefördert wird, fehlen manchen Freiberuflern die finanziellen Mittel für Supervisionseinheiten.

»Je mehr ich als Trauerbegleiter über mich selbst und meine eigene Trauer weiß, desto mehr kann ich Trauerbegleiter sein, der in der Lage ist, den individuellen Weg des Trauernden im konstruktiven Umgang mit seiner Trauer zu unterstützen. Demnach ist die Selbsterfahrung, also das Wissen um eigene psychische Mechanismen, ein unverzichtbarer Bestandteil in der Qualität in der Ausbildung von Trauerbegleitern«, postuliert bereits im Juni 2002 anlässlich der Zweiten NRW-Trauerkonferenz der Psychotherapeut Thorsten Adelt in einem Vortrag (in: Trauer-Institut Deutschland e. V., 2003, S. 15).

Dieser Anspruch ist auch an die Supervisorinnen und Supervisoren in diesem Arbeitsbereich zu stellen. Das Wissen um das Eigene, um die persönlichen Prägungen durch Abschied und Trauer, ist Voraussetzung für die Reflexion des Umgangs mit dem der anderen. Methodische Sicherheit und Vielfalt allein genügen nicht, wenn die Selbsterfahrung und bewusste Entdeckung und Entwicklung der persönlichen Haltung zum Thema fehlen. Profunde Kenntnis von aktuellen Ansätzen und Methoden in der Trauerbegleitung und der Ergebnisse wissenschaftlichen Forschens bedeuten Kompetenz, die sicheres Arbeiten ermöglicht und Klärungsprozesse trägt.

Dieses Buch will zur Supervision ermutigen – die Begleitenden ebenso wie die Supervidierenden. Vor mehr als zwanzig Jahren habe ich als Koordinatorin eines ambulanten Hospizdienstes die Einführung von Supervision für die Ehrenamtlichen miterlebt. Was ist eigentlich Supervision? Diese Frage stellten alle. Sie wollten »sowas« eher nicht, waren verunsichert und hatten Befürchtungen: dass sie nicht gut genug wären; dass sie sich entblößen, vielleicht blamieren würden; dass Dinge, die verborgen sind, ans Licht kämen; dass sie verstört und verwirrt würden, während sie doch intuitiv, aus dem Herzen oder dem Bauch heraus, schon wüssten, was zu tun sei. Weil sie sich dennoch die Supervision zugemutet hatten, standen diese Frauen und der eine Mann gemeinsam mit ihrer Supervisorin am Beginn einer Entwicklung, die Supervision in diesem Hospizdienst heute selbstverständlich und gewünscht sein lässt.

Ich möchte die Frage, was Supervision eigentlich ist, kurz und verständlich für die ehrenamtlich engagierten Leserinnen und Leser beantworten. Für die Supervisorinnen und Supervisoren in diesem Feld werde ich darüber hinaus darstellen, welche spezifischen Notwendigkeiten die Supervision in der Trauerbegleitung vor allem bei Ehrenamtlichen hat. Durch ein Interview mit Monika Müller wird lebendig, wie das Angebot von Trauerbegleitung in Deutschland sich entwickelt hat – schon von Anfang an war den Initiierenden bewusst, welche Notwendigkeit und Qualität die Supervision für Trauerbegleiter hat bzw. haben muss. Alsdann kommen Ehrenamtliche und hauptberufliche Begleiter zu Wort, um zu beschreiben, warum sie keine Supervision in Anspruch nehmen oder aber, warum sie ihnen so wichtig ist.

Im Praxisteil werden eine Auswahl möglicher Methoden sowie Fallbeispiele vorgestellt. Dazu gehören zwei Beispiele von Supervisionsprozessen als Elemente von Trauerbegleitung.

Die im Anhang abgedruckten ethischen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Supervision e. V. enthalten die spezifischen Anforderungen an die Supervision/Supervisoren und sind Rahmen und Hintergrund meiner Ausführungen.

So hoffe ich, Supervisorinnen und Supervisoren zur persönlichen und methodischen Vertiefung des Arbeitsfeldes Trauerbegleitung einzuladen und Begleitende zu inspirieren, Supervision wahrzunehmen.

1http://bv-trauerbegleitung.de/standards/qualitaetsstandards/

Supervision Ehrenamtlicher – eine Einführung

Supervision als Beratungsform geht zurück auf die Entstehung der Sozialarbeit in den USA vor mehr als hundertfünfzig Jahren. Ehrenamtliche sollten dabei unterstützt werden, ihre Betreuungsarbeit für ankommende Einwanderinnen und Einwanderer sachlich angemessen und persönlich gut erträglich tun zu können. Sie wurden fachlich durch die – meist hauptberuflich arbeitenden – Leitungskräfte beraten. Die englische Vokabel für Leitungskraft ist »Supervisor«. In den 1950er Jahren wurde Supervision zunehmend relevant für psychotherapeutisch ausgerichtete Arbeit. Selbstreflexion und Wahrnehmung der eigenen emotionalen Beteiligung in Beratungsprozessen zur Klärung und Entwicklung des professionellen Umgangs mit den Klientinnen und Klienten waren Thema. Es ging nicht mehr ausschließlich um die Vermittlung solider Arbeitsgrundlagen durch am konkreten Fall orientierte, auch fachlich (be-)lehrende Beratung, sondern um die Wahrnehmung eigener emotionaler Prozesse und die Betrachtung der ihnen folgenden Handlungen. Insbesondere das Phänomen der nichtbewussten Übertragung eigener Gefühle, Erwartungen, Einstellungen und Systeme in die Erlebniswelt der Klienten kam in den Blick.

Die Supervision Ehrenamtlicher war, wie bereits erwähnt, der Ursprung von Supervision und ist heute wieder ein wachsendes Arbeitsfeld. In vielen Bereichen der Gesellschaft sind Menschen heute ehrenamtlich engagiert und tragen so zur Kompensation der durch die Veränderung von Familien- und Nachbarschaftsstrukturen ausfallenden Pflege- und Betreuungsleistungen bei. Ehrenamtliche im Bereich der Hospizarbeit, Telefonseelsorge, Notfallseelsorge oder als Begleitende demenziell erkrankter Menschen erwarten heute häufig, dass ihr Engagement ihnen bei der persönlichen Entwicklung und Sinnfindung dient: »Mut haben, Dinge ausprobieren, zu reflektieren, zu möglichen Fehlern stehen. Gelassenheit und Geduld. Mehr Selbstvertrauen, auch eigener Intuition zu trauen. Unsere positive Entwicklung wird von der Außenwelt gespiegelt. Wir sind Multiplikator und Ansprechpartner. Wir haben tieferes Verständnis für das Menschsein. Wir erleben Bereicherung für unser persönliches Leben, die uns beim Sterben von Familie und Freunden hilft. Wir lernen ständig und entwickeln uns weiter. Wir haben Respekt vor dem Anderssein« – so beschreiben es ehrenamtliche Sterbebegleiterinnen.2

Die Begegnungen zwischen Hilfebedürftigen und Helfenden geschehen zunehmend auf Augenhöhe und in gegenseitigem Respekt – und die dankbare Folgsamkeit der Betreuten wird so nicht mit Gottes Lohn verwechselt. Diese persönlichen Entwicklungen und Erfahrungen haben Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben: Verständnis, Toleranz, die Fähigkeit, sich zu entwickeln und sich als Lernende zu begreifen, die die Angst vor dem Anderssein verlieren, sind Haltungen, mit denen unsere Gesellschaft den vielfältigen notwendigen Veränderungsprozessen eher gewachsen ist als durch Angst und Feindseligkeiten.

Doch neben positiven Entwicklungsprozessen erfahren die Ehrenamtlichen natürlich auch Belastungen3: »Wir können oft nicht Abschied nehmen. Die körperlichen Symptome, die Laute, die Gerüche in Sterbeprozessen belasten uns ebenso wie schwierige Familienverhältnisse, in denen die begleiteten Menschen sterben. Das ist schwer auszuhalten. Es fällt uns schwer, uns selbst Grenzen zu setzen und sie dann einzuhalten. Manchmal können wir nicht loslassen. Wir müssen mit Ablehnung umgehen, ohne sie persönlich zu nehmen, und Vertrauen von Vertraulichkeit unterscheiden. Wir müssen mit der Angst umgehen, dass unsere Familien oder wir in ähnliche Situationen kommen. Wir müssen aushalten, uns rauszuhalten.«

Anhand der genannten Belastungen wird das Themenfeld der Supervision Ehrenamtlicher deutlich. Sie ist sowohl daran orientiert, am Fallbeispiel zu arbeiten als auch in der Reflexion eigener emotionaler Einbindungen. Im Kontext der Supervision Ehrenamtlicher geht es in der Regel auch um das Erleben der Verbundenheit in einer Gruppe. Das ist ein Supervisionsauftrag, aus dem sich ebenso Empfehlungen für die Struktur von Supervisionssitzungen wie herausfordernde Themen (Ehrlichkeit – Konfliktfähigkeit – Durchlässigkeit) ergeben.

2Arbeitsgruppenergebnis »Entwicklung« beim Fortbildungswochenende der Hospizgruppe Lüdinghausen im Juni 2016.

3Arbeitsgruppenergebnis »Belastungen« beim Fortbildungswochenende der Hospizgruppe Lüdinghausen im Juni 2016.

Trauerbegleitung – ein kleiner Überblick

Haus ohne Fenster

Der Schmerz sargt uns einin einem Haus ohne Fenster.Die Sonne, die die Blumen öffnet,zeigt seine Kantennur deutlicher.Es ist ein Würfel aus Schweigenin der Nacht.

Der Trost,der keine Fenster findet und keine Türenund hinein will,trägt erbittert das Reisig zusammen.Er will ein Wunder erzwingenund zündet es an,das Haus aus Schmerz.

Hilde Domin

»Die Zeiten, in denen die Begleitung trauernder Menschen mehr oder weniger selbstverständlich im familiären Umfeld oder in einer kirchlichen Gemeinde stattfand, liegen lange zurück. Gesellschaftliche Veränderungen haben es mit sich gebracht, dass viele Menschen, die von einem Todesfall betroffen sind, weitgehend unverbunden oder vollständig allein zurückbleiben. Sie haben ein berechtigtes Bedürfnis nach Anerkennung ihres Schmerzes und ihrer Trauer, finden aber in vielen Fällen nicht das Verständnis und die Wertschätzung, die sie als Trauernde benötigen. Das nachvollziehbare und wichtige Bedürfnis, eines verstorbenen Menschen zu gedenken, die Erinnerung wach zu halten und immer wieder davon zu erzählen, findet keine oder häufig nur eine zeitlich begrenzte Beachtung. […] Umso mehr stellt sich heute die Frage, wo Menschen in Trauer Orte und Rahmenbedingungen finden, in denen sie trauern dürfen und wo sie Mitmenschen treffen, die ihnen auf dem individuellen Weg durch ihre Trauer begleitend zur Seite stehen. Gemeint ist damit eine solidarische und mitmenschliche Begleitung, die einer Qualifikation bedarf und die jenseits einer (Psycho-)Therapie stattfindet. Trauer als natürliche Reaktion eines Menschen auf Verlust erfordert keine Therapie, sondern Menschen, die in der Lage sind, sich solchen Situationen zu stellen, sie auszuhalten und auf Augenhöhe im Tempo des trauernden Menschen in eine echte und zugewandte menschliche Begleitung zu gehen« (Bundesverband Trauerbegleitung, 2015, S. 5). Diese Passage aus einer Informationsbroschüre des Bundesverbands Trauerbegleitung beschreibt und fasst die Entwicklung der vergangenen dreißig Jahre zusammen. Die Angebote umfassen heute Einzelsettings, Gruppen, die zur Teilnahme offen oder geschlossen, zeitlich begrenzt oder unbegrenzt stattfinden, Trauercafés, Trauerreisen, Trauerseminare, Trauerwanderungen und mehr. Häufig werden sie durch Kirchengemeinden oder Hospizgruppen organisiert. Auch private Anbieterinnen und Anbieter sind zu finden.

Trauerbegleitung wurzelt in der Hospizarbeit. In den 1980er Jahren entwickelte sich die Hospizbewegung. Der Forderung nach einem anderen Umgang mit Sterben und Tod schloss sich die Erfahrung an, dass trauernde Menschen regelmäßig Unverständnis und Isolation erleben und Begleitungsangebote sinnvoll wären. Im kirchlichen Raum und in einigen Familienberatungsstellen entstanden Angebote für Trauernde, häufig geleitet von ehrenamtlich oder hauptberuflich Tätigen, oft Seelsorgenden der jeweiligen Gemeinden. Die Angebote unterscheiden sich bis heute. Der Prozess der Trauer wird vielfältig betrachtet, reflektiert und erforscht. Auch Begleitungskonzepte werden regelmäßig hinterfragt und weiterentwickelt (vgl. Brathuhn und Adelt, 2015). Trauer soll Raum haben in der Gesellschaft, sie soll sich entwickeln können und Begleitung sollte all jenen zur Verfügung stehen, die sie wünschen. Trauer soll enttabuisiert werden.

Trauernde sind, nachdem sie den Tod eines Angehörigen erlebt haben, damit konfrontiert, weiterzuleben – aber auch mit der unumstößlich für eine geraume Zeit nicht mehr zu verdrängenden auch eigenen Endlichkeit. Begleitung ist sicherlich häufig hilfreich und dennoch bei Weitem nicht immer nötig. Ob ein Bedarf für sich besteht, weiß der Betroffene allein.

Die öffentliche Diskussion von Trauer, die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Trauerprozessen, mit den konstatierten und wenig erforschten Bedürfnissen von Trauernden sowie deren – wenn mögliche – Erfüllung bringen mit sich, dass Trauerwege immer mehr normiert und kontrolliert werden können (vgl. Foucault, 1977). Manche sehen sich mit Erwartungen an ihr Verhalten und ihre Bedürfnisse als Trauernde konfrontiert, die nicht ihrem eigenen Erleben entsprechen. Zuweilen werden sie auf die Neugestaltung ihres Lebenssinns und des Standes ihrer Lernprozesse so häufig angesprochen, dass sie die Effizienz ihres Trauerprozesses für die Gestaltung des Weiterlebens mit dem selbstverständlich zu integrierendem Verlust meinen regelrecht belegen zu müssen – alles muss zu etwas zunutze sein.

Aufmerksame Mitmenschen empfehlen professionelle, mindestens zertifizierte Trauerbegleitung. Trauernde erleben Beileidsbekundungen großer Emotionalität von Menschen, die sie zu unpassenden Zeitpunkten ungebeten mit ihrem Schmerz konfrontieren. Besorgte Fragen danach, ob der Schmerz, den der Trauernde vielleicht nicht so kostbar findet wie der außenstehende Betrachter, fließen darf, setzen unter Druck. Fragen danach, ob man sich seinen Gefühlen stellt, um auch dauerhaft gesunden zu können, ohne die Zinsen für einen Verdrängungsprozess zu zahlen, werden manchmal sogar recht übergriffig gestellt und belasten manch Trauernden. So wird aus dem Recht zu trauern manchmal die Pflicht, so zu trauern, wie es nach dem neuesten Stand des wohlmeinend interessierten Mitmenschen am gesundesten und effektivsten sei.4

Michael Wissert hat damit begonnen, im Rahmen der Studie »TrauERleben«5