Vom eigenen Vermögen der Natur - Paracelsus - E-Book

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Paracelsus

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Beschreibung

Paracelsus (1493–1541) gehört zu den wirkungsvollsten Gestalten der Medizin: als Merkstein zwischen Mittelalter und Neuzeit, als Grenzgänger zwischen Magie und Wissenschaft, als Begründer der Chemie (»Iatrochemie«) aus dem Geiste der Alchemie, als Naturarzt und Feind der gelehrigen »Spekulierärzte«. Diese Auswahl früher Schriften zur Heilmittellehre wurde von Gunhild Pörksen getroffen und übertragen, um sie einem breiten Publikum zugänglich zu machen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Paracelsus

Vom eigenen Vermögen der Natur

Frühe Schriften zur Heilmittellehre

Ausgewählt, eingeleitet und übertragen von Gunhild Pörksen

FISCHER E-Books

Mit einem Nachwort von Heinz Schott

 

Inhalt

fischer alternativ [...]Vorwort (Gunhild Pörksen)Anmerkungen zur AuswahlHerbarius des TheophrastusPrologVon den Blättern der schwarzen Nieswurz (Christrose)Von der schwarzen NieswurzErklärung der Wurzel, wie sie bei jeder dieser Krankheiten gegeben werden sollVon anderen damit zusammenhängenden Krankheiten und Komplikationen, die mit den 4 Hauptkrankheiten einhergehenVon der Persicaria (Flohknöterich)Vom Salz und seinen KräftenVon der englischen Distel (Stengellose Eberwurz)Von den KorallenVon den Kräften des MagnetenBesondere Verordnungen Theophrasts, den Magneten betreffend, für jede Krankheit gesondertVon den natürlichen DingenVom Sankt JohanniskrautVom Honig (Fragment)Das erste Kapitel vom HonigDas zweite Kapitel vom HonigDas dritte Kapitel vom HonigDas vierte Kapitel vom HonigNachwort (Heinz Schott)»Licht der Natur«: Der Erkenntnisprozeß»Impressio«: Die Einwirkung des Himmels»Vulcanus«: Der Alchemist als Vollender der Natur»Tugend«, »Arcana«: Quelle der HeilkraftParacelsus kontra Humoralpathologie: zwei Paradigmen der MedizinHumoralpathologie (Galen)Naturphilosophie (Paracelsus)Paracelsus und die Medizin der Neuzeit

fischer alternativ

Programmschwerpunkt: perspektiven

Eine Reihe des Fischer Taschenbuch Verlags

Herausgegeben von Rudolf Brun

Vorwort

»Paracelsus von Schülern, in einer weichen Schale.«

Mit diesem Eintrag eröffnet Goethe im Januar 1770 ein Quartheft, das die ersten Tagebuchüberlieferungen aus seiner Feder enthält. Goethe hat als Zwanzigjähriger Paracelsus gelesen. Das Notat nimmt auf den ersten Entwurf des Buches Paragranum Bezug, genauer: auf das Kapitel, das mit Der erst grund der arznei, welcher ist philosophia überschrieben ist. In dieser Schrift arbeitet Paracelsus seine Gedanken zur Stellung der Medizin und seine Forderungen an den Arzt zum ersten Mal aus. Die arznei – ein Ausdruck, der Medizin und Pharmazie umfaßt – beruhe auf viererlei »Grund«, oder basiere auf vier »Ecksteinen«, auf vier »Säulen«; auf der philosophia, auf der astronomia, auf der alchemia und auf den virtutes. Diese vier Säulen entwerfen den wissenschaftlichen, geistigen, praktischen und ethischen Raum, den der Arzt ausmessen soll. Die arznei wird hier offenbar als eine Art von Bauwerk gedacht, das von vier Säulen getragen wird, oder das auf vier Ecksteinen ruht. »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden,« heißt es in einem der Psalmen.

Die Namen dieser Säulen gleichen nur vom Lautbild her unseren heutigen Begriffen; Paracelsus handhabt sie aber auch nicht in der gängigen Bedeutung des 16. Jahrhunderts, sondern schmiedet sie sich für seine Zwecke zurecht. Das Paragranum hat die ausführliche Erklärung, die Auslegung der Bedeutung jener Säulen zum Inhalt. Paracelsus fordert das Auflösen und Erweichen der erstarrten Denk- und Sprachmuster: was ist höhers und löblichers an einem auditore oder discipulo, dan das er in einer weichen schalen lige, die da nicht erherte, bis er seiner disciplin gewachsene flügel erlangt hab und der ruten entrinne?

Die in der vorliegenden Auswahl behandelten Naturgegenstände (Christrose, Flohknöterich, Salz, Engelsdistel, Koralle, Magnet, Johanniskraut und Honig) sind unter diesem säulengetragenen Dach beherbergt. Will man versuchen, bei Paracelsus in die Schule zu gehen, so sollte man sie in den Dimensionen dieses Raumes sehen.

philosophia ist das Studium, die Erkenntnis der Natur und aller ihrer Phänomene, ihrer »Dinge«, wie Paracelsus sagt.

In diese Kenntnis ist alles – Pflanzen und Metalle, Mineralien und Erdbeben, Windarten und Früchte… – einbegriffen. Das Weltenganze, der Makrokosmos, umfaßt eine obere und eine untere Sphäre. Der oberen Sphäre, dem Himmel oder Firmament, gehören die Elemente Luft und Feuer an, der unteren, der Erde, die Elemente Wasser und Erde. Der Himmel ist das Arbeitsfeld des astronomus, auf den wir weiter unten zu sprechen kommen, die Erde das des philosophus.

Der Arzt kann nur Krankheiten heilen, wenn er Himmel und Erde kennt, lautet eine oft – so oder ähnlich – formulierte These. Weshalb?

Der Mensch ist – nach Paracelsus – das Kind des Makrokosmos, in allem ihm gleich. Ist Mikrokosmos. Das, was am Menschen sterblich ist, ist am 6. Schöpfungstag vom fabricator als Quintessenz aus den vier Elementen herausgezogen worden. Daraus ist der sterbliche Leib geschaffen worden als eine Doppelheit: elementisch, irdisch, corporalisch, sichtbar ist der Leib, den man nach dem Tod wieder seinem Ursprung übergibt, indem man ihn in der Erde begräbt; firmamentisch, siderisch, astralisch, ätherisch und nicht sichtbar ist der Leib, der – von seinem Erdenanteil getrennt – nach dem Tod noch eine Zeitlang als Schemen »herumgeistert«, bis er sich in seiner Ursprungssphäre, dem Firmament, auflöst. Der unsterbliche Teil des Menschen, das bildnus, fällt dem Tod nicht anheim.

Zurück zum Arzt: wenn man mit Paracelsus den Menschen als Mikrokosmos denkt, dann fangen manche Sätze an, sich zu erschließen: »dann ursach, nichts ist im leib, das auswendig (äußerlich) nicht sein erkanntnus geb«. Oder: »das der arzt nichts find im menschen, den was himel und erden auch haben, und das diese zwei nichts anders scheiden voneinander dan die gestalt der form.«

Medizin ist für ihn also eine vergleichende, Makrokosmos und Mikrokosmos vergleichende Wissenschaft. Diese Konkordanz wahrzunehmen ist für den Arzt insofern entscheidend, weil er nur dann imstande ist, die Krankheit recht zu erkennen, das Heilverfahren, die Rezeptur richtig zu wählen, auch nur dann die richtigen, d.h. sprechenden Termini zur Benennung von Krankheiten finden kann. Diese Übereinstimmung ist nichts Subjektives, nichts aus der fantasei eigens kopfs, sondern sie wird erkennbar »im Licht der Natur«. Dieser Begriff vom Licht der Natur, das mehr beleuchtet und erhellt als das Licht der Sonne, erscheint in allen Werken des Paracelsus. Im Licht der Natur wird die rechte ordnung, d.h. die der Natur eingeschaffene Ordnung, sichtbar; im Licht der Natur erfährt man die heimlichkeit der Dinge, die ihnen eingeprägten Tugenden und Wirkkräfte, ihr inneres Vermögen.

Die zweite Säule der Medizin ist die astronomia, also das Wissen von der oberen Sphäre der großen Welt, vom Gang der Sonne, des Mondes und der Planeten. der mensch ist nach himel und erden gemacht, dan er ist aus ihnen gemacht (…) dieweil nun sein vater himel und erden sind, so muß er all ir art haben und nit eins herlins mangeln. darum aus dem folgt, das der arzt das wissen soll, daß im menschen sindsonn, mon, saturnus, mars, mercurius, venus und all zeichen (…).

Krankheiten können durch die Gestirne verursacht werden, der Krankheitsverlauf ist von ihnen beeinflußt. Der Himmel, die astra, regieren auch die Arznei: es nützt also dem Arzt nichts, nur philosophus zu sein. Die Arzneikräfte der Pflanzen sind keine fixen, jederzeit abrufbaren Stoffe, sondern der gestirnte Himmel ist an der vollkommenen Ausgestaltung ihrer Tugend und bei der Darreichung an den Kranken beteiligt. Wie gewaltig dieser Anteil ist, geht daraus hervor, daß eine Arznei in einer Stunde Gift, in einer anderen Stunde Heilmittel sein kann.

Ohne die Konkordanz gibt es kein Gelingen, weder bei Hantierungen und Bereitungen, weder bei der Ernte von Heilpflanzen, noch beim Gebrauch der Arznei; ohne sie gibt es auch kein Wissen von der Krankheit, denn auch die Krankheit entwickelt sich, reift und hat ihre Zeit. Die Gestirne regieren die Zeit: Zeitigung, Reifung ist ein Urprozeß der Natur. Goethe hat im Gedicht das rechte »Naturbetrachten« benannt: »Nichts ist drinnen, nichts ist draußen; denn was innen, das ist außen …«; bei Paracelsus liest man, wie der Arzt den menschlichen Leib betrachten soll: als dan so ist sichtbar und offenbar, was in im (dem Menschen) ist, dan wie es außen ist, also ist es in im auch, und was außen nit ist, das ist in im auch nit, und ein ding ist das äußer und das inner, ein constellation, ein influenz, ein concordanz …, (…).

Die Säule astronomia jedenfalls macht begreiflich, weshalb Paracelsus, wenn er einen Herbarius verfaßt, nicht eine große Anzahl von Pflanzen mit bestimmten arzneilichen Wirkstoffen dingfest macht: ein Kräuterbuch muß zugleich irdisch und firmamentisch sein.

alchemia, die dritte Säule der Arznei, entstammt dem Unterricht der Lehrmeisterin Natur. Die Natur demonstriert in unendlicher Verwandlung, wie ein und dasselbe Ding durch vielerlei Gestalten zu seiner Vollkommenheit gelangt. Paracelsus verlangt ein Wahrnehmen der beweglichen umgestaltenden Natur: sonst ist es gleich als einem, der im winter einen baum sicht und kennet in aber nit und weißt nit, was in ime ist, so lang bis der somer kompt und eröfnet einander nach, ietzt die sprößlin, ietzt das geblü, ietzt die frucht und was dan in ime ist.

Sein alchimistisches Ziel ist also nicht, Gold zu machen, sondern die geheimen Tugenden zu erblicken – wie im kahlen Baum Blüte und Frucht, und die soll der Alchimist, analog zum Sommer, durch seine Kunst herausarbeiten. Im Hinblick auf den Menschen bedürfen die Naturdinge der Vervollkommnung, Perfizierung, und somit haben alle Handwerke, die aus dem rohen Stoff Geräte oder Speisen oder etwas dergleichen machen, alchimistischen Charakter. Der Arzt vor allem soll nicht das Unbereitete aus der Natur nehmen, sondern durch seine alchimistische Arbeit die unkörperlichen Wirckräfte aus dem Stofflichen entbinden, Quintessenz oder Arcanum gewinnen. Diese illustren Arzneien sind volatil, an der Grenze der Materialität: je unstofflicher die Arznei, desto stärker können die Gestirne in ihr wirken.

Im Zusammenhang dieses alchimistischen Denkens stehen eine ganze Reihe von Wörtern wie z.B. extrahieren – aus/heraus-ziehen, separieren – scheiden, putrifizieren – fäulen, perficieren – vervollkommnen … usw., die zugleich handwerkliche und geistige Begriffe sind.

Die Schöpfungsgeschichte liest sich mit Paracelsus als die Darstellung göttlicher Scheidekunst: gewaltige Akte des Extrahierens, des Perfizierens zunächst der Elemente, nachfolgend der Einzelwesen der Natur als leiblich-greifbare Erscheinungen.

Die vierte Säule, die den Tempel der Arznei trägt, wird virtus, die Tugend, genannt:

Der Arzt soll nicht nur ohne Eigennutz sein, wie die Lilien auf dem Feld und die Vögel unter dem Himmel, sondern auch treu, redlich und wahrhaftig, denn Gott hat den arzt unter allen künsten und faculteten der menschen am liebsten. Paracelsus stellt ihn an die Seite der Apostel Christi. Im Glauben soll er stark sein, ohne Schwärmerei. Der Arzt ist das Senfkorn und soll aufwachsen bei Gott. Er soll seinen Nächsten lieben. Der erste Grund der Arznei sei die Liebe, heißt es an anderer Stelle. Er soll unablässig lernen und wachsen. Sein Wissen soll groß sein. Wissen muß er, um nur auszugsweise einige Dinge zu nennen, z.B. was Melosina, was Sirena sei. was der tod sei, was dem fischer diene; was in den garten gehört; was der zeit gehört; was kriegsleut bedörfen; was jeder stunde sei; was für ein unterschied zwischen frauen und jungfrauen …

Von welcher Säule auch die Rede ist, Paracelsus sucht den Grund, den Anfang, die Ursache, den Ursprung und spricht an vielen Stellen, in erfinderischen und frappierenden Worten die Überzeugung aus, daß Gott der Grund ist: alle künst auf erden sind götlich, sind aus got und nichts aus anderm grund. dan der heilig geist ist der anzünder des liechts der natur, darumb niemants lestern mag die astronomei, niemants die alchimei, niemants die medicin, niemants die philosophei, (…).

Die Natur hat Paracelsus, auch nach seiner eigenen Einschätzung, nicht mit Schönheit begabt. Die Zeitgenossen haben ihn u.a. als den »Waldesel von Einsiedeln« oder »Cacophrastus« apostrophiert. Es gibt nur 2 gesicherte Bildnisse von Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus. Beide stammen sie von dem Stecher Augustin Hirschvogel: 1) ein Brustbild im Profil aus dem Jahr 1538, 2) Paracelsus von vorne seitlich, 1540. Die Gestalt ist hier sichtbar bis unterhalb der Taille, die unverhältnismäßig kleinen Hände halten das berühmte Schwert, die Finger der Rechten umfassen den Knauf, der hohl gewesen sein und ein Wundermittel oder den Stein der Weisen enthalten haben soll. Das Schwert befand sich, als er 1541 starb, nicht unter der protokollierten Hinterlassenschaft. Vor allem das Profilbild strömt Kraft aus, geballte und gesammelte Energie. Eine gewaltige Stirn. Ein gewaltiger Kopf.

Ein heutiger Arzt, der über die Todeskrankheit des Paracelsus gearbeitet hat, diagnostiziert sein Äußeres mit Hilfe der beiden Bildnisse so: »… außer der rachitisch-quadratischen Deformierung des mächtigen Schädels, einer eingesunkenen Nasenwurzel und der von ihm selber bereits 1529 erwähnten Kahlheit, noch eine Kyphose (Verkrümmung) der Brustwirbelsäule …« Sicher ist auch, daß Paracelsus einen Sprachfehler gehabt hat. Beide Bildnisse tragen am oberen Blattrand seinen Wahlspruch: Alterius non sit qui suus esse potest (Wer sein eigner Herr sein kann, unterwerfe sich keinem andern). Das klingt nach Selbstgefühl, nach Freiheit.

Welche Wege ist dieser Mann gegangen? Zeitgenosse z.B. Dürers oder Luthers und selbst früh eine Berühmtheit, hat seine Biographie etwas Verschwimmendes, Unsicheres. Luthers Leben ist von Jahr zu Jahr, oft von Monat zu Monat dokumentiert; der Mann, den die Zeitgenossen bisweilen den Lutherus medicorum nannten, hat ein gewaltiges Werk, dagegen wenige und lückenhafte Nachrichten zur Person hinterlassen. Und Legenden.

Wahrscheinlich ist er im Spätjahr 1493 in Einsiedeln/Schweiz geboren als ehelicher Sohn eines aus Schwaben stammenden Arztes – Wilhelm Bombast von Hohenheim – und einer ehrlichen person, die in einem Dienstleistungsverhältnis zum Kloster Einsiedeln stand. Das Kind erhält die Namen Theophrastus (= der göttlich Beredte, wahrscheinlich nach einem Aristotelesschüler, Theophrastus von Eresos, der der 1. Botaniker war), Philippus Aureolus. Die Mutter ist mutmaßlich früh gestorben.

1502 zieht Wilhelm von Hohenheim mit seinem Sohn nach Villach/Kärnten, bekleidet die Stelle des Stadtarztes und lebt dort 32 Jahre bis zu seinem Tod. Mein lieber vatter, sagt Paracelsus, und als er seine Lehrer aufzählt, nennt er erstlich Wilhelmus von Hohenheim, meinen vatter, der mich nie verlassen hat.

Man nimmt an, daß Paracelsus im Lavanttal in der dem Benediktinerkloster St. Paul angeschlossenen Klosterschule unterrichtet worden ist. Die Namen seiner Lehrer, die er nach Wilhelm von Hohenheim nennt, verweisen überwiegend auf Geistliche im Lavanttal. von kintheit an, berichtet er, habe er bei Männern, die in der adepta philosophia und in der alchemia die kenntnisreichsten gewesen seien, gelernt … In der Umgebung Villachs gibt es eine Reihe von Bergwerken; man vermutet, daß Paracelsus bereits früh Kenntnisse vom Abbau und von der Verhüttung von Metallen erworben hat.

Mit vierzehn, oder wahrscheinlicher, mit sechzehn Jahren verläßt Paracelsus die Vaterstadt Villach und wird von nun an das Leben eines Nichtseßhaften führen. Daß man während der Studienzeit als fahrender Scholar an verschiedene Hochschulen Europas zieht, ist nicht ungewöhnlich für frühere Jahrhunderte. Aber Paracelsus sprengt diesen Rahmen. Beurkundet ist für die Zeit bis 1524 nichts: es hat begonnen, was man in der Literatur als seine »Große Wanderung« bezeichnet:

Hab also die hohen schulen erfaren lange jar bei den Teutschen, bei den Italischen, bei den Frankreichischen und den grunt der arznei gesucht. mich nit allein der selbigen leren und gschriften, büchern ergeben wöllen, sondern weiter gewandert gen Granaten (Granada), gen Lizabon, durch Hispanien, durch Engeland, durch den Mark, durch Prüchsen (Preußen), durch Litau, durch Poland, Ungarn, Walachi, Sibenbürgen, Crabaten (Kroatien), Windisch mark, auch sonst andere lender nit not zu erzölen, und in allen den enden und orten fleißig und empsig nachgefragt, erforschung gehapt, gewisser und erfarner warhaften künsten der arznei. nicht allein bei den doctoren, sondern auch bei den scherern, badern, gelerten erzten, weibern, schwarzkünstlern, so sich des pflegen, bei den alchimisten, bei den klöstern, bei edlen und unedlen, bei den gescheiden und einfeltigen, heißt es in der »Großen Wundarznei«.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde er 1516bei den Italischen an der Universität von Ferrara promoviert. Beider arzneyen doctor unterschreibt er später eine Eingabe an den Rat der Stadt Basel, was bedeutet, daß er den Doktortitel für die sog. Leibarznei (innere Medizin) und für die Wundarznei (Chirurgie) erworben hat. Man hat versucht, die Wanderwege des Paracelsus zu rekonstruieren: er war wohl Feldarzt im Venedischen Krieg 1516, 1519 im Niederländischen, 1520 im Dänischen Krieg. Er hat Europa ganz durchwandert und durchzogen, kennt sowohl Sizilien wie Finnland, Moskau wie Lissabon, Jerusalem wie Schottland … Wahrscheinlich! Ungeheure Wegstrecken, Entfernungen. Das Wort erfarenheit in seinen Büchern hat einen höchst konkreten Sinn: also acht ich, das ich bisher mein wandern bilich verbracht hab, mir ein lob und kein schant zu sein. dan das wil ich bezeugen mit der natur: der sie durchforschen wil, der muß mit den füßen ire bücher treten. die geschrift wird erforschet durch ire buchstaben, die natur aber durch lant zu lant: als oft ein lant als oft ein blat. also ist der codex naturae, also muß man ir bletter umkeren. Diese Sätze beschließen eine Verteidigung von wegen meines lantfarens und von wegen des, das ich so gar nindert bleiblich bin. Die Mitwelt hat offenbar scheel zugesehen, wie er das Buch der Natur mit den Füßen umgeblättert hat.

1524 läßt er sich in Salzburg als Arzt nieder, arbeitet seine ersten Abhandlungen aus, ist in die Bauernunruhen verwickelt, und muß 1525 Salzburg fluchtartig wieder verlassen unter Zurücklassung seiner Habe. Diese ist in den Akten aufgezeichnet worden. Ende 1526 erwirbt er das Bürgerrecht in Straßburg, folgt aber nach einem Vierteljahr dem Ruf nach Basel: aufgrund seiner aufsehenerregenden Heilung des Druckers und Erasmus-Freundes Frobenius erhält Paracelsus die Stelle eines Stadtarztes mit Lehrverpflichtungen an der Universität.

Elf Monate hat Paracelsus in Basel zugebracht; er hält Vorlesungen, eine davon in deutscher Sprache. Wenn man sich vor Augen führt, daß Latein die Sprache der Wissenschaft und der Universitäten war bis Thomasius (1689), kann man ermessen, welch umstürzlerischen Akt eine landessprachliche Vorlesung bedeutet hat. Er gehört auch als Sprachschöpfer an die Seite Luthers. Das Deutsche verdankt ihm viele Neuprägungen und Entlehnungen. Paracelsus stellt ein Programm auf, die sog. Intimatio, mit seinen Forderungen an die Medizin und an die ärztliche Ausbildung. Er setzt ein öffentliches Fanal, indem er ein medizinisches Lehrbuch ins Johannisfeuer wirft – auf das alles unglück mit dem rauch in die luft gang – um derart den Widersinn der scholastischen Buchstabengelehrsamkeit in der Medizin zu brandmarken. Er preist die »Erfahrung«. Die Universität wehrt sich nach Kräften und mit bösen Mitteln. Als Stadtphysikus wird er auf die Mißstände in den Apotheken aufmerksam: auf verdorbene Stoffe, dilettantische Zubereitungen, überhöhte Preise, grobe Fahrlässigkeit, auf Mittel, die bis zu 70 Ingredienzien enthalten … Er fordert in einer Eingabe an den Rat der Stadt gründlichste Erneuerung, Regelung, Kontrolle. »So vernünftig und sachlich das alles klingt, wenn wir es heute unvoreingenommen zur Kenntnis nehmen«, urteilt R.H. Blaser in seinem Aufsatz »Paracelsus und die Basler Apotheker«, fest steht, daß sie »nichts unversucht ließen, um den unbequemen Neuerer loszuwerden! Sie beteiligten sich an der geheimen Hetze, die von den aus ähnlichen Gründen aufgebrachten Ärzten gegen den gefährlichen Reformator der Medizin angezettelt wurde, schreckten selbst nicht vor dem verwerflichen Mittel des Rufmordes zurück. Dabei spricht doch aus der offen und freimütig vorgebrachten Beschwerde des Stadtarztes deutlich seine ehrliche Sorge für die Kranken, und seine Kritik der Mißstände zeugt im Grunde nur von seiner hohen Auffassung des ärztlichen Berufs.«

Breitet man die Landkarte seines Lebens vor sich aus, so findet man ihn in den Jahren nach Basel (1528ff.) am Oberrhein, in Schwaben, Nürnberg, in Beratzhausen, Regensburg, in Bayern, St. Gallen, im Appenzeller Land, in Bad Pfäffers, im Allgäu, in Ulm, München, Eferding (Österr.), in Mährisch Kronau, in Preßburg, Wien, Villach, in Salzburg, wo er den Tod fühlt und sein Testament macht, in dem er die Armen Salzburgs bedenkt. Er stirbt – das ist gesichert – am 24. September 1541. Die Legende sagt, er sei umgebracht worden. Eine Quelle aus dem 17