Vom Fischen und von der Liebe - Benoîte Groult - E-Book

Vom Fischen und von der Liebe E-Book

Benoîte Groult

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Beschreibung

Jahre der Wunder und Dämonen - unveröffentlichte Tagebuchaufzeichnungen einer der Galionsfiguren des Feminismus  Sechsundzwanzig Sommer lang führte Benoîte Groult in Irland Tagebuch, wo sie mit ihrem Mann, dem Autor Paul Guimard ("Die Dinge des Lebens"), ein Haus besaß. Man begegnet der französischen Schriftstellerin und feministischen Galionsfigur in diesen Aufzeichnungen aus nächster Nähe, sie lassen eine Frau erkennen, die nach etlichen Umwegen und Verletzungen zu sich selbst gefunden hat – eine sehr freie Frau, auch nach heutigen Maßstäben. Unbefangen schreibt Groult über geistiges und sinnliches Begehren, über ihre jahrzehntelange Ménage à trois, an der sich ihr Weltbestseller "Salz auf unserer Haut" inspirierte. Zu den schönsten, wenngleich wehmütigsten Momenten des Buches gehören die Gedanken der Autorin in Bezug auf das Älterwerden: das als schmerzhaft empfundene Missverhältnis zwischen abnehmender Vitalität und gleichbleibendem Sehnen und Verlangen – wunderbar gespiegelt in den Passagen, die sie in der archaischen Rolle der Jägerin beim Hochseefischen zeigen. "Dieses Buch ist das Zeugnis einer unabhängigen Frau, die den Herausforderungen des Lebens und des Alters in bewundernswerter Weise die Stirn bietet." Le Nouvel Observateur "Eine wunderbare Lektion in Lebensfreude." Le Figaro Littéraire "Ihre letzte literarische Geste zeugt von einer außergewöhnlichen Energie und echtem Lebensstil." L'Express

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Vom Fischen und von der Liebe

Die Autorin

BENOÎTE GROULT wurde 1920 geboren. Nach dem Studium der Literaturwissenschaften arbeitete sie bis 1953 als Journalistin beim RTF. Ehe sie 1972 mit ihrem ersten eigenen Roman an die Öffentlichkeit trat, publizierte sie drei Bücher mit ihrer Schwester Flora. Ihr Roman »Salz auf unserer Haut« löste bei seinem Erscheinen 1988 einen Skandal aus, heute zählt er zu den größten erotischen Liebesgeschichten aller Zeiten. Weitere Werke der Autorin: »Leben heißt frei sein«, »Salz des Lebens«. Groult gehörte der Jury für den »Prix Femina« an und war mit dem Schriftsteller Paul Guimard verheiratet. 2016 starb sie im Alter von 96 Jahren.PATRICIA KLOBUSICZKY studierte Literaturübersetzen in Düsseldorf und arbeitete lange als Lektorin. Seit 2006 übersetzt sie aus dem Englischen und Französischen, unter anderem Werke von William Boyd, Marie Darrieussecq, Stéphane Hessel, Françoise Giroud.

Das Buch

Sommer für Sommer führte die französische Schriftstellerin und Feministin Benoîte Groult in den Jahren 1977 bis 2003 im County Kerry, ihrem Sehnsuchtsort, ein »irisches Tagebuch «. Man lernt Groult in diesen Aufzeichnungen als Intellektuelle und Liebende kennen, als eine Frau, die nach vielen Umwegen und Verletzungen zu sich selbst gefunden hat. Unbefangen schreibt sie über geistiges und sinnliches Begehren, über ihre jahrzehntelange Ménage à trois, an der sich ihr weltberühmter Roman Salz auf unserer Haut inspiriert. Zu den schönsten, wenngleich wehmütigsten Momenten des Buches gehören die Gedanken der Autorin in Bezug auf das Älterwerden: das als schmerzhaft empfundene Missverhältnis zwischen abnehmender Vitalität und gleichbleibendem Sehnen und Verlangen – wunderbar gespiegelt in den Passagen, die sie in der archaischen Rolle der Jägerin beim Hochseefischen zeigen. »Ihre letzte literarische Geste zeugt von einer außergewöhnlichen Energie und echtem Lebensstil.« LʼExpress

Benoîte Groult

Vom Fischen und von der Liebe

Mein irisches Tagebuch (1977-2003)

Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-buchverlage.de

Herausgegeben und mit einem Vorwortvon Blandine de Caunes

© 2019 by Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinUmschlaggestaltung: Sabine Wimmer, BerlinE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comAlle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-8437-2164-6

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel Journal d’Irlande. Carnets de pêche et d’amour 1977-2003 bei Éditions Grasset & Fasquelle, Paris.

Die Übersetzerin dankt dem Deutschen Übersetzerfonds für die großzügige Förderung ihrer Arbeit. Die deutsche Fassung ist in Absprache mit der Herausgeberin leicht gekürzt und redigiert.

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

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Titelseite

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VORWORT

1977

7. August

»In unserem Alter!«, bemerkt Paul beim Anblick des schäbigen Wohnmobils, das wir in Orgeval gerade für drei Wochen gemietet haben, und des bunten Sammelsuriums, mit dem wir es beladen wollen. »In unserem Alter!«, wiederholt er, mit einem Hauch von Selbstbewunderung, normalerweise hat er nämlich ein Faible für Luxusautos.

»Und ich bin sogar ein Jahr älter als du, Paulo!«

Der Fahrzeugverleiher setzt diesen Betrachtungen jedoch ein Ende, als er uns mitteilt, dass der im Mietvertrag vorgesehene Dachgepäckträger nur in Meaux angebracht werden kann.

»Am anderen Ende von Paris! Das ist eine Zumutung! Wie sollen wir ohne Dachreling den Benzintank für das Schlauchboot unterbringen, den Zwanzigliterkanister für das Süßwasser, den Weinkanister, die beiden Ruder, den Schiffshaken, die Hummerreuse, die Garnelenkescher …«

»Das Sillinger-Schlauchboot nicht zu vergessen … selbst wenn es nicht aufgepumpt, sondern eingerollt ist!«

Der Außenbordmotor, ein Johnson 2,5 PS, ließ sich immerhin unter dem Tisch verstauen. Wo wir unsere Beine unterbringen, werden wir später sehen, was zählt, ist die Ausrüstung, die wir unbedingt entlang der Küste von Kerry, und sogar von Connemara ausprobieren wollen, bevor wir in der Nähe möglichst fischreicher Gründe ein kleines Cottage kaufen …

»Sie haben mehr als genug Zeit für einen Abstecher nach Meaux, weil die Irlandfähre nicht, wie auf Ihren Tickets angegeben, um 20 Uhr in Le Havre ablegt, sondern aus technischen Gründen um 22 Uhr in Cherbourg.«

»Das fängt ja gut an«, sagt Paul. »Hundert Kilometer mehr, damit die Irish Ferries Zeit und Treibstoff sparen, indem sie ihre Meeresstrecke abkürzen.«

Aber das wussten wir ohnehin: Wir unternehmen keine Lustreise, sondern eine Erkundungstour, um unsere Zukunft als Fischer zu sichern, als manische Liebhaber von Garnelen, von Hummer, Seeigeln und Kammmuscheln, von Steinbutt, Seelachs und anderen Salmoniden, mit einem Alltag voller halsbrecherischer Fahrten zwischen trügerisch mit glänzendem Palmentang bewachsenen Felsen, die nichts anderes im Sinn haben, als uns Zweibeiner in die Tiefe zu reißen, die so naiv waren zu glauben, der Ozean gehöre auch ihnen.

Auf dem riesigen Hafenvorplatz in Cherbourg versuchen Hunderte von Autos in den Bauch der St-Patrick vorzudringen, dazu noch Motorräder, Fahrräder, Wohnwagen und Touristen ohne Gefährt, mit einer Angel über der Schulter, lauter Forellen und Lachse vor Augen. Wer besonders viel Glück hat, kann sich in eine Kabine zurückziehen, die Jungen lassen sich in den Gängen auf den Boden fallen und schlafen mit den Köpfen auf ihren Rucksäcken ein.

Um vier Uhr dreißig sollen wir Cork erreichen, und dort bekommen wir einen kleinen Einblick in die irischen Sitten: Zöllner und Garda schlafen, die Schlagbäume sind geöffnet, ganz offensichtlich werden keine Kontrollen stattfinden.

Wir hatten geplant, abends bei unserem Immobi­lienmakler in Tahilla Cove an der Südwestküste anzukommen. Woran wir allerdings nicht gedacht hatten, war, die Meilen in Kilometer zu übersetzen, sodass wir unterwegs in Youghal übernachten mussten, einem trostlosen Städtchen, auf typisch irische Weise heruntergekommen. Alles wirkte so, als hätten die Bewohner vor kurzem Hals über Kopf die Flucht ergriffen, genau wie jene vier Millionen Auswanderer im 19. Jahrhundert. Überall verwaiste Lagerhallen, Häuser mit weit offenstehenden Türen und eingestürzten Dächern, im Hafen ein paar Boote. Um sie herum sind im Schlamm die weißen Bäuche eines guten Dutzends dicker, toter Haie zu erkennen. Die Seemänner – als Fischer kann man sie nicht bezeichnen – warten so lange, bis die Biester gestorben und ihre Kunden wieder weg sind, um die Kadaver ins Hafenbecken zu kippen. Weder Hörner noch Geweihe, die man nach Hause tragen könnte! Die Haie taugen lediglich dazu, die Albträume von Badegästen und die Berichte von Reisenden zu bevölkern.

Wir haben am Kai geparkt, um unsere erste Nacht im Wohnmobil zu verbringen. Die schöne Landschaft des County Cork, die ans Berry erinnert, erstrahlt im letzten Tageslicht. Die Pumpe lässt nur tröpfchenweise Wasser aus dem Hahn der Spüle rinnen. Wir müssen den schweren Kanister hervorholen, um einen Kochtopf und einen Krug zu befüllen. Als wir später vor dem Zubettgehen die Tür zuschlagen, funktioniert die Pumpe wieder. Während der Kühlschrank, der sich beim Fahren aus der Batterie speist, plötzlich von allein anspringt.

Der Hafen von Youghal liegt an einer »malerischen Stelle«, wie es in unserem Reiseführer heißt, aber so einsam, dass überall Gefahren zu lauern scheinen. Zum Glück stoßen wir auf einen heimeligen Pub, in dem ein Torffeuer brennt. Und dann singt eine Gruppe junger Leute den ganzen Abend gälische Lieder, mit einem Song von Belafonte als Zugabe. Genau, was wir uns ­erhofft hatten, und so kehrten wir beglückt in unsere Nische zurück und rollten uns in einer Ecke der Sitzbank zusammen, die noch mit Koffern, Stiefeln und Öljacken übersät war.

9. August

Beim Aufwachen schönstes Wetter. Strahlendes Blau. Völlige Windstille und milde 20 Grad. Nach einer Stunde aber ziehen massenweise Wolken auf. Der irische Himmel kann sich binnen kürzester Zeit bedecken.

Mittags erreichen wir Tahilla Cove. Kaltes Essen, Lachs mit Mayonnaise. Paul, der angeblich sehr schlecht geschlafen hat, zieht sich für eine Siesta zurück. Obwohl gerade Flut ist, beschließe ich, durch die umliegenden Buchten zu streifen: Ich will mir ein Bild machen! Dort spazieren Reiher herum, denen ich vollkommen gleichgültig bin. Fische springen, das Vio­lett des Heidekrauts kommt mir kräftiger vor als in der Bretagne, das Gras grüner. Heißt es nicht: die grüne Insel? Im klaren Wasser tummeln sich Garnelen und unzählige grüne Krabben, die sich jäh im Tang verstecken. Wie immer in diesem Land überwältigt einen das Gefühl, der Entstehung der Welt beizuwohnen.

Um 16 Uhr haben wir einen Termin bei Sheldon, unserem Makler. Der Eingangsbereich ist mit verheißungsvollen Anzeigen tapeziert, die allesamt mit dem Vermerk SOLD durchgestrichen sind. Übrig ist nur ein Haus am Westufer der Derrynanebucht, die Beschreibung klingt umwerfend. Aber schon bald müssen wir erkennen, dass Sheldon der reinste Lyriker ist: »View truly amazing must be seen to be believed. Modernized storehouse! Modern kitchen units« … Wobei der Prospekt zugleich warnt: »This is only a guide and its accuracy is not guaranteed.«

In der Tat … Bei der Hausbesichtigung stellt sich heraus, dass die Aussicht nur jenseits der Zufahrt und von den beiden Fensterchen im ersten Stock aus besteht. Das dritte Zimmer hat überhaupt keine Fenster! In der vermeintlich modernen Küche sind die Kacheln aus Plastik und lösen sich schon halb. Die Schränke sind aufgequollen. »Lässt sich nicht vermeiden, in einem so feuchten Land«, erklärt Sheldon und lächelt. Der Teppichboden ist so abgewetzt, dass man das Rosenmuster nicht mehr erkennen kann. Er muss scheußlich gewesen sein. Jetzt wirkt er fast schön. In den Schlafzimmern sind die Betten nicht gemacht. Als wären die Bewohner eben ausgeflogen. Seitlich erstreckt sich eine große Brache, von Bäumen gesäumt, die sich alle in dieselbe Richtung neigen und offenbar stark gelitten haben. Und auch hier: Kein Meer in Sicht!

10. August

Auf der Fähre hatte uns ein Tourist Castle Cove Pier empfohlen, drei Kilometer von Caherdaniel entfernt. Wir sind zum Abendessen hingefahren: ein paar Boote, am Kai vertäut, und überall Inseln. Es war zwar nur Nipptide, aber ich musste einfach meinen Kescher und die Anglerstiefel von der Dachreling holen. Binnen ­einer halben Stunde hatte ich eine ordentliche Menge mittelgroßer Garnelen gefischt. Auf dem Heimweg sehe ich ein Pärchen, das im Kanu zurückkommt, mit einem Korb haben sie zwei Hummer gefangen. Außerdem holen sie drei kleine, schlaffe Reusen hervor, selbst gebastelt und auf allen Seiten mit Zugangslöchern für Riesengarnelen versehen, die sie einfach am Kai entlang ins Wasser versenkt und mit Ringen festgebunden hatten. Jetzt sind sie voller dicker Felsengarnelen! Da braucht man nicht mal aufs Meer hinauszufahren. Es ist das erste Mal, dass wir Iren fischen sehen. Die beiden stammen aus Belfast und mieten seit fünfzehn Jahren ein altes, halb eingefallenes Cottage oberhalb des Hafens. Leider steht es nicht zum Verkauf, sondern kurz vor dem Abriss, wie die Hälfte aller Cottages im Westen. Der Besitzer ist verschwunden, genau wie Millionen anderer Iren, die ihre Heimat verlassen haben, um sich nicht zum Anglikanismus bekehren zu müssen.

Unser Abendessen an diesem herrlichen Ort: Garnelen, Eier mit Speck und Sodabread, Bananen. Wir möchten eine zivilisierte Nacht verbringen und die Beine ausstrecken, ohne uns an einer Pfanne oder ­einem Schnellkochtopf zu stoßen. Das Grand Hotel von Derrynane ist ausgebucht. Wir übernachten im Gästehaus von West Cove. Ein unglaublicher Garten voll blühender Schmucklilien, dazu Klematis, Phlox und Herbstanemonen. An windgeschützten Orten gedeiht hier alles. Die Zimmer hingegen sind welk: Bequemlichkeit scheint ein Schimpfwort zu sein! Keine Ablage über dem Waschbecken, auch keine Beleuchtung. Etagenbad: Die Wanne ist riesig, das Wasser nur lauwarm.

11. August

Bewölkt, aber mit langen Zwischenaufheiterungen.

Einkauf in Caherciveen, das Gefallenendenkmal hier ist naturgemäß den mehrere Jahrhunderte umspannenden Kämpfen gegen die Engländer gewidmet, es trägt die Jahreszahl 1916, gefolgt von einem Strich ohne Schlussdatum, denn hier nimmt der Krieg kein Ende. Alles ist auf Gälisch geschrieben. Auf einen Besuch beim Makler von Caherciveen haben wir ver­zichtet, weil die Gegend uns nicht gefällt. Die Küste ist entweder schlickig oder von hohen schwarzen Felsen umgeben, die Geröllhaufen überragen. Irland wirkt schnell wüst, wenn die Schönheit der Landschaft einen nicht alles vergessen lässt. Hinter Caherciveen fahren wir eine Küstenstraße hoch, auf der uns viele Reisebusse begegnen: Ring of Kerry. Große, sandige Buchten, von Wellen gepeitscht, Strände mit dicken Kieseln in Rosa und Grün. Ziemlich spektakulär, jedoch kaum bewohnt, ohne Hafen oder Unterstand.

Wir essen im Wohnmobil zu Mittag, neben dem Strand von Glenbeigh, er ist riesig, aber ganz dem Wind aus Nordost und den Wellen überlassen. Das Wasser ist sehr kalt, und ich habe weder eine Badekappe dabei noch Lockenwickler oder Fön. Natürlich sind die hiesigen Steckdosen nicht mit unseren Steckern kompatibel.

Die folgende Nacht verbringen wir auf einem Camping Site. »Das ist ja wie La Bernerie, wo ich als Kind immer war«, bemerkt Paul, gebürtig aus Saint-Mars‑­La-Jaille im Département Loire-Atlantique. Wir trinken köstliches Smithwick-Bier, um nach Irland zurückzufinden.

12. August

Im Morgengrauen von Silbermöwen geweckt, die noch lauter schreien als in der Bretagne, und von der Sonne, die durch unsere orangeroten Gardinen strahlt. Was für ein Einfall, ein transparentes Orange, ausgerechnet für ein Wohnmobil … Die Rollläden haben wir erst am dritten Tag entdeckt, wobei man sie nur von außen steuern kann. Und just, als ich mit nackten Brüsten verzweifelt nach einem BH suche, zwischen Pauls Espadrilles und den Bratpfannen, taucht ein alter Wirrkopf auf, eine Beckett-Figur, wie sie im Buche steht, und will ein Pläuschchen auf Gälisch mit mir halten!

Jeden Morgen brauchen wir eine Dreiviertelstunde, um die Schlafzelle in eine Speisezelle zu verwandeln, kriechen über die Matratze, rollen die Schlafsäcke zusammen und verstauen sie in den Kästen, die sich direkt unter besagter Matratze befinden. Rufen uns in Erinnerung, wo wir die frischen Hemden hingepackt haben, und bemühen uns, während dieser Plackerei weder Brille noch Schlafmittel zu verlegen. Zu guter Letzt ziehen wir den Klapptisch hoch, auf dem wir nachts schlafen.

Wir spekulieren auf ein Haus in Portmagee, das ­unser Makler angepriesen hatte. Wir fahren hin. SCHRECKLICH. Nicht das Haus, aber das Umfeld und die Landschaft, am Gärtchen ziehen sich Müllhaufen entlang. Wir erteilen Sheldon eine Absage, noch ehe wir das Haus besichtigen.

Danach fahren wir nach St. Finian’s. Sehen uns dort ein Baugrundstück an, samt Fertighaus in einem hübschen Garten über einer kleinen Bucht, einer wahrhaftigen Baie des Trépassés: prachtvoll und öde, so möchten wir nicht wohnen.

13. August

Irgendwo in den Dingle Heights machen wir Halt, zwischen zwei großen Bauernhöfen. An der lieblichen Küste sehen wir zum ersten Mal »No Camping«. Also fahren wir weiter die kahlen Berge hinauf, die Dingle umgeben, mit einem Hummer, für den wir stattliche acht Pfund das Kilo bezahlt haben! Der Fish Shop befand sich neben einem Laden für Souvenirs und Ziermuscheln. Auf der Tafel stand: »MUSSELS, OYSTERS, FISH, LOBSTER«. Tatsächlich gab es Pappteller voller Gemüsesalat mit Mayonnaise und einem Stück Fertiglachs, dazu ein Scheibchen Hummer. Ich fragte die Verkäuferin, ob wir einen lebenden Hummer bestellen könnten. »O nein, der würde nicht frisch bleiben, darum kochen wir ihn gleich und stellen ihn dann kalt.« Hinter dem Laden entdecken wir ein paar Fischkisten: Makrelen, Rotzungen und Franzosendorschfilets, der prallen Sonne ausgesetzt und von Fliegen bedeckt.

In der Gegend von Slea Head und Dunquin ist die Küste herrlich, allerdings schroff und steil. Großartig. Dort zu wohnen und zu fischen, ist aber undenkbar. Zwei schöne Strände zwischen den Steilhängen und schon reihen sich Autos und Wohnwagen aneinander wie in der Bretagne. Danke, das haben wir schon zu Hause! Wir wollen das Wilde, dazu gern ein paar Dörfer und feinen Sand, aber bloß keine Reisebusse. Vor allem wollen wir ein Haus mit einem Schuppen, um unser Boot, unsere Ausrüstung und unsere Träume sicher zu verwahren.

Paul gefiel es in Dingle Heights, wo er seine Heimatgegend wiederfand: Kuhfladen, Brombeersträucher, Muhen. Für mich kommen nur ein Hafen oder das Meer infrage. Eine flusslose »Pampa« stürzt mich in tiefste Niedergeschlagenheit, und Seen bringen mich zum Weinen, wie Lamartine.

14. August

Strahlender Sonnenschein nach den dicken Wolken von gestern. Hier vergisst das Wetter immer, wie es am Vortag war.

Wir schauen bei Sheldon vorbei, dem Dichter, um ihm von unserer Enttäuschung und unseren Ängsten zu erzählen. Lehnen eine Reihe von »Villen« in Waterville ab, wo sich ein Ansturm der Bauunternehmer abzeichnet. Wir rechnen damit, nichts Annehmbares zu finden: Die Neubauten sind scheußlicher Schrott, die alten Häuser zu Ruinen zerfallen und herrenlos.

Mittagessen in Tynagh bei Michel und Chantal Déon, zusammen mit Chantal de Castelbajac und zwei französischen Buchhändlern, die ihren Augen nicht trauen, als ausgerechnet an diesem unwahrscheinlichen Ort zwei weitere Schriftsteller in Erscheinung treten. Das Haus, ein ehemaliges Pfarrhaus, ist quadratisch und eher reizlos, aber gediegen und angefüllt mit schönen Möbeln, wie sie zum Besitz angesehener Familien zählen. Sie zeugen von Frieden und Wohlstand, zwei Begriffen, die den Leuten von hier fremd geblieben sind. Ich bereitete meine Suppe zu – die Garnelen dafür hatte ich gestern in nur einer Viertelstunde gefangen – und Chantal eine riesige Lammkeule, die köstlich schmeckte. Ihren Sohn, einen dicken kleinen Jungen, der sich bereits wie ein Despot aufführt, hatte sie nach oben geschickt, wo er mit dem Stallburschen essen sollte. Die Tochter, ein schüchternes und sympathisches Mädchen, aß mit uns. Angenehme Tischrunde, zivilisiert und literarisch. Chantal erzählte von den Schelmenstücken Nimiers, Blondins, Jean Massons … Paul sprach über den furchtbaren Streich, den Roger Nimier einem etwa vierzigjährigen Möchtegernschriftsteller gespielt hatte, als der ihm sein Manuskript ins Büro brachte und Gaston Gallimard hinzukam. »Das ist unser alter Buchhalter«, sagte Nimier zu dem Autor. »Wir behalten ihn da, weil er schon so lange im Haus ist.« Der Autor begrüßte den Verleger mit ­Herablassung. Und als er ging, erklärte ihm Nimier: »Das war Gaston Gallimard!« So was machte er gern.

Morgen ist Springtide angesagt. Michel rät uns zu Kinvara. Aber er hat keine Ahnung von Gezeiten­fischerei! Kinvara entpuppt sich als gefährliches Watt, in dem man mit seinen Anglerstiefeln steckenbleibt. Alles, was ich dort aufgelesen habe, waren dicke, schmutzige Miesmuscheln.

Dahinter schließt Parkstrand an, ein ziemlich schöner Strand, allerdings ist der Sand fast schwarz. Ich erbeute ein paar Garnelchen. Und das winzigste Cottage kostet bereits zehntausend Pfund … Der Hafen ist bezaubernd, aber nicht atemberaubend. Und wir erwarten in Irland nichts weniger als atemberaubende Schönheit! Tatsächlich atemberaubend sind die Klippen von Moher, in Richtung Galway. Der Sand ist jedoch auch dort fast schwarz, und Reisebusse versperren den Blick auf das Heideland.

Man rät uns, eine wunderschöne Halbinsel zu besichtigen, die zum Verkauf steht, ein paar Meilen von Carna entfernt. Sie ist von kleinen, weißsandigen Buchten gesäumt, mit grauen und rosa Granitbrocken übersät, die weiter oben Feldern voller Schwertlilien und blauen Disteln weichen. Noch weiter oben ist ein kleiner See zu erkennen, in dem es angeblich von Forellen und Lachsen nur so wimmelt. Ein scheußliches, sehr hohes Haus und hier und da die üblichen Cot­tageruinen unter einem alten Baum, dem zu viele Stürme zugesetzt haben und der trotzdem überlebt hat, zer­zaust, vom übermächtigen Wind fast zu Boden gedrückt. Der Preis für dieses Schätzchen? Fünfundvierzig Millionen! »Wie berauschend das sein muss, wenn man Milliardär ist und einfach sagen kann: Ich nehme es«, meint Paul.

Plötzlich haben wir keine Lust mehr auf unser Wohnmobil und übernachten in Cashel, im selben Hotel wie einst de Gaulle und Tante Yvonne.

16. August

Wir sind wieder unterwegs, um ein »Cottage direkt am Wasser« zu besichtigen. Es bleibt unauffindbar, trotz unserer Generalstabskarte. In dieser Gegend halten sie an ihren Kriegsgewohnheiten fest: dem Feind niemals irgendwelche Informationen zukommen lassen! Kein einziges Schild, das die Richtung angibt oder den Namen eines der Dörfer, obwohl sie auf der Karte verzeichnet sind.

Ein fertiges Haus werden wir wohl nicht mehr finden, und so erklären wir uns bereit, Grundstücke zu besichtigen. Sheldon hat uns ein Feld in Caherdaniel gezeigt: eine abschüssige Wiese, darunter eine riesige Bucht, deren Strand bei Ebbe austrocknet und bei Flut zu Schlamm wird. Unmöglich. Anschließend besichtigen wir ein hektargroßes Grundstück in Derrynane, wild romantisch. Eine Baugenehmigung liegt vor, aber man müsste auch eine Zufahrt von fünfzig Metern Länge anlegen. Etwa einen Kilometer entfernt gibt es einen kleinen Hafen. Die Aussicht ist überwältigend: »Of outstanding beauty«, wie sie hier sagen.

Danach haben wir uns noch eins angesehen, in ­Castel Cove, unterhalb der Hauptstraße, gleich neben einem prächtigen Landsitz in bester Lage, das zum Meer hinunterführt. Rechts kleine Buchten und ein weißer Sandstrand. Dahinter eine großartige, karge Landschaft aus Felsen und Stechginster. Auch das ist wirklich »outstanding«! Teurer, dafür leichter zugänglich. Und weniger einsam.

Das schreibe ich in meinen Schlafsack verkrochen, neben Paul, der völlig starr in seinem daliegt. Rechts von uns eine Insel, das Meer, ein Strand: die Summe ganz Irlands! Dahinter der kleine Kai, von dem unser Fangkorb baumelt. Das ist Castel Cove.

17. August

Herrliches, warmes Aufwachen: 18,2 Grad. Den Fangkorb heraufgeholt, den wir mit von Hand ge­fangenen Krabben als Köder bestückt hatten: ziemlich viele mittelgroße Felsengarnelen, ein paar richtig große. Wo zehn sind, finden sich bestimmt tausend!

Zum ersten Mal haben wir unser Schlauchboot aufgepumpt und bewegen uns zwischen Felsen hindurch auf Castel Cove zu. Ich werfe meine Schlepprute ins Wasser – sie schlägt hart auf! Zunächst glaube ich, den Grund erwischt zu haben. Aber dann ziehe ich einen Pollack herauf, ein Kilo schwer und 48 Zentimeter lang. »Schluss jetzt, das reicht«, meint der Pollack. »Einverstanden.« Ich werfe die Rute nur noch einmal aus, um die Schnur wieder einzurollen. Andererseits hätte ich auch gern eine Makrele für den Korb. Ich lasse die Schnur laufen. Der nächste Aufschlag … Und noch ein kiloschwerer Pollack! Ich werfe die Rute wieder aus, um die Schnur einzurollen: ein kleiner Fisch beißt an – eine halbe Portion –, wir lassen ihn zurück ins Wasser. Die beiden großen behalten wir für den Korb.

Wir haben in Sneem zu Mittag gegessen, um »sea­crayfish« zu kosten, was das Wörterbuch als »Krebs« übersetzt. Doch dann tischt man uns eine riesige Languste auf! Offenbar bedeutet seacrayfish Languste und rivercrayfish Krebs. Und der Wirt erklärt uns: »Krebse findet man nur in amerikanischen Sümpfen.« Mal sehen, würde Grandgousier, der alte Gierschlund, sagen … Die Languste kostet pro Portion fünf Pfund, der Hummer vier!

In Sneem haben wir einen Metzger nach Hirn gefragt, aber die Iren essen keine Innereien. Sie töten auch keine Hasen, »weil die weinen …«. Er brachte uns trotzdem zwei oder drei, die wir nach Gewicht bezahlt haben, nicht nach Stückzahl, weil sie wirklich ziemlich zerstückelt waren. Ein einziger Brei!

Nachmittags einmal den Kescher ausgeworfen, eine Stunde vor Niedrigwasser: prächtige Garnelen. Ich gebe Paul wie verabredet ein Zeichen, damit er Wasser zum Kochen aufsetzt. »Nimm nur die dicken«, ruft er. »Und nur so viele, wie wir essen können …«

Zum Abendessen gab es einen Pollack in Butter­sahnesauce und Salzkartoffeln. Und natürlich Garnelen als Vorspeise!

Wir haben uns auch die beiden Grundstücke noch einmal angesehen. Unser Favorit ist eindeutig dasjenige in Castel Cove, aus einem entscheidenden Grund: Das nasse Boot können wir den ganzen Sommer über am unteren Ende des Gartens lagern. Dank der langgestreckten Inseln ist es rundherum geschützt. Und der kleine Hummerhafen von Derrynane ist mit dem Auto nur fünf Minuten entfernt.

Es ist beschlossene Sache, wir kaufen das Grundstück und lassen es bebauen! Paul und ich sind aufgeregt … Wir können es noch nicht ganz fassen: Das ist doch Wahnsinn, ein viertes Haus, in unserem Alter?

18. August

Wir sind spät aufgestanden, dann losgezogen, um unseren Fangkorb hochzuholen. Schöne Garnelen, genug für ein Mittagessen zu zweit. Anschließend der zweite Pollack, kalt serviert mit Mayonnaise.

Auf dem Rückweg fallen uns drei abgerissene Gestalten auf, die in einer völlig heruntergekommenen Barkasse vom Fischen heimgekehrt sind, sie alle tragen zerlumpte Dreiteiler. Wir kaufen ihnen ein Dutzend dicke Scheren von Taschenkrebsen ab, die restlichen Körper werfen die Männer einfach wieder ins Wasser. Wobei abkaufen nicht stimmt … Sie haben mir die Scheren geschenkt: »No good for eating.« Etwa fünfzig Stück haben sie behalten und in einen Eimer geschüttet. Wahrscheinlich, um sie an das Vieh zu verfüttern. »Stell dir den langsamen Tod dieser amputierten Krebse vor«, sagt Paul.

Danach sind wir nach Caherciveen gefahren, um unseren Notar aufzusuchen, einen großen, etwas wunderlichen Mann mit Bart, um den sich aufgerissene Umschläge stapeln, sie dienen ihm als Aktenmappen. Offensichtlich hat er keine Ahnung, worum es geht. Wir warten in einem Flur ohne Sitzgelegenheiten. Endlich fällt ihm Sheldons Anruf wieder ein! Er wird die Papiere für uns vorbereiten, wir sollen am 20. zum Unterschreiben kommen.

21. August

Heute Morgen haben wir unseren Architekten getroffen, der unser Nachbar sein wird, und gleich Pläne skizziert. Wir wollen es schlicht, mit großzügigen Fenstern und Türen, um die Aussicht voll und ganz auszukosten. Die endgültigen Pläne schickt er uns in einem Monat, zusammen mit dem Kostenvoranschlag. Und dann wollen wir umgehend mit dem Bau beginnen.

Den ganzen Abend verbringen wir damit, Pläne zu zeichnen!

23. August

Beide in Hochstimmung aufgewacht! Erst recht, weil wir bisher kein einziges Mal das Pech hatten, im Regen aufzuwachen oder auch nur unter grauem Himmel.

Aber just an diesem Morgen fällt Paul ein, dass er eigentlich schon in Portsmouth sein müsste, zum Start der Weltumseglungsregatta. Also rasen wir zum Flughafen von Cork. Ab Donnerstag soll es bei der BEA Generalstreik geben. Der Zehn-Uhr-Flug ist schon weg, bleibt nur noch Aer Lingus nach London, um 18 Uhr. Paul schätzt, seine Chancen stehen 1:10, ich hingegen räume ihm 9:10 ein. Erstens, weil man es als Alleinreisender meistens irgendwie an Bord schafft. Zweitens, weil Paul ein Glückspilz ist.

Wir quartieren uns im Jury’s Inn ein und fahren später bei strömendem Regen wieder zum Flughafen, wo sich bestätigt, dass ich allein hier zurückbleiben werde. Paul ergattert tatsächlich noch einen Flug. Und ich darf mich mit dem überladenen Riesengefährt her­umschlagen.

Ich werde morgen die Fähre nehmen. Dann geht es von Le Havre nach Meaux. Wo ich das Riesending aus- und den Simca beladen muss. Dann die Rechnung begleichen und nach Paris zurückfahren, auf der rechten Seite. Zwei Tage später werde ich mich samt Boot, Motor, Fangkorb und der schmutzigen Wäsche auf den Weg nach Doëlan machen. Alles in allem ein trauriges Ende dieser Reise, ohne meinen pollock (so heißt nicht nur der Fisch, es ist auch Pauls Spitzname!).

24. August

Pünktlich an Bord gegangen, nach den üblichen zwei Stunden in der Warteschlange. Viele Leute, aber die Fähre ist nicht so überfüllt wie auf dem Hinweg. Ich bin allein in meiner Kabine, Paul hat seine Buchung storniert. Auf der Hinfahrt hatten wir allerdings eine Viererkabine, mit Dusche und WC, dazu noch ein Fenster mit Aussicht aufs Meer. Jetzt reise ich unter Deck, in einer schwarzen Nische, mit einem vorsintflutlichen Eckklo.

Kaum haben wir abgelegt, fängt es an zu schaukeln, starker Seegang. In der Kabine ertönt in regelmäßigen Abständen ein höllischer Lärm. Im Viking, dem Restaurant am Bug der Fähre, das so spektakulär in die Wellen taucht, ist fast niemand zu sehen. Touristen, die leicht seekrank werden, sollten lieber nicht nach Irland reisen! Ich gehe in die Cafeteria, wo ein paar junge Leute schlaff in ihren Sitzen hängen und mit Abscheu das Essen mustern, das sie bestellt haben. Alle an Bord schwanken wie betrunken.

Beim Einschlafen sage ich mir immer wieder, dass wir ein Grundstück und bald auch ein Haus besitzen, im County Kerry, in Irland …

1978

10. August

Sitzen in einer Fokker der Fluggesellschaft TAT, in der Paul seine Beine nirgendwo unterbringen kann – die Maschine ist nicht lang genug für seinen Oberschenkelknochen. Man versetzt uns nach vorn, hinter eine Reihe von zusammengeklappten Sitzen.

Bei strahlend blauem Himmel sind wir in Doëlan aufgebrochen. Als wir in Rennes ins Flugzeug steigen, ziehen ein paar Wolken auf. Im Meer sind die langen Schlieren der Amoco Cadiz zu erkennen.

Bei der Landung wirkt Irland unscharf wie hinter Milchglas.

Das Wohnmobil erwartet uns schon. Fünf Kilo­meter vor Cork der erste überfahrene Rabe. Kurz vor Macroon fängt es an zu nieseln. In Kenmare regnet es. In Tahilla: Wolkenbruch. Wir haben uns vorgenommen, dieses Jahr öfter in Hotels zu übernachten. Unsere erste Nacht verbringen wir dann auch in Tahilla. Wir bekommen das schönste Eckzimmer, im Erdgeschoss. Hinter dem großen Fenster heben sich Drachenbäume vom Meer ab, sie haben wirklich nichts mit den Drachenbäumen gemein, die Erwan Tymen, mein bretonischer Gärtner, mir anbietet. Diese hier verzweigen sich nicht schon am Stamm, sondern erst unterhalb der Krone.

Herzlicher Empfang durch den Wirt, der uns zum Zimmer geleitet und nur eines der drei Fenster schließt, damit die gesunde Luft auch bis in die letzte Ritze unserer Betten dringt. »It was nice, yesterday!«, verkündet er fröhlich.

Im Badezimmer befindet sich eine Klärgrube, was auf Anhieb abschreckend wirkt. Die Kloschüssel ist überall von Rissen durchzogen. Der Teppichboden spottet jeder Beschreibung. Willkommen in Irland!

11. August

Gestern Nacht habe ich mein Schlafmittel genommen und darum verpasst, wie wir fast von einem Hoteldieb beraubt worden wären. Paul ist gegen zwei Uhr aufgewacht und hat eine Gestalt gesehen, die sich hinter dem Vorhang abzeichnete, von der Hafenbeleuchtung erhellt. Zunächst dachte er, ich wäre das, um nachzusehen, ob es immer noch regnet. Doch dann bewegte sich die Gestalt wie ein echter Profi lautlos durch das Zimmer, und Paul murmelte wie üblich »Hm?«, wie jedes Mal, wenn ich zwischendurch aufwache. Der Dieb erschrak und stürzte zur Fenstertür, dabei stieß er sich an Pauls Fuß, der aus dem Bett ragte. Der Vorhang begann zu flattern, die Fenstertür war weit aufgerissen. Eine halbe Stunde später sah Paul die Gestalt durch den Garten huschen, nachdem im Flur verschiedene Geräusche zu hören waren. Offenbar wurden noch andere Zimmer heimgesucht, denn am Morgen gab der Wirt Anweisung, ausgeraubten Gästen Rabatt zu gewähren …

12. August

Um halb acht aufgestanden, um vor der Weiterfahrt in Tahilla Cove zu fischen. Ich war zu früh dran, trotzdem habe ich schöne Garnelen gefangen und viele mittelgroße Krevetten, außerdem Kammmuscheln und riesige Strandschnecken.

Anschließend sind wir nach Hause gefahren, nach Bunavalla! Unser Zuhause … Wir haben die Fundamente in Augenschein genommen, die Wände und das Dach unseres Hauses … Und dann haben wir auf unserem Grundstück ein Picknick gemacht, mit meinem Fang und dazu Brot und Butter.

Den Nachmittag mit langen Diskussionen mit unserem Architekten verbracht.

13. August

Weil heute Morgen fast schon Springtide herrscht, bin ich zum Strand gegangen, der direkt vor dem Dorf Caherdaniel liegt. Ich mache fast meinen ganzen – wunderbaren – Fang in einem »Tümpelchen«, wie Michèle Rossignol sagen würde, begeisterte Gezeitenfischerin auf den Chausey-Inseln, wo sie ein Haus besitzt. In einem richtigen Tümpel finde ich ein paar pralle Seeigel.

Das Ganze haben wir uns im Scariff Inn garen lassen, das gleich über uns liegt, sodass wir von dort aus »unsere« Landschaft bewundern konnten.

15. August

Kräftiger Südwestwind. Tiefe, träge Wolken. Heftige Schauer.

Wir haben den Dabadies – gestern sind Jean-Loup und Marie mit ihren Söhnen eingetroffen: Florent (genannt »Flotte«) und Clément – unser Grundstück und das noch unfertige Haus gezeigt. Mittagessen im Scariff Inn, das in leuchtendem Orange gestrichen ist, so erkennt man es selbst im Nebel, der uns die ganze Zeit einmummte. »Wie schön es hier ist«, rief Clément, »fast wie in Courchevel!« Eine dreißig Sekunden kurze Aufheiterung hat uns immerhin einen Blick auf die wundervolle Bucht von Derrynane Harbour gewährt, bevölkert von einem Dutzend kleiner Boote.

Wir bestellten Krebse, sie standen auf der Speisekarte. »No crabs.« – »Wie wäre es dann mit Haddock?« – »Haben wir nicht. Die Boote sind nicht rausgefahren.« – »Plaice [Scholle]?« – »Haben wir nicht!« Wir müssen wieder einmal mit Lachs vorliebnehmen.

Nach dem Mittagessen sind wir zur Beara-Halb­insel gefahren, zwischen Kenmare und Bantry Bay. Dort den tropischen Garten von Derreen besichtigt, voller riesiger Rhododendren und Baumfarne, wie in Guadeloupe. Die Palmen, die ich für Drachenbäume hielt, sind offenbar Keulenlilien (Australian Cordy­lines), man kann sie über Brown und Thomson in Cork beziehen. Derreen House ist ein schöner Landsitz, der an drei Tagen pro Woche dem Publikum offensteht.

In Kenmare war gerade Viehmarkt. Da stündlich Schauer herunterkamen, war der Boden mit einer zehn Zentimeter dicken Schicht aus Kuhfladen bedeckt, und die Pissstrahlen der Rinder, die sich in sämtlichen Ecken drängten, verstärkten den Geruch noch. Als wären wir auf den Markt von Cricquebœuf geraten, den Flaubert so anschaulich beschreibt. Solche Bauern bekommt man bei uns nicht mehr zu Gesicht.

Danach folgten wir dem Schild »Irish Pub« und landeten an einem dieser hinterwäldlerischen Orte, die man in Irland immer wieder findet. Der Boden des Schankraums war mit Sägespänen und Kippen übersät, überall standen Männer herum, lachten und re­deten, alte wie junge Bauern. Unglaubliche Gesichter. Dazu ein paar Rucksack-Hippies. Alles voller Schmutz, Herzlichkeit und Frohsinn.

Letztes Jahr streikten die Post und die Banken, und das während unseres gesamten Aufenthalts. Dieses Jahr wird die Stromversorgung bestreikt. Gestern funktionierte die Heizung in dem Luxushotel nicht mehr, das die Dabadies ausgesucht haben, damit ihre Kinder fernsehen können – dabei braucht man sie ganz dringend –, und heißes Wasser gab es auch nicht. Heute Morgen hatte Flotte 40 Grad Fieber. Zu allem Überfluss hatte außerdem der Familienmercedes eine Panne.

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VORWORT

Als letztes literarisches Projekt wollte meine Mutter ihr irisches Tagebuch veröffentlichen. In Irland hatte sie mit ihrem Mann Paul Guimard mehr als zwanzig Sommer verbracht, in dem Haus, das sie in Kerry hatten bauen lassen. Ihre Fischereilogbücher und die persönlichen Tagebücher, die sie stets parallel führte, sollten miteinander verflochten werden. Dafür wollte sie eine Struktur schaffen, Passagen auswählen, kombinieren und collagieren. Ein technisch anspruchsvolles Unterfangen, das sie wegen ihrer Alzheimererkrankung nicht mehr ausführen konnte.

Sie hatte oft darüber gesprochen, mit uns – ihren Töchtern –, aber auch mit ihren Verlegern und ihren Freunden. 2015, ein Jahr vor ihrem Tod, erschien es mir wie eine Selbstverständlichkeit, ja sogar eine Pflicht, es an ihrer Stelle zu tun. Ich habe mich also in die Arbeit gestürzt und zunächst ihre Tagebücher von 1977 bis 2003 gelesen, die vom Frühling und Sommer in Irland handeln. Es sind sehr viele, da meine Mutter ununterbrochen schrieb. Sie führte ihr reguläres Tagebuch und ein weiteres, intimeres – »nicht um Anstößiges bereinigtes«, wie sie selbst sagte –, dazu die Log­bücher, in denen sie akribisch notierte: »500 Gramm Felsengarnelen, ein 650 Gramm schwerer Hummer und 5 Samtkrabben, 8 Kilo mittelgroße Lippfische, 3 Lachse, einer 2 Kilo schwer …«

Paul und Benoîte, meine Eltern, waren seit jeher passionierte Fischer. Bei Mama hatte es bereits in der Kindheit angefangen, in Concarneau, wo ihre Großeltern väterlicherseits ein Haus und ein Boot besaßen. Ihr Großvater führte sie in die Kunst des Fischens ein, später trugen meine Eltern ihr Wissen dann an meine Schwestern und mich heran. Zuerst in Kercanic, dann in Doëlan, wo wir die Ferien verbrachten. Immer drehte sich alles um das Boot und ums Fischen. Während der Springflut jagten wir Garnelen, Venus- und Teppichmuscheln und – jeden Abend! – legten wir Schleppnetze und Fangkörbe aus, die wir am nächsten Tag bei Sonnenaufgang wieder heraufholten, damit die gefangenen Fische nicht von den anderen gefressen wurden, die der Falle zu ihrem Glück entgangen waren. Das machten wir für unser Leben gern, bis wir vierzehn, fünfzehn wurden und nach interessanteren Fischen Ausschau hielten, die nun ihrerseits Fallen legten und uns zu ködern versuchten. Die Wahl zwischen Aufstehen im Morgengrauen oder Tanzen bis Mitternacht fiel uns nicht schwer. Zum Leidwesen unserer Eltern! Als Ausgleich stellten wir ihnen fleißige Gratishelfer zur Verfügung – unsere Verehrer –, um diese verdammten Netze zu reinigen, die oft heillos verheddert und voller Algen und Krabben waren, die sich nur herauslösen ließen, indem man sie zerquetschte.

Diese Leidenschaft fürs Fischen blieb meinen Eltern bis zum Schluss erhalten, aber es tat einem fast leid, mit anzusehen, wie sehr sie sich im hohen Alter veraus­gaben mussten, um ihr nachzugehen. Vor allem Paul: »Aufs Meer hinauszufahren verlangt ihm mittlerweile eine übermenschliche Anstrengung ab«, schreibt Mama. »Sein Körper sträubt sich dagegen. Irland ist ein mühsames Land. Um dort zu überleben, muss man jung oder verrückt oder besoffen oder bekloppt sein – oder alles auf einmal!« Mama hingegen blieb unermüdlich, sie konnte nie genug bekommen und mutete sich – und anderen – viel zu. Sie verfügte über eine Lebenskraft, auch über einen Schneid, der Paul fehlte. Wenn ich ihre Texte lese, staune ich über die ungeheure Energie, die sie immer und überall aufbrachte, angefangen bei ihren vier Häusern – Paris, Hyères, Doëlan und Bunavalla in Irland – und ihren drei Gärten. Jedes Haus sollte makellos sauber, schön und wohnlich sein. Mama konnte alles und machte alles: heimwerken, streichen, herrliche Sträuße binden und köstliche Gerichte kochen, den gesamten Papierkram erledigen. Und schreiben, natürlich: Romane, Vorträge, Artikel, lange Briefe an ihre Töchter und an ihre Freunde. Außerdem das Tagebuch, das sie von dreizehn oder vierzehn an ein Leben lang führte. Die Fischerei nicht zu vergessen! Paul gab sich wie gewohnt mit dem Chefposten zufrieden: an Bord wie zu Hause. Man nannte ihn nicht ohne Grund den ­»Pascha«. Das kam Mama durchaus zupass, denn sie packte gern selbst mit beiden Händen an: »Allem Anschein zum Trotz bin ich nicht pflichtbewusst, sondern hedonistisch. Weil ich an so vielen Dingen Gefallen finde, muss ich mich nie zwingen, sie zu tun.«

Schließlich, und vor allem, die Liebe – zu Paul, aber auch zu Kurt, ihrem amerikanischen Geliebten, den sie 1945 kennengelernt und in den sechziger Jahren wiedergefunden hatte. Er hatte sie zu ihrem Roman Salz auf unserer Haut inspiriert, der 1988[1] erschien und in dem aus Kurt, dem amerikanischen Piloten, Gauvain wurde, ein bretonischer Hochseefischer. Kurt kam oft nach Irland und in unsere anderen Häuser, während Pauls Abwesenheit, aber mit dessen Einverständnis. Sartre und Beauvoir lassen grüßen …

In diesem Tagebuch habe ich nichts entdeckt, was das Bild, das ich mir von meiner Mutter gemacht hatte, erschüttert hätte. Ich wusste über ihren Lebenswandel Bescheid, und wir hatten früh begonnen, so offen wie liebevoll miteinander zu reden. Meine Schwestern und ich mochten Kurt sehr, auch wenn unsere Liebe Paul galt, bei ihm waren wir aufgewachsen, und wir bewunderten ihn.

Die unbändige Lebenslust hatte Mama von ihrer eigenen Mutter geerbt. Nicole Groult war eine Vorreiterin der Emanzipation, verdiente mit ihrem Modehaus viel Geld, war mit sämtlichen Künstlern ihrer Zeit befreundet, mit denen sie rege Korrespondenz unterhielt (ja, auch sie), und sie verführte leidenschaftlich gern, Männer wie Frauen, was ihrer glücklichen Ehe, die erst durch den Tod ein Ende fand, keinen Abbruch tat.

Die starke Neigung meiner Mutter zum Keltischen stammte vermutlich von ihrem »Geburtsvater«, um einen Begriff von Françoise Dolto zu verwenden. In der Familie war es ein offenes Geheimnis, dass ihr Patenonkel Léon Yeatman ihr biologischer Vater war, alle wussten Bescheid. Er starb, als sie zwölf Jahre alt war. Mama erinnerte sich lebhaft an ihn und an die schönen Geschenke, die er ihr zu Weihnachten und zum Geburtstag machte. Léon war Jude und stammte aus Irland: »Und darum ist Ihre Tochter stumm!« Später sollte ich zu meinem Entzücken erfahren, dass er mit Proust befreundet war. Auf den Fotos scheint er Mama zu ähneln, und ein wenig sogar mir.

2013 schrieb sie in ihr Tagebuch: »Dem Buch des Psychiaters Serge Tisseron verdanke ich die Erkenntnis, dass Familiengeheimnisse nur dann schädlich sind, wenn der Geheimnisträger darunter leidet. Wahrscheinlich konnte ich mit Nicoles Geheimnis, was meine Geburt betrifft, so gut umgehen, weil es ihr gelungen ist, nur das Positive zu behalten. Und mir wird bewusst, dass die Geburt von Séverine in meinem ­Roman Salz des Lebens eine Art Hommage an meine Mutter ist, auch daran, wie viel Lust es ihr bereitet ­haben muss, mich mit Léon Yeatman zu zeugen, ohne Pater [André Groult] oder unsere Beziehung zu ge­fährden. Ob es wirklich so schlimm ist, Dinge zu verschweigen? Tja …«

Tatsächlich betrachtete Mama sowohl Léon als auch André als »wahren Vater«. Der eine wurde ihr vorgegeben, den anderen wählte sie. So verhält es sich auch mit ihrer Wahlheimat Irland und der Bretagne als ihrem Geburtsland.

Irland … Paul und Mama haben das Land 1976 entdeckt, weil ihre Schwester Flora in zweiter Ehe mit Bernard Ledwidge verheiratet war, halb Engländer, halb Ire, außerdem Diplomat und Schriftsteller. Meine Eltern verliebten sich auf Anhieb in die »Insel der Heiligen und Verrückten«: eine Landschaft von unerhörter Schönheit, magisches Licht und eine märchenhafte Ausbeute in diesen Meeresparadiesen, weil die Iren keine Schalentiere essen. Damals wurden in der Bretagne die Fische bereits weniger und die Touristen zahlreicher. Im Jahr darauf erkundeten sie ganz Kerry und Connemara im Wohnmobil, im Gepäck ein Schlauchboot, einen Fangkorb, ein Schleppnetz und einen Bodenkescher, auf der Suche nach einem Haus mit unverbaubarer Aussicht und in Reichweite nie versiegender Fischgründe. Und sie waren verrückt genug, ihren Traum zu verwirklichen!

Viele ihrer berühmten Freunde – François Mitterrand, Elisabeth und Robert Badinter, Eric Tabarly – und andere, weniger bekannte oder inzwischen etwas in Vergessenheit geratene, kamen zu Besuch, um die herrliche Landschaft zu entdecken und über die Hummer, Muscheln, Garnelen und vielfältigen Sorten Fisch zu staunen, die sie gierig verschlangen. Natürlich waren auch Flora und Bernard oft zu Gast.

Ihre Töchter ebenfalls – Constance, Lison und ich –, mit unseren damaligen Ehemännern und unseren Töchtern – Pauline, Clémentine und Violette. Und Kurt, der amerikanische Geliebte.

Irland, das Land, in dem »stets ein Unwetter heraufzieht« und das Mama so liebte, trotz oder gerade wegen des Regens, der Feuchtigkeit, des Windes und des drizzle – der unserem bretonischen Niesel entspricht –, spielt in ihrem Tagebuch eine tragende Rolle: »Dieses tragische, zerrissene Irland kann man nicht lieben: Man muss es vergöttern oder verlassen. Oder beides.«

Meine Mutter begann ihre Karriere als Schriftstellerin 1962, mit Tagebuch vierhändig, das sie gemeinsam mit Flora verfasst hatte, und es bewegt mich sehr, dass sie diese mit einem anderen Tagebuch, diesmal dem irischen, beschließt. So hatte sie es sich gewünscht, und ich bin froh, ihr diesen Wunsch erfüllt zu haben.

Ich danke Mona Ozouf, Mamas teurer Freundin und auch meiner, die mich zu diesem Abenteuer ermutigt hat: »Du musst es tun, nichts könnte ihr mehr Freude bereiten. Eine wunderbare Geschichte von Liebe und Überlieferung.«

Danke, Mona.

BLANDINE DE CAUNES