Vom Guru, der Gott sein wollte - Parvati Sigrid Hörler - E-Book

Vom Guru, der Gott sein wollte E-Book

Parvati Sigrid Hörler

0,0

Beschreibung

Während Meta nach einer Schussverletzung im Koma liegt, durchlebt sie ihre unterschiedlichen Inkarnationen. In einem rasanten Tempo geht ihre innere Reise von Atlantis nach Lemurien, in das Berlin der 30er Jahre und die Welt der Mayas bis hin zu den Katharern im Languedoc. Gleichzeitig versuchen die Anhänger des Sektenführers Manfred Wegener Meta immer wieder durch Anschläge in der Welt des Vergessens zu halten. In diesem Kampf ist Meta jedoch nicht alleine und die Schicksale aller Beteiligten verweben sich zu einem Kaleidoskop aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Parvati Sigrid Hörler hat mit diesem spirituellen Thriller nicht nur ein neues Genre erfunden, sondern erzählt eine hoch spannende und tiefgründige Geschichte, die über die letzte Seite hinaus den Leser zum Nachdenken anregt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 422

Veröffentlichungsjahr: 2023

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Dort, wo Fiktion und Realität sich berühren und ineinanderfließen, liegt die Quelle für meinen Roman. Jede Ähnlichkeit mit Firmen, Institutionen, lebenden oder verstorbenen Personen ist rein zufällig.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Aus der Hülle gerutscht

Auf dem Weg ins Krankenhaus

Gang durch die Unterwelt

Der Beginn der Suche

Kampf ums Überleben

Wakantanka

Das Versprechen

Intensivstation St. James Hospital

Die Sekte mischt mit

Die Schönheit von Atlantis

Schlafe süß und träume

Die Bedrohung von Atlantis

Merkwürdigkeiten auf Zimmer 10

Die Mächtigen und die Schönen

Der Anfang vom Ende

Sensationsgier

Die Prophezeiung

Doppelter Alarm

Die Auserkorenen

Rachegelüste

Elitebewusstsein

Schon wieder Notalarm auf der 10

Lemurien - Land der Liebe

Die Macht des Vergessens

Rache ist süß

Erste Spuren bei Interpol

Nachdenklicher Guru

Erste Annäherung

Wochenende

Berlin in den 30er-Jahren

Die Nacht der erneuten Tat

Motive

Nichts als Fakten

Verspätete Erkenntnis

Sonntags in München

Spuren der Nacht

Wer dabei sein will, macht mit

Der Reporter auf heißer Fährte

Was ist nur los im St. James Hospital

Panik in München

Empörung bei Interpol

Bendlers Tagtraum

Alles nochmal gut gegangen

Und die Sekte mischt doch mit

Chaos in München

Abfuhr und Versöhnung

Den Tätern auf der Spur

Unterschiedlichste Erinnerungen

Diese Untersuchung muss sein

Jason Snyder immer dabei

Sebastian im Schock

Hoffnung auf Klärung

Versöhnung

Gefahr und Vorurteile

Tom steigt aus

Ankunft in Florida

Noch eine letzte Reise

Miss Red behält den Überblick

Hinter den Kulissen

Frederike trifft eine Auswahl

Victim bleibt verschwunden

Aufregender Fund

Tagebuchaufzeichnungen

Metas Reise geht weiter

Snyder hat alles unter Beobachtung

Die Geburt des Gurus

Melodie Red auf heißer Fährte

Kontrolle

Hauptkommissar Miller ist beeindruckt

Christoph Bendlers zweiter Traum

Die Aufforderung

Melodie Red wird belohnt

Snyder im Hintertreffen

Gepriesen sei der Guru

Melodie Red erkennt den Ernst der Lage

Richard im Einsatz

Der Wachposten

Snyder hält durch

Entsetzen im St. James Hospital

Der Guru in der Zwickmühle

Die Anweisungen des Gurus

Metas Reise ist noch nicht zu Ende

Die Lage spitzt sich zu

Richard auf Tour

Zufälliger Zeuge

Ein Weg voller Hoffnung und Bangen

Das Versteck

Verzehrendes Feuer

Abschied und Flucht

Verwischte Spuren

Die letzten Klänge

Hilferufe

Im Auto

Interpol auf heißer Fährte

Seliger Schlaf

Verzehrendes Feuer

Verschiedene Positionen

Verstehen

Offene Fragen

Entkommen

Erkenntnisse

Epilog

Prolog

Das Ende des Weges führte ins Nirgendwo. Anfang und Ende verschmelzen in dem Wasser, das ihre Füße umspült. Angekommen, um endlich aufzubrechen in ihre Bestimmung. Plötzlich ertönt ein Schuss hinter ihr. Durchbricht die Stille ihrer Gedanken. Ein zweiter Schuss folgt. Eine Kugel trifft sie, durchbohrt ihr Fleisch. Brennend frisst sich die Revolverkugel ein, um sich schließlich auf der Oberfläche ihres rechten Schulterknochens festzusetzen. Sie taumelt und blinzelt dabei noch einmal in die untergehende Sonne Floridas. Gebündelte Lichtstrahlen blitzen auf und erlöschen in einer tiefen, alles verdeckenden Schwärze.

Schreie am Strand von Spaziergängern, angelockt von den Schüssen und hastig herbeigeeilt. Doch keiner kann Zeugnis ablegen von dem Geschehenen. Der Täter ist lautlos verschwunden. Zwischen den Dünen verwischen alle Spuren im Sand. Ein dunkler Schatten eilt um die Ecke, verliert sich in den Minuten, die verrinnen, am Horizont.

Ein Krankenwagen, der den leblosen Körper abholt, übersieht völlig, dass etwas, das Wesentliche zurückgeblieben ist. Das Bewusstsein war aus der Hülle gerutscht und hat sich, formlos und dennoch verdichtet, zwischen den Gräsern der sanften Dünenlandschaft im vagen Nebel des Ich bin Halt gesucht.

Aus der Hülle gerutscht

Etwas ist anders. Ich kann sehen, wie die Halme flach gedrückt werden und die Oberfläche des Wassers sich kräuselt. Der Wind berührt mich, und dennoch kann ich es nicht fühlen, nicht auf der Oberfläche meiner Haut. Erschrocken frage ich mich: wo ist sie, meine Haut, leicht gebräunt und schon voller Spuren der gelebten Zeit? Ich blicke an mir herab und erkenne schemenhafte Umrisse meines eigenen Körpers. Geformt und gleichzeitig durchlässig und licht. Ich hebe meine Hand und berühre mich. Dabei erkenne ich, dass mein Ich sich aufzulösen beginnt. Allmählich verschwinden alle Konturen, zerfließen und formen sich neu. Meine Gedanken bündeln sich durch Konzentration und geben die Richtung an, in die ich mich bewege. Ich folge ihnen und überlege im gleichen Augenblick, wohin mich meine Gedanken führen. Von wem oder was werden sie gelenkt? Es gibt eine Kraft, die dazwischen eingewoben ist, die den Weg zu kennen scheint. Also willige ich ein und beginne diese seltsame Reise.

Auf dem Weg ins Krankenhaus

Während der Krankenwagen mit Blaulicht in Richtung des nächstgelegenen Krankenhauses auf der Küstenstraße entlang brauste, versuchte man den Zustand der angeschossenen Frau weiter zu stabilisieren. Der Blutverlust, der durch die Schussverletzung verursacht worden war, hatte die Patientin geschwächt. Zudem schien sie einen tiefen Schock zu haben. Immer wieder setzte ihr Puls aus. Kam dieser zurück, folgte immer wieder ein längerer Atemstillstand. Der Arzt kämpfte, zusammen mit dem Nothelfer, die ganze Fahrt hindurch um ihr Leben.

Bewusstlos und scheinbar weit entrückt lag sie, immer wieder leise aufstöhnend, auf der Transportliege des Krankenwagens. Als die Infusion zur Erstversorgung gelegt wurde, schrie die Verletzte laut auf, riss für den Bruchteil einer Sekunde voller Panik die Augen auf, um dann wieder in einer tiefen Ohnmacht zu versinken, so als bereite ihr etwas große Angst und Pein.

Gang durch die Unterwelt

Eine mir vertraute und zugleich fremde innere Stimme übernimmt die Führung. Wir steigen eine lange, dunkle Treppe hinab. Endlos steil, windet sie sich immer tiefer in die Erde. Stufe um Stufe gelangen wir durch viele Schichten der Erde durch waberndes Grau in eine andere Welt. Fasziniert starre ich in die einzelnen Kammern, an denen ich vorübergleite. Geräuschlos und unsichtbar beobachte ich völlig emotionslos die sich endlos wiederholenden, sinnlosen Handlungen all der Gestalten dieser grauen Welt. Manche sitzen mit weiten, leeren Augen vor imaginären Leinwänden und sehen sich immer wiederkehrende Filmausschnitte von schrecklichen Szenen grausamer Folterknechte an. Manchmal bricht eine Gestalt wimmernd vor der Leinwand zusammen. Ein bewegtes Licht erscheint, umhüllt die Gestalt, bis sich beide aus der Kammer lösen. In anderen Räumen entdecke ich Wesen, die endlos und monoton immer gleiche Bewegungen vollführen. Wie von unsichtbaren Fäden gezogen, durchbricht nichts den Gleichklang. Dann wieder sehe ich andere mit von Schreien verzerrte Gesichter rennen, ohne Ziel. Nur weg von hier, weg von diesem grausamen Szenario. Sie entkommen auf diese Weise dem Wahnsinn, und doch holt er sie bei jedem Schritt ein und vervielfacht sich. Um eine andere Ecke geführt, sehe ich viele Kammern mit Gestalten, die jammern und klagen, sich vor Angst krümmen. Mein Weg durch das graue Reich scheint endlos. Was mache ich hier, was suche ich? Schließlich komme ich auf ein düsteres und jeder Farbe völlig beraubtes freies Feld. Ich beobachte eine am Boden kauernde Gestalt, in der rechten Schulter steckt ein langer Pfeil. Ich nähere mich. Ein sehr surreales Gefühl, mir selbst gegenüberzustehen, lässt mich verharren. Ich knie nieder, ziehe den Pfeil aus der Schulter. Die junge Indianerin hebt den Kopf und dreht sich zu mir um. Genau in diesem Augenblick löst sich ihre Form auf und ich spüre, wie Energie zu mir zurückfließt. Ich versinke in einem Moment des Nichts, der Leere.

****

Noch immer kämpfte das Nothelferteam im Krankenwagen um das Leben der unbekannten Frau. Für einen Moment setzte ihr Herzschlag ganz aus. Die Küstenstraße war um diese Uhrzeit gnadenlos verstopft. Rushhour am Strand war der Horror für jeden, der es eilig hatte. Anders als im Landesinneren gab es hier keine alternativen Routen. Die Nothelfer hofften inständig, rechtzeitig im Krankenhaus einzutreffen. Die Flüssigkeit fiel Tropfen um Tropfen aus der Injektionsflasche durch die kleine Öffnung der Nadel in die Venen des Arms des Schussopfers. Der Notverband, unter dem noch die Kugel fest in ihrem rechten Schulterblatt steckte, war blutrot verfärbt. Immer wieder sickerte ein wenig Blut nach. Noch etwas länger und eine Notoperation im Krankenwagen würde unumgänglich sein.

Der Beginn der Suche

Ein starker Sog zieht mich durch einen hellen, beinah phosphoreszierend leuchtenden Lichtkanal. Immer schneller werdend gleite ich in einer großen Spirale auf ein gleißend strahlendes Licht zu. Eine große, leuchtende weibliche Lichtgestalt empfängt mich am Ende der Spirale. Liebevoll begrüßt sie mich und erklärt mir durch zu Worten geformte Gedanken:

****

"In vielen Leben hast Du danach gestrebt, Dich zu vervollkommnen. Aber wann immer Du begonnen hattest, hinter die Dinge zu schauen, zu erkennen, dass es mehr gibt, als Dir Großväter, Lehrer, Universitäten, Wissenschaftler und Bücher erklären können, hast Du Dich auf Deiner Suche unterbrechen lassen.

Du hast Dich in Situationen begeben, an denen Du zerbrochen bist, die Dich auf Deiner Suche nach der Essenz des Lebens immer wieder weit zurückgeworfen haben. Anstelle eines glücklichen Lebens hast Du oft gewählt, Dich Führern und Oberhäuptern unterzuordnen, die Dich ausgebeutet und umgebracht haben. Anstelle von Liebe hast Du Verrat und viele Arten von unnatürlichen, gewaltsamen Todesarten gewählt. Es sah für uns, die wir Euch Menschen auf Eurem irdischen Weg begleiten, so aus, als hättest Du immer im letzten Augenblick Erleuchtung und Heimkehr vermeiden wollen. Offensichtlich misstraust Du der Liebe, meidest Du Erfüllung und Glück. Sag, wovor fürchtest Du Dich?"

****

Erschrocken und fasziniert nehme ich alles auf. Ja, wovor habe ich mich gefürchtet, als ich in Florida angekommen bin? Ich wollte endlich anfangen, ich selbst zu sein. Damit beginnen, die Ereignisse meines bisherigen Lebens zu sortieren. Aber vor allem war ich nach Florida gereist, um jemandem aus meiner Vergangenheit gegenüberzutreten und mich zu bekennen zu meinem Wissen, meiner Wahrheit. Mutig wollte ich mich demjenigen stellen, vor dem ich geflohen war. Am Beginn meiner Reise hatte ich den festen Vorsatz, dafür zu kämpfen, dass die Perversion der Anbetung falscher Götter endlich ein Ende hat. Und vor allem war mir bewusst, dass es für mich an der Zeit war, Verantwortung zu übernehmen. Denn ist es nicht so, dass derjenige, der etwas weiß, der mehr weiß als andere, auch mehr Verantwortung trägt? Hatte ich mich also tatsächlich in diesem Leben so weit entwickelt, schulen lassen, andere geschult und immer noch Angst in mir? Angst vor dem gleichen Mann, der mich in so vielen Leben vernichtet und ermordet hatte? Bisher war ich ihm entkommen.

Doch dann der Schuss am Strand. Hatte ich nicht fast erwartet, auf diese Weise gewarnt zu werden? Kannte ich ihn nicht gut genug, um zu wissen, dass er längst Bescheid wusste? Oder war da immer noch Bewunderung und Sehnsucht in mir? Wie oft schon habe ich ihn als meinen Lehrer, meinen Anführer und Mentor gewählt, ihn auf diese Weise geliebt und an das Gute in ihm geglaubt? Immer wieder konnte ich seine außergewöhnlichen Fähigkeiten erkennen, fühlen, mit welch reichen Schätzen er von Gott ausgestattet war. Nie wollte ich begreifen, dass er immer und immer wieder der Versuchung unterliegt, diese Fähigkeiten gegen Gott, gegen die kosmischen Gesetze, gegen das Leben selbst zu verwenden. Immer wieder glaubte ich, dass seine Liebe und das Gute in ihm irgendwann stärker sein würden als dieses ewige sinnlose Streben nach Macht.

Kampf ums Überleben

Auf der Küstenstraße, der einzigen Verbindung vom kilometerlangen Strand zum Landesinneren der Südküste Floridas hatte sich zu allem Überfluss noch ein Verkehrsunfall ereignet. Von der entgegengesetzten Seite versuchte ein Krankenwagen, sich bis zu dem Unfallort durchzukämpfen. Drei Wagen hatten sich hoffnungslos ineinander verkeilt. Schwerverletzte mussten geborgen werden.

Das Nothelferteam im Krankenwagen mit dem Schussopfer erhielt die Nachricht, dass sie mit einer längeren Wartezeit zu rechnen hatten. Mindestens 30 Minuten, in denen es weder ein Vor noch ein Zurück auf der Straße geben würde. Zuerst musste am anderen Ende, kurz vor der ersehnten Abfahrtsstraße nach Davie, der Unfallort aufgenommen, geräumt und die Verletzten geborgen werden.

Die angeschossene Frau, die immer bleicher, manchmal leise wimmernd auf der Nottrage lag, bereitete dem Notarzt und seinem Helferteam zunehmend Sorge. Sie verlor zu viel Blut, um sie für einen so langen Zeitraum ausreichend zu versorgen. Sie entschlossen sich, eine Notoperation durchzuführen. Da der Verkehr inzwischen vollständig zum Erliegen gekommen war und damit auch der Krankenwagen vorläufig keine Chance auf eine Weiterfahrt bekommen und in absehbarer Zeit nicht einmal anfahren würde, gaben sie eine entsprechende Meldung an das Krankenhaus durch. Alles wurde vorbereitet. Die Patientin wurde in die richtige Position verlagert und stabilisiert, der Notverband entfernt. Die Wunde musste noch einmal stark desinfiziert und das verletzte, aufgerissene Fleisch um die Einschusswunde mit dem Skalpell ein wenig erweitert werden. Mit einer Pinzette versuchte der Arzt nach der Revolverkugel zu greifen, während der Assistent das austretende Blut auffing. Die Kugel saß fester, als der operierende Arzt erwartet hatte. Die Patientin stöhnte mit einem Schrei auf. Bevor der Arzt einen erneuten Versuch machen konnte, musste ihr ein stärkeres Betäubungsmittel gespritzt werden. Als es dem Notarzt endlich gelungen war, die Kugel, die bereits tiefer in den Knochen des Schulterblatts vorgedrungen war, zu fassen und herauszulösen, registrierte er, dass auch die Knochenhaut mit verletzt worden war. Die Kugel hatte sich bis in die erste Schicht der schützenden Knochenoberfläche gebohrt. Das nachsickernde Blut konnte schließlich gestillt und die Einschusswunde tamponiert werden. Entzündete Ränder, die anfingen, sich flächig rot über die ganze Schulter ausbreiteten, zeugten von einer tief verletzten Gewebeschicht. Solche Wunden erwiesen sich oft als heimtückisch. Sie heilten bisweilen nur schwer aus. Die Patientin würde voraussichtlich noch einige Zeit um ihr Leben kämpfen müssen. Doch mehr konnten sie hier im Krankenwagen nicht für sie tun.

Wakantanka

Am flachen Ufer eines breiten Flusses komme ich zu mir. Ich liege mit den Füßen im Sand und dem Gesicht halb im flach auslaufenden Flusswasser. Als ich versuche aufzustehen, sehe ich, dass meine Hände blutverschmiert sind. An meinen Füssen trage ich weiche Mokassins. Verwirrt schaue ich an der liegenden Gestalt entlang. Wieso bin ich das? Eine junge Indianerin in weicher Lederkleidung und langen schwarzen Zöpfen?

So, als werde mein altes Ich von ihr aufgesaugt, werden ihr Fühlen und Denken völlig eins mit mir. Ein stechender Schmerz im linken Schulterblatt ist jetzt auch mein Schmerz. Brennend breitet er sich in mir aus. Ich bin in diesen Körper hineingerutscht. Ich bin die junge Indianerin. In der einen Hand halte ich das Ende eines abgebrochenen Pfeils. Vorsichtig ertaste ich die blutige Schulter. Der andere Teil des Pfeils steckt mit der Spitze noch darin fest. Ich fühle das heiße Pochen in der Wunde. Blut sickert unaufhörlich in das seichte Wasser des Ufers. Was war geschehen? Wieso bin ich jetzt hier in dieser Welt? Ich verstehe es nicht. Schwindel erfasst mich. Ohnmächtig sacke ich wieder am Flussufer zusammen.

Als ich wieder zu mir komme, liege ich auf Fellen in einem dämmrigen Zelt. Der Geruch von verbrannten Kräutern umgibt mich. Leise summt eine alte Indianerin ein Lied. Als sie sich über mich beugt, erkenne ich sie. Es ist Hózhónqga, die alte Medizinfrau meines Stammes. Ihre heiligen Lieder, ihr Wissen über die Kräuter und ihre Fähigkeit, Operationen durchzuführen, haben schon vielen von uns das Leben gerettet. Auch, wenn mir das Sprechen unendlich schwerfällt, mich fast meine letzte Lebenskraft kostet, muss ich wissen, was passiert ist. Flüsternd frage ich Hózhónqga:

„Hast Du den Pfeil herausgezogen? Vor allem, wer hat auf mich geschossen?“

„Du erinnerst Dich wirklich nicht, oder? Es war einer der Krieger des Stamms von Harimbey. Der Häuptling hatte Dich rauben lassen und wollte Dich zwingen, Dich mit ihm zu vermählen. Als er Dich nehmen wollte, hat er erkannt, dass Du bereits einem anderen gehörst und schwanger bist. In seiner rasenden Wut wollte er Dich töten. Doch Du hast Dich gewehrt und konntest fliehen. Du bist aber nur bis zum Flussufer gekommen. Der Pfeil eines Kriegers, den er ausgesandt hatte, um Dich zurückzuholen, hat Dich getroffen. Leider war der Pfeil vergiftet. Dein Bruder konnte in letzter Sekunde eingreifen und den Angreifer in die Flucht schlagen. Als er Dich ohnmächtig zu mir brachte, hatte das Gift sich schon in Deinem Blut ausgebreitet.“

Hózhónqga tupft mir die Stirn ab und flößt mir einen heißen, bitteren Linderungstrank mit Hilfe eines kleinen handgeschnitzten Löffels ein. Ich schluchze auf und fühle, dass das Kind in mir tot ist und auch mein Lebensband sich aufzulösen begonnen hat. Bevor es endgültig reißen würde und meine Seele entglitt, musste ich endlich wissen, warum das alles passierte. Mit letzter Willenskraft flüstere ich meine Fragen.

„Was will er denn schon mein ganzes Leben lang von mir? Erst hat er bei Vater um mich geworben und dann, als Vater abgelehnt hat, hat er unserem Volk den Krieg erklärt.“

Besorgt schaut die alte Medizinfrau zu mir.

„Der Stamm von Harimbey ist sehr mächtig geworden. Sie rauben jedes Jahr mehrere Frauen von uns und den anderen Stämmen. Sie haben Teile unseres Stammesgebietes besetzt, jagen auf unserem Land und geben immer noch keinen Frieden.“

„Ja, aber was habe ich, dass er mich unbedingt zur Frau will und mich dafür sogar raubt? Wer bin ich oder, was besitze ich, das er so dringend braucht?“

Hózhónqga räuspert sich.

„Weißt Du, meine liebe Nouchin. Dies ist eine sehr lange Geschichte. Dafür reicht Deine Lebensenergie nicht mehr. Das Gift ist zu mächtig, um es aufzuhalten. Vor vielen Jahren, als Dein Vater und Harimbey noch jung waren und eine Blutsbrüderschaft sie eng verbunden hatte, liebten und respektierten sie einander. Eine durchreisende Seherin verdrehte Harimbey den Kopf. Vor ihrer Weiterreise empfing sie eine Vision für ihn. Sie weissagte ihm unter anderem, dass, wenn er mit Dir Kinder zeugen und auf diese Weise sein Blut sich mit Deinem vereinen würde, Eure gemeinsamen Kinder Ausdruck seines Mutes, seiner Stärke und seiner Weisheit sein würden. Da Du, wie ein reines leeres Gefäß seist, wie ein unbeschriebenes Pergament, würden alle Eure Kinder die Vervielfältigung seines machtvollen Selbst darstellen und er auf diese Weise Unsterblichkeit erlangen. Sie nannte ihm Namen von Göttern, die uns allen völlig fremd waren. Diese Götter würden ihm große Macht verleihen, wenn er ihnen huldigen und zu ihnen beten würde. Harimbey verlor sich daraufhin in langen Ritualen und düsteren, leidbringenden Visionen. Die Jahre vergingen, und während Du zu einer jungen Frau heranreiftest, hatte Dein Vater erkannt, dass Harimbey hoffnungslos vom lichten Pfad abgekommen war und die alten heiligen Werte unseres Volkes missachtete, um einen Weg zur Verfolgung eigener Machtinteressen zu gehen. Dein Vater beschloss, unsere beiden Stämme zu trennen und eigene Wege zu gehen. Als Harimbey trotz allem an Deinem sechszehnten Geburtstag um Dich warb, verweigerte Dein Vater ihm die Ehe mit Dir. Er wusste, dass Harimbey anstelle von Wakantanka, den schon all unsere Vorfahren als ihren einzigen und obersten Gott anbeten, zu fremden düsteren Göttern betete. Aus Machtgier waren viele Harimbey gefolgt. Er hatte sie mit Versprechen und Visionen dazu verlockt mit ihm einen Weg des Schattens zu gehen. Dein Vater wusste, dass Harimbey seine Krieger benutzte, um seine Macht, die er durch sie erhielt, letztendlich zu seinen eigenen Zwecken zu missbrauchen. Er wusste auch, dass Harimbey beabsichtigte, alle anderen Stämme, die sich ihm nicht anschließen und unterordnen würden, ausrotten wollte. Alle heiligen Gesetze, durch die unser Volk vom Anbeginn der Zeit miteinander verbunden war, umging er. Er säte Zwietracht innerhalb unserer Stämme, die doch immer im Kern ihres Herzens durch Wakantanka miteinander ein Herzschlag und ein Atem waren. Nur wer Harimbey als absolutes Oberhaupt aller Stämme anerkannte, war sicher vor ihm. Dich wollte er, um durch Deine Reinheit und damit durch Eure Kinder endgültig die absolute Herrschaft über alle Stämme unseres Volkes hier im Norden zu erlangen. Nach wie vor war er völlig besessen von den Worten der Seherin. Kurz nach der endgültigen Entzweiung mit Deinem Vater erklärte er unseren Stamm zum Feind und ließ Deinen Vater feige ermorden. Und obwohl er seitdem schon längst viele Kinder mit anderen Frauen gezeugt hat, versuchte er immer wieder, an Dich heranzukommen.“

Meine Stirn ist schweißbedeckt. Glühend im Fieber und von dem Gift in meinem Blut in Nebel getaucht, muss ich noch etwas von Hózhónqga wissen.

„Aber wieso braucht er mich? Noch dazu mit Gewalt und ohne Liebe?“ Hózhónqga schaut mir tief in die Augen.

„Dies, mein Kind, ist tatsächlich das Geheimniss eines uralten Versprechens, das durch Dich selbst gegeben wurde und Dich an ihn bindet. Und leider erinnert Harimbey sich seit der Prophezeiung der alten Seherin daran. Er weiß seitdem um die Macht, die er nur erlangt, wenn Du ihm gehörst. Mit diesem Versprechen hast Du Dich an ihn gebunden. Ich kann für Dich die Geister befragen und durch sie Wakantanka bitten, Dich davon zu erlösen. Aber manchmal sind solche Versprechen sehr stark. Sie überdauern Raum und Zeit, bis der Kern des Versprechens erkannt wird und die Seelen voneinander gelöst sind. Ruhe Dich jetzt aus und schlafe. Ich bleibe bei Dir.“

Sanft gleite ich ins Licht hinüber. Ich spüre, wie ich aus dieser Erinnerung wieder hinweggezogen werde.

Das Versprechen

Anstelle von Hózhónqga sehe ich für einen Augenblick ein Männergesicht mit einer Brille über mich gebeugt. Ich will schreien und nur noch weglaufen. Mein Wille erreicht nicht meinen Körper. Ein kurzer, innerer Kampf. Dunkelheit löst alles auf. Ich höre auf zu existieren. Sowohl in der einen als auch der anderen Welt. Was ist real und was Trugbild? Mein Ich, zugleich hier und dort. Und schließlich ist nichts mehr da, was mich hält.

„Schnell, holen Sie sie zurück.“

Immer wieder presste der Arzt beide Hände auf den Brustkorb der Unbekannten. Ihr Herz hatte plötzlich aufgehört zu schlagen.

„Beeilen Sie sich. Nicht aufhören. Wir haben sie gleich zurück. Pressen und loslassen. Pressen und loslassen.“

Der Herzrhythmus setzte langsam wieder ein. Endlich löste sich auch der Stau auf und sie konnten mit angeschaltetem Blaulicht ungehindert bis zu ihrem Ziel weiterfahren. Keiner vom Team hatte mehr Lust auf ein Gespräch. Schweigend überwachten sie routinemäßig den Zustand der Patientin.

Ist das das Ende? Etwas in mir weigert sich. Nein, noch nicht. Etwas muss vorher noch sein. Gelebt, erkannt, verstanden werden. Plötzlich bewegt sich der Raum, in dem ich liege. Schnell und laut fährt er mit mir davon.

Im Fallen ziehen Bilder aus meinem Leben als Indianerin an mir vorüber, lösen sich auf. Die große Lichtgestalt, deren Gegenwart mir Ruhe schenkt, empfängt meine Seele voller Liebe.

****

"Siehst Du, wie sehr Du Dich vor ihm fürchtest? Immer wieder begegnet er Dir. Immer, wenn Du versuchst, etwas zu verstehen, Dich wehren oder gehen willst, musst Du sterben.

Doch diesmal entscheide Dich. Was willst Du? Willst Du endlich das uralte Versprechen auflösen? Oder willst Du Rache nehmen? Willst Du seine Reue, seine Einsicht? Willst Du Deine Freiheit?

Wenn Du Gerechtigkeit willst, höre auf zu richten. Denn wisse, Gerechtigkeit kommt nur von Gott. Keiner darf richten außer Gott. Erkenne, was Dein Auftrag und Deine Verantwortung sind. Du wirst sehen, was Du zu tun hast. Vor allem aber lerne und verstehe. Nur durch Hingabe und Einsicht findest Du die ersehnte Erlösung.“

Intensivstation St. James Hospital

Im Krankenhaus von Davie, an der Südostküste Floridas, versuchte ein Ärzteteam, das Leben von Meta zu retten. Die junge Frau, die vor inzwischen fast 24 Stunden eingeliefert worden war, lag hoch fiebernd im Koma. Es war den Ärzten völlig unklar, wie eine derart harmlose Schusswunde zu solchen Folgen führen konnte. Nachdem sie die notoperierte Wunde erneut desinfiziert hatten, erwies sich die Schussverletzung als weniger dramatisch, als es der zuerst operierende Arzt angenommen hatte. Die Entzündung der Knochenhaut war bereits deutlich zurückgegangen. Doch in ihr, tief in ihrem Inneren, schien ein Kampf ums Überleben stattzufinden. Dieser Kampf war, so vermuteten die Ärzte, auch die Ursache für das immer wieder ansteigende und dann wieder fallende Fieber. Das Koma, aus dem sie bisher nicht mehr aufgewacht war, ließ sie immer tiefer in eine andere Welt entgleiten und schwächte ihren Zustand stündlich mehr.

Da die junge Frau nur mit einem weißen Sweatshirt und rosa Trainingshosen bekleidet gefunden worden war, ohne Papiere oder irgendwelchen anderen Hinweisen zu ihrer Person, kam auch die ortsansässige Polizei nicht mit ihren Ermittlungen weiter. Schon gestern war ein Foto von der scheinbar schlafenden Frau in der Tageszeitung veröffentlicht worden, mit der Bitte um mögliche Hilfe zur Identifizierung. Bisher hatte sich niemand daraufhin gemeldet. Keine Hinweise, keine Vermisstenanzeigen. Selbst bei dem Versuch, ihr Alter einzuschätzen, standen die zuständigen Ärzte vor einem Rätsel. Die Haut zeigte an manchen Stellen eine starke Pigmentierung und geringere Elastizität, so dass die Vermutung nahe lag, die Frau sei sicherlich über 30, wenn nicht gar schon über 40. Die näheren Untersuchungen zeigten jedoch keinerlei Verschleiß der Gelenke. Die Knochendichte war die einer jungen Frau. Die Haare wiederum schienen gefärbt und waren an der obersten Stelle des Hinterkopfes stark ergraut. Wer sie so sah, konnte manchmal den Ausdruck eines ganz jungen Mädchens auf ihrem Gesicht entdecken, um dann im nächsten Augenblick qualvolle Züge zu erkennen, die sie unbarmherzig altern ließen.

Der junge Oberarzt, Dr. Christoph Bendler, der heute erst von seinem Urlaub zurückgekehrt war und die Patientin mit Schläuchen und an Apparaturen angeschlossen vorgefunden hatte, war immer wieder zu ihr in das Zimmer zurückgekehrt und sehr nachdenklich vor ihrem Bett stehengeblieben. Er fühlte sich von ihr seltsam berührt. So, als erinnere sie ihn an etwas, vielmehr an jemanden. Schon während seines Urlaubs in den Rocky Mountains hatte er oftmals eine tiefe Melancholie verspürt. Manchmal war ihm, als höre er Stimmen im Wind. Das Wasser und die Bäume erschienen ihm so lebendig wie nie zuvor. Und jetzt, bei dieser Patientin, erging es ihm ähnlich. Ihr schmales Gesicht mit den ausgeprägten Wangenknochen, der wohlgeformte Mund, die goldbraunen Locken - Es war, als lausche er ihrer Stille. Ja, ihrer Stille. Diese Stille erschien ihm nicht leer, sondern angefüllt mit einem anhaltenden Ton, einer eigenen stummen Melodie. Die langen zartgliedrigen Hände griffen bisweilen unruhig ins Leere. Gern hätte er ihre Hände berührt, sie gehalten, bis sie ruhig wurden.

Genau in dem Augenblick, als seine Hand sich der ihren näherte, betrat die diensthabende Krankenschwester das Zimmer.

"Dr. Bendler, man wartet auf Sie im Besprechungszimmer. Der Chef hat Sie schon mehrmals ausrufen lassen."

Irritiert räuspernd kam sie auf das Krankenbett zu. Las die Kurvenbewegungen der Monitore ab und übertrug sie in den Tagesbericht.

"Ja, danke, ich komme sofort." Noch immer in sich gekehrt verließ Dr. Bendler das Krankenzimmer.

Im Besprechungszimmer waren seine Kollegen bereits mitten in einer angeregten Diskussion. Er hörte noch die letzten Worte seiner neuen Kollegin aus der Neurologie, Dr. Loren Meyer.

"Man sollte alle Geräte abstellen und sehen, ob ihre natürlichen Reflexe einsetzen. So kommen wir nicht weiter, und außerdem, wer übernimmt hier die Kosten? Unsere Klinik kann es sich nicht leisten, eine Anonyme, womöglich noch Ausländerin, tagelang umsonst zu behandeln."

Der Chefarzt, Prof. Dr. Brown, schaute etwas verlegen und antwortete zeitverzögert.

"Liebe Kollegin, wir dürfen nicht riskieren, dass sie dadurch womöglich früher als notwendig stirbt. Zuerst müssen wir abwarten, was die zuständige Polizei ermittelt hat. Wer weiß, um wen es sich bei der Frau handelt."

Daraufhin starrte Dr. Meyer ungehalten mit kalten, stechenden Augen zu ihm zurück. Allen war bekannt, dass sie seit nun fünf Monaten, kurz nachdem sie bei ihnen angefangen hatte, die heimliche Geliebte des verheirateten Chefarztes war. Sie ertrug es nicht, wenn er ihr so öffentlich widersprach. Sie erwartete, dass er sich wenigstens in Fachfragen auf ihre Seite schlug.

Dr. Samuel Becker von der Inneren ergriff das Wort.

"Wir müssen berücksichtigen, dass man versucht hat, die Frau zu ermorden und, dass sie eventuell immer noch von ihrem Mörder verfolgt wird. Jetzt, wo wir in der Presse und den Nachrichten nach ihren Angehörigen gesucht haben, weiß auch der Mörder, dass sie noch am Leben ist. Besser, wir lassen sie bewachen."

Dr. Meyer war hingegen anderer Meinung als ihr Kollege.

"Ist ja völlig lächerlich, so ein Aufheben, um diese nichtssagende Kranke zu machen."

Alle drehten sich, von dieser abfälligen Bemerkung peinlich berührt, zu ihr um.

"Liebe Frau Dr. Meyer, sehen sie denn nicht, dass jemand versucht hat, die Patientin zu ermorden? Wir müssen unsere Pflicht erfüllen."

Der Chefarzt widersprach ihr schon wieder. Nun ja, am Abend, wenn er Befriedigung in ihren Armen suchte, würde sie klarstellen, dass seine unkollegiale Haltung ihr gegenüber unmöglich war und mehr beruflichen Respekt bei ihm einfordern.

Nur Dr. Bendler stand die ganze Zeit etwas im Abseits. Was ging hier vor? Warum benahmen sich alle der Kranken gegenüber so abweisend? Er selbst lehnte es ab, Stellung zu beziehen, denn schließlich war er gerade erst aus seinem Urlaub zurückgekehrt. Die Besprechung ging weiter. Man beschäftigte sich routinemäßig mit den weiteren Angelegenheiten. Immer wieder schweifte Dr. Bendler mit seinen Gedanken ab und sah die Patientin von Nummer 10 vor sich. Wer mochte sie nur sein? Woher kam sie und wer versuchte, sie in Florida umzubringen?

Plötzlich schrillte der Alarm auf dem Flur der Intensivstation. Aus dem Zimmer Nummer 10 rannte eine aufgeregte Schwester schreiend heraus. Sie war völlig außer Atem. Das Fenster des Krankenzimmers stand weit offen. Die Gardine blähte sich vom Wind. Das Bett war verrückt worden, der Nachttisch durchwühlt. Auf den ersten Blick schien nichts zu fehlen. Doch dann sah Dr. Bendler, dass eine breite Strähne der goldbraunen Locken lieblos abgeschnitten worden war. Ihm erschien es wie eine bedrohliche Verstümmelung. Unruhig warf sich die Patientin hin und her. Ihre Augen blieben jedoch fest geschlossenen. Sie war nach wie vor gefangen in ihrer eigenen Welt.

Die Sekte mischt mit

Tom rannte aus dem Krankenhaus heraus. Er stürzte zu seinem Motorrad, das er um die Ecke geparkt hatte. Im Aufspringen und Motoranlassen stopfte er die abgeschnittene Haarsträhne in die Innentasche seiner Lederjacke. Mist! Er hatte es verbockt. Er sollte die Strähne aus der Innenseite so abschneiden, dass es von allen im Krankenhaus unbemerkt bleiben würde. Doch als er hörte, wie sich die Schwester dem Zimmer näherte, wurde er nervös. Wahllos schnitt er drauflos und sprang mit seiner Beute aus dem geöffneten Fenster. Musste ja keiner beim Guru erfahren! Hauptsache, er brachte ihm die angeforderte Haarsträhne, dachte er bei sich.

Als er in dem Park der großen Villa zum Stehen kam, hatte er sich wieder beruhigt. Der Guru, wie sie ihn alle nannten, erwartete ihn bereits.

"Und, Victim, hat alles geklappt? Hast Du alles zu meiner Zufriedenheit erledigt?“

Gierig griff der Guru nach der Haarsträhne, die ihm Tom übergab.

„Gib her und danke. Ich werde Dich beim nächsten offenen Meeting für Deinen Mut und besonderen Einsatz loben."

Erleichtert reichte Tom ihm die Strähne und freute sich schon darauf, vor Sheila, seiner Kollegin und Seelenschwester, wie sie sich hier nannten, von seiner bevorstehenden Auszeichnung von dem Guru anzugeben.

Sheila. Tom, - oder Victim, wie er im Kreis des Gurus genannt wurde -, bewunderte sie für ihre Coolness, ihren Erfolg und ihre Nähe zum Guru. Sie war nun schon seit knapp zehn Jahren an seiner Seite. Treu ergeben erfüllte sie all seine Wünsche. Sie schützte ihn im Außen vor den vielen Neuen. Sie übernahm die Einführungen und vielen notwendigen Erklärungen. Der Guru sollte sich wirklich nicht mit all den banalen Dingen herumschlagen müssen. Sheila wusste stets, wie sie die Neuen abwimmelte und von dem Guru möglichst weit fernhielt. Intern verwöhnte sie ihn. Massierte ihm die Füße, schleuste immer wieder neue junge Gespielinnen in sein Schlafzimmer und wimmelte die Anrufe der aufgebrachten Eltern ab, die nach ihren verlorengegangenen, aber immerhin schon volljährigen Kindern forschten.

Ja, er, Tom hatte sich hier in kurzer Zeit ganz gut hochgearbeitet. Bevor er Sheila begegnet war, war er ein harmloser Banker mit Aussicht auf die kleine Karriereleiter und mittlere Rente ab 67. Sybille, seine schwangere Verlobte, hatte er damals, als er vor 24 Monaten dem Ruf des Gurus gefolgt war, ohne Abschied zurückgelassen.

Tom hatte Sheila eines Tages bei einem Vortrag über Managementtraining für Auserwählte im Dorinthotel in Stuttgart, zu dem ihn ein entfernter Bekannter mitgenommen hatte, kennengelernt. Nach dem Vortrag hatten sie noch ein Bier zusammen an der Hotelbar getrunken. Als sein Bekannter sich verabschiedet hatte, hatte Sheila ihm prüfend in die Augen und die Aura gesehen.

"In Dir steckt mehr. Entfalte Dich. Entdecke Deine Persönlichkeit, und der Guru wird Dich bestimmt als Schüler annehmen."

Doch zuerst hatte er bei ihr ein Intensivmanagmenttraining absolviert. Teuer war es ja. 25.000 Euro für 8 Tage. Doch für Energie musste man bezahlen. Je höher die Energie, desto höher der Preis. Und so ein Training bei Sheila, wie sie ihm erklärte, war etwas besonders. Als Meisterin des Regenbogens stand sie unter dem direkten Schutz des Gurus. Tom, der völlig ahnungslos in Bezug auf derartige Formulierungen und Darlegungen war, hatte noch beim gleichen Gespräch von Sheila erfahren, dass er direkt aus einem Schöpfungsstrahl des Regenbogens entsprungen sei, und zwar dem Violett, dem Strahl der Transformation.

Spirituellen Dingen gegenüber bisher eher skeptisch, hatte Tom das alles am Anfang sehr befremdet. Denn ehrlich gesagt hatte er vorerst keine Ahnung, wovon sie redete. Sheila verstand es jedoch sehr überzeugend zu argumentieren und noch mehr, selbst sehr überzeugend zu sein.

Tom hatte, wie viele andere Menschen auch, eine oberflächliche, durch Unkenntnis geprägte Meinung über spirituelle Menschen und ihre dubiosen Aktivitäten. Diese Vorurteile basierten darauf, dass er sich diese Esoteriker in wallenden Flattergewändern, ewig selig lächelnd und „OM“ singend vorgestellt hatte. Er dachte, dies seien ein paar harmlose, unbedeutende Spinner, die singend und bettelnd über die Straßen schwebten, oder bestenfalls Scharlatane, die für unseriöse Leistungen auch noch Geld verlangten. Nie hatte er sich ernsthaft für spirituelle Themen und Praktiken interessiert. Mit Sybille und gemeinsamen Freunden hatten sie sich manchmal sogar darüber lustig gemacht, wenn sie hörten, dass mal wieder jemand hereingefallen war und ihrem Gefasel und ihren Weltverschwörungstheorien Glauben schenkte. Selbst namhaften Kabarettisten boten diese weltfremden Esoleute reichlich Stoff für ihre sarkastischen Darbietungen. Und auch Sonntagabends im Tatort wurde immer wieder aufgedeckt, dass nichts von dem, was Schamanen, Hellseher und Co. behaupteten, wissenschaftlichen Beweisen standhalten konnte und schon gar nicht den Ermittlungen der cleveren Kommissare.

Doch Sheila war anders. Sie war eine erfolgreiche, weltgewandte Businessfrau. Sie trug Markenkleider, war sehr gepflegt, hatte bei ihrem Alter bestimmt mehr mit Botox als mit Beten nachgeholfen und fuhr einen teuren BMW. Kurzum, Sheila imponierte Tom sehr. Ihr selbstbewusstes und souveränes Auftreten, ihre Art, auf alles eine Antwort parat zu haben und über reichlich Geld zu verfügen, ließ Sheila immer mehr zu einem Vorbild werden. Sie strahlte etwas aus, das Tom auch wollte. Sie war erfolgreich und sexy.

Nach unzähligen Einzelsessions und anschließenden Kursen bei Sheila, einigen persönlichen Segnungen des Meisters und vielen weiteren Weiterbildungen, hatte er es dann begriffen. Das Violett, dem er entstammte, war etwas ganz besonders! Er durfte nun diesen Strahl betreten, wann immer er wollte, und Informationen für sich und andere daraus abholen. Der Guru hatte ihm dazu sein drittes Auge aktiviert und einen Zugang gelegt. Das war zwar sehr teuer, und er musste dafür extra einen Kredit bei seiner Bank aufnehmen, doch es hatte sich gelohnt.

Tom hatte inzwischen längst seine sichere Bankstelle gekündigt, sich von Sybille getrennt und seine Heimat vorübergehend verlassen. Nach dem vielen Hin- und Herfliegen war er in die Staaten gekommen, um möglichst immer in der Nähe des Gurus zu sein. Eine entfernte Verwandte hatte ihm geholfen, damit er vorerst für ein Jahr bleiben durfte. Seit ein paar Monaten lebte er nun in Florida. Er teilte sich ein Zimmer mit einem anderen Schüler in der Nähe der Villa des Gurus. In der Gemeinschaft seiner Seelenschwestern und -brüder diente nun auch Tom dem Guru und dessen Plänen zur endgültigen Weltherrschaft.

Der Guru hatte ihn erkannt und ihm seinen spirituellen Namen gegeben. Er war Victim: Der, der alle Schrecken vom Guru fernhält. Sich selbst nannte er allerdings nach wie vor Tom. Tom war der coole Typ mit der Harley-Davidson, der er schon immer sein wollte. Die angeschossene Frau in der Klinik, was war nur mit der? Der Guru hatte ihm gesagt, sie bedrohe die Gemeinschaft. Bevor sie nun nach Florida gekommen ist, um ihm und seinen Schülern zu schaden, hat sie ihn sogar bei der Kirche auf die Liste der gefährlichen Sektenanführer setzen lassen. Denen hatte sie weiß gemacht, der Guru würde alle manipulieren und abhängig machen. Völlig absurd und lächerlich. Nichts als Rache. Sie sei sauer, weil er sie einst aus der Gemeinschaft ausgeschlossen habe und sie nie darüber hinweggekommen sei. Zudem habe sie dem Guru ständig nachgestellt und sein Desinteresse an ihr als Frau nie verziehen. Seitdem habe sie versucht, eine eigene Anhängerschaft zu finden, um selbst die Weltherrschaft an sich zu reißen. Doch keiner sei ihr gefolgt, keiner habe sie ernst genommen. So sei sie nun nach Florida gekommen, um sich an ihm zu rächen. Wer auf sie geschossen hatte, wusste Tom allerdings nicht. Er selbst besaß keine Waffe. Auch lehnte er jede Form von Gewalt ab. Nun, wenn der Meister sie hin und wieder schlug, war dies etwas anderes. Der Meister hatte ihnen ja erklärt, dass das notwendig sei, um sie von tiefen Blockaden zu befreien. Diese Disziplin der Stockschläge, die der Schüler von seinem Meister bekommt, werden im Zen Buddhismus und anderen Einweihungswegen schon immer praktiziert. Nur durch das Fortführen dieser Tradition könnten auch die Schüler des Gurus schnell weiterkommen. Seitdem freute sich Tom, wenn es auch ihn traf und die Schläge des Gurus ihn befreiten.

Der Guru hatte sich mit der Haarsträhne, die Tom ihm ausgehändigt hatte, zurückgezogen. Er legte sie in ein spezielles Gerät, das es ihm möglich machte, über die Schwingung der Haare den Zustand der Besitzerin zu kontrollieren. Auch konnte er über die Informationen, die die Haarsträhne ihm preisgab, herausfinden, mit welchen Wirkstoffen er sie lange in einem anderen Bewusstseinszustand halten oder sogar für immer ins Land des Vergessens schicken konnte. Er machte sich hinter verschlossenen Türen ans Werk, um all dies in Erfahrung zu bringen.

Die Schönheit von Atlantis

Wo bin ich? Wo ist mein eigentliches Ich? Mit welchem Teil meines Bewusstseins reise ich? Welcher Teil von mir führt mich, weiß, wohin diese Reise geht? Alles verschmilzt in einem einzigen Augenblick. Vergessen ist, was war und was sein wird. Auf das Hier und Jetzt ist meine ganze Aufmerksamkeit gelenkt. Alles andere, der Körper, das Leben, aus dem ich herausgefallen bin, ist vergessen.

****

Ich sehe einen Weg, der wie ein leuchtender Strahl vor mir liegt. Ich gehe weiter und genieße jeden Schritt. Ich weiß, dass es die Straße nach Atlantis ist, dem untergegangenen, verlorenen Reich. Die Straße führt mich ohne Umwege direkt dorthin, in die Kristallstädte des sagenumwobenen, wundervollen Atlantis. Je weiter ich komme, desto stärker vernehme ich den Summton der Kristalle. Es wird immer heller. Schon sehe ich die ersten Kristalle. Klar leuchtend stehen sie vor mir. Sie bilden Gruppierungen, unterschiedlich groß, verschiedenfarbige Schimmer leuchten aus dem Inneren der Kristalle heraus. Wie ein Kristallwald stehen sie da, leuchtend, magisch und von erhabener Schönheit. Alles nehme ich wahr, wie im Traum, und doch weiß ich, dass ich wirklich hier bin, in dieser Welt, die vermutlich nur noch als Erinnerungsspeicher existiert, nicht auffindbar für jene, die mit ihrem physischen Körper versuchen, sie zu finden.

Der Lichtweg führt mich weiter. Die Schwingung verändert sich. Ich komme an eine große, einzelnstehende Kristallpyramide. Ein Sog zieht mich in ihr Inneres. Das Innerste ist erhaben und mächtig. Größer und schöner als all die Kathedralen, die ich besucht habe und an die ich mich bewusst erinnern kann. Zuerst Stille, doch dann höre ich ganz leisen Gesang. Diesem folgend gehe ich tiefer in das Innere der Kristallpyramide. Gebannt bleibe ich vor der Quelle des Gesangs stehen. Ich sehe hohe Lichtgestalten, versammelt um eine Quelle fließenden, flüssigen Kristalllichts. Es ist so hell, dass es mich blendet. Langsam beginne ich zu erkennen, was dort geschieht. Einzelne Lichtgestalten berühren sich, und in ihrer Mitte erscheint jeweils ein Mensch, oder besser gesagt ein vergleichbares Wesen, nur lichter, transparenter, größer und erhabener. Jeweils eins dieser wunderschönen Wesen wird zu dem fließenden Kristalllicht geführt, hineingetaucht und solange darin sanft gehalten, bis sich die Form zuerst auflöst, um dann verändert, noch größer und lichter, wieder aufzutauchen. Ich erahne, wie durch Eingabe aus einer uralten Erinnerung, dass ich bei einer Einweihungszeremonie im Großen Tempel von Atlantis bin. Was ich sehe, ist einem Teil von mir vollkommen vertraut.

Nachdem die Taufe vollzogen worden ist, führen andere Lichtgestalten, die auf diese Weise Eingeweihten zu einer großen Nische, einer riesigen Kristallmuschelschale, die eine Art Erker bildet. Dort sitzt eine wunderschöne weibliche Gestalt, völlig in goldenes Licht getaucht, auf einem Thron aus Perlmutt. Die weibliche Gestalt ist vollständig aus Licht geformt, durchlässig und von innen heraus leuchtend. Von ihr geht eine Schwingung der Reinheit und der Liebe aus, die alle niederknien lässt. Sie berührt mit ihren Lichthänden sanft die Stirn desjenigen, der zu ihr kommt. Perlmuttartiges Licht ergießt sich über die so Gesegneten. Wahrhaft gesegnet, fühle ich ganz tief in mir.

Ich stehe abseits und beobachte die Szene fasziniert. Plötzlich höre ich tumultartiges Gemurmel auf uns zukommen. Es betreten düstere, hochaufgerichtete Gestalten den Tempel und entreißen die eben Getaufte der Umarmung. Schreie des Entsetzens und der Empörung. Sich heftig wehrend wird die frisch Eingeweihte weggeführt.

****

Ein heftiger Schmerz durchfährt mich und ich kann spüren, wie ich wieder aus meinem Bewusstsein herausgleite und jegliche Kontrolle verliere.

****

"Meta, Meta, komm wieder zu Dir."

Die mir vertraute liebevolle Lichtgestalt ruft mich zurück. Ich scheine mit ihr auf einer weißen Wolke zu sein und begreife nichts.

"Wo bin ich, warum bin ich hier?"

"Du bist hier, weil Du Dir gewünscht hast, zu verstehen. Alles, alle Zusammenhänge. Wir führen Dich durch das Karmarad damit Du erkennst und lernst. Es ist so einfach. Ihr kommt immer wieder, identifiziert Euch mit Eurer Rolle so absolut, dass Ihr jedes Mal glaubt, alles sei neu.

Doch in Wahrheit ist alles uralt. Immer wieder werdet Ihr geboren, lernt das Notwendigste und verstrickt Euch immer wieder mit den gleichen Menschen in ähnlichen Schicksalen. Wie Schauspieler nehmt Ihr manchmal andere Rollen ein, wechselt dazu sogar Euer Geschlecht. Männer schlüpfen in Frauenrollen und umgekehrt. Tauscht sozusagen die Positionen. Manchmal gelingt es Euch, dadurch etwas zu begreifen. Doch oftmals kommt Ihr hunderte von Malen wieder, ohne wirkliche Fortschritte gemacht zu haben, verliert Euch im Körpersein, verfallt den primitivsten Bedürfnissen. Machtspiele, die Eure Entwicklung blockieren, bringen Euch vom Weg ab, und das Theater beginnt von vorn. Durch das Vergessen, das Euch umgibt, leidet Ihr immer wieder, besteht Ihr regelrecht darauf. Als Du in vielen Meditationen darum gefleht hast, Dich endlich zu erinnern, aufzuwachen, um zu verstehen, haben wir, der Rat der großen Engel, beschlossen, Dir Einblick zu gewähren. So führen wir Dich nun durch die vielen Bühnenbilder Deiner zahlreichen bereits gelebten Leben: Das Weltentheater der Menschheit. Zeit spielt dabei keine Rolle. Im Ätherkörper der Erde ist alles aufbewahrt. Wir können Dir allerdings noch nicht sagen, wann Du zurückkehrst, und auch nicht, ob Du nach dieser Reise wieder in Deinen Körper zurückkommen kannst. Wir müssen abwarten, was alles mit Deinem Körper geschehen wird. Dadurch, dass Euch der freie Wille gegeben wurde, dürfen wir auch nicht eingreifen, wenn andere wählen, Dir zu schaden. Du selbst hast Dich für diese Form der Auseinandersetzung entschieden, eingewilligt, Dich einem perfiden Machtspiel noch einmal auszusetzen. Die Regeln schreibt Ihr. Wir sind nur da, damit Ihr nicht ganz in der ewigen Dunkelheit verloren geht. Doch hab‘ keine Angst. Der Tod, den ihr so fürchtet, ist nichts. Ein harmloser Übergang, wie das Ablegen eins Kleidungsstücks. Ihr Menschen macht immer und immer wieder ein großes Drama aus dem Tod, weil Ihr glaubt, mit ihm alles zu verlieren. Begreift, dass es nichts gibt, was Ihr verlieren könnt, denn Euch gehört nichts. Alles vergeht, verweht in einem einzigen Moment, bevor Ihr auch nur das Geringste verstanden habt. Nur der Atem Gottes ist ewig. Alles andere ist endlich."

Schlafe süß und träume

Alles dreht sich in mir. In einer Lichtspirale falle ich immer schneller und tiefer. Nein, ich wollte noch mehr hören, mehr begreifen.

Doch plötzlich spüre ich Enge. Ich fühle, wie ich atme und ein stechender Schmerz in meine Schulter fährt. Ich sehe, als ich für einen Moment die Augen öffne, medizinische Apparate und Schläuche, die in langen Nadeln enden, die in meinen Armen stecken. Was ist geschehen? Wo bin ich? Es ist so anstrengend, dass mir die Augen wieder zufallen. Von weit her höre ich noch, wie Stimmen auf mich zu kommen. Eine Tür wird geöffnet. Ich spüre, wie sich dunkle Kälte meinem Bett nähert. Angst zieht meine Brust zusammen. Mein Herz beginnt zu rasen, Kalte Hände berühren mich, halten meinen Arm fest. Jemand zieht an der Nadel und löst den Schlauch daraus. Eine der Injektionsflaschen wird hastig ausgetauscht. Der Schlauch wird wieder befestigt. Etwas Eisiges, Todbringendes fließt in das Innere meines Arms. Wieder beginnt sich alles zu drehen und zieht mich weg aus dem Raum. Im letzten Moment höre ich von weit entfernt eine wütende Männerstimme etwas rufen und eilige Schritte, die sich entfernen.

Tom war im Auftrag des Gurus wieder zum St. James Hospital gefahren. Unbemerkt hatte er sich in die Garderobe der Pflegekräfte geschlichen, einen blauen Kittel übergezogen und ein Namensschild umgeschrieben und angesteckt. Auf dem Weg in das Zimmer von Meta war er kurz von einer ahnungslosen Schwester aufgehalten worden. Als er es endlich geschafft hatte sich in das Zimmer Nummer 10 hineinzuschleichen, stach er hastig mit der Spritze, die ihm der Guru mitgegeben hatte, in den für Meta bereitliegenden Injektionsbeutel und drückte die Flüssigkeit aus der Spritze hinein. Konzentriert tauschte er vorsichtig den so präparierten Beutel gegen den Injektionsbeutel aus, der Meta versorgte. Den Rest des abgehängten Beutels ließ er ins Waschbecken laufen. Tom hatte keine Ahnung, was der Guru ihr verabreichte, was dieses Trapanal, wie es laut dem Etikett auf der Flasche bezeichnet wurde, bewirken sollte. Es ging ihn ja auch nichts an. Der Guru wird seine Gründe haben, für was auch immer. Tom machte einfach das, was ihm aufgetragen worden war. Dann legte er noch einen kleinen Gegenstand, der in ein zartes Seidentuch eingeschlagen war, unter Metas Kopfkissen. Tom konnte fühlen, dass der Gegenstand darin kalt und glatt war, und dass etwas Fremdes, beinahe Bedrohliches von ihm ausging.

Als er alles erledigt hatte, entledigte er sich schleunigst des Kittels, verließ unbemerkt das Krankenhaus und brauste wieder auf seiner Harley davon. Einen kurzen Augenblick lang hatte er das Gefühl gehabt, als beobachte Meta ihn. Ein wenig unheimlich war ihm das Ganze durchaus.

Die Bedrohung von Atlantis

Unbarmherzig falle ich zurück in die Schwärze, aus der ich gekommen bin. Ich gleite durch einen Raum, in dem es weder Zeit noch irgendeine Form von Existenz zu geben scheint. Das muss das Nichts sein, erahne ich in einem Bereich in mir, den ich nicht zu benennen vermag.

****

Plötzlich bin ich wieder Beobachterin in der großen Kristallpyramide. Ich spüre, dass sich etwas verändert hat. Eine düstere, bedrohliche Kälte greift gierig nach dem Licht, saugt es in sich auf. Fremde Hände, von denen etwas Grausames und Unbarmherziges ausgeht, umschließen meine Lichtgestalt ohne Vorwarnung. Etwas Eisiges, Metallenes sickert langsam in all meine Schichten ein. Ich werde gepackt und aus der Kristallpyramide gezerrt. Gleichzeitig begreife ich, dass ich die weibliche Gestalt war, deren Segnung ich vor dem Thron der hohen liebenden Lichtgestalt beobachtet hatte. Brutal werde ich hinweggeschleift, verdeckt von einem aus Licht gewobenen grauen Tuch, vollständig eingehüllt und wehrlos. Ich kann nichts erkennen, nur fühlen und ahnen, dass etwas beginnt, dieses wundervolle Licht und den Klang der Kristalle zu stören, zu zerstören.

Seit geraumer Zeit schon hatte sich in Atlantis eine neue Gruppierung gebildet, die sich immer mehr von den übrigen abspaltete. Diejenigen, die nicht zu der neuen Gruppe wechselten, dienten nach wie vor in der Ausrichtung auf das reine Gottesbewusstsein in den Kristalltempeln. Sowohl in dem weiblichen als auch dem männlich Göttlichen sahen sie die Quelle der gesamten Schöpfung und anerkannten sie als die höchste Existenz des Universums.

Die neu gebildete Gruppe hingegen forderte die Schöpfung heraus. Experimentierte mit und an dem Leben selbst und zerlegte alle geschöpften Formen bis in ihren Kern. Diese Gruppe versuchte, selbst Schöpfer zu sein. Ihre Oberhäupter begannen, durch brutale Experimente am Lebenden, dieses zu pervertieren und neue, entartete Formen hervorzubringen. Dabei verursachten sie unendlich viel Qual und Leid. Immer wieder geriet etwas außer Kontrolle und gefährdete das gesamte Leben in Atlantis. Sowohl die Natur als auch Menschen und Tiere wurden für diese Experimente benutzt. Krankheiten und Zerfall jeglicher Art griffen um sich. Natürliche Lebenskreisläufe brachen zusammen. Schmerzen, die zugefügt wurden, zerrissen die Einheit von Körper, Geist und Seele. Ewige Dunkelheit legte sich über vieles. Die Machtgier der neuen Gruppe wurde immer größer, und so hatten sich die beiden entstandenen Lager längst voneinander distanziert. Schließlich begannen Kämpfe und Bedrohungen. Seit neuestem wurden für die perversen Versuche Mitglieder der Gruppe, die an den ursprünglichen Werten festhielt, von Anhängern der neuen Gruppe verschleppt und kehrten nie mehr in die Gemeinschaft zurück. Intern wusste man, dass sie für Versuchszwecke missbraucht wurden und meistens elendig daran starben. Da für viele die Faszination, Gott und seine Schöpfung zu übertrumpfen, sehr groß war, wechselten immer mehr zu der Experimentiergruppe. Die Lage hatte sich bis zum Äußersten zugespitzt. Mit dieser inneren Spaltung und den ständigen, immer heftiger werdenden Machtkämpfen konnte sich Atlantis nicht mehr lange halten.

Als ich wieder etwas erkennen kann und das graugewobene Tuch von mir genommen wird, registriere ich, dass ich auf einer Art marmorner Steinplatte festgebunden worden bin. Mir fremde Stimmen verständigen sich darüber, was als nächstes mit mir geschehen soll. Grelles, kaltes Licht blendet mich. Ich liege wehrlos und gefangen in einem Raum, zusammen eingeschlossen mit anderen Gefangenen. Einige scheinen in großen, kristallenen Lichtkuben zu schweben, unbeweglich, merkwürdig phosphoreszierend und leuchtend. Menschliche Hüllen, die in ihre verschiedenen Energiekörper zerlegt wurden. Was Gott im Ursprung als Einheit erschaffen hatte, war auf subtile, perverse Art in seine Einzelteile zerlegt worden. Mit stummen Schreien scheinen sie um Hilfe zu flehen, diesem grausamen Vorgehen hier ein Ende zu machen.

Aufgeregt rufend kommt jemand in das Versuchslabor hineingerannt und ruft einen Namen:

"Mechama, Mechama, komm schnell, komm schnell!"

Die höchste der grauen Lichtgestalten schaut auf. In diesem Augenblick sehe ich die Augen und erkenne sie. Er schaut auf und wendet sich dem, der seinen Namen gerufen hat, zu und folgt ihm aus dem Labor nach draußen. Vorher gibt Mechama den anderen hastig Anweisungen.

Von Mechama geht eine grausame Macht, ein Stolz, eine Unbezwingbarkeit aus, die die Kälte in meinen Adern noch kälter werden und zu Eis erstarren lässt. Nachdem er das Labor verlassen hat, fühle ich für einen trügerischen Moment Erleichterung. Ich registriere die Ratlosigkeit der Zurückgelassenen.

"Was nun? Was sollen wir mit dieser Frau, die wir heute gefangen haben, machen? Das Gift in ihren Adern wirkt weiter. Wenn wir die Energiebewegung, die in ihrem System begonnen hat, sich zu verstärken, nicht aufhalten, wird alles umsonst gewesen sein."

Einer der Grauen, der befugt zu sein scheint, zu handeln, holt erneut eine dieser spitzen, kristallinen Nadeln und stößt sie wieder in meinen Arm. Diesmal spüre ich, wie eine warme, brennende Flüssigkeit in mich einströmt. Langsam fließt Leben in mich zurück. Die Erstarrung löst sich auf. Doch die Angst bleibt, Angst vor dem, was hier geschieht. Ich kann hören, wie die Anwesenden sich untereinander sehr aufgeregt unterhalten.