Von Spaß war nie die Rede - Ellen Berg - E-Book
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Von Spaß war nie die Rede E-Book

Ellen Berg

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Beschreibung

Eine Mutter auf Abwegen.

Eigentlich hat Fee viel erreicht: eine harmonische Ehe, zwei tolle Kinder, einen guten Job. Doch ein verunglückter Familienurlaub mit maulenden Kindern und dauerschweigendem Ehemann bringt sie ins Grübeln: War das schon alles? Was ist von meinen Träumen übrig? Wo stehe ich als Frau? Als ihr der attraktive Zumbatrainer Felix eine Selbstfindungsreise nach Bali vorschlägt, ist die Familie entsetzt. Egal, Fee will sich wieder lebendig fühlen! Nur, dass es gar nicht so leicht ist, von der braven Gattin und Mutter in den Abenteuermodus umzuschalten ...

Ein hinreißend humorvoller Roman über die Frage, wie frau in der Mitte des Lebens noch mal durchstarten kann.

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Seitenzahl: 411

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Ellen Berg

Von Spaß war nie die Rede

(K)ein Mütter-Roman

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13 — Zwei Wochen später

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Impressum

Wer von diesem Roman begeistert ist, liest auch ...

Prolog

Auf der Website Nurnichtverzweifeln.com fand ich folgenden Ratschlag: Schreib einen Brief an dich selbst. Am besten an dein inneres Kind. Also schön, hier ist der Brief.

Liebes inneres Kind,

wie es Dir geht, muss ich gar nicht erst fragen. Vor ein paar Jahren hättest Du wahrscheinlich noch geantwortet: Eigentlich ganz gut. Oder: Geht schon irgendwie. Was man halt so sagt, wenn Sinnfragen ein Luxus sind, den man sich im turbulenten Alltag nicht leisten kann.

Doch jetzt lautet die Antwort: Nichts geht mehr.

Weißt Du noch? Früher wolltest Du unbedingt ganz schnell erwachsen werden. Da wusstest Du ja auch noch nicht, was das bedeutet: ackern, kümmern, staubsaugen, einkaufen, kochen, waschen, bügeln und allenfalls noch beim Spülmaschine einräumen die Musik hören, zu der Du früher die Nächte durchgetanzt hast.

Erwachsensein heißt, für andere da zu sein. Nur nicht für Dich selbst.

Das hattest Du Dir ganz anders vorgestellt, stimmt’s? Du wolltest lachen und leben, so richtig aus dem Vollen schöpfen. Stattdessen bist Du nun am Nullpunkt Deines Tupperdosendaseins angekommen. Einfach verloren gegangen, irgendwo zwischen Küche, Job und Supermarkt.

Sicher, es ist erfüllend, einer Familie den Rundumservice zu bieten, Haus und Garten auf Zack zu halten und einen anspruchsvollen Chef zufriedenzustellen. Vorausgesetzt, man muss es nicht dauernd selber tun.

Lange dachtest Du: Wenn die Kinder aus dem Gröbsten raus sind, liegt das Schlimmste hinter Dir. Nee, nee, Du steckst mittendrin im tiefsten Schlamassel. Jeder hat täglich neue Sonderwünsche: Dein Mann Christian, Deine fast erwachsene Tochter Emmi, Dein pubertierender Sohn Finn, außerdem Kollegen, Freunde, Eltern, Schwiegereltern und so weiter.

Was Du Dir wünschst, danach fragt keiner.

Vielleicht liegt es daran, dass ich Fee heiße. Nomen est omen. Jedenfalls bin ich die gute Fee vom Dienst, auf die man rund um die Uhr zählen kann. Jemand braucht meinen Rat? Bitte sehr. Eine Freundin möchte Hilfe bei ihrer Grillparty? Noch am selben Abend stehe ich mit leckeren Salaten auf der Matte. Jemand sucht ein Geschenk für seine Schwiegermutter? Natürlich stöbere ich bei eBay das ultimative Präsent auf.

Man hält mich für eine starke Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht. Immer lächelnd, immer freundlich, immer hilfsbereit, wie es nun mal meine Art ist. Ich kann ja auch gar nicht anders, denn das Wort »nein« existiert nicht in meinem Wortschatz. Aber Du, liebes inneres Kind, drehst am Rad. Ach was, Du schrammst längst auf der Felge, und in perfekter Harmonie zum dazugehörigen Quietschgeräusch pfeifst Du aus dem letzten Loch.

So kanntest Du Dich bisher gar nicht. So kraftlos und deprimiert und durcheinander wie ein Pfund gemischtes Hack, das als Falscher Hase durch die Welt läuft. Es gibt Tage, da ist Deine Energie bereits vor dem ersten Kaffee aufgebraucht. Du liegst noch im Bett, und Dir wird schon ganz schwindelig bei der Vorstellung, wie viel Du bedenken und erledigen musst, weil sonst alles zusammenbrechen würde.

Verflixt. Was stimmt nicht mit mir?

Du wirst immer komplizierter, sagt Christian. Mama ist in letzter Zeit total anstrengend, sagen meine Kinder. Das sind die ersten Vorboten der Wechseljahre, sagen meine Freundinnen: Glückwunsch, Fee, kannst dich schon mal auf Hüftprobleme, erstaunliche Nahrungsunverträglichkeiten und den ganz großen Depri einstellen; Anfang vierzig geht’s nämlich los, und besser wird’s nie wieder.

Leider fühlt es sich ganz danach an.

Klar, ich könnte dankbar sein. Ein Mann, zwei Kinder, ein Haus, ein Job, das ist doch was. Von außen betrachtet, läuft ja auch alles rund. Ich führe ein sacksolides Leben in geregelten Verhältnissen, vollkaskoversichert und weitgehend sorgenfrei. Doch Du, mein liebes inneres Kind, empfindest diesen Alltag als Gefängnis. Wie um Himmels willen kommen wir beide da bloß wieder raus?

Wahrscheinlich gar nicht. Wir sind halt dort, wo das Schicksal uns hingelebt hat.

Doch manchmal, wenn ich spätabends die Küche aufräume, stellst Du die Sinnfragen, die vielleicht normal sind mit Anfang vierzig: Was habe ich erreicht, was versäumt, welche Opfer musste ich für das Erreichte bringen? Dumm nur: Im Grunde habe ich so gut wie gar nichts erreicht, weil die Mühle jeden Tag wieder von vorn losgeht: ackern, kümmern, staubsaugen, einkaufen, kochen, waschen, bügeln … siehe oben. Es nimmt einfach kein Ende.

Wo bleibst Du? Hallo, liebes inneres Kind, gibt es Dich überhaupt noch? So vieles ist auf der Strecke geblieben. Wenn mich jemand nach meinen Hobbys fragt, wäre die ehrliche Antwort: Aufgrund des Lebens, das ich führe, bin ich vielseitig desinteressiert.

Und was ist aus Deinen Sehnsüchten geworden, Deinen Träumen, Deinem Fernweh? Wolltest Du nicht immer mal nach Tibet? Oder durch den Panamakanal schippern? Was ist mit Deinem Jugendtraum, einmal auf Bali zu meditieren?

Vorbei. Irgendein rätselhaftes Karma hat mir aufgebrummt, kleine Brötchen zu backen, statt mir den ganz großen Kuchen zu holen. Mein Leben geht seinen Gang, ich stolpere hinterher. Anders geht es wahrscheinlich nicht. Also beiß die Zähne zusammen und mach weiter. Du schaffst das schon. Irgendwie.

Deine Fee

PS Liebes inneres Kind, wenn Du mal Probleme brauchst, gebe ich Dir gern ein paar ab. Melde Dich einfach, bin immer für Dich da.

Kapitel 1

»Frau Ziegler, kommen Sie mal?«

Selbstverständlich. Obwohl Herr Doktor Sennheiser das Zauberwort weggelassen hat, unterbreche ich sofort meine Arbeit am Computer. Als Praxisassistentin eines Dermatologen, für den ich seit acht Jahren halbtags arbeite, kenne ich die Dringlichkeitsstufen.

Bitte ist für sonntags reserviert, also nicht für mich. Könnten Sie mal kommen, sagt Doktor Sennheiser nur, wenn er sehr guter Laune ist. Was selten vorkommt und montags nie. Montags ist Hochbetrieb beim Hautarzt, weil die Leute am Wochenende endlich mal dazu kommen, richtig in den Spiegel zu gucken. Schon gewusst? Der Mensch hat durchschnittlich eins Komma neun Quadratmeter Hautfläche. Da findet man immer was Interessantes, sofern man sich genügend Zeit dafür nimmt und anschließend das Internet befragt.

Doch dass die Praxis voller Patienten ist, die bereits durch Doktor Google wissen, dass sie unter einer sehr seltenen Allergie leiden oder quasi mit einem Bein im Grab stehen, darf mich jetzt nicht stören.

Kommen Sie mal bedeutet: Alles stehen und liegen lassen, dringende Chefsache, mach dich auf was gefasst.

»Sofort, Herr Doktor Sennheiser!«

Schon als ich sein Sprechzimmer betrete, einen weiß getünchten Raum voller Fotos von gruselig entstellten Menschen, weiß ich, dass mein Feierabend gelaufen ist. Ich sehe es an der steilen Falte zwischen den Augenbrauen meines Chefs.

»Meine Frau hat heute Geburtstag«, erklärt er etwas nervös. »Ich brauche einen anständigen Blumenstrauß, einen Tisch für zwei im Restaurant Piccolo Mondo und ein Präsent, das ich meiner Gattin überreichen kann.«

Unhörbar seufzend mustere ich Doktor Sennheisers hagere Gestalt im weißen Kittel, danach sein schmales Gesicht mit den bleistiftdünnen Lippen und den etwas vorstehenden Augen. Also hat er den Geburtstag seiner Frau vergessen, und ich soll es rausreißen.

Klar, ich könnte jetzt sagen: Tut mir leid, das gehört nicht zu meinen Aufgaben. Als medizinische Praxisassistentin umfasst meine Arbeitsplatzbeschreibung genau folgende vier Elemente: Empfang von Patientinnen und Patienten, Terminplanung, administrative Arbeiten, Unterstützung des behandelnden Arztes bei Laborarbeiten. Ende. Last-minute-Aktionen, weil mein Chef einen Geburtstag verdaddelt hat, sind definitiv nicht mein Job.

Aber ich kann den Mann doch nicht hängen lassen. Das brächte ich nicht übers Herz.

»Bestimmt fällt mir was ein«, nicke ich. »Blumen und Reservierung gehen klar. Als Präsent würde ich ein wertiges Seidentuch empfehlen. Oder eine hübsche Kette, die kann Ihre Frau dann gleich im Restaurant anlegen.«

»Sehr gut.« Mit gewichtiger Miene holt Doktor Sennheiser sein Portemonnaie aus der Hosentasche und reicht mir einen Schein. »Aber nicht die Quittungen vergessen, die kann ich als Werbungskosten von der Steuer absetzen.«

»Natürlich.«

»Und beeilen Sie sich, es ist schon halb vier.«

Das ist mir durchaus bewusst, weil ich offiziell nur von elf bis drei arbeite. Doch unbezahlte Überstunden werden einfach vorausgesetzt. Ich will schon gehen, als Doktor Sennheiser mit den Fingern schnippt.

»Eins noch, Frau Ziegler, könnten Sie auch einen Kuchen für meine Frau backen?«

Ich fürchte, mir entgleisen gerade die Gesichtszüge.

»Einen …«

Immerhin, er hat ausnahmsweise könnte gesagt, das muss ich ihm zugutehalten.

»Es ist nämlich so«, hüstelt er in die Patientenakte hinein, die vor ihm auf dem Tisch liegt, »Sie bringen an Ihrem Geburtstag doch immer diese phantastische Apfeltarte mit in die Praxis. Und ich würde meiner Frau gern sagen, sie sei bei meinen Angestellten so beliebt, dass die etwas für ihren Geburtstag vorbereitet haben.«

Dieser Gedankengang ist gleichermaßen abwegig wie die Bitte schräg. Wenn sich Frau Sennheiser überhaupt mal in der Praxis blicken lässt, behandelt sie mich wie Luft. Aber das habe ich eben davon. Es war ein Tipp meines Mannes, damals im Bewerbungsbogen »Backen« als Hobby anzugeben. Solche Mitarbeiter würden immer gern genommen, unabhängig von der Qualifikation, so seine Begründung.

Diese Bemerkung sagt einiges über Chefs. Letztlich sagt sie auch einiges über meinen Mann. Christian schätzt meine hausfraulichen Qualitäten, alles andere … nun ja, weiß nicht.

»Frau Ziegler?«

Im Kopf überschlage ich die Zeitfenster, die sich gerade knallend schließen. Ich führe halt ein Leben im Durchzug.

Also. Telefonat mit dem Restaurant zwei Minuten. Blumen und Präsent besorgen eine Stunde. Zwei Apfeltartes backen – eine habe ich schon meiner Freundin Catherine für heute Abend versprochen – zweieinhalb Stunden. Ist zu schaffen. Gerade so eben. Sagt Catherine nicht immer, man solle jeden Tag eine gute Tarte vollbringen? Dann sind es heute eben zwei.

»Schon erledigt«, strahle ich.

»Das wäre dann alles«, werde ich knapp abserviert.

So wie das Wörtchen Bitte sucht man auch das Wörtchen Danke vergeblich im Wortschatz meines Chefs.

Während ich zurück in den Wartebereich eile und meinen Arbeitsplatz hinter dem Empfangstresen ansteuere, frage ich mich, wie es die Leute immer wieder schaffen, mich zu allen möglichen Gefälligkeiten rumzukriegen. Ich tue es ja gern. Nur, dass ich langsam auf dem Zahnfleisch krieche.

»Frau Ziegler, schön, dass ich Sie antreffe«, spricht mich eine alte weißhaarige Dame im grauen Popelinemantel an. »Ich wollte mich bedanken, dass Sie mir die Wurmkur für meinen kleinen Liebling besorgt haben.«

»Nicht der Rede wert, Frau Kaspers, wirklich gern geschehen«, versichere ich.

Ich mag Frau Kaspers, weil mich diese süße alte Dame immer an meine verstorbene Oma erinnert: winzig von Statur, mit einem lieben gütigen Greisinnengesicht, in dem Tausende kleiner Fältchen von einem abwechslungsreichen und sicher nicht einfachen Leben erzählen. In die Praxis kommt Frau Kaspers eigentlich nur, weil sie sonst niemanden mehr hat und von Zeit zu Zeit unter Menschen muss. Ihre einzige Freude ist ihr kleiner Pudel Chico. Da versteht es sich doch von selbst, dass ich ihr helfe.

»Ist Ihr Kleiner denn wieder gesund?«, erkundige ich mich.

»O ja, Chico frisst wieder richtig, und beim Gassigehen ist er auch wieder munter«, schwärmt sie. »Gestern wollte er sogar eine Dogge beglücken.«

»Das freut mich.«

»Schönen guten Tag, die Damen«, erklingt ein volltönendes männliches Organ, das an den Solisten eines Donkosakenchors erinnert.

Sofort richten sich die Augen sämtlicher wartender Patienten auf den Besitzer dieser sensationellen Stimme. Herr Paltow ist hier der Star. Er sieht umwerfend aus, groß, breitschultrig, stets elegant gekleidet, und hat das Fluidum eines charmanten Hallodris. Nie tritt er an den Empfangstresen, ohne mir mit einer kleinen flirtigen Bemerkung den Tag zu versüßen. Auch heute.

»Wolken sind die Seele des Himmels, Frau Ziegler. Und Ihre schönen Augen sind die Seele dieser Praxis.«

Wenn ich so was höre, fühle ich mich wieder als Frau. Christian bringt solche Sätze schon lange nicht mehr über die Lippen. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle erwähnen, dass ich seit Ewigkeiten verheiratet bin. Mein durchschnittlicher Romantiklevel liegt ungefähr bei: »Schlaf gut, Schatz, und vergiss bitte nicht, mir morgen die Fußpilzcreme aus der Apotheke mitzubringen.« Deshalb bin ich sehr empfänglich für Herrn Paltows geschraubte Sprüche. Unlängst hat er mir sogar Blumen mitgebracht, auch etwas, das Christian seit Jahren nicht mehr tut. Herr Paltow ist einfach eine Wucht.

»Wissen Sie was?«, raunt er mir über den Tresen zu. »So, wie Düfte die Botschafter der Blumen sind, ist Ihr Lächeln eine Botschaft, auf die ich mich schon Tage vorher freue.«

Verzückt schaue ich ihn an. Wenn du wüsstest.

In Ermangelung romantischer Erlebnisse entfliehe ich meinem Alltag manchmal, indem ich in Tagträume und Phantasien eintauche. Ja, ich führe ein geheimes Doppelleben. In meinem Kopf. Zum Beispiel stelle ich mir vor, wie ich Arm in Arm mit Herrn Paltow durch einen Park schlendere, wo wir dann stundenlang über Wolken und Blumen philosophieren. Es muss herrlich sein, die Nähe eines Mannes zu spüren, der eine Frau wirklich wahrnimmt und sich nicht scheut, über Gefühle zu sprechen.

Dummerweise weiß ich aus dem Anamnesebogen, welches chronische Hautleiden Herrn Paltow in die Praxis führt, weshalb ich von weitergehenden Phantasien Abstand nehmen muss.

»Haben Sie zufälligerweise an die Hautcremeproben gedacht?«, flüstert er mir verschwörerisch zu.

Na sicher. Doktor Sennheiser wird mit solchen Proben geradewegs zugeschüttet. Feuchtigkeitscremes, Lotionen für hypersensible Haut, Salben gegen Juckreiz, es ist wirklich alles dabei, in Hülle und Fülle. Wenngleich mein Chef die Proben wie einen Schatz hütet, habe ich für Herrn Paltow ein paar abgezweigt. Diskret überreiche ich ihm eine kleine Tüte, die er mit seinem unwiderstehlichen Lächeln entgegennimmt.

»Danke, Sie sind ein Schatz, Frau Ziegler.«

»Ein Engel auf Erden ist sie«, seufzt Frau Kaspers.

»Nein, nein, zu viel der Ehre«, winke ich verlegen ab. »Entschuldigen Sie bitte vielmals, ich muss jetzt los, etwas für den Chef besorgen.«

»Ach, könntest du bei der Gelegenheit auch meine Schuhe vom Schuster holen?«, fragt meine Kollegin Karla, die einen kleinen grünen Abholzettel aus ihrer Handtasche kramt.

Wie sollte ich ihr die Bitte abschlagen? Karla ist Ende fünfzig, hat eine altmodische Vogelnestfrisur in Graublond und ein schmales blasses Gesicht, das seit drei Jahrzehnten im Neonlicht dieser Arztpraxis verblüht. Wir arbeiten harmonisch Hand in Hand, teilen Freud und Leid, nie gab es ein böses Wort. Deshalb stecke ich den kleinen grünen Zettel ein, den sie mir reicht.

»Später komme ich noch mal vorbei, um die Blumen und alles weitere beim Chef abzugeben. Dann bringe ich dir die Schuhe mit. Und jetzt muss ich wirklich los.«

Ein vielstimmiger Chor begleitet meinen Abgang: »Tschüss, Frau Ziegler«, »Ciao!«, »Schade, dass Sie schon gehen!«, »Schönen Tag für Sie!«, »Bis später, Fee, kannst du das Geld für die Schuhreparatur auslegen?«

Kann ich. Draußen auf der Straße checke ich mein Handy. Auf dem Display erscheinen so viele Nachrichten, dass mir ganz schwummrig wird.

Hi Mum, hab den Sportbeutel heute Morgen im Auto liegen lassen. Um sechs ist Hockeytraining. Kannst Du mir die Sachen kurz in der Halle vorbeibringen? LG Finn

Du musst heute unbedingt meine rosa Bluse waschen, Mami. Morgen soll ein Klassenfoto gemacht werden, deshalb. XOXO, Emmi

Hallo, Sternchen, wird später heute, gehe mit meinen Laufkumpels noch was trinken. Und denk an die Bestellung meiner Sportdrinks. Sind kaum noch welche da. Kuss, Christian

Tja, so ist das eben. Ich habe nicht nur viel um die Ohren, ich gebe Stress ein Zuhause.

Christian ist ohnehin sehr anspruchsvoll, aber wer behauptet, nur kleine Kinder machten Arbeit, kennt meine Großen nicht. Allein Emmis Zimmer aufzuräumen ist wie ein Besuch in diesem schwedischen Möbelhaus: Eigentlich willst du nur Bettwäsche mitnehmen, doch dann kommst du zusätzlich mit einem Satz Teller, jeder Menge Gläser und einer angebrochenen Kekspackung wieder raus.

Finns Zimmer aufzuräumen, ist hingegen ein Ding der Unmöglichkeit. Überall Klamotten, als hätte sein Kleiderschrank Schluckauf, dazu rumliegende Coladosen, angebrochene Gummibärchentüten und ein Gewirr aus Kabeln, mit denen mein Sohn seine diversen elektronischen Geräte vernetzt. Er treibt mich in den Wahnsinn mit seiner Schusseligkeit. Muss an der Pubertät liegen. Mit vierzehn hat man alles Mögliche im Kopf, aber bestimmt nicht, morgens zwei gleiche Socken anzuziehen, die Schultasche korrekt zu packen oder für den Englischtest zu üben. Nur sein Handy ist immer aufgeladen.

Ob sich das noch auswächst? Meine Freundin Betty sagte mal: »Jedes zehnte Kind wird in einem IKEA-Bett gezeugt, deshalb hat jedes dritte Kind eine Schraube locker.« Mathematisch kommt das zwar nicht hin, soweit ich richtig rechnen kann, aber manchmal habe ich einen ähnlichen Eindruck. Unsere Eltern hatten es jedenfalls viel leichter mit uns.

Wenn meine Kinder überhaupt mal mit anfassen, ist das so, als ob zwei andere gleichzeitig loslassen: vier linke Hände, zwei wirre Köpfe, ein einziges Desaster. Emilia traue ich zu, dass sie einen Salzstreuer nachfüllen würde, indem sie die Körner einzeln durch die Löcher schiebt. Und Finn? Den frage ich besser erst gar nicht. Neulich wollte er allen Ernstes wissen, wie schwer die Fragen bei einem Schwangerschaftstest sind. Oder hat er mich nur veralbert? Ich weiß es nicht. Jedenfalls sitzt er so oft vor dem Computer, dass ich langsam befürchte, seine verbliebenen Gehirnzellen könnten an Vereinsamung sterben.

Nun muss ich überlegen, wie ich die vielen Aufgaben bewältigen soll. Aber Multitasking ist ja mein zweiter Vorname.

Ich kann gleichzeitig eine Nudelsuppe kochen, mit dem Steuerberater telefonieren und Emilias Deutschaufsatz auf Rechtschreibfehler durchsehen. Ich kann auch Kaffeemaschinen entkalken, Flusensiebe reinigen oder Zahnspangen desinfizieren, während ich mir von meiner Schwiegermutter Beziehungstipps geben lasse und in Gedanken eine Einkaufsliste für den Drogeriemarkt schreibe. Diese Liste ist immer besonders lang, weil solche Läden auf mich eine ähnliche Faszination ausüben wie Baumärkte auf Männer.

Heute sind die Herausforderungen allerdings extrem komplex. Mein Gatte würde dafür eine Excel-Tabelle anlegen, schätze ich. Mit genauen Zeitabläufen, abgestimmt auf den Stadtplan, und einem ausgefuchsten Erledigungssystem. Bei mir geht das ganz ohne Tabellen. Weil mein Leben eigentlich immer so aussieht.

Ich brauche auch noch Duschgel, kommt die nächste Nachricht von Emmi angeflogen.

Freu mich auf heute Abend – und auf Deine Apfeltarte, Kuss, Catherine, werde ich gleich darauf an meine Freundschaftspflichten erinnert.

Sind noch alle Zutaten für meinen Grünkohl-Smoothie da?, fragt Christian. Sonst bitte nachkaufen.

Süße, hast Du zufälligerweise an die tollen Mikrofaserstaubtücher gedacht, die Du mir mitbringen wolltest? Bis später, wir sehen uns bei Catherine, Betty

Es ist mal wieder so weit: Bei mir steht Fensterputzen an. Wann kannst Du kommen und mir helfen? Viele Grüße, Tante Felicitas

Oje. Tante Felicitas ist eine Challenge für sich. Sie hat mich quasi zwangsadoptiert und als kostenfreie Putzfrau angestellt. Doch da sie gehbehindert ist, nehme ich auch das auf mich. Nur nicht heute. Bevor weitere Anfragen kommen können, stecke ich das Handy lieber ein.

Mein ausgeklügelter Plan sieht vor, dass ich zunächst nach Hause rase, den Teig rühre, die Teigböden fünf Minuten vorbacke und dann mit den fächerförmig daraufgelegten Apfelscheiben für vierzig Minuten in den Ofen schiebe. In dieser Zeit erledige ich die Hälfte der Besorgungen. Danach rase ich wieder nach Hause, um die Tartes aus dem Backofen zu holen und auskühlen zu lassen. Es folgt der Rest der Erledigungen. Anschließend geht’s erneut nach Hause, die Tartes bekommen einen Zucker-Zimt-Guss und ich einen Nervenzusammenbruch.

Als ich im Auto sitze – ja, heute hat mir mein Mann die Familienkutsche überlassen, weil er mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren ist –, reibe ich mir über die heiße Stirn.

Manchen Leuten fallen die Dinge einfach zu, bei mir sind’s die Augen. Seit viertel nach sechs bin ich auf den Beinen. Unter anderem habe ich heute schon eine Wäsche gemacht, das Badezimmer geputzt, laufend meine Einkaufsliste aktualisiert, das Frühstück zubereitet, natürlich für jedes Familienmitglied ein anderes, und die Schulbrote angefertigt. Noch immer lege ich Tomaten und Gürkchen als Augen und lachende Münder auf die Brote in den Tupperdosen. Keine Ahnung, ob meine Kinder das inzwischen doof finden. Ich gebe halt alles.

Wirklich kaum zu glauben, was ich an einem einzigen Tag alles nicht schaffe. Eine Kaffeepause auf der heimischen Terrasse beispielsweise. Ein entspannendes Bad. Etwas Außergewöhnliches, worauf ich so richtig stolz sein könnte. Langsam verstehe ich, warum Superwoman Single ist.

Kapitel 2

Schon seit Tagen fiebere ich meinen besten Freundinnen entgegen, mit denen ich mich regelmäßig treffe. Für andere Frauen mag der Ehemann ein Fels in der Brandung sein, für mich sind es Catherine und Betty – meine Inseln im Sturm, mein Zufluchtsort, mein emotionales Zuhause.

Leider bin ich spät dran, weil ich noch schnell in der Praxis vorbeifahren musste, um Doktor Sennheiser das Gewünschte und Karla die reparierten Schuhe zu bringen. Ich schaue auf die Uhr. Fünf vor acht schon, dabei war unser Mädelsabend für halb acht angesetzt.

Eilig schiebe ich das schmiedeeiserne Tor zu einem Garten auf, der so verwunschen wirkt, als hätten sich hier Rotkäppchen und Schneewittchen verabredet. Vogelgezwitscher empfängt mich, das Rauschen alter Bäume, eine verschnörkelte Parkbank und der Anblick üppig wuchernder Rhododendren. Man könnte von der perfekten Märchenidylle sprechen, wenn nicht mitten auf dem Rasen eine Metallskulptur stünde, die wie ein schwerer Autounfall aussieht.

Das Ding trägt eindeutig die Handschrift Catherines, der Gastgeberin des heutigen Abends. Cat hat extra Schweißen gelernt, um solche Sachen zu fabrizieren. Betty und ich finden die Resultate etwas daneben, aber hey, langweilig gibt’s schon.

Kennengelernt haben wir drei uns vor vielen Jahren bei einem Weihnachtsbasar in der Grundschule. Zunächst blieben die Kinder auch unsere einzige Gemeinsamkeit. Betty, immer schick, immer adrett, arbeitet als Prokuristin in einem Großhandelsbüro. Catherine, immer extravagant, immer etwas drüber, führt eine Galerie für Kunsthandwerk. Wir sind also sehr verschieden, aber zu einer Schicksalsgemeinschaft verschmolzen, weil wir mittlerweile etwas Entscheidendes teilen: Alle drei sind wir Anfang vierzig, seit hundert Jahren verheiratet und Mütter von Teenagern.

Was bedeutet: Leidensgenossinnen.

Ja, auch Betty und Catherine plagen neuerdings Sinnkrisen. Betty meint, es liege daran, dass wir uns ungefähr auf der Hälfte unseres Lebens befinden und noch keinen Plan für die zweite Hälfte haben. Catherine meint, wir hätten bisher keine Gelegenheit gehabt, unser volles Potenzial auszuschöpfen.

Was ich meine, weiß ich nicht so genau. Aber es tut gut zu wissen, dass ich nicht die Einzige bin, die das dumme Gefühl hat, irgendwann falsch abgebogen zu sein.

Und da kommt Catherine mir auch schon entgegengelaufen. Zu einem bodenlangen schwarzen Flatterkleid trägt sie rote Espadrilles und extravaganten kobaltblauen Emailleschmuck, der hundertpro von einem Künstler ihrer Galerie stammt.

»Hallo, Fee!«, ruft sie winkend. »Schön, dass du da bist!«

»Hallo, Cat.« Nachdem wir uns die rituellen Küsschen auf die Wangen gehaucht haben, überreiche ich ihr eine der beiden Apfeltartes mit Zucker-Zimt-Glasur. Die andere wird gerade von Doktor Sennheiser verschenkt. »Bitte sehr, hier ist der Nachtisch, den du dir gewünscht hast.«

»Mmmh, deine legendäre Apfeltarte, tausend Dank. Moment, lass dich mal ansehen.« Catherines Augen gleiten über mein Outfit, dann wirft sie ihre volle dunkle Haarmähne zurück. »Wow. Das nenne ich eine Style-Revolution.«

Nun ja. Einen Körper wie meinen bekommt man nicht in die Wiege gelegt. Da braucht man schon viel Frust-Schokolade und konsequenten Bewegungsmangel.

Ich trage Größe 44, und jeder erwartet, dass ich meine Pfunde in Sack und Asche verpacke – was ich normalerweise auch tue. Aber heute hatte ich das unwiderstehliche Verlangen, meinen grauen Alltag etwas bunter zu gestalten. Obwohl meine Figur ein wenig aus der Form geraten ist, habe ich mir vor Kurzem ein knallenges knalloranges Kleid geleistet. Vermutlich eine Trotzreaktion. Außerdem habe ich mal irgendwo gelesen, gerade als reife Frau solle man zu seiner Sinnlichkeit stehen. Liebe deinen Körper und so.

Keine Ahnung, ob das Kleid sinnlich wirkt. Vielleicht.

Vielleicht ist es aber auch nur peinlich, denn es staut sich an der Stelle, wo andere Frauen eine Taille haben. Letztlich war es wohl ein typischer Spontan-Belohnungs-Frust-Kauf, der als Schrankleiche geendet wäre, wenn nicht das Treffen mit Catherine und Betty angestanden hätte. Da muss ich mir keine Sorgen machen. Die beiden haben ein großes Herz.

»Wie nett du das Wort Geschmacksverirrung aussprichst«, übe ich mich in Selbstironie. »Aber mir war einfach nach Orange.«

»Hauptsache, man hält dich nicht für einen Müllmann. Oder heißt das jetzt Müllmännin? Müllfrau? Müllentsorgende?«

»Wie wär’s mit Müllerin?«

Giggelnd schlendern wir Seite an Seite zum Haus, das so extravagant ist wie seine Bewohnerin: ein asymmetrischer Bungalow mit violetten Fensterläden, dachrinnenhohen Kletterpflanzen und sperrigen Rostskulpturen neben dem Eingang. Catherines Mann findet die Skulpturen scheußlich, doch sie zieht einfach ihr Ding durch. Beneidenswert. So was würde ich mich nicht trauen, schließlich bin ich Fee, die Nette, die es allen recht machen möchte.

»Hey, du siehst, ähm, interessant aus«, begrüßt mich Betty an der Haustür. Wie gewöhnlich trägt sie einen grauen Hosenanzug sowie ordentlich gescheiteltes kinnlanges Haar in dezentem Brünett. »Mutig, mutig. Ist Orange das neue sexy?«

»Sexy wäre nicht ganz meine Wortwahl, geht aber in die Richtung«, erwidere ich diplomatisch. »Sagen wir, ich erobere mir gerade meine Sinnlichkeit zurück.«

»Wie jetzt, hast du Christian betrogen?«

»Um Himmels willen, nein!« Entrüstet schüttele ich den Kopf. »Ich versuche nur, mich mit meinem Körper anzufreunden.«

»Dann gib deinem neuen Freund mal was zu trinken, so als vertrauensbildende Maßnahme«, flachst Catherine, die mit einem Gläsertablett aus der Küche kommt. »Bitte sehr, dreimal Sekt mit Minze und Eiswürfeln.«

Nachdem jeder ein Glas genommen hat, bringt Betty einen Toast aus.

»Auf den Rest unseres Lebens!«

Wie das klingt. Der Rest. Als sei das Beste vorbei.

»Auf uns«, proste ich den beiden zu. »Ich wäre jedenfalls sehr froh, wenn wir den weiteren Lebensweg miteinander teilen könnten.«

»Aber erst wenn man stolpert, achtet man auf den Weg«, orakelt Catherine.

Sie muss es wissen. Ihr Mann hat einen heißen Büroflirt angefangen, ihr siebzehnjähriger Sohn verziert die Nachbarshäuser mit Graffiti. Das ist aber noch nichts gegen ihre vierzehnjährige Tochter Helene. Seit Neuestem ist sie zur Klimaaktivistin mutiert, die sich frühmorgens an Autobahnbrücken kettet, statt zur Schule zu gehen. Verglichen damit ist bei mir noch alles Friede, Freude, Apfeltarte.

»Ich hoffe, ihr habt mächtig Appetit mitgebracht«, lächelt Catherine zwischen zwei Schlucken Sekt. »Es gibt Tapas satt.«

Tapas, aha. Was war das noch mal genau? Ich finde exotische Speisen immer ein bisschen einschüchternd, weil ich seit hundert Jahren dasselbe koche: Eintöpfe, Aufläufe, Kurzgebratenes, Spaghetti Bolognese. Für gewagte kulinarische Experimente fehlt mir einfach das Publikum, weil sowohl mein Mann als auch meine Kinder schlichte Hausmannskost bevorzugen.

Nachdem ich Betty die versprochenen Microfaserstaubtücher zugesteckt habe, gehen wir ins Esszimmer, das mit seinen sonnengelben Wänden und den rustikalen italienischen Bauernmöbeln eine mediterrane Heiterkeit ausstrahlt. Überall stehen üppige bunte Gartenblumensträuße, und wie angekündigt, quillt der mit handgetöpferten Kerzenleuchtern bestückte Tisch über vor Leckereien.

»Nehmt Platz, heute wird’s spanisch«, erklärt unsere Gastgeberin, während sie die Kerzen auf den Leuchtern entzündet. »Freut euch auf Datteln im Speckmantel, in Rosmarinöl marinierte spanische Oliven, Empanadas mit Mojo Verde, Queso de Cabra aliado, Obazda-Pintxos, Albondigas Andaluz und Manchego-Röllchen.«

In solchen Augenblicken fühle ich mich wie bei einem Wettbewerb, den ich nur verlieren kann. Als ich zuletzt zur mir nach Hause eingeladen hatte, gab es Spaghetti mit Pilzsahnesauce. Aber der Zug ist offenbar abgefahren, und jetzt verstehe ich nur noch Bahnhof. Datteln im Speckmantel kenne ich ja noch so gerade. Aber was zum Teufel sind Empanadas mit Modscho Verde, Kweso de Cabra aliado, Obazda-Pinktschoss, Albondi-Irgendwas Andaluz?

»Wein?«, fragt Cat. »Ich habe einen vollmundigen Rioja besorgt. Weich auf der Zunge, frech im Abgang.«

»Also, ich müsste erst mal kurz zur Toilette«, murmele ich verlegen.

Auch so eine eigenartige Erfahrung, die mit dem Älterwerden einhergeht. Nach zwei Kindern und einer kaugummiartig ausgeleierten Beckenmuskulatur ist man permanent unter Druck. Inzwischen kenne ich alle Toiletten der Stadt. Buchstäblich notgedrungen, denn wenn sich meine Blase meldet, dann immer gleich mit Blaulicht und Martinshorn. Ich könnte eine Landkarte erstellen, mit lauter Fähnchen, wo ich mich schon überall erleichtert habe, in Cafés, Restaurants, Kaufhäusern, Tankstellen.

»Sei so gut, und nimm dein Handy mit«, werde ich von Catherine gebeten.

»Wieso das denn?«

»Wegen der Handytaschenlampe.« Sie lacht spitzbübisch. »Seit einer Woche verspricht mir mein Gatte, die Glühbirne in der Toilette auszuwechseln. Und wartet natürlich darauf, dass ich es tue. Tue ich aber nicht.«

»Männer und häusliche Pflichten«, stöhnt Betty. »Ein ganz, ganz dunkles Kapitel. Neulich habe ich zu Sebastian gesagt: Hey, an diesem Wochenende könnten wir mal tauschen. Du machst die Küchenarbeit, ich daddele auf dem Computer herum.«

»Was hat er gesagt?«

»Ach, Betty, du weißt doch, ich bin so schlecht in Rollenspielen.«

Unser anschließendes Lachen klingt etwas blechern. Wir alle teilen dieselbe Erfahrung, was unsere Ehen betrifft: ein Liebesleben, das so spurlos versickert ist wie tröpfelnder Regen im Wüstensand. Mir selber fiel das erst auf, als ich eines Morgens feststellte, dass ich wadenlange Nachthemden trage und meine Slips nicht mehr passend zum BH aussuche. Da wusste ich: Das Ding ist durch.

Mit diesem herzwärmenden Gedanken kehre ich von meiner Toilettenexkursion zurück. Cats und Bettys Teller sind bereits gut gefüllt, doch aus der abrupten Stille, die bei meinem Erscheinen einsetzt, schließe ich, dass die beiden über mich gesprochen haben.

»Möchtet ihr mir irgendetwas mitteilen?«, erkundige ich mich, während ich mich setze.

»Na ja, es ist dein Kleid«, antwortet Betty und sieht auf einmal ganz unglücklich aus.

Prompt ziehe ich den Bauch ein. Da ich es nicht schaffe, abzunehmen, fände ich es gerecht, wenn wenigstens Catherine und Betty dick würden. Den Gefallen tun sie mir aber nicht. Und ich muss weiter meinen Kleiderschrank in drei Kategorien sortieren: Passt noch so gerade eben, passt vielleicht irgendwann, passt im nächsten Leben.

Ach, was soll’s. Übergewicht klingt immer so abwertend. Mein Sohn Finn nennt es Bonusmaterial.

»Also, es geht weniger um dein Kleid«, sagt Cat, »vielmehr um das, was dich zu diesem Irrsinnskauf getrieben hat. Was bitte ist los, Fee?«

Erwischt. Um Zeit zu gewinnen, angele ich mir eine Dattel im Speckmantel und kaue genüsslich darauf rum.

»Köstlich«, versichere ich, »absolut köstlich.«

»Du willst nur vom Thema ablenken«, beschwert sich Betty.

»Und? Funktioniert’s?«, versuche ich es mit einem kleinen Scherz.

Catherine verzieht keine Miene.

»Raus mit der Sprache, Fee. Irgendetwas ist anders.«

»Ich bin nur etwas runter. Irgendwie fehlt mir der Schwung. Ich fühle mich so abgespannt und abgestumpft und … Sekunde, wie heißt das Gefühl noch mal?«

»Verheiratet«, sagt Cat.

»Du stehst kurz vor einer Depression!«, ruft Betty.

»Nein, nein, alles im grünen Bereich«, halte ich den Ball flach, weil ich meine Freundinnen nicht mit meiner wachsenden Verzweiflung belästigen möchte. »Das Übliche halt, ein ewiges Auf und Ab. Mal läuft’s besser, mal schlechter, das ist doch bei euch nicht anders. Momentan läuft’s eher so lala, aber wir alle machen solche Phasen durch.«

Betty schaut mich an, als hätte ich ihr gerade erzählt, dass die Erde eine Scheibe und mein Ehemann auch noch nach zwanzig Jahren ein feuriger Liebhaber sei.

»Sorry, Liebes«, sagt sie tadelnd, »das klingt nach einer Story, wie man sie von diesen furchtbaren Hey-wir-haben-alles-richtig-gemacht-Pärchen auf Elternabenden hört. Wir sind deine Freundinnen! Was ist wirklich los?«

Beklommen betrachte ich die vielen Steingutplatten mit den unaussprechlichen Köstlichkeiten. Und dann, wie aus dem Nichts, brechen alle Dämme.

»Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr«, stoße ich heftig hervor. »Noch dazu habe ich Schuldgefühle, weil ich so himmelschreiend undankbar bin. Alle sagen mir, wie gut ich es habe. Und ich? Möchte am liebsten Reißaus nehmen.«

Eine Weile hört man nur die sanft dahinplätschernde spanische Gitarrenmusik, die im Hintergrund läuft. Dann legt Catherine ihr Besteck beiseite, springt auf und umarmt mich so stürmisch, dass fast mein Weinglas umkippt.

»Endlich!«, jubelt sie. »Endlich vertraust du dich uns an!«

»Wurde auch höchste Eisenbahn«, fügt Betty hinzu. »Wir merken nämlich schon länger, dass du nicht nur Sinnfragen stellst, sondern auf der letzten Rille surfst.«

Daraufhin brauche ich erst einmal einen Schluck Wein. Schwer und samtig streichelt er meinen Gaumen, bevor ich das Glas absetze und tief Luft hole.

»Mein Akku ist alle. Komplett leer. Gestern hatte ich einen Heulkrampf, weil die Nudeln im Supermarkt ausverkauft waren. Heute Morgen dachte ich, wenn ich noch ein einziges Schulbrot schmieren muss, springe ich aus dem Küchenfenster.«

»Und dieses Kleid?«, fragt Cat mitfühlend. »War so etwas wie ein Befreiungsschlag?«

»Sonst wäre ich erstickt«, nicke ich.

»Das Kleid ist ein textiler Hilfeschrei«, befindet Betty sachlich. »Sag, Liebes, was können wir für dich tun?«

Wenn ich das bloß wüsste. In ein anderes Universum beamen? Alles auf null drehen und noch mal neu anfangen? Ich weiß doch selber nicht, was mit mir los ist. Letztlich würde es mir schon reichen, morgens in einer Welt aufzuwachen, in der ich weiterschlafen darf.

Mit einem Ausdruck größter Besorgnis kehrt Catherine an ihren Platz zurück, wo sie die Arme aufstützt und ihr Kinn in die Hände legt.

»Süße, wenn wir dir helfen sollen, brauchen wir mehr Information.«

»Es wächst mir einfach alles über den Kopf«, gestehe ich. »Und ausgerechnet jetzt sind Emilia und Finn auch noch extrem unleidlich, während Christian sich mehr und mehr in seine eigene Welt zurückzieht.«

»Probleme treten halt immer im Rudel auf«, sinniert Betty. »Ist wahrscheinlich ein Naturgesetz. So wie Babys immer mit vollem Mund niesen.«

»Hm, schwerer Fall«, seufzt Cat. »So viel Verzweiflung hätte ich eher auf einer Ü50‑Single-Party vermutet. Sag, wie lange warst du eigentlich nicht mehr im Urlaub?«

»Zwei, drei Jahre?« Es kommt mir vor wie zehn. »Gemeinsame Ferien gehören bei uns der Vergangenheit an. Die Kinder fahren meist zu ihren Großeltern an die Ostsee, Emilia verreist neuerdings auch mit den Familien ihrer Freundinnen. Finn will dauernd ins Sportcamp oder Computersessions mit seinen Freunden veranstalten, Christian bevorzugt Fortbildungen.«

»Und du bleibst zu Hause, putzt die Fenster, kochst auf Vorrat, entrümpelst den Keller, machst die Steuererklärung. Und bläst Trübsal.«

»So in etwa.«

»Trostlos, einfach trostlos.« Nachdem Catherine die Gläser aufgefüllt hat, beugt sie sich etwas über den Tisch vor und sieht mich voll anteilnehmender Wärme an. »Du hast mir mal erzählt, dass du immer reisen wolltest, am liebsten um die ganze Welt. Ist doch kein Wunder, dass du im Alltag erstickst. Wie wäre es denn mit Urlaub? An irgendeinem Ort, an den du gute Erinnerungen hast?«

Gute Erinnerungen. War da was? Angestrengt denke ich nach.

»Die Flitterwochen haben Christian und ich damals in Österreich verbracht. Das war wunderschön. Ich mag die idyllische Landschaft und diese typisch urige Gemütlichkeit.«

»Dann nichts wie hin!«, ruft Betty enthusiastisch. »Steig ins Auto oder in den Zug, und lass es dir mal so richtig gut gehen!«

»Allein vereisen ist leider unmöglich. Christian hätte weder die Zeit noch die Lust, sich in meiner Abwesenheit um die Kinder zu kümmern.«

»Okay, kein Drama, nimm einfach die ganze Familie mit«, erwidert Cat in ihrer patenten Art. »Wäre sowieso gut, wenn ihr mal was gemeinsam unternehmt. Sofern ich es richtig verstanden habe, lebt ihr doch nur noch nebeneinander her, und das belastet dich zusätzlich. So eine Familienreise kann viel ändern.«

»Glaubst du wirklich, ich könnte den ganzen Schlamassel einfach zu Hause lassen?«

»Also, du solltest schon eine Extraportion gute Laune mitnehmen statt deiner Probleme«, lacht Cat. »Du gehst ja auch nicht mit einer Plastiktüte in den Bioladen.«

Noch weiß ich nicht ganz, was ich davon halten soll. Ohnehin leiste ich ja schon meinen Beitrag zum Familienfrieden durch hartnäckige Problemleugnung.

»Wir waren letztes Jahr mit den Kindern in der Eifel«, berichtet Betty. »Seitdem verstehe ich mich wieder etwas besser mit meinem Mann, und Timo und Benni sind auch besser drauf.«

»Du Glückliche.« Gekonnt spießt Cat mit ihrer Gabel eine schwarzglänzende Olive auf und lässt sie in ihrem Mund verschwinden. »Helene hat sich heute Morgen mit Pattex auf der Stadtautobahn festgeklebt, um gegen Klimasünder zu protestieren. Malte will jetzt Gangsterrapper werden und hat schon mal probeweise Kippen im Supermarkt geklaut.«

Derweil beginnt es in meinem Kopf zu rumoren. Eine gemeinsame Reise. Was würde Christian davon halten? Wie würde Emilia reagieren, die neuerdings ganz andere Flausen im Kopf hat? Und Finn, der neulich einen Surfkurs erwähnte? Resigniert hebe ich die Achseln.

»Meine Familie wird nicht gerade Konfettikanonen abfeuern, wenn ich mit so einem Urlaubsplan um die Ecke komme. Wie soll ich sie bloß davon überzeugen?«

»Wie Igel in der Paarungszeit«, kichert Cat. »In Liebe. Und gaaaanz vorsichtig.«

Kapitel 3

So fühlt sich Glück an, pures Glück. Es könnte gerade nichts Schöneres für mich geben, als mit Christian, Emmi und Finn auf dieser blühenden Bergwiese zu liegen. Eine sanfte Brise streichelt mein Gesicht, ein süßer Duft nach wilden Blumen kitzelt meine Nase, und dieser blitzeblaue Himmel ist einfach nur der Wahnsinn.

Verzückt lasse ich meinen Blick schweifen.

Wie gefrorene Schlagsahne leuchten in der Ferne die schneebedeckten Gipfel eines gewaltigen Gebirgsmassivs auf, tief unten im Tal glitzern silbrige Seen zwischen putzigen Bauernhäuschen. Alles ist so, wie ich es mir erträumt habe. Doch was mich noch glücklicher macht als diese Bilderbuchidylle, ist die Begeisterung, mit der meine Familie über das Picknick herfällt, das ich im Morgengrauen vorbereitet habe.

Die Bananen-Cupcakes mit Limettenzuckerguss sind ja auch exquisit, so wie meine Spezialsandwiches mit Tomate, Avocado, Eiern und gebratenem Speck. Und nicht zu vergessen die Schafskäse-Frikadellen mit frischen Kräutern sowie meine selbstgemachten Erdbeer-Minze-Smoothies.

Ja, ich habe mich schwer ins Zeug gelegt und ein paar neue Rezepte ausprobiert. Das war es mir wert.

»Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb«, lacht Finn, der sich schon die dritte Frikadelle in den Mund schiebt. »Mum ist die Beste!«

Sogar Emilia, die sonst so biestig sein kann, schwärmt: »Mega, Mami!«

Und Christian, mein Christian, haucht mir doch tatsächlich einen feuchten Kuss auf die Wange, jene Sorte Kuss, der ein Versprechen auf mehr ist. Prompt stellen sich die Härchen auf meinen Unterarmen senkrecht. Womöglich werden wir heute nach langer, langer Zeit wieder miteinander schlafen. Nein, ganz bestimmt. Ich meine schon, Christians Hände auf meinem Körper zu spüren, seinen heißen Atem auf meiner Haut und die zärtlich fordernden Liebkosungen an Stellen, die ich später nach dem Duschen noch unbedingt enthaaren muss.

Wenn da nur nicht diese Rückenschmerzen wären. So ein flammendes Ziehen die Wirbelsäule entlang, das bis in die Schultern ausstrahlt.

Ach ja, und wenn er nur schon Wirklichkeit wäre, mein schöner Traum.

Schweißüberströmt stehe ich vor unserem Walmdachbungalow, Typ Siebziger-Jahre-Wohnschachtel mit handtuchbreitem Vorgarten, und verstaue Berge von Gepäck in unserer Familienkutsche. Unglaublich, was alles anfällt, wenn vier Menschen zwei Wochen lang verreisen. Aber wenn ich in den Wäschekorb gucke, kommt es mir ja auch immer so vor, als hätte ich drei Männer und zehn Kinder, die fünfmal täglich ihre Klamotten wechseln.

»Was guckst du denn so verspannt, Sternchen?«, fragt Christian, der mir mit verschränkten Armen beim Beladen des Wagens zusieht. »Könntest ruhig mal ein bisschen lächeln. Die Nachbarn gucken schon ganz komisch.«

Meine Augen wandern zum Vorgarten nebenan, wo Herr und Frau Wippermann unsichtbares Unkraut aus ihren tadellos gepflegten Beeten zupfen. Ein schlapper Vorwand, uns mal wieder ungeniert zu stalken. Wie heißt es noch? Gott sieht alles, Nachbarn sehen mehr. Ich kann die Wippermanns nicht ausstehen. Kein Mensch braucht irgendwelche schambefreiten Freaks, die sogar nachts vor unseren Fenstern rumschleichen, damit ihnen auch bloß nichts entgeht.

Christian hingegen sind die Nachbarn extrem wichtig. Was man über uns denkt, was man sich über uns erzählt, interessiert ihn brennend. Wenig bis gar nicht interessiert ihn, warum mir das Lächeln vergangen ist.

Ja, warum wohl?

Seit Stunden laufe ich treppauf, treppab, und schleppe Koffer, Taschen, Tüten nach draußen. Ich bin halt die, die immer alles macht, auch bei der Urlaubsvorbereitung. Meine Kinder sind im permanenten Energiesparmodus und lehnen häusliche Pflichten rundheraus ab. Christian ist der Typ Controller, der alles überwacht und wortreich zu kommentieren weiß. Merke: Hinter jeder gestressten Frau steht ein Mann, der … nun ja, er steht halt da.

»Dir fehlt jeder Sinn für Systematik, Sternchen«, tadelt er mich mit hochgezogenen Augenbrauen. »Der Picknickkorb muss woanders hin, sonst zerkratzt er meine kalbslederne Reisetasche. Der Thermomix kann ganz nach unten, meine Laufschuhe gehören definitiv nicht unter deinen Koffer, die Badesachen passen besser an die Seiten, und Finns Rollerskates finden auch unter dem Rücksitz Platz.«

Seine Anweisungen sind in etwa so hilfreich wie ein drittes Nasenloch. Schließlich weiß ich, was ich tue, weil ich ja sowieso immer diejenige bin, die alles stemmen muss. Schweres Gepäck inklusive. Aber selbst mein Pflichtbewusstsein kennt Grenzen, wenn der Schmerz mich ausknockt.

»Hilfst du mir mal bitte?«, presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während ich Emilias rosa Ungetüm von Hartschalenkoffer zur geöffneten Heckklappe des Wagens zerre. »Das Ding wiegt mindestens tausend Kilo.«

»Sternchen, Sternchen«, ein leidender Zug tritt in Christians Gesicht, »du weißt doch, mein Rücken …«

Hach, wie konnte ich das bloß vergessen? Selbstverständlich ist mein Gatte bei einer Größe von einem Meter dreiundachtzig und trotz seines im Fitnessstudio gestählten Superbodys nicht in der Lage, schwere Sachen zu heben. Das ist mein Job.

Ärgere ich mich darüber? Offengestanden ja. Raste ich aus? Nein, wozu? Es würde ja doch nichts ändern.

Für Christian wurde der Spruch erfunden: Reden ist Silber, Ausreden sind Gold. Irgendwas hat er immer. Mal sind es seine empfindsamen Lendenwirbel, dann wieder ist es der Nackenbereich, und wenn ihm gar nichts mehr einfällt, sagt er: »Autsch, ich hab mir so ’ne blöde Zerrung in den kleinen Zeh reingelaufen«, was dann jede körperliche Anstrengung ausschließt.

Sein Engagement für Haushaltsdinge lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: schwach angefangen, stark nachgelassen. Auf eBay könnte man Christian mit dem Text anpreisen: Ehemann günstig abzugeben, Top-Zustand, wenn auch weitgehend unbrauchbar.

Von Anfang an war das so. Unsere Rollenverteilung hat schon vor Ewigkeiten stattgefunden, sogar schon vor unserer Hochzeit. Wir waren verliebt, wir zogen zusammen, gewisse Dinge schliffen sich ein – zack, war ich die Frau fürs Grobe. Dabei kann ich auch zart, nur, dass das selten verlangt wird.

Aber ich liebe meinen Mann nun mal, deshalb verzeihe ich ihm seine notorische Untätigkeit. Es gibt schließlich so vieles, was ich an ihm mag: die Art, wie er die Augen bei der Lektüre von Kleingedrucktem zusammenkneift, weil er niedlicherweise zu eitel für eine Lesebrille ist; seine Marotte, mir morgens sein frisch rasiertes Kinn entgegenzustrecken, damit ich es auf übersehene Bartstoppeln untersuche; sein amüsiertes Lächeln, wenn ich ihm das Neueste aus dem Zirkus Doktor Sennheiser erzähle.

Deshalb füge ich mich in mein Schicksal, wuchte den schweren rosa Koffer hoch und schiebe ihn ächzend in den Kofferraum.

»Pass doch auf, Mami!«, ruft Emilia, die in einem weißen Jumpsuit und dem unvermeidlichen Handy vor der Nase angeschlendert kommt. »Das ist ein Designer-Suitcase, der kriegt fiese Schrammen, wenn du ihn so krass über die Kante donnerst.«

Stöhnend wische ich mir die Schweißperlen von der Stirn. Mit ihren gerade mal siebzehn Jahren ist Emilia schon ein Abziehbild ihres Vaters – genauso pingelig, genauso unfähig, sich aktiv an den Familienpflichten zu beteiligen.

Dafür kommt sie optisch mehr nach mir. Das heißt, nach meinem jugendlichen Ich. Schlank, langbeinig, brünette Mähne, hübscher Schmollmund, so habe ich auch mal ausgesehen. Ist lange her. Mittlerweile trage ich einen praktischen Topfschnitt in gefärbtem Rostbraun, um die ersten grauen Haare zu überdecken, XXL-Sweat-Shirts, um meine auseinandergegangene Körpermitte zu kaschieren, dazu weite Schlabberhosen, um den Reithosenspeck an meinen Oberschenkeln wegzuschummeln.

Ich bin eine Frau in den beginnenden schlechtesten Jahren und eine Mogelpackung. Ein Schatten meiner selbst in der brüllend heißen Sonne. Das zu enge orange Kleid habe ich längst verschenkt, weil auch Christian es unmöglich fand, jetzt befinde ich mich wie gewohnt im Tarnlook.

»Wo ist das Surfbrett?«, ertönt eine kieksende Stimme. »Ohne mein Surfbrett geht gar nichts.«

Mit dem ungelenken Gang eines blitzartig hochgeschossenen Vierzehnjährigen stakst Finn durch den Vorgarten. Alle Achtung, mein Herr Sohn hat sich also doch noch von seiner Spielkonsole losgerissen. Doll.

»Wir fahren in die Berge«, erwidere ich matt. »Meines Wissens ist Österreich nicht gerade als Surferparadies mit haushohen Wellen bekannt.«

Finns Miene verdüstert sich, dann vergräbt er die Hände in den Taschen seiner abgewetzten Jeans.

»Und warum fahren wir nicht ans Meer? Ist doch voll cringe, was du hier abziehst.«

Wenn mein Sohn »cringe« sagt, kann das mehrere Bedeutungen haben. Dass er sich fremdschämt zum Beispiel, weil ein Erwachsener etwas Peinliches tut, oder dass etwas so befremdlich ist, dass er damit nichts zu tun haben will. Letztlich bin ich überrascht, dass er überhaupt den Mund aufmacht. Pubertierende Jungs bringen es fertig, so laut gar nichts zu sagen, dass es einem in den Ohren dröhnt.

»Ich finde dieses komische Österreich sowieso total daneben«, verkündet Emilia im Tonfall einer Prinzessin, der man Ferien auf einer Müllkippe zumuten will. »Ist doch totlangweilig, nur bekloppte Kühe, die auf irgendwelchen Wiesen rumstehen. Meine Freundin Sophie fliegt mit ihrem Vater nach Ibiza. Tagsüber Chillen am Strand, nachts Schaumpartys – so geht Urlaub.«

»Kinder, das haben wir doch längst ausdiskutiert«, schaltet sich Christian ein, bevor ich etwas sagen kann. »Dies ist voraussichtlich unsere letzte gemeinsame Familienreise, und Mama wollte unbedingt in die Alpen. Also findet euch damit ab.«

Sein Einwand wirkt lauwarm wie abgestandener Sekt und halbherzig wie Blumen von der Tanke. Nicht nur für die Kinder, auch für meinen Mann scheint dieser Urlaub lediglich eine Pflichtübung zu sein. Weil Mama hoffnungslos sentimental ist und einmal noch vor der herzigen Alpenkulisse Familie spielen will.

So viel zum Thema Wir-haben-uns-alle-lieb.

»Wer fährt?«, frage ich Christian, während mir das Herz immer tiefer in die Reithosenspeckweg-Hose rutscht. »Du oder ich?«

Zum ersten Mal an diesem Tag scheint er mich richtig wahrzunehmen. Sein Blick verrät, dass ihm nicht gefällt, was er sieht. Im Gegensatz zu mir trägt Christian schicke enge Jeans in Cremeweiß, die seine muskulösen Oberschenkel betonen. Auch das dunkelblaue Polohemd sitzt so knapp, dass kein Muskel verborgen bleibt.

Überhaupt ist Christian recht attraktiv für Ende vierzig, und es erfüllt mich immer wieder mit stiller Freude, dass ich mit einem derart gut aussehenden Mann verheiratet bin. In seinem gebräunten Gesicht befindet sich genau jene Anzahl Falten, die reifen Herren einen verwegenen Touch verleihen, sein graublondes Haar ist so geschickt geschnitten, dass man die beginnenden Geheimratsecken kaum bemerkt.

Dumm nur: Neben ihm sehe ich aus wie Aschenputtel auf einer Bad-Taste-Party. Aber wie soll ich denn bitte mein Äußeres optimieren, wenn der Alltag einer berufstätigen Multitaskerin mich auffrisst? Ich bin eben keine dieser Latte-macchiato-Mütter, deren größte Herausforderung darin besteht, die angesagteste Nagellackfarbe rauszufinden, den besten Yoga-Guru der Stadt zu buchen und die richtige Schrittzahl auf ihrem Fitnesstracker zu erreichen.

»Du fährst natürlich, Sternchen«, antwortet Christian ein bisschen von oben herab. »Ich muss meine Klinik-Mails auf dem Handy checken.«

»Man soll aber keine Arbeit in den Urlaub mitnehmen«, wende ich ein.

»Wieso, du nimmst doch auch die Kinder und den Thermomix mit.«

Puh, das hat gesessen. Für Christian bin ich halt im Hauptberuf Hausfrau und Mutter, ansonsten nur die doofe Praxisassistentin eines drittklassigen Dermatologen. Als Oberarzt einer orthopädischen Klinik, Abteilung Fußchirurgie, steht er deutlich höher in der sozialen Nahrungskette als ich, und das lässt er mich auch gelegentlich spüren.

Anfangs war das kein Problem für mich. Als ich mit Emilia schwanger wurde, habe ich bereitwillig mein Medizinstudium abgebrochen. Als dann wenig später Finn hinterherpurzelte, begrub ich meinen Traum von Doktor med. Fee Ziegler, Fachärztin für Pädiatrie, vulgo Kinderärztin. Wie gesagt, ein Problem war das anfangs nicht für mich. Heute bereue ich es zutiefst, weil es das Ticket in ein Leben war, das ich so nie wollte: als hauptamtliche Familienmanagerin, Köchin, Zimmermädchen, Putzfrau, Krankenschwester und nebenberufliche Zuverdienerin.

»Haben wir denn jetzt wenigstens alles im Wagen?«, erkundigt sich Christian leicht entnervt.

»Alles drin«, bestätige ich und werfe die Heckklappe zu, dass es scheppert. »Ihr könnt einsteigen.«

Ihr könnt mich mal, hätte ich fast gesagt. Ja, momentan hätte ich nicht übel Lust, einfach die Brocken hinzuschmeißen und allein wegzufahren. Irgendwohin, wo ich mir nicht anhören muss, dass ich gefälligst mal lächeln könnte, Emilias absurd schweren Koffer wie Meißner Porzellan behandeln soll und das komplett falsche Reiseziel ausgesucht habe.

Doch ich habe gelernt, negative Gefühle in mir zu verschließen. Schließlich bin ich eine Mutter. Und gute Mütter sind für Familien, was Chuck Norris für Hollywood ist: unerschrockene, unkaputtbare, unbesiegbare Heldinnen.

Das Einzige, was manchmal am Muttersein nervt, sind die Väter. Und die anderen Mütter.

Vor Letzteren werde ich jetzt vierzehn Tage Ruhe haben. Das ist doch was. Keine Mäkeleien von Vollwertglucken, dass ich den veganen Trend verpasst habe, weil ich zum Schulfest immer noch Cocktailwürstchen mitbringe. Keine Vorwürfe, dass meine Kinder unpassende Handyvideos verschicken. Keine abschätzigen Blicke, weil wir noch kein Elektroauto fahren, sondern nach wie vor mit einer CO2‑Dreckschleuder durch die Gegend kurven.

Ich muss halt positiv denken. Wenn das Nervenkostüm abgewetzt ist, sollte man sich ein dickes Fell zulegen, sagt Betty immer. Und das mit dem Urlaub kriege ich auch noch hin. Vielleicht. Irgendwie. Nein, ganz bestimmt. Man darf die Hoffnung nie aufgeben, selbst wenn einiges dagegenspricht. Schließlich hören die Leute ja auch nicht auf zu essen, nur weil sie nicht kochen können.

Kapitel 4

Als ich mich auf den Fahrersitz quetsche und einmal tief durchatme, fällt mir Bettys morgendlicher Anruf ein. Nachdem sie mir gute Reise gewünschte hatte, sprach sie noch eine als Ratschlag getarnte Warnung aus: »Denk nicht, es läuft von Anfang an glatt. Familienurlaub ist emotionaler Hochleistungssport.«

Das habe ich mir eingeprägt. Bestimmt brauche ich’s noch. Zu den sportlichen Herausforderungen gehört nämlich, dass man als Mutter keine Dankbarkeit erwarten darf. Ich habe wirklich alles getan, damit meine Lieben zwei unbeschwerte Wochen verbringen können, doch niemanden scheint das sonderlich zu interessieren.