Waheenee - Gilbert Wilson - E-Book

Waheenee E-Book

Gilbert Wilson

0,0

Beschreibung

"Ich wurde in einer Erdhütte an der Mündung des "Knife"-Flusses auf dem Gebiet des heutigen Nord Dakota geboren. Das war drei Jahre nach dem Pockenwinter." So beginnt die Geschichte von Waheenee, eines Mädchens der Hidatsa, die 1839 in diesen fast ausgerotteten Stamm hineingeboren wird. 1906 besuchte Gilbert Wilson die Hidatsa auf ihrer Reservation bei Fort Berthold und studierte dieses Volk, oder besser gesagt, was davon noch übrig war. Drei Jahre später kehrte er zurück und verbrachte fortan zehn Jahre lang jeden Sommer mit den Hidatsa. Eine seiner wichtigsten Zeitzeuginnen war Waheenee-wea, Büffel-Vogel-Frau, die ihm ihre Lebensgeschichte erzählte. Ein authentisches Zeugnis über das Leben eines Indianer-Mädchen, sowohl für Kinder als auch für Erwachsene.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 193

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


WAHEENEE

Ein Hidatsa-Mädchen erzählt

Von ihr selbst überliefert

AnGilbert L. Wilson, Ph.D.Sammler für das American Museum of Natural Historyin New York, Professor für Anthropologieam Macalester CollegeAutor von: „Myths of the Red Children“,„Goodbird, the Indian“, „The Agriculture of the HidatsaIndians“, „Indian Hero Tales“

Mit einer Einführung von Jeffery R. HansonUnd Illustrationen von Frederick N. WilsonÜbertragen von Tobias Enge (2014)

Ursprüglich erschienen bei University of Nebraska PressLincoln und London

Impressum

Waheenee, Gilbert L. Wilson

TraumFänger Verlag Hohenthann, 2017

1. Auflage eBook Januar 2022

eBook ISBN 978-3-948878-07-8

Lektorat: Michael Krämer

Satz/Bildbearbeitung: Janis Sonnberger, merkMal Verlag

Datenkonvertierung: Bookwire

Titelbild: Astrid Gavini

Illustration: Frederick N. Wilson

Übersetzer: Tobias Enge

Copyright by TraumFänger Verlag GmbH & Co. Buchhandels KG,

Hohenthann

Inhalt

Einleitung

Vorwort

Erklärung des Verlages

Ein kleines Indianermädchen

Winterlager

Die Büffelfellkappe

Das Geschichtenerzählen

Das Leben in einer Erdhütte

Kinderspiele und Glaube

Verwandtschaft und Clanverwandschaft

Indianische Hunde

Die Erziehung eines Hundes

Die Erziehung zur Arbeit

Das Sammeln von Felsenbirnen (Juneberries)

Das Maisschälen

Heirat

Eine Büffeljagd

Das Jagdlager

Nach Hause

Eine indianische Babytrage

Die Heimreise

Fünfzig Jahre später

Einleitung

Von Jeffery R. Hanson

Als die Lewis und Clark Expedition im Herbst des Jahres 1804 den Missouri Fluss hinaufzog, fanden sie die Hidatsa in drei Erdhüttendörfern an der Mündung des Knife-Flusses, dem heutigen Nord-Dakota, siedelnd. In unmittelbarer Nähe zu den Hidatsa, nur einige wenige Meilen flussabwärts, gab es zwei Dörfer der Mandan. Beide Stämme waren kulturell miteinander verbunden und enge Verbündete. Mit der klirrenden Kälte eines Winters in Nord-Dakota in der Luft, Verhandlungsgesprächen und guten diplomatischen Beziehungen errichtete die Expedition das Fort Mandan am östlichen Ufer des Missouri, gegenüber den fünf indianischen Dörfern und bezog dort ihr Winterquartier.

Vieles von dem, was wir heute über die Geschichte und Kultur der beiden Stämme der Mandan und Hidatsa wissen, basiert auf den Beobachtungen von Lewis und Clark während dieses Winters. Über die Zeit hinweg wurden ihre Beobachtungen durch die Berichte von anderen Händlern, Reisenden und Wissenschaftlern ergänzt. Unter diesen waren David Thompson, der die Mandan und Hidatsa im Winter 1797 und somit vor Lewis und Clark besuchte, dessen Aufzeichnungen aber nicht annähernd so präzise waren, Charles MacKenzie und Antoine Larocque, Mitglieder der kanadisch-stämmigen Nord-West Pelzhandelsgesellschaft und Zeitgenossen von Lewis und Clark, John Bradbury und H. M. Brackenridge im Jahre 1811, Prinz Maximilian zu Wied, der im Jahre 1833 zusammen mit dem begabten Maler Karl Bodmer eine Fülle an Informationen über die Hidatsa zusammentrug, der Naturalist John James Audubon, dessen Reisen ihn 1843 zu den Dörfern der Hidatsa führten, und später der Militärchirurg und Philologe Washington Matthews und der Pionier der amerikanischen Anthropologie Lewis Henry Morgan. Beide besuchten das Hidatsaland in den 1860er Jahren und sammelten nützliche Informationen und Aspekte der Kultur der Hidatsa.

Die Hidatsa sprechen eine Sprache, die zur siouanischen Sprachfamilie gehört. Zu dieser zählen ebenfalls Stämme wie die Assiniboine, Teton Sioux, Dakota Sioux, Mandan, Crow und viele der entfernteren Stämme. Nur die Hidatsa und Crow können ihre Sprachen gegenseitig verstehen. Dies weist auf eine enge kulturelle Verbindung in der Vergangenheit hin.

Vor ihrem kulturellen Zerfall und der nachfolgenden Umsiedlung auf die Fort Berthold Reservation während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert waren die Hidatsa, ebenso wie die Mandan, historische Repräsentanten einer stabilen Kultur im Bereich der nördlichen Plains, die nahezu 1000 Jahre überdauert hatte. Archäologisch bekannt als dörfliche Tradition der Plains, charakterisierte sich diese Lebensform durch eine kulturelle Adaptation zweier separater, aber angrenzender Ökosysteme im Plainsgebiet: der Anbau von Mais, Bohnen, Squash und anderen heimischen Pflanzen in Gärten entlang des fruchtbaren Bodens des Missouri und die Jagd auf Bisons und andere Beutetiere die man in den bewaldeten Flusstälern und auf den weitläufigen Ebenen finden konnte.

Das Siedlungsschema dieser nördlichen Variante der dörflichen Tradition der Plains war üblicherweise durch dauerhafte Siedlungen aus Erdhütten unterschiedlicher Größe bestimmt. Diese waren an den überschwemmungsfreien Terrassen entlang des Missouri errichtet. Die Lage dieser Dörfer war oft durch die Qualität des Bodens zum Ackerbau und durch das Vorhandensein von Holz als Bau- und Brennstoff bestimmt. Zudem wurde auf fruchtbaren Ertrag der umliegenden Gewässer und Jagdgründe geachtet.

Die historischen Hidatsa hingen auf verschiedene Weisen diesen prähistorischen Schemata an. Sie lebten während der Ackerbausaison, welche etwa von April bis Oktober dauerte, in großen, kompakten Erdhüttendörfern. Zwischen dem Anpflanzen und der Ernte der Feldfrüchte war es üblich für die Hidatsa, ihr Dorf für einige Wochen zu verlassen und für die große Sommerjagd auf den Plains umherzuziehen. Diese Jagden, welche in hohem Maße durchorganisiert und auf die Mitarbeit eines jeden Einzelnen ausgerichtet waren, waren für die Hidatsa lebensnotwendig, denn eine große Menge an Fleisch wurde zur Erntezeit im Herbst zum Dorf zurück transportiert. Während des Winters zogen die Hidatsa in den Schutz der Wälder, in denen kleinere, hastig errichtete Erdhütten als temporäre Winterbehausungen errichtet wurden. Während der oft sehr langen und harten Winter waren die Hidatsa in hohem Maße abhängig von ihren Ernteerträgen. Ein großer Teil der Ernte wurde daher besonders konserviert und für den Winter aufbewahrt.

Wie bisher berichtet, war die Wirtschaft der Hidatsa nahezu zu gleichen Teilen auf Ackerbau und Jagd aufgebaut. Die Hidatsa waren gleichfalls Teil eines weitreichenden stammesübergreifenden Handelsnetzes. Ihre Dörfer waren Zentren des Handels, in denen nomadische Völker ihre Häute, Felle und später auch Pferde gegen Feldfrüchte und begehrte Gegenstände aus europäischer Fertigung, wie Feuerwaffen, metallene Werkzeuge, Stoffe und Decken, eintauschten.

In der Arbeitsteilung der Hidatsa waren die Frauen vorwiegend für die Tätigkeiten im Ackerbau, das Kochen, das Holzsammeln und Wassertragen, sowie das Errichten und die Fürsorge der Behausungen zuständig. Die Männer gingen zur Jagd, führten Krieg und waren zuständig für die Ausbildung und Pflege der Pferde. Allgemein arbeiteten die Frauen härter als die Männer, aber von den Männern wurde während der Jagd und während der Kriegszüge viel körperliche Kraft abverlangt. Im Laufe der Geschichte gewann die Kriegerrolle bei den Hidatsa zunehmend an Bedeutung, denn die Dörfer wurden immer mehr Ziele von Angriffen.

Die politische Organisation der Hidatsa basierte auf den unabhängigen Dörfern, in denen Anführer für die Räte gewählt wurden. Die Wahl beruhte auf den Kriegstaten, den Verdiensten um das Wohlbefinden des Stammes und den moralischen Qualitäten der Selbstdisziplin und des Großmutes. Wichtige Entscheidungen, die das Wohl des Volkes angingen, wurden von den Schwarzmündern, einer der altersbasierenden Kriegergesellschaften, durchgesetzt. Die vermutlich wichtigste Aufgabe der Schwarzmünder war die polizeiliche Organisation bei den kommunalen Jagden. Jedes Verhalten, welches den Erfolg der Jagd gefährden konnte, wurde von den Schwarzmündern mit heftigster disziplinierender Macht bestraft. Oft geschah dies durch körperliche Bestrafung, die Zerstörung des Eigentums oder die Tötung der Pferde des Schuldigen. Die Schwarzmünder ersetzten anschließend das zerstörte Eigentum, denn man ging davon aus, dass der Schuldige seine Lektion gelernt hatte.

Das häusliche Leben der Hidatsa war geprägt von einer matriarchalischen Familienbindung, die oft aus mehreren Ehefrauen, einem Ehemann, den unverheirateten Kindern, den verheirateten Töchtern und deren Ehemännern und Kindern bestand. Der Wohnort nach einer Heirat richtete sich theoretisch nach der Familie der Frau; das heißt, der Ehemann zieht üblicherweise in den Haushalt der Frau ein.

Diese ausgedehnten Haushalte wurden durch die Bindung einer Vielzahl von mütterlichen Clans zusammengehalten. Diese Clans waren Gruppen von Blutsverwandten, die davon ausgingen, dass sie alle einen gemeinsamen Ahn haben. Diese Art der verwandtschaftlichen Organisation begünstigte den Zusammenhalt der Gesellschaft, denn Verwandte waren in der Lage, sich gegenseitig in verschiedensten Angelegenheiten zu unterstützen. Diese familiären Banden waren für das soziale Leben der Hidatsa von großer Bedeutung. Sie definierten erwartete Verhaltensweisen, Verpflichtungen und Privilegien zwischen allen Mitgliedern des Stammes. Soziale Bindungen zwischen den verschiedenen Dörfern führten zu einer Stärkung des Volkes. Durch Heirat zwischen Menschen aus zwei Dörfern verdichtete sich das verwandtschaftliche Netz und man konnte sich in Zeiten der Not auf mehr Menschen verlassen.

Das religiöse Leben der Hidatsa war reichhaltig – sowohl an zeremoniellen Details als auch an Symbolismus. Eine ganze Menge von heiligen Symbolen wurde aus der natürlichen Umgebung herangezogen: der Bison, der Adler, Mais, verschiedene andere Pflanzen und Tiere und die vier Himmelsrichtungen. Die übernatürlichen Kräfte waren nicht auf die Person eines Gottes konzentriert, sondern waren verteilt auf alle Lebewesen und eine Vielzahl von leblosen Dingen. Die Religion basierte auf dem Erwerb und dem Gebrauch von Medizinbündeln. Dies waren Objekte, die eine Verbindung zwischen einem Individuum und seinem Schutzgeist darstellten, und nur wenige Frauen besaßen ein solches Bündel. Diese Bündel beinhalteten übernatürliche Kräfte, welche nur unter bestimmten rituellen Handlungen auf den Bündelbesitzer übergehen konnten. Die Bündel, die dazugehörigen Lieder und Riten wurden als heilig angesehen und ehrenvoll behandelt.

Es gab zwei Hauptarten von Bündeln: persönliche und gemeinschaftliche. Persönliche Medizinbündel erhielt man üblicherweise nach einer Visionssuche, einer rituellen Prüfung, die einer religiösen Erfahrung gleichkommt und in der einem Individuum ein Schutzgeist erschienen ist. Dabei kann der Schutzgeist als jedwedes Lebewesen, zum Beispiel als Adler, erscheinen und der Person einen Teil seiner eigenen Kraft übertragen. Dies galt als Auszeichnung für die durchlebten Strapazen während der Visionssuche. Der Erwerb von persönlicher Kraft war eine wichtige Komponente in der Religion und dem sozialen Leben der Hidatsa. Die Medizin eines Einzelnen brachte Stärke, Selbstvertrauen und übernatürlichen Beistand in kritischen Situationen. Bei den Hidatsa gab es auch Gemeinschaftsbündel, welche in direktem Zusammenhang mit den prominenten Zeremonien des Stammes standen. Solche Zeremonien wurden zum Wohle des ganzen Volkes durchgeführt, um den Wohlstand des Stammes zu sichern, indem man zum Beispiel um eine gute Ernte oder erfolgreiche Jagd bat.

Während der ersten Begegnungen mit den Weißen, etwa 1780 – 1845, waren die drei Hidatsadörfer an der Mündung des Knife-River (archäologisch bekannt als Big Hidatsa, Sacajawea und Amahami) politisch und ökonomisch unabhängig voneinander. Man kann also sagen, dass kein Dorf die interne Wirtschaft und die politischen Angelegenheiten der anderen kontrollieren konnte. Nichtsdestotrotz entwickelten die Hidatsa aufgrund von politischem Druck von außen einen Stammesrat, welcher aus herausragenden Führern aus den einzelnen Dörfern zusammengestellt wurde.

Mit den Europäern kam der Wandel und mit diesem kam ein Bündel an Problemen, die schließlich zu revolutionären Änderungen im Sozialgefüge der Hidatsa führten. Verschiedene Faktoren, die allesamt von der Interaktion mit den Weißen herrührten, beeinflussten das gesellschaftliche Miteinander; die Folgen sind bisher noch nicht gänzlich klar. Der Pelzhandel brachte die Hidatsa und andere Plainsvölker in den Raum einer Marktwirtschaft, in welcher sich Produktion zum Selbsterhalt und Produktion zum Handel vereinten. Die Nachfrage nach den Pelzen von großen Tieren, speziell den Bisons, war riesig. Als Folge der Dezimierung der Herden weiteten viele Stämme ihr Jagdgebiet aus, und so nahmen, aufgrund des wachsenden Drucks auf andere Stämme, Feindschaften zu. Mit der Einführung der Pferde durch die Europäer war es den Indianern möglich, ein neues Fortbewegungsmittel in Anspruch zu nehmen, welches die Effizienz der Jagd verbesserte und die Menge an materiellen Gütern, die von einem Lager in ein anderes transportiert werden konnten, steigerte. Obwohl die Hidatsa nicht so viele Pferde besaßen wie manch anderer Stamm des Plainsgebietes und weiterhin bei der Verwendung von Hundetravois blieben, um Jagdbeute, Brennholz und Ernteerträge zu transportieren, wurde doch auch bei den Hidatsa, wie bei anderen Plainsstämmen, das Pferd zum Zeichen des Wohlstands. Es wurde auch zum Objekt der Begierde von Kriegszügen, da die Stämme stets darauf aus waren, ihre Herden zu vergrößern, zu erhalten und wiederaufzustocken. So führten diese Kriegszüge in Verbindung mit dem Schwund natürlicher Ressourcen dazu, dass begrabene Feindschaften wiedererwachten und neue begründet wurden.

Die Europäer brachten auch ansteckende Krankheiten zu den Indianer, die hierfür keine natürliche Immunität hatten: Pocken, Masern, Cholera, Tuberkulose und andere Krankheiten wüteten grenzenlos unter den indianischen Völkern. Die Hidatsa waren da keine Ausnahme. Wellen der Pocken trafen sie während des späten 18. und während des 19. Jahrhunderts. Die schlimmste Epidemie kam 1837. In diesem Jahr rafften die Pocken etwa die Hälfte der Hidatsa und nahezu sieben Achtel der benachbarten Mandan dahin. Den Hidatsa gelang es nie, sich von diesem schweren Schlag zu erholen. 1845 zogen die vereinten Überreste der Mandan und Hidatsa, von Krankheit stark dezimiert und durch Brennholzknappheit dazu getrieben, aus ihrem angestammten Land am Knife-Fluss fort und errichteten auf einer Terrasse am Missouri das Dorf Like-A-Fish-Hook. Wenige Jahre später bekamen sie Gesellschaft von den Arikara, einem anderen sesshaften Volk aus der Region des oberen Missouri. Diese waren ebenfalls durch die Pocken und durch die feindlichen Sioux immens geschwächt. Like-A-Fish-Hook wurde schließlich, als die Hidatsa ihre lange Reise auf dem Weg des weißen Mannes antraten, ein Teil der Fort Berthold Reservation.

Es war im Jahre 1906, als Gilbert L. Wilson die Fort Berthold Reservation zum ersten Mal besuchte und anfing, die verbliebenen Spuren der ursprünglichen Kultur der Hidatsa zu beschreiben und die vergangene Lebensform, die in den Herzen und Geistern jener, die die alten Tage erlebt hatten, fortbestand, zu rekonstruieren. Seine Idee und sein Enthusiasmus für diese Aufgabe müssen groß gewesen sein, denn er kehrte in den folgenden zwölf Jahren jeden Sommer zu den Hidatsa zurück. Mit Hilfe seines Bruders, Frederick N. Wilson, stellte Gilbert Wilson verschiedene Bände an Feldnotizen in Form von Erzählungen seiner Informanten zusammen und beschrieb so die alten Tage der Hidatsa.

Ein großer Teil der Informationen, die von Gilbert Wilson zusammengetragen worden waren, wurde in Monographien unter der Leitung des AMNH (American Museum of Natural History) herausgebracht: „The Horse and Dog in Hidatsa Culture“ (1924), „Hidatsa Eagle Trapping“ (1934) und „The Hidatsa Earthlodge“ (1934). Der letzte Band wurde von Bella Weitzner arrangiert und nach Wilsons Tod im Jahre 1930 posthum veröffentlicht. Unter der Schirmherrschaft der Universität von Minnesota entstand das, was ich als Wilsons klassische Monografie betrachte: „Agriculture of the Hidatsa Indians: An Indian Interpretation“ (1917). Obwohl viel veröffentlicht wurde, bleibt ein großer Teil an unveröffentlichten und ungeordneten Feldnotizen nach seinem Tod zurück. Diese Aufzeichnungen wurden nach und nach von Bella Weitzner vom AMNH sortiert und zusammengefügt und im Sammelband „Notes on the Hidatsa Indians Based on Data Recorded by the late Gilbert L. Wilson“ im Jahre 1979 herausgebracht.

Die von Wilson gesammelten ethnografischen Daten sind in vielerlei Hinsicht von ausgesprochener Wichtigkeit. Erstens beziehen sich seine Beschreibungen auf eine essentielle Periode in der Kulturgeschichte der Hidatsa, in der sie, wie viele andere Indianerstämme Nordamerikas, enormen kulturellen Veränderungen aufgrund des euro-amerikanischen Kontakts ausgesetzt waren. Zweitens liegt seine besondere Hingabe in der gründlichen Beschreibung einer einzelnen Gesellschaft in einem speziellen Zeitrahmen. Solche grundlegenden Beschreibungen sind das Material, auf dem Anthropologen Theorien über kulturelle Adaptationen und andere soziokulturelle Phänomene der Menschheit konstruieren und überprüfen. Drittens ist die Bedeutung der Arbeit Wilsons heute größer als zu der Zeit, in der sie entstand, denn das von ihm gesammelte Material kann nicht mehr dupliziert werden. Die Informanten, die die Aufzeichnungen oder das kulturelle Gedächtnis der ursprünglichen Lebensweise der Hidatsa trugen, sind alle verstorben.

Während seiner langen Zeit unter den Hidatsa verließ sich Wilson auf eine kleine Zahl von Informanten. Zwei der wichtigsten waren Wolf-Chief und Buffalo-Bird-Woman, auch Waheenee genannt. Wolf-Chief wurde 1849 geboren, nur vier Jahre, nachdem die Hidatsa aus ihren traditionellen Dörfern am Knife-Fluss weggezogen waren. Er übermittelte wertvolles Wissen aus verschiedenen Bereichen der Kultur, unter anderem aus der Pferdehaltung, den Verwandtschaftsbeziehungen, den nach Alter organisierten Kriegergesellschaften, dem Adlerfangen, der Jagd und dem Lagerleben. Waheenee wurde etwa 1839, zwei Jahre nach der desaströsen Pocken-Epidemie und sechs Jahre vor dem Umzug der Hidatsa nach Like-A-Fish-Hook, geboren. Sie war die Halbschwester des Wolf-Chief: Ihr Vater, Schmaler-Knöchel, hatte Schwestern geheiratet, die eine brachte Waheenee zur Welt und die andere Wolf-Chief. Die Praxis, dass ein Mann mit zwei oder mehr Schwestern zur gleichen Zeit verheiratet war (in der Anthropologie bezeichnet man dies als schwesterliche Polygamie), war unter den Hidatsa wie auch bei anderen Plainsstämmen, nicht unüblich. Dies war tief in der Kultur verankert und wurde als moralisch korrekt und vertretbar erachtet.

Ein anderer Hidatsa, auf den sich Gilbert Wilson stützte, war Edward Goodbird, Sohn der Waheenee und Autor seiner eigenen Geschichte – „Goodbird the Indian: His Story Told by Himself to Gilbert Wilson“.

Seine Fähigkeit als Künstler ist in vielen Monographien Wilsons über die Hidatsa treffend dargeboten, und der Einfluss, den er durch die Bildung der Weißen erhielt, half ihm zweifellos, den kulturellen Spalt, der zwischen Wilson und seinen indianischen Informanten bestand, zu überbrücken. Waheenee erwies sich als unverzichtbare Quelle für weitreichendes Wissen im Hinblick auf die landwirtschaftlichen Aktivitäten: das Pflanzen und Ernten und andere saisonale Aufgaben, das Verarbeiten von Nahrung, das Kochen und Lagern, die Organisation der Frauenarbeiten in den hauseigenen Gärten, die nachbarliche Hilfe in den wesentlichen Zeiten des Ackerbaus und die Sozialisierung der jungen Mädchen eines Haushalts in die Rolle von verantwortungsbewussten jungen Frauen.

Im vorliegenden Band, welcher erstmals 1921 erschien, präsentieren die Berichte der Waheenee weitreichende Informationen und bieten mit erleuchtender Klarheit einen Einblick in das alltägliche Leben und die Pflichten einer Hidatsafrau. Waheenee übermittelt ein klares Bild des Rollenverständnisses, des Status‘ und den dazugehörenden Vorstellungen der Frauen der Hidatsa-Gesellschaft: ihre Wünsche und Träume, als auch ihre Ängste und Enttäuschungen. Dem Leser bleibt keine Möglichkeit, an der Liebe und der Nostalgie Waheenees für die alten Tage, die zwar für immer vergangen, doch nie vergessen sind, zu zweifeln.

Quellen

Aus Platzgründen ist nur ein allgemeiner Einblick in die Kultur der Hidatsa in der Einleitung enthalten. Daher habe ich davon abgesehen Zitate aus meinen Quellen einzufügen. Somit folgt hier eine Liste mit den Titeln der Werke, die ich zum Inhalt meines Exkurses zu Rate gezogen habe. Dem Leser steht es frei, sich mit diesen Quellen auseinanderzusetzen und detailliertere Informationen zur Gesellschaft der Hidatsa, zu deren Kultur und zu weiteren verwandten Themen zu erhalten.

Bowers, Alfred (1965)

Hidatsa Social and Ceremonial Organization. Bureau of American Ethnology Bulletin 194. Washington D.C.

Chittenden, Hiram M. (1954)

The American Fur Trade of the Far West. 2 vols. Stanford, Calif.

Lehmer, Donald J. (1971)

Introduction to Middle Missouri Archeology. Anthropological Papers 1. National Park Service. Washington D.C.

Lehmer, Donald J., W. Raymond Wood & C.L. Dill (1978)

The Knife River Phase. Interagency Archeological Services, U.S. Department of the Interior. Denver

Matthews, Washington (1877)

Ethnography and Philology of the Hidatsa Indians. U.S Geological Geographical Survey, Miscelaneous Publications no. 7.

Meyer, Roy W. (1977)

The Village Indians of the Upper Missouri. Lincoln: University of Nebraska Press.

Thwaites, Reuben G., ed. (1959)

Original Journals of the Lewis and Clark Expedition, 1804-06. 8. vols. New York

Wood, W. Raymond (1974)

Northern Plains Village Cultures: Internal Stability and external Relationships. Journal of Anthropological Research, vol. 30,noI.

Vorwort

Die Hidatsa, von den Mandan als Minitari bezeichnet, sind ein siouanischer Stamm und sprechen eine Sprache, die eng mit der Sprache der Crow verwandt ist. Kriege mit den Dakota nötigten sie dazu, sich mit den Mandan zu verbünden, und so übernahmen sie auch teilweise deren Kultur. Lewis und Clark fanden diese beiden Stämme 1804 aufgeteilt auf fünf Dörfer an der Mündung des Knife River.

1832 besuchte der Maler Catlin diese fünf Dörfer. Ein Jahr später wurden diese ebenfalls von Prinz Maximilian und Karl Bodmer bereist. Auf einigen Leinwänden ist das Schaffen dieser beiden Künstler bis in unsere Zeit erhalten geblieben.

Die Pocken haben die beiden Stämme 1837-38 fast gänzlich vernichtet. Die Überlebenden, nur ein kleines Überbleibsel, zogen auf die Fort Berthold Reservation und lebten dort bis auf den heutigen Tag.

1908 schickte mich Dr. Clark Wissler, Kurator für Anthropologie am AMNH, gemeinsam mit meinem Bruder, einem Künstler, los, um bei den Hidatsa einen Grundstein für Kulturstudien zu legen. Diese Arbeit setzte sich in den Sommern der folgenden zehn Jahre fort und wird nun ein Ende finden.

Während dieser Jahre war Edward Goodbird, Enkel von Schmaler-Knöchel, einem Hidatsa-Anführer der schlimmen Zeit nach der Pockenepidemie, ein verlässlicher Übersetzer und Helfer. Meine vorrangigen Informanten waren Goodbirds Mutter Waheenee oder Buffalo Bird Woman, und ihr Bruder Wolf Chief.

Die Geschichten in diesem Buch wurden mir von Buffalo Bird Woman erzählt. Einige wurden mit Informationen von Wolf Chief und anderen Informanten ergänzt.

Die Illustrationen stammen von meinem Bruder und basieren sämtlich auf seinen Studien innerhalb der Reservation. Sie wurden allesamt mit Skizzen von Catlin und Bodmer verglichen. Nicht wenige davon sind grobe Skizzen von Goodbird, der seinerseits selbst ein Zeichner von nicht schlechter Qualität ist, nachgezeichnet.

Bestätigt ist dieses Buch durch Kurator Wissler, dem ebenfalls die Veröffentlichung desselben zu verdanken ist.

Die Indianer haben den schönen Brauch, gute Freunde als Verwandte zu adoptieren. Durch solch eine Adoption wurde Buffalo Bird Woman zu meiner Mutter. Es bereitet mir außerordentliche Freude, dass ich jungen Lesern die Geschichten meiner indianischen Mutter übermitteln kann.

Gilbert Livingstin Wilson

Erklärung des Verlages

In diesem Buch wurden die Namen ins Deutsche übersetzt. Dies erscheint ungewöhnlich, aber nachdem das Buch auch für Kinder geeignet ist, verzichteten wir auf all die englischen Namen, um jungen Lesern das Verstehen des Textes zu erleichtern. Die oft skurrilen Namen hätten keine Wirkung, wenn der Leser sie nicht versteht. Wer des Englischen mächtig ist, kann bitte das Original lesen. Diese Ausgabe ist ganz bewusst für die Leser, die es im englischen Original nicht lesen können.

Kapitel I

Ein kleines Indianermädchen

Ich wurde in einer Erdhütte an der Mündung des Messer-Flusses (Knife-River) auf dem Gebiet des heutigen Nord-Dakota geboren. Das war drei Jahre nach dem Pockenwinter.

Die Mandan und mein Stamm, die Hidatsa, waren vor Jahren vom Herz-Fluss (Heart-River) hergekommen und hatten die fünf Dörfer, wie wir es nennen, an den Ufern des Messer-Flusses nahe seiner Mündung in den Missouri, errichtet.

Hier war das Ackerland für unsere Maisfelder, und hier waren die Pappeln, die wir als Balken und Pfosten für unsere Hütten nutzen.

Die alten Frauen meinten, dass auch das Treibholz des Flusses uns als Brennholz dienen würde. Es war auf den Plains nicht immer einfach, Brennholz zu finden.

Als ich zehn Jahre alt war, gab meine Mutter ein Festessen und bat einen alten Mann mit dem Namen „Nichts-als-Wasser“ (Nothing-But-Water), mir einen Namen zu geben. Er nannte mich Guter-Weg (Good Way). „Denn ich werde zu den Geistern beten“, verkündete er „dass dieses kleine Mädchen ein Leben auf dem guten Pfad führen wird und dass es zu einer guten Frau heranwächst, die nicht zankt oder stiehlt. Und dass sie Glück hat an allen Tagen.“