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Henry David Thoreau

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Beschreibung

In Walden beschreibt Thoreau sein Leben in einer Blockhütte, die er sich 1845 in den Wäldern von Concord (Massachusetts) am See Walden Pond auf einem Grundstück seines Freundes Ralph Waldo Emerson baute. Dort kehrte er mehr als zwei Jahre der der jungen Industriegesellschaft der USA den Rücken. Sein Ziel war es einen alternativen und ausgewogenen Lebensstil zu verwirklichen. Das 1854 veröffentlichte Werk ist kein Roman im eigentlichen Sinne, sondern eine Zusammenfassung und Überarbeitung seiner Tagebucheinträge. Die achtzehn Kapitel des Buches sind unterschiedlichen Aspekten menschlichen Daseins gewidmet und enthält Reflexionen über die Ökonomie, über die Einsamkeit, Betrachtungen über die Tiere des Waldes oder über die Lektüre klassischer literarischer Werke. Die Wirkung von Walden ist untrennbar mit der amerikanischen Geschichte verbunden. Thoreau wurde mit seinem Werk zu einem Prophet des zivilen Ungehorsams und des amerikanischen Anarchismus. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 589

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Henry David Thoreau

Walden

Oder: Leben in den Wäldern

Henry David Thoreau

Walden

Oder: Leben in den Wäldern

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Übersetzung: Jürgen Schulze, Wilhelm Nobbe EV: Eugen Diederichs, Jena, 1922 1. Auflage, ISBN 978-3-954186-28-0

www.null-papier.de/281

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Buch

Au­tor

Spar­sam­keit

Er­gän­zen­de Ver­se

Die An­sprü­che der Ar­mut

Wo ich leb­te und wo­für ich leb­te

Lek­tü­re

Töne

Ein­sam­keit

Be­such

Das Boh­nen­feld

Das Dorf

Die Tei­che

Ba­ker Farm

Hö­he­re Ge­set­ze

Mei­ne Nach­barn: die Tie­re

Hei­zung

Frü­he­re Be­woh­ner und Be­such im Win­ter

Win­ter­tie­re

Der Teich im Win­ter

Früh­ling

Schluß

Dan­ke

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Buch

In Wal­den be­schreibt Tho­reau sein Le­ben in ei­ner Block­hüt­te, die er sich 1845 in den Wäl­dern von Con­cord (Massa­chu­setts) am See Wal­den Pond auf ei­nem Grund­stück sei­nes Freun­des Ralph Wal­do Emer­son bau­te. Dort kehr­te er mehr als zwei Jah­re der jun­gen In­dus­trie­ge­sell­schaft der USA den Rücken. Sein Ziel war es einen al­ter­na­ti­ven und aus­ge­wo­ge­nen Le­bens­stil zu ver­wirk­li­chen.

Ich zog in die Wäl­der, weil ich den Wunsch hat­te, mit Über­le­gung zu le­ben, alle Wir­kens­kraft und Sa­men zu schau­en und zu er­grün­den, ob ich nicht ler­nen könn­te, was ich leh­ren soll­te, um beim Ster­ben vor der Ent­de­ckung be­wahrt zu blei­ben, daß ich nicht ge­lebt hat­te. Ich woll­te nicht das Le­ben, was kein Le­ben war. Das Le­ben ist so kost­bar. Auch woll­te ich kei­ne Ent­sa­gung üben – höchs­tens im Not­fall. Ich woll­te tief le­ben, al­les Mark des Le­bens aus­sau­gen, so herz­haft und spar­ta­nisch le­ben, daß al­les, was nicht Le­ben war, in die Flucht ge­schla­gen wür­de.

Das 1854 ver­öf­fent­lich­te Werk ist kein Ro­man im ei­gent­li­chen Sin­ne, son­dern eine Zu­sam­men­fas­sung und Über­ar­bei­tung sei­ner Ta­ge­buchein­trä­ge. Die acht­zehn Ka­pi­tel des Bu­ches sind un­ter­schied­li­chen Aspek­ten mensch­li­chen Da­seins ge­wid­met und ent­hält Re­fle­xio­nen über die Öko­no­mie, über die Ein­sam­keit, Be­trach­tun­gen über die Tie­re des Wal­des oder über die Lek­tü­re klas­si­scher li­te­ra­ri­scher Wer­ke.

Die Wir­kung von Wal­den ist un­trenn­bar mit der ame­ri­ka­ni­schen Ge­schich­te ver­bun­den. Tho­reau wur­de mit sei­nem Werk zu ei­nem Pro­phet des zi­vi­len Un­ge­hor­sams und des ame­ri­ka­ni­schen An­ar­chis­mus.

Autor

Die Py­ra­mi­de aus Kie­sel­stei­nen, die an der Stel­le sich er­hebt, wo einst Hen­ry Tho­re­aus Hüt­te am Wal­de­nu­fer stand, wächst von Jahr zu Jahr. Sie ist gleich­sam das Sym­bol, nicht nur der stei­gen­den Aner­ken­nung, die sei­ne Lands­leu­te und dank­ba­re Men­schen aus al­len Län­dern ihm zol­len, son­dern auch des Fort­schrit­tes, den im ma­te­ria­lis­ti­schen Ame­ri­ka die Pfle­ge ide­el­ler Gü­ter macht. Wer die Emp­find­lich­keit kennt, wel­che der Ame­ri­ka­ner je­dem Ta­del sei­nes Lan­des und sei­ner »Kul­tur« ent­ge­gen­bringt, und and­rer­seits liest, wie mu­tig und derb, wie tref­fend und klar Tho­reau – von war­mer Lie­be zum Va­ter­lan­de be­seelt – sei­nen Lands­leu­ten die Wahr­heit sagt, ihre Schwä­chen und Feh­ler, ihre Las­ter und Tor­hei­ten auf­deckt, der wird mit dop­pel­ter Ge­nug­tu­ung die zu­neh­men­de Wert­schät­zung die­ses Den­kers und Dich­ters ver­fol­gen. Tho­reau galt zu sei­nen Leb­zei­ten man­chen als ein Narr und Fau­len­zer, den meis­ten als ein Son­der­ling. Nur we­ni­gen – dar­un­ter be­fan­den sich al­ler­dings die Bes­ten sei­ner Zeit: Emer­son, Al­cott, Chan­ning – war er ein Phä­no­men, ein Dich­ter, ein Se­her. Die­sen we­ni­gen er­schi­en sein Le­ben nicht schon des­halb ver­fehlt, weil es we­der nach Ruhm noch Geld geiz­te und in der Ein­sam­keit ver­floß. Sie wuß­ten, daß er wie kein zwei­ter ver­moch­te, in dem hei­li­gen Buch der Na­tur zu le­sen, daß er aus sei­nem Kör­per einen Tem­pel für eine rei­ne See­le schuf. Sie wuß­ten oder ahn­ten, daß ein sel­te­ner Mensch, eine In­di­vi­dua­li­tät un­ter ih­nen wan­del­te, die wohl ih­res­glei­chen noch nie auf Er­den hat­te. Ih­nen war es kein Men­schen­has­ser, son­dern ein Men­schen­be­glücker, kein Welt­flüch­ti­ger, son­dern ein Welt­be­sie­ger, kein ver­wor­re­ner Träu­mer, son­dern ein Phi­lo­soph, der sei­ne Phi­lo­so­phie leb­te.

Tho­reau's Groß­va­ter war fran­zö­si­scher Ab­stam­mung und in St. He­liers auf der In­sel Jer­sey ge­bo­ren. Er wan­der­te, kaum dem Kna­ben­al­ter ent­wach­sen, 1773 nach Ame­ri­ka aus, ließ sich in Bo­ston nie­der und hei­ra­te­te 1781 Jane Burns, in de­ren Adern schot­ti­sches und Quä­ker­blut floß. Sie ge­bar ihm vier Kin­der – einen Sohn und drei Töch­ter. Spä­ter zog die Fa­mi­lie nach Con­cord, wo John Tho­reau im Al­ter von sie­ben­und­vier­zig Jah­ren an Schwind­sucht starb. Sein ein­zi­ger Sohn, John Tho­reau, der Va­ter Hen­rys, wur­de 1787 in Bo­ston ge­bo­ren. Er setz­te des Va­ters kauf­män­ni­sches Ge­schäft fort, hat­te aber so we­nig Er­folg, daß er Ban­ke­rott mach­te, al­les ver­lor und, um sei­nen Gläu­bi­gern mög­lichst ge­recht zu wer­den, selbst sei­nen Ehe­ring ver­kauf­te. Er war mit ei­nem tem­pe­ra­ment­vol­len, klu­gen und wit­zi­gen Mäd­chen, mit Cyn­thia Dun­bar, der Toch­ter des Ad­vo­ka­ten Asa Dun­bar aus Kee­ne, ver­mählt. Sie war von ho­her Ge­stalt, hat­te an­ge­neh­me Ge­sichts­zü­ge, lieb­te Mu­sik, sang mit gu­tem Kön­nen, be­saß ein her­vor­ra­gen­des Ge­dächt­nis und wuß­te über vie­le Ge­bie­te le­ben­dig und an­re­gend zu plau­dern. Ihre Gut­mü­tig­keit war all­ge­mein be­kannt. Stets war sie be­reit, den Ar­men zu hel­fen. In vie­len äu­ße­ren und in­ne­ren Ei­gen­schaf­ten un­ter­schied sie sich von ih­rem Man­ne. Hen­rys Va­ter war von klei­ner Fi­gur, ernst und ver­schlos­sen, pflicht­treu in je­der Hin­sicht, fast ganz von sei­ner Ar­beit in An­spruch ge­nom­men, doch ab und zu der Ge­sel­lig­keit und mun­te­rem Ge­plau­der nicht ab­ge­neigt. In ihm steck­te mehr Fran­zo­sen- wie Yan­kee­blut. Bei­den El­tern ge­mein­sam war die Vor­lie­be für die Na­tur. Vie­le Jah­re hin­durch sah man sie in Fair Ha­ven, am Wal­den und an an­de­ren Plät­zen in Wäl­dern und auf Hü­geln um­her­strei­fen, wo sie, wenn im­mer ihre Pf­lich­ten es er­laub­ten, bo­ta­ni­sier­ten und mit ver­ständ­nis­vol­len Au­gen die un­end­li­che Man­nig­fal­tig­keit der Na­tur be­ob­ach­te­ten. Hen­rys Mut­ter hat­te eine so große Vor­lie­be für die­se Wan­de­run­gen, daß für ei­nes ih­rer Kin­der der »Leehü­gel« bei­na­he zum Ge­burts­ort ge­wor­den wäre.

Als die­ser El­tern drit­tes Kind ward Hen­ry Da­vid Tho­reau am 12. Juli 1817 auf ei­ner Farm in der Nähe von Con­cord, Massa­chu­setts, ge­bo­ren. Dort wuchs er un­ter ur­kräf­ti­gen Far­mern, die we­der Ar­mut noch Reich­tum kann­ten, un­ter harm­lo­sen, pflicht­treu­en Men­schen in ei­nem Hau­se her­an, in wel­chem eine froh­sin­ni­ge Mut­ter mit be­schei­de­nen Mit­teln Son­nen­schein und Be­hag­lich­keit ver­brei­te­te, und wo ein erns­ter Va­ter in em­si­ger, hoch­ge­schätz­ter Ar­beit die Sei­nen treu ver­sorg­te. Schon mit zwölf Jah­ren nahm Tho­reau sein Ge­wehr un­ter den Arm und durch­streif­te ja­gend Moor und Wald, ru­der­te auf dem Mus­ke­ta­quid oder auf dem Assa­bet oder wan­der­te zum Wal­den­teich. In der gu­ten klei­nen Schu­le zu Con­cord lern­te er die bes­ten la­tei­ni­schen und grie­chi­schen Klas­si­ker ken­nen, doch sag­te er selbst, daß er hier – und spä­ter auch in Har­vard – man­che Stun­de, die er dem Stu­di­um wid­men soll­te, zum Durch­strei­fen der Wäl­der und zum Er­for­schen der Strö­me und Tei­che sei­ner en­ge­ren Hei­mat ver­wen­de­te.

Im Al­ter von sech­zehn Jah­ren be­zog Tho­reau die Uni­ver­si­tät Har­vard. Da der Va­ter al­lein mit sei­nen be­schei­de­nen Ein­nah­men den Uni­ver­si­täts­be­such sei­nes Soh­nes nicht be­strei­ten konn­te, leis­te­ten ei­ni­ge ent­fern­te Ver­wand­te und auch die äl­te­re Schwes­ter, die be­reits Schul­leh­re­rin war, freund­wil­lig Bei­hil­fe. Tho­reau selbst aber übte die größ­te Spar­sam­keit. In den Fe­ri­en un­ter­rich­te­te er pri­va­tim Schü­ler oder nahm vor­über­ge­hend Leh­rer­stel­len auf dem Lan­de an. Als er 1835 an der Distrikt­schu­le in Can­ton wäh­rend der Uni­ver­si­täts­fe­ri­en lehr­te, be­gann er mit ei­nem Pfar­rer die deut­sche Spra­che zu stu­die­ren. In Har­vard selbst zeich­ne­te er sich we­der durch her­vor­ra­gen­de Geis­tes­ei­gen­schaf­ten noch durch ein freund­li­ches We­sen aus. Meis­tens hielt er sich von sei­nen Ka­me­ra­den fern, las eif­rig und viel, und übte stren­ge Selbst­zucht, in­dem er über all sein Tun von sich sel­ber Re­chen­schaft ver­lang­te. Man hat bis­wei­len dar­auf hin­ge­wie­sen, daß Tho­reau der Har­varduni­ver­si­tät viel ver­dan­ke. Er selbst sagt je­doch in ei­nem Brief aus dem Jah­re 1843, daß er dort haupt­säch­lich ge­lernt habe, sich »gut aus­zu­drücken« und dau­ern­den Ge­winn nur aus der Biblio­thek da­von­trug. Er las nicht nur die la­tei­ni­schen und grie­chi­schen Klas­si­ker, son­dern auch be­son­ders eng­li­sche Li­te­ra­tur, Chau­cer, Spen­ser und vor al­lem Mil­ton. Im üb­ri­gen be­schäf­tig­te er sich mit Na­tur­wis­sen­schaf­ten. Sei­ne Lie­be zum Frei­luft­le­ben er­kal­te­te in Har­vard nicht, er sehn­te sich fort »aus die­sen düs­te­ren, wenn auch klas­si­schen Mau­ern« nach sei­ner al­ten, ge­lieb­ten Freun­din Na­tur.

Als er, zwan­zig Jah­re alt, Har­vard ver­ließ und nach Con­cord zu­rück­kehr­te, wid­me­te er sich zu­nächst der Schul­meis­te­rei, von dem Prä­si­den­ten der Uni­ver­si­tät, von Emer­son, und dem all­ge­mein be­lieb­ten Pfar­rer Ri­pley mit bes­ten Emp­feh­lun­gen ver­se­hen. Mit sei­nem Bru­der John, der sei­nem Her­zen viel­leicht von al­len Men­schen am nächs­ten stand, er­öff­ne­te er eine Pri­vat­schu­le und lehr­te an der »Aka­de­mie« in Con­cord, ohne je­doch Be­frie­di­gung zu fin­den. Nach kur­z­er Zeit se­hen wir ihn schon in der Blei­stift­fa­brik des Va­ters. So oft und wann auch im­mer sei­ne Ar­beit es ihm er­mög­lich­te, eil­te er ins Freie, um sein Amt als »selbs­t­er­nann­ter In­spek­tor der Schnee­stür­me und Re­gen­güs­se« zu ver­se­hen, um den däm­mern­den Mor­gen und die sin­ken­de Son­ne zu über­wa­chen und den Bot­schaf­ten des Win­des zu lau­schen. Er ent­wi­ckel­te eine au­ßer­or­dent­li­che Ge­schick­lich­keit in al­len tech­ni­schen Din­gen, er­freu­te sich bald ei­nes vor­züg­li­chen Ru­fes als Land­mes­ser, be­gann auch dich­te­risch sich zu be­tä­ti­gen und hielt ab und zu Vor­trä­ge im »Ly­cae­um« zu Con­cord. 1839 bau­te er sich selbst ein Boot und mach­te mit sei­nem Bru­der John eine Fe­ri­en­rei­se auf den Con­cord- und Mer­ri­macflüs­sen. Eine far­ben­sat­te, ge­dan­ken­rei­che Schil­de­rung die­ses Aus­flugs er­schi­en zehn Jah­re spä­ter (1849) un­ter dem Ti­tel: A week on the Con­cord and Mer­ri­mac ri­ver. Das Buch ist voll herr­li­cher Land­schafts­bil­der und voll be­geis­ter­ter Wor­te über sei­ne Lieb­lings­dich­ter. In dem Ka­pi­tel »Mon­tag« preist Tho­reau vor al­len die al­ten in­di­schen Schrif­ten. Das Ka­pi­tel »Don­ners­tag« ent­hält man­ches In­ter­essan­te über Goe­the, der »Mitt­woch« wie­der­um Ge­dan­ken über Freun­de und Freund­schaft, die in ih­rer psy­cho­lo­gi­schen Tie­fe und in ih­rer hei­ßen Sehn­sucht nur mit dem herr­lichs­ten, was Nietz­sche über die­se Din­ge sag­te (im Nach­ge­sang »Aus ho­hen Ber­gen« z.B.) ver­gli­chen wer­den kön­nen. Als Tho­reau 1853 von sei­nem Ver­le­ger sie­ben­hun­dert Exem­pla­re die­ses Bu­ches zu­rück­er­hielt, schrieb er ei­nem Freun­de: »Ich be­sit­ze jetzt seit ei­ni­ger Zeit eine ziem­lich um­fang­rei­che Biblio­thek, mehr als sie­ben­hun­dert Bän­de, die ich fast alle selbst ge­schrie­ben habe.«

All­mäh­lich er­hielt Tho­reau's ein­zi­ger und ver­trau­ter Freund John einen Ne­ben­buh­ler in Emer­son, der seit 1834 in Con­cord leb­te und für den jun­gen Hen­ry wach­sen­des In­ter­es­se emp­fand. 1837 hat­ten sie sich zu­erst ge­trof­fen und schon im nächs­ten Jah­re schrieb Emer­son: »Ich habe Her­zens­freu­de an mei­nem jun­gen Freun­de. Nie, glau­be ich, ist mir ein solch frei­mü­ti­ger, fes­ter Cha­rak­ter be­geg­net.« Bald dar­auf ward Tho­reau eng mit Emer­son be­freun­det, und seit 1840 will­kom­me­ner Gast in dem Hau­se die­ses schon da­mals hoch­be­rühm­ten Man­nes. Durch Emer­sons Auf­ent­halt wur­de Con­cord gleich­sam zum ame­ri­ka­ni­schen Wei­mar. Re­ges geis­ti­ges Le­ben ent­fal­te­te sich in der klei­nen, nur zwei­tau­send Ein­woh­ner zäh­len­den Stadt. In Emer­sons und Ri­pleys Hau­se ka­men die »Tran­szen­den­ta­lis­ten« zu­sam­men, Leu­te, de­ren höchs­ter Le­bens­zweck, wie Kn­ortz sagt, das Stre­ben nach Wahr­heit war, die re­li­gi­öse Ze­re­mo­ni­en ver­ab­scheu­ten und christ­li­che Ethik in den Vor­der­grund stell­ten. Tran­szen­den­ta­lis­mus wur­de aus Eu­ro­pa ein­ge­führt. Nur we­ni­ge Schrif­ten von Kant, Fich­te und Schel­ling fan­den den Weg über den Ozean. Nur we­ni­ge Leu­te la­sen um die­se Zeit Deutsch, man­che da­ge­gen Fran­zö­sisch. Aus­län­di­sche Zei­tun­gen be­rich­te­ten über die Fort­schrit­te der deut­schen und fran­zö­si­schen Spe­ku­la­ti­on. 1804 hielt Degéran­do in Pa­ris be­reits Vor­le­sun­gen über Kant. Schel­lings lei­ten­de Ide­en wur­den durch Co­le­ridge ver­brei­tet. Fou­ri­ers Be­stre­bun­gen wur­den leb­haft auf­ge­nom­men und ins Prak­ti­sche über­setzt. Die Schrif­ten Car­ly­les über deut­sche Li­te­ra­tur und über Goe­the wur­den durch Emer­son dem ame­ri­ka­ni­schen Pub­li­kum zu­gäng­lich ge­macht. Mar­ga­re­te Ful­ler, die Ra­hel des Emer­son-Krei­ses, über­setz­te Goe­thes Ge­sprä­che mit Ecker­mann, Ri­pley schrieb über Goe­the und Schil­ler – kurz, eine Re­naissance in Re­li­gi­on, Ethik, Kunst und Po­li­tik däm­mer­te her­auf, und ernst wur­de in den Zeit­schrif­ten um die neue Wel­t­an­schau­ung ge­kämpft, de­ren Ide­en haupt­säch­lich das von Emer­son und Mar­ga­re­te Ful­ler her­aus­ge­ge­be­ne »Dial« und die New-Yor­ker Tri­bü­ne ver­tra­ten. »Die tran­szen­den­ta­le Be­we­gung«, sagt Lo­well, »war der pro­tes­tan­ti­sche Geist des Pu­ri­ta­nis­mus, der nach neu­er Be­tä­ti­gung dräng­te und aus al­ten For­men und Dog­men, wel­che ihn eher ver­schlei­er­ten als ent­hüll­ten, sich los­rin­gen woll­te.« Und ob­wohl die­se Be­we­gung nur kur­ze Zeit be­stand, nur von we­ni­gen, al­ler­dings her­vor­ra­gen­den Men­schen ge­lei­tet wur­de, war der Ein­fluß auf die Zeit­ge­nos­sen groß. Emer­son, Theo­do­re Par­ker, Bron­son Al­cott und Tho­reau er­ziel­ten durch Kampf und Ar­beit den prak­ti­schen Er­folg, daß ihre Mit­menschen nicht nur wiß­be­gie­ri­ger, son­dern auch zu­frie­de­ner mit ih­rer Lage, mensch­li­cher in ih­ren Emp­fin­dun­gen, be­schei­de­ner in ih­ren Hoff­nun­gen und glück­li­cher in ih­rem Fa­mi­li­en­le­ben wur­den.

Die Her­aus­ga­be des »Dial« mach­te viel Ar­beit. Emer­son war au­ßer­dem häu­fig von Con­cord ab­we­send, um in der wei­te­ren Um­ge­gend Vor­trä­ge zu hal­ten und konn­te sich we­nig um Haus und Hof be­küm­mern. Da­rum bat er 1841 Tho­reau, »den jun­gen Dich­ter voll von Me­lo­di­en und Ein­fäl­len«, wie er an Car­ly­le um die­se Zeit schrieb, in sein Haus zu zie­hen. Tho­reau nahm die­se Auf­for­de­rung an und er­wies Emer­son hier­durch einen Freund­schafts­dienst. An­de­re Deu­tun­gen sind un­rich­tig. Es ist selbst­ver­ständ­lich, daß das häu­fi­ge und nun­mehr ganz in­ti­me Zu­sam­men­sein mit ei­nem Man­ne von Emer­sons Per­sön­lich­keit auf den vier­zehn Jah­re jün­ge­ren Tho­reau star­ken Ein­fluß aus­üben muß­te. Doch war Emer­son si­cher nicht al­lein der Ge­ben­de. Tho­reau mach­te sich, dank sei­ner her­vor­ra­gen­den tech­ni­schen Ge­schick­lich­keit, nicht nur in Haus und Hof wohl­ver­dient, er war es auch, der Emer­son einen tiefe­ren Ein­blick in die Na­tur er­öff­ne­te und durch sei­ne denk­bar ein­fachs­te Le­bens­wei­se dem äl­te­ren Freund ge­ra­de­zu als Vor­bild diente. Emer­sons Sohn sel­ber sagt, daß sein Va­ter sich »freu­dig von die­sem hell­äu­gi­gen, wahr­haf­ti­gen und erns­ten Man­ne zu den hei­ligs­ten Al­tä­ren des Wald­got­tes füh­ren ließ«. Tho­re­aus Ge­dich­te und Essays aus die­ser Zeit fan­den im »Dial« Auf­nah­me.

In­mit­ten die­ses sym­pa­thi­schen Krei­ses traf Tho­reau der här­tes­te Schlag sei­nes Le­bens: der Ver­lust sei­nes Bru­ders John. Er wur­de teil­nahm­los ge­gen sei­ne Um­ge­bung und mach­te den Ein­druck, als ob er sich selbst has­se. Trost such­te und fand er in der ewig gü­ti­gen Na­tur. »Ich fin­de solch ein Er­eig­nis eher selt­sam als trau­rig,« schrieb er spä­ter. »Wer gibt mir das Recht, trau­rig zu sein, wo ich noch nicht auf­ge­hört habe mich zu wun­dern?«

Im­mer mehr fühl­te er, daß sein ei­gent­li­cher Be­ruf die Schrift­stel­le­rei sei. Als ihm 1843 bei Ver­wand­ten Emer­sons in Sta­ten Is­land nahe bei New York eine Er­zie­her­stel­le an­ge­bo­ten wur­de, wil­lig­te er ein, weil er da­durch Ge­le­gen­heit er­hal­ten konn­te, mit her­vor­ra­gen­den Li­te­ra­ten und Ver­le­gern New Yorks in per­sön­li­che Be­zie­hun­gen zu tre­ten. Auch hoff­te er, eine hart­nä­cki­ge Bron­chi­tis durch die Luft­ver­än­de­rung zu ver­trei­ben. So­viel wie mög­lich war er auch hier im Frei­en. Das Meer mach­te einen ge­wal­ti­gen Ein­druck auf ihn. Ei­ni­ge herr­li­che Stan­zen le­gen da­von Zeug­nis ab. Bald lausch­te er dem Bran­den der See, bald dem Brau­sen der Groß­stadt. Trotz freund­li­cher Be­mü­hun­gen an­ge­se­he­ner Leu­te zeig­ten sich in New Kork kei­ne güns­ti­gen Aus­sich­ten. Ein län­ge­rer Auf­ent­halt wur­de ihm ver­lei­det. Im Herbst 1843 fin­den wir ihn schon wie­der in sei­nem ge­lieb­ten Con­cord. Er fa­bri­zier­te aufs neue Blei­stif­te, gab aber die­se Be­schäf­ti­gung her­nach bald ganz auf, als sei­ner Hän­de Ar­beit eine Aus­zeich­nung er­hielt – die­se Kunst be­herrsch­te er, jetzt hieß es, ein neu­es Feld der Tä­tig­keit be­meis­tern. Tor­rey hat recht, wenn er sagt: »Na­tur, Men­schen, Bü­cher, Mu­sik – al­les diente Tho­reau nur dazu, an sich selbst zu bau­en.« Aber im­mer mehr fühl­te er, daß sei­ne Le­bens­kunst, die stets dar­in be­stan­den hat­te, mög­lichst we­nig zu be­dür­fen, ihn mit je­ner Muße nicht be­schenk­te, de­ren er drin­gend be­durf­te, um Ge­dach­tes und Ge­schau­tes in sich zu ver­ar­bei­ten. Emer­sons »Dial« konn­te nur aus­nahms­wei­se ein­mal Ho­no­rar be­zah­len; Land­ver­mes­sun­gen, Tisch­le­rei und Hil­fe­leis­tun­gen für die Far­mer der Um­ge­gend nah­men viel Zeit in An­spruch, brach­ten aber we­nig Lohn. Mit an­de­ren Wor­ten: der fort­wäh­ren­de Kampf um einen noch so be­schei­de­nen Le­bens­un­ter­halt, der Ein­fluß der tran­szen­den­ta­len Schu­le, der Drang, in­di­vi­du­el­ler Frei­heit in je­der Hin­sicht sich zu er­freu­en, brach­ten all­mäh­lich in Tho­reau den Plan zur Rei­fe, eine Pha­se sei­ner tran­szen­den­ta­len Phi­lo­so­phie prak­tisch zu er­pro­ben: die Ve­rein­fa­chung des Le­bens. Schon 1839 hat­te er in sein Ta­ge­buch ge­schrie­ben: »Ich möch­te mei­nen In­stink­ten le­ben, einen un­ge­trüb­ten Ein­druck in die Na­tur be­kom­men und mit al­len mir ver­wand­ten Ele­men­ten in freund­li­chem Ein­klang ste­hen.« Und ei­ni­ge Jah­re spä­ter (1841) schrieb er: »Ich möch­te am See in der Stil­le woh­nen, wo mir nur das Rau­schen des Win­des im Röh­richt er­klingt. Ich wer­de ge­win­nen, wenn ich al­les Äu­ßer­li­che von mir ab­schüt­te­le. Mei­ne Freun­de fra­gen mich, was ich dort trei­ben wer­de? Wer­de ich nicht ge­nug da­mit zu tun ha­ben, die Jah­res­zei­ten zu be­ob­ach­ten?«

Der Wal­den­teich in Con­cords Nähe war mit sei­nen frü­he­s­ten Kind­heits­er­in­ne­run­gen ver­knüpft. Als Jüng­ling war er oft in dun­keln Näch­ten zu sei­nem stei­ni­gen Ufer ge­pil­gert und hat­te bei hell lo­dern­dem Feu­er Bri­cken ge­fischt. Nicht sel­ten hat­te er auch an blau­en Som­mer­ta­gen ein al­tes Boot auf dem Teich be­stie­gen und sich träu­mend von Wind und Wel­len trei­ben las­sen. Fast eben­so sym­pa­thisch war ihm die etwa zwei­ein­halb Mei­len von Con­cord ent­fern­te Hol­lo­well Farm. Für das halb­ver­fal­le­ne, graue Häu­schen, das mit­ten in ei­nem Hain ro­ter Ahorn­bäu­me nahe am Flus­se lag, bot er dem da­ma­li­gen Be­sit­zer zehn Dol­lars. Als aber der Kon­trakt auf­ge­setzt wer­den soll­te, wur­de des Far­mers Frau an­dern Sin­nes – »je­der­mann hat solch eine Frau,« schreibt Tho­reau – und der Ver­kauf zer­schlug sich. So wur­de denn 1845 das Ufer des Wal­den­tei­ches end­gül­tig ge­wählt.

Hö­ren wir Tho­reau selbst: »Als ich mir klar dar­über wur­de, daß mei­ne lie­ben Mit­bür­ger mir kein Bu­reau im Rat­haus, kei­ne Pfar­re oder ir­gend einen Brot­er­werb an­bie­ten wür­den, daß ich viel­mehr mir selbst hel­fen müs­se, wand­te ich mein Au­gen­merk mehr denn je den Wäl­dern zu. Dort war ich bes­ser be­kannt. Als ich zum Wal­den­teich wan­der­te, be­ab­sich­tig­te ich dort we­der bil­lig noch teu­er zu le­ben, son­dern mög­lichst un­ge­hin­dert Pri­vat­ge­schäf­te zu tun … Ich zog in die Wäl­der, weil ich den Wunsch hat­te, mit Über­le­gung zu le­ben, alle Wir­kens­kraft und Sa­men zu schau­en und zu er­grün­den, ob ich nicht ler­nen könn­te, was ich leh­ren soll­te, um beim Ster­ben vor der Ent­de­ckung be­wahrt zu blei­ben, daß ich nicht ge­lebt hat­te. Ich woll­te nicht das Le­ben, was kein Le­ben war. Das Le­ben ist so kost­bar. Auch woll­te ich kei­ne Ent­sa­gung üben – höchs­tens im Not­fall. Ich woll­te tief le­ben, al­les Mark des Le­bens aus­sau­gen, so herz­haft und spar­ta­nisch le­ben, daß al­les, was nicht Le­ben war, in die Flucht ge­schla­gen wür­de. Ich woll­te mit großen Zü­gen knapp am Bo­den mä­hen, das Le­ben in die Enge trei­ben und es auf die ein­fachs­te For­mel brin­gen …«

Ge­gen Ende März 1845 lieh Tho­reau von sei­nem Freun­de Al­cott eine Axt, zog zum Wal­den­teich, fäll­te Tan­nen und be­gann das Holz zum Haus­bau her­zu­rich­ten. Zwei bis drei Wo­chen wid­me­te er froh und flei­ßig die­sem Ver­gnü­gen. Dann stell­te er mit Hil­fe ei­ni­ger Freun­de, die er mehr aus Höf­lich­keit als aus Not­wen­dig­keit her­bei­ge­ru­fen hat­te, sein Haus auf. Die Hüt­te war zehn Fuß lang und fünf­zehn Fuß breit, hat­te einen Spei­cher, einen Wand­schrank, ein großes Fens­ter und er­hielt spä­ter auch einen Ka­min. An Haus­rat gab es nur ein Bett, einen Tisch, drei Stüh­le, einen Spie­gel (drei Zoll im Durch­mes­ser), einen Kes­sel, eine Brat­pfan­ne, einen Schöpf­löf­fel, einen Be­cher, zwei Mes­ser und zwei Ga­beln, drei Tel­ler, ein Wasch­ge­schirr, einen Krug für Öl und einen für Me­las­se und eine Lam­pe. Ei­ni­ge Zie­gel­stei­ne, die auf sei­nem Schreib­tisch la­gen und je­den Mor­gen ab­ge­stäubt wer­den muß­ten, warf er bald aus dem Fens­ter: wenn schon et­was ab­ge­stäubt wer­den müß­te, so soll­te es der geis­ti­ge Haus­rat sein. Je­den Mor­gen nahm er ein Bad im Teich. Das war re­li­gi­öse Übung. Dann kam die Ta­ges­ar­beit oder die Ta­ges­mu­ße. Er pflüg­te, noch ehe sein Haus fer­tig war, etwa zwei­ein­halb Mor­gen san­di­gen Bo­dens um und be­pflanz­te sie mit Boh­nen, zum Teil mit Kar­tof­feln und mit Erb­sen und Rü­ben. Im ers­ten Som­mer ar­bei­te­te er stets von fünf Uhr bis zur Mit­tags­stun­de auf dem Fel­de. Leu­te, die dort vor­über­ka­men, schau­ten mit Ver­wun­de­rung auf den selt­sa­men Far­mer, der, ohne Dün­ger auf den Acker zu brin­gen, um eine Zeit Boh­nen pflanz­te, wo an­de­re sie be­reits hack­ten. Der selt­sa­me Far­mer aber emp­fand in sei­ner See­le eine fast über­ir­di­sche Be­frie­di­gung. Er be­gann sei­ne Boh­nen zu lie­ben, ob­wohl er mehr von ih­nen groß­zog als er be­durf­te. Sie brach­ten ihn der müt­ter­li­chen Schol­le nä­her, und er ward stark wie An­taeus. Und wenn er mit sei­ner Ha­cke ge­gen einen Stein schlug, und Him­mel und Erde die­se Mu­sik wi­der­hall­ten, dann hat­te er schon reich­li­che Ern­te. »Es wa­ren kei­ne Boh­nen mehr, die ich hack­te, und ich war es nicht mehr, der sie hack­te«, schrieb der Mys­ti­ker Tho­reau … Hat­te er den Mor­gen hin­durch ge­ar­bei­tet, dann er­frisch­te er sich durch ein zwei­tes Bad im Teich und ge­noß am Nach­mit­tag völ­li­ge Frei­heit, durch­streif­te Wäl­der und Fel­der, wo­hin auch im­mer die Stim­mung ihn trieb. Oft wid­me­te er den gan­zen Tag der Muße. Er sagt in sei­nem Wal­den­buch: »Bis­wei­len saß ich an Som­mer­ta­gen, wenn ich mein ge­wohn­tes Bad ge­nom­men hat­te, vom Son­nen­auf­gang bis zum Mit­tag traum­ver­lo­ren im Son­nen­schein auf mei­ner Tür­schwel­le zwi­schen Fich­ten, Wal­nuß­bäu­men und Su­mach in un­ge­stör­ter Stil­le und Ein­sam­keit, wäh­rend die Vö­gel rings­um san­gen und ge­räusch­los durch das Haus flat­ter­ten. Erst wenn sich die Son­ne in mei­nem Fens­ter gen Wes­ten spie­gel­te, oder das Rol­len ei­nes Rei­se­wa­gens auf der fer­nen Land­stra­ße er­klang, kam mir der Ge­dan­ke, wie schnell die Stun­den ver­flo­gen. In sol­chen Stun­den wuchs ich wie der Mais in der Nacht. Sie wa­ren auch weitaus bes­ser an­ge­wen­det als ir­gend ein Werk mei­ner Hän­de hät­te sein kön­nen. Sie wur­den mei­nem Er­den­wal­len nicht ab­ge­zo­gen, son­dern zu­ge­legt.« Die Stun­den wur­den ihm nicht durch das Schla­gen ei­ner Uhr zer­setzt. In Mond­näch­ten ließ er auf dem Teich im Boot sich trei­ben und weck­te mit sei­ner Flö­te Klang das Echo der schlum­mern­den Wäl­der. … In sei­ner Klei­dung war er völ­lig an­spruchs­los. Er trenn­te sich un­gern von al­ten Schu­hen und So­cken, sie wa­ren ihm mit der Zeit ver­trau­te Freun­de ge­wor­den. Sei­ne Nah­rung be­stand aus Reis, Mais­mehl, Kar­tof­feln und Boh­nen. Nur sel­ten fing er sich ein Ge­richt Fi­sche im Wal­den­teich, noch sel­te­ner aß er ge­sal­ze­nes Schwei­ne­fleisch. Was­ser war sein ein­zi­ges Ge­tränk. Sein Brot buk er selbst.

Im Spät­herbst des Jah­res 1845 ver­sah er sein Häu­schen mit Be­wurf und bau­te einen Ka­min. Jetzt erst wur­de sein Haus sein Heim. Doch war er täg­lich stun­den­lang bei je­dem Wind und Wet­ter im Frei­en, mach­te heu­te ei­ner ein­sa­men Edel­tan­ne Be­such, die ei­ni­ge Mei­len ent­fernt auf ei­nem Hü­gel wuchs und ging mor­gen zu ei­nem Mur­mel­tier, mit dem er sich »ver­ab­re­det hat­te«. Die lan­gen Abend­stun­den be­nutz­te er dazu, die No­ti­zen, die er wäh­rend sei­ner Wan­de­run­gen flüch­tig nie­der­ge­schrie­ben hat­te, in sein Ta­ge­buch zu über­tra­gen. Auf Emer­sons Rat hat­te Tho­reau kurz nach der Stu­den­ten­zeit in Har­vard be­gon­nen, täg­lich sei­ne Ge­dan­ken und Beo­b­ach­tun­gen auf­zu­zeich­nen – ein Ta­ge­buch zu füh­ren. Er setz­te es – auch hier­in eine Aus­nah­me un­ter Tau­sen­den, wie Tor­rey sehr rich­tig be­merkt – ge­treu­lich bis zu sei­nem Tode fort. Die­se Ta­ge­bü­cher sind er­hal­ten: mehr als drei­ßig Bän­de, von de­nen man­che mehr als hun­dert­tau­send Wor­te ent­hal­ten. Sie sind ein Denk­mal des Seh­nens und Stre­bens, des ho­hen Flu­ges die­ses rei­nen Men­schen, ein Schatz herr­li­cher Ge­dan­ken, haar­schar­fer Na­tur­be­ob­ach­tun­gen und wun­der­ba­rer Land­schafts­bil­der. Unauf­hör­lich hat Tho­reau an die­sen Ta­ge­bü­chern ge­ar­bei­tet. Je­der Satz wur­de auf das ge­wis­sen­haf­tes­te er­wo­gen und ge­feilt. Sei­ne Ab­sicht, aus die­sen Ta­ge­bü­chern »ein Buch der Jah­res­zei­ten zu schaf­fen, in wel­chem jede Sei­te un­ter frei­em Him­mel in der je­wei­li­gen Jah­res­zeit ge­schrie­ben sein soll­te« wur­de von Bla­ke aus­ge­führt, der aus ih­nen mit großer Sorg­falt und Lie­be die drei Wer­ke: Som­mer, Win­ter und Herbst zu­sam­men­stell­te. Eine stim­mungs­vol­le deut­sche Über­set­zung des »Win­ter« ist be­reits bei Karl Lu­cas, Pa­der­born er­schie­nen. Und ob­wohl fer­ner vie­le Ge­dan­ken un­mit­tel­bar aus die­sen Ta­ge­bü­chern in sei­ne Wer­ke über­flos­sen, bleibt doch eine sol­che Fül­le kost­ba­rer Früch­te zu­rück, daß wir mit Freu­de die im Ja­nu­ar die­ses Jah­res be­gon­ne­nen Pub­li­ka­tio­nen aus die­sen Ta­ge­bü­chern in »The At­lan­tic Month­ly« (Bo­ston) be­grü­ßen müs­sen.

Es ist in­des­sen falsch, an­zu­neh­men, daß Tho­reau wäh­rend sei­nes Auf­ent­hal­tes am Wal­den mensch­li­che Ge­sell­schaft mied. Das lag nie in sei­ner Ab­sicht. Er ging in je­der Wo­che mehr­fach zum Dorf, auch im tiefs­ten Win­ter, schlen­der­te die Dorf­stra­ße ent­lang, sprach mit Freun­den und Be­kann­ten, blieb manch­mal bis zum spä­ten Abend bei ih­nen und kehr­te nachts durch die dunklen Wäl­der zu sei­ner Hüt­te zu­rück. Auch ka­men vie­le – meis­tens neu­gie­ri­ge – Be­su­cher zu ihm. Sei­ne Tür hat­te kein Schloß und kei­nen Rie­gel, sie stand bei Tag und bei Nacht of­fen. Vö­gel ka­men in's Haus ge­flat­tert, Bie­nen in großer Zahl fühl­ten sich dar­in wohl und schlie­fen bei ihm im Bet­te, ohne ihn je zu be­läs­ti­gen. Un­ter dem Fuß­bo­den hat­te ein Hase Woh­nung ge­nom­men und früh mor­gens weck­te ihn ein Eich­hörn­chen, das an den Wän­den und auf dem Dach des Hau­ses auf und ab lief. Am liebs­ten wa­ren ihm Kin­der oder die ein­fachs­ten Men­schen – Holz­fäl­ler, Fi­scher, Jä­ger, kurz jene Leu­te, die viel mit den ewi­gen Din­gen, fern­ab vom Men­schen­ge­tüm­mel, ver­keh­ren. Sie wa­ren ei­ner freund­li­chen Auf­nah­me je­der­zeit si­cher. Di­let­tie­ren­de Welt­ver­bes­se­rer da­ge­gen, Schwät­zer und heuch­le­ri­sche Phil­an­thro­pen, die nicht wuß­ten, wann sie ih­ren Be­such zu be­en­den hat­ten, ließ er ohne wei­te­res al­lein und »ant­wor­te­te ih­nen aus im­mer grö­ße­rer Ent­fer­nung.« –

Die aus­wär­ti­ge Po­li­tik der Ve­rei­nig­ten Staa­ten wäh­rend des Krie­ges mit Me­xi­ko hat­te Tho­reau tief ver­stimmt. Sie trug nur dazu bei, sei­ne Ver­ach­tung ge­gen staat­li­che Ein­rich­tun­gen zu stei­gern. Er wei­ger­te sich be­stän­dig, Steu­ern an eine Re­gie­rung zu be­zah­len, die sich dazu her­ab­wür­di­ge, den Han­del mit Men­schen zu bil­li­gen. »Die Re­gie­rung, die über­haupt nicht re­giert,« war sei­ner An­sicht nach die bes­te. Der Steu­er­be­am­te, der die­ser Wei­ge­rung rat­los ge­gen­über­stand, er­hielt auf sei­ne Fra­ge, was er nun tun sol­le, die Ant­wort: »Ge­ben Sie ihr Amt auf.« Kur­ze Zeit dar­auf ward Tho­reau im Dor­fe, wo­hin er einen Schuh zum Fli­cken ge­tra­gen hat­te, ver­haf­tet. Als Emer­son hör­te, daß sein Freund die Ein­sie­de­lei am Wal­den mit der Ge­fäng­nis­zel­le in Con­cord habe ver­tau­schen müs­sen, eil­te er so­fort zu ihm. »Hen­ry, warum sind Sie hier?« war sei­ne ers­te Fra­ge. »Wa­rum sind Sie nicht hier,« lau­te­te Tho­re­aus erns­te Ant­wort. Er er­hielt bald (nach­dem sei­ne Fa­mi­lie die ge­rin­ge Sum­me be­zahlt hat­te) sei­ne Frei­heit – und auch sei­nen Stie­fel – zu­rück und wan­der­te wie­der in sei­ne Wäl­der, »von wo aus er den Staat nir­gends er­bli­cken konn­te.« Auch wenn er ta­ge­lang von sei­nem Hau­se ab­we­send war, ver­schloß er nicht die Tür. Ab­ge­se­hen von ei­nem Bänd­chen Ho­mer wur­de ihm nie et­was ge­stoh­len und nur sol­che Men­schen be­läs­tig­ten ihn, »die den Staat re­prä­sen­tier­ten«. Die Jah­res­ein­nah­me sei­ner Farm be­trug drei­und­zwan­zig Dol­lars, de­nen an Aus­ga­ben vier­zehn Dol­lars ge­gen­über­stan­den. Als Ta­ge­löh­ner ver­dien­te er sich ne­ben­bei wäh­rend die­ser Zeit zwölf Dol­lars. Im zwei­ten Jah­re war das Er­geb­nis noch güns­ti­ger.

Zwei Som­mer und zwei Win­ter ver­brach­te Tho­reau am Wal­de­nu­fer und eine rei­che, geis­ti­ge Ern­te ward ihm zu­teil. Als der Som­mer 1847 her­an­nah­te, fühl­te er, daß er die Mög­lich­kei­ten, die ihm die­ses Le­ben bot, er­schöpft habe, daß es nun Zeit sei, eine an­de­re Pha­se sei­nes Le­bens zu be­gin­nen. Am 6. Sep­tem­ber 1847 zog er von Wal­den wie­der nach Con­cord. »Wa­rum ich die Wäl­der ver­ließ«, schrieb er ei­ni­ge Jah­re spä­ter in sein Ta­ge­buch, »das kann ich wahr­lich nicht sa­gen. Vi­el­leicht trug ich nach Ab­wech­se­lung Ver­lan­gen. Es gab dort un­ge­fähr um die zwei­te Nach­mit­tags­stun­de so et­was wie eine Sto­ckung …« Die herr­lichs­te Frucht der Wal­den­jah­re, sein »Wal­den«, wur­de der Mensch­heit erst 1854 ge­schenkt. Aus dem Ro­man­ti­ker, dem Na­tur­schwär­mer und Na­tur­for­scher sei­nes ers­ten Wer­kes war ein Phi­lo­soph und Me­ta­phy­si­ker ge­wor­den, der oft in epi­gram­ma­ti­schem Stil sei­ne Weis­heit kün­de­te, die kühns­ten Pa­ra­do­xe lieb­te und die Stim­mun­gen der Men­schen­see­le wie der Na­tur bald mit den zar­tes­ten, bald mit den kräf­tigs­ten Stri­chen mal­te. Bur­roughs be­zeich­net Tho­re­aus Erst­lings­werk und sein Wal­den »als die bei­den na­tur­wüch­sigs­ten und an­ti­sep­tischs­ten Bü­cher der eng­li­schen Li­te­ra­tur«. Doch »Wal­den« wur­de viel­fach gröb­lich miß­ver­stan­den. Man über­sah, konn­te oder woll­te nicht se­hen, daß Tho­reau sei­ne Ein­sie­del­jah­re selbst nur als ein Ex­pe­ri­ment be­zeich­ne­te. Man frag­te un­wil­lig und er­staunt, was aus den Men­schen wer­den sol­le, wenn alle Tho­re­aus Rat und Bei­spiel fol­gen wür­den. Das Faß des Dio­ge­nes habe einen ge­sun­de­ren Bo­den als die Hüt­te von Tho­reau, be­haup­te­te die zeit­ge­nös­si­sche Kri­tik. Die­se Leu­te ver­ga­ßen je­doch, daß Tho­reau der Mensch­heit nie­mals an­riet, in Wald­hüt­ten zu woh­nen und von Boh­nen und Kar­tof­feln zu le­ben. Er hat­te das Ex­pe­ri­ment ge­macht, weil es ihm von sei­ner in­ne­ren Stim­me be­foh­len wur­de, weil er die­ser Stim­me stets zu ge­hor­chen pfleg­te und weil er sei­ne In­di­vi­dua­li­tät ihre ei­ge­nen Wege wan­dern las­sen woll­te. Ja, die Ern­te war reich, so reich, daß die dank­ba­re Nach­welt freu­dig auch an die­ser sei­ner schöns­ten Frucht sich kräf­tigt, daß Tau­sen­de von Men­schen füh­len: Le­bens­wer­ter scheint uns das Le­ben, lieb­li­cher duf­ten die Blu­men, hel­ler leuch­tet der Son­nen­schein, hol­der sin­gen die Vö­gel, mun­te­rer plät­schern die Wel­len, mit hei­ße­rem Be­mü­hen su­chen wir nach der Pfor­te un­se­rer See­le, un­abläs­si­ger strebt un­se­re Sehn­sucht durch Ne­bel­mee­re zu wol­ken­lo­ser Rein­heit em­por, seit wir dich ken­nen, den ed­len fei­er­li­chen Men­schen vom Wal­den­see …

Tho­reau be­zog in Con­cord wie­der Emer­sons Haus und wohn­te dort wäh­rend der Ab­we­sen­heit des Freun­des in Eu­ro­pa. 1849 sie­del­te er in das vä­ter­li­che Haus über, wo er bis zum Ende sei­nes Le­bens ver­blieb. Schrift­stel­le­rei war jetzt sei­ne Haupt­be­schäf­ti­gung. Wah­re Freu­de emp­fand er nur beim Schaf­fen ei­nes Wer­kes. Er geiz­te nicht nach Er­folg: »Ich gebe ab und zu ein paar Wor­te aus, um mir Schwei­gen da­für zu kau­fen.« Au­ßer­dem hielt er in Städ­ten und Dör­fern Vor­trä­ge über alle mög­li­chen Ge­bie­te. Will­kom­me­ne Ab­wech­se­lung bo­ten fer­ner klei­ne­re und grö­ße­re Rei­sen an die See nach Cape Cod, das er drei­mal (1849, 50 und 53) be­such­te, nach Ca­na­da und in die Mai­ne-Wäl­der. Herr­lich sind die Schil­de­run­gen der Mee­res­küs­te in »Cape Cod«, we­ni­ger er­freu­lich und zu sehr mit Ein­zel­hei­ten über­la­den ist sein »Aus­flug nach Ca­na­da«, der 1853 im »Put­nam Ma­ga­zin« er­schi­en. Die Wan­de­run­gen in die Mai­ne-Wäl­der dienten haupt­säch­lich dem Stu­di­um in­dia­ni­scher Sit­ten und Ge­bräu­che. Der letz­te Aus­flug dort­hin fand 1857 statt. Erst nach Tho­re­aus Tode er­schi­en ein Werk über die­se Rei­sen un­ter dem Ti­tel »Die Mai­ne­wäl­der«. Es war wäh­rend sei­ner letz­ten Le­bens­mo­na­te sorg­fäl­tig von ihm vor­be­rei­tet wor­den und ent­hält eine Fül­le bo­ta­ni­scher, geo­lo­gi­scher und eth­no­lo­gi­scher Beo­b­ach­tun­gen in poe­ti­scher und phi­lo­so­phi­scher Ge­wan­dung.

Schon im Jah­re 1855 be­gann in­des­sen Tho­re­aus Ge­sund­heit nach­zu­las­sen. 1857 spricht er be­reits von »zwei In­va­li­di­täts­jah­ren«. Trotz­dem kam­pier­te er oft im Frei­en und setz­te sich al­len Un­bil­den der Wit­te­rung aus. 1857 starb – zwei­und­sie­ben­zig Jah­re alt – sein Va­ter. Jetzt hieß es Brot für Mut­ter und Schwes­ter schaf­fen. Wie­der wur­de die Blei­stift­fa­bri­ka­ti­on auf­ge­nom­men und das Ein­kom­men da­durch ver­mehrt, daß er aufs neue Land­ver­mes­sun­gen mach­te, bald ei­nem Far­mer ein Boot bau­te, bald beim Stall­bau half oder ein Haus an­mal­te – kurz, »so vie­le Ge­wer­be aus­üb­te, als er Fin­ger hat­te«. Da­bei ar­bei­te­te er flei­ßig an sei­nen Ta­ge­bü­chern und Ma­nu­skrip­ten wei­ter, ohne ein grö­ße­res Werk zu ver­öf­fent­li­chen. Ar­beit­sam aber äu­ßer­lich ru­hig floß sein Le­ben da­hin.

Im­mer mehr aber gähr­te es in den Ve­rei­nig­ten Staa­ten, im­mer hef­ti­ger ent­brann­te der Kampf um die Skla­ver­eifra­ge. Als der obers­te ame­ri­ka­ni­sche Ge­richts­hof den Skla­ven­hal­tern in den Süd­staa­ten nur all­zu­weit ent­ge­gen­kam, in­dem er ent­schied: »Skla­ven sind und blei­ben un­ter al­len Um­stän­den Ei­gen­tum ih­res Herrn, ein Auf­ent­halt in frem­den Län­dern än­dert nichts an ih­rer Stel­lung, die Skla­ven müs­sen zu ih­rer eig­nen Wohl­fahrt in Skla­ve­rei fort­le­ben«, wuchs die Er­bit­te­rung ge­gen die An­ma­ßung der Skla­ven­hal­ter in dro­hen­dem Maße und wur­de durch die Li­te­ra­tur – durch »On­kel Toms Hüt­te«, ein Buch, das eine Auf­la­ge von mehr als drei­hun­dert­tau­send Exem­pla­ren fand, durch die Selbst­bio­gra­phie des Ne­gers Dou­glas und durch Hild­retts »Wei­ßer Skla­ve« – leb­haft ge­schürt. Die Skla­ve­rei be­steht zu Recht in mo­ra­li­scher, re­li­gi­öser und po­li­ti­scher Be­zie­hung, sag­te man im Sü­den, wo sich all­mäh­lich eine Ari­sto­kra­tie aus­ge­bil­det hat­te, die den Men­schen nach der An­zahl sei­ner Skla­ven be­ur­teil­te und die »freie Ar­beit« des Nor­dens, ja, die Ar­beit an sich als ver­ächt­lich an­sah. In den Nord­staa­ten aber tra­ten Män­ner auf, die of­fen er­klär­ten, in ei­nem Lan­de nicht le­ben zu wol­len, wo Män­ner und Frau­en wie Vieh auf­ge­zo­gen, wo »Vä­ter, Müt­ter und Kin­der wie Ware ver­kauft« wür­den. Noch ra­di­ka­ler dach­te John Brown, ein be­geis­ter­ter, fa­na­ti­scher Pu­ri­ta­ner, Loh­ger­ber sei­nes Zei­chens. Er hat­te sich bis­lang nicht am po­li­ti­schen Le­ben be­tei­ligt, be­gann aber jetzt im Staa­te Kan­sas mit sol­cher Ener­gie ge­gen die Skla­ve­rei Op­po­si­ti­on zu ma­chen und so vie­len Ne­gern zur Flucht gen Nor­den zu ver­hel­fen, daß der Staat einen Preis von drei­tau­send Dol­lars für sei­ne Er­grei­fung aus­setz­te. Brown, der be­reit war, aus in­ners­ter Über­zeu­gung sein Le­ben für die Be­frei­ung der Skla­ven hin­zu­ge­ben, zog nach Vir­gi­nia. Dort be­mäch­tig­te er sich mit nur we­ni­gen Ge­treu­en der Rüst­kam­mer zu Har­pers Fer­ry, um die Auf­stän­di­schen be­waff­nen zu kön­nen. Doch schon am nächs­ten Tage wur­de er nach ver­zwei­fel­ter Ge­gen­wehr von den Ne­gie­rungs­trup­pen er­grif­fen und ins Ge­fäng­nis ab­ge­führt. Als man ihn frag­te, in wes­sen Na­men er das Ei­gen­tum des Staa­tes in Be­sitz ge­nom­men habe, ant­wor­te­te er: »Im Na­men Got­tes, des großen Je­ho­va!«

Ein eben­so glü­hen­der Abo­li­tio­nist wie Brown war Tho­reau. (Abo­li­tio­nis­ten wur­den die Leu­te ge­nannt, die, ohne ei­ner be­stimm­ten po­li­ti­schen Par­tei an­zu­ge­hö­ren, in Wort und Schrift auf die Ab­schaf­fung der Skla­ve­rei hin­ar­bei­te­ten.) Tho­reau selbst hat­te ab und zu einen flüch­ti­gen Skla­ven be­her­bergt und ge­pflegt. 1857 kam John Brown nach Con­cord, um dort einen Vor­trag über »Skla­ve­rei« zu hal­ten. Tho­reau wur­de mit ihm be­kannt. Der Au­gen­blick des ers­ten Se­hens schlang ein Freund­schafts­band um die­se bei­den Män­ner. Browns Wor­te: »Baue einen Palast in dir selbst, oder die Welt wird dein Ker­ker« wa­ren Tho­reau aus der See­le ge­spro­chen. Mit leb­haf­ter An­teil­nah­me ver­folg­te er hin­fort die Schick­sa­le die­ses Man­nes, der wie kein zwei­ter in die­ser Fra­ge mit ihm über­ein­stimm­te, und der ihm wie kein zwei­ter be­ru­fen zu sein schi­en, eine lei­ten­de Rol­le in dem un­ver­meid­li­chen Kamp­fe zu spie­len. Da drang die Schre­ckens­kun­de zu ihm: Brown, sein Freund, sein geis­ti­ger Bru­der, war in Ge­fan­gen­schaft, stand in Vir­gi­nia vor Ge­richt und hat­te den Tod durch Hen­kers­hand vor Au­gen! Die Stim­men, die noch so­eben die­ses Man­nes Lob ge­sun­gen hat­ten, ver­stumm­ten: für den Stö­rer des Land­frie­dens, für den Re­vo­lu­tio­när und An­ar­chis­ten Brown fand nie­mand – auch kein Skla­ver­ei­geg­ner – ein Wort der Ver­tei­di­gung. Der Wald­ein­sied­ler aber, der Con­cord­phi­lo­soph, fühl­te vor Zorn über sei­ne Lands­leu­te, vor Mit­leid mit sei­nem Freun­de das Blut in den Schlä­fen po­chen. Schwei­gen oder Ab­war­ten dünk­te ihm hier Feig­heit. Er sand­te in Con­cord von Haus zu Haus und lud die Be­woh­ner zu ei­ner Ver­samm­lung ein. Mit­glie­der po­li­ti­scher Verei­ne ver­such­ten ver­geb­lich, ihn von sei­nem Vor­ha­ben ab­zu­brin­gen. Er sprach – sprach an­dert­halb Stun­den lang vor ei­ner großen Men­schen­men­ge, ver­herr­lich­te den al­ten Hel­den, fand gleich glü­hen­de Wor­te für den Freund wie für den Haß ge­gen die Re­gie­rung … »Denkt doch an sei­ne sel­te­nen Ei­gen­schaf­ten! Jahr­hun­der­te wa­ren nö­tig, um die­sen Mann zu schaf­fen, Jahr­hun­der­te wa­ren nö­tig, um ihn zu be­grei­fen. Es ist kein Po­panz, kein Ver­tre­ter ir­gend ei­ner Par­tei! Ei­nen Mann wie ihn, der aus dem kost­bars­ten Ma­te­ri­al ge­schaf­fen und ge­sandt wur­de, um die zu be­frei­en, die in Fes­seln schmach­ten, wird die Son­ne viel­leicht nie wie­der in die­sem herr­li­chen Lan­de be­schei­nen! Und Ihr könnt ihn nur dazu ge­brau­chen ihn am Ende ei­nes Strickes auf­zu­hän­gen! Ehrt Euch selbst und lernt ihn be­grei­fen. Eu­rer Ach­tung wahr­lich be­darf er nicht!« … So sprach ein Held für einen Hel­den. So leb­te ein Phi­lo­soph sei­ne Phi­lo­so­phie. So lieb­te ein Freund den Freund …

Brown aber ward ge­henkt. Auf ei­nem Acker bei Charle­ston starb der ech­te Men­schen­freund. »Wie schön sind doch die­se Korn­fel­der« wa­ren sei­ne letz­ten Wor­te. In den neu­eng­li­schen Staa­ten wur­den über­all Trau­er­got­tes­diens­te an­ge­ord­net, die Glo­cken läu­te­ten und von den Kan­zeln her­ab wur­de das Volk zur Ra­che für den Frei­heits­kämp­fer auf­ge­for­dert. Die Kriegs­fa­ckel lo­der­te auch bald em­por und auf dem Mar­sche san­gen die Sol­da­ten:

»John Browns Kör­per, der liegt mo­dernd in der Erd’, Sei­ne See­le aber zieht mit uns zum Streit. Glo­ria, glo­ria, glo­ria, Hal­le­lu­jah!«

Und wer weiß, was ge­sche­hen wäre, wenn die er­erb­te Lun­gen­krank­heit nicht schon jetzt Tho­re­aus Le­bens­kraft un­ter­gra­ben hät­te! Vi­el­leicht wä­ren wir ihm auf dem Schlacht­feld wie­der be­geg­net. Doch all­zu schnell san­ken sei­ne Kräf­te. Tap­fer und ge­dul­dig er­trug er al­les. »Es war un­mög­lich, in sei­ner Ge­gen­wart trau­rig zu sein«, sagt sei­ne Schwes­ter. Schon 1862 starb er am sechs­ten Tage des Mo­nats Mai im fünf­und­vier­zigs­ten Le­bens­jah­re. Auf dem Fried­hof zu Con­cord liegt er be­gra­ben. Ein ein­fa­cher Stein schmückt sein Grab. Auf ihm soll­ten die Wor­te ste­hen, die Tho­reau einst in sein Ta­ge­buch schrieb:

»Vor Freu­de könn­te ich die Erde um­ar­men, Freu­de er­füllt mich, daß ich der­einst in ihr ru­hen wer­de.« –

Tho­reau war eine In­di­vi­dua­li­tät. Er hat­te kei­nen Vor­gän­ger, er kann auch kei­nen Nach­fol­ger ha­ben. Manch güns­ti­ges und manch un­güns­ti­ges Ur­teil ist über ihn ge­fällt wor­den, sagt Tor­rey, ei­nes aber läßt sich nicht leug­nen: Als Gan­zes ge­nom­men hat­te er nicht sei­nes­glei­chen. Wohl ha­ben auch an­de­re Men­schen Ein­fach­heit ge­pre­digt, in frei­wil­li­ger Ar­mut ge­lebt, die Na­tur von Her­zen ge­liebt und sich an ihre Brust ge­flüch­tet, wohl ha­ben auch an­de­re vor und nach Tho­reau die Zi­vi­li­sa­ti­on ge­ring ge­schätzt und die Kul­tur zu­rück­er­sehnt und ih­ren Lands­leu­ten den Spie­gel der Wahr­heit vor­ge­hal­ten, wohl ha­ben auch an­de­re an »eine ab­so­lu­te Güte«, an eine Weis­heit hoch­er­ha­ben über mensch­li­ches Wis­sen ge­glaubt – doch Tho­reau als Gan­zes: als Dich­ter und Idea­list, als Stoi­ker, Zy­ni­ker, Na­tur­for­scher und Mys­ti­ker, als der Freund­schaft-Er­seh­nen­de, Rein­heit-Su­chen­de, Vollen­dungs-Durs­ti­ge, Ar­mut-Stol­ze – wo hat er sei­nes­glei­chen? Er war kein Rous­seau, denn Ei­tel­keit war ihm fremd und Ge­ständ­nis­se hat­te er nicht zu ma­chen. Er war kein Tol­stoj, denn schon in frü­her Ju­gend fuhr er mit vol­len Se­geln ins wei­te Meer hin­aus, das Wun­der­land sei­ner Sehn­sucht zu su­chen. Nie än­der­te er den Kurs. Im­mer blieb er sich sel­ber treu. Er war kein Mon­taig­ne, kein Char­ron. Eher dann noch ein Jef­fe­ries, der wie Tho­reau die Tra­di­ti­on ver­ach­te­te, lei­den­schaft­lich die Wäl­der, Fel­der und Strö­me lieb­te und über die glei­che Kraft der Spra­che ver­füg­te, um Ge­schau­tes zu ver­kün­den. Nein, als Gan­zes ge­nom­men hat­te er nicht sei­nes­glei­chen. Er war, wie Emer­son sagt, ein Pro­tes­tant à l'ou­tran­ce. Er hat­te kei­nen aus­ge­spro­che­nen Be­ruf, hei­ra­te­te nicht, wähl­te nicht, ging nie zur Kir­che und hielt kei­nen Sab­bat, wei­ger­te sich Steu­ern zu be­zah­len, aß kein Fleisch, trank kei­nen Kaf­fee oder Wein und ge­brauch­te kei­nen Ta­bak. Er woll­te da­durch reich sein, daß er sei­ne Be­dürf­nis­se her­ab­setz­te, und das, was er ge­brauch­te, mit ei­ge­nen Hän­den sich schuf. Sein Man­tel war nachts sei­ne De­cke, sei­ne Bü­cher band er selbst ein, sei­ne Mö­bel wa­ren sei­ner Hän­de Werk. Was er für recht hielt, ver­tei­dig­te er rück­halt­los. Er kann­te kei­ne Zu­ge­ständ­nis­se. Wie Nietz­sche han­del­te er nach dem Grund­satz: »Ein Weg – ein Ziel – eine ge­ra­de Li­nie.« Wahr­heit kün­de­ten all sein Wor­te, all sei­ne Ta­ten. Er lieb­te sein Va­ter­land von Ker­zen und sei­ne Ab­nei­gung ge­gen eng­li­sche und eu­ro­päi­sche Sit­ten grenz­te oft an Ver­ach­tung. Er woll­te nicht auf »Rui­nen« woh­nen. Con­cord selbst war ihm das Zen­trum der Welt. Die Na­tur sei­ner en­ge­ren Hei­mat lehr­te ihn die Na­tur des Kos­mos be­grei­fen. Freun­de lu­den ihn ein nach dem Yel­low­sto­ne, nach Süd­ame­ri­ka mit ih­nen zu rei­sen. Er lehn­te ab. Er fand, daß die Flo­ra von Massa­chu­setts fast alle wich­ti­gen Pflan­zen Nord­ame­ri­kas auf­wies, und ei­nem Freun­de, der ihm ein Buch über eine ark­ti­sche Ex­pe­di­ti­on ge­lie­hen hat­te, gab er es mit der Be­mer­kung zu­rück, daß die meis­ten in dem Bu­che ge­schil­der­ten Phä­no­me­ne auch in Con­cord zu be­ob­ach­ten sei­en. So in­nig wie sein gan­zes We­sen sich zum Wal­den­teich und zu den Wal­den­wäl­dern hin­ge­zo­gen fühl­te, ist jetzt sei­ne Name mit die­sem Stück­chen Erde ver­knüpft.

Tho­re­aus kur­ze Ge­stalt zeig­te hän­gen­de Schul­tern und eine auf­fal­lend fla­che Brust. Sei­ne Ge­sichts­far­be war hell, die Stirn nicht be­son­ders hoch oder breit, aber voll Ener­gie. Die Au­gen wa­ren tief­blau, sei­ne Lip­pen et­was vor­ste­hend. In spä­te­ren Jah­ren trug er einen Voll­bart. Sei­ne Sin­ne wa­ren wun­der­bar aus­ge­bil­det. Sie wa­ren ihm die Ein­gangs­pfor­ten zur See­le. Er hielt sie of­fen und un­be­fleckt. Er sah eine Was­ser­li­lie oder ein Was­ser­läu­fe­r­in­sekt in Ent­fer­nun­gen, wo kein an­de­rer sie zu er­bli­cken ver­moch­te. Er roch den Dampf ei­ner Ta­baks­pfei­fe oft eine Vier­tel­mei­le weit. Er konn­te in der tiefs­ten Dun­kel­heit den Weg durch die Wäl­der fin­den. Es war ihm ein leich­tes, die Höhe ei­nes Bau­mes mit den Au­gen ge­nau zu mes­sen. Das Ge­wicht ei­nes Schwei­nes oder ei­ner Kuh konn­te er an­ge­ben wie ein Vieh­händ­ler. Die Ent­fer­nung wuß­te er zu schät­zen wie ein In­dia­ner. Der schlech­te Ge­ruch, den nachts die Wohn­häu­ser aus­strö­men, war ihm zu­wi­der. Täg­lich lehr­te ihn die Na­tur Neu­es. Bur­roughs sagt mit Recht: »Tho­reau er­forsch­te nicht so sehr die Na­tur wie das Über­na­tür­li­che; er schau­te nicht die Na­tur an, son­dern durch sie hin­durch, dar­um mach­te er im na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Sin­ne auch kei­ne großen Ent­de­ckun­gen.« Al­ler­dings: er be­ob­ach­te­te jede Blu­me, je­den Vo­gel, die Amei­se so gut wie die Bi­sam­rat­te oder das Mur­mel­tier. Er fühlt mit er­star­ren­dem Fin­ger durch den Schnee nach Pflan­zen und un­ter­sucht sie un­ter dem Was­ser­spie­gel. Er scheut kei­ne Mühe, die wie­der­keh­ren­den Was­ser­vö­gel zu be­lau­schen und kriecht des­we­gen über Hü­gel und Sümp­fe. Aber hin­ter all die­sen Beo­b­ach­tun­gen und Tat­sa­chen sieht er die kos­mi­schen Ge­set­ze. Er ist be­trübt, wenn er er­kennt, daß kein Mensch flink ge­nug ist, um bei der »ers­ten Früh­lings­stun­de zu­ge­gen zu sein«. Et­was wie »Grö­ße« kennt er nicht. Der Wal­den­teich ist ihm ein klei­ner Ozean und der at­lan­ti­sche Ozean ein großer Wal­den­teich. Alle sei­ne Beo­b­ach­tun­gen trägt er in sein Ta­ge­buch ein. Er hat ein Ver­zeich­nis der Pflan­zen, die an ei­nem be­stimm­ten Tage blü­hen wer­den. Was­ser­li­li­en, Gen­ti­an und Im­mer­grün er­freu­en sich sei­ner be­son­de­ren Vor­lie­be. Er ent­zückt sich am Echo, »an des Wal­des Stim­me«. Mit Be­trüb­nis sieht er, wie man über­all die Bäu­me fällt. Gott­lob! Die Wol­ken am Him­mel konn­te man ihm nicht ab­ha­cken!

Mit den Tie­ren stand er auf fast eben­so ver­trau­tem Fuße. Hö­ren wir, was Emer­son dar­über sagt: »Tho­reau konn­te un­be­weg­lich stun­den­lang auf ei­nem Fel­sen sit­zen blei­ben, bis die Tie­re, die vor ihm ge­flo­hen wa­ren, Vo­gel, Rep­til oder Fisch, zu­rück­kehr­ten und ihre Ge­wohn­hei­ten wie­der auf­nah­men, ja, von Neu­gier ge­trie­ben, nä­her ka­men, um ihn zu be­ob­ach­ten.« Wir wür­den es kaum glau­ben, wenn nicht Emer­son es wäre, der wei­ter­hin sagt: »Schlan­gen wan­den sich um sei­ne Bei­ne, die Fi­sche schwam­men auf ihn zu, und lie­ßen sich von ihm aus dem Was­ser neh­men, die Vö­gel setz­ten sich auf sei­ne Schul­tern (oder auf das Holz, das er in sei­nen Ar­men zur Hüt­te trug) und Eich­hörn­chen lie­fen ihm über die Füße, wenn das ge­ra­de der nächs­te Weg war.« Die Erde war für ihn kein Ge­gen­stand kal­ter Beo­b­ach­tun­gen, son­dern ein großes, le­ben­des We­sen, und al­les, was sie ge­bar, lieb­te er. »Gott, ich dan­ke Dir,« schreibt er in sein Ta­ge­buch, »ich bin Dei­ner Gna­de un­wür­dig. Und doch ist die Welt für mich ver­gol­det, hohe Fei­er­ta­ge sind mir be­rei­tet und mit Blu­men ist mein Pfad be­streut! O, hal­te mei­ne Sin­ne rein!« … Die ein­fachs­ten Töne wa­ren ihm die schöns­te Mu­sik. Das Bel­len ei­nes Hun­des in der Nacht, ja selbst das Sum­men ei­nes Te­le­gra­phen­drah­tes konn­te ihn poe­tisch in­spi­rie­ren. Wenn der Sturm­wind um sei­ne Hüt­te braus­te, er­klan­gen ihm Sym­pho­ni­en, und wenn vom Dorf her lei­se die Klän­ge ei­ner Har­mo­ni­ka zu ihm her­über­schall­ten, war er die­sem Spiel­mann dank­bar, weil er fühl­te, daß durch des­sen Mu­sik sei­ne Exis­tenz ver­tieft wur­de. Man denkt un­will­kür­lich an Nietz­sches Wort: »Wie we­nig ge­hört zum Glücke: Der Ton ei­nes Du­del­sacks« …

Und doch: zum dau­ern­den Glück be­durf­te Tho­reau mehr. Vor al­len Din­gen – Freund­schaft. Nach ihr sehn­te er sich sein Le­ben lang. Zahl­rei­che Stel­len in sei­nem Ta­ge­buch wei­sen dar­auf hin. Er will nichts wei­ter von sei­nen Freun­den »als Ehr­lich­keit, Auf­rich­tig­keit, ein Gran wirk­li­cher Hochach­tung, eine Ge­le­gen­heit, ein­mal im Jah­re die Wahr­heit zu spre­chen.« Und doch – wo wa­ren die Freun­de:

Der Freun­de harr' ich, Tag und Nacht be­reit. Wo bleibt Ihr Freun­de? Kommt! 's ist Zeit! 's ist Zeit!

Sie la­den ihn zu Gast, doch »sie zei­gen sich nicht«. Er »grämt sich, ver­hun­gert in ih­rer Nähe«. Sie be­han­deln ihn der­art, daß er sich »tau­send Mei­len weit fort« fühlt. »Ich ver­las­se mei­ne Freun­de bei­zei­ten. Ich gehe fort von ih­nen, und lieb­ko­se mein Freund­schaft­s­ide­al.« »Wie kommt's,« ruft er aus, »daß ich im­mer wie­der solch hohe An­for­de­run­gen an die Mensch­heit stel­le und so re­gel­mä­ßig ent­täuscht wer­de? Wis­sen mei­ne Freun­de, wie sehr ent­täuscht ich bin? Ist al­les mein Feh­ler? Bin ich zur Groß­mut, zur Selbst­lo­sig­keit un­fä­hig? Jede an­de­re An­kla­ge könn­te ich eher ge­gen mich er­he­ben!« »So un­ge­fähr,« schreibt Tho­reau, »wür­de ich als Freund zum Freun­de spre­chen: Nie er­bat ich Dei­ne Er­laub­nis, Dich lie­ben zu dür­fen. Ich be­sit­ze das Recht dazu. Ich lie­be Dich nicht als et­was In­di­vi­du­el­les, das Dir selbst ge­hör­t, son­dern als et­was Uni­ver­sel­les, Lie­bens­wer­tes, das ich ent­deckt ha­be. O, was für Ge­dan­ken ich über Dich hege! Du bist wahr­haft lau­ter, Du bist un­end­lich gut. Dir kann ich ver­trau­en in alle Ewig­keit. Ich wuß­te nicht, daß des Men­schen See­le so reich sei.« … Ja, sein Freund­schafts ideal fand er wohl sel­ten ver­wirk­licht. Vi­el­leicht nicht ein­mal ganz in Emer­son. 1853 schreibt er in sein Ta­ge­buch: »un­ter­hielt mich oder viel­mehr ver­such­te mich mit R. W. E. zu un­ter­hal­ten. Ver­lor Zeit, ja fast mei­ne Iden­ti­tät. Er op­po­nier­te dort, wo es gar kei­ne Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten gab, sprach in den Wind und ich ver­lor mei­ne Zeit, in­dem ich ver­such­te mir ein­zu­bil­den, nicht ich, son­dern ir­gend ein an­de­rer op­po­nie­re ihm.« Da moch­te der Tho­reau, der sag­te: »Ein Wort soll vom Freund zum Freun­de ge­hen wie der Blitz von Wol­ke zu Wol­ke, sich wohl »tau­send Mei­len fort« füh­len.

Frau­en spie­len in Tho­re­aus Le­ben kei­ne Rol­le. Eine »Ju­gend­lie­be«, die von man­chen Bio­gra­phen aus­führ­li­cher ge­schil­dert wird, ist eben­so un­in­ter­essant wie un­be­wie­sen. Mit ei­nem jun­gen Mäd­chen sich nur des­halb eine hal­be Stun­de lang zu un­ter­hal­ten, weil sie »re­gel­mä­ßi­ge Ge­sichts­zü­ge« hat­te, er­schi­en ihm eben­so zweck­los wie der Be­such von Ge­sell­schaf­ten. Er lieb­te es, al­lein zu sein: »Der ist ein rei­cher Mann und ge­nießt die Früch­te des Reich­tums, der im­mer­dar im Som­mer und Win­ter an sei­nen ei­ge­nen Ge­dan­ken sich er­freu­en kann. »Sei­ne Ein­sam­keit«, sagt ei­ner sei­ner Bio­gra­phen, »war Selbst­ver­tei­di­gung ohne Zwei­fel. Sein Ge­ni­us konn­te so we­nig wie Schmet­ter­lings­flü­gel die Berüh­rung rau­her Hän­de ver­tra­gen.« Doch je mehr er sich in die Na­tur ver­senk­te und er­kann­te, wel­che Lei­den­schaf­ten in ihr sich of­fen­bar­ten, de­sto mehr emp­fand er, wie et­was Wil­des in ihm selbst sich reg­te. Er fühl­te bis­wei­len den Drang, ein Mur­mel­tier zu er­grei­fen und roh zu ver­zeh­ren. »Ich wer­de wil­der von Tag zu Tage,« steht in ei­nem sei­ner Brie­fe, »als ob ich von ro­hem Fleisch mich näh­re, und mei­ne Zahm­heit ist nur die Ruhe mei­ner Un­be­zähm­bar­keit.« Bis­wei­len sehnt er sich da­nach, in ei­ner ent­le­ge­nen Soh­le drei Wo­chen in Käl­te und Näs­se wäh­rend ei­nes Stur­mes zu sit­zen, um sei­nem Or­ga­nis­mus Spann­kraft zu ge­ben. In­dia­ner, halb­wil­de Ir­län­der und Jä­ger be­sa­ßen stets sei­ne Vor­lie­be. Die­se Wild­heit war, wie sei­ne Wi­der­spens­tig­keit und sei­ne re­vo­lu­tio­näre Ge­sin­nung, ein Erb­teil fran­zö­si­schen Blu­tes, wäh­rend in sei­ner Ehr­lich­keit, in der Ver­ach­tung je­der Kon­ven­ti­on und in sei­ner Wahr­heits­lie­be das pu­ri­ta­ni­sche Ele­ment zum Vor­schein kam.

Sei­ner Fa­mi­lie war er von Her­zen zu­ge­tan. Kin­der lieb­te er bis zu sei­nem To­des­ta­ge. Oft zo­gen sie in Scha­ren mit ihm in Wäl­der und Fel­der zum Hei­del­beer­su­chen hin­aus, und dann wuß­te der Ein­sied­ler und Phi­lo­soph Töne an­zu­schla­gen, die un­mit­tel­bar in der Kin­der Her­zen dran­gen. Auch hier zeig­te sich der ein­fa­che Mann als tiefer Psy­cho­lo­ge.

Ja, nichts Men­sch­li­ches war ihm fremd. Er lieb­te das Le­ben, die Mut­ter Erde und all ihre Be­woh­ner. »Die Na­tur,« sagt er, »hat kei­nen mensch­li­chen Ein­woh­ner, der sie zu schät­zen weiß. Der Vö­gel Ge­fie­der und Ge­sang har­mo­nie­ren mit den Blu­men.

Doch wel­cher Jüng­ling, wel­ches Mäd­chen ver­senkt sich mit In­brunst in die wil­de, won­ni­ge Schön­heit der Na­tur? Sie blüht meis­tens im Ver­bor­ge­nen, fern von den Städ­ten, wo die Men­schen woh­nen. Schwätzt vom Him­mel – Ihr ent­weiht die Erde!«1

St. Louis, Mo., Ja­nu­ar 1905 Wil­helm Nob­be

Zu die­ser Skiz­ze wur­den be­nutzt: Salt: Li­fe of H. D. Tho­reau; Ste­ven­son: Fa­mi­li­ar Stu­dies of men and books; Lo­well: Lit­tera­ry Essays; Tho­reau: Let­ters to va­rious per­sons; Page: Tho­reau, his life and Aims; Chan­ningz The Poet Na­tu­ra­list; Bur­roughs: Li­tera­ry Va­lues and other pa­per­s; Kn­ortz: Ge­schich­te der nord­ame­ri­ka­ni­schen Li­te­ra­tur; An­nie Rus­sell Mar­ble: Tho­reau and his Fri­ends; Al­cott: Con­cord days; Tor­rey: Tho­reau as a Dia­rist. (At­lan­tic Month­ly)  <<<

Sparsamkeit

Als ich die fol­gen­den Sei­ten, oder viel­mehr den größ­ten Teil der­sel­ben schrieb, leb­te ich al­lein im Wal­de, eine Mei­le weit von je­dem Nach­barn ent­fernt in ei­nem Hau­se, das ich selbst am Ufer des Wal­den­tei­ches in Con­cord, Massa­chu­setts, er­baut hat­te und er­warb mei­nen Le­bens­un­ter­halt ein­zig durch mei­ner Hän­de Ar­beit. Ich leb­te dort zwei Jah­re und zwei Mo­na­te. Jetzt neh­me ich wie­der am zi­vi­li­sier­ten Le­ben teil.

Ich wür­de mei­ne An­ge­le­gen­hei­ten nicht so sehr der Kennt­nis mei­ner Le­ser auf­drän­gen, wenn nicht mei­ne Mit­bür­ger solch ge­naue Er­kun­di­gun­gen über mei­ne Le­bens­wei­se ein­ge­zo­gen hät­ten, daß man­cher ihr Vor­ge­hen wohl als un­er­träg­lich be­zeich­nen wür­de, wäh­rend ich es, in An­be­tracht der ob­wal­ten­den Ver­hält­nis­se, als sehr er­klär­lich und gar leicht er­träg­lich emp­fand. Die einen frag­ten, was ich ge­ges­sen, ob ich mich ein­sam ge­fühlt oder Furcht ge­habt habe usw. An­de­re hät­ten gern ge­wußt, wel­cher Teil mei­nes Ein­kom­mens von mir zu Wohl­tä­tig­keits­zwe­cken be­stimmt ge­we­sen sei, und wie­der an­de­re, die große Fa­mi­li­en hat­ten, woll­ten wis­sen, wie­viel arme Kin­der ich un­ter­stütz­te. Ich bit­te des­halb die­je­ni­gen mei­ner Le­ser, die kein be­son­de­res In­ter­es­se für mich füh­len, um Ver­zei­hung, wenn ich es wage ei­ni­ge die­ser Fra­gen in die­sem Bu­che zu be­ant­wor­ten. In den meis­ten Bü­chern sucht man das »Ich«, die ers­te Per­son, zu ver­mei­den. Hier will ich sie bei­be­hal­ten. Das ist, was den Ego­is­mus an­be­trifft, der ein­zi­ge Un­ter­schied. Meis­tens ver­ges­sen wir, daß es doch nur die ers­te Per­son ist, die re­det. Ich wür­de nicht so viel über mich sel­ber spre­chen, wenn es einen an­de­ren Men­schen gäbe, den ich ge­ra­de so gut ken­nen wür­de. Lei­der bin ich durch den en­gen Kreis mei­ner Er­fah­run­gen auf die­ses The­ma be­schränkt. Über­dies ver­lan­ge ich für mei­ne Per­son von je­dem Schrift­stel­ler als Vor­re­de oder als Schluß­wort einen ein­fa­chen und ehr­li­chen Be­richt über sein Le­ben, und nicht bloß das, was er über an­de­rer Men­schen Le­ben hör­te. Ei­nen Be­richt, wie er ihn etwa aus fer­nem Lan­de an sei­ne Ver­wand­ten schi­cken wür­de. Denn wenn er ehr­lich und lau­ter ge­lebt hat, so muß das in ei­nem weit von mir ent­fern­ten Lan­de ge­we­sen sein. Vi­el­leicht sind die­se Zei­len haupt­säch­lich an arme Stu­den­ten ge­rich­tet. Mei­ne üb­ri­gen Le­ser müs­sen sich schon die Stel­len, die ih­nen ge­nehm sind, an­eig­nen. Ich hof­fe zu­ver­sicht­lich, daß nie­mand bei der An­pro­be die Näh­te des Rockes aus­dehnt, denn der Rock kann dem, dem er paßt, viel­leicht gute Diens­te leis­ten.

Ich möch­te gern man­cher­lei sa­gen – nicht so viel über die Chi­ne­sen und Sand­wichs­in­su­la­ner als über Euch, die Ihr die­se Zei­len lest und die Ihr in Neu­eng­land le­ben sollt; et­was über Eure Zu­stän­de, haupt­säch­lich über Eure äu­ße­ren Zu­stän­de oder Ver­hält­nis­se in die­ser Welt, in die­ser Stadt, wel­cher Art sie sind, ob sie not­wen­di­ger Wei­se so schlecht sein müs­sen wie sie sind, oder ob sie nicht eben­so leicht ver­bes­sert wer­den könn­ten wie nicht. Ich bin kreuz und quer in Con­cord her­um­ge­wan­dert, und über­all in den Lä­den, in den Bü­ros und auf den Fel­dern ge­wann ich den Ein­druck, daß die Be­woh­ner auf tau­send­fa­che, merk­wür­di­ge Wei­se für ihre Sün­den büß­ten. Ich habe ge­hört, daß die Brah­ma­nen sich der Hit­ze von vier Feu­ern aus­set­zen, ins Ant­litz der Son­ne schau­en, oder daß sie, den Kopf nach un­ten, über ei­nem Feu­er hän­gen, daß sie über ihre Schul­ter gen Him­mel bli­cken, »bis es ih­nen un­mög­lich wird ihre na­tür­li­che Stel­lung wie­der ein­zu­neh­men, wäh­rend durch die Ver­dre­hung des Hal­ses nur Flüs­sig­kei­ten in den Ma­gen ge­lan­gen kön­nen.« Ich habe ge­hört, daß sie ihr gan­zes Le­ben an­ge­ket­tet an die Wur­zel ei­nes Bau­mes ver­brin­gen, oder daß sie wie Rau­pen krie­chend un­ge­heu­re Rei­che aus­mes­sen, oder mit ei­nem Fuße auf der Spit­ze ei­ner Säu­le ste­hen. Doch die­se Äu­ße­run­gen be­wuß­ter Reue sind kaum un­glaub­li­cher oder er­staun­li­cher als die Sze­nen, de­ren Zeu­ge ich täg­lich bin. Die zwölf Ar­bei­ten des Her­ku­les wa­ren be­lang­los im Ver­gleich mit de­nen, die mei­ne Nach­barn un­ter­nom­men ha­ben. Denn Her­ku­les hat­te nur zwölf Ar­bei­ten zu ver­rich­ten, dann war er fer­tig. Ich konn­te da­ge­gen nie­mals be­ob­ach­ten, daß die­se Men­schen ein Un­ge­heu­er er­schlu­gen oder ein­fin­gen, oder daß sie ir­gend eine Ar­beit be­en­dig­ten. Ih­nen fehl­te der Freund Jo­la­os, der mit glü­hen­dem Ei­sen den Hals der Hy­dra ver­seng­te. Da­rum wach­sen, so­bald ein Kopf zer­schmet­tert ist, zwei neue nach.

Ich sehe jun­ge Leu­te, mei­ne Mit­bür­ger, de­ren Un­glück es ist, daß sie Bau­ern­hö­fe, Häu­ser, Scheu­nen, Vieh und Acker­ge­rät ge­erbt ha­ben. Denn sol­che Din­ge sind leich­ter er­wor­ben als an den Mann ge­bracht. Es stän­de bes­ser um sie, wä­ren sie auf of­fe­ner Wei­de ge­bo­ren und von ei­ner Wöl­fin ge­säugt, denn dann wür­den sie mit kla­re­ren Au­gen er­ken­nen, wo das wah­re Feld ih­rer Tä­tig­keit liegt. Wer hieß sie Skla­ven des Bo­dens sein? Wa­rum sol­len sie ihre 60 Mor­gen Land ver­zeh­ren, wenn ein Mensch doch nur dazu ver­dammt ist sein Häuf­chen Schmutz zu es­sen? Wa­rum sol­len sie gleich nach der Ge­burt da­mit be­gin­nen ihr Grab zu gra­ben? Sie sol­len ein Men­schen­da­sein füh­ren, sich da­bei mit all die­sen Din­gen ab­pla­gen und so gut wie mög­lich vor­wärts zu kom­men ver­su­chen. Wie man­che arme un­s­terb­li­che See­le kreuz­te mei­nen Weg, fast er­drückt und er­stickt un­ter ih­rer Last! Sie kroch des Le­bens Gleis hin­ab und plag­te sich mit Stäl­len ab, die 75 zu 40 Fuß groß wa­ren – mit Au­gi­as­stäl­len, die nie­mals ge­rei­nigt wur­den, mit hun­dert Mor­gen Land, Äckern, Wie­sen, Wei­den und Wald­par­zel­len! Die Un­be­gü­ter­ten, die sich nicht mit sol­chen un­nö­ti­gen, er­erb­ten Fro­nen her­um­bal­gen, ha­ben ge­nug zu tun ein paar Ku­bik­fuß Fleisch zu be­herr­schen und zu kul­ti­vie­ren.

Doch die Mensch­heit krankt an ei­nem Irr­tum. Der bes­se­re Teil der Men­schen ist bald als Dün­ger un­ter den Erd­bo­den ge­pflügt. Das schein­ba­re Ver­häng­nis – ge­wöhn­lich Schick­sal ge­nannt – heißt sie, wie in ei­nem al­ten Bu­che ge­schrie­ben steht, Schät­ze sam­meln, wel­che die Mot­ten und der Rost fres­sen und de­nen die Die­be nach­gra­ben und steh­len. Ein Nar­ren­le­ben ha­ben sie ge­führt: das wird ih­nen am Abend ih­res Da­seins, viel­leicht auch schon frü­her klar wer­den. Man er­zählt, daß Deu­ka­li­on und Pyr­rha da­durch Men­schen er­zeug­ten, daß sie Stei­ne über ihre Häup­ter hin­ter sich war­fen:

»Inde ge­nus du­rum su­mus, ex­pe­ri­ens­que la­borum Et do­cu­men­ta da­mus quia su­mus ori­gi­ne nati.«1

Ra­leighs wohl­klin­gen­de Über­set­zung die­ser Wor­te lau­tet:

From thence our kind hard-he­ar­ted is, en­du­ring pain and care, Appro­ving that our bo­dies of a stony na­ture are.

So kann es ge­hen, wenn man ei­nem fa­seln­den Ora­kel blind ge­horcht, Stei­ne über sei­nen Kopf wirft und nicht sieht wo­hin sie fal­len.

Die meis­ten Men­schen sind, selbst in die­sem ver­hält­nis­mä­ßig frei­en Lan­de, aus rei­ner Un­wis­sen­heit und Ver­blen­dung so sehr durch die künst­li­chen Sor­gen und die über­flüs­si­gen, gro­ben Ar­bei­ten des Le­bens in An­spruch ge­nom­men, daß sei­ne ed­le­ren Früch­te nicht von ih­nen ge­pflückt wer­den kön­nen. Ihre Fin­ger sind durch über­mä­ßi­ge Ar­beit zu plump ge­wor­den, sie zit­tern zu sehr bei sol­chem Be­gin­nen. Tat­säch­lich hat der ar­bei­ten­de Mensch Tag für Tag kei­ne Zeit zur in­ne­ren Läu­te­rung. Es ist ihm un­mög­lich die mensch­li­chen Be­zie­hun­gen zu den Men­schen zu un­ter­hal­ten. Sei­ne Ar­beit wür­de auf dem Mark­te im Prei­se sin­ken. Er hat nur Zeit eine Ma­schi­ne zu sein. Wie kann der sei­ner Un­wis­sen­heit ab­hel­fen – und das for­dert doch sei­ne geis­ti­ge Wei­ter­ent­wi­cke­lung –, der sei­ne Kennt­nis­se so oft ge­brau­chen muß! Wir soll­ten ihn ab und zu aus ei­ge­nem An­trieb er­näh­ren und klei­den, ihm eine Her­zer­qui­ckung ge­ben, be­vor wir ein Ur­teil über ihn fäl­len. Die kost­bars­ten Ei­gen­schaf­ten un­se­res We­sens kön­nen, wie der Flaum der Früch­te, nur durch die zar­tes­te Be­hand­lung er­hal­ten blei­ben. Doch wir be­han­deln we­der uns selbst noch die an­dern so zart­füh­lend.

Ei­ni­ge von Euch sind arm, das wis­sen wir alle. Ei­ni­ge von Euch ha­ben schwer mit dem Le­ben zu kämp­fen und schnap­pen, so­zu­sa­gen, von Zeit zu Zeit nach Luft. Ich be­zweifle nicht, daß ei­ni­ge Le­ser die­ses Bu­ches nicht im­stan­de sind alle die Mit­tag­ses­sen, die sie in Wirk­lich­keit ver­zehr­ten, oder die Klei­der und Schu­he, die so schnell sich ab­nut­zen oder schon ab­ge­tra­gen sind, zu be­zah­len, daß sie nur des­halb bis hier­her ge­le­sen ha­ben, weil sie ge­lie­he­ne oder ge­stoh­le­ne Zeit dazu ver­wen­de­ten und so­mit ihre Gläu­bi­ger um eine Stun­de be­tro­gen. Für mich ist es eine nack­te Tat­sa­che, daß man­che von Euch ein elen­des und nied­ri­ges Da­sein füh­ren, denn mei­ne Au­gen sind durch die Er­fah­rung ge­schärft. Alle Eure Ver­su­che dre­hen sich dar­um, ins Ge­schäft hin­ein- oder aus Schul­den her­aus­zu­kom­men, aus je­nem ur­al­ten Mo­ras­te, den die Rö­mer aes ali­e­num nann­ten, ei­nes an­de­ren Kup­fer, denn ei­ni­ge ih­rer Mün­zen wur­den aus Kup­fer ver­fer­tigt. Ihr lebt, Ihr sterbt, Ihr wer­det be­gra­ben durch das Kup­fer ei­nes an­de­ren. Im­mer ver­sprecht Ihr zu be­zah­len, mor­gen zu be­zah­len, und da­bei sterbt Ihr heu­te – ban­ke­rott. Auf alle Ar­ten ver­sucht Ihr Euch bei an­de­ren ein­zu­schmei­cheln, Kund­schaft zu be­kom­men – nur vor Ge­set­zes­über­tre­tun­gen und Ge­fäng­nis hü­tet Ihr Euch. Ihr lügt, schmei­chelt, wählt, kriecht mit Eu­rer Höf­lich­keit in ein Schne­cken­haus hin­ein oder dehnt Euch zu ei­ner Wol­ke seich­ter und duns­ti­ger Groß­mut aus, um Eu­ren Nach­barn zu be­we­gen Euch sei­ne Schu­he oder sei­nen Hut, sei­nen An­zug oder sei­nen Wa­gen ma­chen zu las­sen oder sei­nen Ge­würz­kram für ihn im­por­tie­ren zu dür­fen. Ihr macht Euch krank, da­mit Ihr et­was für Eure kran­ken Tage zu­sam­men­spart, et­was, was man in ei­ner al­ten Tru­he oder in ei­nem Strumpf hin­ter dem Wand­be­wurf, oder um noch si­che­rer zu ge­hen, bei ei­nem Ban­kier ver­steckt – ei­ner­lei wo, ei­ner­lei wie­viel oder wie we­nig.

Ich wun­de­re mich manch­mal dar­über, daß wir – ich möch­te fast sa­gen – so fri­vol sein kön­nen, uns um die schmut­zi­ge, aber et­was fer­ner lie­gen­de Form der Skla­ve­rei, um die so­ge­nann­te Ne­ger­skla­ve­rei zu küm­mern. Gibt es doch vie­le schlaue und fin­di­ge Skla­ven­hal­ter ge­ra­de so gut im Nor­den wie im Sü­den. Es ist hart ei­nem süd­li­chen, här­ter ei­nem nörd­li­chen Skla­ven­auf­se­her zu un­ter­ste­hen. Am schlimms­ten aber ist es um den be­stellt, der sein ei­ge­ner Skla­ven­trei­ber ist. Da schwätzt man vom Gött­li­chen im Men­schen! Schaut Euch den Fuhr­mann auf der Land­stra­ße an, der zu Mark­te fährt bei Tag oder bei Nacht. Of­fen­bart sich in ihm die Gott­heit? Sei­ne höchs­te Pf­licht heißt: Füt­te­re und trän­ke dei­ne Pfer­de! Was gilt ihm mehr – sein Schick­sal oder der Fracht­ver­kehr? Fährt er nicht für Herrn »Nim­mer­rast«? In­wie­fern ist er gott­ähn­lich, in­wie­fern un­s­terb­lich? Seht nur, wie er sich bückt und kriecht, wie er sich plan­los den lie­ben lan­gen Tag quält, er der we­der un­s­terb­lich noch gött­lich ist, son­dern nur der Ge­fan­ge­ne und Skla­ve des Bil­des, das er von sich selbst ent­warf, und das auf sei­nen Ta­ten fußt. Die öf­fent­li­che Mei­nung ist ein schwa­cher Ty­rann im Ver­gleich zu un­se­rer ei­ge­nen Pri­vat­mei­nung. Was ein Mensch von sich selbst denkt, das ist es, wo­durch sein Schick­sal be­stimmt oder viel­mehr pro­phe­zeit wird. Wo ist der Wil­ber­for­ce,2 der es ver­mag, selbst in den west­in­di­schen Ge­bie­ten ei­ner lau­nen­haf­ten Phan­ta­sie Selbst­be­frei­ung durch­zu­set­zen? Man möge fer­ner an die Da­men des Lan­des den­ken, die bis zum letz­ten Tage Toi­let­ten­kis­sen sti­cken, nur um kein all­zu leb­haf­tes In­ter­es­se an ih­rem Schick­sal zu ver­ra­ten! Als ob es mög­lich wäre die Zeit tot­zu­schla­gen, ohne die Ewig­keit zu ver­let­zen.

Die Mehr­zahl der Men­schen ver­bringt ihr Le­ben in stil­ler Verzweif­lung. Was wir »Re­si­gna­ti­on« nen­nen ist ab­so­lu­te Verzweif­lung. Von der ver­zwei­fel­ten Stadt zieht man aufs ver­zwei­fel­te Land hin­aus. Dort trös­tet man sich mit der Tap­fer­keit der Sumpf­ot­ter und der Mo­schus­rat­te. Eine ste­reo­ty­pe, wenn auch un­be­wuß­te Verzweif­lung ist selbst hin­ter den so­ge­nann­ten Ver­gnü­gun­gen und Un­ter­hal­tun­gen der Mensch­heit ver­bor­gen. Da kann von Ver­gnü­gen nicht die Rede sein, denn das kommt nach der Ar­beit. Für den Wei­sen ist es cha­rak­te­ris­tisch, daß er nichts Verzwei­fel­tes un­ter­nimmt.

Wenn wir uns über­le­gen, was (um die Wor­te des Ka­te­chis­mus zu ge­brau­chen) die Haupt­be­stim­mung des Men­schen ist und worin die not­wen­di­gen Le­bens­be­dürf­nis­se wirk­lich be­ste­hen, so scheint es, als ob die Men­schen nach rei­fer Über­le­gung die or­di­näre Art zu le­ben ge­wählt hät­ten, weil sie ihr vor je­der an­de­ren den Vor­zug ge­ben. Sie glau­ben al­len Erns­tes kei­ne Wahl zu ha­ben. Fri­sche und ge­sun­de Na­tu­ren er­in­nern sich da­ge­gen, daß die Son­ne klar auf­ging. Es ist nie­mals zu spät un­se­re Vor­ur­tei­le auf­zu­ge­ben. Auf kei­ne Fol­ge von Ge­dan­ken oder Ta­ten, ei­ner­lei wie alt, kann man sich ohne Prü­fung ver­las­sen. Was je­der­mann nach­be­tet oder mit Still­schwei­gen als wahr da­hin­ge­hen läßt, kann mor­gen als falsch sich er­wei­sen – als blo­ßer An­sichts­dunst, den man­che für eine Wol­ke hiel­ten, die be­fruch­ten­den Re­gen auf ihre Fel­der er­gie­ßen wür­de. Was alte Leu­te für un­aus­führ­bar hal­ten, wir ver­su­chen es, wir fin­den, daß es aus­ge­führt wer­den kann. Alte Ta­ten für alte Leu­te, neue Ta­ten für die neu­en! Einst ge­nüg­te das Wis­sen un­se­rer Ah­nen nicht, um Brenn­ma­te­ri­al zum Un­ter­hal­ten des Feu­ers zu sam­meln. Die Men­schen von heu­te le­gen ein we­nig tro­ckenes Rei­sig un­ter einen Kes­sel und sau­sen um den Erd­ball so schnell wie die Vö­gel. Den Al­ten wür­de da­bei, wie man sagt, angst und ban­ge wer­den. Das Al­ter ist nicht bes­ser, ja kaum so gut zum Lehr­meis­ter ge­eig­net als die Ju­gend. Denn es hat nicht so­viel ge­won­nen als es ver­lor. Man kann mit Recht be­zwei­feln, ob der wei­ses­te Mensch ir­gend et­was von ab­so­lu­tem Wert durch das Le­ben ge­lernt hat.

In Wirk­lich­keit ver­mö­gen die Al­ten der Ju­gend kei­nen wert­vol­len Rat zu ge­ben. Ihre ei­ge­nen Er­fah­run­gen sind Stück­werk ge­blie­ben, ihr Le­ben ist – aus per­sön­li­chen Grün­den wie sie na­tür­lich glau­ben– ein solch kläg­li­cher Mi­ßer­folg ge­we­sen. Und doch ist es mög­lich, daß sie noch et­was Selbst­ver­trau­en üb­rig ha­ben, wel­ches die­se Er­fah­rung Lü­gen straft. Sie sind ja nur we­ni­ger jung als sie ge­we­sen sind. Ich habe ei­ni­ge drei­ßig Jah­re auf die­sem Pla­ne­ten zu­ge­bracht, und doch habe ich bis­lang noch nicht die ers­te Sil­be ei­nes wert­vol­len oder selbst ernst­haf­ten Rat­schla­ges von mei­nen äl­te­ren Mit­menschen ge­hört. Sie ha­ben mir nichts Zweck­ent­spre­chen­des ge­sagt, sind dazu auch wahr­schein­lich nicht im­stan­de. Hier ist das Le­ben – ein im we­sent­li­chen von mir noch nicht ver­such­tes Ex­pe­ri­ment. Daß sie es ver­such­ten, nützt mir nichts. Zu ir­gend ei­ner Er­fah­rung, die ich für wert­voll hal­te, ha­ben mei­ne Rat­ge­ber, nach mei­ner Über­zeu­gung, nichts zu sa­gen ge­habt.

Ein Far­mer er­klär­te mir: »Sie kön­nen nicht von Pflan­zen­kost al­lein le­ben, denn sie trägt nichts zur Kno­chen­bil­dung bei.« Da­rum wid­met er gläu­big einen Teil des Ta­ges der Ver­sor­gung sei­nes Kör­pers mit dem Roh­ma­te­ri­al für Kno­chen. Und wäh­rend er, fort­wäh­rend spre­chend, hin­ter sei­nen Och­sen her­geht, wird er von ih­nen und ih­ren durch Ve­ge­ta­bi­li­en ge­nähr­ten Kno­chen mit sei­nem schwan­ken­den Pflu­ge über alle Hin­der­nis­se hin und her ge­zerrt. Man­che Din­ge sind für ge­wis­se Krei­se wirk­lich Le­bens­be­dürf­nis­se, und zwar für die Hilflo­sen und Kran­ken, wäh­rend sie für an­de­re bloß Lu­xus­ge­gen­stän­de, und wie­der an­de­ren völ­lig un­be­kannt sind. Es gibt Leu­te, die da glau­ben, das gan­ze Ge­biet des Men­schen­le­bens sei be­reits von ih­ren Vor­fah­ren in al­len Hö­hen und Tie­fen durch­forscht, alle Din­ge sei­en be­reits be­sorgt. Nach Eve­lyn3