Wallis und Edward. Eine Liebe, stärker als die Krone - Wendy Holden - E-Book
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Wallis und Edward. Eine Liebe, stärker als die Krone E-Book

Wendy Holden

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Beschreibung

Wallis Simpson stürzte das englische Königshaus in seine größte Krise London, 1928: Die 32-jährige Wallis kommt mit großen Erwartungen aus den USA nach England, um ihren zweiten Mann zu heiraten. Doch ihr Mann hat kaum Zeit für sie, und die Engländer sind Snobs ohne Interesse an ihr. Wallis ist einsam. Aber schließlich fasst sie sich ein Herz: Wenn sie niemand auf Partys einlädt, dann lädt sie sich eben selbst ein. Schon bald ist Wallis der Star der High Society von London. Schließlich lernt sie Edward, den Prinz von Wales, kennen. Um ihn ist es sofort geschehen, er empfindet eine Liebe zu Wallis wie zu keiner anderen Frau zuvor. Aber soll Wallis sich wirklich von ihrem Mann trennen und auf Edward einlassen? Und damit Teil einer Familie werden, der sie mit ihrer Freiheitsliebe niemals gerecht werden kann? Ein großer Roman über eine noch verborgene Seite des britischen Königshauses - für alle Fans von The Crown

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Wallis und Edward. Eine Liebe, stärker als die Krone

Die Autorin

Wendy Holden hat als Journalistin für The Sunday Times, Tatler und The Mail on Sunday gearbeitet, bevor sie sich dem Schreiben von Büchern zugewendet hat. Sie hat dreizehn Romane geschrieben, von denen jeder ein Bestseller in Großbritannien war. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Derbyshire.

Das Buch

Wallis Simpson - Freigeist und enfant terrible der KönigsfamilieLondon, 1928: Die 32-jährige Wallis kommt mit großen Erwartungen aus den USA nach England, um ihren zweiten Mann zu heiraten. Doch der hat weder Geld noch Zeit, und Wallis ist einsam. Aber sie verfolgt einen Plan: Nach und nach gelangt sie in die Kreise der High Society von London und lernt Edward kennen, den Prinzen von Wales. Sie schafft es, hinter seine Fassade zu schauen. Er verliebt sich unsterblich in sie. Aber soll Wallis sich wirklich von ihrem Mann trennen und auf Edward einlassen? Und damit Teil einer Familie werden, der sie mit ihrer Freiheitsliebe niemals gerecht werden kann?

Wendy Holden

Wallis und Edward. Eine Liebe, stärker als die Krone

Roman

Aus dem Englischen von Susanne Goga-Klinkenberg

Ullstein

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Deutsche Erstausgabe im List Verlag List ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH 1. Auflage November 2021 © für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020 © Wendy Holden 2021 Titel der englischen Originalausgabe: The Duchess (Welbeck Publishing Group, London)Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenUmschlagmotiv: © Cecil Beaton Condé Nast / gettyimages, © Hulton-Deutsch Collection / CORBIS / Corbis via Getty Images, © Ian Dagnall / Alamy Stock Photo, FinePic®, MünchenAutorinnenfoto: © Laurie FletcherE-Book powered by pepyrus.com

ISBN 9783843726283

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Das Begräbnis des Duke of Windsor

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebtes Kapitel

Das Begräbnis des Herzogs von Windsor

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Das Begräbnis des Herzogs von Windsor

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Das Begräbnis des Herzogs von Windsor

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Das Begräbnis des Herzogs von Windsor

Sechzehntes Kapitel

Das Begräbnis des Herzogs von Windsor

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Das Begräbnis des Herzogs von Windsor

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Das Begräbnis des Herzogs von Windsor

Siebenundzwanzigstes Kapitel

Achtundzwanzigstes Kapitel

Neunundzwanzigstes Kapitel

Dreißigstes Kapitel

Einunddreißigstes Kapitel

Zweiunddreißigstes Kapitel

Dreiunddreißigstes Kapitel

Vierunddreißigstes Kapitel

Fünfunddreißigstes Kapitel

Sechsunddreißigstes Kapitel

Siebenunddreißigstes Kapitel

Achtunddreißigstes Kapitel

Das Begräbnis des Herzogs von Windsor

Neununddreißigstes Kapitel

Vierzigstes Kapitel

Das Begräbnis des Herzogs von Windsor

Einundvierzigstes Kapitel

Zweiundvierzigstes Kapitel

Dreiundvierzigstes Kapitel

Vierundvierzigstes Kapitel

Fünfundvierzigstes Kapitel

Sechsundvierzigstes Kapitel

Siebenundvierzigstes Kapitel

Achtundvierzigstes Kapitel

Neunundvierzigstes Kapitel

Fünfzigstes Kapitel

Das Begräbnis des Herzogs von Windsor

Einundfünfzigstes Kapitel

Danksagung

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Widmung

Für Noj, Andrew und Isabella

Prolog

Das Begräbnis des Herzogs von Windsor, Juni 1972

Er war ihr in seinem Sarg aus englischer Eiche in einer Maschine der Royal Air Force vorausgegangen. Sie hatte nicht gewollt, dass er auf dieser letzten Reise allein war, doch die Trauer hatte sie geschwächt, und ihr Arzt bestand darauf, dass sie in Paris blieb. Einige Tage später traf ein Flugzeug des Queen’s Flight ein, um sie zum Begräbnis nach England zu bringen. Nun war sie fast da. London breitete sich flach und grau unter ihr aus. Da war der Schnörkel der Themse, dort der Tower, die Tower Bridge, St. Paul’s.

Wallis starrte auf ihr Spiegelbild im Kabinenfenster. Sie hatte sich nie zuvor alt gefühlt. Er hatte dafür gesorgt, dass sie sich immer jugendlich und schön vorkam. Doch ohne ihn war sie plötzlich eine Frau Ende siebzig.

Ihre ehemals glatte, blasse Haut war runzlig und gepudert. Der Mund unter dem tapferen roten Lippenstift faltig. Ihr Haar, das von Natur aus schwarz und glänzend gewesen war, war jetzt gefärbt und wirkte wie gelackt. Nur die marineblauen Augen waren noch dieselben. Dick mit Wimperntusche umrahmt, blickten sie schockiert und fassungslos.

Sie konnte es immer noch nicht glauben. Es war ein Traum, aus dem sie bald erwachen würde, in ihrem Schlafzimmer daheim im Bois de Boulogne. Bwah de Bolone, wie er in gedehntem Ton zu sagen pflegte.

Gegenüber rutschte ihre Begleiterin auf dem Sitz herum. »Der Queen’s Flight mag ja am prestigeträchtigsten sein«, bemerkte sie. »Aber niemand kann ernsthaft behaupten, dass die Maschinen sonderlich luxuriös wären.«

Wallis schenkte Grace ein müdes Lächeln. Sie wusste, dass ihre alte Freundin sich nur so verwöhnt gab, um sie von den bevorstehenden Torturen abzulenken. Wie sollte sie das alles auch nur einen Augenblick ertragen? Doch es musste ertragen werden.

»Ich nehme an, die Purple Passage hat sich als nützlich erwiesen«, räumte Grace ein und bezog sich auf den Luftkorridor, den nur der Queen’s Flight nutzen durfte.

»Es heißt Purple Air Space«, korrigierte Wallis. »Wie du nur zu genau weißt!«

Grace war in einer früheren Ehe Prinzessin Radziwill gewesen und damit die Vorgängerin von Jacqueline Kennedys Schwester Lee. Heute war sie die Countess of Dudley. Sie und Wallis kannten sich seit Jahren; neben einem trockenen Sinn für Humor teilten sie einen ähnlichen Modegeschmack und eine Außenseiterperspektive auf die britische Oberschicht. Beide waren Ausländerinnen – Grace stammte aus Dubrovnik – und nicht als Aristokratinnen geboren.

»Ich bin Lilibet jedenfalls dankbar«, fuhr Wallis fort. »Sie war sehr freundlich. Sie hat uns besucht, das war nett von ihr.«

Nach dem jahrzehntelangen Kalten Krieg mit den Windsors war der Anruf aus heiterem Himmel gekommen. Das Außenministerium teilte mit, die Königin wolle ihren Onkel während ihres fünftägigen Staatsbesuchs in Frankreich in seinem Pariser Domizil besuchen.

Lilibet hatte offensichtlich von der Krebserkrankung des Ex-Königs gehört und davon, dass sein Leben nach der gescheiterten Strahlentherapie am seidenen Faden hing. Sie wollte sich verabschieden, aber erst im Nachhinein war bekannt geworden, wie heikel der ganze Besuch gewesen war. Der britische Botschafter in Paris hatte sich entschieden dagegen ausgesprochen. Es sei, so hatte er gewarnt, eine Katastrophe für die englisch-französischen Beziehungen, wenn der Ex-Monarch starb, bevor die jetzige Monarchin aus England abreiste. Dann müsse der Staatsbesuch abgesagt werden, was Präsident de Pompidou wiederum schwer kränken würde.

Unter anderen Umständen hätte sich der ehemalige Edward VIII. wohl über die absurde Situation amüsiert, er begegnete ihr aber mit Würde. Sein Land brauchte ihn. Er war wichtiger als in den letzten sechsunddreißig Jahren. Mit purer Willenskraft hielt er durch und wartete den gesamten königlichen Besuch ab. Lilibet ließ sich Zeit und glänzte bei Banketten in Versailles und der britischen Botschaft mit einem Diadem nach dem anderen, bevor sie die Provence bereiste und bei Rennen zusah. Schließlich traf sie in Begleitung der Prinzen Philip und Charles an einem sonnigen Mainachmittag in der Rue du Champ d’Entraînement ein.

So dankbar sie ihrer angeheirateten Nichte auch war, konnte Wallis sich angesichts des abscheulichen königsblauen Hutes und des darauf abgestimmten grauenhaften Kostüms mit den Kellerfalten eines gewissen Schocks nicht erwehren. Lilibets schleifenförmige Diamantbrosche und die makellose dreireihige Perlenkette gingen im Musterwirrwarr völlig unter. Wie konnte eine von Natur aus hübsche Frau mit wundervoller Haut alles daransetzen, so unscheinbar zu wirken?

Philip hatte in seinem Mantel wie ein gereizter Bankmanager ausgesehen, während Charles sich in dem gestreiften Hemd, das mit der geblümten Krawatte kollidierte, einfach nur unbehaglich zu fühlen schien. Seine Schultern im karierten Tweedsakko hingen nach unten. Seine Augenbrauen auch, was ihn ständig müde und enttäuscht aussehen ließ.

Wallis hatte Mitleid mit ihm gehabt. Sie wusste, wie es war, von den Windsors überrollt zu werden. Charles hatte offensichtlich Angst vor seinem Vater, dessen Eigenarten er zu imitieren schien; er zupfte an den Manschetten, verschränkte die Hände, ging sogar mit einem Arm hinter dem Rücken.

Als sie die luftige, mit Marmor ausgelegte Eingangshalle betrat, hatte Lilibet kommentarlos zu dem großen Seidenbanner des Hosenband-Ordens geschaut, das von der Galerie hing. Falls es sie überraschte, im Salon eines abgedankten Monarchen unter seinem lebensgroßen Porträt in königlicher Robe und einem weiteren von Königin Mary in voller Pracht Tee zu trinken, so zeigte sie es nicht.

Bei Philip war es anders. Er fläzte sich auf dem Louis-Quinze-Sofa und betrachtete spöttisch die Sammlung von Meißner Möpsen sowie Black Diamond und Gin-Seng, ihre hechelnden lebendigen Gegenstücke. »Stimmt es, dass ihr einen habt, der Peter Townsend heißt?«, hatte er grinsend gefragt.

»Früher schon«, hatte Wallis gleichmütig geantwortet. »Aber wir haben den Group Captain weggegeben.«

»Ha. Genau wie Margaret.«

Nach dem Tee führte sie Elizabeth II. die Treppe hinauf in den orangenen Salon. Onkel David – so hatte er in der Familie immer geheißen – war durch Schläuche mit dem Tropf verbunden, der ihn am Leben hielt. Er hatte allerdings darauf bestanden, dass sein Arzt Letzteren hinter den Vorhängen und Erstere unter seiner Kleidung verbarg. Sein faltiges, noch immer gut aussehendes Gesicht unter dem sorgfältig gekämmten Silberhaar strahlte vor Freude, als Lilibet hereinkam. Er tat sein Bestes, erhob sich mühsam aus dem Rollstuhl, verbeugte sich mit großer Mühe und küsste seine königliche Besucherin auf beide Wangen. In seinem perfekt geschnittenen blauen Blazer und mit dem Seidenschal, der den welken Hals verhüllte, sah er aus wie aus einem Modemagazin. Sie unterhielten sich genau eine Viertelstunde lang.

Doch nachdem die Königin gegangen war, wirkte David verärgert.

»Oh, David. Du hast sie hoffentlich nicht wieder nach meiner HRH gefragt?« Wallis schwankte zwischen Liebe und Verärgerung. Er hatte doch wohl nicht sein kostbares – und letztes – persönliches Gespräch mit der Herrscherin an etwas so völlig Sinnloses verschwendet? Die Windsors würden nie erlauben, dass sie eine Königliche Hoheit wurde, und es war ihr ohnehin egal. Aber David lag viel daran, und er hatte ein Leben lang leidenschaftlich versucht, es durchzusetzen.

Erschöpft von der Anstrengung schüttelte er den Kopf, knurrte dann aber, versuchte zu sprechen, und sie reimte sich zusammen, dass er bereute, seinen Arzt, Monsieur Thin, nicht Ihrer Majestät vorgestellt zu haben. »Das hätte er sein Leben lang nicht vergessen.«

Sie schüttelte den Kopf. Welche Ironie. Niemand wusste besser um die Macht der Krone als David, der sie so bereitwillig aufgegeben hatte.

Danach hatte er nur noch neun Tage gelebt. In der Nacht, in der er starb, saßen schwarze Raben, die Vorboten des Todes, im hellen Laub vor seinem Fenster. Sie waren gekommen, um ihn zu holen. Als sie viel später von der Krankenschwester gerufen wurde, bemerkte sie, dass Black Diamond, der immer auf Davids Bett schlief, auf dem Teppich lag. Auch der Mops wusste, was gleich geschehen würde. Um 2.20 Uhr morgens tat der einstige König Edward VIII. von Großbritannien, Irland und den britischen Dominions in Übersee, Kaiser von Indien, seinen letzten Atemzug. Es war der 28. Mai 1972.

Erstes Kapitel

Flitterwochen in Paris, 1928

Das Hotelzimmer war schmuddelig und roch komisch. Das Doppelbett aus Messing hing in der Mitte durch. Die Blumentapete war verblichen und mit Rosträndern übersät.

Zwei hohe Fenster gingen auf die Straße hinaus. Im Fenster gegenüber sah Wallis vertrocknete Pflanzen und schmutzige Gardinen.

So hatte sie sich Paris nicht vorgestellt. Auf der Überfahrt von Dover hatte sie sich den Blick auf den Eiffelturm ausgemalt. Aber Wallis war eine Optimistin, und heute mehr denn je. Dies war ihr Hochzeitstag. Ein neuer Anfang. Ein neues Leben.

An der Wand neben dem Fenster hing ein Spiegel, der so positioniert war, dass er Licht auf das Gesicht warf. Sie betrachtete sich kritisch. Jung war sie nicht mehr – vierunddreißig, um genau zu sein –, sah aber ziemlich gut aus. Selbstsicher, schlank, modisch. Und vor allem hoffnungsvoll.

Ihr Hochzeitsensemble – primelgelbes Kleid, himmelblauer Mantel – bildete einen farbenfrohen Kontrast zu den glänzenden schwarzen Haaren, die sie in der Mitte gescheitelt und in Schnecken gelegt trug. In ihrem blassen Gesicht bildeten die Lippen einen kühnen roten Strich. Falls noch etwas Traurigkeit in ihren dunkelblauen Augen funkelte, würde diese bald verschwinden. Von nun an würde alles gut.

Sie hatten an diesem Morgen in London geheiratet. Im Standesamt von Chelsea, da sie beide geschieden waren. Doch Wallis bedauerte nicht, dass sie auf die kirchliche Trauung verzichten musste. Die hatte sie beim ersten Mal gehabt und einen Schuft geheiratet. Ernest war völlig anders, ein feiner, freundlicher, ehrenhafter Mann, und sie war eine glückliche Frau.

Eine Bewegung im Spiegel erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie sah, dass der Page, der das Gepäck hochgebracht hatte, noch im Türrahmen stand und sich kratzte.

»Ernest«, sagte sie lächelnd. »Ich glaube, er wartet auf ein Trinkgeld.«

Ihr frischgebackener Ehemann kramte in der Manteltasche und überreichte dem Jungen eine kleine Münze. Der betrachtete sie und verschwand mit hochgezogenen Augenbrauen.

Wallis wuchtete ihren Koffer aufs Bett und öffnete die Schlösser. Trotz der schäbigen Umgebung stimmten die neuen Flitterwochenkleider sie optimistisch. Sie hatte sie für einen Spottpreis gekauft und selbst geändert. Sie war geschickt mit Nadel und Faden und hatte tatsächlich einmal an eine Karriere in der Modebranche gedacht. Nach der Scheidung war der Gedanke, für sich selbst zu sorgen und eine unabhängige Frau zu werden, äußerst reizvoll gewesen.

Leider gestaltete es sich angesichts ihres erschütterten Selbstvertrauens und der fehlenden praktischen Fähigkeiten schwieriger als erwartet. Und als sie Ernest kennenlernte, hatte sie die Bemühungen ganz aufgegeben. Er war im wahrsten Sinne des Wortes ein sicherer Hafen gewesen, da seine Familie eine Reederei besaß. Als er verkündete, er wolle Amerika verlassen und nach London gehen, und sie bat, ihn zu heiraten und mitzukommen, hatte sie die Chance auf einen Neuanfang genutzt.

Wallis schüttelte ein Kleid aus und dachte an die großen Pariser Modehäuser. Die wollte sie unbedingt sehen, selbst wenn sie dort nichts kaufen konnte. Das Geld war knapp, daher das schäbige Hotelzimmer. Daher auch der winzige Stein in ihrem Ring, so klein, dass er das wenige Licht nur mühsam einfing.

Das Familienunternehmen steckte in Schwierigkeiten, auch wenn Ernest entschlossen war, es zu sanieren. Hinzu kamen die Alimente für seine erste Frau und die kleine Tochter. Er hatte befürchtet, Wallis könnte es missbilligen, doch das war nicht der Fall. Ganz im Gegenteil, sie war froh, dass er bereits ein Kind hatte. Sie war über dreißig, was eine Schwangerschaft zunehmend unwahrscheinlich machte, und nach ihrer unglücklichen Kindheit verspürte sie ohnehin keinen Wunsch nach einem Kind. Sie hatte Mitleid mit der kleinen Stieftochter, deren Leben durch die Scheidung ihrer Eltern aus den Fugen geraten war. Wenn Audrey sie in London besuchte, würde sie ihr eine schöne Zeit bereiten. Sie würden Freundinnen werden.

Sie spürte Ernest hinter sich, solide und beruhigend. Er trat nah an sie heran und legte die großen Hände auf ihre. Wallis lehnte den Kopf an seine Brust und genoss für ein paar Augenblicke seine breite Gestalt, das Gefühl vollkommener Sicherheit, dass er sie schätzte und beschützte.

»Mach das nicht jetzt«, murmelte er in ihre Schulter und meinte damit den offenen Koffer.

»Aber ich muss auspacken. Meine Sachen dürften völlig zerknittert sein.« Das billige Material musste aufgehängt werden, um gut auszusehen.

Er zog sie an sich. Sein Schnurrbart kitzelte sie am Hals. »Wen stört es, wenn deine Sachen zerknittert sind? Ich würde sie gern noch mehr zerknittern!«

Ihre Reaktion war ebenso spontan wie unerwartet. Panik durchflutete sie wie eine Welle. In ihrem Kopf schrillte eine Alarmglocke, ihr Herz stieg wild hämmernd in die Kehle. Der Drang, sich von ihm loszureißen, war überwältigend, und sie konnte sich nur beherrschen, indem sie langsam und bebend atmete.

Ernest hatte es nicht bemerkt. Er legte die Arme um sie und schmiegte sich an ihren Rücken. Sie spürte durch Mantel und Jackett, wie erregt er war. »Wallis«, murmelte er ihr ins Ohr. »Ich will dich schon so lange.«

Während seine Hand ihre Brust betastete, schrie ihr Körper lautlos auf. Ihr klapperten die Zähne. Wallis presste sie aufeinander, damit er es nicht hörte. Er schob sie sanft aufs Bett. Sie fiel wie ein Stein nach vorn, die Hände an den Körper gedrückt, und lag starr da, das Gesicht in die Decke gepresst, deren saurer Geruch ihr in die Nase stieg.

Sie wappnete sich für einen Schlag oder eine andere Form der Gewalt. Hitzewellen und Übelkeit erregende Kälteschauer jagten durch ihren Körper. Sie konnte nicht atmen. Sie drehte keuchend den Kopf zur Seite.

Das schien ihn zu ermutigen, vielleicht deutete er ihre Laute als Lust. Er hatte jetzt die Hand auf ihrem Oberschenkel, zog ihr Kleid hoch; sie spürte seine Finger am oberen Rand ihrer Strümpfe. Ihr wurde übel, sie presste Mund und Körper fest aufs Bett. Wenn diese Finger ans Ziel gelangten, sie berührten …

O Gott, nein. Bitte nicht.

Sie musste es laut ausgesprochen haben. Die Finger hielten inne. Die Hand zog sich zurück. Unter ihrem Ohr knarrten und ächzten die Bettfedern, als er sich setzte. »Wallis, was ist denn los?«

Sie hob den Kopf. Er saß neben ihrem Koffer, noch im Mantel. Sein Gesicht mit den runden braunen Augen, das an einen Basset Hound erinnerte, war völlig fassungslos.

Sie konnte es ihm nicht verübeln. Während der kurzen Brautwerbung hatte er sie geküsst, mehr nicht. Er war ein Muster an Ritterlichkeit und hatte sie mit größtem Respekt behandelt, doch von der Hochzeitsnacht erhoffte er sich natürlich mehr. Immerhin war sie geschieden, eine Frau mit Erfahrung. Dass er absolut keine Ahnung hatte, wie diese Erfahrung aussah, war nicht seine Schuld.

Vielleicht hätte sie es ihm sagen sollen, aber was genau? Dass sie neun Jahre mit einem Sadisten verheiratet gewesen war, der sie geschlagen und missbraucht, der sich bis zur Besinnungslosigkeit betrunken, der sich ihr nicht nur aufgedrängt, sondern sie gezwungen hatte, ihm mit anderen Frauen zuzusehen?

Wie hätte sie ihm das sagen können? Ernest wäre entsetzt gewesen; in seinen Augen hätte es sie herabgesetzt. Sie selbst empfand genauso. Sie hatte Win in die tiefsten Tiefen ihres Kopfes verdrängt, in einen Schrank mit der Aufschrift »Vergangenheit«, und alles getan, um ihn zu vergessen.

Mit Erfolg, so dachte sie jedenfalls. Als sie sich nach der Scheidung erholte und wieder nach vorn schaute, erschien ihr die Zeit als Mrs Earl Winfield Spencer allmählich wie ein schlechter Traum. Sie hatte geglaubt, sie könne mit einem neuen Mann ein neues Leben beginnen. Dass Win ihre Fähigkeit, körperliche Intimität zu genießen oder auch nur an ihr teilzunehmen, völlig zerstört hatte, war ihr nicht bewusst gewesen. Bis jetzt. Bis zu ihrer Hochzeitsnacht.

Wallis ließ den Kopf hängen. Was konnte sie sagen? Dass sie in jeder Hinsicht beschädigte Ware war? Würde er ihr das überhaupt glauben? Er könnte denken, sie hätte es gewusst, ihn in die Falle gelockt. Die Panik war verschwunden und einer völligen Hoffnungslosigkeit gewichen. Sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollte.

Sie spürte seinen Blick und fragte sich, was darin liegen mochte. Vorwürfe? Wut? Sie könnte es ihm nicht verdenken. Als sie schließlich den Mut fand, ihn anzuschauen, waren die Basset-Hound-Augen sanft.

»Wir sind jetzt verheiratet«, sagte Ernest leise. »Ich liebe dich. Rede mit mir.«

Wallis starrte ihn einen Moment lang an. Dann schaute sie auf ihre Hände, auf den Ring, holte tief Luft und redete mit ihm.

Zweites Kapitel

Earl Winfield »Win« Spencer war 1916 in ihr Leben geplatzt. Ihre Großmutter war vor Kurzem gestorben, und nach der vorgeschriebenen Trauerzeit beschloss ihre Mutter Alice, dass Wallis ein bisschen Spaß vertragen konnte. Sie schickte sie nach Florida zu ihrer Cousine Corinne, die mit dem Kommandanten eines Luftwaffenstützpunkts verheiratet war.

Spaß hatte sie auf jeden Fall. Wallis hatte noch nie ein Flugzeug gesehen, geschweige denn einen so schneidigen Piloten wie den jungen Leutnant mit dem gestutzten Schnurrbart und dem weltmännischen Auftreten. Sie begegneten sich an ihrem ersten Morgen und trafen sich von da an jeden Tag. Als Win ihr verblüffend schnell einen Antrag machte, sagte sie ja. Sie war neunzehn.

»Mutter vergötterte ihn«, sagte Wallis reumütig zu Ernest. »Das hätte mir eine Warnung sein müssen. Sie hat einen furchtbaren Geschmack bei Männern. Nach dem Tod meines Vaters hat sie noch zweimal geheiratet, und die Männer wurden immer schlimmer.«

»Mich mochte Alice nicht, das steht mal fest.« Ernest zuckte mit den breiten Schultern.

Sicher, Alice hatte Wins Charme und Draufgängertum bewundert. Ihr neuer Schwiegersohn konnte es in ihren Augen nicht mit dem schneidigen Ideal aufnehmen. »Dieser Bowlerhut und der Schnurrbart! Er sieht aus wie ein Amerikaner, der einen Engländer spielt!«

»Aber er ist Engländer, Mutter. Na ja, zur Hälfte.«

Sein Vater hatte englische Wurzeln, und das war Ernest äußerst wichtig. Er mochte zwar in Amerika aufgewachsen und in Harvard ausgebildet worden sein, hatte während des Krieges aber in den Coldstream Guards, einem britischen Regiment, gedient. Er interessierte sich leidenschaftlich für britische Geschichte und hatte Wallis durch die New Yorker Kunstgalerien geführt, ihr Porträts englischer Monarchen gezeigt und deren Herrschaftszeit geschildert.

»Stopp!«, hatte Wallis ihn lachend angefleht. »Ich bin Amerikanerin. Wohlgemerkt, eine Republikanerin. Hätten wir den ganzen königlichen Kram gewollt, hätten wir ihn behalten.«

Doch sein bei Weitem schlimmstes Verbrechen war die Unfähigkeit, Alices Sinn für Humor zu verstehen. Sie hielt sich für geistreich und hatte ihm gleich bei der ersten Begegnung ihre Lieblingsgeschichte erzählt. Sie war im Billigkaufhaus die Treppe hinuntergefallen, und ein Verkäufer war herbeigeeilt und hatte gefragt, ob er ihr helfen könne.

»Und was, denken Sie, habe ich zu ihm gesagt?«, fragte Alice, während Ernest unbeholfen dastand und seinen Hut in den Fingern drehte.

»Das weiß ich nicht, Mrs Warfield. Was haben Sie denn zu ihm gesagt?«

Alice schaute ihre Tochter, die ängstlich danebenstand, hämisch an. »Erzähl du es ihm, Wallis! Erzähl ihm, was ich gesagt habe, als ich im Billigkaufhaus hingefallen bin!«

Wallis wandte sich an ihren Verlobten und sagte tonlos: »Mutter hat gesagt, er soll ihr die Billigsärge zeigen.« Während Alice in hysterisches Gelächter ausbrach, verzog Ernest keine Miene. Davon hatte sich ihre Beziehung nie erholt.

Wallis wusste nur zu gut, dass ihr Mann ihre Mutter für wahnhaft hielt. Ihr selbst ging es nicht anders. Sie war froh gewesen, der schwierigen Beziehung zu Alice zu entfliehen. Dann wandte sie sich wieder ihrer ersten Ehe zu.

Sie und Win hatten in Baltimore geheiratet; Wallis in weißem Samt und einem Unterrock aus Spitze, einem Erbstück. Die Brautjungfern trugen ausladende Florentinerhüte. Sie war wahnsinnig verliebt, das glaubte sie jedenfalls.

In der Hochzeitsnacht holte Win eine Flasche Gin aus seinem Koffer und stellte ihr damit die dritte Person in ihrer Ehe vor. »Das Trinken wurde schlimmer, als der Krieg anfing«, fuhr Wallis fort. »Win wollte unbedingt Kampfeinsätze fliegen, hat es aber nie geschafft.«

Sie hielt wieder inne.

»Sprich weiter«, forderte Ernest sie auf.

»Eines Tages schleppte er mich ins Badezimmer, nachdem er getrunken hatte. Er … hat mich vergewaltigt. Dann ging er raus und schloss die Tür ab. Ich habe den ganzen Tag da gelegen …«

Sie verstummte. Der Abend brach herein. Das Licht der untergehenden Sonne schien korallenfarben auf die verblichene Tapete. Sie erinnerte sich, wie sie auf dem kalten Fliesenboden gelegen hatte, den Messinggeschmack von Blut im Mund, von heftiger Angst erfüllt. Der Sonnenstrahl, der durch das kleine, hohe Fenster fiel, hatte sich im Laufe der Stunden an der Wand entlangbewegt. Draußen hörte sie Leute vorbeigehen. Doch um Hilfe zu rufen, war ausgeschlossen.

»Warum?«, fragte Ernest.

Sie saß vorgebeugt auf der Bettkante, die Arme schützend um den Körper geschlungen. Hob eine Hand und bedeckte die Augen. »Ich weiß nicht«, murmelte sie. »Genau das hätte ich tun sollen. Aber es war ein kleiner Ort. Jeder kannte jeden. Und Win war beliebt. Die Leute wären überrascht gewesen. Vielleicht hatte ich Angst, sie könnten mir nicht glauben. Oder vielleicht …«

»Vielleicht was?«

»Vielleicht habe ich gedacht, es sei meine Schuld. Vielleicht habe ich mich geschämt.«

Ernest stöhnte auf. »Oh, Wallis.«

Sie ließ die Hand sinken und sah ihn an. Seine Basset-Hound-Augen schimmerten feucht und funkelten zugleich wütend.

»Dann, viel später, kam Win zurück. Ich hörte, wie er die Badezimmertür aufschloss …«

Sie machte die Augen zu, doch das Bild, wie sie verschreckt vor der Badewanne kauernd die nächste Tracht Prügel erwartete, hatte sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis eingebrannt. »Er ist aber nicht reingekommen. Er hat die Tür offen gelassen und ist ins Bett gegangen. Ich habe noch ein paar Stunden da gelegen. Den Rest der Nacht habe ich auf dem Sofa verbracht und bin am nächsten Tag gegangen.«

»Du hast die Scheidung eingereicht?« Ernest runzelte die Stirn, schien den Zeitablauf zu überschlagen.

»Wir haben uns getrennt. Ich bin zu meiner Mutter zurückgegangen. Sie war gegen die Scheidung. Warfields und Montagues taten so etwas nicht.« Während ihrer von Armut geprägten Kindheit hatte man Wallis immer wieder daran erinnert, dass sie den besten Familien Baltimores entstammte, als wäre sie eine moderne amerikanische Version der Tess von den d’Urbervilles.

»Natürlich nicht.« Ein frostiges Lächeln huschte über Ernests Züge. Man hatte ihm nur zu oft von der illustren Familiengeschichte erzählt. Sie war, neben dem berühmten Sinn für Humor, Alices Lieblingsthema.

»Dann ging Win zur US-Flotte in den Fernen Osten. Er hat mir immer wieder geschrieben und mich allmählich davon überzeugt, dass die Stationierung in Shanghai ein Neuanfang wäre.« Noch einer. Wie viele Neuanfänge hatte sie denn schon gehabt?

Die Schatten sammelten sich im Raum. Im Fenster gegenüber war eine rote Glühbirne angegangen. Ihr Schein erinnerte Wallis an einen anderen Raum, dunkel und säuerlich riechend, mit einer roten Papierlaterne. Eine Frau in schmutzigem Überwurf mit zynischen Augen. Matten auf dem Boden. Ein zerwühltes Bett.

»Darum warst du also in China«, sagte Ernest. »Ich erinnere mich, dass du es bei einer unserer ersten Verabredungen erwähnt hast. Aber du hast nie erzählt, was du dort gemacht hast.«

Sie hatte ihn vorletzten Winter in New York kennengelernt, er war ein Freund von Mary Raffray, einer alten Schulfreundin. Als unverbesserliche Kupplerin wollte Mary sie beide unbedingt zusammenbringen, doch Wallis war nicht interessiert. Nach dem Grauen mit Win kam eine Ehe nicht infrage, außerdem war Ernest Simpson nicht ihr Typ. Er war angenehm, aber schwerfällig. Und schrieb schreckliche Gedichte. Das erste erhielt sie nach einem Spielabend.

Ich bin wohl nur ein Joker, Jedenfalls beim Poker.Und ich gäbe alles,Wär ich nur wie Wallis.

»Seine Gedichte sind furchtbar«, beklagte sie sich bei Mary.

»Ich glaube, sie sind absichtlich so schlecht. Er will, dass du dich amüsierst.«

»Ich will mich aber nicht amüsieren.«

Doch Ernest blieb hartnäckig. Genau wie Mary, die ihm ständig Stichworte lieferte. »Wallis war einmal in einem Zug, der von Banditen angehalten wurde!«

»Banditen!« Ernests dichte Augenbrauen schossen bis zum niedrigen Haaransatz hoch.

»Das war, als ich in China gelebt habe«, sagte Wallis mit zusammengebissenen Zähnen. »Alles ging gut.«

Am nächsten Morgen erhielt sie ein weiteres Gedicht.

Sollte ichBanditen sehen,Werde ich zu Wallis flehen,Damit sie sie geschicktIn die Wüste schickt.

»Nun«, sagte sie jetzt, »genau das habe ich dort getan. Versucht, meine Ehe zu retten. Anfangs funktionierte es, aber bald fing alles von vorn an, das Trinken und die Gewalt, und noch Schlimmeres …«

Sie hielt inne und schaute zu Boden, konnte nicht weitersprechen.

»Schlimmer?«, fragte Ernest.

Sie sah ihn flehend an, doch er musste es erfahren. Denn darum ging es letztlich: dass Shanghai, eine Stadt, die für ihren Sexhandel berüchtigt war, Win zahllose Gelegenheiten geboten hatte, um seinen bestehenden Lastern zu frönen und sich neue zuzulegen. Manchmal hatte er sie gezwungen, dabei zu sein. Dann kauerte sie in der Ecke, das Gesicht zur Wand, und lauschte seiner Schande.

»In die Wüste schickt«, sagte Ernest, als sie geendet hatte, und fügte bedächtig hinzu: »Ich hatte ja keine Ahnung, aber genau das hättest du mit ihm tun sollen.«

Danach sagte keiner mehr etwas. Die Schatten vertieften sich. Im Zimmer war es dunkel bis auf das rote Licht von gegenüber. Sie fragte sich, ob es wirklich ein Bordell war, ob sich dort gerade ein Win amüsierte, dessen Wallis zu Hause auf ihn wartete. Sie fragte sich, was Ernest wohl dachte. Sie war erleichtert, weil er Mitgefühl zeigte, vor allem aber, weil er es nun wusste.

»Es tut mir leid«, sagte sie schließlich. »Du hast etwas Besseres verdient.«

»Genau wie du«, erwiderte er hitzig.

»Ich glaube«, sagte sie zögernd, »ich brauche nur … ein bisschen Zeit.«

Statt zu antworten, stand er auf. Sie trugen noch immer ihre Mäntel. Weiter waren sie mit der Hochzeitsnacht noch nicht gekommen.

Ernest lächelte sie an. »Gehen wir essen.«

Drittes Kapitel

Da ihr Hotel zentral in der Nähe der Tuilerien lag, waren es nur wenige Schritte von der düsteren Straße bis in die prächtige Rue de Rivoli.

Sie gingen unter großen Arkaden entlang, vorbei an prächtigen Laternen. Gegenüber war der Louvre, jenseits des Parks der Eiffelturm. Bei diesem Anblick hob sich ihre Stimmung. So hatte sie sich Paris vorgestellt.

»Ich habe um die Ecke ein Lokal entdeckt, das für seinen Pot-au-feu berühmt ist«, sagte Ernest, der begeistert Reiseführer las.

»Was ist Pot-au-feu?«

»Ein einfaches französisches Bauerngericht.«

Wallis lächelte, als fände sie die Aussicht ebenso verlockend wie er und als hätte sie nicht an Austern und gekühlten Chablis gedacht. Ihre Mittel waren begrenzt. Darum sollten sie besser im Rahmen ihrer Möglichkeiten essen.

Sie näherten sich einem prächtigen Hoteleingang mit goldbetressten Türstehern in Zylindern und einer gläsernen Drehtür. Wallis ging langsamer und schaute durch die polierte Scheibe. Drinnen glitzerte alles wie in einem Palast, sie entdeckte Säulen, vergoldete Spiegel und Kronleuchter. Eine Welle der Sehnsucht überkam sie.

Ein glänzender Wagen mit grellen Scheinwerfern fuhr vor, und die Türsteher eilten herbei, um die Türen aufzureißen. Eine Frau im silbernen Kleid stieg aus und warf den Pelzmantel achtlos über eine perlmuttschimmernde Schulter. Ein hoch gewachsener Mann in Frack und weißer Krawatte gesellte sich zu ihr. Sie gingen gemeinsam ins Hotel, wobei sie eine köstliche Duftspur hinterließen.

Wallis seufzte und wollte weitergehen, doch Ernest hielt sie zurück. »Sollen wir reingehen? Auf einen Drink?«

Ihr Herz machte einen Sprung. »Können wir uns das leisten?«

»Nein, aber es schadet auch nicht, dieses eine Mal. Wir sind doch in den Flitterwochen. Komm schon.«

Sie gehorchte mit einem freudigen Grinsen, bevor er es sich anders überlegen konnte.

Schon das Klicken ihrer Absätze auf dem Marmorboden klang aufregend. Sie erhaschte einen Blick in einen umwerfend opulenten Speisesaal. In der Hotelbar gab es klassische Wandmalereien und einen Pianisten, der in einer Ecke Jazz spielte. Die Leute an den anderen Tischen sahen reich und glücklich aus. Man hörte gemurmelte Gespräche, das Klirren von Glas und Porzellan, ein gelegentliches leises Lachen. Nun, da sie hier saß, fühlte sie sich schön und besonders. Sogar der unscheinbare Ernest wurde zu einem stattlichen Kerl. Die Kerze auf dem Tisch verlieh seinen Augen eine geheimnisvolle Tiefe, und sein lockiges dunkles Haar glänzte im Schein der gefältelten Seidenlampe.

Ein Kellner glitt mit einem silbernen Tablett herüber, auf dem zwei hohe Gläser standen. Als er ihr den Champagnercocktail servierte, dachte Wallis, was für ein Kunstwerk es doch war, die Bläschen, die vom Zuckerwürfel aufstiegen, die tiefrote Kirsche und die gelbe Locke der Zitronenschale, die in der schimmernden Bernsteintiefe ruhte. Sie atmete den üppigen Duft von Wein und Spirituosen ein. Sie würde ihn langsam trinken, damit sie lange etwas davon hatte.

Der Kellner stellte ihnen kleine glänzende Silberschalen mit Oliven und Nüssen und einen silbernen Halter mit winzigen, zu Dreiecken gebügelten Leinenservietten hin. Es folgten kleine Teller mit Silberrand. Wallis’ Augen funkelten. Sie liebte das Zeremonielle daran, die Schönheit der Gegenstände, ihren puren, lebensbejahenden Glanz. Es machte alles besser. Nach dem miserablen Beginn des Abends war es ein neuer Anfang.

»Du hast Spaß«, sagte Ernest belustigt.

Sie nahm einen Schluck, genoss die Kraft des Drinks und nickte. »Ich liebe solche Orte.«

Er zog die dichten Augenbrauen hoch. »Du wärst wohl gerne reich.«

»Oh nein, Ernest!« Sie streckte eine blasse Hand über den Tisch und legte sie auf seine. Der kleine Diamant funkelte im Licht. »Ich könnte mir nichts mehr wünschen als dich.«

Sie meinte es ehrlich, aber auch in seinen Worten lag ein Körnchen Wahrheit. Sie wäre gerne reich. Ihr ganzes Leben lang hatte sie reiche Menschen beobachtet und war zu dem Schluss gelangt, dass Geld manchmal unglücklich machte, im Allgemeinen aber viel Spaß bedeutete. Und doch gab es Dinge, die man nicht kaufen konnte – zum Beispiel einen freundlichen, verständnisvollen Ehemann, der einen unterstützte.

»Ich habe den besten Mann der Welt geheiratet«, sagte Wallis aufrichtig.

»Und ich die beste Frau.« Ernest beugte sich vor und hob sein Glas. »Auf uns!«

Sie sprachen über die Zukunft und darüber, wie ihr gemeinsames Leben in London aussehen würde. Ernests Schwester hatte ein Haus für sie gefunden, das sie beide noch nicht gesehen hatten.

»Eine gute Adresse, hat Maud erzählt«, sagte Ernest. »Personal ist vorhanden. Eine Köchin und ein Hausmädchen.«

Wallis runzelte die Stirn. »Ich kann selbst kochen«, schlug sie vor. Sie machte es gern und gut. Ihr Fannie-Farmer-Kochbuch war der einzige Gegenstand, den sie aus ihrer ersten Ehe behalten hatte. »Damit würden wir Geld sparen.«

»Gute Idee«, sagte Ernest. »Du könntest für alle meine Geschäftsessen kochen. Ich werde viele geben, um meine Kontakte auszubauen und die Firma wieder in Schwung zu bringen.«

Das hörte sich gut an. Sie würde mehr als nur eine Ehefrau sein und Ernest bei seiner Arbeit unterstützen. Da es keine Kinder geben würde, um die sie sich kümmern musste – bis auf Audreys Besuche natürlich –, würde sie eine Beschäftigung brauchen. »Und wir könnten neue Leute kennenlernen«, sagte sie. »Freunde finden.«

Ernest spießte eine Olive auf. »Ja, und Maud wird dir auch dabei helfen. Sie hat beste Verbindungen.«

»Tatsächlich?« Wallis wusste wenig über Ernests Schwester, nur dass sie älter war als er.

»In der Familie ihres Mannes gibt es einen Baronet. Unter den alten erblichen Titeln Großbritanniens ist das …«

Der kleine Diamant glitzerte, als Wallis lachend die Hand hob. »Stopp! Ich interessiere mich nicht für alte Titel! Ich interessiere mich für moderne Menschen!«

Ernest nahm es mit Humor. »Nun, von denen kennt Maud auch eine Menge. Sie verkehrt in den besten Kreisen. Ihr Mann ist sehr reich.«

Wallis horchte auf. »Wirklich? Wie kommt’s?«

Ernest knackte eine Nuss. »Irisches Leinen.«

Wallis warf einen Blick auf die Servietten. Das waren aufregende Neuigkeiten. Sie stellte sich Maud als eine schlanke, brünette Version ihres Bruders vor; hoch gewachsen, kultiviert und so elegant wie die Frau in Silber, die sie vor dem Hotel gesehen hatten. Sie würde Wallis ihren glamourösen, interessanten Freunden vorstellen. Ein gesellschaftlicher Kreis, der nur auf sie wartete. Sie würden gemeinsam auf Partys und ins Theater gehen. London war berühmt für seine Theater. Und es gab Nachtclubs mit gefeierten Bands. Alle strömten in die britische Hauptstadt.

Der Champagnercocktail breitete sich in ihr aus, erfüllte sie mit Aufregung und Glück. »Ich freue mich darauf, mich mit den Briten anzufreunden«, sagte sie und trank den letzten Schluck. »Das Leben in London wird wundervoll!«

»Darauf trinke ich«, sagte Ernest.

»Sollen wir noch einen bestellen?«, flehte sie.

Ernest sah sie überrascht an. »Es ist Zeit fürs Abendessen. Den Pot-au-feu.«

Der Kellner tauschte mit unbewegter Miene die leere gegen eine frisch gefüllte Schale mit Nüssen. Wallis kam eine Idee. Ein weiterer Cocktail wäre nicht teurer als ein Abendessen, selbst wenn sie das günstigste Bauerngericht in Paris bestellten. Hier konnten sie sich kostenlos an Nüssen und Oliven gütlich tun.

»Bitte«, flehte sie Ernest an. Wer wusste schon, wann sie wieder einmal an einen Ort wie diesen kommen würden?

Er schüttelte in gespielter Verzweiflung den Kopf. »Wallis, wie soll ich nein sagen, wenn du mich so ansiehst?«

Auch den dritten Cocktail konnte er ihr nicht abschlagen. Mit ihm verfolgte sie einen praktischeren Zweck als mit den anderen. Sie mochte in einer hell erleuchteten Cocktailbar sitzen, doch der schäbige, dämmrige Raum, in dem sie die schmerzhaften Geständnisse gemacht hatte, war nicht weit entfernt. Der Raum, in dem sie zum ersten Mal ein Bett teilen würden. Wallis wollte ihre Gefühle mit Alkohol betäuben, bevor sie dorthin zurückkehrten.

Und so kam es auch. Sie stolperten fröhlich und unsicher durch die von Laternen erleuchtete Rue de Rivoli. Im dunklen, verlassenen Hotel manövrierten sie sich unter prustendem Gelächter die vier klapprigen Treppen hinauf. Wallis spürte kaum, wie sie das Zimmer betrat, vor dem sie sich so gefürchtet hatte. Sie war so müde, dass ihr der Anblick des durchhängenden Bettes ganz willkommen war.

Dann bemerkte sie den aufgeklappten Koffer, auf dem sie achtlos ein Kleid abgelegt hatte.

»Was machst du da?«, fragte Ernest müde.

Wallis, die in dem billigen kleinen Schrank nach Kleiderbügeln kramte, lächelte erschöpft. »Ich habe vergessen, meine Kleider aufzuhängen.«

Sein Gesicht fiel förmlich in sich zusammen. »Wallis. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich werde nicht …« Er seufzte. »Du kannst mir vertrauen. Ich tue dir nicht weh.«

Natürlich dachte er, sie wolle Zeit gewinnen; dass sie glaubte, er werde sich ihr letztlich genauso aufdrängen, wie Win es getan hatte. Er verstand, wie wenig sie Männern vertraute, wie wenig Grund sie bisher dazu gehabt hatte. Sie war tief gerührt und sah ihn aus glänzenden Augen an.

»Ernest, ich vertraue dir. Und du kannst mir vertrauen. Ich tue dir auch nicht weh.« Sie hielt inne und lächelte. »Aber ich muss meine Kleider wirklich aufhängen. Sonst sehen sie morgen furchtbar aus.«

Er lag schon im Bett, als sie fertig war. Da ihr Zimmer kein eigenes Bad besaß, war er ins Gemeinschaftsbad am Ende des Flurs gegangen, um sich auszuziehen. Wallis benutzte die Schranktür als Sichtschutz. Während sie ihr Nachthemd überstreifte, lag Ernest auf dem Rücken, den Pyjama bis zum Hals zugeknöpft, die Augen geschlossen. Als sie neben ihn glitt, knisterte etwas unter ihrem Kopfkissen. Es war ein kleines gefaltetes Stück Papier. Sie hielt es vor die einzige Lichtquelle, den roten Schimmer vom Fenster gegenüber.

Für Wallis, meine kleine Frau,Mit Freud’ ich auf die Ehe schau!

Als es knisterte, regte sich Ernest, der offenbar noch wach war, und sagte beschämt: »Ich hatte ganz vergessen, dass ich das da hingelegt hatte. Gleich nachdem wir angekommen waren …«

»Das ist süß«, sagte sie. »Danke schön.« Sie beugte sich vor und küsste ihn sanft auf die Wange, wich aber seinem Blick und der Frage aus, die darin liegen mochte. Dann drehte sie ihm den Rücken zu. Bald verriet ihr sein regelmäßiger Atem, dass er eingeschlafen war. Sie starrte auf die rot beleuchtete Blumentapete, bis auch sie eindöste.

Als sie aufwachte, war es dunkel. Sie spürte einen Druck im Kopf, wohl vom Alkohol. Doch nicht das hatte sie aufgeschreckt. Sie horchte. Hörte schnelle Schritte. In der Ferne hämmerte es, das Geräusch kam langsam näher. Ein Krachen an ihrer Tür. Sie zuckte heftig zusammen. Dann ein Schrei. »Feu!«

Feu? War das nicht französisch für Feuer?

Ernest lag auf dem Rücken und schnarchte. Sie stupste ihn an. »Ernest!« Er knurrte und drehte sich um. Sie packte ihn. »Ernest!«

Das Hämmern und Rufen wurde lauter. Die rennenden Füße klangen wie eine Stampede. Wallis fiel ein, dass sie keine Feuerleiter gesehen hatte. Die schien es in Paris nicht zu geben, nicht einmal in einem hohen Gebäude wie diesem. Und sie waren im vierten Stock.

Panik trieb sie aus dem Bett und zum Lichtschalter.

»Au!«, protestierte Ernest und verzog das Gesicht, als das erbarmungslose Licht der Glühbirne den Raum erhellte. Er presste die Hände an den Kopf. »Ahh …«

Wallis zog den Mantel über ihr Nachthemd. »Ernest, es brennt! Wir müssen raus!«

Er schoss wie der Blitz unter der Bettdecke hervor, öffnete die Tür, nahm sie am Arm und schob sie in die Menge auf dem Flur. Es ging so schnell, dass ihnen keine Zeit zum Reden blieb. Ehe sie sichs versah, wurde sie mitgerissen. Sie drehte sich um und schrie: »Ernest!« Doch die Tür zu ihrem Zimmer hatte sich geschlossen.

Sie versuchte, gegen die Flut anzulaufen, doch die Menschen drängten sie vorwärts. Sie husteten und hielten sich Taschentücher vors Gesicht. Der Geruch von Rauch war übermächtig.

»Ernest!« Wo war er nur? Warum hatte er das Zimmer nicht verlassen? Ein schrecklicher Gedanke durchzuckte sie. Vielleicht, weil sie ihm keine richtige Ehefrau sein konnte? War er zornig deswegen? Oder hatte er beschlossen, den Dingen ihren Lauf zu lassen, weil das Leben mit ihr nicht lebenswert war?

»Continuez, Madame!«, rief der dicke Mann hinter ihr, ein Traum in Unterhemd und langen Unterhosen.

Ihre Augen brannten vom Rauch, aber auch von Tränen. Es war alles ihre Schuld. Sie hätte ihn nie heiraten dürfen. Sie hatte ihn ruiniert, einen edlen und großzügigen Mann zerstört.

Die Menge fegte sie förmlich die Wendeltreppe hinunter in den winzigen Flur. Das Licht schien unbarmherzig auf alte Damen in Pumphosen, junge Männer mit nackter Brust, Haare in Lockenpapier und kahle Köpfe ohne Perücken. Es war wie in einem surrealen Traum; Fremde im Nachthemd, die Welt aus den Fugen, die Luft voller Rauch, alle schrien und drängelten. Wallis konzentrierte sich auf das Einzige, was zählte, und wünschte sich mit aller Kraft, dass Ernest endlich käme.

Jemand sagte, das Feuer tobe in den oberen Stockwerken, worauf sie der letzte Rest Vernunft verließ. Mit der Kraft des Wahnsinns drängte sie zurück in Richtung Treppe. Diesmal konnten selbst dicke Männer in langen Unterhosen sie nicht aufhalten. »Lasst mich durch!«, schrie Wallis.

Sie hatte den Fuß der Treppe erreicht, als jemand nach ihr griff. Sie stieß ihn weg, schob sich vorwärts. Er packte wieder zu. »Wallis!«

Es war Ernest. Sie öffnete die Augen und schaute in sein faltiges, freundliches Gesicht. Es schien das wunderbarste und liebste Gesicht der Welt zu sein. Dann bemerkte sie, dass er vollständig bekleidet war.

»Du bist oben geblieben, um dich anzuziehen?«, keuchte sie fassungslos. Hatte er ihr all die Qualen und Ängste zugemutet, nur um Anzug und Mantel anzuziehen?

Er hielt ihren Koffer hoch. »Nein, Wallis. Ich bin geblieben, um deine Kleider zu holen. Ich weiß doch, wie viel sie dir bedeuten.«

Das Begräbnis des Duke of Windsor

Die Fahrt vom Flughafen, Juni 1972

Die Maschine setzte rumpelnd auf der Rollbahn auf. Die Flugbegleiterinnen kamen aus der Kabine nebenan. Sie lächelten nichtssagend und professionell, doch Wallis spürte ihre Neugier. Das Flugzeug kam langsam zum Stehen.

»Wen sie wohl schicken, um dich zu abzuholen?«, fragte Grace.

Wallis war es egal. Ihr Leben war vage und fließend geworden wie ein freifliegender Ballon. Nichts fühlte sich mehr real an. Aber sie wusste, dass es David sehr wichtig wäre, wer seine Witwe offiziell empfing.

»Mrs Temple Senior?«, fragte Grace.

»Du meinst Ihre Majestät Königin Elizabeth, die Königinmutter«, korrigierte Wallis und lächelte, als sie Davids alten Spitznamen für die Frau seines Bruders hörte. Lilibet mochte früher dem Kinderstar Shirley Temple geähnelt haben, doch Elizabeth glich deren rücksichtsloser Mutter noch viel mehr.

»Meinst du, sie ist das Empfangskomitee?«

»Ich hoffe nicht.« Dennoch musste sie sich ihrer erbittertsten Feindin irgendwann stellen.

»Hat sie sich bei dir gemeldet?«

»Nein.«

»Überhaupt nicht?«, fragte Grace erstaunt.

Wallis zuckte mit den schmalen Schultern. »Sie gibt mir wohl immer noch die Schuld an Davids Abdankung und dem Tod ihres Mannes.«

»Und dass David dich geliebt hat und nicht sie.«

»Grace!« Wallis sah sich um, als hätten die Kabinenwände Ohren. Aber die Angestellten waren verschwunden; von irgendwoher hörte sie leises Gemurmel.

»Es stimmt doch, Wallis, du hast es mir selbst erzählt. Elizabeth hat nie verstanden, wieso er das amerikanische Aschenputtel der britischen Aristokratin vorgezogen hat.«

»Das haben wir beide nicht verstanden.«

Jenseits der Rollbahn warteten glänzende Autos und eine Reihe dunkel gekleideter Gestalten, darunter ein großer, aufrechter Mann mit silbernem Haar.

»Sie haben Mountbatten geschickt!«, rief Grace. »Das ist unerhört. Er ist kein Mitglied der königlichen Familie!«

»Das glaubt er aber«, sagte Wallis. »Hat er schon immer getan. Und ich bin ohnehin keine Königliche Hoheit. Nur Your Grace.«

»Grace zu sein, ist doch nichts Schlimmes!«

Die Stewardessen näherten sich; Zeit zum Aussteigen. Eine Sekunde lang klammerte sich Wallis an den Sitz. Ihre Gliedmaßen waren zu Blei geworden. Sie konnte das nicht. Sie wollte sofort zurück nach Frankreich.

Grace hakte sich bei ihrer Freundin unter. »Komm schon«, drängte sie. »Wir Graces müssen zusammenhalten.«

Sie traten ins Tageslicht, es war kühl für Juni. Die Kälte drang ihr in die Knochen, der graue Himmel lastete schwer auf ihr. Kein Regen. Aber sie waren in London, also würde es nicht mehr lange dauern.

Als sie die Stufen hinunterstieg, klammerte sie sich ans Geländer. Mountbatten marschierte herüber, sein Gesicht unter dem silbernen Haar war gebräunt. Er warf einen anerkennenden Blick auf Grace, bevor er sich umdrehte und fürsorglich den Arm um sie legte. Stolz zog sie ihn weg. »Ich bin eine Witwe, Louis. Kein Krüppel.«

Sie würden allein fahren, während Grace und die wenigen Bediensteten im nächsten Wagen folgten. Grace spürte, wie Wallis unruhig wurde, und umarmte sie rasch. »Wir sehen uns in Buckingham.« So nannten die Franzosen den Palast. Sie alle waren für drei Nächte bei der Königin zu Gast.

Die Autositze rochen satt nach Leder. »Ihre Majestät hat sämtliche Querstraßen sperren lassen«, bemerkte Mountbatten, als sie losfuhren.

Plötzlich sah Wallis Lilibet in Polizeiuniform vor sich, wie sie herrisch mit weißen Handschuhen den Verkehr dirigierte. Es kam ihr seltsam passend vor. »Warum?«

»Damit Sie nicht aufgehalten und angestarrt werden. Wir können einfach geradeaus durchfahren.«

Wallis hatte nicht an Kreuzungen gedacht, und eine glotzende Menschenmenge wäre kein Problem für sie. Sie war hier, um ihren Mann zu vertreten, der für kurze Zeit der König dieser Menschen gewesen war. »Es macht mir nichts aus«, sagte sie. »Ich bin sicher, die Leute wären respektvoll.«

Er machte es sich bequem, hob flüchtig und skeptisch eine Augenbraue. Ärger durchzuckte sie. »David war sehr beliebt«, erinnerte sie ihn. »Der beliebteste Prinz von Wales in der Geschichte.«

»Oh ja.« Mountbatten klang sardonisch. »Niemand, der ihn als Prinz von Wales kannte, wird ihn je vergessen.«

Sie unterdrückte ihre Empörung und wechselte das Thema. »Wie geht es allen? Der Familie?«

»Sehr gut. Sie freuen sich, Sie zu sehen.«

»Es geschehen noch Zeichen und Wunder.«

Sein breiter Mund verzog sich zu einem schwachen Grinsen. »Sie wären überrascht. Vor allem Ihre Schwägerin wird Sie mit offenen Armen empfangen. Sie wollte, dass ich Ihnen das ausrichte.«

Es kam so überraschend, dass Wallis die Maske fallen ließ und Mountbatten anstarrte. »Machen Sie Witze?« Hatten die Jahre das harte Bowes-Lyon-Herz endlich erweicht?

Mountbatten neigte den gepflegten Silberkopf. »Ihre Majestät, Königin Elizabeth, die Königinmutter, empfindet in Ihrer derzeitigen Trauer tiefes Mitgefühl mit Ihnen.«

»Tatsächlich?« Wallis spürte, wie eine Last von ihr abfiel.

»Ja. Sie weiß noch, wie es war, als ihr eigener Mann starb.«

Autsch. »Das ist sehr … ähm … tröstlich.«

»Gut. Das hatte sie gehofft.«

Wallis wandte sich zum Fenster. London glitt vorbei, trüb unter dem granitgrauen Himmel.

»Louis«, sagte sie nach einer Weile, »Sie wissen genau, dass nicht ich George VI. getötet habe.«

»Nein, es war der Stress. Man hatte ihn nicht darauf vorbereitet, König zu werden. Anders als seinen Bruder.«

Sie seufzte entnervt. Ein weiterer Mythos, der sich durchgesetzt hatte. »David wurde nie auf etwas vorbereitet. Sein Vater hat ihn an keiner einzigen Besprechung teilnehmen lassen oder ihm auch nur eine einzige Dispatch Box gezeigt.«

Skeptisches Schweigen, das sie ignorierte.

»George VI. starb an Lungenkrebs. Er hat gequalmt wie ein Schlot. Es waren die Zigaretten, nicht der Stress, weil er plötzlich König geworden war. Und da wir schon beim Thema sind, niemand hat es mehr als Elizabeth genossen, Königin zu sein.«

Mountbatten schaute jetzt auch aus dem Fenster. »Aber so ist es nun mal mit der Geschichte, Wallis. Es kommt nicht darauf an, was Sie getan haben. Es kommt darauf an, was die Leute denken, was Sie getan haben.«

Viertes Kapitel

Die neue Mrs Simpson, Upper Berkeley Street, London W1, 1928

Der Regen peitschte ans Wohnzimmerfenster. Draußen auf dem schmalen Eisenbalkon sammelte sich das Wasser. Seit sie aus Paris zurück waren, hatte es jeden Tag geregnet, so kam es Wallis zumindest vor.

Sie bemühte sich sehr, nicht enttäuscht von London zu sein, doch bisher war nichts so, wie sie es erwartet hatte.

»Es war wunderbar, dass Maud uns ein Haus gesucht hat, nicht wahr?«, fragte Ernest, als sie von der Hochzeitsreise zurückkamen. In Paris war es heiß und sonnig gewesen, hier tropfte Regen von seinem Hut.

Wallis hatte sich unter ihrem durchnässten, ruinierten Pillbox-Hut zu einem anerkennenden Lächeln gezwungen. »Das war es.«

Sowie Wallis Maud erblickte, löste sich die Hoffnung, eine Freundin zu finden, in Luft auf. Ernests Schwester war zum einen gute zwanzig Jahre älter und kleidete sich noch älter. Ihre sack­artigen Tweed-Kostüme waren Lichtjahre von der gepflegten Raffinesse der Pariser Frauen entfernt. Das hätte sie nicht gestört, wäre Maud wenigstens freundlich gewesen, doch das war sie nicht. Mit den funkelnden dunklen Augen und der kompakten Statur erinnerte sie an einen rechthaberischen, zänkischen Vogel. Ihr Nachname – Smiley – wirkte gelinde gesagt ironisch.

Sie hatte ihnen zweifelsohne geholfen, doch Wallis bereute, dass sie sich nicht selbst um ein Haus gekümmert hatte. Upper Berkeley Street 12 hätte sie jedenfalls nicht genommen. Es war ein schmales Reihenhaus nördlich der Oxford Street und wurde von den Nachbarhäusern förmlich erdrückt, sie schienen ihm die Luft zu nehmen. Nachts klapperte und hämmerte es in den uralten Leitungen, tagsüber drang der schmutzige Londoner Nebel durch die undichten Türen und Fenster. Der Ruß von Millionen rauchenden Schornsteinen mischte sich mit dem schwefelhaltigen Miasma des Flusses und war jetzt im Winter besonders dicht und übelriechend. Die Londoner nannten ihn Smog oder Erbsensuppe und schienen beinahe stolz darauf, doch Wallis hasste es, wenn er durch die Straßen wogte, dass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Der Nebel streifte wie eine dreckige Katze durchs Haus und hinterließ auf jeder Oberfläche eine schwarze Schmutzschicht.

Das Haus in der Upper Berkeley Street gehörte einer Bekannten von Maud, einer gewissen Lady Chesham, und Wallis argwöhnte, dass eher dieser Dame geholfen werden sollte als ihnen.

Zumal die dazugehörige Köchin nicht verhandelbar gewesen war. Maud war entsetzt, als Wallis zögernd erwähnte, sie wolle selbst kochen. »Eine Dame kocht nicht selbst!«, rief sie aus. »Eine Dame arbeitet überhaupt nicht!«

Wallis hatte sich gefügt, statt mit Maud zu streiten, denn das hätte Ernest verärgert, der von seiner älteren Schwester eher eingeschüchtert schien. Außerdem könnte sie von Mrs Codshead, der Köchin, vielleicht noch etwas lernen. Wallis wollte sich unbedingt mit der englischen Küche vertraut machen.

Leider erwies sich Mrs Codshead als die für ihren Beruf am wenigsten geeignete Person, der Wallis je begegnet war. »Sie ist geradezu herausragend schlecht«, sagte sie zu Ernest, als Mrs Codshead wieder einmal einen Brei aus Kohl und harte, schwarz geäderte Kaninchenkeulen serviert hatte. »Eigentlich ist es einfacher, Kohl so zu kochen, dass er knackig und grün bleibt. Man muss schon ein echtes Genie sein, um ihn zu Tapetenkleister zu verarbeiten.«

Ernest zog eine Augenbraue hoch. »Na ja, du sagst doch immer, dass hier renoviert werden muss. Da könnte Tapetenkleister ganz nützlich sein.«

Das grauenhafte Essen war zu ihrem privaten Scherz geworden. Ein besonders abstoßendes Fleischgericht hatte Ernest »Totenbein« getauft, während Wallis einen körnigen, gräulichen Pudding »Die Zehennägel der Nonne« nannte. Ein wässriges, farbloses Gericht, das hauptsächlich aus Knochen bestand, wurde zum »Skeletteintopf«.

Mit der Zeit wurde das schreckliche Essen allerdings weniger amüsant. Und die Tatsache, dass sie dafür bezahlten, erst recht. Ihre Ankunft in Großbritannien und der viel gepriesene Neuanfang fielen mit einer Wirtschaftskrise zusammen, die von Woche zu Woche schlimmer wurde.

Die wirtschaftliche Situation war trüb, das wusste Wallis nur zu gut; es war sehr viel schwieriger als erwartet, das Familienunternehmen Simpson, Spence und Young aus der Krise zu führen. Sie hatten jetzt weniger Geld als bei ihrer Heirat, und die Aussichten waren düster.

London blieb unerforscht; die Theater, die Nachtclubs mit den berühmten Bands, die Konzertsäle mit den gefeierten Orchestern, die Grand Hotels mit ihren Ballsälen. Weil es ihnen an Geld fehlte, waren diese Genüsse vollends unerreichbar. Ernest schien sich in sich zurückzuziehen. Sorge und Erschöpfung wirkten sich seltsam auf ihn aus. Er hatte angefangen, laut auf Latein zu deklamieren; anscheinend hatte er in der Schule einen Preis dafür gewonnen und tröstete sich mit der Erinnerung an den Erfolg. Der Stress verursachte zudem Furunkel, vor allem am Hals. Wallis machte ihm Umschläge, während er Vergil im Original las. Noch nie war der Abend in der Pariser Bar so fern gewesen.

Dennoch versuchte sie, seinen alten Pariser Esprit wiederzubeleben. Wenn sie einmal ausgingen, würde das nicht gleich ihr Budget sprengen. »Ich möchte so gern Eine Nacht in London sehen«, schlug sie sehnsüchtig vor. »Alle schwärmen von Robin Irvine und Lilian Harvey …«

»Wallis, das können wir uns wirklich nicht leisten.«

»Wie wär’s mit einem Nachtclub? Dem Café de Paris?« Sie kannte es aus Zeitschriften, es war beliebt bei Cabaret-Stars und besaß eine große geschwungene Treppe, die für spektakuläre Auftritte wie geschaffen war.

»Auch das nicht.«

»Oder dem Embassy Club in der Bond Street?« Auch davon hatte sie Bilder gesehen, er war mit Spiegeln und roten Samtbänken ausgestattet. »Dort spielen die besten Bands.« Sie hatte so lange nicht getanzt.

»Diese Clubs sind sehr teuer«, warnte Ernest.

»Wir würden nur einen Drink nehmen und die Leute beobachten.« Sie flehte wie ein Kind. »So wie in Paris.«

»Wallis, wir hatten in Paris nicht einen Drink, sondern drei!«

Gott sei Dank, dachte sie. Denn es sah nicht danach aus, als würde sie jemals wieder einen Champagnercocktail trinken. Sie fühlte sich wie eine Flasche Champagner, die man im Eisfach vergessen hatte und deren Bläschen in der Kälte verschwunden waren.

Sie war seit sechs Monaten in London und hatte noch keine einzige Freundin gefunden. Wenn Ernest zur Arbeit gegangen war, verlangsamte sich die Zeit und kroch nur noch dahin. Und wenn er heimkam und sich mit seinen Büchern zurückzog, schien sie noch langsamer zu werden.

Die Isolation lastete schwer auf ihr. Noch nie im Leben hatte sie sich so einsam gefühlt. Sie hasste, wie er ihr entglitt. Für kurze Zeit waren sie ein Team gewesen, vereint in ihren Hoffnungen und Ambitionen für die Zukunft. Nun aber waren sie einander fern und schliefen in unausgesprochenem, aber beiderseitigem Einverständnis in getrennten Zimmern.

Wallis spürte, dass das Ausmaß seiner finanziellen Probleme ihn ängstigte, und wollte ihn beim Abendessen ermutigen, die Last mit ihr zu teilen. Aber Ernest sagte nur, sie solle sich keine Sorgen machen. Vermutlich war es sein männlicher Stolz. Er fühlte sich verpflichtet, für sie zu sorgen und alles allein zu bewältigen. Dabei schien er zu vergessen, dass sein Vorgänger weder das eine noch das andere getan hatte, ganz im Gegenteil.

»Ich habe eine Idee«, verkündete Ernest eines Abends, als sie einen Teller Skeletteintopf in Angriff nahmen. »Du sagst doch immer, du hättest London gar nicht kennengelernt.«

Schlagartig besserte sich ihre Laune. Wollte er einlenken und doch mit ihr ins Theater gehen? Doch bei seinen nächsten Worten erlosch der kleine Funken Zuversicht. »London ist voller historischer Sehenswürdigkeiten.«

Wallis atmete tief durch. »Du meinst Galerien, Museen und so?«

»Genau!« Seine Augen leuchteten. »Faszinierende Orte. Und weißt du, was das Beste daran ist?«

»Sag’s mir.«

»Die sind alle kostenlos!«

Und so kam es, dass von nun an eine kleine, einsame Gestalt, bewaffnet mit Ernests Reiseführern und einem Schirm gegen den allgegenwärtigen Regen, im Parlamentsbezirk und unter der großen Kuppel von St. Paul’s auftauchte. In den Inns of Court kauerte sie auf einer Parkbank, während schwarz gekleidete Barrister wichtig an ihr vorbeirauschten. In Westminster Abbey besichtigte sie pflichtschuldig den eher schlichten Holzstuhl, auf dem königliche Karrieren begannen, und die prächtigen Gräber, in denen sie endeten. Nachdem Ernest erklärt hatte, die Londoner Eisenbahnarchitektur sei die beste ihrer Art, besuchte sie die rußgeschwärzten Türme der St. Pancras Station. Die Halle war voller Bierfässer und stämmiger Männer mit seltsamen Akzenten. Das Dach war ein riesiges Eisengewölbe, und die roten Backsteinmauern erinnerten an eine mittelalterliche Kathedrale oder Festung. Offenbar war nicht nur das Heim eines Engländers seine Burg, sondern auch sein Bahnhof. Zugegeben, er besaß eine gewisse Schönheit, doch vor allem, weil er einen Fluchtweg bot.

Fünftes Kapitel

Der Winter schleppte sich dahin. Das Wetter wurde schlechter und Wallis hoffnungsloser. Würde sie in dieser kalten, alten Stadt jemals eine verwandte Seele finden? Die einzigen Menschen, die sie bisher kennengelernt hatte, waren Ernests Geschäftspartner. Sie kamen gelegentlich zum Abendessen und zeigten sonderbare englische Tischmanieren. So aßen sie beispielsweise mit Messer und Gabel, statt nur mit der Gabel, wie es Amerikaner taten, und langten direkt zu, statt zu warten, bis alle etwas auf dem Teller hatten. Sie fand es mutig angesichts der miesen Qualität des Essens. Aber »Totenbein« und Konsorten schienen sie erstaunlicherweise nicht zu schrecken. In dieser fremden neuen Stadt war man schlechtes Essen wohl ebenso gewöhnt wie schlechtes Wetter.