Wanderungen durch Thüringen - Ludwig Bechstein - E-Book

Wanderungen durch Thüringen E-Book

Ludwig Bechstein

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Beschreibung

In den "Wanderungen durch Thüringen" beschreibt der in Weimar geborene Bechstein seine Heimat und nimmt den Leser mit u.a. in folgende Städte und Regionen: Meiningen. Der Dolmar. Thal der Lichtenau. Suhl. Oberhof. Der Schneekopf. Ilmenau. Schleusingen. Die Hessberger Thierfährten. Das Meininger Oberland. Saalfeld. Blankenburg. Paulinzelle. Schwarzburg und das Schwarzathal. Rudolstadt. Orlamünde. Jena. Dornburg. Rudelsburg und Saaleck. Schulpforta. Naumburg. Freyburg. Memleben. Der Kiffhäuser. Weimar. Erfurt. Arnstadt. Die drei Gleichen. Gotha. u.v.m.

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Wanderungen durch Thüringen

Ludwig Bechstein

Inhalt:

Ludwig Bechstein – Biografie und Bibliografie

Wanderungen durch Thüringen

Motto.

Einleitung.

Meiningen.

Der Dolmar.

Thal der Lichtenau.

Suhl.

Oberhof.

Der Schneekopf.

Ilmenau.

Schleusingen.

Die Hessberger Thierfährten.

Das Meininger Oberland.

Saalfeld.

Blankenburg.

Paulinzelle.

Schwarzburg und das Schwarzathal.

Rudolstadt.

Orlamünde.

Jena.

Dornburg.

Rudelsburg und Saaleck.

Schulpforta.

Naumburg.

Freyburg.

Memleben.

Der Kiffhäuser.

Weimar.

Erfurt.

Arnstadt.

Die drei Gleichen.

Gotha.

Wartburg.

Waltershausen und Tenneberg.

Reinhardsbrunn.

Der Candelaber.

Der Dietharzergrund.

Felsenthal und Inselberg.

Liebenstein.

Die Liebensteiner Höhle.

Altenstein.

Salzungen.

Schluss.

Wanderungen durch Thüringen, L. Bechstein

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849606534

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Ludwig Bechstein – Biografie und Bibliografie

Dichter und Schriftsteller, geb. 24. Nov. 1801 in Weimar, gest. 14. Mai 1860 in Meiningen, widmete sich der Pharmazie, erhielt aber nach Veröffentlichung seiner »Sonettenkränze« (Arnstadt 1828) vom Herzog von Meiningen die Mittel, eine Universität zu beziehen. Er studierte in Leipzig und München Philosophie, Literatur und Geschichte und wurde 1831 Bibliothekar der herzoglichen öffentlichen Bibliothek in Meiningen, 1840 Hofrat, 1848 Archivar des hennebergischen Gesamtarchivs. B. war namentlich auf dem Gebiete des Romans und der Novelle überaus fruchtbar; die schnelle Produktion schädigte aber seine Leistungen. Seine Nüchternheit kontrastierte mit seiner Vorliebe für romantische Stoffe; seine Formgewandtheit erhob sich schon zur Formvollendung. Erfreulicher wirken die lebendige Frische vieler Schilderungen und seine thüringische Heimatsliebe. Von seinen poetischen Werken seien erwähnt: »Die Haimonskinder« (Leipz. 1830); »Der Totentanz« (das. 1831); »Faustus« (das. 1833); »Luther« (Frankf. 1834); »Gedichte« (das. 1836); »Neue Naturgeschichte der Stubenvögel«, humoristisches Lehrgedicht (Hannov. 1846), und sein nachgelassenes Epos »Thüringens Königshaus« (Leipz. 1865). Unter seinen Romanen und Novellen verdienen Hervorhebung: »Das tolle Jahr« (Leipz. 1833, 3 Bde.); »Der Fürstentag« (das. 1834, 2 Bde.); »Fahrten eines Musikanten« (Schleusing. 1836–37, 3 Bde.; 2. Aufl. mit einem 4. Teil, Frankf. 1854), dazu als Seitenstück »Klarinette« (Leipz. 1840, 3 Bde.). Seiner verdienstlichen Teilnahme an der Sagen- und Märchenpoesie, namentlich der Heimat, entstammten: »Der Sagenschatz und die Sagenkreise des Thüringerlandes« (Hildburgh. 1835–38, 4 Bde.); »Der Sagenschatz des Frankenlandes« (Würzb. 1842); »Thüringer Sagenbuch« (3. Aufl., Dresd. 1898); das vortreffliche, oft ausgelegte »Deutsche Märchenbuch« (Leipz. 1841) und »Neues deutsches Märchenbuch« (Wien 1856); »Mythe, Sage, Märchen und Fabel im Leben und Bewußtsein des deutschen Volkes« (Leipz. 1855, 3 Bde.) u. a. Auch veröffentlichte er die »Geschichte und Gedichte des Minnesängers Otto von Botenlauben« (Leipz. 1845), das Eisenacher »Spiel von den zehn Jungfrauen« (Halle 1855) u. a.

Wanderungen durch Thüringen

Motto.

Thüringen ist und bleibt nach den Rheingegenden mir der liebste Strich in Deutschland. Es ist so etwas Heimisches, Befreundetes in dem Boden; wie ein alter herzlicher Jugendfreund heisst er den Wandrer willkommen. Wenn man durch die freudenleere leipziger Fläche sich müde und matt hindurchgearbeitet hat, dann empfängt den Pilger das freundliche Land mit seinen tausendfach wechselnden Reizen. Die Natur entfaltet sich mit jedem Schritte immer reicher, kühner, üppiger. Ich sagte Dir schon, die Bäume bekämen ein ganz andres Grün, so wie man Thüringens Boden betritt. Herrliche Berge krönen das Land mit unverwüstlichen Wäldern; romantische Gründe laden zu fröhlichem Lebensgenuss; kühne gigantische Felsen predigen mit ewiger Begeisterung die Allmacht der Natur und enthüllen auf kolossalen Blättern die urälteste Geschichte der Erde und das tiefe Wunder ihrer ewigen Metamorphose. Einfältig, treu und bieder, wie seine Natur, ist das Volk; in den Thälern des herrlichen thüringer Waldes wohnt noch der alte deutsche Kerngeist, Gastlichkeit, unverdorbener Sinn, heilige Treue. Wenn draussen auf dem platten Lande der Bauer nahe an der Dumpfheit des Thieres lebt, so tönet hier fast in jeder Hütte Musik. Noch wandeln hier im heiligen Schatten majestätischer Wälder die Geister der alten deutschen Romanze; noch wohnen die süssen einfältigen Weisen aus guter alter Väterzeit lebendig auf den Lippen des Volks, und in den Gesellschaften der Bauern wird noch manch kindlich herzlich Lied gehört, das eines weitern Kreises würdig wäre. Noch herrscht hier das wunderbare Reich der Geister und äussert seinen geheimen Einfluss auf die Gemüther der Menschen. Wo Berge sind, ist Gott; auf dem platten Lande hauset der Teufel.

Ueber dem ganzen Lande schwebt der Geist der Vorzeit annoch mit hörbarem Flügelschlag und mit prophetischen Stimmen; das Werk der Gewaltigen ist nicht dahin, in himmelanstrebende Bäume und Felsen ist es aufgegangen, aus den schauervollen Ruinen redet noch Heldenkraft und Ritterliebe in vernehmlichen Tönen. Manche Quadratmeile thüringer Boden ist mehr werth, ist denkwürdiger, als die ganze Mark Brandenburg sammt Pommerland. –

Friedrich Gottlob Wetzel.

Einleitung.

Im Herzen Deutschlands liegt ein ausgedehntes Ländergebiet, das gesegnete Fluren, blühende Städte, mäandrische Flüsse, ein hohes höchst romantisches Waldgebirge umfasst und grosse, geschichtliche Erinnerungen bewahrt. Vor alten Zeiten war dieses Ländergebiet ein Königreich und hiess Thüringen. Sein Königthum versank im Fluthen des Zeitenstromes; das Land ward getheilt und zerrissen, es wurden vieler Herren Länder daraus, aber der alte Name blieb und lebt unaustilgbar fort.

Bevor wir mit fröhlicher Reiselust dieses Landes Gefilde und Marken durchziehen und kennen lernen, will es wohlgethan erscheinen, in rascher Uebersicht seiner Geschichte, seinem Umfang und seiner politischen Gestaltung verweilende Aufmerksamkeit zu schenken. Thüringens Urgeschichte umschleiert mythische Dämmerung, und nur die Sage tritt aus dem Frühnebel, als Fata Morgana ein Gefild abspiegelnd, das der Fuss des strebenden Wallers nie beschreitet. Wandernd und heerend wogen die Völker in drängenden Zügen von Berg zu Thal, vom Thal zum Gebirge; friedliche Ansiedler müssen weiter ziehen, und die in ihrer verlassenen Wohnstatt sich ruhig zu betten wähnten, drängt ein anderer überlegener Schwarm hinweg. Südwestlich vom grossen Harzwald, der silva hercynia der Römer, brausst der Völkerstrom, bis er allmählig ruhiger wallt, und von den Heimath Suchenden feste Wohnsitze gewonnen und begründet werden. Als die Urbewohner des Thüringerlandes werden vor allen Katten und Hermunduren genannt, die einander oft in verderblichen Kämpfen befehdeten, namentlich um Salzquellen; aber auch Tyrigeten, Theuern-Gothen, Theruingen nennt die Geschichtforschung als erste Bewohner Thüringens und leitet den Landesnamen mannichfach, oft abenteuerlich ab. Alte Sagen blieben haften von der grossen Völkerwanderung; wie die Saxen, aus dem Osten gekommen, die Theuern-Gothen am deutschen Meeresufer besiegt und nach Süden hingedrängt, wie sie mit List jenen um schnödes Gold die Heimath-Erde abgetauscht, und sie dann über den Harz getrieben. Auch die Kunst des Bergbaues trugen Kundige der Sage nach später zuerst vom Harz nach dem Thüringer-Walde.

Im vierten Jahrhundert tritt Volk und Land der Thüringer schon gestalteter in den Gesichtskreis der Geschichtforschung; die germanischen Stämme sonderten sich mehr und mehr von einander, die Landesmarken wurden bestimmt und befestet, zu Trutz und Schutz vereinten sich die Nachbargaue, und zwischen Sachsen im Norden, Franken im Westen, Allemannen im Süden, und Slaven im Osten breitete sich der mächtige Stamm der Thüringer über ein sehr grosses Ländergebiet aus, in dessen Mitte sich ein Hochland voll undurchdringlicher Urwaldung erhob.

Die Grenzen dieses Landes umfassten gen Norden einen grossen Theil des Harzes, reichten von der Lahn bis zum Elbstrom, umschlossen östlich das ganze Osterland bis zur Elster wie das Voigtland, im Süden den ganzen Thüringer-Wald, den Grabfeldgau, das Flussgebiet der fränkischen Saale bis zum Main, wie das der Werra im Süden und Westen bis zur Weser – Hessen, Westerwald und Wetterau.

Der Culturzustand der frühesten Bewohner Thüringens war im Allgemeinen dem der übrigen germanischen Volksstämme gleich; im Besondern bedingte ihn die Beschaffenheit des Landes und der Wohnsitze. Kriegerische Nachbarn erheischten Wachsamkeit, Kampfgeübtheit und jene mannliche Tapferkeit und Todesverachtung, die selbst der stolze Römer dem Germanen anerkennend nachrühmen musste. Die fast ununterbrochen sich über das Land breitenden Waldungen machten den Anwohner zunächst zum Jäger, dessen Geschoss und Schlinge Ur- und Wisand, Elenn- und Rennthier, Wolf, Bär und Luchs, nebst dem übrigen, noch jetzt in Thüringen heimischen Wild als willkommene Beute fiel, und Nahrung, Kleidung, Schmuck, selbst Waffe gewährte. Die Flüsse boten reichern Fischfang als die wenigen und nicht umfangreichen Seen; Metall wurde wohl mehr eingetauscht, als selbst gewonnen, und schwerlich erhob sich der Bergbau früher, als Viehzucht und Ackerbau sich auszubreiten begonnen hatten. Vom religiösen Cult der Thüringer, ihrem Priesterwesen und ihren Idolen lässt sich wenig mit Bestimmtheit nachweisen, obgleich frühere Gelehrte sich bestrebt haben, dem thüringischen Volksstamm neben dem allgemein verehrten Sachsengott Wuotan (Wodan, Odin) noch eine Menge Lokalgottheiten zuzueignen; dahin gehören Thor, Sater, (Krodo) Stuffo, Bil, Lara, Jecha, Ostara, Bachrod, Hulda, Püstrich und andere, deren Bildnisse Bonifacius grösstentheils zerstört haben soll. Von allen diesen lebt nur Hulda im Volksglauben bis heute fort; als der Krodoaltar wird noch ein hochalterthümliches Geräth zu Goslar gezeigt, wie das bekannte Püsterichbild zu Sondershausen. Die Uebrigen leben nur noch im Namensklang der Berge und Orte, wohin die Tradition ihre Haine und Bilder versetzte.

Als erster mythischer Beherrscher, (denn rein mythisch ist die Frühzeit dieses Landes und sagengeschichtlich ausgeprägt) des ausgedehnten Reiches Thüringen wird der Frankenkönig Chlodio oder Chlodowig genannt, der Erbauer jenes Dispargum, über das, wo es gelegen, die Forscher stritten und noch streiten, da viele Orte auf diese Ehre Anspruch machen. Einst badete im Meere Chlodio's Gemahel, da rauschte ein Meerwunder aus der dunkeln Tiefe herauf und trug Verlangen nach der Umarmung der schönen Königin, und sie gewährte, was sie nicht weigern konnte. Dieser Umarmung Frucht war Merovig, Thüringens zweiter König, der Gründer von des Landes uralter Hauptstadt Erfurt, in deren Nähe er das Herrscherschloss Merwigsburg erbaute. In diesen Zeiten zuckte und blutete Deutschland unter den Schlägen der Gottesgeisel Attila, der die Länder verheerte; und an der Stätte des alten Eisenach herrschte ein Gewaltiger, Günther mit Namen, dessen reizende Tochter Chrimhild der wilde Etzel freite und dort festliche Hochzeit hielt; ihm und seinen Hunnen wurde ganz Thüringen unterthan und zinspflichtig, bis Attila hinweg, und Merovig todt war; da warfen die Thüringer das Hunnenjoch ab und wählten sich einen andern König, der hiess Basinus. Merovig hatte einen Sohn Namens Chilperich, einen übelgearteten Jüngling, den das Volk der Franken austrieb. Schutz und Aufenthalt suchend, kam der Flüchtige in Basinus gastliches Haus, welches ihn gütig aufnahm und acht Jahre lang herbergete; zum Danke verleitete Chilperich Basinus Weib zur Untreue, dass sie ihm nachfolgte, als er wieder in sein Reich heimkehren durfte, und bei ihm blieb. Sie wurde Mutter des zweiten Chlodio, des grossen Frankenhelden. König Basinus, als er starb, hinterliess drei Söhne: Baderich, Bertharich und Irminfried, die theilten unter sich des Vaters weites Reich, und des Letztern Theil wurde das heutige Thüringen. Auf der Merovigsburg sass Irminfried und sann darauf, sich eine würdige Gemahlin zu erkiesen; damals erscholl durch alle Lande der hohe Ruhm des Helden Dieterich von Bern, (Theoderich von Verona) Königes der Ost-Gothen. Mit diesem mächtigen Herrscher sich zu verbünden, war eben so ehren- als vortheilhaft, und Irminfried warb um Dieterich von Berns Nichte Amalberga, die er auch zur Gemahlin empfing. Mit ihr zog schweres Unheil in das Land. Stolz und herrisch und missgünstig sah sie mit Neid auf das Erbe der Brüder ihres Gatten und lag ihm an, das ganze Reich zu gewinnen. Einst deckte sie Irminfrieds Tisch nur halb, und höhnte dem deshalb Fragenden in's Gesicht: »Eines halben Reiches Herrn ein halbgedeckter Tisch. Ganzes zu Ganzem!« So angestachelt zur Unthat erschlug mit des austrasischen Königs Theoderich Hülfe Irminfried seine beiden Brüder und nahm ihr Reich in Besitz, aber was er gewonnen, nahm Theoderich für seine Hülfe in Anspruch. Darüber erhob sich mächtiger Zwiespalt unter den Königen, und Theoderich mit seinem Bruder Chlotar zogen aus Franken mit grosser Heeresmacht gen Thüringen. In Burg Scheidungen an der Unstrut war damals die Königresidenz, und in diese flüchtete Irminfried mit den Seinen, nachdem bei Runiberg eine mörderische dreitägige Schlacht geschlagen und von den Thüringern verloren worden war. Dort belagert und eingeschlossen, war der König in der höchsten Noth, denn Theoderich hatte, sich zu verstärken, auch die den Thüringern feindlichen Sachsen gegen sie zu Hülfe gerufen. Da sandte Irminfried heimlich seinen getreuen Marschalk Iring zu Theoderich, dass er Gnade bitte, mindestens für Amalberga und ihre Kinder, und dessen Flehen bewegte auch des Frankenkönigs und seiner Räthe Herz, Gnade zu üben, zumal sie die furchtbar kriegerischen Sachsen zu fürchten begannen; diesen aber war die thüringische Königsburg und das umliegende Land zum Lohn versprochen, wenn sie es gewännen. Schon war es nahe daran, dass sich die streitenden Könige ganz versöhnten, als ein Thüringer mit seinem Falken zur Entenbeize an die Unstrut ritt, dem am andern Ufer ein Sachse den Falken entlockte. Und um den Vogel zurückzuerhalten, verrieth der Thüringer jenem die Einung der Könige, und dass den Sachsen nichts Gutes bevorstehe. Eilend verkündete der Sachse im Lager der Seinen das Drohende, was er vernommen, und diese erhoben ihr Feldzeichen mit dem Löwen, Drachen und Adler, warteten die Nacht ab, überfielen Stadt und Burg und richteten ein entsetzliches Blutbad an. Mit Noth entfloh der König und seine Familie; das eroberte Land ward zwischen Sachsen und Franken getheilt, und später der entthronte König von Theoderich durch schändlichen Treubruch ermordet; Amalberga flüchtete sich und die Kinder nach ihrer Heimath Italien.

Das war das Ende des Thüringischen Königthumes.

Dem übermächtigen Frankenreich war jetzt Thüringen als eine Provinz einverleibt, die durch Gaugraven verwaltet wurde. Unter ihnen, und namentlich zur Zeit des Frankenkönigs Dagobert, erneuten die Hunnen, vereint mit Slaven und Wenden, verheerende Einfälle in das Thüringer Land. Bald siegend, bald besiegt, kehrten sie immer mit verstärkter Macht zurück, und eine lange Jahresreihe hindurch war ihr Name der Schrecken der Völker. Da ernannten die Frankenkönige Herzoge, die das Land schirmen und vor den Heeren herziehen sollten. Unter diesen die zum Theil mit Glück gegen die feindlichen Avaren- und Slavenhorden kämpften, theils auch die Selbstständigkeit Thüringens gegen die fränkische Oberherrschaft wieder zu erringen strebten, wird besonders Ratulph oder Rudolf mit Ruhm genannt. Im Frankenreich selbst sank das Ansehen der Königsmacht, und die Hausmeier { Majores domus) erhoben sich zu Gebietern des ungeheuern Reiches. Ueberall aber war unter Völkern und Herrschern Zwiespalt, Hass und Streit; die Hausmeier kämpften um die höchste Gewalt, und Thüringen wurde zu gleicher Zeit von den östlichen Feinden verheert, von den Franken bedroht, von den Sachsen bedrückt, und war dabei herrenlos, ohne König, ohne Herzog; jeder Gau unter seinem Graven musste sehen, wie er sich schützte.

Als im Reiche der Franken eine grosse Schlacht dem berühmten Hausmeier Pipin den Stab der Macht in die Hand gegeben, und dieser gegen seinen Bruder Gripho kriegte, ist dieser Frankenheld und Vater eines noch grössern Helden oft durch Thüringen gezogen, über welchem Lande zu dieser Zeit die Aurora eines neuen beseligenden Glaubens herrlich aufglühte.

Winfried-Bonifacius, der glaubenseifrige Angelsachse, war der Lichtträger, der dem noch in der Nacht des Heidenthumes wandelnden Volke der Thüringer die segensreiche Lehre des Heilandes verkündete und sich die Ehre verdiente, Thüringens Apostel zu heissen. Da lebt noch im dankbaren unvertilgbaren Andenken sein Name; an Gotteshäusern und Bergaltären, an Felsen und Quellen ist er vielfach haften geblieben, und die kindliche Sage des Volkes trägt aus der Vorzeit die Kunden seiner Wunder immer noch gleich frischen Blumen in die Gegenwart. Treue Gehülfen unterstützten den Bekehrer, und der Himmel segnete sein Werk; die neue Lehre gefiel den Thüringern wohl, denn sie verhiess ihnen Freiheit und Erlösung von dem Hunnenjoch und Hunnenzins und stärkte ihren Muth, dass sie auch mit gewaltigen Arm die Avaren in einer grossen Schlacht auf's Haupt schlugen, als diese kamen, die Verweigerung des Tributs zu rächen. Während die Schlacht geschlagen wurde, stand Bonifacius in der Nähe auf einem Hügel und flehte Gott für Thüringen um Sieg, wie Moses that, als Israel gegen Amalek stritt. Nächst Gott hatte der Apostel Thüringens den mächtigsten Schirmherrn an Karl dem Grossen, dem Avaren- Normannen- Sachsen- und Sarazenenzwinger, welcher mehr als einmal in die Provinz Thüringen zog, dem Lande einen Richter setzte, einen Dingstuhl in des Landes Mitte und ausserdem noch vier andere aufrichtete und alles wohl bestellte. Darauf haben sich viele Städte, Dörfer und Klöster erhoben.

Die Söhne des grossen Karl theilten das ungeheure Reich, das ihr Vater beherrscht, unter sich, dabei kam Thüringen an Ludwig den Deutschen. Und da abermals sich vom Osten her die verderblichen Einfälle der feindlichen Nachbarvölker wiederholten, so ernannte der König einen neuen Herzog, Namens Tachulf, der jene mit wechselndem Glück bekämpfte. Diesem folgte nach eine kleine Reihe Herzoge, welche alle zu ohnmächtig waren, den immer schrecklicheren und verheerenderen Raubzügen der Hunnen zu widerstehen, die nun nicht allein Thüringen, sondern auch Sachsen, Franken, Schwaben, Baiern, ja selbst die Rheinlande auf unerhört grausame Weise verwüsteten. In dieser Zeit der allgemeinen Noth starb der letzte schwache Sprosse der Karolinger, Ludwig das Kind, und die deutschen Fürsten und Volksstämme erwählten den tapfern Frankenherzog Konrad zu ihrem Oberhaupt, den der alternde Sachsenherzog Otto ihnen vorschlug. Undankbar weigerte aber dieser Otto's Sohne Heinrich die Herzogwürde über Thüringen, doch dieser erkämpfte und behauptete mit dem Schwert in der Hand sein Recht und sein Erbe, und er war es, den Konrad sterbend selbst dem Volk und seinen Führern als den Würdigsten empfahl; die deutsche Krone zu tragen. Da gingen die Frankenfürsten hin zu dem Sachsenherzog und fanden ihn an der Unstrut im Kreise seiner Kinder bei'm Vogelfang; davon hiess er hernach Heinrich der Vogelsteller oder der Finkler. Er war dem Thüringer- und Sachsenland zum Segen gegeben, er zerbrach die schimpfliche und drückende Hunnenkette und brach die Macht dieser Völker in Thüringen in einer grossen Vertilgungsschlacht, die bei Merseburg geschlagen wurde, für immer. Sein grosser Sohn, Otto der Erste, folgte ihm würdig nach; dieser war Thüringens letzter Herzog.

An die Stelle der Herzoge treten nun in der Geschichte dieses Landes die Markgrafen, von denen Eckards Name am glänzendsten durch Thüringens Vorzeit leuchtet, aber als Heinrich II. (der Fromme) gestorben war, und die deutschen Völker den mannlichen Frankenherzog Konrad den Salier zum König erklärt hatten, trat bald darauf eine neue Würde hervor, unter welcher eine glorreiche Regentenreihe das nun in engere Grenzen gezogene Thüringerland beherrschte: die Landgrafen von Thüringen. Als deren Ahnherrn nennt die Geschichte einen fränkischen Ritter, Ludwig mit dem Barte, der in der Nähe des Waldes und auf demselben Güter erwarb, theils durch Ankauf, theils durch Geschenke Konrad's, seines Verwandten. Sein Sohn war Ludwig der Springer, Erbauer der Landgrafenresidenz Wartburg und Gründer von Reinhardsbrunn; und seinem Geschlecht entblühte Ludwig der Eiserne und der Milde, Herrmann der Sängerfreund, Ludwig der Fromme, der Gemahl der heiligen Elisabeth, wie Heinrich Raspo, der deutsche König. Diesem Herrschergeschlecht leisteten die Grafen und edlen Herren Thüringens Vasallendienst und Heeresfolge, und trugen unter ihnen in manches fremde Land, ja bis nach Palästina, das thüringische Löwenpannier. Als Heinrich Raspo erbenlos gestorben war, erhob sich ein heftiger und lange dauernder Hader um das Thüringerland, das hauptsächlich von einer Seite der Meissner Markgraf, Heinrich der Erlauchte, ein Sohn Jutta's, der altern Schwester Heinrich Raspo's, von der andern Sophia, eine Tochter Ludwig des Frommen und der heiligen Elisabeth, verwittwete Herzogin von Brabant, für ihr Kind in Anspruch nahm. Diese kam nach Hessen, sammelte einen grossen Anhang um sich her, und es begann ein neunjähriger Krieg um das Land, das dabei am meisten litt. Endlich kam es zum Frieden, Thüringen und Hessen wurden von einander gesondert, Heinrich der Erlauchte behielt ersteres und gab es seinem Sohn Albrecht, welcher, so mächtig war das Ansehen der thüringischen Landgrafen, um eine Kaisertochter werben und sie auf seine Wartburg führen durfte. Diese war die durch ihr Unglück so bekannte Margaretha, die Mutter Friedrich's mit der gebissenen Wange, der, als er sechszehn Jahre alt war, Streit und Fehde mit dem Vater anhob, um das seiner Mutter angethane schwere Leid zu rächen. Der neue Krieg brachte dem Thüringerland wieder grosses Unheil zu Wege, denn Albrecht, welchen für sein übles Thun die Geschichte den Unartigen nennt, verkaufte ganz Thüringen an den Kaiser Adolph von Nassau für zwölftausend Mark Silbers, um es seinen und der Margarethe Söhnen zu entziehen, und da diese es kräftig zu behaupten suchten, führte der Kaiser ein Heer von wildem Raubgesindel nach Thüringen, das auf schändliche Weise im Lande wüthete. Doch während in Thüringen die Landgrafenfehde lange Jahre fortdauerte, fiel Adolph von Nassau durch seinen Gegenkönig Albrecht, Rudolphs von Habsburg Sohn, und dieser selbst, nach zehnjähriger Regierung, durch seines Neffen, Johann's von Schwaben, Meuchelhand. Als der Schreck ob dieser That Deutschland durchzitterte, ward in Thüringen Friede. Friedrich des Gebissenen oder des Freudigen Sohn war Friedrich der Ernsthafte, Landgraf von Thüringen und Markgraf von Meissen, einer der mächtigsten deutschen Fürsten, dem nicht nur das Thüringer- sondern auch nächst Meissen das ganze Pleisner- und Osterland gehörte. Er kämpfte viele Fehden mit Vasallen und Nachbarn durch, und bekannt genug ist in der thüringischen Geschichte der Grafenkrieg, wo die Grafen von Schwarzburg, Orlamünde, Weimar, Henneberg, Kirchberg und andere gegen den Landgrafen sich erhoben und seine Macht zu stürzen trachteten, aber unterlagen und Frieden schliessen mussten. So mannlich und reich stand der thüringische Landgraf vor den Fürsten Deutschlands, dass sie ihm nach dem Tode Ludwig des Baiers die deutsche Reichskrone anboten und ihn zum Gegenkönige Karl's des Vierten, des Böhmen, machen wollten. Friedrich schlug die Krone aus, die nun ein anderer thüringischer Graf, Günther von Schwarzburg annahm, und starb noch vor diesem auf der Wartburg. Sein Tod fiel in eine unermesslich trübe Zeit, in welcher die Völkerpest, der schwarze Tod, auch Thüringen furchtbar heimsuchte, in welcher die Geislerschaaren das Land durchzogen, und die Juden zu Tausenden erschlagen und verfolgt wurden, weil des Volkes fanatischer Wahn in ihnen die Ursache des grossen Sterbens sah. Die drei Söhne des verstorbenen Landgrafen: Friedrich (der Strenge), Balthasar und Wilhelm einten sich dahin, ihr grosses und reiches Vatererbe gemeinschaftlich zu regieren, sie wurden vom Kaiser Karl IV. mit allen ihren Besitzungen feierlich belehnt, und als auf dem grossen Reichstage zu Metz die Würde der sieben Wahlfürsten des deutschen Reichs eingesetzt wurde, und die weltlichen Churfürsten die Erzämter bei der Kaiserlichen Majestät verwalteten, versah der Thüringer Landgraf das Amt des Erzjägermeisters. – Immer grösser wuchs das landgräfliche Gebiet unter der gemeinschaftlichen Regierung, ein grosser Theil der Grafschaft Henneberg kam zu Thüringen, und eine Erbeinigung zwischen Thüringen und Hessen sollte auch, im Fall des Absterbens eines Herrscherhauses, diese beiden Länder wieder zusammenbringen. Friedrich III. starb zu Altenburg und hinterliess drei Söhne: Friedrich, Wilhelm und Georg. Mit diesen Kindern und seinem Bruder Wilhelm theilte nun Balthasar so, dass Wilhelm Meissen, die Kinder das Osterland, die Grafschaft Orlamünde, nebst mehren Städten und Burgen erhielten, und er Thüringen behielt. Er regierte dieses Land vierundzwanzig Jahre glücklich und errichtete auch in Erfurt eine Hochschule. Sein einziger Sohn Friedrich, den man den Friedfertigen, den Einfältigen nannte, hatte zwar an Ländern und Gütern viel, an Geist aber nichts von seinem Vater geerbt, dazu beerbte er auch seinen Oheim Wilhelm, der Meissen mit Dresden und vielen andern Städten besass, aber er lebte schwach und thatenlos und starb ohne Erben. Mit ihm erlosch das thüringische Landgrafenthum, und das Reich fiel an die Nachkommen Friedrich's des Strengen. Die Söhne Friedrich's des Streitbaren, des Gründers der Hochschule Leipzigs, des ruhmgenannten Churfürsten von Sachsen: Friedrich der Sanftmüthige und Wilhelm theilten ihr Vatererbe, und Thüringen kam mit den fränkischen Landestheilen und der Hälfte des Osterlandes an den Letztern. Aus dieser Theilung entsprang für die Länder wieder unsägliches Weh, denn es brach, weil beide Brüder sich vervortheilt glaubten, ein langjähriger verderblicher Krieg aus, dessen Flamme ein thüringisches Rittergeschlecht, die Vitzthume, auf alle Weise schürten und nährten. Fremde Hülfsvölker, slavischen Stammes sogar, wurden in das Land gerufen und hausten mit so unerhörter Grausamkeit, wie vor alten Zeiten ihre Stammverwandten, die Hunnen und Avaren, gehaust hatten. Endlich versöhnten sich die Brüder, nachdem das Land lange genug gelitten. In diese Zeit fällt der sächsische Prinzenraub durch Kunz von Kaufungen, der einige zum Lohn erhaltene Vitzthumische Güter wieder herausgeben sollte und durch den Raub der Churfürsten hohe Entschädigung abzwingen wollte. Herzog Wilhelm starb erbenlos. Churfürst Friedrich des Sanftmüthigen Söhne, Ernst und Albert, theilten ihre Gesammtlande, sie wurden die Stifter der beiden nach ihren Namen genannten sächsischen Regentenlinien; der grösste und beste Theil fiel dabei an Churfürst Ernst. Bei dieser Ländertheilung wurde die natürliche Lage und Grenze der verschiedenen Distrikte nicht berücksichtigt, und sie legte nebenbei den Grund zu dem buntesten Theil der Landkarte von Deutschland. Die Thüringer hatten aufgehört, ein Gesammtvolk zu sein, der sächsische Rautenkranz verdrängte den thüringischen Landgrafenlöwen, und man gewöhnte sich, den grössten Theil von Land und Volk Sachsen zu nennen. Die begütertsten Grafen in Thüringen wurden in diesen Zeiten selbstständige Fürsten, es gab ebenso kein Thüringen mehr als Reich, wie es kein Franken und Schwaben mehr als solches gab, aber der Landesname geht hier, wie dort, nicht unter, er zog sich hier zumal, wie ein vertriebener Westindierstamm, in den Wald zurück, und rastet durch Jahrhunderte in seinem Schatten.

Nahe diesem Walde und nicht weiter als eine kleine Tagereise von da, wo in der Zeiten Frühroth Bonifacius den ersten Christenallar in Thüringen aufrichtete, ging aus einer Bergmannshütte der Stern hervor, der mit dem Läuterungsstrahl der Wahrheit die absichtliche Nacht in Sachen des Glaubens durchblitzte, Thüringens grösster Sohn: Martin Luther.

Wenn auch die spätere Geschichte Thüringens engverbunden mit der Sachsens, keineswegs eines hohen Interesses ermangelt, und in ihr im Guten und Bösen weltgeschichtlich denkwürdige Begebenheiten und Namen hervortreten, wie der Bauernkrieg und Thomas Münzer, der Schmalkaldische Bund und Krieg, Herzog Bernhard zu Weimar, der Held des dreissigjährigen Krieges, Herzog Ernst der Fromme zu Gotha, der Held des Friedens, bis zu der glänzenden Literaturepoche, die in einer kleinen thüringischen Stadt am Hofe eines weisen und kunstsinnigen Fürsten die erleuchtetsten Geister versammelte und über ganz Deutschland ihren belebenden Ausstrahl ergoss, es ist hier zu wenig Raum und Ort, um ihrer mehr, als nur eben andeutend zu gedenken.

Die souveränen Staaten, welche jetzt Theile des alten Thüringens enthalten, sind Preussen, Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Goburg-Gotha, Sachsen-Meiningen-Hildburghausen, Sachsen-Altenburg, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Churhessen, Reuss und Baiern.

Von diesen Staaten beherrscht Preussen in seiner Provinz Sachsen, Regierungsbezirk Merseburg, im Merseburger-, Naumburger-, Eckartsberger-, Querfurter- und Sangerhäuser Kreis, und im ganzen Regierungsbezirk Erfurt thüringischen Boden; Weimar-Eisenach liegt fast ganz in Thüringen, nach dessen frühern Grenzen, eben so die grössten und besten Landestheile von Coburg-Gotha und Meiningen-Hildburghausen. Von Altenburg wird nur der Theil, welcher durch die Reussische Herrschaft Gera vom Mutterlande getrennt ist, zu Thüringen gerechnet. Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen sind ganz thüringische Länder, Churhessen besitzt in Thüringen die ehemals Hennebergische Herrschaft Schmalkalden, die Reussischen Herrschaften werden von vielen noch ganz zu Thüringen gerechnet, und der Baierische Anthteil umfasst das Landgericht Lauenstein, nebst einem Theile der Landgerichte Teuschnitz und Kronach.

Der in jeder Beziehung und ganz besonders in malerischer und romantischer Hinsicht interessanteste Theil des Landes, das wir immer noch gern mit dem alten und liebgewonnenen Namen nennen, ist der Thüringer Wald. Dieser ist immer noch des Landes Hort und Herz, durchsungen von Lied und Sage, und durchpulst von reger Lebensthätigkeit. Blühende Fabriken senden aus mancher Waldstadt ihre Produkte nach den fernsten Ländern Europa's, wie über den Ozean, und es wird kaum ein Berg oder Thal gefunden werden, darauf oder darin sich nicht irgend ein Hütten,- Mühl- oder Hammerwerk durch pochende Schläge der Hämmer, rauschende Mühlräder, kreischende Sägen, schrillendes Geräusch der Schleifsteine, oder durch Hochofengluth und flammensprühende Essen kund gibt. Eine statistische Uebersicht des Antheils, den ein Theil der obengenannten Bundesstaaten am Thüringer Walde hat, ergiebt für Sachsen-Meiningen-Hildburghausen das Maximum von 20,5 Quadratmeilen und siebenundsiebeuzigtausendundvierhundert Einwohnern, dann folgen immer absteigend Sachsen-Coburg-Gotha, Preussen, Schwarzburg-Rudolstadt, Sachsen-Weimar-Eisenach, Königreich Baiern, Churfürstenthum Hessen, Schwarzburg-Sondershausen und Reuss. In Summa enthält der Thüringer Wald nach Völker vierzig Quadratmeilen mit einhundertunddreiunddreissigtausendvierhundert Einwohnern in zwölf Städten, vierzehn Flecken, zweihundertundfünfundsiebenzig Dörfern; nach Herzog aber, der die Grenzen des Waldes viel weiter zog, 178,51 Quadratmeilen, zweihundertunddreiundsechszigtausend Einwohner in sechsunddreissig Städten, vierundzwanzig Flecken und siebenhundertundsechszehn Dörfern und Höfen.

Der Reisende auf dem Thüringer Walde, der an ihn nicht die Ansprüche macht, die ein Alpenland befriedigt, wird sich, er richte sein Augenmerk nun auf die schöne Natur, oder durchwandre ihn zu wissenschaftlichem Zweck, oder wende seinen Antheil dem commerciellen und industriellen Leben zu, in jeder Hinsicht befriedigt fühlen, wenn er nur irgend unter günstigen Ausspicien ausging. Zahlreiche, grösstentheils wohlerhaltene, und mehrere musterhafte Kunststrassen durchschneiden den Wald nach allen Richtungen, aber auch auf dem einsamsten Fusspfad wandelt der Reisende sicher. Fast in jedem der wohlgebauten Dörfer sind ein oder mehrere gute Gasthöfe; keine zudringliche Bettlerschaar fällt ihn an, kein lungernder Müssiggänger dringt sich gewaltsam zum Führer auf, und wo die Natur in ihrer grossartigen Majestät in Fels und Wassersturz und Höhle Anschauungs- und Bewundernswerthes schuf, ruht es im hehren Schweigen seiner Einsamkeit, nicht profanirt von nebenan gebauten Branntweinhütten, wie in der sächsischen Schweiz und selbst im Riesengebirge. Die Wäldner sind theils zu unschuldig, theils zu beschäftigt, um auf die Börsen der Reisenden zu spekuliren. – Reizende Nah- und Fernsichten thun sich auf, die Berggipfel sind meist ohne allzugrosse Anstrengung zu ersteigen, und schattige Waldungen umrauschen bis zur Höhe den Wanderer. Der Geognost und Mineralog findet für seine Sammlungen reiche Ausbeute, das Thüringer Waldgebirge gehört auch in dieser Hinsicht zu den interessantesten Deutschlands, nicht minder der Botaniker. Die Thüringische Fauna hat manches, in andern Gegenden seltene Thier, noch aufzuweisen, wiewohl der Luchs, das wilde Schwein und die wilde Katze, sonst hier häufig, jetzt auch sehr selten sind. Der Ornitholog findet sehr viele seltene Vögel, die Vorliebe namentlich für Singvögel ist ein hervorstechender Grundzug im Charakter des muntern, lebensfröhlichen und gesangliebenden Thüringer-Waldbewohners. Von einhundertundsechszig bis einhundertundsiebenzig Vogelarten, die der Wald hegt, werden über achtzig Arten als Stubenvögel in den Häusern gehalten, zum Theil abgerichtet, und es wird mit solchen ein nicht unergibiger Handel getrieben. Der Finke steht als Lieblingsvogel oben an, und für manchen guten Schläger ward schon eine Kuh hingegeben. Auch die Blumenliebhaberei ist gross auf dem Walde, und hier sind Lack, Levkoien und Nelken allgemeine Lieblingsblumen. Der Entomolog erhält besonders an Käfern viele und seltene Arten; Schmetterlinge sind minder zahlreich. Die Waldbäche liefern die schmackhaftesten Forellen und Krebse. – Der Bergbau war in frühern Zeiten weit blühender und ergibiger als jetzt, es wurde Gold und Silber ausgebeutet, darauf deuten selbst noch unzählige Sagen von reichen Erzgängen hin, an Orten, wo längst nicht mehr gebaut wird; darin steht der Thüringer-Wald dem Harz nach. Der meiste Bergbau wird jetzt auf Eisen betrieben (die Werke in der Herrschaft Schmalkalden allein liefern jährlich neunzehntausendundzweihundert Tonnen Eisenstein) doch wird auch Braunstein, Steinkohle, Kupfer und Kobald gewonnen, desgleichen Alaun und Vitriolschiefer, Ocker und Umbra. Steinbrüche aller Arten liefern Bau- und Mühlensteine, Marmor, Gips, Alabaster, Schwerspath, Dach-, Tafel-, Wetz- und Griffelschiefer. Der Ackerbau ist auf dem Walde natürlich minder bedeutend, mit Ausnahme der Kartoffel, welche für den ärmern Theil der Wäldner das Hauptnahrungsmittel darbietet. Viehzucht wird mit grossem Vortheil betrieben, die zahlreichen, gut bewässerten und kräuterreichen Waldwiesen gewähren vortreffliches Futter, und dem Reisenden begegnet im Sommer auf dem Walde fast in jedem Thal eine, ja oft mehr als eine grosse und wohlgenährte Heerde, deren harmonisches und wohltönendes Glockengeläute weithin durch Wald und Triften schallt. Der Ertrag an den meist gut bewirthschafteten Forsten ist für die betheiligten Staaten ausserordentlich; die Waldungen bestehen zum grössern Theil aus Nadel- zum kleinern aus Laubholz. Vor allem aber hat der Wald auf einem kleinen Flächenraum so viele und mannichfaltige Fabriken, Werke und Manufacturen, wie kein andres Gebiet Deutschlands von gleichem Areal; die Eisenfabrikation setzt allein anderthalbhundert Schmelzwerke, Eisen- und Stahlhütten, Stab-, Zain-, Drath-, Blech- und Sensenhammerwerke in Thätigkeit, der zahlreichen Messer-, Ahlen-, Zwecken-, Huf- und Nagelschmiede, und der übrigen Eisenarbeiter nicht zu gedenken. Zwanzig Glashütten, mehrere Spiegelglas-, zwölf Porzellainfabriken, Pfeifenkopf- und Pfeifenkopfbeschläge-, hölzerne Spielwaaren-, Papiermaché-, Malerfarben-, Salmiak- und andere Fabriken sind im Gange; diese und die vielen Pottaschesiedereien, Kleinböttchereien, Medizinalwaaren- und Musikinstrumentenfabrikationen, Kohlen- und Ziegelbrennereien, Pech- und Kienrusshütten, die Säge-, Mahl-, Oel-, Loh-, Walk-, Papier-, Knochen-, Marmor- und Spinnmühlen (zusammen über vierhundertundfunfzig), die bedeutenden Bierbrauereien, Bleichereien, Webereien, Gerbereien, der Tabakshandel u.s.w. liefern wohl den vollgiltigen Beweis, dass es dem Lande nicht an frischer Regsamkeit und industrieller Thätigkeit fehlt. Die thüringischen Frachtwägen ziehen auf allen Strassen Deutschlands; die Sonneberger Spielwaaren wetteifern an Güte wie an Verbreitung mit den Nürnbergischen; die Buden der thüringischen Pfeifenkopfhändler bilden Strassen in den Messstädten; die Schmalkalder Eisenwaaren sind wegen ihrer grossen Wohlfeilheit all verbreitet. Weise und thatkräftige Regierungen suchen auf alle Weise den Verkehr zu fördern und zu heben, und durch den grossen deutschen Zollverband ist auch für den Vertrieb der Thüringer-Waldprodukte in das Ausland wieder freiere Bahn gebrochen worden.

Meiningen.

Es kam ein Brief; freudig erkannte Otto Hand der Aufschrift und Siegel. Zwei Freunde aus einer Stadt des südlichen Deutschlands, denen er, als ihm in ihrer lieben Nähe zu verweilen vergönnt war, oft und viel von Thüringen, seiner schönen Heimath, erzählt, waren daran, einen mehrmals zwischen den Dreien besprochenen Plan auszuführen: Otto zu besuchen und in dessen Geleit eine Reise durch Thüringen zu machen, um dieses Land, seine Natur, seine Bewohner und seine Sitten kennen zu lernen. Der noch nicht weit gereiste deutsche Südländer lässt sich nur gar zu oft durch das Prädicat Süd verleiten, sich den deutschen Norden, zu dem er Mitteldeutschland schon rechnet, rauh und unerquicklich zu denken, und stellt sich bisweilen eine Reise nach Italien leichter und ausführbarer vor, als eine nach dem Thüringer-Wald und dem Harz. Die Freunde, davon wir den einen Wagner, den andern Lenz nennen wollen, schrieben: »Rüste Dich zur Pilgerfahrt, denn wir kommen. Uns verlangt das Land zu durchwandern, das Du uns so oft gepriesen. Wir hoffen, dass keine seiner Naturschönheiten unter Deiner Leitung uns ungenossen, mindestens unbetrachtet entgehen soll. Wir sind doch begierig, die Reize kennen zu lernen, welche Dich so sehr umstricken, dass man Dich öffentlich einseitiger Vorliebe für Dein Thüringen zeiht! Diese, Deine Geliebte, zeige uns, als unpartheiischen Richtern und – Kennern. So viel wir wissen, wächst in Thüringen kein Wein, ausser jenen verrufenen Arten, die Kanonen vernageln, wenn man eine Libation auf das Zündloch giesst, und die zerstreute Armeen zusammenziehn. Das ist schon schlimm ! Und wie es am Wein gebricht, soll es auch an Wasser fehlen, Thüringen hat keine Seen. Siehst Du Freund, wir sind Kritiker, und Du bekommst einen schlimmen Stand, doch sei nicht bange; wir geben Dir unser Wort, es Dir nicht entgelten zu lassen, wenn wir nicht mit Deinen Augen sehen. In den ersten Tagen des Mai treffen wir bei Dir ein! Alles noch zu Sagende sei der frohen Stunde aufgespart, in der wir uns umarmen.«

Der Frühling war in das heitere Thal der Werra wie ein flammender Cherub unter Blitzen und Donnerschlägen eingezogen; im Sonnenregen troff er nieder, und jeder Tropfen küsste eine Blüthe wach. Den über der Bergkette des Thüringer-Waldes noch grollenden Donner jubelten Hunderte von Nachtigallen nach, und balsamische Frische hauchte aus allen Berggärten, in denen vom Fuss der Berge bis zum Gipfel die Bäume im vollem Blüthenschmuck prangten. Als Jean Paul das in Form einer Harfe erbaute und deshalb in alten Büchern Harfenstadt genannte Meiningen, wo er eine Zeitlang lebte und manchen guten Trunk that, ironisch scherzend »die Harfe ohne Klang« nannte, mag es wohl ausser ihm nicht Frühling gewesen sein, (in sich trug er Himmel und Frühling stets,) sonst hätte er Klanges genug vernehmen können. –

Der Lenz war da mit Sang und Klang, mit seinen Blüthen und Nachtigallen, die zu hören, selbst Fremde aus nahen und fernern Orten nach Meiningen reisen; die Meininger Frühlingskapelle wetteifert an Ruf im Nachbarland mit der Herzoglichen – und Otto freute sich innig darauf, die Erwarteten in diese Gratisconcerte zum Benefiz aller liebenden, zärtlichen, schmachtenden, sehnsüchtigen und überhaupt fühlenden und empfänglichen Herzen zu führen; wer aber nicht kam, waren seine Freunde.

Verhinderungen, diese so oft in des Lebens Freudenwege geworfenen Fussangeln und Sperrketten hatten auch hier unwillkommen gehemmt, und es währte bis zum Sommer, ehe alle fernere Hindernisse beseitigt, und aus dem Reisewege geräumt waren, für dessen Unterhaltung eine fleissige Correspondenz eifrig sorgte. Endlich kündete ein letzter Brief gewisse Ankunft, und Otto eilte den Nahenden eine Meile weit entgegen, um sie noch auf fränkischem Boden zu begrüssen. Im Dorfe Henneberg trafen die Freunde zusammen; das Wiedersehen nach jahrelanger Trennung war das Herzlichste, und Otto führte die Lieben sogleich hinauf zur Ruine des alten Grafenschlosses, wo die Drei auf die glückliche Fahrt bis hierher, und auf die fernere glückliche Fahrt durch Thüringen manchen Becher leerten. Den eifrigen Landschafter Wagner aber liess es nicht lange auf dem sonnigen Rasen des alten Burghofes, auf den sie sich gelagert, rasten, kaum waren über die Reise zu Otto und über das beiderseitige bisherige Ergehen Bericht erstattet, so sprang er schon auf, zog sein Skizzenbuch und eilte bewundernd an den runden Thurmkoloss dieser schönen Burgruine; »Welch ein Bau!« rief er den Freunden zu. Ganz verschieden von den Wartthürmen andrer Burgen, eher römisch, als deutsch, und für die Dauer von Jahrtausenden gefügt. Lenz und Otto traten nun ebenfalls näher, und der Letztere führte die Freunde in das Innere dieses sehenswerthen Verliesses, das früher keinen andern Eingang hatte, als oben an der gewölbten Kuppel eine runde Oeffnung, durch welche man die Gefangenen niederliess. »Dieser Eingang durch die zwei Mannslängen dicke Mauer wurde erst in spätrer Zeit gebrochen,« berichtete Otto, als sie das kühle hallende Rund des Innern betraten; »auch war der Thurm ursprünglich viel höher, denn jetzt zeichnet seine Höhe ihn nicht aus. Seine Bauart deutet allerdings auf ein hohes Alter hin, und Deine vorhin ausgesprochene Ansicht, Wagner, findet mindestens in der Sage eine Bestätigung. Diese lässt aus Italien einen edlen Römer nach Deutschland kommen, in der Absicht, sich darin niederzulassen. Als derselbe nun in lachender Gegend den isolirten Bergkegel hier gewahrte und bestieg, einen Burgplatz zu erspähen, da flog aus dem Gebüsch mit Geschrei eine Berghenne mit ihren Jungen vom Nest. Dem Römer, den der Berg gefiel, schien diess ein glückliches Omen, er erbaute die Burg, nannte sie Henneberg und wurde der Ahnherr eines reichen und angesehenen Grafen- und Fürstengeschlechtes im deutschen Mittelalter.«

Alle verliessen den Thurm, Wagner zeichnete ihn, und Otto wandelte indess mit Lenz nach einer Oeffnung der alten Ringmauer, durch welche, wie in einem Rahmen, ein herrliches Landschaftbild sich aufthat. »Wirf noch einen Abschiedblick auf Franken,« sprach er zu dem Freunde: »Sieh, wie majestätisch dort die Kette der hohen Rhön sich hinzieht, ein kahles und rauhes Gebirge, wildschön, voll öder Berghaiden und einsamer Rauhthäler. Durch dieses Fernrohr, das uns auf der Reise begleiten soll, wirst Du das riesige Kreuz, den Signalthurm und etwas vom Kloster sehen können.« – Sie wanderten wieder nach vorn, wo ausser dem Thurm noch sehr malerische Ruinen, die muthmasslichen Reste einer Kapelle, hohe Mauern mit weiten Bogen und der fast ganz verschüttete Brunnen besehen wurden, den einst mehre auf den Tod Gefangene graben mussten. Wagner zeichnete noch Einiges, und fröhlich plaudernd schritten die Wanderer aus dem Burgthor, in dem grünen schattigen Laubwald bergab. Als sie das am Fuss des Berges liegende Dorf erblickten, stand Otto still und sprach: »Seht jenes graue Bauerhaus dort unten; in diesem ist der letzte Fürstgraf von Henneberg, Georg, als er noch einmal sein von den Bauern zerstörtes Stammhaus besehen, gestorben. Und nun rechts um, der Wagen erwartet uns anderswo, wir machen eine Fusswanderung, und ich will sehen, wie ihr euch dazu anlasst, und ob ihr mit mir, euerm treuen und redseligen Cicerone, zufrieden seid!«

Als die Wanderer am Saum eines Waldes hinschritten, lag unten zur Rechten ein freundlicher grüner Thalgrund, in dessen Mitte ein stattliches Dorf sich ausbreitete, vor ihnen aber hob sich in blauer Ferne ein Theil des Thüringer-Waldes. Thal und Berge, Nähe und Ferne waren von der Nachmittagssonne herrlich beleuchtet, und auf dem Bergrücken wehte erfrischend stärkender Lufthauch.

»Seht dort hinab!« rief jetzt Otto, die Freunde in ihrem raschen Schritt anhaltend: »Was seht ihr?«– »Nun, ein Dorf!« war die Antwort. »Seht euch das bescheidene gelbe Herrenhaus, dort wo die beiden Tannen emporragen, nur recht an,« fuhr Otto fort: »Es ist Bauerbach!« – »Bauerbach, Schillers Asyl!« riefen die Freunde enthusiasmirt aus. »Ja, hier in diesem Thalfrieden, fern vom städtischen Geräusch, fern vom Wagen und Karossenlärm der Heerstrassen, war der edle Dichter wohlgeborgen, gab dem schon in Stuttgart vollendeten Fiesko die letzte Feile, schrieb Kabale und Liebe, und entwarf den Plan zum Don Carlos. Die Einsamkeit des Ortes und die Winterstille, die ihn umgaben, waren so recht geeignet, dem unter dem Namen Schmidt sich hier bergenden Flüchtlinge die innere Ruhe zu gewähren, welche ihm nach den trüben Erfahrungen, die er in Mannheim gemacht, so nöthig war, um ein Genie zu immer grösserer Reife zu führen, das die Welt mit unsterblichen Werken beschenkte. Er selbst schrieb damals von sich: »Ich bin an Ort und Stelle, wie ein Schiffbrüchiger, der sich mühsam aus den Wellen gekämpft hat.«

Ernst und still sahen die Freunde auf den Ort hernieder, den der Name des grossen Dichters für alle Zeiten merkwürdig machte, und brachten im Geist den Manen des Unsterblichen ein Todtenopfer. –

Durch die grüne Nacht eines herrlichen Buchenwaldes, durch dessen Laub hin und wieder goldene Sonnenstrahlen brachen, stiegen die Wanderer jetzt bergab, und wurden, als sie aus dem Gehölz traten, von einem herrlichen Landschaftbilde überrascht, dessen Hintergrund ein majestätischer Berg, die Geba, bildete. Dann erreichten sie das tief in die Thalbucht versteckte herzogliche Lustschlösschen Amalienruh, das auf alten Landkarten Sophienlust bezeichnet ist, und besahen in diesem ehemals fürstlichen Wittwensitz manches interessante allfränkische Geräth, manch hübsches Bild, zu welchem allen der ortskundige Otto Schlüssel und Kommentar gab. Dort erwartete der Wagen die Reisenden, sie fuhren nun rasch im fröhlichen Gespräch von dannen, bogen aber da, wo die Hochstrasse sich theilte, nicht zur Linken nach Meiningen ein, sondern fuhren thalaufwärts und über eine Anhöhe, wo sich in der Beleuchtung der späten Nachmittagssonne eine reizende Aussicht in das Werrathal aufthat; fünf Dörfer und das, wie ein Schlösschen prangende Hospital Grimmenthal lagen malerisch in den Gründen zerstreut, und über Ellingshausen grüsste ein Stück blauer Bergwald herüber, ein Theil der Thüringer-Waldkette in der Gegend von Suhl und Mehlis. »Wir fahren dorthin nach Grimmenthal, der Stätte einer einst berühmten Wallfahrt,« begann Otto, indem er auf den genannten Ort hinwiess: Jetzt ist dort ein reich dotirtes Hospilal für zwölf Pfründner, aus dem Aerar der Wallfahrtskirche fundirt.«

»Du fährst uns in den Spittel?« fragte Lenz mit leisem Spott. »Nicht hinein,« entgegnete Otto: »ihr sollt nur dort im Hofe des Hospitals etwas sehen, dessen Gleichen wir auf unsrer Fahrt durch ganz Thüringen nicht wohl zum zweitenmale erblicken werden.« Als das heitre Haus Grimmenthal erreicht war, über dessen Thor ein wohlerhaltnes Hennebergisches Grafenwappen sich zeigte, wie neben an eine alte eingemauerte Inschrift, beide aus den Trümmern der einst so berühmten und schönen Wallfahrtskirche gerettet, bedurfte das zu Schauende keines besondern Hinweises. Die Fremden staunten. Ein kolossaler Lindenbaum, um welchen einige Gartenkanapees standen, hob seine Blälter und Blüthenfülle empor. »Welch herrlicher Baum!« riefen Wagner und Lenz aus, indem der erste ihn mit dem Blick des Malers, der andere ihn mit dem Auge des Naturkundigen beschaute. Zwei riesige Aeste stiegen von dem nicht hohen, aber umfangreichen Stamm hoch empor, jugeudlich kräftig grünend und blühend, oben aber gesichert durch Balken verbunden, denn der uralte Stamm, welcher schon einen, und zwar den grössten seiner riesigen Aeste verlor, ist hohl und marklos. Während Wagner eine Skizze von der ehrwürdigen Wahlfahrtlinde nahm, umklafterte sie Lenz, und brachte nach sorgfältiger Messung ein Umfangresultat von sechsunddreissig Fuss heraus. »Wie alt hältst Du den Baum?« fragte Otto, »Achthundert Jahre und darüber zählt er gewiss,« gab Lenz zur Antwort. Unter dem grünen, duftenden, bienendurchsummlen Laubdach des uralten Baumgiganten sassen bei einem frugalen Abendbrod, das der Speiser des Hospitals auftrug, die drei Freunde. Die Sonne küssle noch den Wipfel und die Berghöhen, von den nahen Dörfern klang Abendglockengeläute herüber. Ein freundlicher Greis, der älteste Pfründner, lustwandelte im Hof, und Otto erzählte den Freunden die Geschichte des Wahlfahrtortes. »Jener alte Mann, und dieser Baumgreis,« begann er: »wecken in mir stets die gleiche Empfindung einer gewissen Wehmuth, die ihren Duftschleier über den Ort breitet. Dieser liegt mitten in der Gegenwart, wie ein Stück alte Zeit, wie ein Chronikblatt, darauf viel von Meteoren, Wundern und Abenteuern zu lesen ist. Die Wallfahrt entstand, als ein erkrankter Ritter vor einem alten Muttergottesbilde unter dieser Linde kniete, um Genesung flehte, und wie durch ein Wunder genas. Das Wunder »des Glaubens liebstes Kind« flog von Mund zu Mund, erst kamen Hunderte, dann Tausende, gleichen Glückes theilhaftig zu werden; Glaube half, Dankbarkeit opferte, bald hob sich ein prächtiger Tempel hier, und es wuchs noch der Ruf des wundertätigen Gnadenbildes, während schon hoch am Himmel die Sonne Luthers stand. Das Land Henneberg war hinter dem Schritt der Zeit zurück geblieben, da warf diese einen Blick zurück in das grüne Thal, und hauchte den Nebelschleier, der es noch deckte an, dass er zerrann. Luthers Zorn donnerte gegen Grimmenthal, sein Wort flog wie ein siegreicher Königsaar über das Gebirge herüber, die Henne erschrak, die Madonna stand einsam.« – »Und die Kirche?« fragte Wagner. »Die schöne Kirche ward Ruine; diese wäre eine Zier der Gegend geblieben, aber sie ward, wie so manche andere im lieben deutschen Vaterland, ökonomischen Zwecken geopfert, nur die Linde hier, die uns mit fallenden Blüthen überträufelt, steht als Zeugin jener romantischen Vergangenheit noch da.«

»Almae naturae!« rief Lenz den Becher emporhebend gegen das duftige Gelaub. »Leben und Gegenwart! Lange noch schirme den Baum die Hamadryade! Mit diesem Wunsche lasst uns vom Grimmenthal scheiden!« – Die Freunde brachen auf, rasch trug sie der leichte Wagen durch die Thalebene, und die im letzten Abendschein friedlich liegenden Dörfer. Grau und ernst lag die ehemalige Veste Massfeld mit ihren starken Mauerthürmen da, und Otto erzählte noch von diesem alten Grafenschloss, von der Belagerung, die es im dreissigjährigen Krieg erlitten, von der reichen Waffensammluug, die es in seinem Zeughaus einst bewahrt, wie von dem jetzigen Gebrauch des alten Baues, als Zucht- und Besserungsanstalt – als die Freunde bereits in der schönen, eine Stunde langen Allee fuhren, die sie bis an das Thor von Meiningen brachte. Aus öffentlichen Berggärten schimmerte Lichtglanz sternenhell durch die beginnende Sommernacht, um die lebendigen Zäune flogen Leuchtkäfer, und lustwandelnde Gestalten belebten alle Wege. Der Wagen hielt an Ottos Haus, noch einmal rief er den Freunden zu, sie umarmend: »Willkommen!« –

Einen Tag nur hatten die Gefährten zur Rast bestimmt; Otto, selbst schon zur Weiterfahrt gerüstet, suchte diesen so gut als möglich dazu zu benutzen, jenen das wenige Sehenswerthe in rascher Uebersicht vorüberzuführen, das eine kleine Residenz von nur 570 Häusern und 5600 Einwohnern darbieten kann, selbst wenn sie, wie Meiningen, unter der Aegide eines kunstsinnigen und alles Schöne und Gute eifrig fördernden Fürsten immer wachsender Verschönerung entgegenblüht.

Ueber den regelmässigen und sehr geräumigen Marktplatz, auf welchem die oft erneute, aber schon im Jahr 1003 erbaute Stadtkircbe mit ihren zwei Thürmen steht, führte Otto seine Freunde durch die untere Marktstrasse, zeigte ihnen im Vorübergehen das Haus, in welchem Jean Paul gewohnt und liess dabei nicht unbemerkt, dass das gestern von ihnen besehene Grimmenthal dessen Lieblingsspaziergang und Aufenthalt gewesen; bezeichnete dann ein anderes Haus als Wohnung von Schillers Schwester, und ein drittes als das, welches einst der fruchtbare Romanschriftsteller Carl Gottlob Cramer besessen, bevor er als Lehrer an der nahen Forstakademie, dreissig Acker andern Wohnsitz und endlich dort auch ein Grab gefunden. »Meiningen sah« sprach Otto im Weitergehen erzählend zu den Freunden: »zu Ende des vorigen und im Anfang des jetzigen Jahrhunderts unter Herzog Georg manche erfreuliche Bestrebung in literarischer und artistischer Beziehung. Der Herzog selbst voll Geist und überall anregend, hätte gern nach dem Beispiel Weimars einen Kreis von ruhmvoll genannten Literaten und Künstlern an seinem Hofe versammelt, allein es lag nicht in den Verhältnissen, diesen Wunsch in würdigster Ausdehnung erfüllt zu sehen, und manchen schönen Plan zerriss des edlen Herzogs allzufrüher Tod. Als ausgezeichneter geistlicher Liederdichter lebte damals Pfranger hier, bekannt durch sein Gegenstück zu Lessings Nathan: Der Mönch von Libanon; der Bibliothekar Reinwald, Schillers Freund und Schwager, zeichnete sich durch witzige Epigramme aus; auf dem herzoglichen Liebhabertheater wurden, mit Verdrängung des damals noch herrschenden französischen Geschmacks, gediegene Stücke aufgeführt, wie Lady Johanna Gray, von Wieland; Julius von Tarent, von Leisewilz und Andern. Leisewitz schrieb damals selbst an Reinwald und sprach sich über die Idee des Stücks gegen diesen aus. So lebte auch der berühmte Maler Reinhard in Rom eine Zeillang als Gast bei dem Herzog, und hinterliess hier manches Bild, manche Zeichnung und Skizze. Später während Cramers überfruchtbare Muse den Romanenheishunger der gewöhnlichen Lesewelt lange Zeit hindurch befriedigen half, streute hier Ernst Wagner die edleren Blüthen seines am Guten und Schönen erwärmten und durchbildeten Geistes aus, welche die wohlverdiente Anerkennung fanden.«

Unter dieser Erzählung waren die Freunde zur Esplanade vor dem Residenzschloss der Elisabethenburg gekommen, das von da aus gesehen sich auf keine Weise vortheilhaft darstellt; ein Rundbau deckt und versteckt das Hauptgebäude, und nur der eine Flügel, das sogenannte alte Schloss, tritt mit alterthümlichem Giebeldach hervor. In diesen Theil des Schlosses führte Otto zunächst seine Freunde; es ist darin die 30,000 Bände starke Bibliothek befindlich, zu welcher Herzog Bernhard I. schon durch eine bändereiche Büchersammlung den Grund legte, die durch bedeutende Ankäufe Herzog Anton Ulrichs beträchtlich vermehrt, und durch die Liberalität Herzog Georgs 1782 zuerst dem grossen Publikum an bestimmten Tagen zugänglich gemacht wurde. Die Bibliothek, an Geschichtswerken älterer Zeit am besten ausgestattet, hat auch eine schöne Atlanten- und Bibelsammlung, eine jedoch kleine Anzahl Manuscripte, und unter ihren Druckseltenheiten eine Armenbibel, einen höchst seltenen Pergamentdruck der Institutionen von Peter Schöffer von Gernsheim, wie eine prachtvolle erste Ausgabe des Theuerdank auf Pergament, mit gleichzeitig kolorirten Holzschnitten aufzuzeigen. Den letztern widmete Wagner besondere Aufmerksamkeit, und bemerkte nicht unpassend, dass die eigenthümliche von den Neuern als unkünstlerisch verbannte und vermiedene Manier der Alten, die Lichtstellen und manche Konturen der Bilder mit Gold zu höhen, diesen Letztern einen ganz besondern Reiz gäbe, und die Lebhaftigkeit des Bildes hervortreten lasse, ja diese erst recht eigentlich hervorhebe. Otto nahm das Wort: »Wie die fromme Gluth der Alten in den Glorien um Heiligenköpfe gleichsam eine sinnliche Verkörperung suchte und fand, so scheint mir in dieser Weise die Lebenswärme und Lebensfrische des deutschen Mittelalters abgespiegelt, ein farbiges, fröhliches, bewegtes Getriebe, dessen Bild vom Gold der Freude gehöht erschien, wo sich die Gestalten ungezwungen und harmlos bewegten, während wir lieben, uns in schwarzen und oft schwermuthvollen Ernst zu kleiden, den freilich manches drückende Weh der Zeit und Gegenwart entschuldigt und rechtfertiget; dennoch barg sich auch hinter ihrem Goldschimmer gar manches Trübe, das wir ja nicht zurückwünschen wollen.«

Die Zeit war zu kurz um für diessmal der Bücherei mehr als flüchtigen Einblick in ihre Schätze zu widmen, und bald standen die Freunde in der kleinen Gemäldesammlung, die ebenfalls in einem Saale des Schlosses aufbewahrt wird. Dem Prachtstück derselben, einer Kreuzabnahme von Hannibal Caracci ward vor Allem gebührende Aufmerksamkeit und Bewunderung geschenkt. Dabei wurde von Otto bemerkt, dass eine grosse Anzahl der besten Gemälde noch in den herzoglichen Zimmern hängt, durch welche vermehrt, die Gallerie allerdings bedeutender erscheinen würde, in der sich noch eine schöne dem Lenardo da Vinci zugeschriebene Madonna mit dem Kinde und sehenswerthe Stücke aus der deutschen und niederländischen Schule von berühmten Meistern befinden.

Die Fremden besahen hierauf im Geleit des einheimischen Freundes, der sie auf alles nur irgend Sehenswerthe mit patriotischem Eifer aufmerksam machte, noch das ebenfalls nicht grosse, aber an Mineralien, Korallen und ähnlichen Seeprodukten und geschliffenen Steinarten ziemlich reiche Naturalienkabinet, wo Lenz mit besonderer Freude den Forscherblick auf einer grossen Steinplatte mit den Relieftazzenabdrücken des antediluvianischen problematischen Chiroterium weilen liess, die aus den Hessberger Steinbrüchen hierher kamen. Otto legte Sicklers Heft: Die Plastik der Urwelt zur Ansicht und zum Vergleich darüber vor, und bat, Urtheil und Besprechung bis zur Autopsie am Fundort dieser räthselhaften Thierfärthen zu verschieben, welche die Aufmerksamkeit der Forscher Europas zwar auf sich gezogen haben, aber nicht von allen die gleiche Würdigung fanden.

Unvermerkt war der Mittag herbeigekommen, doch wurde, um den Nachmittag und Abend zu Ausflügen ins Freie benutzen zu können, dem Antiquarium des hennebergischen Alterthumsvereins noch vor Tische ein Besuch vergönnt, und in Augenschein genommen, was dieses noch junge Institut während seines Bestehens bereits an Harnisch und Waffenwerk, mittelalterlichem Geräth, Münzen und Anticaglien acquirirte. Hier nahmen einige alterthümliche Taufbecken mit wunderlicher Schrift und eine Trompetengeige oder Marinetrompete ob ihrer seltsamen Form und Bauart neben andern Gegenständen, die Aufmerksamkeit besonders in Anspruch. Von der ersten, der Beckenschrift, berichtete Otto, dass sie immer noch nicht entschieden gelesen und gedeutet sei, obgleich sich die gewiegtesten Forscher daran versucht, und, dass durch immer neue Entdeckungen solcher und ähnlicher, oft merklich abweichender Schriften auf allen Becken und blos auf Becken, die Entzifferung nur erschwert, die Deutung verwirrt werde. Als Lenz die Frage aufwarf, was eigentlich Haupttendenz dieses und ähnlicher Vereine sei, und ob man sie überhaupt zeitgemäss nennen dürfe, da sie mehr ein Stehenbleiben, als ein Weiterschreiten, ein Zurückblicken statt ein Vorwärtsschauen zu bezeichnen schienen, legte Otto die den Verein betreffenden und von diesem veröffentlichten Literalien vor und äusserte sich nebenbei folgendermassen: »Die zahlreichen historischen Vereine Deutschlands, welchen partiellen Namen, ob sächsisch, thüringisch, wetterauisch, hessisch, voigtländisch, bennebergisch u. s. w. sie immer führen mögen, haben alle den gleichen löblichen Doppelzweck: Erforschung und Aufhellung der vaterländischen Geschichte, und Erhaltung der Geschichtsdenkmäler. Den wahren wissenschaftlichen Nutzen der ersten Beziehung können nur die verneinen, welche aus gewissen Motiven das Kind mit dem Bade ausschütten und gar keine Geschichte mehr gelten lassen wollen; und die zweite Beziehung tadeln kann nur rohe Barbarei, denn in ihren weiten Bereich gehören alle Schätze des Kunstfleisses der Vorfahren und viele von ihnen werden da zur Geschichtsquelle, wo Schrift und Urkunde schweigen oder ganz fehlen. Nicht um zu sammeln, sammeln die Vereine, sondern um an und von dem Gesammelten zu lernen, und hier gewinnt oft selbst ein anscheinend geringfügiger Gegenstand Werth und Bedeutung. So seht ihr z. B. hier einige längliche an beiden Seiten geschärfte Feuersteine; wer sie nicht kennt, wird sie kaum des Aufbewahrens werth erachten, erfährt er aber, dass die alten Germanen sich derselben als Pfeilspitzen und Messer bedienten, dann wird er sie wohl eines aufmerksamem Blickes würdigen.« »Friede sei mit euch!« warf Wagner lächelnd ein, um Otto den Faden einer Rede abzuschneiden, die länger zu werden drohte, als eben nöthig, und man trat heiter aus der Atmosphäre des Alterthumstaubes in das helle Mittagssonnenlieht, um sich an dem zu erfreuen, was in der Gegenwart Gott beschert.

Nach Tische führte Otto seine Gäste, bevor sie ihre Promenade antraten, erst noch zu dem mit Recht ruhmvoll genannten Hofkunstdrechsler Schulz, der mit seinem Bruder, Zwillingssöhnen unermüdet thätig, schon mehr als ein deutsches Kunstkabinet mit gelungenen Elfenbeinarbeiten zieren half. Diese Künstler-Familie, schlicht und bürgerlich einfach, zeigte mit der freundlichsten Bereitwilligkeit eine Anzahl herrlicher Becher, mit zahlreichen Hautrelieffiguren, theils biblische Gegenstände nach Albrecht Dürer, theils Jagdstücke nach Bidinger den bewundernden Freunden vor.