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Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass unsere schönen Waldbeeren/Blaubeeren beinahe nur grün oder bestenfalls rot geblieben wären? Wussten Sie, dass unser liebstes Wintersportgerät, der „Ski”, auf eine Erfindung von Zwerg Ringelzipf zurückgeht? Können Sie sich vorstellen, an welcher Stelle die Jung-Zauberin Trina Schnatter ihr Hexenzeichen trägt? Haben Sie schon erfahren, was aus dem letzten Zwerg des Siebengebirges geworden ist? Sehen Sie! Höchste Zeit also, sich um dieses Wissen zu bemühen! Das vorliegende Buch „Warum die Blaubeeren rot werden, wenn sie noch grün sind” gibt Ihnen nicht nur die Antworten darauf, sondern erzählt Ihnen noch viel mehr und schenkt Ihnen hoffentlich ganz viel Spaß beim Lesen!
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Seitenzahl: 308
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Für Ingi
Warum die Blaubeeren rot werden, wenn sie noch grün sind
Nina und das Haus im Wald
Ringelzipfs Erfindung
Inga und der Troll
Das Mädle und der Butzbär
Agathe
oder
Die Kuh im Hochhaus
Der Schwefel - Sepp
Der dicke alte Omnibus und die sieben kleinen Autos
Im Geisterwald
Die Zeitmaschine
Der Schneemann, dem es zu kalt wurde
Die schönste Jahreszeit
König Winters Tochter
Der steinerne Riese
Der Drache mit den drei Köpfen
Der Kaiser mit den drei Drachen
Krach - Wau - Peng, die Lärmhexe
Der Reiskornzähler
Warum die Pinguine einen Frack tragen
Illulli, die kleine weiße Robbe
Billabong und Wullumullu
Kurumbinchen, die kleine grüne Kokosnuß
Wie der Papagei zu seinem schönen Gefieder kam
Der Igel und die Haselmaus
Die Nachtigall und die Elster
Der Igel und die Haselmaus (2
)
Der kleine Sonnenstrahl
Die kleine Rose
Die drei Herzen
Der Schleierfall
Das Denkmal einer unsterblichen Liebe
Die Fee aus dem Weihrauchland
SchuBu, der Speichergeist, und Müffi, das Kellergespenst
Trina Schnatter und der Zauberknilch
Der letzte Zwerg des Siebengebirges
Zwerg Rotzipf lebte vergnügt am Waldesrand. Seine Hauptbeschäftigung bestand darin, sich um seine Waldbeerenzucht zu kümmern. Vor seiner Höhle hatte er Stauden angelegt. Im Winter standen diese ziemlich dürr, wie Reisig. Aber im Frühling, wenn der Schnee geschmolzen war, kamen kleine, grüne Blättchen, und bald sah das ganze Gebiet wie ein großes Gebüsch aus. Vergnügt spazierte Rotzipf unter ihnen einher. Bald ließen sich auch kleine, kugelrunde Kügelchen entdecken, die an dünnen Stielen saßen. Nun hatte Rotzipf viel zu tun, alle diese Kügelchen schön grün anzumalen, genau wie die Blätter. Diese Kügelchen wurden groß und reif, und Rotzipf prüfte immer, ob sie schon gut waren, indem er die Kügelchen ein bisschen an der Unterseite eindrückte. Waren sie reif, blieb eine kleine Vertiefung. Dann erntete Rotzipf sie und bewahrte sie in seiner Hütte auf. Wenn er Hunger hatte, bereitete er sich ein Beerenmus, das ihm sehr gut schmeckte, oder er tauschte die Beeren gegen etwas anderes ein. Sein Freund Fitzliputz zum Beispiel war sehr gelehrt. Er war ein Kenner und Liebhaber von Pilzen; so konnte er Steinpilze von Morcheln unterscheiden und Pfifferlinge von Champignons.
Fitzliputz aß die Waldbeeren sehr gern, und er schenkte dem Rotzipf dafür schöne frische Pilze. Große Liebhaber der Waldbeeren waren auch Wichtel und Pichtel. Sie tauschten bunte Häherfedern, die sie gefunden hatten, oder Haselnüsse gegen ein Körbchen Waldbeeren.
Aber unter den Haselnüssen waren auch schon mal taube, denn der dicke Wichtel und der kleine Pichtel waren rechte Schlingel, und sie freuten sich, wenn sie Rotzipf ein bisschen beschummelt hatten.
Bei dem ganzen Zwergenvolk waren die Waldbeeren von Rotzipf äußerst beliebt, und er war sehr stolz darüber. Damit auch schließlich jeder wusste, dass diese schönen süßen Beeren mit den winzig kleinen Körnchen, die so hübsch knacken, wenn man darauf beißt, und den kleinen Dellen an der Unterseite, auch wirklich von Rotzipf stammten, ließ er sich etwas Besonderes einfallen : Er malte die Beeren rot an, so rot wie seine Mütze. „Rotzipf-Beeren“ wurden sie jetzt genannt, und das ganze Zwergenvolk war verrückt danach. Man bot Rotzipf alles Mögliche für ein Körbchen an : Bunte Vogelfedern und hübsche, glitzernde Steine, Möbel aus Baumrinde für seine Höhle und sogar eine Bettdecke, die aus Mäusehaaren gestrickt war. Rotzipf war sehr glücklich darüber und freute sich jedes Jahr über die Ernte.
Eines Tages passierte jedoch etwas sehr Aufregendes. Rotzipf begab sich morgens wieder zu seinen Beerensträuchern. Die Früchte glänzten schön rot; Rotzipf hatte sie vor kurzem alle angemalt – wie seine Mütze, denn sie begannen, allmählich reif zu werden.
Am Abend vorher, das muss als Erklärung gesagt werden, hatte ein Grillenwettfiedeln stattgefunden. Einhundert Grillen hatten sich bei Vollmond auf der Elfenwiese eingefunden, um vor dem Zwergenvolk aufzuspielen. Es war ein gewaltiges Gezirpe und Gefiedel geworden. Immerhin ging es ja um die „Goldene Elfenfiedel“ als ersten Preis. Rotzipf gehörte zu den Preisrichtern, und für die Preisrichter gab es kostenlos große Humpen voll Blütennektar. Rotzipf hatte, das muss man zugeben, manchen Humpen ausgeschlürft und dann in dieser Nacht recht tief geschlafen. Und nun, an diesem Morgen, schlenderte er vergnügt zwischen seinen Beerenstauden umher, summte die Melodie, die am vergangenen Abend als schönstes Grillengezirpe mit dem ersten Preis ausgezeichnet worden war, und freute sich an seinen schönen roten Beeren, die so rot leuchteten wie seine Mütze. Ganz plötzlich verstummte Rotzipf. Die Melodie, die er gesummt hatte, brach ab, er rieb sich die Augen, zwickte sich ins Ohrläppchen, um zu sehen, ob er schon wach sei oder noch träume.
Anscheinend träumte er noch – da fehlten doch in einer Ecke seiner Pflanzung an den Stauden sämtliche Beeren. Weg – alle Beeren! Ratzekahl leer waren die Stauden; nur eine einzige Beere, die nicht so gut geraten war, hing noch da. Also träumte Rotzipf doch nicht – die schönen roten Beeren waren gestohlen worden, einfach weg. Rotzipf brach in ein solches Jammern aus, dass das ganze Zwergenvolk zusammenlief, um sich die Sache anzusehen. Gar mancher musste sich noch den Schlaf aus den Augen wischen, um festzustellen, dass es in dieser Ecke an den Stauden keine „Rotzipf-Beeren“ mehr gab.
Man versuchte, den armen Rotzipf zu trösten und schimpfte weidlich über die Diebe. Denn die Beeren, die dem Rotzipf gestohlen worden waren, konnte man nicht mehr selber essen. Aber wer mochte es gewesen sein?
Die Eichhörnchen? Nein, die knackten lieber Nüsse und suchten Tannensamen in den Zapfen. Die Ameisen? Aber so viele Beeren auf einmal hätten die Ameisen gar nicht so schnell wegschleppen können. Außerdem arbeiteten sie lieber tagsüber und schliefen nachts.
Die Maulwürfe? Aber die Maulwürfe kamen ja gar nicht aus ihren Gängen heraus, und wenn die Zwerge etwas von ihnen wollten, mussten sie schon zu ihnen hinabsteigen. Die Mäuse? Sie waren allerdings immer hinter etwas Fressbarem her, aber sie waren mit den Zwergen befreundet; sie taten ihnen schon mal einen Gefallen, wenn es galt, in irgendeine Ritze zu kriechen, in die ein Zwerg nicht hineinkam. Außerdem lieferten sie ihre schönen weichen Schwanzhaare, aus denen sich die Zwerge Halstücher, Westen oder Bettdecken strickten. (Deswegen haben alle Mäuse kahle Schwänze!)Dafür halfen die Zwerge beim Bau von Mauselöchern und Gängen. Da Mäuse alles annagen, hätte man Reste mit den Nagespuren der scharfen Mausezähne gesehen.
Also ein Vogel? Aber die Beeren hingen unter den Blättchen, so dass man sie von oben fast gar nicht sehen konnte; es genügte, wenn ein Zwerg sie von unten sah. Gewiss, der diebischen Elster könnte man so einen Diebstahl zutrauen; aber die flog nachts nicht in der Gegend herum. Außerdem hätte sie sich selbst verraten, weil sie den Schnabel nicht halten konnte.
Die Fledermäuse? Die zuckten durch die Gegend und sausten hierhin und dorthin – die hatten gar keine Zeit, Rotzipf-Beeren zu stehlen.
Blieb noch die Eule. Aber dieser Hinweis – er kam von Wichtel und Pichtel – wurde vom ganzen Zwergenvolk zurückgewiesen. Die Eule war ein weiser, alter Vogel, der nachts besser sehen konnte als am Tag, lautlos durch die Luft glitt und vieles wusste, was nachts geschah, von dem Tiere und sogar die Zwerge oft keine Ahnung hatten. Man fragte sie viel um Rat, weil sie über Dinge und Ereignisse nachdachte. Dann machte sie ganz große Augen, die wie Edelsteine leuchteten, knappte mit dem Schnabel, dass man sich richtig erschrecken konnte, und gab Auskunft. Nein, die Eule kam als Diebin nicht in Frage. Es hätte sich auch keiner getraut, sie überhaupt danach zu fragen.
Außerdem erinnerte sich Wutzelputzel, dass er sie letzte Nacht noch gesehen hatte, wie sie mit ausgebreiteten Flügeln am Waldrand weit weggesegelt war.
Sollte etwa jemand vom Zwergenvolk selbst das gewesen sein? Bei dieser Frage entstand große Unruhe.
Wie hätte man das feststellen können?
Die Beeren waren sauber abgepflückt. Fußspuren? Rotzipf hatte zuerst nicht darauf geachtet, und inzwischen war das gesamte Zwergenvolk unter den Stauden herumgetrampelt, um sich den Schaden zu besehen.
Da kam Fitzliputz auf eine großartige Idee: Rotzipf hatte doch alle Beeren rot wie seine Mütze angemalt. Also mussten doch diejenigen, die die Beeren aufgegessen hatten, eine rote Zunge haben. Also bat Fitzliputz alle Zwerge, ihre Zunge herauszustrecken. Jeder tat es, und Fitzliputz und Rotzipf sahen sich von allen die Zungen an – aber alle Zwerge hatten rote Zungen. Zwar schien es, als ob Wichtel und Pichtel etwas rötere Zungen hätten, aber so genau ließ sich das nicht feststellen.
Ziemlich ratlos ging das ganze Zwergenvolk auseinander.
Am nächsten Morgen lief Rotzipf wieder zu seinen Beeren – und siehe da, es waren wieder welche gestohlen worden. Rotzipf war so betroffen, dass er sich jammernd auf den Boden warf. Wieder strömte das ganze Zwergenvolk zusammen. Rotzipf und Fitzliputz fragten jeden einzelnen Zwerg, ob er etwas von den Beeren genommen hätte. Alle schüttelten den Kopf, und jeder zeigte sogar freiwillig seine Zunge. Aber alle Zwergenzungen waren rot, und Rotzipf war untröstlich.
Auch sein Freund Fitzliputz wusste keinen Rat. Als die übrigen Zwerge gegangen waren, kratzte er sich noch immer hinter den Ohren und zupfte am Zipfel seiner schönen blauen Zipfelmütze und schaute sie nachdenklich an. Plötzlich strahlte er von einem Ohr zum anderen:
„Ich hab‘s, Rotzipf! Ich habe die Lösung! Wir färben deine schönen Rotbeeren in Blaubeeren um! Und diese Farbe machen wir so stark, dass jeder, der die Blaubeeren pflückt und isst, eine leuchtende rötlich-blaue Farbe an den Fingern und auf der Zunge hat. Und wenn sich jemand auf die Beeren setzt, hat er die Farbe noch ganz woanders!“ Fitzliputz und Rotzipf glucksten vor Lachen und machten sich sofort an die Arbeit.
In einem Kessel kochten sie die Mütze von Fitzliputz, so dass eine blaue Brühe entstand. Damit malten sie alle Rotbeeren an; und als die Farbe trocken und in die Beeren eingezogen war, sahen sie außen wie innen bläulich-violett aus so wie die Finger und die Zunge von Fitzliputz und Rotzipf, die zur Probe ein paar gegessen hatten. Müde und doch voll gespannter Erwartung legte sich Rotzipf auf sein Lager aus weichem trockenen Moos und deckte sich mit der aus Mäusehaaren gestrickten Decke zu.
Die Nacht war dunkel; Wolken verhüllten den Mond und die Sterne.
So würde den Dieben der Unterschied in der Beerenfarbe wohl nicht auffallen.
Gleich nach dem Aufwachen sprang Rotzipf aus dem Bett und lief zu seiner Beerenpflanzung. Der Boden war noch zertreten vom Vortag, so dass man nicht erkennen konnte, ob neue Fußspuren hinzugekommen waren. Aber in der Beerenpflanzung sah es noch schlimmer aus als an den beiden Tagen vorher. Noch viel mehr Beeren waren gestohlen worden.
Rotzipf brach in ein noch lauteres Lamento aus, und wieder stürzte das gesamte Zwergenvolk herbei, alle noch sehr verschlafen. Sie gähnten, rieben sich die Augen und setzten sich die Zipfelmützen zurecht. (Denn kein Zwerg zeigt sich in der Öffentlichkeit ohne seine Zipfelmütze.)
Wutzelputzel kam sogar mit Pantoffeln und im langen weißen Nachthemd mit roten Herzen darauf. Rotzipf erklärte, was schon wieder passiert war und fragte jeden einzelnen, ob er von den Beeren gegessen hätte. Kopfschütteln und Entrüstung bei den Zwergen. Die meisten zeigten sogar freiwillig ihre Zunge: alle Zwergenzungen waren rosa-rot. Auch Wichtel und Pichtel schüttelten den Kopf, als sie befragt wurden; sie machten große Augen, pressten die Lippen zusammen und sagten durch die Nase: „E-em, e-em!“, was so viel hieß wie „Nein, nein!“
Da winkte Rotzipf seinem Freund Fitzliputz. Beide pflückten ein paar Beeren, die sie entweder aßen oder zwischen den Fingern zerdrückten, dann zeigten sie ihre Zungen und ihre Finger. Und sie erklärten, warum aus den Rotbeeren nun plötzlich Blaubeeren geworden waren. Alle Zwerge sagten „Aha!“, und dann bat Rotzipf den Wichtel und den Pichtel, die Zungen herauszustrecken und die Finger zu zeigen. Beide taten es, und zur Verwunderung aller Zwerge hatten Wichtel und Pichtel ganz blaue Zungen und Finger.
Es erhob sich ein großer Lärm der Überraschung und des Zorns.
Unter Führung von Oberzwerg Wutzelputzel marschierte man zur Höhle von Wichtel und Pichtel. Und bei der Untersuchung fand man tatsächlich mehrere Körbchen mit Blaubeeren.
Rotzipf erhielt die gestohlenen Beeren zurück. Und für die bereits aufgefutterten Beeren mussten Wichtel und Pichtel Ersatz in Form von Haselnüssen liefern, wobei Oberzwerg Wutzelputzel eigenhändig jede Nuss wog und beklopfte, um festzustellen, ob sie auch nicht taub wäre. Außerdem mussten die beiden jeden Abend ihre Zipfelmützen an Wutzelputzel abgeben, solange die Blaubeeren noch nicht geerntet waren, weil ja bekanntlich kein Zwerg ohne seine Zipfelmütze herumläuft – nicht einmal im Dunkeln.
Seitdem malt Rotzipf in seiner Pflanzung jedes Jahr die Beeren an: Im Frühjahr, wenn sie noch klein sind, zuerst grün, später rot und dann, wenn sie reif werden, blau. Und unten drückt er jeder Beere eine kleine Delle rein, um festzustellen, ob die Beere auch gut ist.
Und jeder, der sie pflückt, bekommt blaue Finger, und wenn er sie isst, eine blaue Zunge. Aber im Unterschied zu Wichtel und Pichtel sollte man bei einem Menschen, wenn er eine blaue Zunge hat, nicht annehmen, dass er geschwindelt hat. Er hat wohl nur Blaubeeren gegessen.
Es war einmal ein hübsches junges Mädchen, das hieß Nina. Sie hatte helle Augen und konnte herzlich lachen, und jeden, der mit ihr sprach, ließ sie mit einem Lächeln zurück.
Wenn sie Zeit hatte, dann ritt sie mit ihrem Pferd aus. Sie streifte durch die Wiesen oder ließ ihr Pferd einen Waldweg entlang traben, wo der weiche Boden den Hufschlag verschluckte und sie nur das Rauschen des Windes in den Wipfeln hörte und den Duft des Waldes atmen konnte.
Als sie eines Tages wieder mal auf einem Ausritt unterwegs war, kamen ihr auf der Straße drei junge Männer entgegen. Sie hatten grellbunte Hosen an, trugen die Haare grün, gelb und violett gefärbt und hatten Ringe durch die Nase und Sicherheitsnadeln durch die Ohren gesteckt. Einer schwenkte ein Kofferradio, aus dem mit voller Lautstärke ein metallisch hämmerndes Dröhnen tönte, dass Ninas Pferd den Kopf hochwarf, ihn schüttelte, die Ohren zurücklegte und unruhig zur Seite tänzelte. „Ruhig, Brauner, ruhig!“ beschwichtigte Nina ihn, tätschelte seinen Hals und nahm die Zügel etwas kürzer.
„Ey, Tussi“, rief einer der drei ihr zu, „Disco-time! Schieß dein Hopp-Hopp in den Wind und mach mit uns ein Fass auf! Das wird tierisch stark! Echt, ey!“ Nina lachte nur, gab ihrem Braunen die Zügel, setzte leicht die Hacken ein und ritt davon. „Ey, stark, ey, echt super!“ riefen die drei hinter ihr her; mehr fiel ihnen nicht ein.
Auf dem Weg, neben dem sie weiterritt, hörte sie plötzlich ein Auto kommen. Es bremste scharf neben ihr, so dass sie wieder ihr Pferd beruhigen musste. In einem roten Sportwagen saß ein junger Mann; er hatte einen rasanten Haarschnitt, trug eine Sonnenbrille, und um den Hals glänzte ein Goldkettchen ebenso wie an seinem Handgelenk. Er drehte das Radio etwas leiser, das den Motor übertönt hatte, und schnippte mit den Fingern. „Hey, Girly! Das eine PS, auf dem du da herumtrabst, kannst du doch echt vergessen! Hast du schon mal zweihundert PS am Stück erlebt? Komm her, der Platz neben mir ist zufällig gerade frei! Steig ein, und ich zeige dir die Welt, wie du sie noch nie erlebt hast!“ „Ich glaube kaum“, meinte sie und legte den Kopf mit einem leichten Lächeln zur Seite, „dass gerade du der Richtige dafür bist!“ Sie gab ihrem Braunen einen aufmunternden Klaps, setzte leicht die Hacken ein und preschte davon, ohne sich noch einmal umzusehen. Sie lenkte in einen Feldweg ein und ließ ihrem Pferd die Zügel. Es jagte dahin, und sie richtete sich im Sattel auf. Der Wind wirbelte ihr Haar durcheinander und strich über ihr glühendes Gesicht. Sie spürte das Klopfen der Hufe auf dem Boden, fühlte, wie das Pferd kraftvoll ausgriff, und ihr eigenes Herz schlug den Takt mit. Jetzt stand sie sogar, leicht vorgeneigt, in den Steigbügeln. Sie hatte das Gefühl, der Wind wehe durch sie hindurch, und so leicht war ihr, dass sie am liebsten mit der Lerche emporgeflogen wäre, die gerade aus dem Feld nebenan trillernd in den Himmel stieg.
Als der Weg in einen Wald mündete, fiel das Pferd in Schritt, es warf den Kopf hoch, schüttelte sich, schnaubte kräftig und ging dann gleichmäßig ruhig weiter. Nina fühlte sich von der kühlen Waldluft umweht; wenn sie durch eine Kiefernlichtung kam, atmete sie den warmen harzigen Duft, dann legte sich wieder der kühle grüne Umhang um sie, und das Blätterdach schloss sich über ihnen.
Eine Waldmeise sang unbekümmert, und nur das Zaumzeug jankte leicht im Takt des Schrittes. Sie hätte so bis ans Ende der Welt reiten können – aber plötzlich tat ihr Pferd einen Stolperer. „He, Brauner! Aufpassen!“ Sie nahm die Zügel hoch und sah nach unten; vermutlich war ihr Pferd über eine Wurzel gestolpert. Aber wo war denn der Waldboden? Eine kaum noch unterscheidbare schwarze Fläche, und die Bäume bildeten auch schon eine dunkle Wand. Ein schmaler Streifen einer dunkel-licht-blauen Seide schien der Himmel zu sein; zwei Sterne glitzerten als goldene Pünktchen über ihr, und ein verblassender roter Saum verriet, dass die Sonne schon lange hinter dem Horizont verschwunden sein musste. Was war das denn? Hatte sie mit offenen Augen geträumt? Ihr Brauner war so brav seinen Weg gegangen, dass sie völlig in die schöne Stimmung versunken war. Jetzt hieß es aber schleunigst umzukehren. Inzwischen war es so dunkel geworden, dass sie besser abstieg und das Pferd am Zügel führte. Es rieb seinen Kopf an ihrer Schulter und wurde ein bisschen getätschelt. Schnobernd suchten die weichen Nüstern an ihrer Hosentasche. „Na, ist ja gut!“ sagte Nina. Sie hatte immer eine Handvoll Haferflocken oder etwas zu knabbern für ihr Pferd in der Tasche und nahm eine Portion, die sie ihm unter die Nase hielt. Mit vorsichtig zurückgezogenen Lippen nahm der Braune sie auf.
Der helle Abendhimmel hatte sich allmählich in ein dunkles Samtblau verwandelt; hellgolden glitzerten die Sterne. Den Waldboden konnten die beiden nur noch erahnen – und so setzten sie vorsichtig Fuß vor Fuß und Huf vor Huf. „Das kann ja heiter werden!“ dachte Nina. Als sie nachmittags losgeritten war, schien die Sonne, es war warm, und so war ihr gar nicht der Gedanke gekommen, dass sie eine Jacke brauchen könnte. Und eine Übernachtung hier mitten im Wald war auch nicht so ganz nach ihrem Geschmack. Ein rötlichgelber Schein in den Baumkronen verriet, dass der Mond aufgegangen war, und als er höher stieg, rieselte silbernes Licht zwischen den Ästen auf den Waldboden. Die schwarzen Baumriesen wiegten sich leise, reckten ihre langen Arme und ächzten ab und zu. Und dann schien auch noch ein unheimliches, schwarzes Etwas um sie herumzuzucken. Nina wurde es doch allmählich unbehaglich. „Gibt es denn hier nirgendwo ein Haus?“ fragte sie halblaut in die Dunkelheit. Ihr Brauner schnob nur kurz und schüttelte sich.
Auf einmal traten die Bäume auseinander, und der Wald öffnete sich zu einer Lichtung. Auf einer Wiese, durch die ein kleiner Bach floss, stand ein Haus oder eher ein Häuschen. Die hellen Flächen des Fachwerks leuchteten im Mondlicht, scharf begrenzt von schwarzen Balken. Auf der Giebelseite war eine große Öffnung zu sehen. Kein Lichtschein fiel aus den Fenstern, und aus dem Schornstein kräuselte sich kein Rauch. Nina rief ein paarmal „Hallo!“ und „Ist das jemand?“, aber niemand antwortete. Da nahm sie ihrem Pferd Sattel und Zaumzeug ab und entließ es mit einem leichten Klaps auf die Wiese; mit langen Schritten trabte es sofort zu dem Bach und begann mächtig zu saufen.
Nina trat zu der Tür des Häuschens und klopfte mehrfach – nichts rührte sich. Unten an der Tür gewahrte sie einen Ausschnitt im Holz, wie er sich oft im Hoftor von Bauerngehöften befindet, damit die Hauskatze ein und aus kann. Vorsichtig drückte Nina die Tür auf, die etwas knarrte, und dann trat sie ein.
Sie befand sich in einer großen Stube, in die silbrig-helles Mondlicht fiel. Auf dem Boden lag ein Haufen von Stroh und Zweigen, wie es schien, sonst war der Raum leer. Durch eine offenstehende Tür konnte man in eine Kammer sehen, die auch leer zu sein schien; nur in einer Ecke standen Binsen und Gräser, und es roch ein bisschen feucht-modrig. Im Dachfirst über der Stube sah es sehr dunkel aus; das Mondlicht, das durch die Öffnung im Giebel, die ihr bereits draußen aufgefallen war, hereinfiel, lief an dem Firstbalken entlang und verlor sich im Dämmer.
Nina seufzte ein wenig, als sie an ihr gemütliches, kuscheliges Bett dachte, das jetzt zuhause vergeblich auf sie wartete, und sie ließ sich auf dem Bündel von Stroh und Zweigen nieder, das mitten in der Stube lag. „Immer noch besser, als im Wald im feuchten Moos zu liegen!“ dachte sie, streckte sich ein wenig und war auch schon eingeschlafen. Sie träumte, dass ihr ein helles, piepsendes Stimmchen etwas zurief. „Pass auf, pass auf!“ Unwillig drehte sie sich herum, aber das Stimmchen drang in ihre Träume und holte sie heraus. Sie setzte sich auf. Es war still um sie; sie hörte das Bächlein vor dem Haus, das leise Rauschen der Bäume, sonst nichts. Sie reckte sich und streckte die Beine aus. „Pass gefälligst auf, wo du hintrittst!“ hörte sie jetzt sehr deutlich, und plötzlich sah sie im Mondlicht auf dem Boden der Stube ein kleines, pelziges braunes Wesen, das sich gerade die Schnurrbarthaare putzte. „Huch, eine Maus!“ schrie Nina, schlang ihre Arme um die Knie und nahm die Füße hoch. „Unsinn!“ piepste das kleine Wesen, „mein Name ist Tina Rosina Haselmausi, Bilchin zu Siebenschlaf! Du darfst einfach ‚Rosi‘ zu mir sagen! Aber bitte verwechsele mich nicht mit einer ordinären Maus! Gewöhnliche Mäuse sind neugierig, knabbern alles an, nerven ihre Umgebung und haben ein zerrupftes, um nicht zu sagen ungepflegtes Fell – natürlich in unscheinbarem Mausgrau! Ich trage dagegen, wie du siehst, ein glänzendes, schwarz-braunes Pelzchen, das sich farblich ein wenig an die Jahreszeit und die Umgebung anpasst.“ Und wieder putzte sich das zierliche Wesen Pelzchen, Näschen und Schnurrbarthaare, wobei die schwarzen Knopfäuglein im Mondlicht glänzten. „Außerdem“, fuhr sie fort, „achten wir auf Lebensart. Du hattest mir freundlicherweise ein paar Körner und Haferflocken zukommen lassen!“ „Ach ja“, dachte Nina „die sind mir sicher beim Hinlegen aus der Hosentasche gefallen!“ „So etwas wirft man allerdings nicht auf den Boden – nein, so macht man das!“ Sie legte die Haferflocken sorgfältig auf ein Haselnussblatt, nahm es zierlich in die beiden Vorderpfötchen und knabberte sehr vornehm an den Flocken. „Siehst du, so! Übrigens war ich mal eine Zeitlang mit einem Igel befreundet!“ „Mit einem Igel?“ platzte Nina dazwischen. „Hat der dich denn nicht gefressen?“ „Ach, i wo! Man muss einen Igel nur an der richtigen Stelle kraulen – dann wird er ganz zahm und zutraulich. Wir beide haben uns jedenfalls sehr gut verstanden; und immer, wenn wir durch den Wald spazierengingen, hat er mich beschützt, und nicht einmal ein Fuchs oder Marder hat es gewagt, mich anzugreifen! Und dafür habe ich dem Igel die feine Lebensart beigebracht! Ach ja, es war eine schöne Zeit!“ Rosi Haselmausi schniefte ein bisschen und putzte sich die Knopfäuglein und das Schnäuzchen. Nina musste lachen und streckte sich ein bisschen.
„He, pass gefälligst auf, wo du hintrittst!“ ertönte eine tiefe Stimme. „Huch, ein Frosch!“ rief Nina, als sie genauer auf den Boden geschaut hatte. „Du bist aber ungebildet“, antwortete die tiefe Stimme.
„Mein Name ist Warzerich Grünbraun – aber du darfst ‚Warzi‘ zu mir sagen. Frösche sind ein leichtfertiges, oberflächliches Volk; sie hüpfen albern in der Gegend herum, anstatt sich gemessen zu bewegen. Und erst im Frühsommer – aus jedem Tümpel ihr unerträgliches ‚Quarr-quorr‘ - Gequake. Hast du mal an einem schönen warmen Sommerabend unser ‚Unkenläuten‘ gehört? Das klingt melodisch, da bleiben sogar die großen Zweibeiner wie du verzaubert stehen – vor allem, wenn sie zu zweit sind! Wir Kröten sind ein weises Volk!
Früher hatte man uns gerne in der Nähe des Hauses, weil die Leute überzeugt waren, dass wir Glück bringen. Ein Vetter von mir“, fügte Warzerich hinzu, „ein Vetter von mir war sogar ein verzauberter Prinz! Und als ihn eine Prinzessin geküsst hat – ich nehme an, dass sie so hübsch war wie du, sonst hätte der Zauber nicht gewirkt! – da wurde er wieder der hübsche Prinz. Möchtest du es nicht auch mal bei mir versuchen?“ setzte er schmeichelnd hinzu, und seine Äuglein glitzerten golden, „bestimmt werde ich dann auch zu einem hübschen Prinzen!“
Nina verzog etwas das Gesicht. „Nichts für ungut, Warzi, aber mit den Kröten und den Prinzen ist das so eine Sache! Ich kenne so etliche, die behaupten, sie seien Prinzen und möchten gerne geküsst werden – und hinterher stellt sich dann heraus, dass sie nur Kröten sind – äh – wobei ich natürlich nichts gegen dich gesagt haben möchte, Warzi!“
„Dann versuch es doch mal mit mir!“ fiepte es über Ninas Kopf, und ein schwarzer Schatten zuckte um sie herum. „Was ist denn das schon wieder?“ rief Nina entsetzt und hob die Hände. „Ich heiße nicht ‚Das-schon-wieder!‘, sondern Flederich Flatter! Aber du darfst natürlich ‚Fledi‘ zu mir sagen!“ Flederich zuckte herauf und herunter, nach rechts und links, und dann hängte er sich mit dem Kopf nach unten an den Firstbalken. „Du würdest mir gefallen! Ich habe dich eben schon im Wald gesehen und wollte dir den Weg hierhin zeigen. Ich bringe dir bei, wie man fliegt, aber zuerst musst du einmal üben, dich richtig herum an einen Balken zu hängen, nämlich mit dem Kopf nach unten! Siehst du, so! Und dann schlägst du einfach die Flügel um dich und kannst dich leicht in den Schlaf schaukeln! Aber so, wie du jetzt den Kopf hältst, muss dir ja fürchterlich schwindelig werden!“ „Danke, Fledi! Das ist gut gemeint,“ antwortete Nina, „aber ich denke, dass ich meinen Kopf schon richtig trage; jedenfalls bin ich es so gewöhnt!“
„Ja, kannst du denn so überhaupt die Elfen sehen?“ fragte Flederich verwundert. „Welche Elfen?“ „Na, die, die in Vollmondnächten auf der Wiese tanzen!“ antwortete Warzerich. Nina sah hinaus: „Eigentlich sehe ich nur Nebelschleier über der Wiese!“ „Du hast eben schlechte Augen, wie die Menschen alle, oder fast alle!“ fiepte Flederich, schoss aus dem Flugloch im Giebel hinaus und kam nach kurzer Zeit wieder. „Natürlich tanzen sie jetzt! Das musst du doch sehen.“ „Na ja“, meine Warzerich begütigend, „Schleier hat sie ja schon erkannt!“ „Und was ist mit den Schleiern?“ fiepte Flederich,zuckte aus dem Flugloch heraus und wieder herein. „Na ja, sie bewegen sich!“ gab Nina zögernd zu. „Na siehst du!“ meinte Warzerich zufrieden, „und du wirst doch wohl nicht behaupten wollen, dass sich ein Schleier von selbst bewegen kann! Die meisten Menschen glauben das, weil sie nicht das Richtige erkennen können! Aber von dir erwarte ich doch mehr“, setzte er aufmunternd hinzu. „Denn schließlich hast du ja sogar unser Haus gefunden – und das bleibt den gewöhnlichen Menschen verborgen.“ „Versuch es doch einfach mal selbst“, forderte Rosi sie auf und bewegte sich zierlich auf den Hinterfüßchen. „Oder mach es einfach so!“ piepste Flederich von oben, krallte sich mit den Füßen in den Firstbalken und schaukelte leicht, mit dem Kopf nach unten hängend. „Na ja, mit den Reitstiefeln einen Elfentanz? Ich weiß nicht!“ brummelte Nina, aber dann hörte sie einen melodischen, fast glockenähnlichen Ton, den Warzi ihr zuliebe sang, und sie wiegte sich leicht, wie sie den Nebel auf der Wiese sich wiegen und drehen und tanzen sah, sie versank in diese Bewegung, in diesen Tanz – es wurde alles leicht in ihr und um sie, sie sah die Elfenschleier auf der Wiese, die sie einzuhüllen schienen – sie schwebte – ganz leicht, getragen von dem Läuten der Unkenstimme und den silbernen Strahlen des Mondes.
Wie lange sie geschlafen hatte, wusste sie nicht. Ein Sonnenstrahl fiel durch das Loch im Giebel herein und zauberte einen Fleck auf den Boden; Morgenlicht drang durch die Fenster. Es war recht frisch um diese Zeit, sie fröstelte etwas in ihrer dünnen Bluse, erhob sich von dem Bündel Stroh und Reisig, klopfte ein paar Halme ab, die an ihrer Reithose hingen – dann besann sie sich und pflückte sie vorsichtig von dem Stoff und legte sie behutsam auf das Bündel.
Als sie ins Nebenzimmer blickte, schien ihr, als ob aus dem Fleck mit Binsen Warzerichs goldene Augen sie anblinzelten, und über ihr, an dem Firstbalken, hing ein dunkler Schatten, kopfunter, und schaukelte leicht. „Lebt wohl ihr drei! Und danke, dass ich die Nacht bei euch bleiben durfte!“
Sie trat hinaus, sah den Wald im Morgenlicht, den Dampf aus den Wiesen steigen und entdeckte ihren Braunen, der schon eifrig graste. Sie pfiff ihn heran, tätschelte ihn zur Begrüßung, fand noch ein paar Haferflocken für ihn in der Tasche, sattelte ihn und saß auf. Sie drehte sich noch einmal nach dem Haus um und winkte, dann ritt sie fröhlich in den frischen Morgen. Die drei sahen ihr nach, und alle drei seufzten.
„Ja, mit der könnte ich einen ganzen Winterschlaf lang kuscheln!“ meinte Rosi Haselmausi. „Und ich würde gerne mit ihr über eine Elfenwiese flattern!“ ergänzte Flederich. „Und ich würde gerne an einem schönen Sommerabend im Mondschein an einem See mit ihr sitzen, und wenn sie mich dann küsste, würde ich bestimmt ein schöner Prinz!“ fügte Warzerich hinzu, und alle drei seufzten noch einmal tief.
Zwerg Ringelzipf saß vor seinem Häuschen und hatte – man wagt es kaum zu sagen – schlechte Laune. Der Grund war – und das war ebenfalls äußerst ungewöhnlich – Langeweile. Bekanntlich sind Zwerge sehr fleißig und finden immer etwas zu tun. Aber Ringelzipf hatte im Augenblick nichts zu tun, und das verdarb ihm die gute Laune, über die er sonst in größeren Mengen verfügte. Sein Häuschen hatte er schon zum dritten Mal ausgefegt, die Fenster blinkten und blitzten in der Sonne, er hatte seine Vorräte an Blaubeeren, getrockneten duftenden Kräutern, an Bucheckern und Haselnüssen mit dem Staubwedel zum zweiten – oder war es sogar schon zum dritten Mal? – abgewedelt, sein Bett mit einem feinen Betttuch aus Moosfäden frisch überzogen und die Decke aus Mäusehaaren so glatt gestrichen, dass der feine Flor in einer Richtung verlief und silbrig glänzte.
Sogar seine Vorräte an Brennholz und Tannenzapfen hatte er neu aufgeschichtet, schließlich, und das war der Grund für seine erzwungene Langeweile, war ja Winter. Nun pflegte er gerne in Holz zu schnitzen; bekanntlich sind Zwerge ja handwerklich ausgesprochen geschickt! Manche sind sehr kunstfertige Gold- und Silberschmiede, andere betätigen sich als Gartenkünstler und arbeiten oft bei den großen Ungetümen, die sich selbst als „Menschen“ bezeichnen. (Sobald sich natürlich jemand von diesen „Menschen“ einem z.B. im Garten arbeitenden Zwerg nähert, erstarrt dieser sofort zu Gips, weil er nicht bei der Arbeit gesehen werden möchte –eine Angewohnheit, die viele Menschen von den Zwergen übernommen haben!) Wieder andere – und dazu gehörte Ringelzipf – können sehr schöne Schnitzarbeiten ausführen. Er hatte schon alle seine Freunde des Waldreviers in Holz geschnitzt: Freund Eichhörnchen und Freund Igel, Freund Eichelhäher und Freundin Amsel, Freundin Rotkehlchen und Freundin Waldmeise; sogar Mäuse hatte er schon gemacht, obwohl er mit denen mehr geschäftlich zu tun hatte: er tauschte Bucheckern gegen Mäusehaare. Sein Meisterwerk war eine lebensgroße Darstellung seines Vetters Rotzipf. Rotzipf wohnte am anderen Ende des Waldes in einer größeren Zwergensiedlung zusammen mit seinem Freund Fitzliputz. Die beiden hatten die berühmten „Rotzipfbeeren“ gezüchtet, die im ganzen Wald bekannt und beliebt waren. Ringelzipf besuchte die zwei gerne; er blieb dann schon mal über Nacht. Man saß abends vor Rotzipfs hübschem Häuschen und spielte Zwergenschach. Die Figuren hatte Ringelzipf aus Eicheln und Bucheckern geschnitzt.
Zwergenschach spielte man zu dritt und mit Würfeln. Die Würfel hatten unterschiedliche Augenzahlen, und so gab es beim Spielen sehr viel Spaß. Der Höhepunkt des Abends war, dass Rotzipf seinen wunderbaren „Rotzipfbeerenwein“ kredenzte! Man muss wissen, dass Rotzipf seinen Beerenwein nicht einfach anbot wie ein gewöhnliches Getränk, nein, er musste „kredenzt“ werden! Der Tropfen schmeckte so wundervoll, er duftete so herrlich, dass es nicht bei einem Becherchen blieb!
„Nur mal kosten!“ hatte Rotzipf beim Einschenken gemeint. Natürlich hatten alle drei „Nur mal gekostet!“, aber bei jedem Schlückchen wurden das „Ahh!“ und das „Mhm!“ fröhlicher. Jedenfalls, so erinnerte sich Ringelzipf, war es nachher ein bisschen zu fröhlich geworden! Rotzipf hatte versucht, einen Handstand zu machen und war in ein Körbchen mit frisch gepflückten Beeren gefallen; Fitzliputz wollte auf einem Bein tanzen, dabei war seine Zipfelmütze fliegen gegangen – das Schlimmste, was einem Zwerg geschehen kann! Und natürlich hatte Herr Eichelhäher, der Waldnachrichtenbote, es mitbekommen, und ebenso natürlich wusste es am nächsten Tag jeder im Wald, und Fitzliputz konnte sich wochenlang nicht in der Öffentlichkeit sehen lassen, noch nicht einmal zum „Vollmond-Elfenfest“ hatte er sich getraut – ein Zwerg, der seine Zipfelmütze verliert! Und er selbst, Ringelzipf?
Nun ja, auch er war sehr fröhlich gewesen und hatte selbstgedichtete Zwergenhüpflieder gesungen – mit seiner sehr wohlklingenden Stimme, jawohl! Trotzdem hatte es am nächsten Tag Beschwerden gegeben, und zwar von niemand Geringerem als den berühmtesten Sängerinnen des Waldes: Frau Nachtigall, Frau Amsel und Frau Meise. Ihr musikalisches Empfinden sei auf das empfindlichste gestört worden. Ringelzipf hatte zwar gebrummelt und gemault, aber dass die drei nichts von Gesang verstünden, konnte noch nicht einmal er behaupten.
Ringelzipf seufzte tief und ließ den Zipfel seiner Mütze durch die Finger gleiten. Er war wunderschön geringelt – immer rot-weiß-rotweiß-rot-weiß! Ringelzipf wusste, was er seinem Namen schuldig war, und er sorgte dafür, dass die roten geringelten Streifen immer schön rot leuchteten und die weißen immer schön sauber und weiß waren. Ach ja, jetzt mit Fitzliputz und Rotzipf zusammensitzen ...
Aber bei diesem Schnee! Selbst seine Freunde, die Waldtiere, ließen sich nicht blicken. Nicht einmal zu den Wichteln konnte man gehen bei so viel Schnee! Beim Gedanken an die Wichtel zog Ringelzipf eine Schnute. Die Wichtel konnte man nicht ernst nehmen. Sie waren zwar ein sehr fröhliches Völkchen, aber ihnen fehlte die Ernsthaftigkeit, die einen ordentlichen Zwerg auszeichnet. Ihre Gesichter glänzten rund und rosig, der Mund war beständig in Bewegung, vor allem bei den Wichtelweibchen, die bei jeder unpassenden Gelegenheit in lautes Kreischen ausbrachen, was die Wichtelmännlein wiederum zu einem lauten, prustenden Lachen veranlasste, bis der ganze Verein – Wichtel traten eigentlich immer in der Mehrzahl auf, während ein Zwerg – ganz besonders natürlich Ringelzipf! – schon für sich selbst genommen sehr eindrucksvoll war! –, bis also der ganze Verein kreischte, lachte, prustete, bis ihnen die Luft ausging und keiner mehr wusste, warum sie eigentlich so lachen mussten, ein Umstand, über den sie in lautes Lachen ausbrachen. Ihre liebste Beschäftigung war das Essen, und so war es kein Wunder, dass sie alle rot und rund glänzten, während Zwerge eben doch mehr auf eine gute Figur achteten, um nicht zu sagen „Edle Gestalt“, wie Ringelzipf sich selbst einschätzte. Nur etwas liebten die Wichtel noch mehr als essen: ihr „Wichtelbier“, ein schreckliches Gebräu aus Sauerampfer, Schwarzwurzeln, Löwenzahn, Galläpfeln, Bitterschlehe und etwas Sauerkraut, und so schmeckte es auch! Ringelzipf hatte es ein einziges Mal aus Höflichkeit probiert; vor Entsetzen hatte sich seine Zipfelmütze so gekringelt, dass sie einen Knoten bekommen hatte, den er, nachdem er sich heftig geschüttelt hatte, mit zitternden Fingern wieder auflösen musste, was von den umstehenden Wichteln geradezu mit Lachsalven und lautem Gekreisch begleitet wurde.
Was die Wichtel aber in den Augen aller Zwerge herabsetzte, war die Tatsache, dass ihnen zwei wichtige Dinge fehlten: erstens hatten die Wichtelmännlein keinen Bart! Ein schöner, gepflegter Bart war eine Zierde für jeden ernstzunehmenden Zwerg! Man konnte ihn bedächtig streichen, was ungemein würdevoll aussah, und eigentlich legte jeder Zwerg großen Wert auf Würde! Und das zweite, mindestens ebenso wichtige Merkmal eines jeden Zwerges war selbstverständlich seine Zipfelmütze. Was die Wichtel aber, Männlein wie Weiblein, auf dem Kopf trugen, war eine Art Beutel, wie ihn Zwerge zum Beispiel zum Sammeln von Beeren verwenden. Die Wichtel störte das nicht; sie benutzten ihre Kopfbedeckung auch schon mal dazu – tatsächlich! –, um etwas einzusammeln, was sie dann heimschleppten. Kein Wunder, dass ihre Kopfbedeckungen aussahen wie Säcke – unmöglich!
Ringelzipf seufzte tief; heute würde er sogar eine Einladung der Wichtel annehmen – schrecklich! So weit war es mit ihm gekommen vor lauter Langeweile! Aber nicht einmal sie konnte er erreichen bei dem tiefen Schnee. Gelangweilt begann er, die Tropfen zu zählen, die von einem Eiszapfen heruntertropften, der in der Sonne blitzte und funkelte. Nachdem er sich dreimal verzählt hatte, weil er zwischendurch niesen musste, gab er auf. Er zielte mit Schneebällen nach dem Eiszapfen, und beim 101. Versuch hatte er ihn getroffen; morgen früh würde ohnehin ein neuer an dieser Stelle hängen. Gedankenlos und verdrossen nahm er ein Stück Baumrinde, von denen er einen ordentlich aufgeschichteten Stapel neben seinem Häuschen liegen hatte. Baumrindenstücke sammelte er im Sommer, um das Dach seines Häuschens auszubessern oder neu zu decken, damit es immer schön aussah. Das Stück, das er in der Hand hielt, war läng