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Beschreibung

Mein lieber Herr Gesangsverein!

Warum plaudert die Busenfreundin aus dem Nähkästchen, wieso sitzen wir auf unseren vier Buchstaben und was hat es mit dem gerupften Hühnchen auf sich? Diese Sammlung der SZ-Redaktion bietet eine Auswahl jener Redensarten, die besonders charakteristisch oder deren Inhalt und Bedeutung so kurios sind, dass sie dringend einer Erklärung bedürfen. Da freut sich selbst ein Dreikäsehoch wie ein Schneekönig!

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Seitenzahl: 174

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Inhalt

Vorwort

Kapitel 1: Himmel und Hölle

Und dann hat es Bum gemacht

Wurzelhafte Begnadung

Moses zürnt

Über den Wolken

Auf in den Kampf

Einer muss der Dumme sein

Die Zukunftsgaranten

Kapitel 2: Wer’s glaubt …

Im Zwischenlager

Familienbande

Das Unheil wegspucken

Ein armseliger Mensch

Dunstan besiegt Bocksfuß

Wider bösen Zauber?

Schlimm wie die Pest

Kapitel 3: Allerhand Leut’

Blau am Strand

Das Gscheidhaferl

Geliebte Sumpfgurke

Warten auf Heidi

Wenn Affen gaffen

Schön wie am ersten Tag

Die Absteiger

Kapitel 4: Zahlenspiele

Kram unterm Christbaum

Zwielichtige Kneipe

Wes das Herz voll ist …

Altes Ei, neues Ei

Gesäß mit Ohren

Dreikäsehoch

Jupiter zählt mehr

Kapitel 5: Bodyparts

Fest! Fester! Autsch!

Ertrinken, versinken

In der Hitze der Nacht

Zugabe! Zugabe!

Vernarrt ins Rundliche

Eine kleine Hirnmusik

Kapitel 6: Was es noch alles gibt

Jipp her mit die Geschenke

Schlüssellochkunde

Zahn und Wahn

Per tutti

Die Poesie des Gänserichs

Eine Viertelstunde zu spät

Müllbeseitigung

Sprenker Stimmstummel

Die Nase nach oben schnäuzen

Hasloche un Broche

Kapitel 7: Könner und Macher

Des Dichters Klage

Ferkel und Schweine

Des Teufels Spießgeselle

Geheimnisträger

Vom Reiz des Kehlbalkens

Ein Loch ist im Eimer

Und die Luftmaid ging dahin

Singt, liebt und gewinnt

Kapitel 8: Tierleben

Die Sünderinnen

Kein Speck, kein Pelz

Frühlingsgefühle

Ein dummer Freund

Nürnberger Spezialität

Knollenschnabel

Des Teufels Abgesandte

Süßer war er nie

Dumpfer Donner

Der Regenrufer

Im Wasser

Der Vogel trägt keine Hosen

’nei und Frieden

Kapitel 9: Lecker, locker

Alles Quatsch

Zum baldigen Verzehr

Blut und Glut

Brecheisen im Moos

Im Aquarium

Der Dreh beim Fliegen

Vordermänner

Cicerum italicum

Geschissene Gottesgabe

Was Royals schmeckt

Zug-Zwänge

Löffel für Löffel

Ins Auge gespuckt

Vorwort

Wer hatte das erste Wort? Und wann wurde es gesprochen? Zahllos sind die Theorien über die Anfänge unserer Sprache. Hat sie sich aus spontanen Äußerungen von Schreck, Freude, Schmerz entwickelt, hat sie Geräusche aus der realen Welt aufgenommen? Welche Rückschlüsse erlaubt uns die Beobachtung von Kindern, die sprechen lernen? So viel ist klar: Alle Sprachen wollen Sachverhalte beschreiben oder Gedanken mitteilen. Das tun sie auf ebenso unterschiedliche wie reichhaltige Art und Weise.

Dieser kleine Band greift eine der unerschöpflichen Varianten des Sprachreichtums auf, die Redewendung im weitesten Sinn. Hierzu zählen wir auch die sprichwörtlichen Redensarten, bildkräftige Ausdrücke in Einzelwörtern und Schlagwörter. Sie alle sind Gegenstand von „Fragen unserer Leser“. Die Neugier und die Lust, über oft merkwürdig oder unverständlich klingende Wendungen Auskunft zu erhalten, bringt uns jede Woche briefliche Anfragen, E-Mails, ab und zu auch telefonische Erkundigungen aus der ganzen Republik – und immer wieder auch die Bitte um Herausgabe dieser Fragen in Buchform.Voilà: Hier ist nachzulesen, wo der Bart(h)el den Most holt, warum es nicht heißt „oans, zwoa, droa, gsuffa“, wieso die Vier auf den Zifferblättern der Kirchenuhren oft so merkwürdig aussieht und was ein „Treppenwitz der Geschichte“ bedeutet. Warum hat der allseits geläufige und gewünschte „gute Rutsch“ zum neuen Jahr nichts, aber auch gar nichts, mit winterlicher Eisglätte zu tun? Woher stammt das absonderliche Wort „Menkenke“?

Unter Einbeziehung möglichst vieler Quellen forschten die SZ-Autoren im Dickicht der Spuren. Am Ergebnis soll der Leser seinen Spaß haben, es soll ihm ein Licht aufgehen, wenn er in den neun Kapiteln blättert, die sich mit Lebens-, Arbeits- und Gemütszuständen aller Art befassen – dann freut er sich hoffentlich wie ein Schneekönig.

Birgit Weidinger

1. Himmel und Hölle

Und dann hat es Bum gemacht

Herr Friedrich Schäfer aus München möchte wissen: „Was war eigentlich vor dem Urknall?“

Sehr geehrter Herr Schäfer,

seit Kopernikus ist die Erde nicht mehr das Zentrum des Alls; seit Darwin sind wir selbst nur ein Glied in einer langen Kette der Evolution; und seit Freud wissen wir, dass wir nicht einmal Herr im eigenen Hause sind. Und jetzt wollen Sie wissen, was vor dem Urknall los war bei uns hienieden …

Eine große Frage, die schon deshalb so schwer zu beantworten ist, weil wir trotz intensiver Recherche keine Zeitzeugen oder sonstigen Informanten ausfindig machen konnten, die uns glaubwürdig hätten berichten können von den fragwürdigen Schöpfungsvorgängen, bei denen es sich möglicherweise um eine Frühform der heutigen Chaostage handelt. Auch das Studium der einschlägigen Fachliteratur war wenig ergiebig, weil dort zwar allerlei über Gammastrahlen, das Plancksche Quantenprinzip und Schwarze Löcher zu erfahren ist, aber nichts über Ihren besonderen Kasus.

Wenn wir Sie richtig verstehen, Herr Schäfer, wollen Sie ja nicht wissen, was war, als alles begann. Das allein wäre schon eine harte Nuss. Sie wollen wissen, was vorher, vor dem Anfang war. Da klafft bei den empirisch operierenden Naturwissenschaften naturgemäß eine Wissenslücke. Auch die Urknalltheorie ist ja nur ein Erklärungsversuch. Demnach wurde durch den Big Bang das All vor vielen, vielen Monden aus dem Nichts geboren – musikalisch begleitet wahrscheinlich von einer höllisch lauten Ursonate – und dehnt sich seither permanent aus. Aber seien wir ehrlich: Eine unendliche Ausdehnung ist so wenig vorstellbar wie ein unendlicher Raum. Wenn es einen Big Bang gab, so die weitere Annahme der Kosmologen, wird es einmal auch einen Big Crunch geben müssen, den großen Zusammenbruch des Alls, der zur Folge hat, dass dann ein neues Weltall entsteht, rätselhaft und dunkel wie das alte. So gesehen könnte es also auch sein, dass die Berechnungen des wackeren anglikanischen Prälaten Ussher aus dem 17. Jahrhundert zutreffen, wonach die Welt am 23. Oktober 4004 v. Chr. geschaffen wurde.

Merken Sie, verehrter Herr Schäfer, wie wir uns bei aller Spekulierlust allmählich zu verzetteln beginnen? Wie wir uns im Kreis drehen? Es kann also kein Zufall sein, dass sich schon die alten Griechen (Aristoteles, Eratosthenes) das Universum als riesengroße Kugel vorstellten. Dieses Bild hat nicht nur den Vorteil, dass man in einer hohlen Kugel allerlei unterbringen kann (Milchzähne, Milchschnitten, Milchstraßen), es bietet auch eine Lösung für das Unendlichkeitsproblem: Fährt man nämlich entlang der Kugelgrenze, gerät man nicht ins Unendliche, man kommt vielmehr nach einiger Zeit wieder zum Ausgangspunkt zurück. Deshalb sympathisierten auch die seefahrenden Entdecker mit der Vorstellung von der Erdkugel, weil Hoffnung auf Rückkehr bestand: Man kippte mit seinem Schiff nicht einfach ins Bodenlose, wie es das Scheibenbild glauben machte.

Aber auch die Theorie des gekrümmten Raumes, der sich nur krümmt, weil es darin Zeit und Bewegung gibt, löst unser Problem nicht. Sie verschiebt es bloß – hinein ins Reich der Hirnforschung, wo man sich gar sehr damit abplagt, eine Brücke zu schlagen von der Materie zum Geist, etwa dadurch, indem man sich mit der Entstehung der Welt im Kopf beschäftigt. Was aber – stecken doch womöglich in den zwölf Milliarden Neuronen, aus denen das menschliche Gehirn besteht, nicht weniger Rätsel als in den zwölf Milliarden Jahren, die seit dem Urknall vergangen sein sollen – vor allem wieder viel Verwirrung stiftet. Um es abzukürzen, verweisen wir jetzt auf den Weltenerklärer Newton, der das Universum nach langer Grübelei schlussendlich als Leib Gottes (sensorium dei) bezeichnete. Und auf den Unschärfespezialisten Botho Strauss, der das schöne Wort von der Beginnlosigkeit erfand, um uns ein Vorgefühl von Ewigkeit und Unsterblichkeit zu geben.

Solche schwer ins Metaphysische lappende Verweise sind es auch, die uns ermutigen, ein Szenario für nicht ganz undenkbar zu halten, wie es auf der anfangs gezeigten Illustration zu sehen ist: Kurz vor dem Urknall haben sich alle, die schon da waren, die Ohren zugehalten. Sie halten das für Humbug? Aber schön, dass wir mal darüber gesprochen haben, Herr Schäfer! Und denken Sie immer an Herbert Achternbuschs erkenntnistheoretischen Grundsatz: „Nix ist besser als gar nix.“

von Sven Siedenberg

Wurzelhafte Begnadung

Gisela und Leo Baumann aus Erlenmoos sind irritiert von der „Unbefleckten Empfängnis“

Liebe Frau Baumann, lieber Herr Baumann,

dass Sie mit Ihrer Irritation nicht allein stehen, ist zwar kein echter Trost, aber wo die Mehrheit einen theologischen Terminus nicht versteht, sollte man sich auch nicht allzu sehr grämen, wenn man dieser Mehrheit angehört. Im Grunde hat es sich die Katholische Kirche selbst zuzuschreiben, dass die Leute bei der Unbefleckten Empfängnis spontan an etwas Unsauberes denken. Indem sie das Sexuelle fast panisch mit Schweinischem in Verbindung brachte, schuf sie ideale Voraussetzungen für Missverständnisse.

Vorweg: Eine befleckte Empfängnis als Pendant zur unbefleckten gibt es nicht. Das erleichtert den Zugang jedoch so wenig wie der Hinweis im alten Schott, Maria lade uns in der poetisch schönen, aber sachlich eher vagen Lesung ein, „uns an den süßen Früchten ihrer Begnadigung“ zu laben. Im Kern geht es bei der Unbefleckten Empfängnis darum, dass Maria, die Mutter Jesu, vom ersten Augenblick ihrer eigenen, sie selbst ins Dasein führenden Empfängnis frei war von jeglichem Makel der Erbsünde, immaculata. Die Erbsünde aber ist, Sie wissen es sicher, die durch Adams und Evas Sündenfall bewirkte angeborene Sündhaftigkeit des Menschengeschlechts.

Nun sind viele Durchschnittsgläubige der Ansicht, dass die Geburt Jesu auch ohne unbefleckte Empfängnis Mariä eine feine Sache gewesen wäre. Die Theologie hatte in diesem Punkt freilich früh den Ehrgeiz, ein größeres göttliches Konzept sichtbar zu machen respektive erst zu entwickeln. Die biblische Grundlage dafür fand man in Texten, die sich mit der im Mutterleib anhebenden Berufung etwa von Propheten befassten und daher höchlich geeignet waren, einen erwählend zurüstenden und befähigenden Ratschluss Gottes zu konstituieren. In der Folge war viel von Reinigung durch den Heiligen Geist die Rede; Augustinus forderte um der Heiligkeit Christi willen die Heiligkeit auch der Mutter.

In Fachbüchern kann man viel Schönes über die Sache lesen, etwa dass Anselm von Canterbury die Heiligung Marias als „wurzelhafte Begnadung“ begreift, als „auf Gott hin unbeschwert offenes Herz wie bei den Stammeltern am Schöpfungsmorgen“, wohingegen Duns Scotus von „vorausgreifender Erlösung“ spricht. Sixtus IV. führte 1477 das entsprechende Fest ein (8. Dezember); er war es auch, der den Streit zwischen Immaculisten und Maculisten dahingehend beendete, dass beide einander nicht mehr irrgläubig schimpfen durften. 1854 erhob Pius IX. mit der Bulle Ineffabilis Deus die Unbefleckte Empfängnis zum verbindlichen Glaubensgut. Das hat nichts daran geändert, dass die meisten Gläubigen dabei nach wie vor weniger an die Freiheit Mariens von der Erbschuld denken als vielmehr an die Zeugung Jesu durch den Heiligen Geist und ähnlich Mysteriöses.

von Hermann Unterstöger

Moses zürnt

Detlev Wilmanns aus Kaarst interessiert, woher der Ausdruck „sitzt da wie ein Ölgötze“ stammt

Sehr geehrter Herr Wilmanns,

warum haben Sie uns nicht nach dem Ölprinzen gefragt? Das wäre doch viel einfacher gewesen. Karl Mays gleichnamiger Roman hätte uns in den Wilden Westen und beiläufig auf Sam Hawkins gebracht, und mit dessen „Hi, hi, wenn ich mich nicht irre!“ wäre diese Kolumne so gut wie geschrieben gewesen.

Der Ölgötze ist aber ein ganz anderes Kaliber. Nach einer Volksetymologie leitet sich der Ö. von den Jüngern am Ölberg ab, die, wie Sie sich erinnern, nicht einmal eine Stunde wachen konnten, während Jesus seinen Vater im Himmel anflehte, er möge doch diesen Kelch an ihm vorübergehen lassen. Nein, die drei Jünger zogen es vor zu schlafen, und so fand sie Jesus, starr und steif. Weshalb untätige Werktätige in den katholischen Provinzen Deutschlands gern als Männer bezeichnet werden, die herumlungerten wie die Jünger am Ölberg. Sie ahnen, sehr geehrter Herr Wilmanns, dass es wieder mal auf das Schisma hinausläuft, auf die Kirchentrennung zwischen evangelisch und katholisch. Unser trusty Grimm gibt sich mit der Volksetymologie nämlich nicht zufrieden. Dem Wörterbuch der aufrechten Brüder zufolge ist der Ö. ein mit Öl bemaltes Götzenbild. In der Reformationszeit – jetzt kommt’s! – soll der Ö. als „spottwort gegen die holzbilder der katholiken, auch gegen die anbeter derselben, sowie gegen die mit dem heiligen öl geweihten katholischen priester gebraucht“ worden sein. Luther, Zwingli, Calvin und die anderen Neuerer sahen in den vielgestaltigen Heiligenbildern, um die sich das Volk scharte, zu Recht Überreste heidnischer Vielgötterei.

Über die hatte sich schon Moses echauffiert, als er mit seinen Zehn Geboten vom Berg Sinai kam und das Volk um ein goldenes Kalb tanzen sah. Moses zerschmetterte die Gesetzestafeln auf der Stelle und anschließend das Götzenbild. Dieser heilige Zorn hat wenig genützt. Die armen, hilfsbedürftigen Menschen strichen noch manchen Holzprügel an, salbten richtige und falsche Priester und überließen sich weiteren olfaktorischen Irrtümern, aber ebenso verlässlich kam dann ein großer Säuberer, der mit dem Götzendienst aufräumte. Und damit, sehr geehrter Herr Wilmanns, ließe sich auch der andere Teil Ihrer Frage beantworten: Der Ö. sitzt stumm da wie ein Ö., weil er einem im Zweifel doch nicht hilft und alles Wehklagen, wenn nicht umsonst, so doch vergeblich ist. Das verbindet ihn mit jenem unsichtbaren Gott weiter oben, der schon immer allein selig zu machen versprach. Doch das ist eine andere Geschichte, auf die unseres Wissens weder Karl May noch die Brüder Grimm eine Antwort wissen.

von Willi Winkler

Über den Wolken

Elke Gemeinhardt aus Erfurt möchte wissen, was es mit dem „Elfenbeinturm“ auf sich hat

Liebe Elke Gemeinhardt,

Sie schreiben in Ihrem Brief, dass sich Ihr Büro „im achten Stock des einzigen zehnstöckigen Hochhauses auf dem Campusgelände der Uni Erfurt“ befindet. Sehr beneidenswert, bedeutet dies doch, dass Sie einen sonnendurchfluteten Arbeitsplatz haben und dass kein Baumgestrüpp Ihren ins Unendliche schweifenden Forscherblick – Sie sind ja Psychologin – je trübt. Zugleich ist dies ein Standortvorteil gegenüber all jenen, die ihre wissenschaftliche Arbeit in einem Erd- oder gar fensterlosen Untergeschoss verrichten müssen. Andererseits nimmt sich der achte Stock Ihres Elfenbeinturms recht bescheiden aus, vergleicht man ihn etwa mit dem leuchtturmartigen Verlagsgebäude der Süddeutschen Zeitung, das 28 Geschosse hat, mit Blick aufs Alpenglühen …

Der Name Elfenbeinturm geht natürlich auf das aus Stoßzähnen von Elefanten, Mammuts, Nilpferden, Walrossen, Pottwalen oder Wildschweinen gewonnene Baumaterial zurück, sagt aber nichts über die Bedeutung des Begriffs aus, der einen schöpferischen Ort jenseits des Weltenlärms bezeichnet. Zu dessen Bewohnern zählen Wissenschaftler, Künstler und andere Intellektuelle, die sich in ihrer selbstgewählten Isolation wenig um Gesellschaft und Tagesprobleme kümmern, dies aber gelehrig und mit sittlicher Reinheit. Seinen Ursprung hat der Ausdruck im biblischen Hohen Lied (7, 5). In Luthers Bibelübersetzung heißt es: „Dein Hals ist wie ein Elffenbeinen thurm.“ Das heute übliche Verständnis entstand im Laufe des 19. Jahrhunderts. Der früheste Beleg findet sich beim französischen Schriftsteller Charles-Augustin Sainte-Beuve, im deutschen Sprachgebrauch tauchte der Elfenbeinturm als Symbolbegriff für den praxisfernen, lebensfremden Denker zu Beginn des 20. Jahrhunderts erstmals auf.

Neudeutsch nennt man den Elfenbeinturmbewohner, einen engen Verwandten des Gipfelstürmers, auch gerne Fachidiot, was einen ungebührlichen Verlust an Autorität der Zunft der Akademiker offenbart und dazu geführt hat, dass Universitäten und Forschungsanstalten nun verstärkt ihr Image in der Öffentlichkeit aufpolieren. Das Bundesforschungsministerium zum Beispiel ruft neuerdings Jahre der Wissenschaft aus, und allenthalben gibt es Schüler-Labors, Kinder-Unis und Lange Nächte der Wissenschaft.

Aber Achtung, liebe Frau Gemeinhardt: Wer als Akademiker in die Wirtschaft oder Politik geht – wie zum Beispiel Paul Kirchhof –, hat es nicht unbedingt besser. Er wechselt dann womöglich vom Elfenbeinturm ins Haifischbecken.

von Sven Siedenberg

Auf in den Kampf

Julia Schimmel aus Berlin interessiert sich für den Namen des Spiels „Die Reise nach Jerusalem“

Sehr verehrte Frau Schimmel,

Ostern ist der rechte Termin, um noch rechtzeitig vor der Eiersuche etwas weiter auszuholen und das Abendland aus dem Morgenland herzuleiten. Denn je weiter das frühe Christentum nach Westen und später nach Norden expandierte, desto mehr wurde Jerusalem das geistige Zentrum. Dort hatte Jesus im Tempel gelehrt, dort war er gefangen genommen und gekreuzigt worden. Wer es sich leisten konnte und die Gefahren nicht scheute, unternahm deshalb eine Wallfahrt an die heiligen Stätten. Seit sich der Islam ausbreitete, war das kein ganz leichtes Unterfangen mehr. Als deshalb im Abendland Gräuelgeschichten von Mohammedanern umgingen, die fromme Pilger massakriert haben sollten, rief Papst Urban II. zur Befreiung Palästinas auf.

1095 wurde in Clermont zum Kreuzzug geblasen, dem sich die Franken an beiden Rheinseiten begeistert anschlossen. Wer sich auf die peregrinatio armata, die bewaffnete Wallfahrt, begab, erwarb mit päpstlichem Segen den vollkommenen Ablass, was in jenen heiligen Zeiten nichts anderes hieß, als dass er morden, schänden und plündern konnte und damit zumindest vor seinem himmlischen Richter straffrei ausging, weil es doch zum Besten der Christenheit war. Auf ihrem Weg nach Jerusalem gerieten die heiligen Soldaten in manchen Hinterhalt, sie hatten unter Seuchen wie unter der sengenden Hitze zu leiden, sie kämpften mit Räubern und anderen Muselmanen, und viele starben unterwegs. Doch nach vier Jahren, Anno Domini 1099, erreichten sie die hochgebaute Stadt Jerusalem. Die Jünger Mohammeds wollten sie nicht gleich hergeben, es wurde lange gekämpft, doch am Ende siegten die Christen, die auf dem Weg zum vollkommenen Ablass bis zu den Knien im Blut wateten, wie ein zeitgenössischer Chronist in nur leichter Übertreibung berichtet. Jerusalem war endlich der Christenheit wiedergewonnen, die Pilgerreise ungefährdet möglich, wenn auch nur für kurze Zeit.

Und was, fragen Sie, hat das mit dem beliebten Kinderspiel Die Reise nach Jerusalem zu tun? Ganz einfach: nichts. Wenn elf Kinder hektisch durcheinanderlaufen und dann, wenn die Musik plötzlich aufhört, sich auf die zehn kreisförmig ausgerichteten Stühle stürzen, so dass eines stehen bleibt und ausscheidet – erwirbt es dann vielleicht den vollkommenen Ablass? Es hat bloß verloren. Das Spiel ist ein Spiel und weltweit verbreitet, heißt aber nur in Deutschland Die Reise nach Jerusalem. In England nennen sie es Musical Chairs, in Österreich Sesseltanz und in der lieben Schweiz Die Reise nach Rom.

von Willi Winkler

Einer muss der Dumme sein

Anja Lindecke aus München interessiert sich für die Herkunft des „Sündenbocks“

Liebe Frau Lindecke,

Bismarck war einer, das meinte er jedenfalls selbst. 1866 erklärte er: „Überall macht man mich verantwortlich für eine Situation, die ich nicht geschaffen, sondern, die mir aufgedrängt worden; ich bin für die öffentliche Meinung der Sündenbock.“ Da ist der Bock schon zur Metapher geworden, Bild für einen, den nach eigener Meinung keine Schuld trifft, der aber dennoch Schuld auf sich nehmen und dafür leiden muss, wenigstens nach Meinung der Öffentlichkeit. Man kann einen solchen Wortgebrauch auch noch flapsiger von seinem Ursprung entfernen, indem man den Titel einer Farce des großen französischen Komödienschreibers Georges Feydeau zitiert: „Einer muss der Dumme sein.“ Der Bock ist immer der Dumme. Er kann nur nichts dafür.

Geht man ernsthaft an die Sache ran, dann muss man die Bibel aufschlagen, das Alte Testament. Da wird im dritten Buch Mose, auch Leviticus genannt, im 16. Kapitel eine ziemlich komplizierte Prozedur nicht nur beschrieben, sondern vom HERRN befohlen (die Luther-Bibel von 1912 schreibt den Herrn immer mit großen Buchstaben). Um alles, was da angeordnet wird, genau zu verstehen, müssten wir einen längeren Ausflug in die Theologie des Alten Testaments unternehmen. Da wir aber nur auf der Suche nach dem Sündenbock sind, lassen wir diesen sicherlich interessanten und lehrreichen Umweg aus. Von einem inwendigen Heiligtum ist die Rede, von einem Gnadenstuhl hinter einem Vorhang. Da soll, so spricht der HERR zu Mose, dessen Bruder Aaron reingehen „mit einem jungen Farren zum Sündopfer und mit einem Widder zum Brandopfer“. Farre ist ein junger Stier. Aaron soll sich „die heiligen Kleider“ (aus Leinen) anlegen, vorher aber „sein Fleisch mit Wasser baden“.

Das Heiligtum wird nun, der Sünden wegen, durch Schlachten der Tiere und anschließende Blutverteilung im Heiligtum gereinigt. Dann wird ein lebender Bock gebracht. „Da soll Aaron seine beiden Hände auf sein Haupt legen und bekennen auf ihn alle Missetat der Kinder Israel und alle ihre Übertretung in allen ihren Sünden, und soll sie dem Bock auf das Haupt legen und ihn durch einen Mann, der bereit ist, in die Wüste laufen lassen, dass also der Bock alle ihre Missetat auf sich in eine Wildnis trage; und er lasse ihn in die Wüste.“ Das ist der Sündenbock, dieses arme Vieh, das nicht weiß, wieso ihm dies alles geschieht. Er muss die Schuld für Sünden in die Wüste tragen, die er nicht begangen hat. Diese tierische Reinigungsprozedur gibt es nicht mehr. Nur das Wort, das in der Bibel gar nicht vorkommt, hat überlebt.

von Klaus Podak

Die Zukunftsgaranten

Herr Heinz Hedeler möchte Näheres wissen über die Verehrung der heiligen Kuh in Indien

Sehr geehrter Herr Hedeler,

welch unterschiedliche Betrachtungsweisen tun sich auf bei Ihrer Frage! Der Dichter Homer preist Athene als Kuhäugige, spendet ihrem sanften Auge also hohes Lob. Hierzulande dagegen wird eine missliebige Frauensperson schnell mal als dumme Kuh bezeichnet. In einschlägiger Erinnerung ist auch noch die dusselige Kuh, als die Alfred, das Ekel aus der Kult-TV-Serie Ein Herz und eine Seele, seine Ehefrau Else zu bezeichnen pflegte. Unsere Politiker zeigen dagegen gerne Respekt vor heiligen Kühen, wenn sie um den heißen Brei herumreden und ihr Talent beweisen möchten, mit vielen Worten wenig auszusagen.

Indiens heilige Kühe dagegen genießen seit Urzeiten aufrichtige und religiöse Verehrung. Das Rind ist für die Hindus unentbehrlich, prägt als Last-, Zug- und Nutztier den Jahres- und Lebensrhythmus der Familien und des Landes. Sie erwähnen, sehr geehrter Herr Hedeler, in Ihrer Frage die Exkremente der Rinder. Der Urin hat heilende Kräfte, der Kot liefert den begehrten Dung, die getrockneten Fladen sind als Bau- und Brennmaterial wichtig. Aus Kuhmist wird Methan gewonnen, das zum Kochen oder zur Beleuchtung eingesetzt wird. Die Milch, der Curd (oder Joghurt) und das Ghee, also das gekochte und wieder verfestigte Butterschmalz, sind als Produkte der Kuh lebensnotwendiges Nahrungsmittel.

Zögen die Rinder eines Tages den Pflug nicht mehr, würde der Kreislauf von Saat und Ernte zerstört; es fehlten die Garanten von Vergangenheit und der Zukunft