Warum Olga ? - Christine Alexander - E-Book

Warum Olga ? E-Book

Christine Alexander

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Beschreibung

Giovanni Bologna hat es aus seiner toskanischen Heimat und dem Landsitz seiner Familie ins Ruhrgebiet verschlagen. Dort arbeitet er als Model, aber nicht aus Überzeugung, sondern weil er so unglaublich schön ist. Am liebsten sitzt er ganz in Ruhe im Cafe seines Freundes Paolo, wo es den besten Espresso nördlich von Neapel gibt. Aber wann hat man schon mal Ruhe! Da ist zum Beispiel Franziska Schneider, die immer alles mitbekommt und noch dazu kommentiert. Ist sie eigentlich schon eine Freundin oder nur eine Mit-Stammkundin? Ab und zu arbeitet Giovanni für ihren Ehemann, Rechtsanwalt Uwe Schneider, aber natürlich nicht als Model, sondern als Informationsbeschaffer. In dieser Rolle fühlt sich Giovanni sehr ambivalent. Einerseits diskret und von Hause aus aristokratisch erzogen, findet er andererseits mit schlafwandlerischer Intuition das Miese und Entsetzliche unter glatten Oberflächen. Jetzt soll er herausfinden, ob ein angehender Klient von Schneider etwas mit dem Mord an einem jungen Mädchen zu tun haben kann, welches in einer riesigen Blutlache in der Dusche einer Autobahn-Raststätte gefunden wurde. Was zuerst nach einem ganz einfachen Job aussieht – sich etwas auf der Autobahnraststätte herumtreiben und schnüffeln – entpuppt sich als lebensgefährliche Reise in die Untiefen der eigenen Vergangenheit. Die Frau, mit der er auf gar keinen Fall mehr etwas zu tun haben wollte, scheint die Auftraggeberin des angeblichen Mörders zu sein. Und dort, wo Giovanni einfach nur ein Alibi überprüfen sollte, findet er sich, wo er nie wieder hin wollte: Im Sumpf von Schönheitswahn und deren absolut skrupelloser Ausbeutung. In diesem Sumpf hat er alle Mühe, seine Schuhe und sein Gewissen sauber zu halten und von Zeit zu Zeit einen anständigen Kaffee aufzutreiben.

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Seitenzahl: 207

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Christine Alexander

Warum Olga ?

Giovanni Bolognas 1. Fall

Warum Olga ?

Christine Alexander

Copyright: © 2014Christine Alexander

published by: epubli GmbH, Berlin


www.epubli.de


ISBN 978-3-8442-7986-3

1 Giovanni und Franzi lesen Zeitung

„Signora, Sie sollten das nicht lesen.“ Giovanni Bologna saß in seinem Lieblingscafe, dass seinem Freund Paolo Contino gehörte und trank seinen Spätnachmittags-Aperitivo. Erstaunlicherweise fühlte er sich hier, im Café P total italienisch, obwohl er meistens von älteren deutschen Damen umgeben war. Immer, wenn er feststellte, dass sein italienischer Akku leer wurde, dann kam er her, um Italianità nachzutanken. Er brauchte nur die Tür zu öffnen, und sein senso italiano, sein sechster Sinn, entfaltete sich und übernahm die Herrschaft über die anderen Sinne. Jetzt war dieser gerade bei dem Wort „signora“ angesprungen, und Giovanni richtete seine Aufmerksamkeit auf die so angesprochene hübsche rothaarige Frau, Franzi Schneider. Er kannte sie. „Signora, bitte.“ Paolo Contino tat empört. Er kam hinter der Theke hervor, mittelgroß, etwas gedrungen, schneeweißes, perfekt sitzendes Hemd über der schwarzen Barista-Schürze. „Dieser Mann ist mir ein ewiges Rätsel“,  murmelte Franzi Schneider laut genug, dass die anderen es hören konnten. Sie sah von der Zeitung auf und schaute sich um. „Signor Barista, wenn Sie sich Sorgen um meine geistige Gesundheit machen, sollten Sie diese Druckwerke nicht frei herumliegen lassen. Ich dachte, sie seien zum lesen. Als Dekoration sind sie in deinem Ambiente doch völlig daneben.“ Sie schaute Paolo in die nutellafarbenen Augen, etwas zu lange für Giovannis Empfinden. Er wunderte sich, sie hatte ihn geduzt. Jetzt legte sie die Zeitung vor sich auf das Marmortischchen und setzte sich bequemer in der kleinen, eleganten, cremefarbenen Ledercouch zurecht. Sie schlug die langen Beine über und legte die gefalteten Hände, deren manikürte Fingernägel perfekt zu der Ledercouch passten, brav auf  das übergeschlagene Bein, sie blickte am Hosenbein ihrer Gucci-Jeans entlang bis zu dem wippenden Fuß, mit dem daran baumelnden Pumps. Dann konnte sie sich nicht mehr beherrschen und nahm die Zeitung doch wieder zur Hand. Paolo kam mit einem kleinen silbernen Tablett, auf dem eine Tasse  Espresso und ein Glas Wasser standen. „Ach, Signora, die Bildung.“ „Hier steht, dass gestern auf einer Autobahnraststätte ein erstochenes Mädchen gefunden worden ist. Weißt du, wo die Oberpfälzer Alb ist?“ „Wollen Sie etwa nachsehen fahren? Madonna. Wahrscheinlich ist die Nachricht genauso falsch, wie der Busen daneben. Signora, klappen Sie die Zeitung bitte zu. Ich kann das nicht sehen.“ „Na gut“, schmollte sie, faltete die Zeitung sehr langsam zusammen, legte sie neben ihren Caffè, strich sich die roten Locken hinters Ohr und sah sich unternehmungslustig um. „Gianni, komm, setz dich zu mir.“ Giovanni erhob sich automatisch. Wenn die Schönheit befahl, dann gehorchte er. Schon stand er vor ihr und deutete einen eventuell ernst gemeinten Handkuss an. „Ciao Signora Schneider, come va?“„Ach, Gianni, wenn ich hier bin, geht es mir immer gut. Du weißt doch, Paolos Espresso ist meine Droge. Erzähl, was gibt’s Neues? Der gestrenge Herr Barista hat mir verboten, zu lesen.“ Giovanni schaute erstaunt zu Paolo hinüber, der emsig mit seiner Kaffeemaschine beschäftigt war, dann setzte er sich neben Franzi auf das Zweiersofa. Diese strahlte ihn an und atmete tief ein. „Gianni, was hast du vor? Du siehst aus, wie frisch aus dem Journal entsprungen und duftest nach Pinien und Orangenblüten. Oh, Verzeihung, ich wollte dir nicht zu nahe treten.“ Na ja, fast gelungen, dachte Giovanni. Diese Franzi Schneider war ihm manchmal ein bisschen zu schnell, besonders mit Worten.  Wenn sie fand, dass er gut roch, dann konnte sie es doch für sich behalten. „Tutto normale, signora.“ Meistens war es Giovanni  peinlich, auf sein Äußeres angesprochen zu werden. Er konnte doch nichts dafür, dass er aussah, wie der David von Michelangelo, nur nicht aus Marmor und mit schwarzen Locken. Wenn von seinen Modeljobs die Rede war – und das kam oft vor, weil er je nach Saison ganze Kataloge von Versandhäusern bevölkerte – würde er sich am liebsten verkriechen. Er hoffte inständig, dass sein Vater auf seinem Landgut in der Toskana niemals ein solches Druckerzeugnis in die Hände bekommen würde. Obwohl, zu enterben gab es ja sowieso nichts mehr. „Paolo, fammi un caffè, per favore. Wieso darf die Signora denn nicht lesen?“ „Selbstverständlich darf sie lesen, alles, was sie will. Aber nicht diesen Blödsinn, nicht in meinem Cafe.“ „Du bist der einzige Barista, den ich kenne, der versucht, seine Gäste zu erziehen. Obwohl, nein, aspetta, warte mal, ich kenne einen, aber in Italien.“ Seine Gedanken schweiften ab  nach Pineta, einem kleinen Örtchen in der Toskana. Da hatte er einen Barista kennen gelernt, der in einer Strandbar versuchte, Holländern das Cappuccinotrinken am Nachmittag abzugewöhnen. Ein Held. Paolo holte ihn wieder ins Hier und Jetzt indem er ihm seinen Espresso hinstellte. Dabei sah er Franzi an und sagte: „Signora, es ist eine Frage des Stils. Scusi.“ „Ich habe ihn nur gefragt, wo die Oberpfälzer Alb liegt.“ Franzi strich sich erneut eine rote Lockensträhne mit silbrigen Fäden aus dem Gesicht und sah mutwillig auf die Zeitung, dann zu Giovanni. Paolo war schon mit einem Tablett und zwei perfekt zubereiteten Latte macchiato zu seinen anderen Gästen unterwegs. „Wieso? Was ist denn da? Wollen Sie dort Urlaub machen?“ Giovanni tat ihr den Gefallen, sich auf den Smalltalk einzulassen. „Ich glaube, besser nicht. Da findet man erstochene Mädchen auf Rastplatztoiletten.“ Sie zeigte auf den Zeitungsartikel. „Glücklicherweise muss das ja nicht stimmen, wenn das dort steht.“ Giovanni hatte gerade keine Lust auf unappetitliche Geschichten zum Caffè. Er erhob sich, legte Geld auf den Tisch und sagte: „Ciao, ich muss weiter, grüßen Sie den Avvocato von mir.“ „Natürlich, gern. Ciao Gianni.“ Franzi schaute auf die Uhr. „Ich gehe besser auch nach Hause, dann kann ich in Ruhe das Abendessen vorbereiten.“

2 Giovanni verabredet sich mit Herrn Schneider

Giovanni trat vor die Tür vor Paolos Cafe und schlug den Kragen seines Jacketts hoch. Er musste lächeln weil ihm seine Mutter einfiel. Sie hatte ihm diese Marotte nicht abgewöhnen können, obwohl sie jedes und jedes Mal, wenn sie seine hochgeschlagenen Kragen gesehen hatte, diese wortlos aber freundlich wieder herunter geklappt hatte und ihm danach mit den Händen über die Schultern gefahren war, wie, um etwaige Unperfektheiten zu beseitigen. Er war gerade dabei, auch noch die Hände in die Jeanstaschen zu stecken, da fühlte er sein Handy vibrieren. Er griff in die Innentasche seines Jacketts und schaute auf das Display seines Telefonino. Wie klein die Welt doch war. Er drückte auf die Schaltfläche mit dem grünen Hörer uns sagte: „Buona sera, Avvocato.“ „Wieso sera?“, fragte am anderen Ende Uwe Schneider -  Rechtsanwalt und der Ehemann von Signora Schneider, mit der er eben noch so nett geplaudert hatte. „Ich hoffe, Sie sind noch nicht zu müde, um nachher einmal bei mir im Büro vorbeizuschauen.“ „No, no. Selbstverständlich nicht. Bei mir zu Hause, also, a casa, in Italien, da sagt man schon ab Mittags buona sera. Das heißt aber nicht, dass man die Absicht hat, in absehbarer Zeit zu Bett zu gehen.“ „Ja, gut. Könnten sie gegen acht kommen? Ich denke, es wird nicht so lange dauern.“ „Kein Problem, Avvocato. Um acht ist ok“, sagte Giovanni so verbindlich, wie es ihm möglich war. Acht Uhr war überhaupt nicht ok, aber es winkte ein gutes Honorar. „Es tut mir leid.“ Schneider hatte offenbar nicht nur sehr gute Ohren, sondern er war auch empathiefähig. „Früher schaffe ich es nicht, ich bitte um Verständnis.“ „Non si preoccupi, für Sie habe ich immer Zeit“, sagte Giovanni, jetzt wirklich freundlich. Nach dem ersten Missmut über den verpassten Krimianfang im Fernsehen war ihm eingefallen, dass die realen Krimis, die er dank Avvocato Schneider kennenlernte, besser waren, als Fiktion. „Danke“, sagte Schneider. „Übrigens, ich habe den Anfang Ihres letzten Satzes nicht verstanden. Was war das doch?“ Giovanni überlegte kurz, was gab es denn da nicht zu verstehen? Er hatte gesagt: keine Sorge, für Sie habe ich immer Zeit. Dann ging ihm ein Licht auf. „Ach so, scusi, Entschuldigung. Non si preoccupi heißt dont worry.“ „Geht’s noch etwas babylonischer?“, fragte Schneider offenbar belustigt. „Bis später, und vielen Dank für den Ohrwurm.“

3 Das Gespräch findet statt

Pünktlich um zwanzig Uhr klingelte Giovanni Bologna bei Uwe Schneiders Anwaltskanzlei, die sich in einem der ziemlich neuen Hochhäuser am Rande der Innenstadt befanden. Er mochte diese Klötze einfach nicht, viel zu viel Glas und dieser schreckliche Sichtbeton, der ihn an die Bauruinen aus seiner Heimat erinnerte.  Aber immerhin hatte Avvocato Schneider eine richtig gute Espressomaschine. Die allein war schon einen Besuch wert. Ein edles Stück geballter italienischer Caffè-Tradition im Gewand deutscher Ingenieur-Wertarbeit. Uwe Schneider empfing Giovanni mit einem ganz frisch zubereiteten Espresso, dann setzte er sich hinter seinen riesigen aber gut aufgeräumten Schreibtisch und wies mit der offenen Hand einladend auf einen der beiden mokkabraunen Ledersessel, die davor standen. Giovanni nahm Platz, schlug die Beine übereinander, vergewisserte sich, dass die nun sichtbare Socke keine Falten warf, dann blickte er Schneider erwartungsvoll an. „Ja, mein lieber Herr Bologna“, sagte dieser, stützte die Ellbogen auf die Tischkante, faltete die Hände und legte sein Kinn darauf. „Wie soll ich anfangen!“ In der Kunstpause, die dann folgte, war Giovanni schwer damit beschäftigt, alle Informationen durchzuscannen, die von Schneiders Attitude ausgingen, und sich gleichzeitig zu zwingen, nicht die Augenbrauen und die Schultern hoch zu ziehen und/oder die Backen aufzublasen. „Also, ich versuche es der Reihe nach. Heute war jemand bei mir, der juristischen Beistand gesucht hat.“ Schneider schien doch tatsächlich nach Worten zu suchen, sehr seltener Fall. „Nicht, dass das etwa ungewöhnlich wäre, aber die Sache liegt, sagen wir mal, etwas außerhalb meines üblichen Betätigungsfeldes. Sie wissen ja, dass ich mich sonst fast nur mit Steuersachen beschäftige, aber dieser Herr... also, er ist in einen Mordfall verwickelt.“ Jetzt machten sich Giannis Augenbrauen ganz selbstständig auf den Weg nach oben. „Madonna.“ „Er behauptet aber, nichts damit zu tun zu haben und nur durch Zufall zur Tatzeit am Tatort gewesen zu sein.“ „Und wieso kommt man dann auf ihn?“  Giannis Interesse war geweckt. „Der Mord ist nachts auf einem Rastplatz geschehen, es gibt dort an der Tankstelle Überwachungskameras, die sein Auto gefilmt haben. Er streitet auch nicht ab, dort gewesen zu sein.“ „Auf einem Rastplatz? War das das erstochene Mädchen, dass heute in der ...“  - Giovanni fühlte, wie er rot wurde. Uwe Schneider grinste ihn an: „Oh, Sie haben es schon gelesen?“ Petzen oder nicht petzen? Er konnte sich doch nicht herausreden, indem er Schneider erzählte, dass seine eigene Frau ihm den Artikel unter die Nase gehalten hatte, und er mit ihr darüber gequatscht hatte. Oh, Gott, wie peinlich. „Ja“, sagte er deshalb nur mannhaft und blickte Schneider offen ins Gesicht, auch um seine Reaktion zu sehen. Dieser hatte wohl mit seinem einmaligen Grinsen die Situation ausreichen kommentiert und räusperte sich nun. „Nun, Sie sehen also, der Fall ist von öffentlichem Interesse und ich dachte mir, dass etwas kostenlose Werbung...ähm, Sie verstehen?“ „Selbstverständlich.“ Giovanni, brachte sein allerfreundlichstes Sonntagslächeln an den Mann. „Allerdings möchte ich mich im Vorfeld vergewissern, dass der Mann wirklich unschuldig ist, und deshalb wollte ich Sie um Ihre wertvolle Mitarbeit bitten.“ „Wertvoll finde ich gut“, sagte Giovanni sehr seriös und freute sich schon auf das großzügige Honorar. „Auf diese juristischen Spitzfindigkeiten, mit denen viele Kollegen arbeiten, habe ich keine Lust.“ Kunstpause. „Entweder der Mann ist unschuldig, dann verteidige ich ihn, falls es zu einer Anklage kommt, oder ich empfehle ihm jemand anderen als Verteidiger. Ich glaube, ich wüsste auch schon, wen.“ Er lächelte in sich hinein. Giovanni wusste nicht, ob er das jetzt gemein finden sollte oder normal. „Was haben Sie sich denn vorgestellt?“, fragte er, stellte nun beide Füße auf die Erde und beugte sich vor. „Ich denke, ich überlasse Sie Ihrer Intuition, mein Lieber“, sagte Schneider, stand auf und holte aus einem Regal ein beschriebenes Blatt Papier und ein Foto. Er reichte es Giovanni und sagte: „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.“ Offensichtlich war das Gespräch beendet.

4 G. frühstückt bei Paolo und erfährt etwas

„Buon giorno, Paolo. Hast du schon auf?“ Im Cafe P war es noch dunkel. Nur die Theke war beleuchtet und Paolo füllte gerade Kaffeebohnen in das hohe Schauglas an der Kaffeemaschine. „Gianni! Buon giorno. So früh? Hast du ein Shooting?“ „No, ich brauche ein anständiges Frühstück. Ich werde den ganzen Tag unterwegs sein.“ Gianni lehnte sich an die Theke und sah Paolo zu wie er die hochglanzpolierte Maschine startbereit machte. „Caffè, Spremuta und Brioche?“ „Ja bitte. Mach mir zwei Hörnchen. Und hast du rote Apfelsinen?“ „Certo, dalla Sicilia.“„Perfetto.“ Giovanni lehnte sich an einen Barhocker neben der Theke. Er frühstückte nie im Sitzen, das Frühstück musste für ihn ein Start in den Tag sein und keine gemütliche Prozedur, so wie er es oft bei Paolos Gästen sah, die den ganzen Vormittag verfrühstücken konnten. Heute trug er eine Jeans und einen schwarzen Lederblouson, die Haare gewollt unordentlich nach hinten gegelt. Paolo reichte ihm ein Tablett über die Theke. „Hier, bello. Caffè und frisch gepresster Saft. Die Cornetti brauchen noch, du weißt ja, man darf sie nur langsam aufwärmen. Soll ich mal raten in welcher Szene du dich heute herumtreiben musst?“ „Wenn du das könntest, dann wärst du schon weiter als ich. Ich habe bisher nur einen Namen, ein Bild und eine wahrscheinlich falsche Adresse.“ Er griff in die Innentasche seiner Jacke und holte einen zusammengefalteten Zettel heraus. „Ach so, gar kein Casting, sondern wieder mal so ein Geheimauftrag? Zeig mal.“ Paolo angelte nach dem Zettel. „Was denn? Die Adresse?“„No, das Bild. Die Welt ist klein und mein Gedächtnis ist gut.“ Giovanni strahlte ihn an. „Rate mal, warum ich bei dir frühstücke?“ „Weil mein Frühstück das Beste ist?“ „Klar, auch. Schau doch mal, ob die Cornetti schon fertig sind.“ „Nein, sind sie noch nicht. Los fammi vedere.“ „Was würdest du denn machen, wenn du erfährst, dass einer deiner Gäste unter Mordverdacht steht?“ „Dipende, kommt drauf an. Hab ich mir noch nie überlegt. Ist das denn so?“ Paolo war die Ruhe selbst. Er schaute auf die Uhr, holte einen Teller von einem Stapel, legte eine Serviette darauf und ging damit zu dem kleinen Öfchen. Dann holte er mit einer Gebäckzange die heißen, goldbraunen, duftenden Cornetti heraus, legte sie auf den Teller und bestreute sie ganz leicht mit Puderzucker. Mit einer leichten Verbeugung stellte er sie vor Giovanni hin und sagte „Buon apetito.“ „Grazie, das duftet wie zu Hause.“ „In der Zeit, wo du isst, kann ich mir doch das Bild ansehen.“ Paolo ließ nicht locker. „Vabbene.“ Giovanni schob ihm das Bild hinüber. „Hier, schau dir das Foto eines hässlichen Osteuropäers an, den du nie im Leben kennst und lass mich in Ruhe essen.“ Paolo nahm das Foto, sah es eine Weile an und runzelte die Stirn „Der ist kein Gast.“ „Ach was.“ „Aber, Moment, der hat mal jemanden abgeholt.“ „Non mi prendere. Verarschen kann ich mich selbst.“ „Ist klar, aber das stimmt wirklich. Ich weiß nicht, warum das so ist, aber ich merke mir alle Leute, die ich schon einmal mit einem meiner Gäste zusammen gesehen habe. Wahrscheinlich, weil ich mir einfach so aus Spaß immer Geschichten um sie herum ausdenke.“ „Mann, musst du dich langweilen.“ „Gar nicht, das ist doch nur Gehirnjogging. Ich schreibe mir ja auch die Bestellungen nicht auf und weiß trotzdem immer, wer was bezahlen muss.“ „Ach so, Gehirnjogging. Ich dachte, du schreibst wegen deiner kreativen Abrechnungen nichts auf.“ „Dai, ich bin nicht kreativ.“ „Wer war denn der Gast, mit dem du diesen Sabota gesehen hast?“ „Sabota? Wie lustig. Man muss nur zwei Vokale umdrehen, dann heißt er Samstag. Was hat denn dein Herr Sabato gemacht?“ „Sabota heißt der, und für mich klingt das eher nach Sabotage. Aber jetzt erzähl schon, woher kennst du ihn? Wen hat er abgeholt?“ „Ich glaube, du kennst sie. Sie modelt auch.“ Jetzt war es an Giovanni, seine makellose Stirn zu runzeln. „Meinst du die Milena? Also, kennen ist zu viel gesagt. Ich habe sie einmal bei einem Casting kennen gelernt.“ „Sie erzählt immer, ihr wäret Kollegen.“ „Bitte? Wir haben einmal zusammen vor einer Tür gesessen. Aber als ich erfahren habe, dass es um Erotik-Unterwäsche ging, bin ich wieder gegangen.“ „Du scheinst aber mächtig Eindruck hinterlassen zu haben.“ „Vielleicht sollte ich diese alte Bekanntschaft mal wieder etwas aufwärmen.“ Giovanni steckte den Rest des Hörnchens in den Mund. „Weißt du zufällig auch, wann sie hier normalerweise auftaucht?“ „Come no? Naturalmente. Ich bin ein guter Barista. Aber man spricht nicht mit vollem Mund.“

5 G. muss zu Chriss