Was ein Seligenstädter Mönch im Dreißigjährigen Krieg erlebte - Manfred Schopp - E-Book

Was ein Seligenstädter Mönch im Dreißigjährigen Krieg erlebte E-Book

Manfred Schopp

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Beschreibung

Fachbuch aus dem Jahr 2001 im Fachbereich Geschichte Europas - Neuzeit, Absolutismus, Industrialisierung, , Sprache: Deutsch, Abstract: Nach dem Dreißigjährigen Krieg sind zahlreiche Chroniken erschienen, in denen Zeitgenossen das Erlebte mehr oder weniger ausführlich geschildert haben. Auch für Südhessen sind solche Chroniken bekannt, zB. die Chronik des Groß-Bieberauer Pfarrers Mink. Auch im Kloster Seligenstadt hat der Prior und spätere Abt Leonhard Walz (+1666) einen Erlebnisbericht in lateinischer Sprache über die Kriegszeit verfasst, der für die Jahre 1631 bis 1646 noch erhalten ist. Walz schildert aus der Sicht seines Klosters die Ereignisse vom Siegeszug Gustav Adolfs, in dessen Verlauf auch Stadt und Kloster Seligenstadt besetzt und teilweise ausgeplündert wurden, bis zum Jahr 1646, als die Franzosen die nahe Festung Steinheim belagerten. Auch die Bedrängnisse, in die das Kloster von Seiten der schwedischen Festung Hanau immer wieder geriet, werden ausführlich abgehandelt. So zeugt die Chronik des Leonhard Walz vom Überlebenskampf des Klosters in einer religiös und politisch aufgewühlten Zeit.

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Man sollte annehmen, dass elementare dramatische Geschehnisse eine unzweideutige und tiefe Spur im historischen Bewusstsein eines Volkes hinterlassen haben, zumal dann, wenn diese sich vor mehreren Jahrhunderten zugetragen haben und das Feldgeschrei der damaligen Kontrahenten verklungen ist und einer ruhigen Betrachtung Platz gemacht hat.

Dass diese Vermutung nicht in jedem Falle zutrifft, beweist der Dreißigjährige Krieg. Trotz einer unübersehbaren Fülle von Gesamt- und Einzeldarstellungen zu jedem erdenklichen Aspekt dieses Krieges, trotz der annähernden Klärung bisher lange umstrittener Sachverhalte ist die Bewertung des Gesamtkomplexes und der führenden Persönlichkeiten kontroverser denn je.

War man sich bisher wenigstens in der Beurteilung des Westfälischen Friedens als einer Katastrophe für die deutsche Staatlichkeit einigermaßen einig, so hat auch in diesem Punkt die 1945 verordnete Umdeutung der deutschen Geschichte bei manchen beflissenen Historikern einen Wandel der Auffassungen herbeigeführt, der vor allem die französische und schwedische Politik in ein mildes Licht rückte. Sprach man vorher beispielsweise von französischem Expansionsdrang an den Rhein, von Raubkriegen und Hegemonialstreben, war nun nur noch von berechtigten französischen Sicherheitsinteressen die Rede. Aber nicht nur die Motive von Schweden, Franzosen, Dänen und Niederländern zur Einmischung in den deutschen Bürgerkrieg, der Westfälische Frieden selbst erfuhren eine völlige Umwertung. Am konsequentesten hat sich meines Wissens Günther Barudio in seinem Buche„Der Teutsche Krieg“diese neue Sicht zu eigen gemacht (1). Erklärtermaßen will er kein„Machthistoriker“sein, nicht an der„Ideologie des Nationalstaats“,der ja vermeintlich 1945 unterging, festhalten, sondern die Geschichte„im Lichte des Natur- und Völkerrechts“betrachten (S.572). Dieses wurde - so findet er heraus - von der Protestantischen Union und besonders von deren schwedischen und französischen Verbündeten vertreten, während die deutschen Kaiser Ferdinand II. und III. dem bösen Prinzip der Alleinherrschaft huldigten und eine absolute Militärdiktatur errichten wollten (S. 501). Gustav Adolf und die Schweden betrieben eine Politik,„die sich eine fortwährende Gestaltung des Gerechten zum Ziele setzte“(S. 411), die beiden Ferdinande hingegen hatten den Krieg angezettelt (S. 497) und trugen für seine lange Dauer die alleinige Verantwortung (S. 490), doch glücklicherweise achteten die Franzosen und Schweden darauf, dass„der Krieg seinen friedensgerichteten Sinn nicht verlieren sollte“(S.503). Politik„auf ethischer Grundlage“(S.479) war natürlich mit dem deutschen Kaiser nicht zu machen, wohl aber mit Richelieu und Oxenstierna, dem schwedischen Reichskanzler. Ihnen ging es„um echten und gerechten Frieden“,dem Kaiser um absolute Tyrannei. Es verstrichen noch Jahre, ehe dieser gerechte Reichsfriede,„von Oxenstierna und anderen ausgehandelt, Land und Leute politisch bessern half“(S. 429). Sätze wie dieser sind für sich genommen unsinnig, erst im Lichte der Umerziehungsdogmatik der Jahre nach 1945 erhalten sie einen spezifisch politischen Sinn.

Der Westfälische Friede also,„ein rechtliches Kunstwerk“(S. 589), steht„im Dienst der Menschenrechte“(S. 592) und hat Deutschland zu„einem modernen Staat“(S. 587), einem„parlamentarisierten Staat“(S. 588) gemacht, der seinen Nachbarn weit voraus war (S. 592). All diese köstlichen Früchte waren mit Hilfe von Schweden und Frankreich„den Mächten der Finsternis“(gemeint sind die Habsburger) abgetrotzt worden (S. 582). Ein solch

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glänzendes Ergebnis rechtfertigt natürlich auch die unvermeidlichen Opfer, die ohnehin beträchtlich geringer waren, als die„Legenden“und„Zwecklügen“der Historiker wahrhaben wollen (S. 590). Die Kriegsschäden wurden„mit ausländischer Hilfe“(S. 591 !!) rasch beseitigt, so dass ein Reisender 1657 z.B. die Kurpfalz als ein blühendes Land erlebte (S. 590). Wägt man also die geringen Opfer gegen die wertvollen Gewinne ab, so erweist sich der Dreißigjährige Krieg geradezu als Segen für das deutsche Volk, als Ursprung von Recht und Freiheit, die„den libertären Kräften unter den Deutschen und Europäern“(S. 582) zu verdanken sind.

Die zeitgenössischen Quellen - auch Walz - berichten etwas anderes. Wir geben angesichts der verwegenen Interpretationsakrobatik, der die Geschichte bisweilen ausgeliefert ist, den unmittelbaren Zeitzeugen den Vorzug und empfehlen im übrigen die sehr lesenswerte und sachlich einwandfreie Abhandlung von C. V. Wedgwood (‚Derdreißigjährige Krieg’1998 in 10. Auflage).

Wie sehr zeitgebundene ideologische Vorgaben der Würdigung der entscheidenden Personen ihren Stempel aufdrücken, lässt sich auch an den beiden Feldherrn zeigen, die von Leonhard Walz, unserem Chronisten, neben Tilly, Wallenstein, Pappenheim, Horn und Lamboy namentlich erwähnt werden: Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar und Landgraf Wilhelm V. von Hessen-Kassel. Galten beide Fürsten der katholischen, an Habsburg orientierten Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts als Vaterlandsverräter und Charakterlumpen, so wurden sie von den evangelischen, an den Hohenzollern orientierten Historikern als beispielgebende Lichtgestalten in finsterer Zeit gefeiert (2). Im ‚Dritten Reich’ schließlich hieß es dann, die„undeutsche außenpolitische Orientierung“der Habsburger, welche„die inneren Werte des Deutschtums“verrieten, sei vom Protestantismus,„in dem die germanische Seele zu sich selbst zurückzufinden begann“,in Schach gehalten worden.„Bernhard von Weimar und Wilhelm von Hessen standen nebeneinander als Verteidiger des Protestantismus, als Vorkämpfer für Recht und Glaube.“ „Freiheit und Nähe zu Gott sind Ureigenstes der germanischen Seele“.Und:„Diese kostbaren Güter des deutschen Volkes aber waren in Gefahr...“(3). Man muss weder eifernder Papist sein noch Jesuitenknecht oder gar Antifaschist, um solche Beweihräucherung als unpassend zu empfinden. Hier wird Geschichte zur Karikatur ihrer selbst. Eine originelle Erklärung für derlei schräge Hymnen gibt die Engländerin C. V. Wedgwood, wenn sie in ihrem oben genannten Buche auf S.454 schreibt:„Es überrascht nicht, dass der nüchterne Egoismus einer Herrscherin wie der Landgräfin (Amalie) von Hessen-Kassel(vgl. Anmerkung zum Text Nr. 70)oder sogar eines Abenteurers wie Bernhard von Sachsen-Weimar(Anmerkung zum Text Nr. 43)gelobt und in einen Beweis für deutschen Patriotismus verdreht wurde, denn es ist in diesem höllischen Zwielicht verworrener Absichten eine gewaltige Erleichterung, irgend einen Herrscher mit einer klaren politischen Auffassung zu finden“.Es ist schon eine Wohltat, solche Sätze zu lesen; leider stammen sie meist von nichtdeutschen Autoren, gilt doch in Deutschland das Erkennen der banalen Wirklichkeit seit jeher als Ausdruck spießiger und kleinkarierter Denkungsart.

Das Übel einer ideologisch bestimmten Sichtweise ist nun allerdings nicht neu. Schon 1912 hat einer der kenntnisreichsten und einfühlsamsten Landesgeschichtler, Wilhelm Diehl, den Sinn seiner Forschungen darin gesehen,„einer tendenziösen Geschichtsbetrachtung den Rest zu geben“.In diesem Punkte war Diehl wohl etwas zu optimistisch; er konnte ja nicht wissen, was das Jahrhundert noch zu bieten hatte. Unübertroffen aber sind seine Worte, mit denen er die von ihm verachtete Tendenzschreiberei bedachte, der er zu Recht vorwarf, sie sehe nicht das als groß an,„was wirklich groß war, sondern nur das, was sich in der geschichtlichen Entwicklung als Vorstufe zu dem darstellt, was heute als groß gilt“(4). Überhaupt ist es m. E. völlig verfehlt, eine historische Würdigung auf den Absichten und Zielen der Handelnden aufzubauen; denn diese klingen stets überzeugend. Der Hinweis auf

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‚das gemeine Beste’ bei allen fürstlichen Instruktionen der Zeit ist inflationär. Selbst die Taten oder Unterlassungen der handelnden Personen fallen hier wenig ins Gewicht. Was zählt, das sind die Ergebnisse, die sich am Ende einstellen. Man möchte es den Lobrednern von Bernhard und Wilhelm gerne abnehmen, wenn sie beteuern, ihre Helden hätten den Zustand des deutschen Reiches und Volkes von 1648 nicht herbeigewünscht. Denn die Bilanz nach 30 Jahren Krieg fällt so vernichtend aus, dass sich die Beurteilung der politisch handelnden Elite fast von selbst ergibt. Wer als Heerführer und Reichsfürst am Ende eines kampferfüllten Lebens sich eingestehen muss: das habe ich nicht gewollt!, stellt sich selbst das Zeugnis politischer Dummheit aus. Keine Konfession, keine Dynastie, keine ‚fürstliche Libertät’ waren es wert, dass ihretwegen die eine Hälfte des deutschen Volkes zugrunde gehen, die andere großenteils im Elend versinken musste. Es war das Verhängnis der Zeitgenossen des Leonhard Walz, dass diese banale Einsicht nur von wenigen geteilt wurde. Höher als das Wohlergehen von Mensch und Natur stand die politische oder konfessionelle Ideologie. Ihr wurde alles geopfert. Wie sich der Untertan, der vielberufene ‚Gemeinsmann’ dabei befand, das erfahren wir auch aus den Kanzleien der Fürsten, deutlicher aber aus den zahlreichen Chroniken, die in jenen schlimmen Zeiten entstanden. Und damit sind wir bei unserem Autor Leonhard Walz und seiner Chronik.Die Handschrift und ihr Verfasser

In den„Regesten zur Geschichte von Seligenstadt am Main“(4) findet sich auf Seite 156 der folgende Eintrag:„Nr.850: (um1650) Manuskript einer Chronik der Geschichte des Klosters Seligenstadt (Fragment) für die Jahre 1630 bis 1646, verfasst von dem Seligenstädter Prior Leonhard Walz (lat.)“.Die Handschrift umfasst 14 Blätter und wird unter der Signatur C1C Nr.66 im Staatsarchiv Darmstadt aufbewahrt. Wie in dem Regest angegeben, ist die Handschrift nur bruchstückhaft überliefert und zählt 14 vollbeschriebene Blätter, ist also 28 Seiten stark.

Der Verfasser der Handschrift, Leonhard Walz, war 1605 in Obernburg geboren und während des Dreißigjährigen Krieges Subprior im Kloster Seligenstadt, wie er selbst angibt, später Prior und seit 1653 Abt. Er starb am 16. Mai 1666.

Leonhard Walz verfasste seinen Bericht in lateinischer Sprache, was in der Mitte des 17. Jahrhunderts zwar noch nicht die seltene Ausnahme, aber doch nicht mehr allgemein üblich war. Er wandte sich also nur an die ‚gebildeten Stände’, nicht an das gemeine Volk. Deshalb ist er auch nie recht volkstümlich geworden (5) und wohl aus diesem Grund ist seine Schriftabgesehen von Auszügen, die mein Vater 1988 in seiner Publikation‚Seligenstadt im „Evangelischen“ und „Dreißigjährigen“ Krieg’veröffentlicht hat (6) - auch noch nie ins Deutsche übersetzt worden.

Mit seinem Latein möchte der Verfasser den Leser, den er des öfteren anspricht, beeindrucken und sich ihm als kenntnisreicher, an den Klassikern geschulter und vertrauenswürdiger Gewährsmann empfehlen. Hier schreibt nicht einer, dem aus vollem Herzen das grauenhaft Erlebte unmittelbar in die Feder fließt, nein, hier türmt jemand in der Abgeschiedenheit des Studierkämmerleins seine Satzkonstruktionen nach langer, gründlicher Reflexion kunstvoll, oft gekünstelt, auf. Der Leser soll es schon merken, in welchem Maße der Verfasser seinen klassischen Vorbildern und ihren raumgreifenden Satzperioden nacheifert. Bisweilen verliert er angesichts der grammatischen Wucherungen den Überblick, was einige seiner verschlungenen Satzgebilde strenggenommen unübersetzbar und gelegentlich auch mehrdeutig oder unverständlich macht.

Die einfache Ausdrucksweise verschmäht er; vielmehr möchte er den rhetorischen Glanz seines überreichen Wortschatzes vor dem Leser ausbreiten. Er benutzt z.B. nie das Verb ‚sterben’ (mori). Stattdessen fallen ihm zehn Spielarten ein, nämlich

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1. dem Schöpfer seinen Geist zurückgeben (creatori spiritum reddere) 2. dem Schicksal entgehen (fatis excedere) 3. den Sterblichen Lebewohl sagen (mortalibus valefacere) 4. sein Leben zu Ende bringen (vita fungi) 5. im Herrn (dem Tod) entgegengehen (in domino obire) 6. von den Lebenden weggerissen werden (e vivis rapi) 7. untergehen (interire) 8. ausgelöscht werden (exstingui) 9. von den Lebenden weggenommen werden (e vivis tolli) 10. das Leben mit dem Tode vertauschen (vitam cum morte commutare)

Für ‚aufschreiben’ steht ‚den Papieren einflößen’ (chartis inicere) oder statt ‚niederbrennen’ heißt es ‚dem (Feuergott) Vulkan weihen’. Die Pest ist der ‚unzertrennliche Begleiter des (Kriegsgottes) Mars’, die Morgenröte ‚der Herold des neuen Tages.’ In reizvollem Kontrast zur barocken Fülle seiner Ausdrucksweise steht die durchgearbeitete Form des Satzbaus. Folgt man dem Duktus seiner Sprache (und seiner Handschrift?), so möchte man sich einen Mann vorstellen, der seine Gefühlswelt, jede spontane Regung, einer strengen Zucht unterworfen hat. Leidenschaftlichkeit ist ihm zuwider, und wo ihn das Entsetzliche, das er überliefern will, aus dem Gleichgewicht zu bringen scheint, da beachtet er immer noch die klassische Stilkunde, so, wenn er etwa seine Entrüstung mit ‚Eheu!’ einleitet. Das schlimmste Wort, mit welchem er das Treiben der Soldaten geißeln kann ist ‚debacchari’; was bedeutet ‚im Rausch herumtorkeln’.