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Willi Dickhut berichtet im Buch über seine politischen Erfahrungen ab 1949. In der Stadt Solingen entwickelte er führend die Kommunalpolitik der KPD. Sie war geprägt vom Wunsch und praktischen Vorschlägen zu einer Kommunalpolitik gemeinsam mit der SPD. Die Erfahrungen werden im Buch verarbeitet. Die KPD entwickelt ein konkretes Kommunalwahlprogramm für die Stadt Solingen. Im September 1949 wird Adenauer Bundeskanzler. Ein Jahr später ist die Remilitarisierung beschlossene Sache, jeder Widerstand dagegen wird verfolgt. 1951 bereits stellt die Bundesregierung den Antrag auf Feststellung der Verfassungsfeindlichkeit der KPD. Willi Dickhut arbeitet in dieser Zeit zunächst in der Kaderabteilung NRW, später in der zentralen Kaderabteilung der KPD. Deutlich wird, wie eng die Zusammenarbeit mit der Kaderabteilung "West" der SED war. Schon damals kam es dort zu bürokratischen Fehlern bei der Kaderbehandlung. Seit Mitte 1952 ist der Verfasser als 1.Kreissekretär in Solingen tätig. Es gelingt, verlorenen Einfluß der KPD in den Betrieben zurückzuerobern und eine Aktionseinheit mit der SPD auf kommunaler Ebene einzugehen. Am 17.August 1956 wird die KPD verboten. Die illegale Arbeit erschwert die notwendige innerparteiliche Diskussion. Und das in einer Situation, in der die KPD ohne Zögern die revisionistische Linie der KPdSU, die auf dem XX. Parteitag im Februar 1956 von Chruschtschow verkündet worden war, übernimmt. Willi Dickhut teilte den Standpunkt der KP Chinas, dass hier der Sozialismus verraten wurde, was 1966 zum Ausschluß aus der Partei führt. Für Willi Dickhut steht fest: Die Entartung der KPD bzw. DKP macht den Aufbau einer neuen marxistisch-leninistischen Partei notwendig, und er unterstützt diese Aufgabe mit ganzer Kraft.
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Willi Dickhut
Was geschah danach?
Willi Dickhut
Was geschah danach?
Zweiter Tatsachenbericht eines Solinger Arbeiters ab 1949
Verlag Neuer Weg
Willi Dickhut
Was geschah danach?
1990
I.Die Kaderarbeit im Landesverband Nordrhein-Westfalen
Verschärfung der innenpolitischen Situation
Das jugoslawische Kuckucksei und die ideologischen Differenzen
Die Tätigkeit in der Kammer für Haftentschädigung
II.Die Kaderabteilung der KPD und die Kaderabteilung »West« der SED
Die SED bestimmt über die KPD
Die ideologisch-politische Erziehung der Kader
Als Leiter der Kaderabteilung der KPD
Falsche Behandlung der Kader und falsche Kaderpolitik
Das »blonde Gift« rächt sich
III.Das Ende meiner Kaderarbeit – zurück an die Basis Solingen
Funktionsentzug auf leisen Sohlen
Überspitzte Politik und das »Programm zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands«
Kommunalpolitik und Aktionseinheit SPD/KPD
IV.Kommunalpolitik und Bundestagswahl
Etatberatungen und Aktionseinheit
Bundestagswahl 1953 – Max Reimann kandidiert in Solingen/Remscheid
Zentrales Pressefest 1954
Verbot folgt auf Verbot
V.Als Kreissekretär in Hagen bis zum Parteiverbot
Geschichtliche, wirtschaftliche und politische Entwicklung des Stadtkreises Hagen
Konzentration auf Betriebsgruppen und Betriebszeitungen
Aus dem Rechenschaftsbericht der Kreisleitung, 1956
VI.1956 – das Jahr der Wende: XX. Parteitag der KPdSU und Verbot der KPD
Chruschtschows Geheimbericht: Verurteilung Stalins
Die Verkündung des modernen Revisionismus
Vorbereitung und Verkündung des Verbotsurteils gegen die KPD
Die Ereignisse nach dem Parteiverbot – Kommunalwahl im Oktober 1956
VII.Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 1958 und die Folgen
41 Kommunisten kandidieren als »Unabhängige«
Die Eröffnung des Prozesses gegen die »Unabhängigen«
Aus der Anklageschrift des Staatsanwalts
Die Konferenz in der DDR und die anonymen Zeugen
Die Hauptverhandlung der IV. Großen Strafkammer
Das Urteil des Landgerichts
VIII.Für eine positive Gewerkschaftsarbeit auf der Grundlage des Kampfes
Das Pendeln zwischen zwei Gewerkschaften und Beginn der Arbeit in der IG Metall
Das neue Ortsstatut der IG Metall und die Wohnbezirksarbeit
Die gewerkschaftspolitische Aktivität der Verwaltungsstelle
Tätigkeitsbericht der Wohnbezirksleitung Ohligs/Aufderhöhe 1961/62
Schulung der Gewerkschaftsmitglieder
Die Analyse der Betriebe im Wohnbezirk Ohligs/Aufderhöhe (Ende 1967)
Festigung der Monopole und zehn Jahre »Reformen von oben«
IX.Kampf gegen Revisionismus und Verleumdung
Ein Zwischenspiel – Internationale Solidarität
Ein übles Intrigenspiel und der Kampf zweier Linien
Der Ausschluß aus der KPD und der Beginn der Verleumdungskampagne
Robert Steigerwald, Chefideologe des Revisionismus und Kopf der Verleumder
X.Aufbau einer Marxistisch-Leninistischen Partei
Ausgangslage: Revisionismus und Antiautoritarismus
Die 1. Landesdelegiertenkonferenz der KPD/ML in NRW: Vorprogrammierung der ersten Spaltung
Trotzkistische Unterwanderung: Gerd Genger und die B1
Die grundsätzlichen Seiten des Parteiaufbaus
Erst der Sieg über die kleinbürgerliche Denkweise eröffnete den proletarischen Weg des Parteiaufbaus
Beurteilung der Persönlichkeit Lenins
Lenin, der geniale Führer des Proletariats
Als 1979 mein Buch »So war’s damals …, Tatsachenbericht eines Solinger Arbeiters 1926–1948« erschien, fragte mich ein Journalist, ob ich jetzt die Fortsetzung des Buches in Angriff nehmen würde. Ich äußerte Bedenken, denn es stellten sich mir die folgenden Fragen: Ist die Bürokratie in der Sowjetunion, in der DDR und in den anderen ehemals sozialistischen Ländern schon so entartet, daß sie den Marxismus-Leninismus restlos preisgegeben und den Revisionismus eindeutig zur führenden Ideologie des Staates, der Wirtschaft und der Kultur verankert hat? Und hat sie den Sozialismus restlos liquidiert und in einen Kapitalismus neuen Typs, den bürokratischen Kapitalismus, verwandelt? Können die Bürokraten so korrupt geworden sein, daß sie kein Gefühl mehr für die werktätigen Massen, ihre Sorgen und Nöte aufbringen können?
Obwohl ich bereits 1971 mit der Erstellung des Buches »Die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion« begonnen und den objektiven Nachweis über die Verwandlung des Sozialismus in einen bürokratischen Kapitalismus erbracht hatte, tauchten bei der Beurteilung des subjektiven Faktors Bedenken auf. Es waren doch ehemalige Kommunisten, die den Sozialismus verraten hatten. Neulich fragte mich ein VVN-Kamerad: »Wie ist so etwas nur möglich? Honecker war doch auch ein Widerstandskämpfer gegen den Faschismus und wurde verfolgt, und jetzt ist er so korrupt.« Daß sich bei Honecker und allen Bürokraten die Denkweise verändert hat – von der proletarischen Denkweise zur kleinbürgerlichen Denkweise – ist vielen unverständlich, und doch ist gerade dies der entscheidende Grund für ihren Verrat am Sozialismus. Der Kleinbürger strebt stets danach, in die kapitalistische Klasse aufzusteigen. Die kleinbürgerliche Bürokratie in den ehemals sozialistischen Ländern verwandelte sich auf der Grundlage ihrer Machtposition in eine neue Klasse, die den Sozialismus aufgegeben und in einen bürokratischen Kapitalismus verwandelt hat.
Dieser neue Typ von Kapitalismus eignet sich den Mehrwert aus der Produktion an, er beutet so die werktätige Bevölkerung aus und unterdrückt sie in raffinierter Art und Weise. Die Korruption greift um sich: Die entarteten Bürokraten wohnen in Villenvierteln, kaufen in nur für sie bestimmten Läden ein, vergnügen sich in abgeschirmten Jagdrevieren, legen Konten bei Banken im In- und Ausland an usw.
Auch in der KPD der Bundesrepublik entwickelte sich eine Bürokratie mit einer kleinbürgerlichen Denkweise. In finanzieller Abhängigkeit von der SED unterwarf sie sich deren Befehlen. Sie gab den Marxismus-Leninismus auf und machte den Revisionismus zur Grundlage ihrer Politik. Die Führung der KPD (und heute der DKP) wich jeder ideologisch-politischen Diskussion aus und ersetzte sie durch Intrige und Verleumdung. Auch ohne die politische Macht in den Händen zu haben, sind KPD bzw. DKP bürokratisch entartet.
Ich habe keine Veranlassung, über diese Bürokraten den Mantel der christlichen Nächstenliebe zu breiten und werde deshalb Roß und Reiter nennen. Meine Erlebnisse in der alten KPD verpflichten im Interesse des Aufbaus einer wirklich marxistisch-leninistischen Partei zur schonungslosen Entlarvung jeglicher bürokratischer Erscheinung: Wehret den Anfängen!
Solingen
November 1990
Willi Dickhut
Schon bald nach dem Ende des II. Weltkriegs zeichnete sich ab, daß alle Bestrebungen zur Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands von den westlichen Besatzungsmächten sabotiert bzw. behindert wurden. Am 17. und 18. März 1948 fand in Berlin der zweite Volkskongreß statt. Hier wurde ein aus 400 Mitgliedern bestehender Volksrat gewählt, der einen Aufruf zum »Volksbegehren für die Einheit Deutschlands« erließ. Ich war damals Kreissekretär der KPD in Remscheid. In einer dreiwöchigen Kampagne sammelten die KPD-Genossen fast 22 000 Unterschriften; jeder dritte Remscheider Wähler unterschrieb für das Volksbegehren.
Doch die Würfel waren bereits gefallen und die Spaltung Deutschlands beschlossene Sache. Bereits am 7. April 1948 kündigte der Chef der britischen Militärregierung, General Robertson, im nordrhein-westfälischen Landtag die Spaltung Deutschlands an. Damit verschärfte sich auch die Haltung der Militärregierung gegen die Kommunisten noch mehr. Denn von der KPD ging der entschiedenste Widerstand gegen die Spaltung Deutschlands aus.
In meinem Buch »So war’s damals …« berichtete ich zum Schluß, daß nach der Kommunalwahl im Oktober 1948 Major Fletcher, der britische Stadtkommandant in Remscheid, überraschend in unser Parteibüro kam. Er berichtete mir, daß auf einer Konferenz der Kommandanten darüber diskutiert worden sei,
»… ob die Militärregierung die KPD verbieten solle oder nicht. Sie wären aber zu dem Ergebnis gekommen, das Verbot der KPD der zukünftigen deutschen Regierung zu überlassen …
Ein Jahr danach wurde die Bundesregierung gebildet, mit Konrad Adenauer an der Spitze. Der kalte Krieg hatte begonnen, die Remilitarisierung war geplant, die Spaltung Deutschlands vertieft, die Reaktion marschierte. Die entschiedensten Gegner der Bourgeoisie, die entschiedensten Kämpfer für die deutsche Einheit, für Frieden und Sozialismus, die Kommunisten, standen der Reaktion im Wege.
Zwei Jahre später, 1951, beantragte die Adenauerregierung beim Bundesverfassungsgericht das Verbot der KPD. Die Kommunisten sollten wieder in die Illegalität gezwungen werden.« (S. 562)
Wenn auch die Militärregierung auf das schmutzige Geschäft eines KPD-Verbots verzichtete, so wollte sie die KPD doch mundtot machen, indem sie ihre Zeitungen zunächst beschränkt auf einige Monate, dann endgültig verbot. So wurde im Mai 1948 dem »Westdeutschen Volks-Echo« einfach die Lizenz entzogen, was einem Dauerverbot gleichkam. Nachdem 1948 die »Freiheit« schon einmal für drei Monate verboten war, wurde ihr im Oktober 1948 für immer die Lizenz entzogen. Das hier abgebildete Faksimile der »Freiheit« vom 8. Oktober 1948 zeigt die letzte Ausgabe. Auf der Titelseite steht die Mitteilung, daß die erst seit dem 15. September 1948 erschienene »Neue Volkszeitung« von der Militärregierung für drei Monate verboten sei.
Die KPD ließ sich jedoch durch die Verbotsmaßnahmen der Militärregierung nicht einschüchtern. So erschien am 3. Januar 1949 die erste Nummer der Zeitung »Freies Volk«. Jupp Schappe aus Ratingen wurde ihr Chefredakteur.
Es war offensichtlich, daß sich die innenpolitische Situation verschärfte. Deshalb war es notwendig, neue Kader in der KPD heranzuziehen und zu entwickeln. Von der Landesleitung berufen, übernahm ich Anfang 1949 die Leitung der Personalpolitischen Abteilung (PPA). Die PPA hatte damals zwei Hauptaufgaben: Erstens die Organisierung der Kaderschulung und -pflege sowie die Vorbereitung des zweckmäßigen Einsatzes der Genossen entsprechend der Fähigkeiten in Theorie und Praxis. Zweitens die Durchführung von Untersuchungsverfahren bei irgendwelchen Vergehen und Stärkung der revolutionären Wachsamkeit gegenüber Feinden und Schädlingen. Bedingt durch die Entwicklung der innenpolitischen Lage und sonstige Widersprüche schwoll die Arbeit der Abteilung an. Eine Teilung in Kaderabteilung und Kontrollkommission wurde notwendig, wobei ich die Leitung der Kaderabteilung übernahm. Doch bevor dieser Schritt im Dezember 1949 vollzogen wurde, mußte ich eine wichtige Untersuchung durchführen. Jupp Schappe wurde mein erster Untersuchungsfall.
Um den Charakter meiner ersten Untersuchung zu verstehen, ist es notwendig, einiges zur Vorgeschichte zu kennen. Während des II. Weltkriegs wurde die Kommunistische Internationale aufgelöst, um der Schaffung einer breiten antifaschistischen Volksbewegung in Europa kein Hindernis zu sein. Nach Beendigung des Krieges entstanden in einigen Ländern Osteuropas Volksdemokratien unter Führung der kommunistischen Parteien als Übergangsform zum Sozialismus. Um die Interessen gegenseitig abzustimmen,
»… wurde ein Informationsbüro aus Vertretern der Kommunistischen Partei Jugoslawiens, der Bulgarischen Arbeiterpartei (Kommunisten), der Kommunistischen Partei Rumäniens, der Kommunistischen Partei Ungarns, der Polnischen Arbeiterpartei, der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, der Französischen Kommunistischen Partei, der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei und der Italienischen Kommunistischen Partei gebildet. In der 1947 von Vertretern dieser Parteien auf einer Konferenz in Warschau angenommenen Resolution hieß es: ›Die Konferenz konstatiert, daß das Fehlen von Verbindungen zwischen den an der gegenwärtigen Konferenz teilnehmenden kommunistischen Parteien in der jetzigen Lage ein schwerer Mangel ist. Die Erfahrung hat gezeigt, daß eine solche Isoliertheit der kommunistischen Parteien falsch und schädlich ist. Die Notwendigkeit des Erfahrungsaustauschs und der freiwilligen Koordinierung der Aktionen der einzelnen Parteien ist besonders akut geworden unter den heutigen Verhältnissen, wo nach dem Kriege die internationale Lage sich kompliziert hat und die Isolierung der kommunistischen Parteien für die Arbeiterklasse schädlich werden kann.‹« (»Die Kommunistische Internationale«, S. 654)
Weder die Sozialistische Einheitspartei (SED) noch die KPD waren Mitglied dieses Informationsbüros, erkannten jedoch die Führungsrolle der KPdSU bedingungslos an. Schon bald kam es unter den Mitgliedern des Informationsbüros zu Widersprüchen. Als erstes traten sie zwischen dem Bund der Kommunisten Jugoslawiens und der KPdSU offen zutage. Jugoslawien sah den Balkan als eigenes Interessengebiet an, was die Außenpolitik der Sowjetunion empfindlich berührte. Im Verlauf des Jahres 1948 verschärften sich diese und andere Widersprüche erheblich. So stellte Tito beispielsweise die Behauptung auf, daß die Sowjetunion Jugoslawien »ausbeute«, seine Industrialisierung »verhindere« und Jugoslawien seiner Unabhängigkeit »berauben« wolle.
Tito (vorn) und Stalin (hinten rechts) 1945 in Moskau
Tatsache war, daß sich in Jugoslawien die Bürokratie zu einer neuen Klasse entwickelt hatte, die den Kapitalismus im eigenen Land restaurierte. Dieser Verrat der Tito-Clique führte dazu, daß die Werktätigen Jugoslawiens immer rechtloser, immer mehr unterdrückt und ausgebeutet wurden. Außenpolitisch entwickelte sich Jugoslawien immer mehr zu einem bloßen Anhängsel des US-Imperialismus. Das war die »Unabhängigkeit«, die Tito vorschwebte. Heuchlerisch wurde diese Entwicklung gerechtfertigt mit der Losung, Jugoslawien müsse »auf eigenem Wege zum Sozialismus« kommen.
Bei einer Beratung des Informationsbüros im Juni 1948 in Rumänien wurde eine Resolution zur Entwicklung des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens verabschiedet, in der die Entwicklung in Jugoslawien heftig kritisiert wird.
Milovan Djilas, einer der führenden Kommunisten und Minister der damaligen jugoslawischen Regierung, fuhr mit einer Delegation nach Moskau, um den Bruch mit Moskau zu vermeiden. Doch seine Mission war vergebens. Noch im selben Jahr wurde der offene Bruch vollzogen. Jugoslawien trat als »nationaler Kommunismus« in die Nachkriegsgeschichte ein.
Im folgenden kritisierte Djilas die Bürokratie in der Partei- und Staatsführung und schrieb sogar ein Buch mit dem Titel »Die neue Klasse« über diese bürokratische Entwicklung.
»Diese neue Klasse, die Bürokratie, oder genauer gesagt, die politische Bürokratie, trägt alle Merkmale früherer Klassen, und einige neue, die nur ihr eigen sind. Auch ihr Ursprung weist besondere Merkmale auf, obwohl er im wesentlichen den Anfängen anderer Klassen ähnlich war.« (S. 44)
Diese Kritik paßte der jugoslawischen Führung nicht. Anfang 1954 schloß man Djilas aus dem Zentralkomitee der Partei aus. Ein Jahr später, 1955, stellte ihn die Tito-Clique vor ein Gericht, das ihn wegen feindlicher Propaganda zu drei Jahren verurteilte. Auch später wurde Djilas noch mehrmals ins Gefängnis gesteckt. Das hinderte ihn nicht daran, offen zu schreiben, was er unter der »neuen Klasse« verstand.
»Die Gesellschaft, die aus den kommunistischen Revolutionen oder den Kriegshandlungen der Sowjetunion hervorgegangen ist, wird von den gleichen Gegensätzen zerrissen wie andere Gesellschaftsformen. Sie hat sich nicht zur menschlichen Brüderlichkeit und Gleichheit hin entwickelt, im Gegenteil: es bildet sich in der Parteibürokratie eine privilegierte Schicht, die ich – im Einklang mit den marxistischen Ansichten – die ›neue Klasse‹ nannte.« (»Die unvollkommene Gesellschaft«, S. 17)
Die SED und die KPD stellten sich hinter die Außenpolitik der Sowjetunion. Das nahm der Bund der Kommunisten Jugoslawiens zum Anlaß, zu versuchen, die KPD zu zersetzen und eine neue Partei durch Anhänger bzw. Sympathisanten zu organisieren.
Eines Tages, im Herbst 1949, erhielten zahlreiche Genossen der KPD und auch Nichtmitglieder jugoslawische Literatur (Bücher und Broschüren) in deutscher Sprache ins Haus geschickt. Die PPA führte eine Untersuchung durch, um festzustellen, wer dahintersteckte. Wir zweifelten nicht daran, daß Wolfgang Leonhard seine Hand im Spiel hatte. Im März 1949 hatte er sich, damals Dozent an der SED-Parteihochschule »Karl Marx«, heimlich nach Belgrad abgesetzt. Über ein Jahr blieb er in Jugoslawien, bevor er sich dann in Westdeutschland niederließ. Er war den jugoslawischen Kommunisten behilflich bei der Erstellung von Propagandamaterial (Übersetzung und eigene Schriften) in deutscher Sprache. Das hat er später in seinem Buch »Die Revolution entläßt ihre Kinder« selbst bestätigt. Bei seiner Ankunft in Belgrad wurde er gefragt:
»›Nun, Genosse Leonhard, wie hast du dir hier in Jugoslawien deine Tätigkeit vorgestellt?‹
›Ich würde zunächst gern die Ursachen und den Verlauf des Konflikts zwischen der jugoslawischen Partei und dem Kominform zusammenhängend für die oppositionellen Genossen in Deutschland darstellen. Die bisherigen Materialien behandeln Einzelprobleme, über die unsere Genossen nur wenig wissen. Es ist daher manchmal schwer für sie, sich ein Bild zu machen.‹
›Gut, schreib das. Wir werden es hier in Jugoslawien auf Deutsch drucken.‹« (S. 551)
Das Ergebnis seiner Tätigkeit hatten wir nun vor uns. Aber wer hatte den Jugoslawen die vielen Adressen vermittelt? Was waren die Empfänger für Leute? Es galt, möglichst viele von ihnen zu erfassen. Deshalb forderten wir unsere Genossen an der Basis auf, das Material und die Anschrift des Empfängers an die PPA abzuliefern. So stellte sich bald heraus, daß sich alle diese Empfänger, unter ihnen viele Parteilose, an einem Wettbewerb der Zeitung »Freies Volk« beteiligt hatten. Über diese Teilnehmer gab es eine Liste, und zwar nur ein einziges Exemplar. Diese Liste hatte der Chefredakteur, Jupp Schappe, in seinem Schreibtisch eingeschlossen. Er bestritt, diese Liste den Jugoslawen in die Hände gespielt zu haben. Statt dessen beschuldigte er einen Mitarbeiter, der früher einmal den Brandler-Leuten nahestand. Die Nachforschungen ergaben aber schnell die Haltlosigkeit dieser Verdächtigung. Unser Verdacht gegen Jupp Schappe dagegen verstärkte sich, als wir feststellten, daß er im Konzentrationslager Buchenwald mit Jugoslawen gemeinsam politisch tätig war. Es lag nahe, daß der Kontakt zwischen ihm und den Jugoslawen nach der Befreiung aus dem Konzentrationslager bestehen blieb oder wieder aufgenommen wurde.
Noch während die Untersuchung lief, fand in Ratingen eine Mitgliederversammlung der Partei statt, an der Ludwig Becker als Referent der Landesleitung teilnahm. Er leitete die Abteilung Wirtschaft und besaß keinerlei Erfahrung in Untersuchungsangelegenheiten. In der Versammlung forderte er Jupp Schappe heraus. Dieser reagierte heftig und veröffentlichte sofort am nächsten Tag ein Flugblatt, das sich gegen die Parteileitung richtete. Daraufhin wurde er ausgeschlossen. Es war also keineswegs so, wie Manfred Buder anläßlich der Ehrung von Jupp Schappe durch die VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) in »Unsere Zeit« vom 16. Juli 1989 schrieb:
»Links blieb er auch dann, als seine Partei, die KPD, ihm nach den Worten von Professor Jupp Schleifstein (DKP) ›bitteres Unrecht zufügte‹ und ihn als Chefredakteur des Zentralorgans ›Freies Volk‹ wegen ›Titoismus‹ ablöste und ausschloß.«
»Bitteres Unrecht?« Nein, so war es nicht. Das Untersuchungsverfahren war korrekt und loyal und der Ausschluß im Februar 1950 gerechtfertigt. Wer etwas anderes behauptet, der lügt.
Die Jugoslawen wollten die KPD zersetzen, zuerst durch ihr politisches Material, dann direkt. Als Wolfgang Leonhard noch Lehrer an der Parteihochschule war, hatte er als Assistent einen jungen Mann, der sich Stambula nannte. Dieser setzte sich ebenfalls nach Belgrad ab, wo er von der jugoslawischen Parteiführung beauftragt wurde, Gruppen in der KPD zu organisieren, um die Partei von innen zu zersetzen. Dafür wurden ihm monatlich 500 DM bezahlt. Das war damals im Vergleich zu den Gehältern der Kreissekretäre viel Geld. Wir hatten von seinem Treiben sogleich Kenntnis bekommen und spielten Katz und Maus mit ihm, indem wir kleine Gruppen zusammenstellten, um ihn auszuhorchen. Das war nicht schwer, denn Stambula war unerfahren und hatte keine Ahnung vom Parteiaufbau. Nachdem wir alles, was wir von ihm wissen wollten, auf diese Weise erfahren hatten, beendeten die Gruppen ihre Arbeit. Als Stambula deshalb auch nichts mehr vorzuweisen hatte, ließen ihn die Jugoslawen fallen.
Auch ein Versuch Jupp Schappes, eine neue Partei aufzubauen, scheiterte. Damit war das jugoslawische Intermezzo in der BRD zu Ende.
Nicht jedoch auf internationaler Ebene. Bereits im November 1957 fand in Moskau die erste Beratung von Vertretern der kommunistischen Arbeiterparteien statt, die sich gegen den modernen Revisionismus und Dogmatismus richtete. In der dort verabschiedeten gemeinsamen Erklärung hieß es:
»Große Bedeutung gewinnt in der gegenwärtigen Etappe die Verstärkung des Kampfes gegen die opportunistischen Strömungen in der proletarischen und kommunistischen Bewegung. Die Beratung betont die Notwendigkeit, Revisionismus und Dogmatismus in den Reihen der kommunistischen und Arbeiterparteien entschlossen zu überwinden. Wie in der Vergangenheit, so tragen Revisionismus und Dogmatismus in der proletarischen und kommunistischen Bewegung auch gegenwärtig internationalen Charakter. Dogmatismus und Sektierertum erschweren die Entwicklung der Theorie des Marxismus-Leninismus und seine schöpferische Anwendung auf die sich verändernden konkreten Verhältnisse, setzen an die Stelle des Studiums der konkreten Situation Zitate und Buchstabengelehrtheit, führen zur Loslösung der Partei von den Massen. Eine Partei, die sich sektiererisch abgekapselt und von den breiten Massen losgelöst hat, kann die Sache der Arbeiterklasse nie zum Siege führen …
Der moderne Revisionismus ist bemüht, die große Lehre des Marxismus-Leninismus in Verruf zu bringen, er erklärt sie für ›veraltet‹, behauptet, sie habe heute ihre Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung verloren. Die Revisionisten sind bestrebt, die revolutionäre Seele des Marxismus-Leninismus auszumerzen und den Glauben der Arbeiterklasse und des schaffenden Volkes an den Sozialismus zu erschüttern.«
Das traf maßgeblich auf den Bund der Kommunisten Jugoslawiens zu. Die Tito-Clique führte in den Betrieben die »Arbeiterselbstverwaltung« ein. Hinter diesem gut klingenden Namen verbarg sich ein System der verstärkten Ausbeutung. Das Ganze war ein hinterhältiges Betrugsmanöver. In der Erklärung der Vertreter der kommunistischen und Arbeiterparteien vom Dezember 1960 in Moskau wurden die Führer des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens des modernen Revisionismus beschuldigt.
»Die kommunistischen Parteien haben die jugoslawische Spielart des internationalen Opportunismus, die einen konzentrierten Ausdruck der ›Theorien‹ der modernen Revisionisten darstellt, einmütig verurteilt. Die Führer des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens, die den Marxismus-Leninismus verrieten, indem sie ihn für veraltet erklärten, haben der Erklärung von 1957 ihr antileninistisches, revisionistisches Programm entgegengestellt, ihr Land vom sozialistischen Lager losgerissen, es von der sogenannten Hilfe der amerikanischen und anderen Imperialisten abhängig gemacht und damit die Gefahr heraufbeschworen, daß das jugoslawische Volk seiner im heroischen Kampf erzielten revolutionären Errungenschaften verlustig geht. Die jugoslawischen Revisionisten betreiben eine Wühlarbeit gegen das sozialistische Lager und die kommunistische Weltbewegung. Unter dem Vorwand einer blockfreien Politik entfalten sie eine Tätigkeit, die der Einheit aller friedliebenden Kräfte und Staaten Abbruch tut. Die weitere Entlarvung der Führer der jugoslawischen Revisionisten und der aktive Kampf dafür, die kommunistische Bewegung wie auch die Arbeiterbewegung gegen die antileninistischen Ideen der jugoslawischen Revisionisten abzuschirmen, ist nach wie vor eine unerläßliche Aufgabe der marxistisch-leninistischen Parteien.«
Die Verurteilung der revisionistischen Tito-Clique war richtig und notwendig und trug die Handschrift der Kommunistischen Partei Chinas unter der Führung von Mao Tsetung. Aber waren die meisten anwesenden Vertreter nicht ebenfalls Opportunisten und Revisionisten? Hatte nicht Chruschtschow bereits 1956 auf dem XX. Parteitag der KPdSU den modernen Revisionismus verkündet? Die Tagung der kommunistischen und Arbeiterparteien konnte nur mühsam die offenen Widersprüche verdecken; der Kampf zweier Linien trat in den Vordergrund.
Josip Tito
Tito setzte seine Erwartungen auf den westlichen Imperialismus, vor allem auf den amerikanischen. Seit sich der Konflikt mit der Sowjetunion verschärft hatte, erhielt Jugoslawien laufend Kriegsmaterial von den USA. Im Oktober 1963 reiste Tito nach Washington, um von Präsident Kennedy noch mehr Wirtschafts- und Militärhilfe auf der Grundlage der »Meistbegünstigungsklausel« zu erhalten. »Die Welt« vom 18. Oktober 1963 berichtete über diese Reise:
John F. Kennedy
»Gespräch mit Kennedy über wirtschaftliche Probleme
Washington, 17. Oktober (UPI-dpa)
Präsident Kennedy hat am Donnerstag den jugoslawischen Staatspräsidenten Tito zu einem Informationsgespräch im Weißen Haus empfangen. Tito wurde bei seiner Ankunft in Washington mit 21 Salutschüssen und allen militärischen Ehren begrüßt.
In einer kurzen Ansprache betonte Kennedy die Wichtigkeit einer grundlegenden Verständigung ›über Ozeane und Philosophien‹ hinweg. ›Dies ist eine schwierige und gefahrvolle Welt, in der wir leben‹, sagte der Präsident. Tito erwiderte, die Freundschaft mit dem amerikanischen Volk sei die Grundlage der jugoslawischen Politik.
Nach Ansicht politischer Beobachter dürften während der Gespräche zwischen Kennedy und Tito die amerikanische Wirtschafts- und Militärhilfe für Jugoslawien stehen. Belgrad hat bisher rund 10 Milliarden Mark von den Vereinigten Staaten erhalten. Jugoslawien möchte vor allem von den USA die Meistbegünstigungsklausel wieder erhalten, die der Kongreß dem Lande im letzten Jahre verwehrt hatte …«
Trotz dieser Anbiederung an den US-Imperialismus fuhr Chruschtschow im gleichen Jahr nach Belgrad und begrüßte Tito mit den Worten »teurer Genosse Tito«. Welch ein Wandel! Der Revisionismus kennt keine Prinzipien. Er tritt in den verschiedensten Formen auf, aber eins haben alle Variationen gemeinsam: Ablehnung und Bekämpfung des Marxismus-Leninismus.
Der bisherige Hauptwiderspruch zwischen der KPdSU und dem Bund der Kommunisten Jugoslawiens trat mehr und mehr in den Hintergrund. Dafür waren die ideologisch-politischen Differenzen zwischen der KPdSU und der KP Chinas unter Führung Mao Tsetungs seit dem XX. Parteitag der KPdSU ständig angewachsen und bildeten nun den bestimmenden Widerspruch. 1963 brach der Konflikt zwischen Moskau und Peking offen aus. Die Auseinandersetzungen nahmen üble Formen an.
Als zum Beispiel der chinesische Delegierte Wu Hsiu-Tschuan auf dem VI. Parteitag der SED im Januar 1963, auf dem auch Chruschtschow eine lange Rede mit offener und versteckter Kritik an Albanien und China gehalten hatte, das Wort ergriff, wurde er niedergebrüllt. Ein Trampel- und Pfeilkonzert setzte ein, um ihn am Weitersprechen zu hindern.
Was war hier passiert? Von seiten unserer Partei gab es keinerlei Aufklärung über die Vorfälle und Hintergründe. Doch etwa im März 1963 bekam ich aus Paris, ohne Angabe eines Absenders, die Nummer 1 der »Peking Review« in deutscher Sprache. Sie enthielt die vollständige Rede des chinesischen Delegierten auf dem VI. Parteitag der SED. Einleitend hieß es dort:
»Mit großem Bedauern stellen wir fest, daß dem Auftreten unseres Genossen Wu Hsiu-Tschuan auf dem VI. Parteitag der SED in Berlin nicht das Verständnis gezeigt wurde, wie sich das dem Vertreter einer großen Bruderpartei aus dem sozialistischen Lager gegenüber geziemt. Zu unserem großen Erstaunen scheinen nun auch in der Deutschen Demokratischen Republik die Titogruppe und ihre Komplizen das Haupt zu erheben, die unter dem Mäntelchen des Marxismus-Leninismus die Einheit des sozialistischen Lagers preisgeben wollen.
Diese Gruppen dienen ihrem Herrn in verschiedener Weise:
1.sympathisieren sie unter den sozialistischen Ländern mit dem sogenannten jugoslawischen Weg. Das ist der Weg, nach dem sich sozialistische Länder ›friedlich‹ zu kapitalistischen Ländern ›entwickeln‹.
2.versuchen sie unter den asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Völkern, die den Kampf um die nationale und demokratische Revolution führen, eine sogenannte Politik der ›positiven Koexistenz‹ zu propagieren – eine Politik, die den Unterschied zwischen dem Feind und uns selbst verwischt.
Auch in Berlin haben wir die Zungen moderner Revisionisten sprechen hören, Zungen, die stets als ihre Parole den Widerstand gegen den Dogmatismus auszugeben pflegen. Aber ihr sogenannter Widerstand gegen den Dogmatismus bedeutet in Wirklichkeit Widerstand gegen die marxistisch-leninistischen Theorien über den Klassenkampf, über Staat und Revolution, über den Imperialismus, über die proletarische Revolution und die Diktatur des Proletariats sowie über die Volksrevolution in kolonialen und halbkolonialen Ländern. Sie wenden sich genau gegen das Herzstück des Marxismus-Leninismus und den revolutionären Geist des Marxismus-Leninismus.«
Dann folgte der Abdruck der Rede. Sie war sachlich und gab nach meinem Empfinden keinerlei Anlaß, in derartiger Form wie geschehen zu reagieren. Hauptsächlich waren es wohl zwei Stellen der Rede, die die SED-Führung in Rage gebracht und den tobenden Protest ausgelöst hatten.
»Als auf dem XXII. Parteitag der KPdSU, der vor mehr als einem Jahr stattfand, zum ersten Male öffentlich und namentlich eine andere Bruderpartei, die albanische Partei der Arbeit, angegriffen wurde, nahm die Delegation der KP Chinas gerade deshalb bereits damals entschieden dagegen Stellung. Bereits damals wiesen wir darauf hin, daß diese Handlungsweise ›nicht der Einheit dient und auch nicht zur Lösung der Probleme beiträgt. Es kann nicht als eine ernsthafte marxistisch-leninistische Haltung angesehen werden, die Streitigkeiten zwischen Bruderparteien und Bruderländern vor dem Feinde bloßzulegen …‹«
Vor allem als die jugoslawische Frage behandelt wurde, war ein solches Getöse ausgebrochen, daß der chinesische Delegierte nicht weitersprechen konnte. Hier der Text der betreffenden Stelle:
»Die modernen Revisionisten, die durch die jugoslawische Tito-Clique – die Verräter der Arbeiterklasse – vertreten werden, unterwarfen sich dem Druck des Imperialismus und dienen willig dem Imperialismus. Sie spielen bei der Unterminierung der internationalen Geschlossenheit der Arbeiterklasse eine Rolle, die die Sozialdemokratie nicht zu spielen vermag. Unter Mißbrauch der Bezeichnung ›kommunistische Partei‹ und der Fahne eines sozialistischen Staates sowie unter dem Deckmantel des Marxismus-Leninismus betrügt die Tito-Clique die revolutionären Völker, zersetzt ihren Kampfgeist, sabotiert den revolutionären Kampf der unterdrückten Völker und Nationen und unterminiert die sozialistischen Länder durch den Export des sogenannten ›jugoslawischen Weges‹, der in den Kapitalismus ausartet. Sie unterwühlt auch unter der Maske der ›blockfreien Politik‹ die Solidarität zwischen den sozialistischen Staaten und denjenigen Staaten, die eine friedliche und neutrale Politik durchführen. Die Tito-Clique ist heute ein Sondertrupp des amerikanischen Imperialismus zur Verwirklichung seiner konterrevolutionären Globalstrategie. Wie in der Moskauer Erklärung bereits darauf hingewiesen wurde, hat die jugoslawische Tito-Clique ›den Marxismus-Leninismus verraten‹, sie ›betreibt eine Wühlarbeit gegen das sozialistische Lager und die kommunistische Weltbewegung‹, ›entfaltet eine Tätigkeit, die der Einheit aller friedliebenden Kräfte und Staaten Abbruch tut‹.«
Für mich war diese Nummer der »Peking Review« vor allem auch deshalb so wichtig, weil sie eine Adresse enthielt, an die man sich wenden konnte: Guozi Shudian P. O. Box 399, Peking, China.
Ich wollte mehr über die Auseinandersetzungen und den Standpunkt Chinas wissen. Deshalb bat ich um Zusendung von schriftlichem Material in deutscher Sprache und bestellte die »Peking Review«. Zunächst bekam ich zahlreiche kleine Broschüren. Erst am 22. September 1964 erschien die erste Nummer der »Peking Rundschau«, die mir von nun an regelmäßig zugeschickt wurde.
Die Nummer 1 enthielt folgenden Hinweis an die Leser:
»An unsere Leser
Die Peking Review (englische Ausgabe) wurde im März 1958 gegründet. Ihre Aufgabe ist es, den Lesern die Ansichten und die Haltung der Volksrepublik China in bezug auf gegenwärtige internationale Ereignisse zu erklären und die Verhältnisse im sozialistischen Aufbau Chinas zu schildern, um das Verständnis und die Freundschaft zwischen dem chinesischen Volk und den Völkern der Welt zu festigen. Infolge der schnellen Entwicklung der internationalen Lage wollen immer mehr Ausländer den Standpunkt Chinas und die chinesischen Verhältnisse kennenlernen. Unter diesen Verhältnissen konnte die englische Ausgabe allein diese Aufgabe nicht mehr erfüllen. Deshalb haben wir im März 1963 eine französische und spanische und im August eine japanische Ausgabe hinzugefügt. Im Januar 1964 erschien dann die indonesische Ausgabe.
Nun wird die deutsche Ausgabe herausgebracht. Wir hoffen, daß dadurch die Verständigung und die Freundschaft zwischen den Völkern Chinas und der deutschsprachigen Gebiete gefördert wird.
Die Peking Rundschau ist eine autorisierte und gegenwartsnahe Zeitschrift, in der der Standpunkt Chinas wiedergegeben und die chinesischen Verhältnisse dargestellt werden.
Die Mithilfe der Leser ist eine der wichtigen Bedingungen, daß diese Zeitschrift zufriedenstellend ausfällt. Wir möchten Sie daher herzlich bitten, uns Ihre Kritik und Vorschläge mitzuteilen, damit wir unsere Zeitung ständig verbessern können.«
Mit großem Interesse studierte ich das chinesische Material. Eine Kernauseinandersetzung betraf die Rolle der Ideologie in der sozialistischen Gesellschaft. Auf dem VI. Parteitag der SED hatte Chruschtschow den ideologischen Kampf als »Fluchen« abgetan und einseitig die Festigung der ökonomischen Macht in den Mittelpunkt gestellt.
»Manche Leute, die sich als Marxisten betrachten, sagen, im Kampfe gegen den Imperialismus komme es nicht darauf an, vor allem die ökonomische Macht der sozialistischen Länder zu steigern …, sondern haben irgendein neues … Mittel gefunden … Diese Leute glauben, daß endlose Flüche gegen den Imperialismus gerade das richtige Mittel darstellen, den sozialistischen Ländern zu helfen … Deshalb muß man den Imperialismus nicht mit Flüchen bekämpfen; man muß den Wettstreit mit dem Imperialismus, mit dem Kapitalismus auf ökonomischer Grundlage führen.«
Die Chinesen dagegen betonten: Ohne eine feste ideologische Grundlage kann man die Staatsmacht nicht erobern. Ohne ständige ideologische Arbeit ist die sozialistische Gesellschaft nicht lebensfähig! Zum Verständnis der Bedeutung der ideologischen Arbeit will ich hier einen Auszug aus einem Artikel in der »Peking Rundschau« Nummer 5 vom 20. Oktober 1964 bringen:
»Der ideologischen Arbeit den Vorrang einräumen
Die historische Erfahrung hat bewiesen, daß die proletarische Partei nach der Machtergreifung zwecks Durchführung der sozialistischen Revolution und des sozialistischen Aufbaues nach wie vor der Propagierung der revolutionären Ideen, d. h. der ideologischen Arbeit, den Vorrang einräumen muß.
Erstens, die sozialistische Revolution und der sozialistische Aufbau ist eine ureigene Angelegenheit der Volksmassen …
Zweitens, unter den sozialistischen Verhältnissen bleibt der Klassenkampf nach wie vor bestehen; insbesondere an der politischen und ideologischen Front ist er ausgesprochen kompliziert und scharf. Die Gründung eines vollkommen neuen sozialistischen Systems erfordert die Säuberung der Denkweise der Menschen von den ihr noch anhaftenden Überbleibseln der alten Ideen und Traditionen sowie die Herbeiführung eines vollständigen Bruches mit ihnen. Ohne den Sieg der sozialistischen Revolution an der ideologischen und politischen Front wird das Proletariat außerstande sein, den Sieg des Sozialismus zu gewährleisten und eine kapitalistische Restauration zu vermeiden …
Wenn sich nur eine günstige Gelegenheit dazu bietet, können die alten Ideen, sowohl kapitalistische als auch feudalistische, in den Köpfen gewisser Menschen wiederbelebt werden. Manchmal entspricht es mehr der Gewohnheit und ist natürlicher für solche Leute, daß sie sich die Aufführung eines alten Theaterstückes mit schädlichen Ideen ansehen und die Gedanken über diese Ideen wieder wachrufen, als daß sie eine neue Denkweise oder Ansicht akzeptieren. Demzufolge können sie sich in den Verhältnissen eines komplizierten Klassenkampfes, insofern es die einfachen Menschen – und insbesondere die ehemaligen Kleinproduzenten – anbelangt, die sozialistische und die kommunistische Ideologie nur unter bestimmten Bedingungen, und zwar wenn die Erziehung im Sinne der proletarischen Ideologie energisch durchgeführt wird, aneignen. Sie können aber auch die bürgerliche Ideologie unter anderen Bedingungen akzeptieren, nämlich wenn die Erziehung im Sinne der proletarischen Ideen gelockert oder völlig aufgegeben wird …
Unter den sozialistischen Verhältnissen bleibt deswegen als wichtiger und entscheidender Faktor die ideologische Führung der Partei und der Staatsmacht des Proletariats sowie die von ihnen durchgeführte Erziehung bestehen. Man muß sich nach wie vor auf den Marxismus-Leninismus als eine allmächtige geistige Waffe stützen. In einem gewissen Sinne ist eine solche ideologische Erziehung gegenwärtig noch viel wichtiger als zu jeder anderen Zeit in der Vergangenheit …
Die Negierung des Weiterbestehens des Antagonismus zwischen der bürgerlichen und der proletarischen Ideologie in der sozialistischen Gesellschaft und die Verbreitung des Unsinns über die sog. Ideologie des ›gesamten Volkes‹, d.h. der klassenlosen oder der über den Klassen stehenden Ideologie, ist nichts anderes als vorsätzlicher Betrug. Es ist ein Versuch, die herrschenden Positionen und Führung des Marxismus-Leninismus, die Ideologie des Proletariats im stillen abzuschaffen und zur ideologischen Herrschaft der Bourgeoisie zurückzukehren, wodurch die Bedingungen der Restauration des Kapitalismus geschaffen werden …
Ohne eine richtige Lösung der Beziehungen unter den Menschen herbeizuführen, wird es nicht möglich sein, eine gute wirtschaftliche Arbeit zu leisten. Die leitenden Organe verschiedener Stufen müssen demzufolge ihre Arbeit auf die Massen und die Wirklichkeit orientieren, sie müssen mit den Massen und der Wirklichkeit in enger Verbindung stehen, ihre Arbeit schnell, konkret und rechtzeitig sowohl unter den Massen, als auch in der unteren Organisation und an den Frontlinien der Produktion erfüllen. Sie müssen den bornierten Praktizismus und den Bürokratismus aller Art überwinden, sie dürfen sich nicht mit der alleinigen Herausgabe von administrativen Verordnungen zufriedengeben und dabei die ideologische Arbeit vernachlässigen sowie Unordentlichkeit in ihrem Arbeitsstil zulassen …
Eine gute Verwirklichung der ideologischen Arbeit bedeutet, kurz gefaßt, die Offenbarung der Kräfte des Menschen in der sozialistischen Gesellschaft. Die Macht des sozialistischen Systems beruht im Endeffekt auf dieser Basis sowie auf dem Enthusiasmus der breiten Massen für den Sozialismus. Wenn wir imstande sind, die Kraft der Menschen und die Begeisterung der Massen für den Sozialismus vollständig zur Geltung kommen zu lassen, dann werden die Positionen unserer Revolution und unseres Aufbaues stets unüberwindlich bleiben …«
Als ich die Leitung der Personalpolitischen Abteilung übernahm, hatte ich mich über die vielen Bescheinigungen gewundert, die sorgfältig in Ordnern abgeheftet waren. Der Grund war folgender: Die Landesregierung bereitete sich auf die Auszahlung einer Haftentschädigung für die Opfer des Naziregimes vor. Neben den Zeiten für Gefängnis oder Zuchthaus, der sogenannten Schutzhaft, illegalem Untertauchen oder Emigration mußte der Antragsteller nach Möglichkeit für all das Zeugen beibringen, die die Angaben bestätigen konnten. Vor allem verlangte die Landesregierung eine Bescheinigung der Landesleitung der Parteien. Nachdem ich die Leitung der PPA übernommen hatte, war ich für das Unterzeichnen dieser Bescheinigungen verantwortlich.
In der zweiten Jahreshälfte 1949 wurde die Kammer für Haftentschädigung bei der Landesregierung gebildet. Sie war aus je einem Vertreter der etablierten Parteien KPD, SPD, CDU, FDP und Zentrum sowie einem Vertreter der Landesregierung zusammengesetzt. In diesem Fall war der Regierungsvertreter ein SPD-Mitglied namens Pennekamp. Ich wurde als Vertreter der KPD von der Landesleitung vorgeschlagen und von der Regierung am 29. September 1949 ernannt.
Alle Mitglieder der Kammer waren Antifaschisten und bestrebt, den Opfern des Faschismus die Entschädigung von 150 DM monatlich für die Dauer der Haft usw. zuzubilligen. Das war jedoch nicht immer möglich. Manche Fälle waren ganz offensichtlich faul, andere einfach ungenügend belegt.
Die Grundlage für die Tätigkeit der Kammer für Haftentschädigung war das Gesetz über die Entschädigung für Freiheitsentziehung aus politischen, rassischen und religiösen Gründen.
Der Antragsteller wurde zur Überprüfung seines Falles zur entsprechenden Sitzung der Kammer eingeladen und nach Einzelheiten befragt. In den meisten Fällen ging das glatt über die Bühne. Wenn die Mehrheit der Kammer für den Antrag entschied und der Regierungsvertreter keinen Einspruch erhob, so war die Entschädigung genehmigt.
Eines Tages jedoch drohte die Glaubwürdigkeit unserer Partei erschüttert zu werden. Der Genosse Köster aus Kleve wurde eingehend nach seinen Haftzeiten befragt und ob er dies durch Zeugen bestätigen lassen könne. Jedoch konnte er keine zufriedenstellenden Angaben machen. Er wurde aus dem Sitzungszimmer gewiesen, und dann wurde ich mit Fragen bestürmt: »Sagen Sie mal, Herr Dickhut, Sie haben doch die Bescheinigung unterzeichnet. Wie ist es möglich, daß auf dieser Bescheinigung Haftzeiten vermerkt sind, die der Antragsteller nicht nachweisen kann?« Mir wurde sofort klar, daß unsere bisherigen Bescheinigungen, etwa 7 000, hinfällig, zumindest unglaubwürdig werden würden, wenn es mir nicht gelang, auch in diesem Fall den Nachweis einwandfrei zu bringen. Auf die Fragen der Kammermitglieder antwortete ich lächelnd: »Wir verlassen uns nicht nur auf das, was die Antragsteller sagen, sondern lassen uns auch von anderen Zeugen die Angaben bestätigen.« »Können Sie den Nachweis bis zur nächsten Sitzung (vierzehn Tage später) erbringen?« Ich sagte das zu.
Jetzt begann ein Rennen mit der Zeit. Anhand der Bescheinigungen forschten wir nach, wer mit dem Klever Antragsteller zur gleichen Zeit im gleichen Gefängnis gewesen war. Diejenigen wurden sofort aufgesucht. Und tatsächlich, einer von ihnen konnte sich erinnern, mit dem Klever Genossen im Gefängnis gesessen zu haben.
Gesetzüber die Entschädigung für Freiheitsentziehung aus politischen, rassischen und religiösen Gründen.
Vom 11. Februar 1949.
Druckgenehmigung NRW/RGO/1505/22 vom 19. 4. 1949.
Der Landtag hat folgendes Gesetz beschlossen, das die Zustimmung des Gebietsbeauftragten erhalten hat:
Mit Rücksicht auf den allgemeinen Rechtsgrundsatz, daß für ungerechtfertigte Freiheitsentziehung eine Entschädigung zu gewähren ist, wird folgendes Gesetz erlassen:
§ 1
Wer in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 wegen seiner politischen Überzeugung, seiner Rasse, seines Glaubens oder seiner Weltanschauung länger als sechs Monate der Freiheit beraubt wurde und deswegen durch einen Kreissonderhilfsausschuß gemäß der Zonenanweisung HQ 20/2900 und den hierzu ergangenen Richtlinien als politisch, rassisch oder religiös Verfolgter anerkannt ist, erhält, gleichviel, ob die Freiheitsentziehung innerhalb oder außerhalb des Landes Nordrhein-Westfalen verhängt oder vollzogen wurde, eine Entschädigung nach Maßgabe des § 2 dieses Gesetzes, sofern er am 1. Januar 1948 seinen ständigen Wohnsitz im Lande Nordrhein-Westfalen hatte, es sei denn, daß der Antragsteller nach diesem Zeitpunkt aus der Emigration zurückgekehrt ist und vor der Emigration seinen Wohnsitz im Gebiete des Landes Nordrhein-Westfalen hatte oder in seinem Gebiet als Flüchtling Aufnahme gefunden hat.
§ 2
Die Entschädigung nach diesem Gesetz stellt nur einen Ausgleich für die erlittene Freiheitsentziehung dar.
§ 3
1. Die Höhe der Entschädigung für die nach § 1 Berechtigten beträgt für jeden Monat der Freiheitsentziehung 150 DM. Jeder angefangene Monat wird voll angerechnet.
2. Die Auszahlung wird durch die Durchführungsbestimmungen im Rahmen der jeweils haushaltsmäßig bereitgestellten Mittel geregelt mit der Maßgabe, daß die Leistungen auf Grund dieses Gesetzes in längstens vier Haushaltsjahren, beginnend mit dem Haushaltsjahr 1948, zu bewirken sind.
3. Der Antragsteller ist berechtigt, Auszahlung bis zur vollen Höhe der Entschädigung zu verlangen, wenn er nachweist, daß er die Summe zu Zwecken eines angemessenen Wohnungsbaues verwendet.
§ 4
Als Freiheitsentziehung im Sinne dieses Gesetzes gelten auch
a)Inhaftnahme durch die NSDAP, ihre Gliederungen oder eine andere von ihr beauftragte Stelle,
b)Zuweisung zu einer Wehrmachtsstrafeinheit, insbesondere zu einem Bewährungs- oder Strafbataillon (z. B. 999 und 500),
c)Ghetto-Aufenthalt,
d)Einweisung in ein Zwangsarbeitslager,
e)illegales Leben, um sich nationalsozialistischer Verfolgung aus den im § 1 genannten Gründen zu entziehen.
§ 5
Eine Entschädigung auf Grund dieses Gesetzes wird nur auf Antrag gewährt. Der Antrag ist innerhalb einer Ausschlußfrist von sechs Monaten, welche mit Inkrafttreten dieses Gesetzes beginnt, bei der für den Wohnsitz des Antragstellers zuständigen Wiedergutmachungs- und Betreuungsstelle zu stellen.
Für Antragsberechtigte, die als Kriegsgefangene, Emigranten und Flüchtlinge bei Inkrafttreten dieses Gesetzes nicht zur Stellung des Antrages in der Lage sind, beginnt die Ausschlußfrist mit dem Zeitpunkt der Heimkehr bzw. der Niederlassung im Lande Nordrhein-Westfalen.
§ 6
Ansprüche aus diesem Gesetz sind vor Stellung des Antrages nicht vererblich und können nicht gepfändet werden; sie sind nur mit Zustimmung des zuständigen Ministers abtretbar und verpfändbar.
§ 7
Im Falle einer über den Bereich des Landes hinausgehenden Regelung der Materie dieses Gesetzes gelten die vom Land auf Grund dieses Gesetzes bewirkten Leistungen als Vorauszahlungen.
§ 8
Die zur Durchführung dieses Gesetzes erforderlichen Bestimmungen werden durch den Innenminister und, soweit erforderlich, durch die Landesregierung im Einvernehmen mit dem zuständigen Ausschuß des Landtages erlassen.
Düsseldorf, den 11. Februar 1949.
Die Landesregierung des Landes Nordrhein-Westfalen
Der Ministerpräsident:
Der Innenminister:
Arnold.
Dr. Menzel.
Diese Zeichnung wurde dem Buch »Schlegelkeller« von Karl Schwesig entnommen.
Als ich bei der nächsten Sitzung die Bescheinigung vorlegte, kamen die anderen Kammermitglieder aus dem Staunen nicht heraus. Was mußte die KPD doch für einen Apparat haben, daß sie solch konkrete Angaben machen konnte. Die Kammer beschloß mit Mehrheit, dem Antragsteller Köster aus Kleve die Haftentschädigung zuzubilligen.
Doch damit war die Angelegenheit noch nicht zu Ende. Es mehrten sich Beschwerden, was Dr. Frenkel, Leiter des Landesamtes für Wiedergutmachung und KPD-Mitglied, veranlaßte, den folgenden Rundbrief an die »Ämter für Wiedergutmachung« der Kreis- und Stadtverwaltungen zu schicken:
»Düsseldorf, den 27. April 1950
Erlaß Nr. 16/50
Betr. Haftentschädigung
1.In der letzten Zeit häufen sich die Fälle, in denen die Vertreter des öffentlichen Interesses deswegen Beschwerde gegen die Entscheidung der Haftentschädigungsausschüsse einlegen, weil sie Bedenken wegen der Rechtmäßigkeit der Anerkennung haben.
Ein derartiges Vorgehen ist m. E. darauf zurückzuführen, daß die Leiter der Ämter für Wiedergutmachung entgegen den klaren Weisungen, die ich erteilt habe, die Akten nicht prüfen, bevor sie sie den Haftentschädigungsausschüssen vorlegen. Wenn bei dieser vorgeschriebenen Vorprüfung Zweifel bezüglich der Anerkennung entstehen, ist es Pflicht des Leiters des Amtes für Wiedergutmachung, die Anerkennungsakte dem Kreissonderhilfsausschuß oder evtl. der Bezirksberufungskammer zwecks sofortiger Überprüfung vorzulegen. In den Fällen, in denen die Bezirksberufungskammer bereits entschieden hat, müssen die Akten der Landesberufungskammer vorgelegt werden. Die Entscheidungen der Landesberufungskammer sind nur dann zur Nachprüfung vorzulegen, wenn sich diese Maßnahme durch neue Tatsachen … rechtfertigt.
2.Die mir vorgelegten Anträge auf Haftentschädigung lassen sehr oft die notwendige Sorgfalt vermissen. Ich sehe mich immer wieder gezwungen, Anträge und Beschlüsse zurückzusenden, weil sie Formfehler enthalten. Die hierdurch entstehende Mehrarbeit ist so groß, daß sie den reibungslosen Ablauf der Auszahlung der Haftentschädigungen empfindlich stört.
Ich bitte daher nochmals, darauf zu achten, daß mit größter Sorgfalt alle Formvorschriften beachtet werden.
Im Auftrage:
gez. Frenkel«
Wenn auch die Kammer für Haftentschädigung in diesem Fall nicht unmittelbar betroffen war, so spitzten sich doch auch hier die Widersprüche zu. Das veranlaßte mich, an Dr. Rüberg, Landtagsabgeordneter der FDP, zu schreiben. Ich achtete ihn wegen seiner positiven Mitarbeit im Interesse der Opfer des Naziregimes. Doch in der letzten Zeit war er so beschäftigt gewesen mit anderen Aufgaben, daß er nicht an den Kammersitzungen teilnehmen konnte.
»Solingen-Ohligs, den 1. Juni 1950
Sehr geehrter Herr Doktor!
Die letzten Sitzungen der Kammer für Haftentschädigung geben mir Veranlassung, Sie auf eine Entwicklung aufmerksam zu machen, die die einheitliche Rechtsprechung in der Kammer gefährden könnte.
Sie haben in dem Kleinen Ausschuß des Landtages an der Durchführungsbestimmung mitgearbeitet und sind der Auffassung, daß der Ausdruck Machtbereich nicht so eng ausgelegt werden dürfte. Auf dieser Grundlage waren wir uns vor Monaten grundsätzlich einig, daß auch das illegale Leben im Ausland vor der Besetzung durch deutsche Truppen dann anerkannt werden müßte, wenn die politischen Voraussetzungen dafür gegeben sind und das Beweismaterial ausreichend vorhanden ist. In diesem Sinne wurden die Fälle Volz, Wascher, Lehnert und die Internierung Vespers in Schweden positiv entschieden. In letzter Zeit wurde gegen meine Stimme in einigen Fällen entgegengesetzt entschieden.
Kennzeichnend ist besonders der Fall Becker, Mitglied des Landesvorstands der KPD, der ablehnend behandelt wurde, obwohl die politischen Voraussetzungen und das Beweismaterial noch konkreter waren, als das im Falle Wascher bei der Beschlußfassung vorliegende. Becker wird Klage beim Verwaltungsgericht erheben und es wird dabei die gegensätzliche Rechtsprechung zum Ausdruck kommen.
Ich mache Sie auf diese neuerliche Entwicklung in der Kammer aufmerksam, weil ich es sehr begrüßen würde, wenn Sie wieder in der Kammer mitarbeiten würden, damit eine einheitliche Rechtsprechung gewahrt bleibt. Ich teile Ihnen dieses vertraulich mit und bitte um Ihre Meinung.
Hochachtungsvoll
Dickhut«
Dr. Rüberg antwortete prompt:
In der Tat waren die Fälle besonders kompliziert, bei denen es um illegales Leben im westlichen Ausland ging. Der Kammer lag eine Begutachtung vor, die als Richtlinie gelten konnte. Ich bringe hier nur die erste und letzte Seite des insgesamt siebenseitigen Textes, um die Schwierigkeiten bei der Beurteilung und Entscheidung deutlich zu machen.
»Illegales Leben
Hier: Illegales Leben von politisch Verfolgten in den westlichen Ländern vor der Besetzung durch deutsche Truppen bei Beginn des Krieges.
Das Gesetz über die Entschädigung für Freiheitsentziehung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen vom 11. Februar 1949 setzt im § 4e illegales Leben, um sich nationalsozialistischen Verfolgungen aus den in § 1 benannten Gründen zu entziehen, der Freiheitsentziehung gleich.
Die 1. DVO vom 12. Mai 1949 zum Gesetz sagt …, daß Freiheitsentziehung als vollzogen gilt, wenn sie innerhalb des deutschen Machtbereiches erfolgt ist. Hierzu gehören auch diejenigen Gebiete, in denen die nationalsozialistische Herrschaft die Hoheitsgewalt unmittelbar oder mittelbar oder durch militärische Besetzung ausübte, z. B. auch das gesamte französische Festland, Italien, Rumänien und die nordafrikanische Küste.
Aus den Anträgen für Haftentschädigung … ist ersichtlich, daß die Antragsteller, soweit sie aus politischen Gründen über die deutschen Grenzen ins Saargebiet, nach Holland, Belgien, Frankreich und auch in die Schweiz flüchteten, ihr Leben aus diesen Gründen als illegales bezeichneten und aufgrund des Gesetzes dafür Entschädigungsansprüche geltend machten. Die Antragsteller betrachteten diese Länder als zum deutschen Machtbereich gehörig, in denen sie Gefahr liefen, verhaftet und den deutschen Behörden übergeben zu werden.
Aus den ersten Beschlüssen der Haftentschädigungsausschüsse zu diesen Tatbeständen geht hervor, daß die Ausschüsse diese Ansicht teilten und zu Gunsten der Antragsteller entschieden … Die Kammer … legt heute bei der Urteilsfindung die nachfolgenden Maßstäbe an: Der Antragsteller muß nachweisen,
1.daß er den Tatbestand des Hochverrats erfüllt hat und aus diesem Grunde in das Ausland flüchtete,
2.daß er jenseits der deutschen Grenze den Tatbestand des Hochverrats in fortgesetzter Handlung erfüllt hat.
Hier geht die Kammer von der gewonnenen Erkenntnis aus, daß der angeführte Tatbestand kaum jemals allein, sondern immer nur in Verbindung mit einer politischen Organisation sich vollzogen haben kann. Der Antragsteller muß daher nachweisen, daß er Mitglied einer solchen Partei war …
5.daß sich infolge des geführten Kampfes sein Leben unter Bedingungen vollzogen hat, die denen der Haft gleichkamen. Seine Lebensweise muß so eingeschränkt gewesen sein, daß er bildlich gesprochen den ›abgeschlossenen Raum‹ mit sich herumgetragen hat.«
Den CDU-Scharfmachern, die Rückendeckung bei der reaktionären Adenauerregierung fanden, paßte weder, daß der Leiter des Landesamtes für Wiedergutmachung, Dr. Frenkel, ein Kommunist war, noch daß die Kammern weitgehend aus ehrlichen Antifaschisten zusammengesetzt waren. Sie versuchten, die Arbeit der Kammer für Haftentschädigung empfindlich zu stören. Von dem CDUler Lütsches inspiriert, schrieb das kurzzeitige Mitglied der Kammer, Bernhard Haak, am 9. Mai 1950 einen vier Seiten langen Brief an den Landesinnenminister und beschwerte sich über die Arbeit der Kammer. Auszüge dieses Briefes gebe ich hier wieder:
»Wenn ich mir als Mitglied der Kammer für Haftentschädigung der politisch Verfolgten erlaube Ihnen, sehr geehrter Herr Minister, meine persönliche Ansicht über den Wert der von dieser Kammer gefällten Entscheidungen zu unterbreiten, so geschieht dieses in der Absicht, hiermit der Allgemeinheit zu dienen, die ja die Millionen, die für Haftentschädigungszwecke bereits gezahlt worden sind und weiterhin noch gezahlt werden, aufbringen muß, und die ein unbedingtes Recht darauf besitzt, daß vollste Gewähr dafür gegeben wird, daß jeder in Betracht kommende Fall mit äußerster Sorgfalt geführt wird.
Diese unbedingt notwendige Sorgfalt habe ich bereits in der ersten Kammersitzung, an der ich teilnahm, vermißt …
Es handelt sich ja schließlich um Millionenbeträge, die aus Steuergeldern des Volkes aufgebracht werden müssen und über deren Höhe in der Presse bereits heftige Vorwürfe erhoben worden sind …
Nach meiner Auffassung läßt die Kammer für Haftentschädigung diese Sorgfalt vermissen, von einer äußersten Sorgfalt gar nicht zu sprechen.
Dafür folgendes Beispiel:
Der zweite zur Entscheidung stehende Fall betraf einen Herrn Dietrich Köster aus Kleve. Köster ist Mitglied der KPD und hat 9 kriminelle Vorstrafen.
Der Vertreter des Landesinteresses hatte gegen den Beschluß des Haftentschädigungsausschusses Beschwerde eingelegt, da er die beigebrachten Bescheinigungen – und zwar mit Recht – nicht als vollgültige Beweise ansah, da sie lediglich auf Angaben des Antragstellers beruhten und hinsichtlich des Entlassungstages kein ausreichender Beweis beigebracht worden war. Zur Kammersitzung hatte Köster zwei weitere eidesstattliche Erklärungen eingereicht, die besagten, daß Köster in der Zeit vom 28. 2. 1933 bis 14. 9. 1933 im Gefängnis in Kleve war.
Zunächst sei mir gestattet, meine Auffassung über den Wert von eidesstattlichen Erklärungen dahin zu präzisieren, daß ich sie im Hinblick auf die heutige Moral nur sehr, sehr gering als Beweismittel ansehe, besonders wenn es sich um größere Geldsummen handelt.
Wenn sie aber, wie im vorliegenden Fall, aus dem Bekanntenkreis eines 9mal vorbestraften Mannes stammen, stehe ich ihnen mit äußerster Skepsis gegenüber …
Auffallend mußte der Kammer auch gewesen sein, daß diese Zeugen sogar nach einem Zeitraum von 17 Jahren noch derartig positive Angaben machen konnten.
Nach meiner Auffassung, die auch von Herren aus Juristen-Kreisen geteilt wird, hat die Kammer in diesem wesentlichen Punkt versagt! Gegen meine Stimme wurde dem Haftentschädigungsantrag des Herrn Köster für die Dauer der von ihm angegebenen Zeit von der Kammer entsprochen.
Daraufhin erklärte ich meinen sofortigen Austritt aus der Kammer, da ich in der kurzen Zeit schon zu der Überzeugung gelangt war, daß sie, sei es aus Unkenntnis, Indolenz oder aus anderen Gründen in keiner Weise geeignet ist, außer den Interessen der Nazi-Verfolgten auch noch die Interessen des Staates, des Geldgebers, wirklich zu vertreten …
Wenn man weiter bedenkt, daß diese Millionen zum größten Teil in die Hände von Mitgliedern einer Partei gelangt sind, die den Landesverrat auf ihre Fahnen geschrieben hat, und daß diese Partei von jedem der betreffenden Mitglieder einen zehnprozentigen Zoll verlangt, der dann zur Unterminierung unserer jungen Demokratie verwandt wird, so muß ich mit tiefem Ernst sagen, daß eine Kammer, die durch ihre, gelinde gesagt, juristische Nonchalance (Nachlässigkeit – W. D.), mit der sie Entscheidungen trifft, eine schwere Schuld auf sich geladen hat!
Da die Angelegenheit nach meiner Auffassung von eminent wichtiger Bedeutung ist, erlaube ich mir anzugeben, was, von meinem Standpunkt aus gesehen, jetzt das Gebot der Stunde ist:
1.Sofortige juristische Prüfung meiner Eingabe und für den Fall, daß man meiner Ansicht beipflichtet,
2.Stornierung des § 2 der Durchführungsverordnung vom 12. Mai 1949, wonach der Entschädigungsausschuß aus je einem Vertreter der in Nordrhein-Westfalen bestehenden politischen Parteien bestehen soll.
3.Im Anschluß hieran sofortige Auflösung der Kammer für Haftentschädigung und Übertragung ihrer Funktionen auf eine neu gebildete Kammer, die aus Juristen zusammengesetzt ist.
4.Juristische Überprüfung sämtlicher bis heute zur Auszahlung gekommenen Fälle, um festzustellen, ob die in der Presse erhobenen Vorwürfe, daß Riesenbeträge zu Unrecht ausbezahlt wurden, berechtigt sind und, bejahendenfalls, sofortige Ergreifung von Sicherungsmaßnahmen.
5.Keine weiteren Auszahlungen, bevor die von der Kammer bereits genehmigten, aber noch nicht zur Auszahlung gekommenen Fälle juristisch überprüft worden sind …
Daß durch eine solch rein fachmännische Bearbeitung der noch ausstehenden Fälle Unsummen gespart werden können, kann wohl als feststehend betrachtet werden. Jede Einsparung ist aber im Interesse der Landesfinanzen dringend notwendig ...
Genehmigen Sie, sehr geehrter Herr Innenminister, den Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung
Ihr sehr ergebener gez. B. Haak«
Es ging dem Briefschreiber und seinen CDU-Hintermännern überhaupt nicht in erster Linie um die angeblich einzusparenden Millionen, sondern um die Auflösung der Kammern in der bestehenden Form. Statt Antifaschisten aus verschiedenen Parteien sollten bürgerliche Juristen über die Haftentschädigungen entscheiden.
Der Brief von B. Haak war der erste organisierte Vorstoß der CDU, und sein Austritt aus der Kammer sollte ein Druckmittel sein. Ein paar Wochen später folgte der zweite Vorstoß, diesmal durch den CDU-Landtagsabgeordneten Lütsches. In einem Brief an Dr. Lüders vom Bundesinnenministerium heißt es:
»Betr. Haftentschädigung im Lande Nordrhein-Westfalen
Sehr geehrter Herr Dr. Lüders!
Bei der Verabschiedung des Haftentschädigungsgesetzes hat der Landtag von Nordrhein-Westfalen m. E. seine Sorgfaltspflicht verletzt. Der anliegende Bericht ist, mit seiner Anlage, sicherlich geeignet, Ihre Aufmerksamkeit zu erlangen.
Ich bitte, hiervon auch Herrn Bundesinnenminister Dr. Dr. h. c. Gustav Heinemann Kenntnis zu geben.
Mit vorzüglicher Hochachtung«
Als Anlage schickte er die folgende Stellungnahme mit:
»Haftentschädigung im Lande Nordrhein-Westfalen
Aufgrund des Gesetzes für Freiheitsentziehung … wird den Antragsberechtigten eine Entschädigung von 150,– DM je Haftmonat vergütet …
Das Gesetz weist sehr große Mängel auf. Es eröffnet Betrügereien Tor und Tür. Der Landtag von Nordrhein-Westfalen ist bei seiner Entscheidung den Intentionen (Plänen – W. D.) des kommunistischen Ministerialdirigenten Dr. Marcel Frenkel erlegen.
Ein praktisches Beispiel für die mangelhafte Handhabung des Gesetzes bildet die Beschwerde des Vorsitzenden des Bundes der Verfolgten des Naziregimes, Ortsverband Duisburg, Bernhard Haak, die diesem Berichte in Abschrift beiliegt …
Ich mache meiner eigenen Partei, das heißt der Fraktion der CDU des Landtages von Nordrhein-Westfalen zum Vorwurf, daß sie mich bei der Vorbereitung des Gesetzes nicht ein einziges Mal zu Rate gezogen hat, obschon sie wußte, daß ich genauer Kenner der Materie war …
Ich halte es für dringend geboten, daß der Landtag von Nordrhein-Westfalen einen Ausschuß von nicht-kommunistischen Juristen unter Hinzuziehung von nicht-kommunistischen Verfolgten des Naziregimes ins Leben ruft, der sich der Mühe unterzieht, etwa 5 000 Anträge von kommunistischen Naziverfolgten nachzuprüfen …«
Dieses war auch ein Angriff direkt auf Dr. Frenkel. Er schickte den Kammermitgliedern die Briefe von Lütsches und Haak als Kopie mit der Bitte um Stellungnahme zu.
Frau Plappert, SPD, war die Vorsitzende der Kammer für Haftentschädigung. Sie übernahm die Ausarbeitung einer Stellungnahme der Kammer, in der die üble Rolle der beiden CDU-Scharfmacher treffend gekennzeichnet wurde. Ich möchte hier den einheitlichen Willen der Kammermitglieder hervorheben, solch üblen Intriganten ihr Handwerk zu legen, deren Ziel es war, die von den Parteien ernannten Kammermitglieder durch Juristen zu ersetzen. Dieser Plan war mißlungen.
»Duisburg, den 10. August 1950
Kammer für Haftentschädigung
Betr.: Eingabe der Herren Lütsches und Haak gegen die Kammer für Haftentschädigung
Zu den den einzelnen Mitgliedern der Kammer für Haftentschädigung zugeleiteten Photokopien der Eingaben der Herren Haak und Lütsches nimmt die Kammer wie folgt Stellung:
Einer Kritik an den Bestimmungen des Gesetzes und den daraus gezogenen Folgerungen enthält sich die Kammer, da ihre Mitglieder von ihren Parteien lediglich beauftragt wurden, dieses Gesetz anzuwenden. Für Bestimmungen und Charakter des Gesetzes ist der zu seiner Bildung berufene Sonderausschuß des Landtages verantwortlich, in dem alle Parteien vertreten waren. Die Kammer hat daher beschlossen, es jedem ihrer Mitglieder zu überlassen, ob es sich hinsichtlich der politischen Gesichtspunkte, die in den beiden Eingaben angesprochen wurden, mit seiner Partei in Verbindung setzen will.
Herr Haak war am 9. Mai, als er seine Eingabe an den Herrn Innenminister des Landes NRW ›als Mitglied der Kammer für Haftentschädigung‹ abfaßte, bereits nicht mehr Mitglied dieser Kammer. Er war vielmehr – wie aus der gleichen Eingabe hervorgeht – bereits nach anderthalbstündiger Mitgliedschaft und Tätigkeit bei der Kammer am 3. Mai ausgeschieden. Er hat im Augenblick seines Erscheinens zu dieser ersten und einzigen Sitzung der Kammer, bei der er zugegen war, weder vom Haftentschädigungsgesetz, viel weniger von der Verordnung Nr. 165 oder der Zonenanweisung 2900 Kenntnis gehabt. Die Arbeitsweise der Kammer nach Anhören von 2 Beschwerdefällen beurteilen zu wollen, dürfte kaum möglich sein. Daher muß die Kammer mit aller Entschiedenheit den Vorwurf des Herrn Haak zurückweisen, sie lasse die gebotene Sorgfalt oder äußerste Sorgfalt vermissen.
Die Behauptung des Herrn Haak, die Kammer hätte bei dem Falle Köster sein Verlangen nach Einholen einer Bestätigung aus Zeitmangel nicht berücksichtigt, ist eine Entstellung. Die Kammer hat vielmehr auf eine solche Bestätigung verzichtet, weil 1. den Herren aus ihrer Praxis bereits bei der überwiegenden Mehrzahl der Orte bekannt ist, ob noch Unterlagen vorhanden oder ob sie durch Kriegseinwirkung vernichtet worden sind, 2. die Ämter für Wiedergutmachung verpflichtet sind, von sich aus alle erreichbaren amtlichen Unterlagen beizubringen, und 3. gerade im Falle Kleve auf Grund eines bereits entschiedenen Falles bekannt war, daß die entsprechenden Akten in Kleve vernichtet waren. Diese Tatsachen wurden Herrn Haak im Laufe der Beratung mitgeteilt.