Was heißt unternehmerische Verantwortung heute? -  - E-Book

Was heißt unternehmerische Verantwortung heute? E-Book

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Beschreibung

Das oberste Ziel eines Unternehmens sollte sein, einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten, forderte der "Jahrhundertunternehmer" und Stifter Reinhard Mohn. Wie aber kann diese Forderung erfüllt werden? Es ist höchste Zeit, dass alle Unternehmen verantwortungsvoll für die Allgemeinheit handeln. Doch was genau heißt das in der heutigen Zeit? Zum 100. Geburtstag Reinhard Mohns greift dieser Band zeitlose und zugleich hochaktuelle Themen auf, die zentral für die Führungsphilosophie Mohns waren: Menschlichkeit, Partnerschaft, Partizipation, Werteorientierung und Unternehmertum im Dienste der Gesellschaft. Das Buch versammelt hierzu die Gedanken von Menschen aus der Wissenschaft, der Unternehmenspraxis und dem persönlichen Umfeld Reinhard Mohns. Sie zeigen nachdrücklich, wie wichtig unternehmerische Verantwortung heute ist und wie sie in Zukunft gelebt werden kann. Unter anderem mit Beiträgen aus den Vorständen von Bertelsmann, Otto Group und BASF, mit Erinnerungen von Liz Mohn und Brigitte Mohn sowie mit differenzierten Rück- und Ausblicken führender Fachleute inspiriert das Buch alle, die wie Reinhard Mohn in Wirtschaft und Gesellschaft etwas bewegen wollen.

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Seitenzahl: 284

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Ähnliche


Reinhard-Mohn-Institut für Unternehmensführung (Hrsg.)

Was heißt unternehmerische Verantwortung heute?

Reflexionen zum 100. Geburtstag Reinhard Mohns

INHALT

Vorwort

LIZ MOHN

I

WARUM BRAUCHT EIN UNTERNEHMEN WERTE?

IMMANUEL HERMRECK

Von Reinhard Mohn lernen

II

WELCHE GRUNDWERTE FÖRDERN UNTERNEHMERISCHE VERANTWORTUNG?

MARTIN BUTZLAFF

Reinhard Mohn und die Universität Witten/Herdecke

III

WORIN BESTEHT DER PARTNERSCHAFTLICHE ANSATZ REINHARD MOHNS?

GUIDO MÖLLERING

Partnerschaft: Reinhard Mohns Erfolgsrezept

IV

WELCHE ÜBERZEUGUNGEN PRÄGTEN DIE FÜHRUNGSPHILOSOPHIE REINHARD MOHNS?

MARTIN SPILKER

»Ich denke gern« – Anmerkungen zur Führungsphilosophie Reinhard Mohns

V

WIE PARTIZIPATIV SIND GÄNGIGE FÜHRUNGSKONZEPTE?

JÜRGEN WEIBLER

Zur Rolle von Partizipation in Führungskonzepten früher und heute

VI

WAS SIND DIE HEUTIGEN HERAUSFORDERUNGEN FÜR FÜHRUNGSKRÄFTE?

HERMANN SIMON

Der »Jahrhundertunternehmer« Reinhard Mohn und moderne Führungsherausforderungen

VII

WELCHE BEDEUTUNG HAT PARTIZIPATION ZUKÜNFTIG?

JOHN CHILD UND GUIDO MÖLLERING

Partizipation in Unternehmen in der Zukunft nach Corona

VIII

WELCHE ROLLE SPIELT DIE UNTERNEHMENSKULTUR?

ALEXANDER BIRKEN

Die Unternehmenskultur ist der Umsatz der Zukunft

IX

WIE HABEN SICH DIE VORSTELLUNGEN VON VERANTWORTUNG ENTWICKELT?

ANDREAS RASCHE

Unternehmerische Verantwortung und Nachhaltigkeit: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

X

WELCHES UMDENKEN BRAUCHT DIE WIRTSCHAFT?

SAORI DUBOURG

Der Musterwechsel – Verantwortungsvoll in eine ressourcenschonende Wirtschaft

XI

WAS IST DER KONTEXT UNTERNEHMERISCHER VERANTWORTUNG?

ANDRE HABISCH UND MARTIN WILDNER

Verantwortung von Unternehmen in der globalisierten Welt

XII

WIE LÄSST SICH UNTERNEHMERISCHE VERANTWORTUNG FÖRDERN?

BIRGIT RIESS, JULIA SCHEERER UND JAKOB KUNZLMANN

Verantwortungsvolles Unternehmertum fördern – Handlungsempfehlungen für Unternehmen und Politik

XIII

WELCHEN BEITRAG KANN WISSENSCHAFT ZUR VERANTWORTUNGSBEREITSCHAFT LEISTEN?

GUIDO MÖLLERING UND HENDRIK WILHELM

Unternehmerische Verantwortung in Forschung, Lehre und Praxisdialog

XIV

WAS TREIBT ZUKUNFTSGESTALTER AN?

BRIGITTE MOHN

Geh deinen Weg und vergiss nicht, Maß zu halten

KURZBIOGRAFIE

Reinhard Mohn (1921–2009)

DIE AUTOR: INNEN

ABSTRACT

Vorwort

LIZ MOHN

Was macht gute Führung aus? Was lässt Führungskräfte erfolgreich werden, was lässt sie scheitern? Welche Kompetenzen und Eigenschaften braucht eine Führungskraft? Innerhalb welcher Organisationsstrukturen kann Führung optimal ihre Aufgaben erfüllen und Entscheidungen fällen? Das sind Fragen, die über Generationen hinweg Wissenschaftler:innen wie auch Praktiker:innen beschäftigt haben. Auch mein Mann Reinhard Mohn hat sich zeitlebens als Unternehmer, Stifter und Bürger mit diesen Fragen auseinandergesetzt und nach innovativen Lösungen und Modellen gesucht.

Aus seinen Erfahrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit heraus und beim Aufbau von Bertelsmann hat er eine Führungsphilosophie und Unternehmenskultur entwickelt, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. »Was braucht der Mensch?« – diese Frage hat ihn in seinem Denken und Handeln geleitet. Die Antworten mündeten in seiner Überzeugung, dass durch die Delegation von Verantwortung auf der Basis dezentraler Strukturen, durch die Mitsprache am Arbeitsplatz und die Beteiligung am Erfolg die Leistungsbereitschaft, Motivation und Kreativität von Mitarbeitenden freigesetzt wird, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können.

Voraussetzung dafür ist die Identifikation der Mitarbeitenden mit den Zielen des Unternehmens und den jeweiligen Aufgaben. Dazu bedarf es einer hohen Übereinstimmung gemeinsamer Werte. Dazu bedarf es auch einer tragfähigen Vertrauensbasis durch den sachbezogenen Dialog. Es bedarf zudem eines klaren Bekenntnisses zur Übernahme von Verantwortung – der Führung gegenüber den Mitarbeitenden, der Mitarbeitenden gegenüber dem Unternehmen und nicht zuletzt auch des Unternehmens gegenüber der Gesellschaft.

Die Erbringung eines Leistungsbeitrages für die Gesellschaft als oberstes Ziel eines Unternehmens, wie es mein Mann formulierte, geht über das heutige Verständnis der Corporate Social Responsibility hinaus und nimmt die Diskussion der Kontinuität eines Unternehmens und der Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft vorweg. Ein Unternehmen erhält viel an Ressourcen aus der Gesellschaft; es sollte ihr auch etwas zurückgeben – so seine Überzeugung. Verbunden mit der Forderung aus dem Grundgesetz, »Eigentum verpflichtet«, bildete dies nicht nur für ihn zu seinen Lebzeiten, sondern darüber hinaus auch für mich und meine Familie bis heute den Wertekanon für verantwortungsvolles Unternehmertum.

Doch als Reinhard Mohn anfing, über diese Fragen einer zeitgemäßen Führung, einer partnerschaftlichen Unternehmenskultur und der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen nachzudenken, war die Welt noch eine andere. Es gab noch den Eisernen Vorhang, vom Aufstieg Chinas war noch keine Rede. Auch die Arbeitswelt war eine andere. Kommunikations-, Produktions- und Arbeitsprozesse waren noch nicht von den heutigen Errungenschaften der Digitalisierung geprägt. Trotzdem bleiben meines Erachtens seine Ansichten über eine auf den Menschen ausgerichtete Führung zeitlos. Wahrscheinlich sind sie sogar aktueller denn je, wie es die Beiträge in diesem Buch deutlich machen.

Ja, aktuell steht unsere Welt vor großen Herausforderungen. Durch die Digitalisierung befinden wir uns mitten in einer technologischen Transformation, die unsere Art zu leben und zu arbeiten verändern wird. Die Globalisierung hat zwar vielen Menschen aus der Armut verholfen, aber die Ungleichheiten zwischen Nationen und innerhalb von Gesellschaften nicht verringert. Die Rückkehr zum Nationalismus hat nicht nur die Volkswirtschaften verändert, sondern durch den Populismus in vielen Teilen der Erde die Demokratie herausgefordert. Auch um den Frieden in der Welt ist es schlecht bestellt. Zudem hat uns die Corona-Pandemie die Verletzlichkeit der Menschheit vor Augen geführt.

Wir leben in einer zerrissenen Welt. Verlieren allerdings dadurch die Führungsphilosophie Reinhard Mohns und seine Grundsätze zur gesellschaftlichen Verantwortung eines Unternehmens an Bedeutung? Sind sie noch relevant oder muss in solchen herausfordernden Zeiten Führung neu gedacht werden? Verlangen solche teils dramatischen Entwicklungen nicht sogar nach einer neuen Aufbruchsstimmung in Wirtschaft und Gesellschaft?

Es ist meine Überzeugung, dass Unternehmen bei der Transformation eine wichtige Rolle zukommt. Führungskräfte werden in einem Spannungsfeld agieren, um Mitarbeitende einerseits in einer schnelllebigen, komplexen und zunehmend virtuellen Arbeitswelt zu motivieren, ihnen andererseits aber auch Sicherheit zu vermitteln.

Sicherlich werden wir auch in den nächsten Jahren mit vielen Umbrüchen und Unsicherheiten leben müssen. Niemand von uns weiß, was in den nächsten Monaten passiert – niemand von uns weiß, was morgen ist.

Aber es gibt Lichtblicke. Die vergangenen Wochen und Monate haben gezeigt, dass wir anders leben und arbeiten können als früher – und das werden wir wohl auch in Zukunft weiterhin tun. Es hat sich gezeigt, zu welchen Leistungen, aber auch zu welchen Veränderungen viele Menschen fähig sind. Die letzte Zeit hat aber auch dazu beigetragen, sich selbst und seine Lebensziele zu hinterfragen, und geholfen, sich der eigenen Verantwortung bewusst zu werden. Diese Zeit war der Auslöser, unsere bisherige Wirtschaftsweise auf den Prüfstand zu stellen und das Bild des Unternehmers sowie die Verantwortung der Unternehmen in unseren Gesellschaften neu zu diskutieren.

Wir leben in einer historischen Phase für die gesamte Menschheit. Noch nie haben wir einen so umfassenden und einschneidenden Wandel in der Welt erlebt. Heute können und müssen wir entscheiden, wie wir das Morgen gestalten. Dafür braucht es Führung auf allen Ebenen und in allen Gesellschaftsbereichen! In der Politik ebenso wie in der Wirtschaft. Dazu muss es uns gelingen, Gemeinschaft zu leben und die Kraft der Menschlichkeit zu nutzen. Wichtig ist, trotz aller Unterschiede eine gemeinsame Wertebasis zu finden. Man muss Kulturen respektieren – so Reinhard Mohn.

Der Zusammenhalt – ob in einem Unternehmen oder in einem Land – ist dafür ein wichtiges Fundament und ein bedeutender Erfolgsfaktor. Reinhard Mohn hat diese Erfahrung von Teamgeist und Gemeinschaft in den Aufbaujahren von Bertelsmann erlebt. Er hat auch erlebt, dass es hilft, mit Hoffnung in die Zukunft zu schauen, und wie wichtig es ist, wenn Menschen die Sorgen genommen werden können. Er hat daraus die Lehren für eine partnerschaftliche Unternehmenskultur gezogen – und meines Erachtens sind diese Gedanken zur Verantwortung eines Unternehmens und Unternehmers sowie diese partizipative Form der Führung aktueller denn je.

Wir müssen diesen Herausforderungen, vor denen die Welt steht, mit Tatkraft und Zuversicht begegnen. Es ist jetzt an der Zeit, eine neue Aufbruchsstimmung in unsere Unternehmen und in unser Land zu tragen. Wir müssen global mit- und voneinander lernen und gemeinsam handeln. Dies verlangt Rücksichtnahme, Durchhaltevermögen und gegenseitiges Verständnis. Denn dies schafft Vertrauen und lässt die Welt wieder mehr zusammenwachsen. Und es braucht dazu wieder mehr und auch neue Vorbilder in der Frage von Führung in Wirtschaft, in Politik und in den Gesellschaften.

Was für eine Herausforderung – aber auch was für eine Chance! Wir alle können unseren Beitrag dazu leisten. Mit den Beiträgen in dem Buch »Was heißt unternehmerische Verantwortung heute? Reflexionen zum 100. Geburtstag Reinhard Mohns« möchten wir nicht nur an die Führungsphilosophie eines herausragenden Unternehmers erinnern, sondern auch Führungskräfte ermutigen und ihnen einen Kompass bieten, sich den zahlreichen Herausforderungen mutig und verantwortungsvoll zu stellen. Denn es gilt: »Wir haben nur diese eine Welt!«

Liz Mohn

Mitglied der Gesellschafterversammlung der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft mbH (BVG), Mitglied des Kuratoriums des Reinhard-Mohn-Instituts für Unternehmensführung an der Universität Witten/Herdecke

I

WARUM BRAUCHT EIN UNTERNEHMEN WERTE?

I

Von Reinhard Mohn lernen

IMMANUEL HERMRECK

»Von der Welt lernen« – so heißt das letzte Buch Reinhard Mohns. Erschienen ist es im Jahr 2008. Schon der Titel ist Ausdruck einer tiefen Überzeugung, dass der Mensch ein Leben lang lernen kann und muss – von anderen oder eben auch von der ganzen Welt. Nach diesem Credo hat Reinhard Mohn gelebt. Er wollte lernen, wie man Dinge besser machen kann. Um sie selbst anschließend besser zu machen. Die Frage, die sich mir als Personalvorstand von Bertelsmann immer aufs Neue stellt, ist jedoch die umgekehrte: Was kann die Welt von Reinhard Mohn lernen? Wo war er ein Vorbild?

Dass wir alle auch 100 Jahre nach seiner Geburt und zwölf Jahre nach seinem Tod noch vieles von Reinhard Mohn lernen können, steht für mich außer Frage, zumal ich den Stifter und Nachkriegsgründer von Bertelsmann noch selbst erleben durfte und von ihm starke, bleibende Impulse für meine Arbeit bekommen habe. Das gilt vor allem für Fragen der Unternehmenskultur und für die Erkenntnis, wie wichtig es für ein Unternehmen ist, Sinn und Werte klar zu definieren und sie dann täglich neu zu leben.

Schon im Januar 1946 hat Reinhard Mohn seine Vorstellung von einem modernen Unternehmen skizziert als »eine Arbeitswelt, in der jeder Mitarbeiter seine Ideen einbringen soll. Er soll mitsprechen, Verantwortung tragen und am Wohlergehen seiner Firma beteiligt sein.« Verantwortung, Mitsprache und Teilhabe – aus diesen drei Ideen eines damals 25-jährigen jungen Unternehmers sollten die Eckpfeiler der partnerschaftlichen Unternehmenskultur werden, die Mohn in den folgenden Jahren und Jahrzehnten immer weiter ausarbeitete. Es war eine Kultur, die wegweisend in Deutschland wurde und wesentlich für den Erfolg von Bertelsmann. Im Unternehmen setzte Reinhard Mohn im Kern auf die Partnerschaft – statt auf den Konflikt – aller Beteiligten.

Allzu oft ist der Gründer hier missverstanden und missinterpretiert worden als Sozialromantiker, Utopist, Revolutionär oder gar als »roter Mohn«. Belege für eine solche Geisteshaltung gibt es keinen einzigen. Eher war das Gegenteil der Fall: Reinhard Mohn wollte um jeden Preis den wirtschaftlichen Erfolg seines Unternehmens. Aber er glaubte, dass er ihn auf Basis einer partnerschaftlichen Unternehmenskultur am besten würde erreichen können.

So war Partnerschaft keineswegs eine Einladung, sich entspannt zurückzulehnen – vielmehr war es eine permanente Herausforderung. Vor allem an die Führung. Mohn brauchte Führungskräfte, denen er Verantwortung übertragen konnte und die ihrerseits bereit waren, anderen Verantwortung zu übertragen, ihnen zu vertrauen. Das wiederum war, im autoritären Nachkriegsdeutschland zumal, wirklich revolutionär. Statt Führungskräfte mit der Macht auszustatten, Entscheidungen zu fällen, gab er ihnen den Auftrag, Entscheidungen im Dialog zu finden, damit am Ende stets die für das Unternehmen jeweils beste Lösung stand.

Letzteres war Mohns Maxime: Er war immer auf der Suche nach der besten Lösung. Fand er sie irgendwo, übertrug er sie auf Bertelsmann. Fand er sie nicht, feilte und dachte er so lange weiter, bis er sie selbst entwickelt hatte. Mit einer zweitbesten Lösung gab er sich nicht zufrieden. Dafür gibt es in der Geschichte von Bertelsmann seit dem Zweiten Weltkrieg viele Beispiele. Und das ist für mich heute noch maßgeblich. Wenn ich nach besten Lösungen für Bertelsmann suche, fühle ich mich dem Denken und dem Erbe Reinhard Mohns persönlich verpflichtet. Und mag aus der Suche nach besten Lösungen manchmal ein Ringen um solche werden – am Ende lohnt es sich immer und für alle Beteiligten. Hier gibt mir Reinhard Mohn wie in vielen anderen unternehmerischen, aber auch gesellschaftlichen Fragen bis heute die Richtung vor.

Und dieser Ansatz lässt sich auch nahtlos auf die gesamte Personalarbeit übertragen, was Reinhard Mohn im Übrigen auch schon selbst getan hat: Um beste Lösungen für Bertelsmann zu entwerfen, brauchte er die besten Führungskräfte, die genau dazu in der Lage waren. Mohn brauchte Leute, die zu Bertelsmann passten, die seine Kultur und Philosophie teilten. Er wusste, dass er diesen Führungskräften ein hohes Maß an Freiraum würde gewähren müssen, damit sie ihre Kreativität und ihr Unternehmertum ausleben und im Sinne jener besten Lösungen einsetzen konnten.

Kreativität und Unternehmertum – nicht von ungefähr wurden diese beiden Faktoren im Laufe der Zeit zu den Bertelsmann Essentials, zu den Werten, die unser Unternehmen ausmachen, auf die sich alles zurückführen und herunterbrechen lässt. Sie sind – von Reinhard Mohn einst definiert – bis heute der Kern von Bertelsmann. Sie zeigen, was uns einzigartig und stark macht und was wir besser können als andere Unternehmen: Menschen in den Mittelpunkt der Wertschöpfung zu stellen, ihnen Verantwortung zu geben und sie anzuspornen, selbst zu entscheiden und die Dinge einfach zu machen. Und das Tag für Tag auf möglichst kreative und innovative Weise, damit unsere Inhalte, Produkte und Dienstleistungen immer aufs Neue alle begeistern: die Kundschaft, die Nutzer:innen, die Leser:innen wie die Hörer:innen oder Zuschauer:innen. Unternehmertum verstehen wir so, dass jede:r Einzelne die Möglichkeit erhält und auch ergreift, etwas zu bewegen. Wer lieber darauf wartet, gesagt zu bekommen, was er tun und lassen soll, ist bei Bertelsmann eher fehl am Platze, und das überall. Doch Menschen, die gestalten wollen und kreativ sind, für die ist Bertelsmann die erste Adresse, egal ob es sich um die Mitarbeiter:innen von heute oder um potenzielle Kolleg:innen von morgen handelt. So verstanden werden die Essentials für Bertelsmann zu Magneten.

Kreativität und Unternehmertum sind hier besonders stark ausgeprägt und in ihrer Kombination sogar einzigartig. Sie stehen im Zentrum allen Handelns und eröffnen im Zusammenspiel immer neue Chancen. Das wiederum ist notwendig für den Erfolg von Bertelsmann. Denn wir arbeiten in einem Unternehmen, in dem es jeden Tag irgendwo darum geht, Inhalte, Lösungen oder Produkte neu zu denken oder zu erfinden – so wie Reinhard Mohn es einst getan hat. Und seine Vorstellung von Partnerschaft und gesellschaftlicher Verantwortung war, ist und bleibt die Grundvoraussetzung dafür, dass Kreativität und Unternehmertum überhaupt funktionieren können. Sie sind ein nicht verhandelbarer Bestandteil unserer Unternehmenskultur, die im Laufe der Jahre immer wieder dem größer und internationaler gewordenen Bertelsmann angepasst wurde.

Letzten Endes kommt es darauf an, dass die Essentials für jede:n gelten, für jede:n passen und für jede:n anwendbar sind, kurz: dass sich jede:r bei Bertelsmann aus tiefster Überzeugung mit ihnen identifizieren kann. So werden sie zu einer enormen Energiequelle, die motiviert und stolz macht angesichts der Möglichkeit, in diesem Unternehmen kritisch und frei zu denken, Leidenschaft und Neugierde an den Tag zu legen, Innovationsfreude mit Fehlertoleranz zu verbinden. So, wie Reinhard Mohn es von uns verlangt hat oder bis heute hätte.

75 Jahre nachdem Reinhard Mohn den Weg eingeschlagen hat, der zu unseren Essentials führte, hat jedes erfolgreiche Unternehmen in Deutschland und der Welt natürlich seine eigenen Werte definiert. Das ist heute Standard – und es ist überall gleich wichtig. Ohne Wertekanon kommt heutzutage kein Unternehmen mehr aus. Denn in diesen Werten legen Unternehmen fest, wie Menschen bei ihnen miteinander arbeiten. Und das wird gerade für jüngere Bewerber:innen oder Mitarbeiter:innen immer wichtiger. Sie wollen wissen, für wen sie arbeiten, sie wollen klare Orientierung, ob ein Unternehmen für sie interessant ist oder nicht. Wir bei Bertelsmann können ihnen diese Orientierung geben – basierend auf den Ideen eines Mannes, der vor 100 Jahren geboren wurde und als Jahrhundertunternehmer in die Geschichte eingehen sollte. Und der – im Untertitel zu seinem eingangs erwähnten letzten Buch »Von der Welt lernen« – in wenigen Worten uns seine Kernbotschaft vermittelt: »Erfolg durch Menschlichkeit und Freiheit«.

II

WELCHE GRUNDWERTE FÖRDERN UNTERNEHMERISCHE VERANTWORTUNG?

II

Reinhard Mohn und die Universität Witten/Herdecke

MARTIN BUTZLAFF

In einem schlichten Einbauschrank meines Präsidiumsbüros stehen etliche Ordner mit der wichtigsten Korrespondenz aus der Zeit der universitären Gründungsphase vor mehreren Jahrzehnten. Dort findet sich auch ein Brief Reinhard Mohns vom 22. Dezember 1988 an den Gründungspräsidenten Konrad Schily – mit folgendem Zitat: »Mir scheint, daß die in Witten/Herdecke realisierte Form der Kooperation von Vertretern der Wirtschaft mit denen der Wissenschaft ein gutes Fundament für die Konzeption und Gestaltung einer so schwierigen Aufgabe wie der Gründung einer privaten Universität darstellt. Nach wie vor ist mir unzweifelhaft, daß wir mit diesem Vorhaben in Witten/Herdecke eine für unsere Gesellschaft richtungsweisende Investition vorgenommen haben. Getragen von dieser Überzeugung und mit Mut und Fleiß wollen wir auch die kommenden Jahre gestalten.«

Es sind eindrucksvolle und ermutigende Zeilen, die der Vorsitzende des damaligen Direktoriums an den Gründungspräsidenten einer noch sehr jungen privaten Universität schreibt. Zwei Tage vor Weihnachten macht er Mut zum Durchhalten – in Zeiten, die herausfordernd waren für eine junge Hochschule in nicht staatlicher Trägerschaft. Sie zeigen, wie persönlich Reinhard Mohn sich für unsere neu gegründete Universität ideell begeistert und konzeptionell starkgemacht hat. Einflussreiche Menschen wie er haben mit ihrer Unterstützung maßgeblich dazu beigetragen, dass das Experiment einer nicht staatlichen Universität gelingen konnte.

Die Universität Witten/Herdecke (UW/H) wurde 1983 zunächst mit dem Ziel der Reform einer Ärzteausbildung gegründet. Sie wollte die Menschen – Patient:innen wie Ärzt:innen – in den Mittelpunkt des Medizinstudiums stellen. Zentral für diesen Ansatz war, die »echten Probleme« frühzeitig in den Lehrplan zu integrieren, um wissenschaftlich fundierte, praktisch geschulte und vor allem »menschliche« Ärzt:innen hervorzubringen.

Dieses Vorhaben – Wissenschaft und Praxis frühzeitig miteinander zu verbinden und den Menschen als integralen Bestandteil von beidem mitzudenken – hat die Universität auch auf die 1987 gegründete Fakultät für Wirtschaftswissenschaft übertragen. Ziel war und ist es, Wirtschaft nicht nur aus einer individuellen Nutzenmaximierung heraus zu denken, sondern Menschen und Organisationen als Gesellschaftsgestalter:innen ernst und in die Verantwortung zu nehmen.

Reinhard Mohn war von Anfang an ein Befürworter dieses Ansatzes. Dies kam 1991 mit der Gründung des Reinhard-Mohn-Stiftungslehrstuhls an der UW/H besonders deutlich zum Ausdruck. Die Benennung als »Lehrstuhl für Unternehmensführung, Wirtschaftsethik und gesellschaftliche Evolution« war schon damals zukunftsweisend – und ist bis heute handlungsleitend. Insbesondere die Frage nach dem moralischen Wertekompass in der Wirtschaft stellt sich dringender denn je. Der tiefgreifende gesellschaftliche Wandel erfordert eine weitreichende Transformation nicht nur bei Energie, Verkehr oder CO2-Ausstoß, sondern vor allem auch in Bezug auf Werte, Haltungen und gesellschaftliche Verantwortung.

Junge Menschen zu befähigen, gut gegründet Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen zu können und zu wollen: Das ist bis heute ein zentrales Anliegen der Universität Witten/Herdecke. Eine so langjährige und fruchtbare Zusammenarbeit wie mit Reinhard Mohn und der Bertelsmann Stiftung braucht eine gemeinsame Wertebasis. Ich hatte stets den Eindruck, dass die drei Grundwerte, die vor unserem modernen Campusgebäude auf weißen Fahnen wehen, die gemeinsame Sichtweise auf die Welt gut verdichtet haben.

Zur Freiheit ermutigen: »Werden Sie Unternehmer:in Ihres eigenen Studiums«. Diese Aufforderung an unsere Studierenden spiegelt vielleicht am besten wider, dass es um eine Freiheit zu etwas und nicht von etwas geht. Dieser Grundwert möchte Mut zum selbstständigen Denken und Handeln machen. Reinhard Mohn sah in der Kombination von Menschlichkeit und Freiheit den Weg zum Erfolg. Er glaubte fest daran, dass Menschen die Freiräume, die man ihnen gewährt, kreativ und unternehmerisch nutzen werden; insbesondere dann, wenn ein klug konzipiertes Studium sie dazu befähigt.

Nach Wahrheit streben: Eine fortgesetzte, rastlose Erkenntnissuche ist seit Jahrhunderten die strukturgebende Eigenschaft jeder vitalen und leistungsfreudigen Universität. Gleichwohl braucht es auch in der Wissenschaft immer wieder neu die Bereitschaft, bekannte und bereits »ausgetretene« Erkenntnispfade zu verlassen und mit unbequemen, provokanten Fragen neue Perspektiven zu öffnen. Das ist häufig nicht nur eine methodische, sondern oft auch eine mutige soziale und biografische Leistung; anders gesagt: eine innere Haltung, die den Erkenntnisstillstand nicht zu akzeptieren vermag und permanent auf der Suche bleibt.

Kraftvolle Ungeduld, gepaart mit der »Unfähigkeit«, sich mit dem Status quo zufriedenzugeben, waren die energiespendenden Motoren in der Zusammenarbeit einer soeben gegründeten Universität im Ruhrgebiet und ihres Direktoriumsvorsitzenden aus Ostwestfalen. Reinhard Mohn wollte stets lernen, um die Dinge besser zu machen: zunächst mit dem Schwerpunkt auf das eigene Unternehmen; in späteren Jahren und Jahrzehnten zunehmend mit dem Fokus auf die Gesellschaft und ihre vielfältigen Institutionen. Dazu verband er seine Intuition mit Zahlen, Daten und Fakten, die er ermitteln oder erheben ließ. Systematisches Vergleichen robuster Informationen war sein Ansatz für Reformen. Neuland zu betreten, war seine Stärke.

Soziale Verantwortung fördern: An der UW/H kommen Menschen zusammen, die ihre kognitiven und emotionalen Fähigkeiten dazu nutzen wollen, einen positiven Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Sie sehen, dass sie aus einer Position der Stärke für andere wirksam werden oder – noch besser – andere unterstützen können, selbst wirksam zu werden. Auch Reinhard Mohn hat Menschen und Organisationen in der Pflicht gesehen, ihren Leistungsbeitrag für die Gesellschaft zu erbringen. Dabei galt für ihn stets: Wer Verantwortung übertragen bekommt, dem muss man auch Gestaltungsräume geben.

Wenn man diese Grundwerte zusammenführt und kombiniert, entsteht die Haltung, die Reinhard Mohn bewies und die von den Mitgliedern und Absolvent:innen unserer Universität angestrebt wird: individuelle Freiheit fachlich und emotional kompetent sowie sozial verantwortungsvoll zu leben.

Diese gemeinsame Haltung spürt man bis heute in der Kuratoriumsarbeit der Bertelsmann Stiftung und der Universität für das Reinhard-Mohn-Institut für Unternehmensführung. Unsere Sitzungen finden halbjährlich in dem früheren Konferenzraum von Reinhard Mohn in Gütersloh statt. Der Blick geht hinaus auf den kreisrunden Teich hinter dem Gebäude der Bertelsmann Stiftung. Die Gedanken und Worte sind jedoch bei der Sache: bei den wichtigen Herausforderungen, den jüngsten Erfahrungen und Analysen, bei dem noch unerforschten Neuland für eine in die Zukunft weisende Unternehmensführung. Reinhard Mohn hätte wohl seine Freude daran.

Der Eindruck ist stark und nachhaltig: Hier wird eine wichtige unternehmerische, gesellschaftliche und wissenschaftliche Aufgabe fortgeführt, die vor mehr als drei Jahrzehnten ihren Anfang genommen hat.

III

WORIN BESTEHT DER PARTNERSCHAFTLICHE ANSATZ REINHARD MOHNS?

III

Partnerschaft:Reinhard Mohns Erfolgsrezept

GUIDO MÖLLERING

Reinhard Mohns partnerschaftlicher Ansatz der Unternehmensführung hat mich inspiriert und nicht zuletzt auch motiviert, Direktor des Reinhard-Mohn-Instituts für Unternehmensführung an der Universität Witten/Herdecke zu werden. Seine Erfolge als Unternehmer und Stifter gelten als Bestätigung, dass seine unkonventionellen Ideen funktionierten. Im Folgenden werde ich die wichtigsten Elemente des Mohn’schen Ansatzes aus meiner Sicht als Organisations- und Managementforscher zusammenfassen und reflektieren. Mohn wollte stets von anderen lernen und wir können durch die Beschäftigung mit seinem Ansatz viel von ihm lernen, wie es auch bereits im Kapitel von Immanuel Hermreck zum Ausdruck kommt.

Mit Reinhard Mohn kann man sich aus verschiedenen Blickwinkeln befassen. Gängig sind die Rollen des visionären Unternehmers und des einflussreichen Stifters. Selbstverständlich ist er auch als engagierter Bürger oder bodenständiger Privatmann interessant. In diesem Kapitel betrachte ich Reinhard Mohn als lebenserfahrenen Denker, der in zahlreichen Schriften und Vorträgen dargestellt hat, wie Unternehmensführung gelingen kann.

Reinhard Mohn als Autor ging es nicht primär darum, mit seinen unternehmerischen Erfolgen zu glänzen. Selbst wenn der Ton einmal belehrend wurde – wie etwa in seinem Aufsatz von 1985 über die »Eitelkeit im Leben des Managers« (Mohn 2009: 76 ff.) oder in seinen kritischen Anmerkungen zur Rolle der Gewerkschaften (S. 184 ff.) –, stand dahinter vor allem die Beschäftigung mit der Frage, was die erfolgreiche Führung eines Unternehmens ausmacht und fördert.1

Sein eigenes Erfolgsrezept, über das er kontinuierlich intensiv nachdachte (siehe Martin Spilkers Kapitel in diesem Band), betrachtete er nicht als Betriebsgeheimnis, sondern er publizierte es in der Überzeugung, dass Unternehmen, die – so wie Mohn selbst für Bertelsmann – in »Referaten und Publikationen [ihren] Standpunkt verdeutlichen […] einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftspolitischen und führungstechnischen Entwicklung der Wirtschaft leisten« können (S. 142).

Das Buch »Erfolg durch Partnerschaft« ist das zentrale Statement Reinhard Mohns, das er über vier Auflagen gefestigt und erweitert hat. Der Untertitel »Eine Unternehmensstrategie für den Menschen« zeigt bereits, dass unternehmerisches Handeln in Mohns Augen kein Selbstzweck sein sollte. Den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, war für Mohn nicht allein moralischer Imperativ, sondern auch funktionaler Dreh- und Angelpunkt des Wohlstands. Wie war die Mohn’sche Konzeption im Einzelnen aufgebaut? Abbildung 1 zeigt im Überblick die »Mechanik« der Konzeption, die ich im Folgenden zusammenfasse, wobei ich den Autor durch zahlreiche Zitate selbst zu Wort kommen lasse.

Abbildung 1: »Mechanik« des partnerschaftlichen Unternehmens

Konzeption des partnerschaftlichen Unternehmens

Leistungsbeitrag für die Gesellschaft

Die folgende Textstelle verdeutlicht den übergeordneten Stellenwert des Leistungsbeitrags des Unternehmens für die Gesellschaft, aus dem sich die weiteren Elemente von Reinhard Mohns Konzeption des partnerschaftlichen Unternehmens ergeben:

»Wenn sich unsere Gesellschaft und insbesondere die Wirtschaft entschließen könnten, als oberstes Ziel für die Tätigkeit von Unternehmen einen Leistungsbeitrag für die Gesellschaft zu definieren, so wären wir bei den umfänglichen Regelungsprozessen ein erhebliches Stück vorangekommen. Im Falle von Streitfragen wäre dann deutlich, daß der Erfolg des Unternehmens Vorrang haben muß vor der Durchsetzung von Gruppeninteressen. Andererseits wäre mit einer solchen Interpretation der Aufgabe eines Unternehmens auch die Rücksichtnahme auf die Mitglieder des Unternehmens eingeschlossen. Wenn nämlich ein Unternehmen in erster Linie um einen Leistungsbeitrag für die Gesellschaft bemüht sein muß, so kann das nicht nur aus der erbrachten Produktion oder Dienstleistung bestehen; sein Verhalten gegenüber seinen Mitarbeitern wird entscheidend mitbewertet werden« (S. 59–60).

Die Tragweite dieses Statements erschließt sich, wenn man sich verdeutlicht, dass Mohn sich gegen die Vorstellung wendet, dass Unternehmen Partikularinteressen dienen, wie auch gegen den Antagonismus in der Wirtschaft, insbesondere zwischen Kapital und Arbeit. Dem Erfolg des Unternehmens ist nach Mohn nur deshalb alles andere unterzuordnen, weil und soweit sein Leistungsbeitrag der Allgemeinheit zugutekommt. Und Führung ist in diesem Zusammenhang als ein »Mandat« (S. 99) zu verstehen.

Ein weiterer, für die Konzeption Mohns zutiefst prägender Aspekt im obigen Zitat ist, dass es nicht nur um das Was des Leistungsbeitrags geht, sondern auch um das Wie. Eine Leistung, etwa die Versorgung mit Kleidung, ist demnach nur gesellschaftlich wertvoll, wenn sie ohne die Ausbeutung von Belegschaften erfolgt. Viele Skandale in der Textilindustrie, von denen exemplarisch nur der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch im April 2013 genannt werden soll, machen deutlich, dass der doppelte Anspruch Mohns keineswegs von allen Unternehmen erfüllt wird.

Damit ging Reinhard Mohn auch schon zu seiner Zeit über damals einflussreiche Managementkonzepte hinaus, wie zum Beispiel Peter Druckers Ansatz (1956), der die Kundenzufriedenheit ins Zentrum stellte, damit aber eben nicht ausdrücklich das Wie benannte und auch nicht das kollektive Interesse der Gesellschaft. Ich interpretiere das so, dass sich ein Unternehmen keine Daseinsberechtigung dadurch erwerben kann, dass es irgendwelche Kund:innen gibt, die seine Leistung nachfragen und vergüten, wenn dies zum Schaden der Belegschaft und oder der Gesellschaft erfolgt.

Damit ist auch der Kern der unternehmerischen Verantwortung im Sinne Reinhard Mohns benannt, die nämlich nicht auf beiläufige Wohltätigkeit hinausläuft, sondern beim Leistungsprozess des Unternehmens selbst ansetzt. Ein gesellschaftliches Engagement über den Leistungsbeitrag hinaus wäre lobenswert, dürfte aber nicht erfolgen, um Missstände beim Leistungsbeitrag zu kompensieren. Insbesondere dürfte der Wert der Menschlichkeit nicht verletzt werden und es gilt, »alle Vorgänge der Wirtschaft auf den Menschen auszurichten« (S. 60).

Neben Menschlichkeit ist also die Orientierung auf das Gemeinwohl ein Grundwert, der der Mohn’schen Konzeption des partnerschaftlichen Unternehmens unterliegt. Zu ergänzen ist noch der Wert der Effizienz (siehe Abbildung 2). Denn bei aller sozialen Orientierung, die aus Reinhard Mohns Vorstellungen von Unternehmensführung spricht, ist für ihn auch selbstverständlich, dass ein Unternehmen nur erfolgreich sein kann, wenn es seine Prozesse effizient gestaltet und dabei immer weiter verbessert, wodurch ja auch die Leistung für die Gesellschaft immer besser wird. Effizienzorientierung ist an sich nichts Besonderes und kein Merkmal, mit dem sich Mohns Konzeption von anderen unterscheiden ließe – außer dass Reinhard Mohn die Effizienz als Grundwert nicht zur Gewinnmaximierung, sondern zur Leistungsoptimierung einforderte.

Abbildung 2: Grundwerte des partnerschaftlichen Unternehmens

Menschlichkeit durch Selbstverwirklichung

Menschlichkeit – als Ausrichtung auf den Menschen – ist das »ethisch bestimmte Fundament«, von dem »jedes Unternehmenskonzept … seinen Anfangspunkt nehmen muss« (S. 20). Auch der oben angesprochene Leistungsbeitrag dient ja den Menschen. Entsprechend hat sich Reinhard Mohn intensiv mit der Frage beschäftigt, welche Bedürfnisse Menschen haben, und zwar insbesondere bezogen auf ihre Arbeit in Unternehmen. Diese Bedürfnisse zu kennen, zu erfüllen und auch produktiv zu nutzen, ist eine wichtige Grundlage für die »Führungstechnik«, die Mohn entwickelte (siehe unten).

Es ist interessant, dass Reinhard Mohn den Anspruch der Menschlichkeit im Unternehmen meist auf die Formel bringt, dass Menschen die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung brauchen. Er sieht dies als einen Trend, den er beobachtet: »Der Arbeiter empfindet sich nicht mehr als bloßes Erfüllungsinstrument des Unternehmers. Er erwartet auch in seiner Berufsarbeit ein Stück Selbstverwirklichung seines Lebens. […] in jedem Fall will der Mensch den Verlauf seines Lebens in größerem Umfang selbst bestimmen. […] das Suchen der Menschen nach einer neuen Ordnung beinhaltet auch die Bereitschaft, sich zu engagieren« (S. 35–37).

An anderer Stelle beschreibt er das Bedürfnis der Selbstverwirklichung auch als eine Art anthropologische Konstante und betont: »Der Mensch nach seiner Veranlagung will sich einsetzen, sich bewähren und Erfolge erzielen. Diesem Wunsch muß das partnerschaftliche Unternehmen durch Schulung und Förderung all derjenigen entsprechen, die bereit und in der Lage sind, einen größeren Leistungsbeitrag zu erbringen« (S. 99).

Neben Förderungs- und Aufstiegsmöglichkeiten gehört zur Selbstverwirklichung der Menschen auch die »Mitsprache am Arbeitsplatz in allen Bereichen und auf allen Ebenen« (S. 127). Reinhard Mohn verweist auf japanische Unternehmen als Vorbilder der konstruktiven und kreativen Beteiligung von Mitarbeiter:innen. Die direkte Beteiligung an Entscheidungsprozessen sieht er zwar kritisch; allerdings hebt er immer wieder hervor, wie wichtig es für eine bessere Gestaltung des Arbeitsablaufs und mehr Menschlichkeit bei der Arbeit ist, dass Mitarbeiter:innen mitgestalten können (S. 130 f.; siehe auch das Kapitel von Child und Möllering in diesem Band).

Ich interpretiere Reinhard Mohns eindringliche Bezugnahme auf die Menschlichkeit so, dass für ihn Partnerschaft nicht nur innerhalb des Unternehmens unter den Kolleg:innen aller Ebenen für den Erfolg des Unternehmens gemeint war, sondern auch die Partnerschaft aller Menschen für eine prosperierende Gesellschaft – und zwar trotz der teils unterschiedlichen Interessen verschiedener Gruppen, die es zu vereinen galt: »Der Mitarbeiter arbeitet heute nicht mehr für das Unternehmen oder den Kapitaleigner, sondern im Unternehmen für seine eigene Verwirklichung ebenso wie für die Aufgaben der Gesellschaft« (S. 136 f., Hervorhebungen hinzugefügt).

Gemeinwohl von Arbeit, Kapital, Staat

Mit dem Verweis auf den nötigen Leistungsbeitrag des Unternehmens für die Gesellschaft verband Reinhard Mohn explizit die Nachrangigkeit von Gruppeninteressen gegenüber dem Unternehmenserfolg (S. 60). Ich würde Mohns Vorstellung von der inneren Logik des Unternehmens so zusammenfassen: Ein Unternehmen existiert nicht primär, um Löhne, Dividenden oder Steuern zu zahlen. Es braucht allerdings Arbeitskräfte, Investitionen und Infrastruktur, um seinen Leistungsbeitrag für die Gesellschaft erbringen zu können. Umgekehrt stehen den Arbeitskräften, den Kapitalgeber:innen und der öffentlichen Hand angemessene Beiträge seitens des Unternehmens zu. Mohn richtet an alle drei – Arbeit, Kapital und Staat – klare Botschaften, dass ihre Ansprüche dem Unternehmenserfolg und dem Gemeinwohl schaden, wenn sie überzogen sind.

In »Erfolg durch Partnerschaft« wendet er sich eindringlich an die Gewerkschaften und gegen deren »Konfrontationsstrategie« (S. 115). Er beklagt den »Mißbrauch der Mitbestimmung« (S. 123 ff.) und argumentiert ausführlich, dass die Arbeitnehmerseite erkennen muss, dass sie mit ihren Forderungen den Unternehmen und damit letztlich auch den Belegschaften schade.

Aber auch die Arbeitgeber- und Kapitalseite bewertet Mohn kritisch. Den Arbeitgeber:innen wirft er Passivität und mangelnden Gestaltungswillen vor (S. 182 f.). Den Kapitalgeber:innen macht er klar, dass das Streben nach Gewinnmaximierung fehlgeleitet ist, sieht aber, dass dieses Prinzip leider »in vielen Köpfen« (S. 54) noch vorherrscht. Mohn wendet sich ausdrücklich gegen Milton Friedmans Shareholder-Value-Orientierung, die »hierzulande nicht mehr als zeitgemäß« (S. 209) betrachtet werden könne und »nicht mehr den Realitäten entspricht« (S. 225), was viele aber noch nicht verstanden hätten. Mohn schreibt, »Das Ziel des Wirtschaftens besteht nicht mehr in der Gewinnmaximierung, sondern in einem optimalen Leistungsbeitrag für unsere Gesellschaft« (S. 202).

Gleich im Anschluss an diesen Satz bekräftigt Mohn, dass Unternehmen selbstverständlich profitabel sein müssten, nur nicht als Selbstzweck. Er sieht den Gewinn als »Maßstab der Richtigkeit des Handelns sowie zur Bedienung des vorhandenen und zur Generierung neuen Kapitals« (S. 225) mithin als Instrument für den Leistungsbeitrag.

Auch seitens des Staates sieht Mohn die Gefahr der Maßlosigkeit, da er »in allen Epochen vor allem auf möglichst hohe Steuereinnahmen ausgerichtet« sei (S. 54). An mehreren Stellen in seinem Werk beklagt Mohn, dass Steuern und Vorschriften die unternehmerischen Spielräume so stark einschränken, dass der Leistungsbeitrag des Unternehmens und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gefährdet seien. Mohn baut fest auf Demokratie, soziale Marktwirtschaft und die Maxime »Eigentum verpflichtet«. Er gesteht dem Staat eine gewisse ordnende Rolle zu, die jedoch ohne die Einsicht aller Beteiligten, dass erfolgreiche Unternehmen der Gesellschaft dienen, nicht ausreichend erfüllt werden kann (z. B. S. 131 f., 221 ff.).

Reinhard Mohns Stichwort ist die Harmonisierung auf gesellschaftlicher wie betrieblicher Ebene (siehe dazu auch unten den Abschnitt zur Führungstechnik). Er fasst dies wie folgt zusammen: »Die Konzeption des partnerschaftlichen Unternehmens überbrückt die Gegensätze von Kapital, Arbeit und Management. Dieses Unternehmensmodell harmonisiert die verschiedenen Interessen und richtet alle Bestrebungen auf das gemeinsame Ziel aus. Die Verbindung von Humanität und Effizienz entspricht dabei sowohl den Forderungen aller Beteiligten als auch dem Interesse der Gesellschaft« (S. 135).

Partnerschaft ist mithin das Erfolgsrezept, das Reinhard Mohn auf allen Ebenen empfiehlt. Die Art und Weise, wie er diesen Ansatz erörtert und begründet, lässt erkennen, dass er viele Widerstände auf dem Weg zur Realisierung der für ihn doch so einleuchtenden partnerschaftlichen Unternehmensführung sieht. Er beklagt »die Tendenz zum Beharren« (S. 11) und hält die »Unbeweglichkeit unseres Denkens und das Festhalten an Gewohnheiten« (S. 17) für gefährlich. Seine Konzeption der Unternehmensführung hat einen reformatorischen Anspruch und er sieht in Bertelsmann quasi das Paradebeispiel für den Erfolg seines Ansatzes.

Unternehmenskultur der Identifikation, Kreativität und Kontinuität

Wenn Partnerschaft das Erfolgsrezept von Reinhard Mohn ist – was sind dann die Zutaten? Übergreifend kann man festhalten, dass Mohn die Unternehmenskultur, mit entsprechender Führung, für entscheidend hielt. Er hat früh verstanden, dass vermeintlich weiche Faktoren harte Wirkungen haben und über den tatsächlichen Leistungsbeitrag des Unternehmens für die Gesellschaft entscheiden. Man kann auch sagen, dass nach Mohns Vorstellung eine partnerschaftliche Unternehmenskultur nicht nur als Instrument für Effizienz oder Rendite wirkt, sondern für sich genommen einen Wert hat, weil sie immer auch Menschlichkeit und Verantwortung zum Ausdruck bringt.

Die Systematik von Reinhard Mohns Idee, wie die Unternehmenskultur den Interessen aller dienen kann, fasse ich hier mit drei Faktoren zusammen, ohne den Anspruch zu erheben, alle Aspekte berücksichtigen zu können. Vielmehr möchte ich zeigen, dass folgende drei Hauptfaktoren nach Mohn nicht nur einzeln erforderlich sind, sondern ineinandergreifen: Identifikation, Kreativität und Kontinuität (Abbildung 3).

Abbildung 3: Kernelemente der partnerschaftlichen Unternehmenskultur