Was ist eigentlich Heimat? - Renate Zöller - E-Book

Was ist eigentlich Heimat? E-Book

Renate Zöller

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Beschreibung

»Heimat entdeckt man erst in der Fremde.« Siegfried Lenz
Immer mehr Menschen verlassen ihre Heimat: aus politischen Gründen, aus wirtschaftlicher Not, für die Arbeit oder für die Liebe. Ihre Hoffnungen und Erwartungen an das neue Zuhause tragen sie mit sich. Wie gestalten sich die Wege zwischen Verlust und Neuanfang? Was macht es mit Menschen, wenn sie ihre Heimat aufgeben müssen? Wenn die Sehnsucht das Ankommen überschattet? Wenn die Integration misslingt? Davon erzählen Heimatlose, Heimatsuchende und Heimatexperten in diesem Buch. Eine vielstimmige Annäherung an ein ambivalentes Gefühl, das heute mehr denn je von Bedeutung ist.

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Seitenzahl: 306

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Das Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen unterstützte gemeinsam mit der Erste Bank Stiftung die Recherche zu diesem Buch mit dem Milena Jesenská Stipendium.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage, September 2015© Christoph Links Verlag GmbHSchönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0www.christoph-links-verlag.de; [email protected]: Stephanie Raubach, Berlin unter Verwendung eines Motivs von thinkstock (490374161)Satz: Stephanie Raubach, Ch. Links Verlag, BerlinISBN 978-3-86153-843-1eISBN 978-3-86284-316-9

Inhalt

Einleitung
Kleine Geschichte der Heimat
VOM VERLUST DER HEIMAT
Die alte Heimat
Schlesien duftet nach Heimat
Vogelsang war unser Untergang
Wenn die Heimat zur Fremde wird
Über Nacht verschwanden die Bilder von Erich Honecker
Das Riesengebirge war ein Staat im Staate
Patchwork-Heimat
Heimat ist eine Evolution in kleinen Schritten
Es gibt nun einmal keinen idealen Ort für mich
Ich kann jederzeit meinen Koffer packen und weiterziehen
HEIMAT IST DA, WO EINEN DIE NACHBARN GRÜSSEN
Zur Willkommenskultur in Deutschland
VON DER SUCHE NACH HEIMAT
Auf der Flucht
Ich habe Gott gesehen
Sobald es geht, will ich zurück in meine Heimat
Ich will einfach nur in Frieden leben
Heimatlos
Mein Leben wäre heute besser, wenn ich in Russland geblieben wäre
Das Leben der Sinti kennen meine Kinder nur aus Erzählungen
Als Immigrant verliert man vollständig seine Identität und muss sich eine neue aufbauen
Aus der Ferne für die Heimat
Schon als Kind begriff ich, dass meine Heimat etwas sehr Wertvolles war
Solange man in der Heimat ist, kann man sie nicht richtig verstehen
Heimat ist der Raum, in dem wir uns sicher bewegen können
Ein Gespräch mit Beate Mitzscherlich, Psychologin
ÜBER DAS ANKOMMEN IN DER NEUEN HEIMAT
Wiederentdeckte Heimat
Ich war immer die ›Andere‹
Mütterchen Prag hat wirklich Krallen
Wurzeln schlagen in der Wahlheimat
Phyllis war mir wichtiger als Heimat
Ich muss jetzt nicht mehr in die Weite
Schlussgedanken
Anhang
Quellenverzeichnis
Weiterführende Literatur zum Thema
Dank
Zur Autorin

»Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl.«

Herbert Grönemeyer

Sie verspricht Geborgenheit in einer unübersichtlichen Welt, sie fasziniert, sie ist unausweichlich, sie prägt unser Leben – die Heimat. Für dieses Buch habe ich mit Menschen gesprochen, die sie verlassen, verloren oder wiedergewonnen haben. Manche lehnen die Heimat ab, manche hängen an ihr – gleichgültig kann man ihr gegenüber nicht sein. Heimat lässt uns nicht los. Sie bleibt ein Teil unserer Identität, auch wenn wir sie bewusst verlassen. Sie kann für einen gewissen Zeitraum überdeckt werden, in den Hintergrund rücken, um dann im Alter meist wieder mehr Raum einzunehmen. Auf Dauer lässt sich die Heimat nicht ausradieren, sie taucht wieder auf, wenn wir in der Fremde unsere heimische Mundart hören, eine Landschaft wiedererkennen oder es plötzlich so riecht wie bei der Großmutter am Herd.

Die Protagonisten dieses Buches erzählen von ihrer Heimat, vom Verlust der alten und vom Neuanfang in der neuen, von Träumen, Sehnsüchten, Enttäuschungen und Erfolgen. Ob Ric, der sich als schwuler Latino und Schauspieler lieber nicht mehr auf eine örtlich fixierte Heimat festlegen will und seine gesamte Habe auf dem Gepäckträger seines Fahrrads transportieren kann; ob Yuan, die aus China in eine ganz andere, fremde Welt kam oder Christel, die ins Nachbardorf ziehen musste, weil ihr Heimatort Wollseifen zu einem militärischen Übungsplatz wurde; ob Juliane, deren Heimat DDR vom Lauf der Geschichte weggespült wurde oder Schahrsad aus Teheran, die der soziale Abstieg durch den Umzug nach Deutschland beinahe gebrochen hätte – alle diese Menschen haben den Verlust von Heimat als einen Bruch erlebt, der ihr Leben bereichert, erschwert und fundamental verändert hat.

»Was ist eigentlich Heimat?«, fragte ich auch Wissenschaftler wie die Psychologin Beate Mitzscherlich, den Historiker Klaus Ries und seinen Romanistik-Kollegen Edoardo Costadura oder die Ethnologen Beate Binder und Friedemann Schmoll. Brauchen wir sie – als Individuum und als Gesellschaft? Leben Menschen glücklicher, wenn sie in ihrer Heimat bleiben oder schmeckt sie nur von Weitem so süß? Sind wir auf das Gefühl angewiesen, eine Heimat zu haben, um unseren Weg in der Fremde gehen zu können? Oder blockiert sie uns dabei, in der neuen Umgebung ein neues Leben aufzubauen?

In den vergangenen Monaten stieg die Zahl der Flüchtlinge dramatisch an. Bis zu 800 000 Menschen werden voraussichtlich im Jahr 2015 nach Deutschland kommen. Das provoziert einerseits Rechtsradikale. Fast täglich berichtet die Presse von brennenden Flüchtlingsunterkünften. Das bewegt aber auch immer mehr Menschen, die Notleidenden willkommen zu heißen. Werden sie jemals in Deutschland eine Heimat finden?

Medizinisch gesehen entsteht das warme Gefühl für unsere Heimat schlicht durch ein riesiges Sammelsurium an Engrammen, also Spuren in unserem zentralen Nervensystem, die durch besondere Reize oder Eindrücke hinterlassen wurden. Je positiver diese Eindrücke waren und je öfter wir sie erlebt haben, umso stärker sind die Engramme synaptisch verfestigt. Ein bestimmter Geruch, eine Melodie, eine besondere Landschaft – all das kann sich neurologisch gesehen wie ein Spinnennetz in unser Gehirn weben und Heimatgefühle erzeugen. Heimat kann damit an mehreren Orten empfunden werden oder überhaupt nicht örtlich gebunden sein. Wenn die neuralen Verlinkungen sich auflösen, etwa bei Demenzkranken, dann verschwindet auch die Heimat aus den Köpfen.

Welche Eindrücke wir unbewusst wählen, um unser neurales Heimatnetz zu weben, bleibt individuell. Übereinstimmend kann man festhalten: Heimat ist verbunden mit der Umgebung, in der jemand die wichtigsten Jahre seiner Sozialisation verbracht hat. Aber diese Jahre erlebt der eine als Kind, ein anderer als Jugendlicher, ein Dritter vielleicht erst als Erwachsener. Selbst Geschwister, die in derselben Familie, am selben Ort, unter denselben sozialen Bedingungen aufwachsen, können Heimat ganz unterschiedlich empfinden. Was dem einen Sicherheit bietet, ist dem anderen zu eng und miefig. Der eine leidet, wenn er in der Fremde lebt und versucht, so viel Traditionen und Gewohnheiten wie möglich auf seine neue Welt zu übertragen. Der andere passt sich scheinbar spielerisch an, findet Freunde, gründet eine Familie und wird bald nicht mehr als Zugezogener wahrgenommen. Während sich manche auf ihre Heimat besinnen als eine Art Kompensationsraum, der sie vor den Zumutungen der Globalisierung schützen soll – unter anderem vielleicht vor dem als unheimlich empfundenen Zuzug von Migranten –, stehen andere vor der Notwendigkeit, sich zu integrieren und eine neue Heimat aufzubauen.

Das Phänomen Heimat ist nicht ohne deren Verlust zu betrachten. Die meisten Menschen denken wenig über ihre Heimat nach, so lange sie nicht bedroht oder verloren ist. Erst dann beginnen sie, sie zu vermissen – und verstehen oft gar nicht genau, was sie eigentlich vermissen. Manche Menschen träumen ihr Leben lang davon, wieder nach Hause zurückzukehren. Und wenn sie es schließlich tun, finden sie dort keine Heimat mehr. Diese Ambivalenz der Sehnsucht bewegte Philosophen, Historiker und Psychologen seit jeher. Schon der römische Philosoph Seneca kam zu dem Schluss, der Mensch brauche eine Heimat und implizierte gleichzeitig, dass er sich auf der Wanderschaft danach sehnt. Er sagte: »Einem Schiff ohne Hafen ist kein Wind der richtige.« Rund 2000 Jahre später prägte der Philosoph Martin Heidegger für Jahrzehnte die Diskussion mit seiner These, ohne Heimat leide der Mensch an einer »Seinsvergessenheit«, die ihn in eine tiefe Krise stürze.

Gerade Heidegger steht wegen seines Flirts mit der nationalsozialistischen Ideologie jedoch auch für die Desavouierung des Heimatbegriffs. Für Jahrzehnte war er scheinbar unauflösbar konnotiert mit der deutschen »Blut-und-Boden«-Politik Hitlers, für die so unfassbar viele Soldaten begeistert in den Krieg und so viele »Volksdeutsche« heim ins Reich gezogen waren. Der rassistische und ausgrenzende Heimatgedanke der Nationalsozialisten war Grundlage für die Ermordung von Millionen Menschen in den Konzentrationslagern. Nach dem Krieg strebten die Deutschen daher nach einem rationaleren Verhältnis zu ihrem Staat, den Hitler ihnen als die »Heimat« verkauft hatte. Im intellektuellen Diskurs war Heimat out.

Viele der Millionen Vertriebenen aus Schlesien, Ostpreußen und den tschechoslowakischen Grenzgebieten blieben ihrem Sehnsuchtsort treu, aber deren revisionistische Vertreter diskreditierten die Heimat in den Augen vieler Deutscher noch mehr. Zwar flüchteten sich in den 50er Jahren gerade ältere Leute in die heile Welt der Heimatfilme und -romane, in denen es keinen Krieg und keine Schuld der Deutschen gab. Aber die nachkommende Generation fand diese Schmöker altmodisch, kitschig, unerträglich. Sie wollte lieber die Welt entdecken, als an ihrer Heimat zu kleben. Der moderne, aufgeschlossene Mensch sollte mobil und flexibel sein. Der Medienphilosoph Vilém Flusser etwa, der als Prager Jude während des Zweiten Weltkrieges aus seiner Heimat fliehen musste und in Brasilien lebte, sagte in seinem Vortrag »Heimatlosigkeit ist Freiheit«[1], der Mensch sei kosmopolitisch wie eine Ratte und könne sich überall eine neue Heimat schaffen.

Jetzt aber lässt sich seit ein paar Jahren beobachten, wie sich die Heimat vom verstaubten Mauerblümchen zum neuen Trendwort Deutschlands mausert. Tim Mälzer gab ein Kochbuch mit dem schlichten Titel »Heimat« heraus, der Heimathirsch in Köln ist längst kein Geheimtipp mehr unter Jazzfreunden, in Hamburg isst man im Restaurant Heimat Küche & Bar und in Berlin zieht die Neue Heimat in den Hallen des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerks mit zahlreichen Events junge Kreative und Schaulustige an. Das Leitmotiv des Performance-Künstlers Stefan Strumbel lautet: What the fuck is Heimat? Heimatgeschäfte und Heimatagenturen werden gegründet und nicht zu vergessen: unzählige neue Heimatmuseen. Auch in der Sprache besinnt sich Deutschland auf seine regionalen Dialekte. In München betreibt die Akademie der Wissenschaften bayerische Mundartforschung, es gibt Online-Sprachkurse für Plattdeutsch und in Köln kann man Examen an der Akademie för uns kölsche Sproch machen. Heimat wurde von den Teilnehmern eines Wettbewerbs des Deutschen Sprachrats und des Goethe-Instituts im Jahr 2004 zu einem der schönsten deutschen Wörter gekürt. Und Bayern schuf 2014 ein Heimatmuseum.

Woher kommt diese unerwartete Popularität? Die Psychologin Beate Mitzscherlich erklärt die heutige Suche nach Heimat als eine Reaktion auf die Uferlosigkeit innerhalb einer globalisierten Gesellschaft. Immer mehr Menschen empfinden ihre kleine Lebenswelt als bedroht. In der modernen Gesellschaft ist Flexibilität eine Voraussetzung für Erfolg. Und Mobilität ist längst kein Ausdruck mehr von persönlicher Freiheit, sondern von beruflichen Zwängen. Das Verlassen der Heimat gehört zum Alltag. Es ist fast unmöglich, sein gesamtes Leben an ein und demselben Ort zu verbringen. Menschen ziehen aus freien Stücken oder notgedrungen, für die Arbeit oder für die Liebe, aus politischen Gründen oder aus wirtschaftlicher Not von einer Stadt in die andere, in fremde Länder oder auf andere Kontinente. Alte Beziehungen werden abgebrochen, neue geknüpft. Nicht immer gelingt die Integration am neuen Wohnort. Heimat lässt sich nicht einfach ersetzen.

Und auch die Zurückgebliebenen fühlen sich in ihrer Heimat nicht mehr sicher. Alle Krisen und Kriege auf der Welt fühlen wir zeitnah auch in Deutschland. Längst hat die Globalisierung das kleinste Dorf erfasst – wenn der Weizen im Ausland billiger produziert werden kann, betrifft das auch den ansässigen Bauern. Der Firmeninhaber muss damit rechnen, dass die Konkurrenz irgendwo auf der Welt günstiger produziert, der Angestellte wiederum damit, dass seine Firma in ein Billiglohnland abwandert.

Die Geborgenheit und Verlässlichkeit der kleinen, überschaubaren Heimat erfährt angesichts dieser Ohnmacht gegenüber den Katastrophen in einer unüberschaubar großen Welt eine neue Bewertung. Die Menschen wollen sich neu verorten, ihre kleine Nahwelt – den Kiez, das Dorf, die Familie – aktiv lebenswert gestalten. Das äußert sich sowohl in der bereits beschriebenen Wiederentdeckung der Heimat als auch in einer gesellschaftlichen Bewegung, die »zurück zu den Wurzeln« will und die an die Anfänge der deutschen Heimatbewegung erinnert: Menschen mieten ein Stück Land oder besetzen städtische Brachen, um Gemüse anzubauen, sie kaufen regionale Produkte, engagieren sich gegen Umweltpro-bleme vor Ort. »Kommunität«, nennt das die Kulturanthropologin Ina-Maria Greverus, die sich Anfang der 70er Jahre als eine der ersten Wissenschaftlerinnen für die Rehabilitierung der Heimat einsetzte: »Regionale und lokale Proteste stellen Selbstverwaltungen gegen Zentralisierung, eigene Kultur gegen Einheitskultur, sparsame eigene Nutzung der eigenen Ressourcen gegen zentralisierte Ausbeutung und Lieferung, Gegenseitigkeit des Handelns gegen Wohlfahrtsabhängigkeit und Bürokratisierung.«[2]

Zwar denken auch heute bei dem Begriff Heimat viele Menschen an blühende Alpenlandschaften, Bauernmädel in Trachten und rustikale Kneipen mit Hirschgeweihen an den Wänden. Aber unbemerkt hat sich eine Ironie, eine Leichtigkeit in dieses Bild geschlichen. Längst wird Heimat von einer unbeschwerten Generation, die den Krieg nur noch aus Büchern und Filmen kennt, als Schablone für Gemütlichkeit, Geborgenheit und Eigeninitiative genutzt. Ihrer bedienen sich Jung und Alt, linke Umweltaktivisten und Partypeople, aber auch konservative »Wutbürger« und rechte Ausländerfeinde. »Heimat ist ein nuttiger Begriff«, sagt der Ethnologe Friedemann Schmoll: »Sie schmiegt sich an jeden an, der sie benutzen will.« Während die einen ihre Heimat als ein soziales Netz begreifen, das auch fremde Hilfsbedürftige auffangen kann, glauben andere, die Heimat durch Abschottung vor Veränderung schützen zu müssen. Sie gehen auf die Straße, um gegen eine vermeintliche »Überfremdung« durch die Flüchtlinge zu demonstrieren.

Dabei erzählen vor allem die Schicksale der Einwanderer von Heimat. Manche von ihnen kommen nur durch Zufall nach Deutschland, andere wählen es ganz bewusst. Wer sein Land wegen Hunger oder Krieg verlassen musste, reflektiert vielleicht zunächst nicht, ob er sich in der deutschen Kultur auch heimisch fühlen kann. Nur die Zeit zeigt, ob Deutschland für sie zu einer neuen Heimat wird. Nicht jeder mag seine Vergangenheit, die Traditionen und Werte, einfach ablegen und in ein neues Leben schlüpfen. Viele hoffen, bald wieder nach Hause zurückkehren zu können. Andere wollen sich in unserer Gesellschaft einfinden, aber es gelingt ihnen nicht – ihre Ausbildung wird nicht anerkannt und sie finden keine Arbeit oder dürfen als Asylbewerber nicht arbeiten, suchen vergeblich Freunde oder fühlen sich schlichtweg abgelehnt. Und selbst diejenigen, denen eine Integration vollends gelingt, sehnen sich manchmal nach ihrem früheren Leben zurück, als die Zugehörigkeiten klarer und die Beziehungen einfacher waren.

Heimat und Fremde gehören zusammen. »Man muss in die Ferne gehen, um die Heimat, die man verloren hat, wiederzufinden«, sagte Franz Kafka 1924. Ich würde hinzufügen: Man muss den Fremden zuhören, um seine eigene Heimat zu verstehen. Die Geschichten meiner Protagonisten zeigen, was Heimat jenseits der Kochbücher, Jazzkneipen und Hirschgeweihe für eine universelle, tiefe Bedeutung hat. Was Heimat eigentlich ist, zeigen die Antworten in diesem Buch, das ein buntes Kaleidoskop voller Denkanstöße sein will.

Ob die Menschen, die in der Spätantike in einer regelrechten Völkerwanderung in neue, fruchtbarere Regionen zogen, wohl ihre Heimat vermissten? Oder die Kaufleute der Hanse, die im Mittelalter bis nach Novgorod reisten, um ihre Waren zu verkaufen? Sie bauten sich extra ein eigenes Kontor, den Petershof mit einer St. Peterskirche und Wohnhäusern, in denen die Händler unter sich blieben. Sollten sie etwa nicht an Heimweh gelitten haben? Ob Germanen, Hanseaten oder die neuzeitlichen Arbeitsnomaden: Wer seine Heimat verliert, beginnt, sie zu vermissen.

Der Verlust kann unterschiedliche Gründe und Qualitäten haben: Jemand kann die Heimat gezielt verlassen, kann verschleppt werden – oder er fühlt seine Heimat durch äußere Einflüsse bedroht. Letzteres hat in der deutschen Geschichte meist die großen Heimatwellen ausgelöst. Der Bruch mit Traditionen und Geschichte, von außen oder bewusst von innen herbeigeführt, führt zu einem Wandel, der als Verlust wahrgenommen wird. Auch die gesellschaftlichen Umwälzungen der Völkerwanderung und des modernen internationalen Handels werden für die Betroffenen eine solche Bedrohung dargestellt haben. Und doch werden sie in den Forschungen zur Heimat nie erwähnt. Denn Heimat, so erklärt Klaus Ries, Historiker an der Universität Jena, ist nicht nur ein reaktiver, sondern auch ein reflexiver Begriff: »Heimat reagiert auf Transformationsprozesse – und aus der Reaktion resultiert ein Reflektieren darüber. Erst dieses Zusammenspiel prägt unseren modernen Heimatbegriff.« Selbst wenn die Hanseaten ihre Heimat vermissten – für die Wissenschaft ist das unsichtbar geblieben, denn es gibt keine Quellen dazu.

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