Was ist Telepresence Art? Untersuchung anhand "Rara Avis" von Eduardo Kac und "Telematic Vision" von Paul Sermon - Corinna Gronau - E-Book

Was ist Telepresence Art? Untersuchung anhand "Rara Avis" von Eduardo Kac und "Telematic Vision" von Paul Sermon E-Book

Corinna Gronau

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Beschreibung

Studienarbeit aus dem Jahr 2014 im Fachbereich Kunst - Computerkunst, Medienkunst, Note: 1,0, Technische Universität Berlin (Sprache und Kommunikation), Veranstaltung: Internet als Verbreitungsmedium, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Definition von Telepräsenz als „experience of presence in an environment by means of a communication medium“ aus dem Aufsatz „Defining virtual reality: Dimensions determining telepresence“ aus dem Jahr 1992 von Jonathan Steuer wird auch heute noch oft zitiert, wenn es um das Phänomen Präsenz bzw. Telepräsenz geht. Mit dem Aufkommen Virtueller Realitäten in den 1990er Jahren rückte das theoretische Konstrukt in den Vordergrund. Geprägt wurde der Begriff Telepräsenz jedoch schon 1980 von Marvin Minsky, einem amerikanischen Forscher auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz, der Telepräsenz als Teleoperation an entfernten Orten definierte. Seitdem wurden auf dem Feld der Präsenzforschung verschiedenste Ansätze entwickelt, um dieses subjektive Gefühl an einem mediatisierten Ort präsent zu sein, zu messen und mitwirkende bzw. auslösende Faktoren auszumachen. Allerdings fehlt bis heute eine standardisierte konzeptuelle und operationale Definition. Einzig die zentrale Idee der Wahrnehmungsillusion einer Nicht-Mediation liege, wie Matthew Lombard und Theresa Ditton in ihrer bedeutenden Arbeit „At the Heart of It All: The Concept of Presence“ von 1997 konstatieren, allen Konzepten zugrunde. Zeitgleich mit dem vermehrten Interesse auf wissenschaftlicher Seite fand das Konzept Telepräsenz auch Einzug in die Kunst. Es waren vor allem der brasilianische Künstler Eduardo Kac und der an der University of California lehrende Ken Goldberg, die sich sowohl künstlerisch als auch theoretisch mit Telepräsenz und den Implikationen von Telepräsenz für den Kunstbegriff auseinandersetzen. Telepräsenz ist für Kac ein neues Kunstmedium, das eine neue Form von Kunst – Telepresence Art – hervorbringt und im Rahmen der elektronischen interaktiven Kunst anzusiedeln ist. Welche Rolle spielt das Telepräsenz-Konzept in der Telepresence Art? Was genau zeichnet diese Kunstform aus und welche Intentionen verfolgen die Künstler mit ihren Kunstwerken? In der vorliegenden Arbeit sollen diese Fragen anhand zweier ausgewählter Kunstwerke näher beleuchtet werden.

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Inhaltsverzeichnis

 

1. Einleitung

2. Zum Telepräsenzbegriff

3. Rara Avis von Eduardo Kac

4. Telematic Vision von Paul Sermon

5. Die Rolle von Telepräsenz in den vorgestellten Kunstwerken

5.1 (Tele-)Kommunikation und Interaktion

5.2 Virtueller Raum und Telepräsenz-Körper

5.3 Immersion versus Reflexion

6. Fazit

7. Abbildungen

8. Abbildungsverzeichnis

9. Literaturverzeichnis

 

1. Einleitung

 

„Presence is defined as the sense of being in an environment. […] Telepresence is defined as the experience of presence in an environment by means of a communication medium.In other words, presence refers to the natural perception of an environment, and telepresence refers to the mediated perception of an environment.“[1]

 

Diese Definition von Telepräsenz aus dem Aufsatz Defining virtual reality: Dimensions determining telepresence aus dem Jahr 1992 von Jonathan Steuer wird auch heute noch oft zitiert, wenn es um das Phänomen Präsenz bzw. Telepräsenz geht.[2] Mit dem Aufkommen Virtueller Realitäten in den 1990er Jahren rückte das theoretische Konstrukt in den Vordergrund. Geprägt wurde der Begriff Telepräsenz jedoch schon 1980 von Marvin Minsky, einem amerikanischen Forscher auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz, der Telepräsenz als Teleoperation an entfernten Orten definierte.[3] Seitdem wurden auf dem Feld der Präsenzforschung verschiedenste Ansätze entwickelt, um dieses subjektive Gefühl an einem mediatisierten Ort präsent zu sein, zu messen und mitwirkende bzw. auslösende Faktoren auszumachen. Allerdings fehlt bis heute eine standardisierte konzeptuelle und operationale Definition.[4] Einzig die zentrale Idee der Wahrnehmungsillusion einer Nicht-Mediation liege, wie Matthew Lombard und Theresa Ditton in ihrer bedeutenden Arbeit At the Heart of It All: The Concept of Presence von 1997 konstatieren, allen Konzepten[5] zugrunde.[6]

 

Zeitgleich mit dem vermehrten Interesse auf wissenschaftlicher Seite fand das Konzept Telepräsenz auch Einzug in die Kunst.[7] Es waren vor allem der brasilianische Künstler Eduardo Kac und der an der University of California lehrende Ken Goldberg, die sich sowohl künstlerisch als auch theoretisch mit Telepräsenz und den Implikationen von Telepräsenz für den Kunstbegriff auseinandersetzen.[8] Telepräsenz ist für Kac ein neues Kunstmedium, das eine neue Form von Kunst – Telepresence Art – hervorbringt und im Rahmen der elektronischen interaktiven Kunst anzusiedeln ist.[9]

 

Welche Rolle spielt das Telepräsenz-Konzept in der Telepresence Art? Was genau zeichnet diese Kunstform aus und welche Intentionen verfolgen die Künstler mit ihren Kunstwerken? In der vorliegenden Arbeit sollen diese Fragen anhand zweier ausgewählter Kunstwerke näher beleuchtet werden. Mit Rara Avis von Eduardo Kac wurde eine Arbeit von einem der Pioniere der Telepresence Art gewählt. Telematic Vision von dem britischen Künstler und an der University of Salford lehrenden Paul Sermon ist das zweite Werk, das wiederholt in kunstwissenschaftlichen Texten der Telepresence Art zugeordnet wurde und deswegen Eingang in die vorliegende Arbeit gefunden hat.[10] Beide Kunstwerke sollen zunächst vorgestellt und anschließend daraufhin untersucht werden, inwiefern Telepräsenz – unter Einbeziehung theoretischer Grundlagentexte zur Telepresence Art – in den Installationen eine Rolle spielt. Merkmale dieser Kunstform sollen herausgearbeitet und – vor allem im Hinblick auf die Telepräsenzdefinition von Steuer – kritisch bewertet werden.

 

2. Zum Telepräsenzbegriff

 

Zunächst soll das Konzept Telepräsenz, das die Grundlage für Telepresence Art bildet, genauer vorgestellt werden. Aufgrund des großen Einflusses soll die Definition nach Steuer für die vorliegende Arbeit herangezogen werden. Steuer erweitert mit seiner Definition den Telepräsenzbegriff von Minsky. Die Illusion via Telekommunikationssystemen zu weit entfernten, realen, physischen Orten transportiert zu werden, setzt Steuer seine Definition entgegen, welche das theoretische Konstrukt Telepräsenz verallgemeinert: Telepräsenz als Gefühl an jedem beliebigen – also auch an einem nicht realen – „Ort“, der durch ein Medium kreiert wird, präsent zu sein. In Abgrenzung zu hardwarelastigen, technischen Definitionen[11] wie bei Minsky wird Telepräsenz bei Steuer zu einer Eigenschaft von Virtueller Realität, wobei nicht nur ein Computer, sondern jedes Medium (mentale) Virtuelle Realität generieren kann.[12] Das Gefühl von Präsenz kann demnach auch beim Lesen eines Buches oder Briefes, beim Fernsehen oder beim Spielen eines Computerspiels aufkommen und differiert von Medium zu Medium, sowie von Individuum zu Individuum: „[…] telepresence is the extent to which one feels present in the mediated environment, rather than in the immediate physical environment.“[13] Telepräsenz als individuelle Erfahrung wird somit zu einem graduierbaren Konzept, wobei Virtuelle Realität das Medium ist, welches gemeinhin das stärkste Gefühl von Präsenz beim Benutzer weckt. Gleichzeitig negiert Steuer mit seiner Definition das klassische Sender-Empfänger-Modell. Das Individuum wird zum Sender und Empfänger in einer Person: mediatisierte Umgebungen werden kreiert und dann erlebt.[14]

 

Laut Steuer sind es die Variablen Lebendigkeit (vividness) und Interaktivität (interactivity), die Präsenzgefühle auslösen und mit Telepräsenz positiv korrelieren: „[…] the more vivid and the more interactive a particular environment, the greater the sense of presence evoked by that environment.“[15] Mit Lebendigkeit ist die Fähigkeit eines Mediums gemeint, eine sensorisch reiche Umwelterfahrung zu vermitteln. Sensorische Breite (breadth) – also die Quantität der sinnlichen Erfahrung – und Tiefe (depth) – die Qualität der Eindrücke – sind die bestimmenden Variablen von Lebendigkeit. Je mehr Sinne beim Benutzer angesprochen werden und je höher die kodierte Datenmenge und die Bandbreite des Übertragungskanals sind, desto lebendiger ist die mediatisierte Umgebung, was wiederum die Präsenzerfahrung verstärkt.[16] Interaktivität verweist dagegen auf die Beeinflussbarkeit der mediatisierten Umgebung durch den Benutzer. Hier sind es die Variablen Geschwindigkeit (speed) – die Geschwindigkeit der Anpassung des Systems an die Eingaben des Benutzers –, Umfang (range) – die Menge an Veränderungen, die der Benutzer in der mediatisierten Umgebung vornehmen kann – und Anpassung (mapping) – inwieweit menschliche Aktionen mit Aktionen in der mediatisierten Umgebung in natürlicher Weise verbunden sind –, die zur Interaktivität beitragen. Je schneller das Mediensystem reagiert, je mehr Kontrolle der Benutzer über die mediatisierte Umgebung hat und je mehr körperliche Möglichkeiten der Aktion ihm in der mediatisierten Umgebung vom System eingeräumt werden, desto höher ist die Interaktivität und damit auch die Telepräsenz.[17] Steuer betont, dass die Variablen Lebendigkeit und Interaktivität nur auf das darstellerische Leistungsvermögen der Technologie bzw. des Systems verweisen. Der jeweilige Stimulus habe ähnliche, aber nicht identische Auswirkungen auf verschiedene Benutzer.[18]

 

3. Rara Avis von Eduardo Kac

 

Die Installation Rara Avis wurde 1996 von Kac kreiert und vom 28.06.1996 bis zum 24.08.1996 im Nexus Contemporary Art Center in Atlanta als Teil des Olympic Arts Festival ausgestellt.[19] Der Besucher sah beim Betreten des Ausstellungsraumes zunächst einen großen Käfig bzw. eine Voliere mit 30 kleinen, gräulichen Zebrafinken, die um einen großen tropischen, bunten, unbeweglichen Ara flogen (vgl. Abb. 1, 2). Vor dem Käfig lag auf einem Podest ein „virtual reality headset“, ein HMD.[20] Es handelte sich um ein Modell, das auf dem neuesten Stand der Technik war, also farbige 3D-Bilder in Echtzeit projizierte. Sobald der Besucher das HMD aufsetzte, sah er die Szene nicht mehr aus seinem Blickwinkel, sondern nahm die Voliere aus der Perspektive des Aras wahr (vgl. Abb. 3). Die Person wurde somit in den Käfig versetzt und sah sich nun selbst aus der Sicht des Aras. Ermöglicht wurde dieser Perspektivwechsel, weil es sich bei dem Ara um einen Teleroboter handelte, der anstelle seiner Augen zwei CCD-Kameras hatte (vgl. Abb. 4). Um das Gesichtsfeld des Aras dem menschlichen stereoskopischen Sehen anzupassen, hatte der Künstler die Augen des Teleroboters vorne platziert und nicht an den Seiten des Kopfes (vgl. Abb. 4). Kac nannte den Ara deswegen „macowl“, eine Kreuzung aus „macaw“ und „owl“, also Ara und Eule. Wenn der Besucher seinen Kopf nach links oder rechts drehte, dann bewegte sich auch der Kopf des Aras, was der Person erlaubte, den ganzen Raum vom Standpunkt des Aras aus zu betrachten.

 

Gleichzeitig war die Installation permanent mit dem – zu dieser Zeit noch nicht weit verbreiteten – Internet verbunden und zwar gleichzeitig via Web, CU-SeeMe[21] und MBone[22]. Weltweit hatten Internetnutzer die Möglichkeit auch aus der Entfernung heraus nicht nur zu Beobachtern, sondern zu Teilnehmern der Installation zu werden. Sie sahen auf ihren Computerbildschirmen zeitgleich dieselben Videobilder, die im Inneren des HMD projiziert wurden.[23] Zusätzlich konnten sie mithilfe eigener Kameras und Mikrophone bzw. über das CU-SeeMe-Programm live aufgenommene Videos von sich senden und sich so mit anderen Nutzern austauschen (vgl. Abb. 5). Die online eingesprochenen Worte bzw. Unterhaltungen zwischen den Internetnutzern wurden in Echtzeit durch den Stimmapparat des Aras wiedergegeben. Die multiplen Stimmen der Internetnutzer wurden so zur Stimme des Aras, die in der Galerie zu hören war. Die Geräusche in der Galerie, eine Kombination der „Vogelstimme“ und der Besucher vor Ort, waren wiederum bei den entfernten Teilnehmern über das Internet zu hören. Videos und Ton wurden bidirektional in Echtzeit vom Computer verarbeitet. Der Körper des Teleroboters „macowl“ wurde so gleichzeitig von lokalen Besuchern der Ausstellung und Internetnutzern weltweit geteilt (vgl. Abb. 6).[24]

 

4.Telematic Vision von Paul Sermon

 

Die Installation Telematic Vision wurde 1993 von Sermon im Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe für die ZKM Multimediale 3 entworfen und dort in Verbindung mit dem Mediapark Köln einen Monat lang präsentiert. Seitdem wurde Telematic Vision mehr als zwanzig Mal in der ganzen Welt ausgestellt, zuletzt 2009/10 wieder im ZKM.[25][26] Die Installation besteht aus zwei identisch aufgebauten, weit voneinander entfernten, über Telefonleitungen verbundenen Arrangements: ein blaues Sofa, davor ein großer Monitor und eine Kamera und an beiden Seiten des Sofas jeweils ein kleiner Monitor (vgl. Abb. 7).[27] Der Aufbau erinnert stark an eine typische Fernsehsituation, was vom Künstler auch so intendiert ist. Sobald sich Besucher der Ausstellung auf das jeweilige Sofa setzen – Person A auf das Sofa in Ort X und Person B auf das andere Sofa in Ort Y – nimmt die Videokamera das Geschehen auf und sendet das live chroma-key-bearbeitete[28] Videobild via 3 x 64K ISDN-Leitung zumchroma-key System des jeweiligen anderen Ortes, wo die Videobilder miteinander kombiniert und unmittelbar auf die drei Monitore an den beiden Orten rückübertragen werden. Anders ausgedrückt werden die zwei verschiedenen Videoeinstellungen mit Hilfe eines Bluescreen-Videofilters zu einem einzigen Bild gemischt und gleichzeitig an beide Orte gesendet (vgl. Abb. 8). Der Effekt ist, dass Person A und B, obwohl räumlich voneinander getrennt, auf einmal auf dem großen Monitor zusammen auf einem Sofa sitzen. Es entsteht ein gemeinsamer virtueller Raum Z, in dem sich die beiden Personen über die Distanz hinweg befinden und interagieren können. Die Kommunikation zwischen den beiden Personen basiert auf Mimik und Gestik, sowie auf Bewegungen, weil das Audiosignal fehlt.[29] Anstatt zum passiven Fernsehkonsumenten, wie der Aufbau zunächst suggeriert, werden die Besucher zu Akteuren, die ihr eigenes Fernsehprogramm kreieren.[30]

 

5. Die Rolle von Telepräsenz in den vorgestellten Kunstwerken

 

5.1 (Tele-)Kommunikation und Interaktion

 

Vergleicht man die beiden Kunstwerke von Kac und Sermon, so zeigen sich viele Parallelen, obwohl die Installationen auf den ersten Blick sehr unterschiedlich zu sein scheinen. Beide Künstler nutzen Telekommunikation als Grundlage ihrer Werke. Unter Telekommunikation versteht man den Austausch von Informationen über eine gewisse Distanz hinweg. Kommunikation als Sozialhandlung – nicht im Sinne von Signalübertragung ohne die Telepresence Art natürlich nicht funktionieren würde – spielt in beiden Kunstwerken eine große Rolle. Sowohl bei Rara Avis als auch bei Telematic Vision liegt der Fokus auf der Kommunikation zwischen unterschiedlichen Menschen.

 

„I see telepresence art as a means for questioning the unidirectional communication structures that mark both high art (painting, sculpture) and mass media (television, radio).“[31]In Kacs Kunstwerk gibt es keinen „Sender“ und „Empfänger“ mehr. Telepräsenz wird zu einer individualisierten bidirektionalen Erfahrung wie es auch schon Steuer betont hat.[32] Die vielfältigen Möglichkeiten des Austauschs, vor allem über das Internet, machen Rara Avis zu einem komplexen Kommunikationsraum. Interessant dabei ist, dass die Kommunikation zwischen den Internetnutzern wiederum Eingang in das Kunstwerk fand, indem die Unterhaltungen zur Stimme des Aras wurden. So entstand eine Verbindung zwischen Besuchern und Internetnutzern.

 

Bei Sermon wird die zwischenmenschliche Kommunikation zum konstitutiven Element des Kunstwerkes: „Das Kunstwerk ist ein soziales; Es basiert auf Interaktion, Kommunikation und lädt zur Teilnahme ein.“[33] Anstatt zum passiven Fernsehkonsumenten, wie die Installation zunächst suggeriert, wird der Besucher in Telematic Vision zum aktiven Teilnehmer. Partizipation und Interaktion sind Voraussetzung dafür, dass das Kunstwerk „funktioniert“. Der unidirektionale Fernseher wird zu einem bidirektionalen Medium transformiert, einem „Treffpunkt“ für die unterschiedlichsten Menschen. Auch bei Rara Avis gibt es keine passiven Beobachter. Der Besucher kann auf unterschiedlichen Kanälen – entweder vor Ort per HMD oder aus der Ferne über das Internet – auf das Kunstwerk zugreifen und dieses mitgestalten, sei es visuell oder akustisch. Die veränderte Form der Rezeption hat auch Einfluss auf das Kunstwerk selbst. Es handelt sich nicht mehr um ein fertiges Objekt, sondern bekommt einen prozessualen Charakter.

 

Zum anderen impliziert Telekommunikation auch immer die Überwindung von Distanzen mittels technischer Übertragungsverfahren. Sowohl Kac als auch Sermon nutzen dieses Prinzip für ihre Installationen, in denen der Besucher an einen anderen Ort – in den Vogelkäfig bzw. in den virtuellen Raum des Monitorbildes – transportiert wird. Damit ist die wesentliche Eigenschaft von Telepräsenz erfüllt: das Gefühl an einem anderen Ort zu sein, an den man via Medium transportiert wurde. Kac legt in seinen Ausführungen zur Telepresence Art jedoch eindeutig den Schwerpunkt auf letzteres:

 

„The distinction between telepresence and virtual reality can be further clarified by comparing the processes of these two technologies. virtual reality relies on the power of illusion to give the observer a sense of actually being in a synthetic world. VR makes perceptually "real" what in fact only has virtual (i.e., digital) existence. By contrast, telepresence transports an individual from one physical space to another, often via a telecommunications link.“[34]

 

Telepräsenz als „sense of being there“ wird damit in den Bereich von Virtueller Realität als künstlich geschaffene Welt verlagert. Für Kac ist Telepräsenz der Transport eines Individuums mittels eines Telekommunikationsmediums von einem physischen Ort zu einem anderen. Auch bei Sermon werden räumlich voneinander entfernte Besucher an einen anderen, gemeinsamen Ort transportiert:

 

„The two spaces which can be any geographical distance apart are linked via an H.323 internet videoconference connection, making it possible to link and combine these telematic installations and there performing audiences between almost any location in the world.“[35]

 

Stets sind es physische Entfernungen, die es zu überwinden gilt; eine wesentliche Einschränkung im Vergleich zum Telepräsenz-Konzept Steuers.

 

Legt man die beiden Variablen Lebendigkeit und Interaktivität als Auslöser für Präsenzgefühle den Kunstwerken zugrunde, dann ergibt sich für Rara Avis im Vergleich zu Telematic Vision in der Kategorie Lebendigkeit ein höherer Wert. Die Qualität der Eindrücke (depth) ist bei Rara Avis höher, weil hier ein VR-Display verwendet wurde, das farbige 3D-Bilder in Echtzeit projizierte. Bei Telematic Vision ist die virtuelle Präsenz auf ein flaches Bild reduziert. In der Kategorie Interaktivität liegt Telematic Vision dagegen vorne, weil der telepräsente Körper auf dem Bildschirm nicht nur in Echtzeit auf die Bewegungen der Person reagiert (speed), sondern vom Besucher vollständig kontrolliert wird und damit dem Besucher ein weites Spektrum an Aktionsmöglichkeiten eröffnet (mapping). Bei Rara Avis nahm der Besucher nur die visuelle Perspektive des Aras ein – dies jedoch in Echtzeit –, weitere Möglichkeiten der Aktion waren nicht gegeben. Die Internetnutzer hatten die Möglichkeit, den Teleroboter mit ihrer Stimme zum Sprechen zu bringen. Die technischen Voraussetzungen für die Entstehung von Präsenzgefühlen beim Rezipienten sind somit bei Rara Avis und Telematic Vision gegeben, wobei beide Installationen nach den Kriterien von Steuer dem Rezipienten keine maximale Präsenzerfahrung ermöglichen können.

 

5.2 Virtueller Raum und Telepräsenz-Körper

 

Sowohl bei Rara Avis als auch bei Telematic Vision wird ein virtueller Raum geschaffen. Sobald der Besucher von Rara Avis das HMD aufsetzte und die Perspektive des Aras einnahm, wurde der reale in einen virtuellen Raum transformiert. Diesen virtuellen Raum konnte nicht nur der Besucher mit dem HMD erkunden, sondern auch die Nutzer im Internet, welche dieselben 3D-Videobilder aufrufen konnten. Somit wurde der Telepräsenz-Körper in Form des Teleroboters von vielen Menschen gleichzeitig geteilt. Bei Telematic Vision werden zwei räumlich voneinander getrennte Orte zu einem einzigen virtuellen verschmolzen. Es entsteht eine geteilte Telepräsenzumgebung, in der die beiden voneinander entfernten Personen gemeinsam interagieren.„My work in the field of telematic arts explores the emergence of user-determined narrative between remote participants who are brought together within a shared telepresent environment.“[36]Der Besucher besitzt von diesem Moment an die Kontrolle über einen telepräsenten Körper, der zugleich anwesend und virtuell ist:

 

„In dem Moment, in dem sich die klare Trennung zwischen telepräsenten und realen, physischen Körpern verwischt, wird das Publikum zum ›Voyeur‹ seiner eigenen Handlungen, da der Interaktor nun in und zwischen beiden Orten (virtuell) existiert.“[37]

 

Die Person wird somit zugleich zum internen und externen Beobachter. Die telepräsente Umgebung wird zum „Spielplatz“ für die Wahrnehmung, den Körper und soziale Verhaltensmuster von körperlicher Nähe:

 

„Diese ungewöhnliche Situation körperlicher - wenn auch virtueller - Nähe mit Unbekannten bei gleichzeitiger Aufhebung der üblichen Beschränkungen des konventionellen Raums kann zu einem signifikanten Wandel sozialer Interaktion führen. Teilnehmer können in den - virtuellen - sozialen Raum des Fremden, oder sogar dessen Körper eindringen und dadurch mit den konventionellen sozialen und räumlichen Verhaltensmustern spielen.“[38]

 

5.3 Immersion versus Reflexion

 

Virtuelle Realität impliziert auch immer zu einem gewissen Grad Immersion, einen Zustand, in dem Botschaft und Medium für die Wahrnehmung fast vollständig zusammenfallen, das Medium also unsichtbar wird. Immersion als Prozess, als Übergang von einem mentalen Zustand zu einem anderen, geht in den meisten Fällen mit „emotionaler Involvierung“ und einer Minderung kritischer Distanz einher. Ästhetisches Erleben ist jedoch auf Reflexion angewiesen, wofür wiederum psychologische Distanz die Voraussetzung ist. Aufgabe der Künstler ist es demnach sich mit ihren Werken dieser Distanzlosigkeit zu widersetzen. Der Kunstwissenschaftler Oliver Grau unterscheidet in diesem Sinne zwei Formen von Immersion: Immersion als „mentale Absorbierung“ und Immersion als „geistig aktiver Prozess“.[39] Je natürlicher und intuitiver das Interface – bis zur scheinbaren Auflösung – desto stärker schwindet die Distanz.[40]

 

Bei Rara Avis kam ein HMD zum Einsatz. Mit einem HMD taucht der Benutzer vollkommen in den virtuellen Bildraum ein. In diesem Zustand ist es Grau zufolge kaum noch möglich, das Kunstwerk als autonomen, ästhetischen Gegenstand wahrzunehmen.[41] Demnach müsste Rara Avis eine starke immersive Wirkung beim Besucher auslösen. Indem Kac den Blick jedoch auf die Person selbst zurücklenkt, unterläuft er die gängigen Erwartungen über immersive Technologien. Der Besucher sieht sich selbst aus der Perspektive des Aras, mit dem HMD auf dem Kopf vor dem Käfig stehend. Das Medium wird sichtbar; ein Eintauchen in den virtuellen Raum wird so unterbunden. Stattdessen entsteht eine reflexive visuelle Erfahrung des gleichzeitigen Sehens und Gesehen Werdens. Die innere Distanz des Beobachters wird gewahrt.[42]

 

Bei Telematic Vision ist der virtuelle Raum auf ein flaches Bild reduziert. Dennoch entsteht eine starke immersive Wirkung und zwar durch die Interaktion mit der anderen Person auf dem Monitor: „The more intimate and sophisticated the interaction becomes, the further the user enters into the telematic space.“[43]Die Distanz soll hier nicht gewahrt, sondern überwunden werden: „By restricting verbal communication the participant is further distanced from their telepresent reflected performer role, which allows a far less self-conscious experience in the space.“[44]Dennoch wird eine vollkommene Absorbierung in den virtuellen Raum erschwert, weil das Medium sichtbar bleibt.Sermons Ziel ist es, diesen Umstand zu ändern und maximale Immersion zu erreichen: „[…] my ultimate aspiration is as always to go beyond the keyboard and screen based interface and experience telematic communication within an immersed telepresent environment.“[45]

 

Kac und Sermon setzen unterschiedliche Schwerpunkte in Bezug auf Telepräsenz. Während bei Kac die Teleaktion mit Robotern und Operatoren[46] im Vordergrund steht, ist bei Telematic Vision der immersive Aspekt im Sinne einer „mentalen Absorbierung“ stärker ausgeprägt. Immersion wird bei Kac dagegen zum „geistig aktiven Prozess“, zum Auslöser für reflexive Erfahrungen. Im Spannungsverhältnis zwischen Immersion und Reflexion ergeben sich neue Sichtweisen, werden Fragen aufgeworfen.[47] Beide Künstler spielen in ihren Werken mit dem Telepräsenz-Konzept: Während bei Kac der Telepräsenzkörper von vielen Menschen geteilt wird, wird der menschliche Körper bei Telematic Vision „verdoppelt“ in eine reale und eine virtuelle Version. Telepräsenz als Erfahrung steht bei beiden Künstlern im Mittelpunkt: „Bluntly put, the experience is the artwork.“[48]Sermons Telematic Vision kommt damit dem erfahrungszentrierten Ansatz Steuers sehr nahe. Es geht darum ein möglichst starkes Gefühl von (sozialer) Präsenz beim Besucher hervorzurufen. Aber auch Kac sieht die Erfahrung des Individuums als eigentliche Aufgabe von Telepresence Art:

 

„The idea of telepresence as an art medium is not about the technological feat, the amazing sensation of "being there," or any practical application the success of which is measured by accomplishing goals. […] I see telepresence art as a way to produce an open and engaging experience that manifests the cultural changes brought about by remote control, remote vision, telekinesis, and real-time exchange of audiovisual information.“[49]

 

Telepresence Artsoll den Rezipienten dazu bringen, die Wirkung von neuen Medien auf die Kultur zu hinterfragen. So geht es bei Rara Avis auch um die Frage, wie sich unsere Wahrnehmung durch die Technologie verändert: „[…]How does our position – both in the real world and the virtual one – affect our experience of ourselves and our world?“[50]

 

Insgesamt ist Rara Avis um einiges komplexer als Telematic Vision. Dadurch, dass die Menschen nicht nur als Besucher vor Ort an der Installation teilnehmen konnten, sondern auch die Möglichkeit hatten, über das Internet zu partizipieren, wurden alternative Erfahrungsräume eröffnet. Dazu kam der unterschiedliche Zugang zum Werk über das Internet je nach verwendeter Software.Rara Avisverbindet viele Elemente:

 

„A new aesthetic is emerging as a result of the synergy of new non-formal elements, such as co-existence in virtual and real spaces, telerobotic navigation, synchronicity of actions, real-time remote control, body-sharing of telerobots, and collaboration through networks.“[51]

 

So gerät die eigentliche Bedeutung von Telepräsenz, wie sie Steuer definiert hat, in den Hintergrund: das Gefühl an einem anderen Ort präsent zu sein.

 

6. Fazit

 

Laut Grau verbindet Telepräsenz die drei technologischen Prinzipien Robotik, Telekommunikation und Virtual Reality.[52] Grau vertritt damit eine sehr hardwarelastige Definition von Präsenz, ähnlich der von Minsky und Kac. Mit Rara Avis liegt ein „Musterbeispiel“ für diese Form der Telepräsenz vor. Telepresence Art erscheint damit als eine Kunstform, die viele Aspekte vereint und vor allem auf die Überwindung von Distanzen mittels technischer Medien spezialisiert ist. Aber schon beim zweiten untersuchten Kunstwerk Telematic Vision trifft die Definition in dieser Form nicht mehr zu, weil kein (Tele-)Roboter zum Einsatz kommt. Die Frage lautet also: Müssen immer genau diese drei Prinzipien in einem Kunstwerk vereint sein, damit man von Telepresence Art sprechen kann? Und wenn nicht, wo wird die Grenze gezogen? Was ist mit vollkommen immersiven Kunstwerken wie Osmose von Char Davies (vgl. Abb.9)?[53] Ein virtuelles Kunstwerk, in dem weder Robotik noch Telekommunikation eine Rolle spielen, aber dafür ein „erstaunliches Gefühl leiblicher Präsenz“[54] beim Rezipienten hervorgerufen wird. Wie steht es hier um das Verhältnis von Immersion und Reflexion? Und auf der anderen Seite: Ist ein Kunstwerk wie TeleGarden von Ken Goldberg, in dem Internetnutzer die Möglichkeit hatten, aus der Ferne telerobotisch einen Miniaturgarten zu pflegen (vgl. Abb. 10), noch Telepresence Art? Von einem der Pioniere dieser Kunstform konzipiert, scheint es dennoch ein wichtiges Merkmal von Telepräsenz zu vernachlässigen: das Gefühl an einem anderen Ort präsent zu sein.

 

Ein wichtiges Ergebnis der Untersuchung ist, dass es bei Telepresence Art weniger darauf ankommt, welche Technik verwendet oder ob ein starkes Präsenzgefühl bei den Rezipienten hervorgerufen wird, sondern dass es darum geht, einen individuellen Erfahrungs- und gemeinsamen Kommunikationsraum zu schaffen – einen Ort der Begegnung, des Austauschs und der (Selbst-)Reflexion.

 

7. Abbildungen

Abb.1: Voliere mit Zebrafinken und Ara, im Vordergrund: ein Besucher mit HMD

Abb. 2: Ara, links davon ein fliegender Zebrafink

Abb. 3: Besucher mit HMD

Abb. 4: CCD-Kameras des Aras

Abb. 5: Rara Avis im Internet (mit interaktiven Konferenzen und Cybercasts via Web, CU-SeeMe, und MBone)

Abb. 6: Grafische Darstellung von Rara Avis

Abb. 7: Grafische Darstellung von Telematic Vision

Abb. 8: Technischer Aufbau von Telematic Vision

8. Abbildungsverzeichnis

Abb.1: Voliere mit Zebrafinken und Ara, im Vordergrund: ein Besucher mit HMD

Abb. 2: Ara, links davon ein fliegender Zebrafink

Abb. 3: Besucher mit HMD

Abb. 4: CCD-Kameras des Aras

Abb. 5: Rara Avis im Internet (mit interaktiven Konferenzen und Cybercasts via Web, CU-SeeMe, und MBone)

Abb. 6: Grafische Darstellung von Rara Avis

Abb. 7: Grafische Darstellung von Telematic Vision

Abb. 8: Technischer Aufbau von Telematic Vision

Abb. 9: Technischer Aufbau der Installation Osmose (1995) von Char Davies

9. Literaturverzeichnis