Was wäre wenn …? - Nele Betra - E-Book

Was wäre wenn …? E-Book

Nele Betra

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Beschreibung

Was wäre wenn ...? Eine Anthologie mit vier Geschichten über die Liebe, so unterschiedlich und unberechenbar wie das Leben. *** "Wenn die Angst schweigt" (Teil 1) Eine Firmenfeier. Nur ein Vorwand, um eine weitere Nacht im Delirium, ohne die verhassten Gefühle, hinter sich zu bringen. Den Morgen danach nimmt er, wie viele in den letzten einsamen Monaten, nur verschwommen wahr. Wird es ewig so weitergehen? *** "Wenn dein Herz schreit" (Teil 2) Wenn dein Herz schreit, deine Zukunft dich bedrängt und du vor Angst keinen Finger mehr rühren kannst, dann wird es Zeit... Entscheide dich! Entweder du nimmst deine Füße in die Hand und läufst wie ein Feigling um dein Leben, oder du raffst all deinen Mut zusammen und greifst nach den Sternen. Markus befindet sich genau an diesem Punkt in seinem Leben und bekommt unverhofft Schützenhilfe, aus einer Richtung, die er nie für möglich gehalten hätte. *** "Wenn Hass blind macht" (Teil 3) Endlich ist er da, der Moment, auf den Tobias seit drei Jahren verbissen und rücksichtslos hinarbeitet. Nach einem demütigenden und enttäuschenden Erlebnis hat er nur noch ein Ziel: Vergeltung! Wird er bekommen, was er sich wünscht? *** "Wenn es so sein soll" (Teil 4) Riley Scott ist Mitte dreißig und ein hoffnungsloser Romantiker. Er wünscht sich seit Jahren DEN Partner fürs Leben. Jedoch waren seine bisherigen Beziehungen eher oberflächlich und hielten nie länger als ein paar Monate. Der Wunsch, endlich die große Liebe zu finden, bleibt unerfüllt. So entscheidet er sich seine kostbare Lebenszeit nicht mehr mit einer sinnlosen Suche und immer wieder enttäuschten Erwartungen zu vergeuden. Er akzeptiert, dass es Dinge gibt, die nicht erzwungen werden können, und steckt all seine Kraft in die Verwirklichung seines Traumes: Eine eigene Cateringfirma. Das Leben hat immer einen Plan. Aber kann er wirklich allen Versuchungen des Lebens widerstehen?

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Was wäre wenn …?

Nele Betra

2. Ausgabe 2015

Copyright © Text, Satz & Layout, Cover Design: Nele Betra, 2015

Nele Betra

c/o easy-shop

K. Mothes

Schloßstraße 20

06869 Coswig Anhalt

[email protected]

www.nelebetra.de

Alle Rechte vorbehalten. Übersetzung, Nachdruck und Veröffentlichung jeglicher Art, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Autorin.

Bildrechte vermittelt durch: depositphotos / shutterstock

Inhalt

Wenn die Angst schweigt

Kapitel 1

Wenn dein Herz schreit

1. Neue und alte Bekannte

2. Überzeugungen und Hoffnung

3. Wahrheiten

4. Die zwei von der Muppet Show

Wenn Hass blind macht

1. Zerschunden

2. Das Warum

3. Showdown

4. Ein Neuanfang

Wenn es so sein soll

1. Verrückte Welt

2. Die Franklins

3. Verwirrungen

4. Nächtlicher Überfall und andere Gemeinheiten

Leseprobe - „OPPOSITES - Gegensätze und andere Besonderheiten“

Über den Autor

Bücher von Nele Betra

Wenn die Angst schweigt

„In einem wirklichen magischen Moment schweigt die Angst von allein.“

(c) Kerry Greine

Magische Momente? Dass ich nicht lache. Wer behauptet, dass es die gibt, ist ein wahrhafter Träumer? Ich habe bisher noch keine erlebt. Denke ich.

Wie komme ich überhaupt auf diese wirren Überlegungen? Die Erklärung ist einfach. Ein Satz, von einem meiner Onlinefreunde geschrieben als Kommentar in einem Socialnet, lässt meine Gedanken fliegen und mich Fragen stellen, die ich immer wieder gerne verdränge.

Wollt ihr wissen, um welchen Satz es dabei geht? Also gut, hier ist er:

„In einem wirklichen magischen Moment schweigt die Angst von allein.“

Was für ein Schwachsinn!

Es ist 5 Uhr früh, schweinekalt und finster wie in einer Gruft. Die dunkelste Stunde ist immer die vor Sonnenaufgang. Hab ich mir mal sagen lassen. Angeblich soll es ein chinesisches Sprichwort sein. Keine Ahnung, ob es wahr ist. Vom Gefühl her würde ich dem aus tiefster Seele zustimmen.

Ich liege im Bett. Allein, wie ich hoffe, denn ich habe noch nicht nachgesehen. Mein erster Blick aus verquollen Augen - wenn man die überhaupt so nennen kann - fällt auf mein Handy, welches wie Weihnachtsbeleuchtung in regelmäßigen Abständen sämtliche LED’s blinken lässt. Blau für Facebook. Grün für private Nachrichten. Weiß für WhatsApp. Gelb für meine drei E-Mail-Accounts. Die Mitteilungen und meine elektronische Post müssen jetzt warten, ich bin absolut nicht fähig klar zu denken, oder irgendwem ein Lebenszeichen von mir zukommen zu lassen. Warum ich diese nervige Erfindung an meinem Bett liegen habe? Ist es eine Erklärung, wenn ich sage aus Dummheit? Es wird echt Zeit für Urlaub. Wann war mein Letzter? Erstaunlich... es ist schon so lange her, dass ich in meinen Terminplaner schauen müsste, um mich daran erinnern zu können. Wie konnte das nur passieren?

Mein Kopf dröhnt. Ich streiche durch mein störrisches Haar und stöhne auf. Selbst die Haarwurzeln sträuben sich und schmerzen. In meinem Mund scheint etwas Pelziges verendet zu sein. Ich hauche in meine Hand und sehe es regelrecht vor mir, wie ich vom Geruch grün anlaufe. Mein Magen findet es ebenfalls nicht lustig und rebelliert munter drauf los. Nach der Nachttischlampe suchend taste ich auf dem neben mir stehenden Schränkchen herum, bis ich den Schalter finde und ihn betätige. Meine Augen kneife ich reflexartig zu und lasse mich mit einem schmerzerfüllten Stöhnen ins Kissen zurücksinken.

Zweiter Versuch. Das Licht beißt mir in die Augäpfel und verstärkt das Dröhnen in meinem Schädel. Langsam drehe ich mich zur Seite und lasse meinen Blick über die linke Betthälfte wandern. Die Bettlaken sind zerwühlt, da ich im Schlaf dazu neige zu randalieren, also nichts Bedenkliches. Sehr gut, ich bin tatsächlich allein nach Hause gekommen und muss mich somit nicht für meinen Zustand schämen.

Hätte ich doch nur gestern Abend meine Kollegen ignoriert und dieses Gesöff nicht angerührt. Es roch merkwürdig, sah eklig aus und schmeckte dementsprechend mies. Aber hey, in meiner Situation wäre wohl jedem mit solch einem Alk-Cocktail geholfen. Hauptsache die immerwährenden Achterbahnfahrten meiner Gedanken kommen zum Stillstand.

Sechs Monate! Sollte es nicht langsam besser werden?

Dieses halbe Jahr liegt wie im Nebel. Blackouts wie der heute Nacht sind keine Seltenheit. Meine tägliche Arbeit verrichte ich routiniert, eher wie eine Maschine, die einem Programm folgt. Acht Stunden am Tag Tunnelblick. Die Frage ist nur, was sehe ich am Ende des Tunnels? Dunkelheit. Nur abgrundtiefe Stille und verzehrenden Schmerz.

Verdammt! Welcher Idiot hat eigentlich je gesagt, dass die Zeit alle Wunden heilt? Den würde ich gern persönlich kennenlernen. Vielleicht auch in der Dunkelheit? In einer Gasse, ganz allein würde ich mit ihm sehr gern näher auf dieses Thema eingehen.

Ein Scheppern gefolgt von unverständlichen Worten dringt ins Schlafzimmer. Ich fahre aus meinen Gedanken hoch und greife mir im selben Augenblick an meine stechende Schläfe, als die Tür zum Bad geöffnet wird und sich ein Mann auf leisen Sohlen versucht ins Zimmer zu schleichen.

Mist! Ich bin doch nicht allein. Weiterhin meine Hand gegen die Stirn gepresst traue ich meinen Augen nicht. Das kann nicht sein!

Völlig in sein Bemühen vertieft, sich so leise wie möglich zu bewegen, bemerkt er nicht, dass bereits ein diffuses Licht das Zimmer erhellt und ich hellwach - zumindest so hellwach ich in meinem Zustand sein kann - im Bett sitze und ihn anstarre.

Ich würde mich gern bemerkbar machen, aber meine Synapsen spielen noch Fangen mit sich selbst und geben mir keine Möglichkeit auf angemessene Weise zu reagieren. Was mir selbst im katerlosen Zustand schwergefallen wäre, da dieser Mann kein geringerer ist, als jener, der mich vor einem halben Jahr in die emotionale Hölle geschickt hat.

Ein Stechen in der Brust. Ein Ziehen in der Magengegend. Es hilft alles nichts, ich muss aufstehen, sonst gibt es hier im Bett ein Unglück. Ich quäle meine Beine über die Bettkante. Was mein Gegenüber nun doch aus seiner Trance herausholt und mitten in seiner Bewegung erstarren lässt. Ein Fuß in der Luft, leicht nach vorn gebeugt, um sich vor was auch immer zu ducken, steht er mitten im Zimmer und starrt mich mit offenem Mund an. Witziger Anblick. Bei jeder anderen Person wäre ich sicher in Gelächter ausgebrochen. Bei ihm fällt es mir schwer meinen Mageninhalt bei mir zu behalten. Mit einer Hand vor meinem Mund sprinte ich ins Bad und lasse ihn ohne Kommentar stehen.

Im Bad angekommen werden die Kopfschmerzen nur noch unerträglicher. Das Licht überm Spiegelschrank ist grell. Wunderbar, wenn ich mich rasieren muss, da jede Pore und Falte zu sehen ist. Jetzt ist es einfach nur ätzend. Am Boden liegt ein Becher. Der war es wohl auch, der das scheppernde Geräusch verursacht haben muss. Hat er sich den Mund gespült? Nein, auf dem Waschtisch liegt eine neue Zahnbürste, die aufgebrochene Verpackung daneben. Wirklich? Er schleppt mich im Delirium zu mir nach Hause, verbringt die Nacht bei mir - wer weiß, vielleicht auch mit mir - und putzt sich nach allem, was er mir angetan hat einfach seine Zähne, um klammheimlich zu verschwinden? Ich bin so ein Idiot!

Meine Übelkeit ist so plötzlich verschwunden, wie sie aufgetaucht ist. Wird durch ein Zittern ersetzt, welches mich dazu zwingt meinen Hintern auf dem kalten Toilettendeckel zu parken, was mir wiederum schlagartig ins Bewusstsein ruft, dass ich splitterfasernackt bin.

Kann es eigentlich noch schlimmer kommen?

Ja es kann.

Die Badtür geht abermals auf und er steht im Türrahmen, unschlüssig... tritt von einem Fuß auf den anderen. Kann sich nicht entscheiden, ob er reinkommen soll oder nicht. Ich sehe es ihm an. Weiß was er denkt. Zu lange kenne ich ihn schon. Und doch läuft mir eine Gänsehaut über den Körper, als er mich anspricht. „Alles okay bei dir?“

Vier Worte, die ich liebe und gleichzeitig hasse. Hat er mich das je gefragt? Ich zucke mit den Schultern. „Mir geht’s gut, wenn du den heutigen Morgen meinst. Langsam gewöhne ich mich daran.“ Oh, das war mehr, als ich sagen wollte.

Seine Reaktion auf meine Antwort ist ein tiefes Seufzen und in sich Zusammensinken, bevor er durch seine dunklen Locken streicht und flüstert: „Hab‘ ich wohl nicht anders verdient. Brauchst du etwas? Kann ich dir ein Glas Wasser bringen?“

„Wenn ich mich nicht irre, wolltest du gerade gehen. Also leb wohl!“, meine Wut, seit Monaten angestaut, verschafft sich Platz. Was glaubt er eigentlich, was er hier tut?

Sein Kopf fährt hoch, überrascht durch meine lauten und harschen Worte. „Du verstehst nicht... es sind einfach Dinge passiert... die du... die du sicher nicht verstehen würdest“, versucht er sich im wirren Gestammel zu rechtfertigen.

Ich hebe abwehrend meine Hände. „Hör auf! Ich will es nicht wissen. Spielt keine Rolle mehr. Ich will nur noch, dass du gehst. Also verschwinde endlich!“ Den letzten Satz brülle ich ihm entgegen und sinke sofort wieder in mich zusammen. Scheiß Alk. Das muss ein Ende haben. So geht es nicht mehr weiter. Ich kann nicht einmal meiner Wut ein Ventil bieten, ohne hinterher wie ein Häufchen Elend auf dem Klo zu hocken. Das macht mich rasend und zugleich verzweifelt.

Was mir bei aller Peinlichkeit entgangen ist, kämpft sich mit voller Wucht an die Oberfläche. „Bevor du verschwindest, wäre es sehr nett von dir, mir zu sagen, was du überhaupt in meiner Wohnung suchst.“ Meine Worte triefen vor Sarkasmus.

Er steht immer noch in der Tür. Traut sich keinen Schritt weiter an mich heran und schaut betreten auf den Fliesenboden. „Du kannst dich nicht mehr erinnern?“

„Würde ich fragen, wenn ich es täte?“, raunze ich ihn an.

„Hm... stimmt.“

„Also?“

„Ich habe dich sternhagelvoll im Ruben’s aufgesammelt.“

„Was? Wieso im Ruben’s? So ein Quatsch. Ich war auf einem Firmenausflug... zumindest erinnere ich mich noch daran, von meinen Kollegen dieses Zeug vorgesetzt bekommen zu haben“, nuschle ich irritiert vor mich hin.

„Ich kann dir nicht sagen, wie du dort hingekommen bist. Ich weiß nur, dass ich dich dort hab pöbeln hören, als ich rein kam. Und die Barbesitzer sind nicht erfreut über solche Art von Gästen. Also habe ich ihnen gesagt, du gehörst zu mir und brachte deinen Hintern nach Hause. Ich wollte längst weg sein, wenn du wach wirst. Du hättest nie erfahren, was passiert ist.“

„Das ist typisch für dich. Einfach abhauen, scheint deine bevorzugte Art des Verschwindens zu sein.“ Ich werde theatralisch. Nur kann ich meine Gefühle schlecht verbergen.

Mir macht nicht zu schaffen, dass ich mich im Ruben’s daneben benommen habe. Ich kenne die Jungs da und werde es beim nächsten Besuch wieder geradebiegen. Mir macht zu schaffen, dass ich von ihm aufgelesen wurde. Sozusagen gerettet und nach Hause gebracht, um von ihm abermals stillschweigend verlassen zu werden. Auch wenn sein Plan funktioniert hätte und ich nun nicht wüsste, was gestern geschehen ist. Es hat mich damals zu tiefst verletzt und tut es immer noch.

„Ja, mag sein. Aber wie gesagt, gibt es für alles einen Grund. Auch dass ich dich gestern im Ruben’s getroffen habe, war kein Zufall.“

„Was soll das bitte heißen? Spionierst du mir nach?“

„Das würde ich jetzt nicht so krass ausdrücken, aber... ach was soll’s. Ja, ich spioniere dir nach.“ Er kommt auf mich zu, greift meinen Morgenmantel, der hinter der Tür hängt, und legt ihn mir sanft über die Schultern. Diese Geste ist neu. So kenne ich ihn nicht. Bei uns war immer ich derjenige, der sich um ihn gekümmert hat. Nicht dass mich das gestört hätte, aber ich muss zugeben, es fühlt sich gut an und ich sehe diese Seite das erste Mal an ihm.

Zurück zu dem, was er mir gerade offenbart hat. Er gibt es auch noch unumwunden zu, mich zu stalken? Ich glaube, ich höre nicht richtig. Was noch schlimmer ist, ich hab es nicht einmal bemerkt.

Meine Gedanken muss ich laut geäußert haben, denn von ihm kommt prompt eine Antwort. „Das konntest du auch nicht. So oft wie du im Alkoholrausch durch Leben gehst, wundert mich, dass du überhaupt noch an einem Stück bist“, weist er mich zurecht. „Aber lass uns doch erst einmal deinen heutigen Kater in einen Zwinger stecken.“

„Tja, mit heimlich abhauen ist es wohl nicht mehr getan?“, maule ich und versuche mich vom Klo zu erheben. Meine gottverdammten Beine machen mir einen Strich durch die Rechnung. Es muss doch ziemlich heftiges Zeug gewesen sein, was sie mir da gegeben haben.

„Du sagst es. Ich kann mich nicht von dir fernhalten. Also lass uns das Beste draus machen.“ Der Stimmungswechsel lässt mich aufhorchen.

„Ich glaube, du spinnst! Du verschwindest nach zwei Jahren Beziehung sang- und klanglos aus meinem Leben. Kommst nach 6 Monaten, ohne Lebenszeichen oder irgendeiner Erklärung, mir nichts dir nichts angerauscht und denkst, ich würde das so schlucken und so tun als wäre nichts geschehen? Träum weiter, mein Lieber! Ich weiß ja nicht, was mit dir in der Zwischenzeit geschehen ist, aber naiv warst du noch nie.“

„Es ist, wie schon gesagt, eine ganze Menge passiert, was nicht nur mich betrifft.“

Okay, das hatte so keinen Sinn mit ihm zu reden. Wir drehen uns im Kreis. Ich bin sauer auf ihn, verletzt und zugleich neugierig. „Pass auf, ich mach dir ‘nen Vorschlag...“ Ich wickle mich in den Mantel und stehe vorsichtig auf. So komme ich mir nicht mehr allzu verletzlich vor und kann endlich halbwegs klar denken. „... auch wenn ich weiß, dass ich es sicher bereuen werde“, nuschele ich auf dem Weg zur Dusche. „Lass uns nachher in Ruhe über alles reden. Ich werde mich jetzt unter die Dusche stellen und hoffen, dass sie mir den letzten Rest Dummheit abspült. Wenn du willst, kannst du uns in der Zeit Kaffee aufbrühen. Im Kühlschrank sind noch ein paar Eier und belegte Brote von gestern. Sollte ich aus dem Bad kommen und du bist weg... bitte, dann lass dich aber auch nie wieder bei mir blicken.“ Sein Gesicht hellt sich auf. Voller Hoffnung, was mir mein Herz schwer macht. Er tut gerade so, als hätte ich ihn verlassen.

Ich drehe mich zur Dusche, betätige die Armatur, um das Wasser warmlaufen zu lassen. Mein Mantel rutscht mir vom Körper und ich höre hinter mir, wie er bei meinem Anblick die Luft zwischen seinen Zähnen einzieht und leise murmelt: „Es wird Zeit, dass ich mich um dich kümmere.“

Bei seinen Worten schließe ich die Augen und warte, bis die Tür hinter ihm ins Schloss fällt. Ich atme einmal tief durch. Ist das eben alles ernsthaft geschehen? Oder habe ich einen extrem realistischen Tagtraum? Nein, das kann kein Traum sein. Ich habe ihn gehört, gesehen und... oh ja, seinen Geruch kann ich mir nicht einbilden, obwohl... so ganz richtig war er dann doch wieder nicht. Egal, er ist also tatsächlich hier. Bei mir, in meiner Wohnung. Ich muss zugeben, er sieht gut aus und doch irgendwie anders. Etwas hat sich verändert. Ich kann nur nicht den Finger drauflegen. Seine Haare sind dunkel und lockig wie eh und je, dennoch sehen sie nicht richtig aus. Wenn er jetzt vor mir stehen würde, wäre ich geneigt hindurchzufahren, nur um meine Annahme zu bestätigen. Meine Finger wissen noch ganz genau, wie sie sich anfühlen sollten. Aber was kann eine Veränderung in diesem Ausmaß hervorgerufen?

Endlich ist das Wasser warm und die Duschkabine vom Dampf aufgeheizt. Ein erleichterter Seufzer entkommt mir, als das heiße Nass auf meine empfindliche Haut prasselt. Ich hebe den Kopf und genieße die Wärme, die über mein Gesicht fließt und meinen Körper einhüllt. Meine Gedanken wandern natürlich sofort zurück zu ihm. Ob er noch da ist, wenn ich in die Küche komme? Ich benehme mich kindisch. Das hat er früher immer gehasst. Seiner Meinung nach sollte ich mich wie ein richtiger Mann benehmen.

Er hat recht. Was bringt es einem, Träume zu haben? Ich höre ihn noch, wie er gebetsmühlenartig runterbetete: „Das reale Leben spielt sich nicht in deiner Fantasie ab. Werd’ erwachsen!“ Warum erinnere ich mich jetzt an diese Dinge? Bisher sind mir nur die positiven Erinnerungen im Kopf umhergewirbelt. Aber jetzt...

Es sind die Kleinigkeiten, diverse Unterschiede, die mir in den Sinn kommen und mich hellhörig werden lassen.

Meinen Suffkopf geklärt, der Kater verzieht sich langsam aber sicher, verwöhne ich mich mit meinem Lieblingsduschbad. Mir ist zwar noch flau in der Magengegend, aber das lässt sich mit einem ordentlichen Frühstück und etwas Kaffee - nicht zu vergessen, Aspirin - wieder in Ordnung bringen.

Ich stelle die Dusche aus, mir wird schlagartig kalt. Somit schlinge ich mir das Badetuch um die Hüften und gehe zum Waschbecken, um diesen ekelhaften Alk-Geschmack loszuwerden. Mit der Zahnbürste im Mund mustere ich mich, nehme mich nach Monaten der Selbstverleugnung bewusst wahr und bekomme eine kleine Ahnung, warum er so entsetzt reagierte, als er mich nackt vor der Dusche stehen sah. Ist es das, was ihn so schockierte? Er hat mich doch gestern Abend heimgebracht, mich ausgezogen und ins Bett gesteckt. Ihm muss doch da bereits aufgefallen sein, welche Veränderung ich durchgemacht habe. Okay, vielleicht ist es ihm nur nicht so klar vor Augen geführt worden wie gerade eben.

Ja, ich habe in den letzten Monaten einige Kilo abgenommen. Und ja, ich sehe blass und ausgemergelt aus. Meine Hüftknochen drücken sich durchs Badetuch. Meine Rippen zeichnen sich überdeutlich ab. Ich gebe zu, mit meinem Körper Raubbau betrieben zu haben.

Ich blicke mir in die Augen und treffe eine Entscheidung. Egal was heute noch passiert, dieses Leben hat ein Ende. So geht es nicht mehr weiter. Ich muss mich in den Griff bekommen. Die Abwärtsspirale stoppen und aufhören dem hinterher zu trauern, was ich nicht mehr haben kann. Selbst wenn dieses Etwas draußen in der Küche sitzt.

Vielleicht musste es passieren.

---ENDE DER LESEPROBE---