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Beschreibung

Die Welt des Wissens – und wie wir sie in den Kopf bekommen

Wer heute Wissen sucht, hat Möglichkeiten wie noch nie: Von Bibliotheken bis zum Internet, vom Fernsehen bis zum Hörbuch, von Studienreisen bis zum Science Center – überall werden massenhaft Informationen angeboten. Doch wie findet man sich in diesem riesigen Angebot zurecht? Und welches Wissen braucht der Mensch überhaupt, um die komplexe Gegenwart zu bewältigen?

Gemeinsam mit renommierten Wissens-Experten geben SPIEGEL-Redakteure Antworten auf diese und viele andere Bildungsfragen. Kompakt und unterhaltsam präsentieren sie, was man heute über die Themengebiete Politik, Geschichte, Naturwissenschaften, Wirtschaft, Kultur und im Alltag wissen sollte, wie und wo man am besten neues Wissen erwirbt und was beim Lernen im Kopf passiert. Und wer denkt, dass er schon alles weiß, kann sein Wissen gleich in einem großen Test auf die Probe stellen.

Basiswissen aus Politik, Geschichte, Naturwissenschaften, Wirtschaft, Kultur und Alltag.

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Seitenzahl: 225

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Inhaltsverzeichnis

VORWORTEINLEITUNG - DIE WELT VERSTEHENTEIL I - GRUNDLAGEN DES WISSENS
POLITIK - Der mündige Bürger
Copyright

VORWORT

Für die einen bedeutet es Spaß an der Neugier, andere gehen täglich damit um, viele betrachten sein Fehlen gar als Bedrohung. Einig sind fast alle nur darin: Ohne den Treibstoff Wissen geriete die moderne Zivilisation ins Stocken. Quiz- und Informationssendungen spielen mit Kenntnissen, die kaum jemand auf Dauer behalten muss; Fachkräfte nutzen aktuelle Daten ihrer Branche zur Analyse und erwirtschaften so Millionen. Genauso verbreitet aber ist die Sorge, dass einem entscheidende Informationen fehlen, dass gerade den eigenen Kindern der Zugang zu brauchbarer Bildung unnötig schwer gemacht wird oder gar Schulen völlig am Leben vorbei unterrichten. Kaum ein Faktor heutigen Alltags wird so leidenschaftlich diskutiert wie unser Umgang mit dem Wissen: Worin besteht es überhaupt, wie viel braucht man davon, wie bewahrt man es, und wo lässt es sich am leichtesten und dauerhaftesten erwerben?

Möglichkeiten bieten sich heute in fast unüberschaubarer Menge, vielfältiger als je zuvor: Von Bibliotheken bis zum Internet, vom Fernsehen bis zum Hörbuch, von Studienreisen bis zum Science Center – überall stehen massenhaft Informationen zur Verfügung. Blitzschnell durchsuchen Computerprogramme riesige Datenspeicher; geht es beispielsweise nur um ein fremdes Wort einer bekannten Sprache, sind die Zeiten mühsamer Buchrecherche ein für alle Mal vorbei. Doch sobald es verwickelter wird, Zusammenhänge und Traditionen ins Spiel kommen, ergeben sich rasch ernstere Fragen: Wer garantiert, dass die maschinell erbeuteten Netz-Fänge etwas taugen? Fügen sich all die endlosen Details noch zu einem verständlichen Muster? Welches Wissen braucht der Mensch überhaupt, um die komplexe Gegenwart zu bewältigen?

In diesem Buch versuchen SPIEGEL-Redakteure, unterstützt von vielen Experten, auf diese Fragen Antworten zu geben. Teil I wagt sogar noch mehr: Gegliedert in sechs Hauptbereiche menschlicher Kenntnis, möchte er zumindest die Vorstellung dessen umreißen, was man heute einen Wissenskanon nennen könnte – anhand von Einzelheiten, die gewiss nur als Beispiele zählen können, aber eben den Schritt über die hoffnungslose Beliebigkeit hinaus bedeuten. Unentwegt zeigt sich dabei, dass nicht pure, isolierte Fakten, sondern Verknüpfungen die entscheidende Kraft des Wissens darstellen.

Auf diese Tatsache legt auch Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts und früher Generaldirektor der Deutschen Bibliothek, großen Wert. Außerdem: Nur in Gemeinschaft behält Wissen seine Kraft; je pluraler die menschliche Gemeinschaft ist, umso reaktionsfähiger und erfindungsreicher wird sie. Lehmann, ein Meister der Wissensvermittlung, wagte beim SPIEGEL-Gespräch an passendem Ort, in der Berliner Staatsbibliothek, eine Prognose: Die gigantischen Schatzhäuser des Wissens aus vergangenen Jahrhunderten würden künftig eher »Orte einer geistigen Gemeinschaft« sein; hingegen sei es in der Flut der Erkenntnisse mehr und mehr vonnöten, auf Qualität zu achten. Auch wenn es niemals eine Wissens-Weltformel geben werde, könne doch »das digitale Wissen irgendwann einmal in die Nähe universellen Wissens gelangen«. Diesen Besitz für die Allgemeinheit zu sichern, ihn vor einseitigen Verwertungsansprüchen und Grenzziehungen zu schützen, darin sieht der erfahrene Kulturorganisator heute die größte Herausforderung.

Aber erst einmal will Wissen erworben sein – durch einen Vorgang, der landläufig Lernen genannt wird. Was passiert dabei eigentlich? Wie geht das Gehirn mit dem neuen Stoff um? In welcher Lebensphase lernt man am leichtesten? Sind alle Menschen prinzipiell mit der gleichen Lernfähigkeit ausgestattet? Gleich mehrere Beiträge untersuchen diese Fragen, die angesichts von Schuldebatten, aber auch der boomenden Freizeitbildung immer dringlicher werden. Die Entwicklungspsychologin Ursula M. Staudinger, Vizepräsidentin der Jacobs University in Bremen, befasst sich seit langem mit der Problematik. Gesichert sei, erklärt die Alternsforscherin und Expertin für lebenslanges Lernen, dass »ab Mitte zwanzig die Schnelligkeit bei der Verarbeitung neuer Informationen nachlässt«. Doch Erfahrung macht die Abbremsung großenteils wett. So nehme die Fähigkeit, aus gesammeltem Wissen »schnell Schlüsse zu ziehen«, eben doch bis ins mittlere Erwachsenenalter zu und bleibe dann stabil. Einfacher gesagt: Zum Lernen ist es fast nie zu spät.

Wie viel Freude man dabei erleben kann, zeigen etliche der Beiträge im Schlussteil dieses Buches. Und damit der Spaß gleich hier anfängt, gibt es zu guter Letzt noch ein Quiz, das die sechs großen Wissensbereiche des Anfangsteils in 60 Fragen widerspiegelt – natürlich auch ein bisschen augenzwinkernd, denn wer wollte schon von sich verlangen wollen, über alles ganz genau im Bilde zu sein? Wichtiger ist doch wohl etwas anderes: Wer mit Wissen umzugehen weiß, kann seine Neugier auskosten und sein Weltverständnis erweitern, aber er wird dabei auch gelassener. Wir zumindest hoffen, dass dieses Buch in den oft hitzigen Debatten um das Wissen zu etwas mehr Gelassenheit beitragen kann.

Hamburg, im Frühjahr 2011

Joachim Mohr Norbert F. Pötzl Johannes Saltzwedel

EINLEITUNG

DIE WELT VERSTEHEN

Ein Abglanz vom Himmel

Die Menge verfügbarer Fakten ist längst unüberschaubar. Wie lässt sich aus der Informationsflut sicheres Wissen gewinnen? Früher hoffte man, eine allgemeingültige Basis aller Kenntnisse zu finden. Heute kommt es eher auf geschickte Auswahl an.

Von Johannes Saltzwedel

Ein Gott hat es einfach besser: Zeus, der allweise Donnerer, braucht nirgendwo nachzuschlagen, wenn er Urteile fällt. Erstens weiß er im Grunde sowieso alles. Außerdem hat ihm Mnemosyne, Herrin der Erinnerung, neun Musen geboren, die mit gelassener Heiterkeit Künste und Wissenschaften betreuen, ja überhaupt kennen und erkennen, was geschieht. So verkündet es um 700 vor Christus der frühgriechische Dichter Hesiod. Derart geballter Durchblick ist Erdenbewohnern versagt. »Toren« und »Tagesdenker« heißen die Menschen bei den Hellenen seit alters. »Wir leben von Tag zu Tag wie grasendes Vieh«, klagt Hesiods Kollege Simonides, »und wissen nicht, wie Gott es zu Ende bringen wird.«

Echtes Wissen erlangt die armselige Kreatur bestenfalls dank höherer Erlaubnis – das glaubten durchaus nicht nur die Griechen. Im biblischen Paradies zum Beispiel bekommt Adam zwar den Posten des Juniorchefs, aber vom Baum der Erkenntnis (zu Luthers Zeiten auch »Holz des Wissens« genannt) darf er nach göttlicher Weisung nicht essen. Als seine Frau und er es dennoch tun, werden sie fortgejagt. Auch der Koran zieht klare Grenzen: »Allah weiß alles … Die Menschen begreifen von seiner hehren Allwissenheit nur, soweit es ihm gefällt.«

Ein Großteil der alten Weltdeutungen teilte diese Überzeugung. Wissen, echtes Wissen um die großen Zusammenhänge des Daseins, war seit Urzeiten den höheren Mächten vorbehalten, es blieb eine Gnade oder wenigstens von Geheimnis umwoben. Nur wer mit Himmelskräften im Bunde stand, Priester, Wahrsager oder Herrscher, kam ihm näher; dunkle Orakelsprüche, Weihen und Mysterien machten die Erkenntnis exklusiv.

Heute wissen von solch heiliger Ehrfurcht nur noch wenige. In Regalmetern oder besser gleich in Giga-, Tera- und Exabytes wird rund um den Globus Wissen erzeugt und erworben, vermittelt und verwertet, gehortet oder geschmuggelt, scheinbar so leicht zugänglich wie nie. Was einst der Buchdruck in Gang setzte, haben elektronische Medien, allen voran das Internet, auf Hochtouren gebracht. Datenspeicher, unablässig günstiger, kleiner und fassungskräftiger, saugen den uferlosen Strom willig auf. Spezialkenntnisse sind im Wettbewerb der hochtechnisierten Welt ein Muss; seit Jahren verstehen sich die westlichen Zivilisationen mit programmatischem Nachdruck als »Wissensgesellschaften«.

Politische Parolen und privater Ehrgeiz greifen dabei ineinander. Nicht erst seit dem Bestseller von Dietrich Schwanitz »Bildung – Alles, was man wissen muss« (1999) hat sich der munter fordernde Umgang mit Kenntnissen zu einem verzweigten, einträglichen Markt entwickelt. Kompendien auf Papier, in Hörbuchform oder als Spiel, Fernsehsendungen von Quiz-Shows bis zur beliebten Reihe »Planet Wissen«, eine ganze Palette von Zeitschriften und Beilagen, alle bedienen emsig die neuerwachte Lust am Faktischen.

Bis weit ins Alltagsleben wirkt der Wissenssog. Eltern debattieren, ob ihr Kind für Leben und Arbeitswelt das Richtige lernt: mehr Einsicht und weniger Fakten, oder besser umgekehrt? Hochschulen schmücken sich mit Formeln wie »Wissenssysteme«, »Kompetenzzentrum« – und sei es für Schweinezucht – oder gar »Knowledge Relationship Discovery«; das macht Eindruck und sichert Arbeitsplätze. Forscher in Jena, Stuttgart oder anderswo präsentieren ihre Institute in einer »Langen Nacht der Wissenschaft«. Exzellenz-Wettbewerbe, Rankings und Ratgeber helfen mit, dass der Run so schnell nicht abflaut.

Wohin allerdings die Reise geht und ob der Kurs stimmt, darüber äußern sich die seriöseren Wissenspropheten nur ungern – verständlicherweise. Schon die schiere Datenflut kann entmutigen; aber auch die Zahl der Quellen und Kanäle, die Informationen abzurufen erlauben, wächst unablässig. So täuschend leicht es heute sein mag, fremde Namen und Begriffe zu »googeln« oder dank pfiffiger Meldungsdienste stets und allerorten über Neues im Bilde zu sein: Verlässliche Auskunft, gar einen Überblick zu erhalten, kostet gerade der Fülle wegen nicht selten mehr Zeit und Mühe als früher.

Je nach Berechnungsgrundlage alle fünf bis zwölf Jahre, so mutmaßen Zahlengläubige, verdoppelt sich derzeit weltweit das Quantum an verfügbaren Fakten. Was davon wertvoll bleiben könnte, lässt sich weder nach Regeln entscheiden noch überhaupt abschätzen. Eines jedoch ist allen klar: Daten sammeln und Tatsachen horten, hat noch kaum etwas mit Wissen zu tun. »Wir ertrinken in Informationen, aber uns dürstet nach Wissen«, hat der US-Zukunftsforscher John Naisbitt (»Megatrends«) einmal erklärt. Gemeint ist damit auch: Nur kundige Aufarbeitung destilliert aus den Sturzwellen roher Sachverhalte oder Messwerte brauchbare Erkenntnis. Filtern, Komprimieren, Veredeln, Strukturieren und Bewerten gilt unter heutigen Wissensmanagern als zentrale Aufgabe.

Damit setzt sich auf höherer Ebene fort, was der Sinnes- und Denkapparat des Menschen unentwegt leistet. Von 400 000 Reizen, die auf uns einströmen, verarbeitet das Bewusstsein gerade mal einen einzigen; ganze 0,00025 Prozent des Wahrgenommenen erreichen das Gedächtnis. Alles Übrige wird ausgeblendet oder in kürzester Zeit vergessen – ein lebenswichtiger Vorgang, denn andernfalls wären Arbeits- und Langzeitspeicher des Hirns sofort belegt.

Doch auch jenseits der brutalen natürlichen Filterung ist der Weg zum Wissen noch weit. Passt die neue Beobachtung zur bisherigen Erfahrung? Genügt sie dem abwägenden Urteil? Ist sie brauchbar und bedeutsam genug, um erinnert oder gar überliefert zu werden? Wann wäre sie bei aller Sorgfalt je gegen Täuschungen gefeit? Solche Fragen haben in Europa als Erste die Denker im antiken Griechenland gestellt – und die Latte für echtes Wissen dabei gleich sehr hoch gelegt. Viele gelangten nämlich zur Überzeugung: Meinungen, auch berechtigte, könne man ja über vieles hegen, aber hinter unanfechtbarer Erkenntnis bleibe selbst eine gut begründete »Ansicht« prinzipiell zurück.

Es klang wie ein Echo der alten Lehre, nur Götter erreichten wahres Wissen. Doch die Olympier ließen sich bei der Formulierung des Problems ziemlich einfach ausklammern – etwa wenn Sokrates auf dem Athener Markt versierte Praktiker ausfragte, weshalb man ein Verhalten gut, tapfer oder gerecht nennen dürfe. Anfangs waren die Experten, vom Vortragskünstler bis zum Polit-Profi, ihrer Antwort meist ganz sicher. Dann aber verhedderten sie sich bei ihren Definitionsansätzen doch regelmäßig in Widersprüche.

In seiner legendären Wendung »Ich weiß, dass ich nichts weiß« scheint Sokrates die hintersinnig-paradoxe Bilanz zu liefern. Dabei wollte der Steinmetzsohn vor allem die vielen geschäftstüchtigen Wissensgurus seiner Zeit auflaufen lassen. Glaubt man den Schilderungen seines Schülers Platon, dann zweifelte der plattnasige Aufklärer beileibe nicht an Erkenntnis überhaupt, wie manch ein frecher Radikal-Sophist der Epoche. Doch die Frage blieb: Wie und wo könnte man Wissen dauerhaft begründen und schrittweise entwickeln?

Platon antwortete mit einem mutigen Gedankenspiel: Die endgültigen Wahrheiten bilden ein jenseitiges Reich unveränderlicher »Ideen«, von denen die Menschen bei Lebzeiten bestenfalls schattenhafte Umrisse wahrzunehmen fähig sind. Auch das Wissen als solches ist in diesem Himmel reiner Begriffe fixiert. Im irdischen Dialog jedoch bringen Sokrates und seine Freunde es nur zur eher spröden Formel »wahre Meinung mit Erklärung«. Wissen ist eine Auffassung der Wahrheit, die sich als gültig erweist und begründen lässt. Da würde ein Hartnäckiger freilich sogleich nachhaken, was denn Wahrheit ist und wer sie garantiert.

Helfen Grundsatzfragen also überhaupt weiter? Im Alltag funktioniert Wissen doch einigermaßen, obgleich es Stückwerk bleibt. Platons Schüler Aristoteles ging deshalb auf der Suche nach dem »begrifflich bestimmten Allgemeinen« (so eine seiner Erkenntnis-Definitionen) anders vor. Überall dort, wo reine Logik nichts mehr klären kann, sollte man umfassend Kenntnisse und Urteile sammeln. Dann werde sich bei klugem Vergleich schon das Richtige herausschälen; neugierig seien die Menschen ohnehin.

Mit dieser Methode der »Induktion« aus Einzelfällen wurde Aristoteles zum Gründervater wissenschaftlichen Denkens. Zuversichtlich begannen er und seine Schüler, regelrechte Datenbanken anzulegen, von Pflanzen- und Tierbüchern bis zur Übersicht aller bekannten Staatsverfassungen samt Erörterungen ihrer Vor- und Nachteile. Noch über die Schwelle zur Neuzeit hinaus griffen Forscher der verschiedensten Fachrichtungen auf die Grundlagenarbeit des Erz-Empirikers zurück.

Zweifler allerdings nörgelten weiter: Da sich Meinung und dauerhafte Erkenntnis trotz vieler Mühen nicht scharf voneinander abgrenzen ließen, sei das ganze schöne Universalwissen letztlich auf Sand gebaut. Philosophen der Skeptiker-Fraktion wiesen zur Zeit des römischen Kaiserreichs akribisch nach, dass auch scheinbar unumstößliche Naturgesetze letztlich Erfahrungswerte blieben, und warben daraufhin für den völligen Abschied vom Prinzipiellen. Wer unlösbare Erkenntnisfragen wälze, schade bloß dem eigenen Seelenfrieden. Solche Überzeugungen ähnelten eigentümlich der Botschaft neuer Erlösungsreligionen, etwa des Christentums.

Nach der biblischen Heilslehre blieb menschliches Wissen allemal ein matter Abglanz göttlicher Vollkommenheit; nachdrücklich lehrte das um 425 auch der Glaubensdenker Augustinus. Mehr als ein Jahrtausend blieb es offiziell bei dieser Ansicht. Noch um 1440 veröffentlichte der tiefsinnige Kleriker Nikolaus von Kues ein Buch, das Augustins kühne Formel vom »gelehrten Nichtwissen« (docta ignorantia) sozusagen ausbuchstabierte: Wirklich kennen könne der Gläubige Gott und seine Schöpfung nie, aber gerade durch die Kenntnis solcher Unmöglichkeit komme man der ewigen Wahrheit näher.

Erst mit dem Anbruch der Moderne um 1500 erlangte »Wissen« als Bemühung und Ziel des Menschen sein Eigenleben zurück, gegen den zähen Widerstand vieler Theologen. Überwältigt von schierer Faktenfülle, die der Buchdruck nun rascher und günstiger verbreitete, erregt durch Entdeckungen in aller Welt, aber auch durch Konfessionshader in ganz Europa, begannen Gelehrte das immense Feld von Wissen, Gewissen, Witz und Weisheit (nicht umsonst im Deutschen eng verwandte Wörter) neu abzustecken.

Auch vorher schon waren Handbücher für Spezialisten, etwa zur Baukunst, Anatomie oder Falkenjagd, ohne geistliche Bemäntelung ausgekommen. Jetzt aber lösten sich immer mehr Wissensgebiete aus theologischer Vormundschaft, parallel zur den Anfängen regulären Schulunterrichts. Grenzenlos aufmerksam erkundeten Humanisten Natur und Geschichte, Heilkräuter, Maschinentechnik, Erdschichten, Kanalbau oder Planetenbahnen.

Am prägnantesten formulierte das neue Forschungsfieber um 1600 der britische Lordkanzler Francis Bacon: Sich nach biblischer Weisung die Erde untertan machen könne der Mensch nur durch planvollen Wissenszuwachs. Findekunst (»Inventio«), bislang den Rednern vorbehalten, müsse alle Gebiete der Erkenntnis erfassen; anstatt alchimistisch herumzuprobieren, seien methodische Experimente nötig. Sogar der verehrte Aristoteles habe sich immer wieder täuschen lassen, notierte Bacon kühl.

Philosoph Sokrates: »Ich weiß, dass ich nichts weiß«

In seinen Erörterungen, die von der Geschichtsforschung bis zur Physik alle Bereiche intellektueller Einsicht musterten, rückte das Wissen zum eigentlichen Treibstoff menschlicher Existenz auf. Und da er Spitzfindigkeiten hasste, kümmerte Bacon sich auch gleich um die Rahmenbedingungen: Ohne Urteilskraft und Gedächtnis etwa wäre Erkenntnis wertlos, ohne verknüpfende Ordnung sinnlos, ohne bequeme Übermittlung wirkungslos. Sachgerechte Prüfung und eine strategische Architektonik des Geistes sollten die wahre Universalwissenschaft heraufführen.

Bacons Vision eines mentalen Werkzeugkastens, unabhängig von ideologisch-moralischen Vorgaben, zukunftsoffen und selbstkorrigierend, bündelte so gut wie alle Ideale künftiger Wissenschaft. Doch bald meldeten sich wieder die Skeptiker. Um ihre Einwände zu entkräften, versuchte der französische Philosoph René Descartes um 1630 in einem Gedankenexperiment alles abzustreifen, worin man sich täuschen konnte. Nur der Zweifel selbst lasse sich nicht mehr bezweifeln, verkündete er. Anders formuliert: »Ich denke, also bin ich.«

Aber selbst dieser Vorschlag, im Meer der Fakten erlösenden Halt zu finden, stieß rasch auf Widerspruch. »Alles Wissen verfällt zu bloßer Wahrscheinlichkeit«, erklärte zum Beispiel der schottische Aufklärer David Hume nüchtern. Im täglichen Leben schadete das ja nichts. Enzyklopädien gingen mittlerweile zur alphabetischen Reihenfolge über – gut möglich, dass das Wissen überhaupt mehr ein Nebeneinander bildete, kein leuchtendes Gesamtmuster.

Den letzten Großversuch, doch noch philosophisch Ordnung zu machen, startete 1781 Immanuel Kant – bezeichnenderweise in Form einer »Kritik der reinen Vernunft«, die echtem Wissen erst einmal klare Grenzen zu ziehen versuchte. Aus der Welt der »Erscheinungen« beispielsweise gelange niemand je zum »Ding an sich«, legte der Königsberger Professor dar; Gott bleibe ohnehin ein unbeweisbares »Ideal der Vernunft«.

Kants geistige Erben schreckte das nicht, im Gegenteil. Schon Johann Gottlieb Fichte leitete aus dem anfänglichen »Ich« eine umfassende »Wissenschaftslehre« samt Ethik ab. Für den Erz-Systematiker Georg Wilhelm Friedrich Hegel war der Geist sogar allzeit bestrebt, »die Form seines Wissens von sich hervorzutreiben« – weswegen der »Unterschied des Wissens und der Wahrheit« stetig kleiner werde, bis das »absolute Wissen« in Selbsterkenntnis zu sich gefunden habe.

Ergreifende Spekulation oder bloß raffinierte Wortakrobatik? So virtuos Hegel den Weltlauf deutete und die Kenntnisse seiner Zeit enzyklopädisch verband – gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte der immense Aufschwung von Technik und Spezialwissenschaften die idealistischen Hoffnungen auf ein System aller Erkenntnisse weitgehend verdrängt. Universitär gezüchtet, national organisiert, erlangte Forschung nun industrielles Tempo. Anstelle philosophischer Höhenflüge begann das Ideal der Allgemeinbildung seinen Siegeszug. Das selbstbewusste Bürgertum wollte sich auf einen Schatz verlässlicher Kenntnisse berufen. Auch wenn zuweilen Spielverderber auftauchten – wie der Philosoph Friedrich Nietzsche, der Wissen als »schwächsten der menschlichen Triebe« abtat: Die Euphorie war stärker.

Heute erscheint diese optimistische Epoche als letzte Glanzzeit fachlicher Erkenntnis. Monumentale Handbücher und Lexika, stolze Akademien und ein Entdeckungseifer ohnegleichen suggerierten den Aufbruch in eine schöne neue Welt umfassend nutzbaren Wissens. Dass davon kaum mehr die Rede ist, liegt natürlich vor allem an der seither schmerzlich gewonnenen Einsicht, welche Zerstörungskräfte technisch-wissenschaftlicher Fortschritt birgt – von der Kernenergie bis zur Genmanipulation. Es hat aber auch mit wieder gewachsenen Zweifeln an der Einheit und Geltung des Wissens überhaupt zu tun.

Ausgerechnet Philosophen des kritischen Rationalismus, die für logische Klarheit eintraten, begannen etwa seit 1950 zu fragen, was der westliche Weg zur Erkenntnis anderen voraushaben sollte. Meteorologie mit Großcomputern oder althergebrachte Regentänze, dazwischen zu wählen, sei eine reine Traditionsfrage, schrieb der Wissenschaftstheoretiker Paul Feyerabend 1975 in einem provokanten Buch »Wider den Methodenzwang«. Sein Fazit: »Anything goes« – alle Wissens- und Erfahrungswege müssen erlaubt sein.

Natürlich wäre die industrialisierte Welt von ihrem Wachstumskurs, der immer neue technologische Spezialkenntnis verlangt, nicht einfach abzubringen. Aber kaum ein global versierter Theoretiker wird mehr leugnen, dass Mythen, Rituale und Überlieferungen mehr Erfahrung, ja Erkenntnis enthalten, als Messungen je nachweisen könnten. Netzartig, dezentral, undogmatisch und offen für Überraschungen stellt sich heute das postmoderne Wissen dar, verblüffend ähnlich seinem Lieblingsmedium, dem Internet. Maßstäbe lassen sich in dieser bunten Vielfalt immer weniger festlegen. Das kann Spielfreude und Erfindungslust steigern, aber auch die Frustration: Wie soll der Normalmensch das Richtige und Wichtige vom Belanglosen trennen?

Oder führt am Ende sogar diese Frage in die Irre? Markus Gabriel, Philosoph in Bonn, möchte den »Wissensfetischismus« der Gegenwart insgesamt entzaubern, wenigstens eindämmen: Wer vom Ölbohrleck bis zur Wirtschaftskrise alle Malheurs auf schlecht genutzte Kenntnisse zurückführt, bleibt in einem »tragischen Wissenspathos« befangen, erklärt der mit gerade dreißig Jahren jüngste Professor seines Fachs.

So bedenkenswert sein Appell zu mehr heiterer Gelassenheit sein mag: Dem täglichen Wettlauf um Kenntnisse kann sich bislang kaum jemand entziehen. Handfeste Hilfen bleiben darum gefragt. Klaus-Dieter Lehmann, seit Jahrzehnten einer der wichtigsten deutschen Wissensvermittler, schlägt vor, den Kernbestand »profilierten Wissens« von Experten eingrenzen zu lassen – als nahezu amtlichen »Kanon«, der Orientierung und Diskussionsgrundlage bilden sollte.

Mehr als ein Vorschlag zur Güte aber kann auch das nicht sein. Lehmann weiß genau: Wachsendes Interesse an grundlegenden Kenntnissen, Spezialisierungsdruck und die bleibende Frage nach inhaltlichen Leitlinien bilden ein Spannungsfeld, dem mit bürokratischen Regeln oder pädagogischen Pauschalformeln nicht beizukommen ist. Sich in Politik, Geschichte, Naturwissenschaften, Wirtschaft, Kultur und Alltagswissen auszukennen, wie ein mündiger Bürger es gern von sich behaupten würde, ist keine Leistung, die sich auf Lieferanten abwälzen ließe. Erkenntnis und Bildung werden auch weiterhin eigenes Engagement brauchen – welches, dazu sollen die sechs Artikel in Teil I dieses Buches (Seiten 31 bis 73) Beispiele und Denkanstöße bieten.

Leitbild oder Monster?

Allgemeinbildung – ein deutsches Debattenthema

Von Johannes Saltzwedel

Für den spanischen Jesuiten war die Sache klar: »Nur die Bildung befreit ihn (den Menschen) von der Bestialität.« Als Baltasar Gracián den lapidaren Satz 1647 veröffentlichte, hieß Bildung noch »cultura« schlechthin, und wer das raffinierte Büchlein »Handorakel und Kunst der Weltklugheit« lesen und durchdenken konnte, durfte sich zur Elite zählen.

Heute wird von jedem Durchschnittsbürger der westlichen Welt erwartet, dass er lesen und schreiben kann; ausgeklügelte Lehrtechniken machen den Zugang zum Wissen leichter als wohl je zuvor. Doch was zum engeren Kern der Bildung zählen soll, darüber streiten Planer, Intellektuelle und Feuilletonisten weiterhin lustvoll bis verzweifelt. Vielleicht ist das sogar gut so. Nur wenn der Anspruch nicht genau festliegt, können Politiker weiter rituell verkünden, man wolle trotz Finanzkrise kräftig »in Bildung investieren«, und Kulturkritiker ebenso regelmäßig »die allerorten bemerkbaren Symptome des Verfalls von Bildung« (die Theodor W. Adorno schon 1959 ausmachte) beklagen – vom Dauerzank um Lehrstoff, Schulformen und Zukunftsfähigkeit ganz zu schweigen.

Dabei war die Idee der »allgemeinen Bildung« ursprünglich sehr gut gemeint: Aus späthumanistischem Optimismus, dass bessere Menschen eine bessere Welt errichten würden, hoffte etwa der Pädagogik-Pionier Comenius (1592 bis 1670), »allen alles allumfassend« beibringen zu können. Dringlich wurde das Problem erst, als führende Staaten zur Schulpflicht übergingen. Aufklärer wie Johann Gottfried Herder oder Wilhelm von Humboldt wollten das frühere Paukschulwesen durch klug dosierte Sach- und Weltkunde samt Sprachverständnis ersetzen. Ihr kulturelles Ideal, den ganzheitlich gebildeten Menschen, entwarfen die Neuhumanisten am Vorbild der Griechen – in Kenntnis antiker Verhältnisse. Zweckfrei an der »inneren Verbesserung und Veredlung« (Humboldt) zu arbeiten, das war schon bei Aristoteles allein Sache der von körperlicher Arbeit weitgehend verschonten Vollbürger.

Wilhelm von Humboldt

Zwar hofften Reformer wie Johann Heinrich Pestalozzi (1746 bis 1827), durch »Elementarbildung« und ein »ABC der Anschauung« jedes Kind »zu reiner Menschenweisheit« anzuregen. Doch so viele Pläne und Kompromissformeln auch entstanden – universelle Bildung für alle blieb ein frommer Wunsch. Das Industriezeitalter machte Spezialisierung vollends unumgänglich.

Weiterhin aber geistert das Wort »Allgemeinbildung« durch deutsch-bürgerliche Schul- und Kulturdebatten, verteufelt oder als Leitbild beschworen. Nennen Nostalgiker sie »geradezu die Voraussetzung dafür, dass das Ganze noch erkannt wird« (so der Pädagogik-Reformer Hartmut von Hentig 1984), treten andere dafür ein, auf die vage Formel vom dauerhaften Wissensfundus komplett zu verzichten.

Johann Amos Comenius

Bislang allerdings scheint die Fachwelt daran festhalten zu wollen. Allgemeinbildung, verkündet der tonangebende Marburger Pädagogik-Emeritus Wolfgang Klafki seit Jahrzehnten, strebe danach, »ein geschichtlich vermitteltes Bewusstsein von zentralen Problemen der Gegenwart und – soweit erkennbar – der Zukunft« zu gewinnen, kurz: »epochaltypische Schlüsselprobleme« zum Gegenstand des Lernens zu machen.

Souveräne Geister haben derlei Versuche meist mit gesunder Skepsis beantwortet. Einer ließ gar eine Romanfigur poltern: »Narrenpossen sind eure allgemeine Bildung und alle Anstalten dazu.« Verfechter der Allgemeinbildung ärgert das Wort bis heute: Immerhin stammt es von Goethe.

TEIL I

GRUNDLAGEN DES WISSENS

Kennen Sie sich aus?

In den folgenden Artikeln versuchen sechs Autoren des SPIEGEL, dem heute sinnvollen, nützlichen und notwendigen Basiswissen auf die Spur zu kommen – exemplarisch, andeutend und durchaus auch persönlich. Kein Pensum, sondern Perspektiven möchten diese Fakten-Essays bieten: Diskussionsstoff, der Eigensinn, ja Widerspruch auslösen will. Denn nur Gewitztheit, Begeisterung und immer wieder eine Prise Humor können das vielstimmige Gespräch darüber lebendig erhalten, mit welchem Wissen sich unsere Zukunft meistern lässt.

Die Texte dieses Buches sind erstmals unter dem Titel »Alles im Kopf« (Heft 3/2010) in der Reihe SPIEGEL WISSEN erschienen.

1. Auflage

Copyright © 2011 Deutsche Verlags-Anstalt, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH und SPIEGEL-Verlag, Hamburg

Alle Rechte vorbehalten Typografie und Satz: DVA/Brigitte Müller Gesetzt aus der Minion

eISBN 978-3-641-06289-7

www.dva.de

www.randomhouse.de

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