Weg mit Knut! - Jesper Wung-Sung - E-Book

Weg mit Knut! E-Book

Jesper Wung-Sung

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Beschreibung

An Williams Leben ist gar nichts normal. Denn William hat Krebs. Und William hasst Knut. Knut wohnt unter Williams Bett und kommt nur hervor, wenn die beiden allein sind. Irgendwann kam er einfach durchs Fenster geklettert, kugelrund und mit perfektem Seitenscheitel. Inzwischen denkt Knut gar nicht mehr daran, wieder zu verschwinden. Aber William muss Knut loswerden, egal wie. Denn Knut ist nicht irgendwer. Er verkörpert Williams Krankheit und damit auch den Tod. Solange Knut bei ihm ist, kann William nicht gesund werden. Doch William wächst über sich selbst hinaus und befreit sich: von Knut und dem Krebs. Wunderbar feinfühlig fängt dieses Jugendbuch die Gedankenwelt des kranken William ein.

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Über das Buch

Williams größter Wunsch ist es, ein ganz normaler Junge zu sein. Doch an Williams Leben ist rein gar nichts normal, denn er ist sehr krank. Zum Glück gibt es Knut, der fast immer für ihn da ist. Komisch ist nur, dass niemand sonst Knut sehen kann. Eines Tages kam er einfach durch das Fenster geklettert, kugelrund, mit perfekt sitzendem Seitenscheitel und Schuhen, die funkeln wie Diskokugeln. Mit Knut ändert sich alles, mit Knut wächst William über sich hinaus. Und mit Knut gelingt William das scheinbar Unmögliche: Er wird gesund. Ein wunderbares Buch über Zuversicht und das Mutigsein.

Jesper Wung-Sung

Weg mit Knut!

Aus dem Dänischen von Friederike Buchinger

Carl Hanser Verlag

Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel

Ud med Knud bei HØst & SØn, Kopenhagen.

Published by agreement with Gyldendal Group Agency, Denmark.

Die Übersetzung dieses Buches wurde von der Danish Arts Foundation gefördert.

ISBN 978-3-446-25593-7

© Jesper Wung-Sung & Rosinante&Co. / HØst & SØn 2014

Alle Rechte der deutschen Ausgabe:

© Carl Hanser Verlag München 2017

Umschlag: Peter Hassiepen, München

© iStockphoto / Borut Trdina, Volodymyr Krasyuk, Adam Smigielski, burwellphotography, &#169 Dave Rodriguez, EdnaM, Henrik5000, Pablo Caridad, pixeltouch, DaddyBit, Eric Isselée

Satz im Verlag

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Datenkonvertierung E-Book: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

»Körper gehört dazu! Körper gehört dazu!«

H. C. Andersen: Die Springer

»… um Himmel und Hölle zu erfinden, reicht es aus, den menschlichen Körper zu kennen.«

José Saramago: Das Memorial

Das Spiel

Es war einmal ein Kind.

Natürlich waren es eigentlich ganz viele Kinder, so viele, dass man sich fragen könnte, ob es für all diese Kinder einen übergeordneten Plan gibt. Oder wenigstens eine Regel: Es ist immer jemand da, der auf sie aufpasst. Auf jedes einzelne.

Nur: So ist es nicht. Sonst wäre das Leben vielleicht nicht das Leben.

Aber hier geht es nur um dieses eine Kind. Es heißt William, und in vielerlei Hinsicht ist William ein glücklicher Junge. Er hat Eltern. Er wohnt in einem Haus. Er bekommt jeden Tag Essen.

Doch da ist auch noch Knut.

Die beiden befinden sich in Williams Zimmer. William liegt auf dem Bett. Knut sitzt am Fußende. Und William hat es satt. Deshalb tut er jetzt so, als würde er sich langweilen.

»Mir ist laaaangweilig«, sagt William. Sein Hinterkopf ist zwischen Kissen vergraben, aber seinen Magen hört er trotzdem rumoren. Ein Vogel hat sich auf dem Pflaumenbaum niedergelassen, den William durch das Fenster sehen kann. Der Vogel ist grau oder braun. Er sitzt auf dem zweithöchsten der vier Äste. Am untersten Ast hängen drei Blätter; eins ist im Laufe des Vormittags abgefallen. Der Himmel ist milchig weiß. Es ist noch nicht lange her, dass William vier Würstchen und acht Scheiben Brot gegessen hat, deshalb muss er sich etwas anderes einfallen lassen. »Lass uns spielen! Irgendwas! Mach einen Vorschlag!«

Knut antwortet nicht. Er sitzt in seinen coolen Sneakers aufrecht auf dem Bett.

William kneift die Augen zusammen und denkt: Er versucht nicht mal zu verbergen, wie bösartig er ist. Aber William gibt nicht auf. »Komm schon, Knut«, sagt er. »Mir ist laaaaangweilig! Lass uns was spielen! Na looos!«

William hört nicht auf. Er drängelt und nervt, so wie er zum Beispiel auch Gott gedrängelt und genervt hat.

»Sag was! Na los! Du bist dran! Loooos! Einfach irgendwas wahnsinnig Witziges!«

Knut richtet seinen Seitenscheitel. Gleichzeitig tut William so, als käme ihm die Idee just in dem Moment; als würde er die Hand aus dem Fenster strecken und eine Pflaume vom Baum pflücken.

»Ich weiß was! Wir spielen Verstecken!«

Knut wirkt nicht begeistert, aber William hält sich die Hände vor die Augen.

»Bis hundert. Eins, zwei, drei, vier, fünf …«

William schummelt. Lässt einen Spalt zwischen den Fingern, aber er rechtfertigt das damit, dass er seit einiger Zeit Angst im Dunkeln hat. Das ist die Wahrheit. Früher war das nicht so, aber mittlerweile brennt immer eine Lampe, wenn er schläft.

William zählt und denkt. Das war früher auch anders. Früher wollte er nicht denken und gleichzeitig zählen. Jetzt denkt er darüber nach, dass es einen großen Unterschied macht, ob ein kleines Loch im Zaun ist oder in einem Boot. Und ist ein Mensch im Grunde eher mit einem Zaun oder mit einem Boot vergleichbar? Dann ruft er: »Ich komme!«

Der Vogel ist vom zweithöchsten Ast aufgeflogen. Vielleicht hat William ihn erschreckt, als er aus dem Bett geklettert ist. Wäre der Vogel sitzen geblieben, hätte er jetzt zusehen können, wie der Junge seine Decke anhebt und ein dickes Bündel Grillspieße aus rostfreiem Edelstahl darunter hervorzieht.

William geht geräuschvoll in die Ecke beim Bücherregal, so als würde er hier das Versteck vermuten, und zieht währenddessen das Gummiband von den Spießen. Dann dreht er sich zu der großen schwarzen Sporttasche um.

Die Tasche steht neben dem Fernseher, sie ist immer gepackt und bereit. Nachts erinnert sie an einen Leichensack, den William in einem Computerspiel gesehen hat, aber er kann sich nicht überwinden, seinen Eltern davon zu erzählen. Die Tasche steht in seinem Zimmer, damit er mit den Sachen spielen kann, wenn er Lust darauf hat. Jetzt hat er beobachtet, wie Knut hineingekrochen ist. Er hat den Reißverschluss von innen zugezogen, der schlaue Fuchs.

William tut so, als würde er im Schrank suchen, dann schleicht er vorsichtig näher. Sich auf Zehenspitzen fortzubewegen ist anstrengend für ihn, seine Hüfte tut weh und er muss sich ein paar Mal an der Wand abstützen, um nicht zu fallen. Er bleibt stehen, bis er wieder Luft bekommt.

Dann stößt er sich ab, wirft sich mit seinem ganzen Gewicht auf die Tasche. Die Bewegung fährt ihm in den Körper, und es überrascht ihn immer noch: dass er so wenig Kraft hat. Er keucht und spürt diesen Druck auf der Brust. Auch sein Knie tut weh, aber vermutlich liegt das nur daran, dass William auf Knuts Hinterkopf gelandet ist. Dann legt er los. Den ersten Grillspieß jagt er dort in die Tasche, wo er Knuts Bauch vermutet. Mit den anderen zielt er nacheinander auf Brust, Hals, Augen, Arme und Beine. »Stirb! Stirb, du Schwein! Schrei, Schwein, schrei! Stirb! Stirb!«

William hört erst auf, als er keine Grillspieße mehr hat und die Tasche wie ein ungewöhnlich großer Igel aussieht. Erschöpft bleibt er darauf sitzen. Unter ihm regt sich nichts. Er wartet nur darauf, dass Blut aus den Hunderten von Löchern sickert. Er sagt: »Möge es einen See auf dem Boden bilden, dann sitze ich wie der siegreiche Herr auf einer Insel, umgeben von Blut.«

William ringt nach Luft, in seinem Kopf rauscht es. Er hört ein leises Klingeln im linken Ohr, und vielleicht dauert es deshalb ein bisschen, bis er es bemerkt. Das Rascheln unter seinem Bett. Es ist keine Einbildung. Es besteht kein Zweifel. Knut hat ihn schon wieder reingelegt.

William zählt all die Male auf, in denen er versucht hat, Knut umzubringen. Alle Methoden:

Knut mit den beiden großen Kopfkissen ersticken.

Knut in der Toilette ertränken.

Knut aus verschiedenen Fenstern stoßen – je höher, je besser.

Knut vor ein Auto schubsen (nur um ihn auf der anderen Straßenseite winken zu sehen).

Dasselbe mit einem Zug versuchen.

Knut eine Nähmaschine auf den Kopf fallen lassen.

Knuts Finger in die Steckdose hinter dem Sitzsack schieben.

Knut unter einem Schrank begraben

Knut überreden, einen Blick in den Mixer zu werfen.

Knut auf 117 Arten vergiften.

William hat Kopfscherzen bekommen, ihm ist übel. Er findet, dass das ein dummes und blödes Spiel ist. Er fühlt sich in seinem eigenen Zimmer gefangen. Oder so, als würde er selbst durchlöchert in der Sporttasche liegen.

»Das ist unmöglich«, flüstert er.

Knut macht nie den Mund auf, aber jetzt kann William es ganz deutlich hören. Wie Knut unter dem Bett kichert und lacht. Gackert wie ein Weltmeister, als wäre Knut nebenbei auch noch erster Vorsitzender des berühmtesten Lachklubs der Welt.

Der Gast

An dem Tag, als Knut kam, war William erkältet. Er saß auf seinem Bett, umgeben von zerknülltem Küchenpapier; er langweilte sich und hatte die Langeweile satt, als es ans Fenster klopfte. Sein erster Gedanke war, dass ein Vogel gegen die Scheibe geflogen sein musste, aber es klopfte wieder, drei Mal. Dann konnte er den Umriss eines Jungen erkennen. William hatte noch nie Besuch über den Garten bekommen. Das war irgendwie geheimnisvoll und spannend. Erwartungsvoll öffnete er das Fenster.

»Hallo«, sagte William. »Wer bist du?«

Der Junge schaute ihn an, aber er antwortete nicht. Seine Kleidung sah aus, als wäre sie aus dem Secondhandladen, altmodisch und zu groß, und trotzdem konnte sie nicht verbergen, dass er ungewöhnlich pummelig war. Nur an den Füßen, da trug der Junge die neuesten und teuersten Sneakers, als wollte er nicht nur auf einen Disco-Besuch vorbereitet sein, sondern auch auf einen möglichen Marathon. Er faltete einen zerknitterten Zettel auseinander.

William las:

Ich heiße Knut.

Ich bin nicht wie die anderen.

Ich suche einen Ort zum Wohnen.

Obwohl das Fenster nicht sonderlich hoch war und obwohl er die tollsten Sneakers anhatte, fiel es Knut schwer, ins Zimmer zu klettern. Vielleicht, weil das nasse Herbstlaub rutschig war. Erst im dritten Anlauf bekam er die Fensterbank zu fassen, und trotzdem musste William seine ganze Kraft aufbringen, um ihn hineinzuziehen.

Knut blieb auf dem Boden sitzen, die Beine ausgestreckt. Er atmete schwer, und auf seiner blassen Stirn stand ihm der Schweiß.

»Du bist schlechter in Form als ich«, sagte William.

War Knut stumm oder kam er aus irgendeinem fremden, armen Land? William bereute schon, dass er ihn reingelassen hatte.

»Okay, Herr Bergsteiger«, sagte William. »Was willst du?«

Knut antwortete nicht, sondern richtete mit den Fingerspitzen seinen wassergekämmten Seitenscheitel.

Da wurde William wütend. Er wurde so wütend, dass er spürte, wie seine Wangen glühten und seine Hände zitterten. »Hat dir jemand die Zunge rausgeschnitten und sie aufgegessen?« Dann rastete William aus. Eine ganze Stunde lang hackte er lautstark auf dem Jungen herum.

Selbst die größten Superhelden haben einen Erzfeind. Jetzt hatte William seinen gefunden. Das machte ihn seltsamerweise stärker, und seine Stimmung besserte sich. Er hasste Knut aus tiefstem Herzen.

Vier Monate später

»Mir fehlte nichts, was er mir nicht sogleich herbeigeholt hätte, auch keine Gesellschaft, die er mir nicht hätte ersetzen können; ich hätte mir nur gewünscht, dass er mit mir redete, aber so weit reichten seine Fähigkeiten nicht.«

DANIEL DEFOE: Robinson Crusoe (über Hunde)

1

Mama hat ein Tablett mit Toast und Weintrauben gebracht.

»Ist es okay, wenn ich ins Bad gehe?«

»Jep«, antwortet William, aber trotzdem bleibt sie in der Tür stehen.

»Du kannst einfach rufen«, sagt sie.

William nickt und wirft eine Weintraube in die Luft. Er öffnet den Mund, aber sie prallt an seinem Kinn ab und kullert auf den Boden. Mama hebt die Traube auf und lässt sie hinter ihrem Rücken verschwinden.

William nickt wieder. »No problemo.«

Mama lässt die Klinke los, geht durchs Zimmer und gibt William einen Kuss auf die Stirn. Es kommt ihm vor, als wollte sie dem Feind damit zeigen, wo man ihn tödlich verletzen kann.

»Ruf einfach.«

»Mach ich.«

Sie lässt die Tür einen Spaltbreit offen.

William wartet. Erst als er das Rauschen in der Wasserleitung hört, sagt er »Die Luft ist rein«, und Knut schlüpft aus seinem Versteck unter dem Bett. So ist es jeden Tag.

Knuts Lieblingsplatz ist am Fußende des Betts; dort liegt er auf der Seite, einen Ellenbogen auf die Matratze gestützt, den Kopf in einer Handfläche abgelegt und die andere Hand frei für ein bisschen von allem: bevorzugt, um damit zu essen, aber auch, um auf das Bett zu trommeln, kleine Melodien mit den Fingerspitzen zu spielen oder Schnörkel auf die Decke zu malen.

So legt er sich auch jetzt der Länge nach zurecht, den Kopf in der Hand, eingewickelt in das untere Ende der Decke, und verputzt die Weintrauben. Er erinnert an einen römischen Kaiser oder an eine dicke Raupe.

William teilt den Toast in zwei Hälften und denkt: Knut würde mich nicht erschießen, aber es gibt viele, die Knut erschießen würden.

»Mehr Trauben?«, fragt William.

»Ja danke«, antwortet Knut höflich.

William lässt beinahe die Schüssel fallen. »Du kannst sprechen?«

»Natürlich kann ich das. Das können die meisten.«

»Aber du hast die ganze Zeit kein einziges Wort gesagt!«

»Es gibt keinen Grund zu reden, es sei denn, man hat etwas Wichtiges zu sagen.«

»Ja, aber dein Zettel!«

»Ach der«, antwortet Knut und stopft sich eine Handvoll Weintrauben in den Mund. »Man darf nicht alles glauben, was man liest.«

William starrt Knut an. Er hat jedes einzelne Wort verstanden, obwohl Knut den Mund voller Weintrauben und Toast hat. Ein Schauer läuft Williams Rücken hinunter. Er hat so viele Fragen, die sich in seiner Brust angehäuft haben – er weiß gar nicht, wo er anfangen soll.

Als Papa von der Arbeit nach Hause kommt, setzt er sich auf die Bettkante, und William hofft, dass seine schwarz polierten Schuhe Knut nicht auf die Finger treten.

Papa hat eine blau gestreifte Krawatte an. William weiß, dass er noch eine andere blaue im Schrank hat – eine mit Meerjungfrauen und Ankern. Sie gehört zu den Krawatten, die Papa nicht mehr trägt.

Im Großen und Ganzen reden sie über nichts anderes als sonst auch. Als Papa wieder gegangen ist, setzen William und Knut ihr Gespräch fort. Sie unterhalten sich den ganzen restlichen Abend, nur kurz davon unterbrochen, dass sie Williams Eltern über den Flur gehen hören. Es ist fast Mitternacht, als Mama schaut, ob William gut und geborgen schläft. Als sie wieder weg ist, öffnet William die Augen und Knut krabbelt hoch ans Fußende, zu der Tüte mit den Schokokugeln.

»Du beherrschst diese Fallrolle ziemlich souverän«, sagt William.

»Das gehört zu den Dingen, die man beim Militär lernt.«

»Warst du beim Militär«?

»Was glaubst du wohl, wer im Vierten Punischen Krieg in der ersten Reihe stand?!«

»Keine Ahnung«, antwortet William ehrlich. »Ich bin ziemlich hintendran mit den Hausaufgaben.«

»Dann lass es mich so erklären, dass es auch ein verwöhnter, fauler, blassgesichtiger und unwissender Bengel versteht«, sagt Knut und hält die letzte Schokokugel in die Luft. »Wenn man in den Lauf einer Bazooka starrt, dann lernt man von ganz alleine, wie eine anständige, erstklassige Fallrolle geht.«

»Erzähl mir mehr«, sagt William.

»Von damals? Als ich Dampfschifffahrtskapitän auf dem Mississippi war?«

»Das warst du?«

»Na klar … Oder Ballonfahrer am Rhein? Zugführer in Brasilien? Stabhochspringer in Nepal? Der Rest ist jedenfalls Literaturgeschichte!« Und weg ist die Schokoladenkugel.

Knut erzählt, bis William die Augen kaum noch offen halten kann. Trotzdem weiß William, dass es ihm schwerfallen wird zu schlafen.«

»Betest du zu Gott, Knut?«

»Kommt vor. Aber es hängt natürlich davon ab, wo ich bin und wie es mir geht.«

»Ich bin so müde. Könntest du jetzt beten?«

»Klar. Sag einfach, wenn du so weit bist«, sagt Knut, als hätten sie sich in einen Sportwagen gesetzt.

William faltet die Hände und schließt die Augen.

Knut begnügt sich damit, die freie Hand kreisen zu lassen, während er betet. »Lieber Gott – hier spricht Knut! Uns beide gibt es ja nun schon seit Ewigkeiten, und wir sind daran gewöhnt, die Dinge bei irgendwelchen altnordischen Namen zu nennen. Dies ist ein frommer Gruß aus den Gefilden, wo die Bäume aufwärts wachsen und Vögel niemals schwimmen. Ich wohne zurzeit bei einem jungen Burschen, der William heißt, und wir haben – da ich davon ausgehe, dass wir unter die Sache mit den Wasserbomben einen Strich gezogen haben – eine Bitte an dich. Ach ja, wie läuft es eigentlich mit den Zwergkaninchen? Na ja, um der alten Freundschaft willen sollte dieses Gebet heute an erster Stelle in der Reihe der Abendgebete stehen. Du weißt, dass ich einen Gefallen immer erwidere! Wir bitten dich um mehr Toast und Weintrauben. Vielleicht auch eine Portion krossen Schweinebauch mit Petersiliensoße! Das war’s. Ab damit nach Sibirien! Und der Rest ist Literaturgeschichte! Immer schön den Bart hochhalten. Ihr ergebener Knut – der kleine, der kleinste, der mittlere, der große, der größte und der riesige, aber auch der erste, jeder in der Mitte und natürlich vor allem der aller-aller-allerletzte Knut.«

2

»Als ich ein Kind war, gab es nichts Schöneres für mich als frische Bettwäsche«, sagt Mama und spannt die Ecke des Lakens unter die Matratze. Sie streicht den Stoff mit der Handkante glatt. William sitzt auf dem Sitzsack.

»Tut dir der Nacken weh?«

»Nein«, antwortet William. »Ich schaue nur, ob das Laken ganz glatt liegt.«

Mama lacht kurz und hell auf.

Es scheint sie beide zu überraschen.

»Na, du entwickelst dich ja zu einem richtigen kleinen Haustyrannen«, sagt sie. »Mit dir verheiratet zu sein, wird kein Zuckerschlecken.« Dann verschwindet Mamas Lächeln, und sie konzentriert sich darauf, die Bettdecke zu beziehen, als wäre sie das Zimmermädchen in einem Hotel. Danach sind die beiden Kopfkissen dran.

In Wahrheit sucht William unter dem Bett nach Knut. Er sieht nur seinen Hockeyschläger, ein Brettspiel und den neuen Lederball. Sein Herz schlägt schneller.

Wenn es mal ein paar Tage dauert, bis Knut wieder auftaucht, ertappt sich William manchmal dabei, dass er ihn vermisst. Er ist so verrückt. In seiner Gesellschaft verfliegt die Zeit viel schneller. Aber zugleich hofft William auch, dass Knut ein für alle Mal verschwunden bleibt. Wie etwas, das man in die Toilette geworfen und runtergespült hat.

»So, das Bett für den Scheich ist bereitet«, sagt Mama.

Entweder liegt es am Licht, das durch das Fenster fällt, oder an dem weißen Laken, dass Mama so müde aussieht.

»Wenn ich auch nur ein einziges Sandkorn im Bett finde, werden Dienstmädchen grundsätzlich einen Kopf kürzer gemacht. Das ist dir klar, oder?«, sagt William.

»Selbstverständlich, mein Schatz. Selbstverständlich!« Mama sagt es auf diese komische Art, dann nimmt sie ihn lange in den Arm, und William merkt, dass sie einmal mehr als sonst seinen Nacken streichelt.

»Danke, Mama.«

»Gern geschehen, mein Schatz. Brauchst du noch etwas?«

»Nein danke. Ich glaube, ich schlafe ein bisschen.«

»Natürlich. Schlaf gut.« Sie gibt ihm einen Kuss auf den Kopf.

William macht die Tür hinter ihr zu. Dann setzt er sich aufs Bett, ohne sich zuzudecken. Betrachtet seine Beine auf dem weißen Laken. Sie sehen plötzlich wie fremde Wesen aus. Wie die beiden Idioten, die immer als Nebenschauplatz am Rande der richtigen Geschichte vorkommen.

William schließt die Augen und lauscht in sich hinein. Er muss plötzlich an Die Prinzessin auf der Erbse denken. Sie kam in einer Unwetternacht ins Schloss und sah aus wie ein begossener Pudel. Niemand wollte glauben, dass sie eine Prinzessin war. Deshalb unterzog man sie einem Test: Man platzierte eine Erbse unter zwanzig Matratzen und zwanzig Decken. Die ganze Nacht über konnte das Mädchen wegen dieser Erbse kein Auge zumachen, und somit war bewiesen, dass sie eine Prinzessin war.

»In Wahrheit ist das eine traurige Geschichte«, sagt Knut und schiebt sich aufs Bett. »Ah, frisches Bettzeug! Das erinnert mich an lange, laue Nächte als Marineoffizier in Shanghai.«

William zieht die Füße an, damit Knut Platz hat. Der hüllt sich routiniert in die Bettdecke und bringt seinen Seitenscheitel in Ordnung; Ellenbogen auf die Matratze, Kopf in die Hand. William muss grinsen.

»Was ist eine traurige Geschichte?«, fragt er.

»Ach, davon gibt es höllisch viele«, antwortet Knut. »Mit traurigen Geschichten könnte man Schweine füttern. Der Mensch ist schon komisch. Er sagt: ›Ich fühle mich schrecklich – erzähl mir etwas noch Schrecklicheres.‹ Nee, du, dann doch lieber Geschichten über makellose Helden, protzige Autos und Frauenzimmer, die ohnmächtig werden!«

»Aber du hast gesagt: Das ist eine traurige Geschichte.«

»Die Prinzessin auf der Erbse, ja«, antwortet Knut. »Oder genauer gesagt, Teil zwei.«

»Aber das ist doch nur ein Märchen?«

»Nicht dein Ernst! Du kennst nicht mal den zweiten Teil? Die Maden auf der Prinzessin. Ist aber auch harter Tobak – sicher nichts für verwöhnte, faule, blassgesichtige und unwissende Bengel wie dich. Aber apropos: Es fängt damit an, dass die Prinzessin ihren Prinz bekommt, sie machen glücklich verliebt einen Spaziergang im Park, die Prinzessin erkältet sich, und noch ehe sie wieder zu Hause sind, ist aus der Erkältung eine doppelseitige Lungenentzündung geworden. Das Fieber schießt in die Höhe, und bevor die Nacht vorüber ist, ist sie lahm und blind. Aber der Prinz will seine Prinzessin heiraten, und deshalb transportiert man sie auf einer Trage in die Kirche, wo sie sich auf mirakulöse Weise erhebt und gesund ist. Alle klatschen und weinen vor Freude. Die beiden heiraten, aber leider zerquetschen die Reiskörner, mit denen die Gäste werfen, die inneren Organe der Braut, und sie stirbt noch auf dem Weg zur Limousine. Und so endet sie als Popcorn für die Maden, die sich auf dem Breitbildfernseher Die Grube anschauen und ›Mehr Erde! Mehr Erde! Mehr Erde!‹ rufen.«

Knut richtet seinen Scheitel. Seine Hand ist breit, aber seine Finger sind kurz wie Cocktailwürstchen. William hat schon wieder Hunger.

»Knut?«, sagt William, um sich von seinem knurrenden Magen abzulenken. »Wieso heißt du so? Der Name ist so altmodisch.«

»Wer sagt, dass ich nicht uralt bin?« Knut schaut ihn mit weit aufgerissen Augen aus seinem dicken, runden Kindergesicht an.

»Wie alt bist du?«

»Wie alt bist du?«, äfft Knut ihn nach. »Als wäre ich ein Hamster. Aber weil ich Mitleid mit einem armen, kleinen und neugierigen Wicht wie dir habe: irgendwas zwischen zwei und dreitausend Jahren. Vergiss nicht: Ich war es, der als römischer Kaiser sein Pferd zum Konsul ernannte – um nur eine der Perlen aus meinem Lebenslauf zu nennen. Was denkst du, wer das weiße Marshmallow auf die Spitze der Pyramide gelegt hat? Wer saß auf Hannibals erstem Elefanten? Wer hat dem ersten Präsidenten die weißen Locken gelegt? Aber ich gebe zu, dass ich den Tag fürchte, an dem das Alter Einfluss auf die Wortstellung nimmt.«

»Wortstellung?«

»Dumm-und-blassgesichtig-der-Junge-im-Zimmer-ist«, antwortet Knut. »Verwöhnt-und-unwissend-er-ist. So was. Genau wie bei Yoda. Einem kleinen Kerl von gerademal neunhundert Jahren!«

William fragt sich, wie es wohl sein mag, neunhundert Jahre alt zu sein. Er fragt sich, wie es wohl sein mag, sechzehn zu sein. William hat einen Cousin, der ist sechzehn. Er war in den Ferien alleine in Spanien und hat eine Freundin mit Sonnenbrille, die enge Jeans trägt.

»Wo wir gerade dabei sind«, sagt Knut und bohrt sich in der Nase. »Wusstest du, dass Frankenstein nicht der Name des Monsters ist, sondern des Wissenschaftlers, der es erschaffen hat? Darüber kannst du dir jetzt ein paar Gedanken machen, während ich eine Runde drehe.«

Er steht vom Bett auf und wandert durchs Zimmer, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Er betrachtet alles Mögliche, als wären es ausgestellte Museumsstücke. Das hat er schon öfter gemacht. Manchmal kommt er dann auf die Idee, etwas in die Hand zu nehmen oder eine Menge Fragen zu stellen. Jetzt stellt er sich vor ein Fußballposter und starrt es an. Er spreizt seine wurstigen Finger wie Schwanzfedern.

»Ich überprüfe nur kurz, ob ich selbst dabei bin.«

»Hast du mal Profifußball gespielt?!«

»Ja, natürlich. Mehrmals. Aber nein. Das muss eine andere rote Mannschaft gewesen sein … Wieso hast du ein Plakat von dieser roten Mannschaft aufgehängt?«

»Weil ich sie gut finde.«

»Und wieso gerade diese Mannschaft?«

»Weil mein Vater sie gut findet, glaube ich.«

»Und was, wenn sie verlieren?«

»Was meinst du damit?«

»Findest du sie dann immer noch gut?«

»Ja.«

»Und wenn sie hundert Spiele verlieren?«

»Ja.«

»Was ist mit tausend Spielen in Folge?«

»Ja, immer noch.«

»Warum?«

William zuckt mit den Schultern. »Das macht man so, wenn man Fan ist.«

»Und du bist Fan?«

»Ja.«

»Da brat mir doch einer ’nen Storch«, sagt Knut. Er betrachtet das Plakat, die Hände auf dem Rücken, kleine spielende Finger. »Aber-das-mir-gefällt-ja. Einen-würdigen-Gegner-ich-sehe-ja.«

3

»Einmal Krosser Schweinebauch mit Petersiliensoße«, sagt Papa und stellt das Tablett mit dem Teller aufs Bett.

»Danke.«

Es ist nicht mal eine Stunde vergangen, seit William zwei große Portionen Abendessen in der Küche verdrückt hat. Sie wissen beide, wieso er schon wieder Hunger hat, aber Papa spielt den diskreten Kellner, als wäre William ein Gast, der sich eben erst an den Tisch gesetzt hat.

»Haben Sie sonst noch einen Wunsch, der Herr?«

»Nein danke.«

»Soll ich Ihnen Gesellschaft leisten, während Sie speisen?«

»Nein danke. Ich bringe das Tablett dann zurück.«

»Sie können einfach rufen.«

»Ja, danke.«

»Gerne.« Papa fällt aus der Rolle und streicht dem Gast über den Kopf, bevor er geht.

William würde sich am liebsten sofort über das Essen hermachen, aber er beherrscht sich. Er wartet, und tatsächlich taucht erst eine teigige Hand mit Würstchenfinger auf dem Bett auf, dann die andere, und schließlich hat Knut sich am Fußende auf das Bett gewälzt. Er ist so außer Atem, als hätte er einen Berg bestiegen.

»Du kannst mich einfach Sonntag nennen«, sagt er.

»Wieso denn?«

»So wie Robinson Crusoe, der hat den Wilden ›Freitag‹ genannt, weil er ihm an einem Freitag begegnet ist.«

William überlegt und zählt. »Aber sind wir uns denn an einem Sonntag begegnet?«

»Das habe ich nie behauptet, aber von allen Wochentagen klingt Sonntag zweifellos am coolsten.«

»Aber wäre das dann nicht verkehrt?«

»Sagt wer? Der, der warmes Essen lieber kalt isst?«, fragt Knut und schnappt sich ein Stück Schweinebauch.

William isst auch eins. Irgendetwas passiert mit William, wenn Knut da ist. Er kann es sich selbst nicht erklären. Es ist, als wäre man sehr, sehr froh und ein bisschen traurig zugleich.

»Ich wünschte, ich könnte dich meinen Eltern zeigen.«

»Wofür hältst du mich? Denkst du, ich bin ein Haustier?« Knut ist gekränkt. Das nächste Stück Schweinebauch schmeckt ihm offensichtlich nicht mehr, so verletzt ist er.

»Wenigstens an meinem Geburtstag«, versucht William es noch einmal.

»Dein Geburtstag! Was ist mit meinen Geburtstagen?«

»Hast du mehr als einen?«

»Mehr! Ha! Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht Geburtstag habe.« Knut schiebt eine Kartoffel durch die Petersiliensoße, als würde er einen Kalender durchsehen.

»Du hast jeden Tag Geburtstag?«

»Ja, natürlich. Oder besser: hatte.«

William weiß nicht, was er davon halten soll. Er weiß nicht, ob er es versteht. So ist es oft, wenn Knut etwas sagt, aber trotzdem hilft es. Zumindest gibt es so viel anderes, an das er dann nicht denken muss.

»Ich weiß, was du jetzt denkst«, sagt Knut, den Mund voller Kartoffeln, krossem Schweinebauch und Petersiliensoße.

»Was denn?«

»Du denkst: Was soll ich ihm nur schenken? Was zum Henker soll ich ihm nur schenken?«

»Nein, ich denke eher darüber nach, jeden Tag Torte zu essen.«

Es sollte ein Witz sein, aber Knut findet es nicht lustig. Er runzelt die Augenbrauen und schnappt sich noch ein Stück Schweinebauch.

»Okay, Geizhals«, sagt er. »Du hast mir also keinen ferngesteuerten Hubschrauber gekauft. Dann lass uns etwas machen, das unseren Prinz Knausrig nichts kostet.« Er hält etwas hoch.

Es ist Splat Zombie, ein Spiel, das William sich von seinem Cousin ausgeliehen hat – von dem Cousin mit dem Spanienurlaub und der Freundin mit Sonnenbrille und engen Jeans –, vor ein paar Jahren schon, aber er hat es noch nicht getestet. Es lag unter dem Bett versteckt.

»Ich darf das nicht spielen.«

»Warum nicht?«

»Weil ich Albträume davon bekommen kann. Ich muss warten, bis ich vierzehn bin. Ich darf nicht.«

Knut knabbert noch ein Stück krossen Speck. »Entweder du bist vierzehn oder du spielst mit einem Erwachsenen.«

»Bist du denn erwachsen?«

»Soll das ein Scherz sein? Dreitausend Jahre. Und außerdem: Ich wachse ununterbrochen.«

»Echt?«

Knut fährt mit seinem speckigen Zeigefinger durch die Petersiliensoße auf Williams Teller. Er hält den Finger in die Luft, als wäre er Beweismaterial. Dann leckt er ihn ab. »Jep. Was für eine dumme Idee zu warten, bis du vierzehn bist. Und vergiss nicht: Geschichte schreiben am Ende die, die Helden hängen. Also ich würde sagen: Lass uns diese Zombies plattmachen. JETZT!«

William hat das Tablett zurückgebracht und seinen Eltern Gute Nacht gesagt. Knut ist bereit. Er hebt den Daumen. William schaltet den Ton leise, damit er hören kann, falls Mama oder Papa kommen. Jetzt kommen erst mal die Zombies. Sie schlurfen durch die Maisfelder auf den Bauernhof zu, in dem Knut und William sich mit Unmengen unterschiedlicher Waffen verschanzt haben. Es sind unglaublich viele Zombies. Sie sind langsam, aber furchtlos, und greifen von allen Seiten an. Einer mit Baseballkappe und Sportklamotten kommt mit ausgestreckten Armen bedrohlich nah und steckt den Kopf durch die zerbrochene Fensterscheibe – so aus der Nähe betrachtet ist das Gesicht des Zombies gelbgrün mit schwarzen Ringen unter den Augen und Fleischfasern zwischen den nadelspitzen Zähnen. Dann verschwindet der Kopf in einer Explosion aus Zähnen, Fleischfetzen, Hautstreifen und Blutstropfen.

»Yeah!«, brüllt Knut. »Auf einer Skala von eins bis zehn, auf der zehn ein Knut ist: KNUT!« Seine kleinen Wurstfinger fliegen fieberhaft über die Tasten. Er macht die Zombies reihenweise platt. »Zombies schlachten hebt die Stimmung«, sagt Knut und dreht den Ton lauter. »Das war’s. Ab damit nach Sibirien! Mit dem auch! Und dem! Und dem! Und der Rest ist Literaturgeschichte!«

Seltsamerweise ist das Spiel kein bisschen unheimlich, wenn Knut dabei ist. William schießt, so gut er kann.

Über dem Bauernhof im Spiel scheint der Mond. Seit Knut aufgetaucht ist, braucht William nachts kein Licht mehr. Es brennt eher seinen Eltern zuliebe.

Die Übermacht ist zu groß. Die Zombies dringen ins Haus ein. Knut und William klettern auf das Dach des Bauernhofs. Sie kämpfen so gut sie können, aber von allen Seiten greifen immer mehr Zombies an. Die Zombies stapeln Möbel und Ackergeräte, um auf das Dach zu gelangen. Sie benutzen sich gegenseitig als Leiter, werfen die Toten auf einen Haufen und klettern über sie nach oben.

»Vergiss nicht: Es ist nicht immer einfach, ich zu sein«, sagt Knut. Er feuert einen Schuss aus der Bazooka ab und erledigt eine Handvoll Feinde.

»Warum nicht?«, fragt William.

»Weil ich der bin, den man auf der Bühne mit faulen Eiern bewirft. Der, den man mit der Mistgabel aus dem Dorf jagt. Weil ich immer und ewig der Abschaum bin. Der weiße Scheiß nennen sie mich. Weißt du, wofür man mich hält? Einen Zombie. Es ist tausendmal leichter, ein verwöhnter, fauler, blassgesichtiger und unwissender Bengel zu sein.«

»Daran habe ich noch gar nicht gedacht«, gibt William zu.

Fast bekommt er ein schlechtes Gewissen.

»Nein, das hat ein verwöhnter, fauler, blassgesichtiger und unwissender Bengel offenbar nicht«, erwidert Knut. »Aber denk ruhig mal darüber nach: ein Zombie, den jeder zum Spaß umnieten kann.«

Die Maisfelder gleichen einem Meer, in dem die Zombies zu Hunderten, ja, Tausenden langsam näher schwimmen. William kann sich nicht vorstellen, wie das gut gehen soll, aber trotzdem macht er weiter.

»Also erzähl du mir nicht, wie es ist, für den Verlierer gehalten zu werden«, sagt Knut, nimmt ein Maschinengewehr und mäht eine Reihe Zombies nieder, die das Dach erreicht haben. Sofort bessert sich seine Laune, er jubelt, singt. »Ich bin der weiße Scheiß! Ich bin der weiße Scheiß! Ooooh, ich bin der weiße Scheiß!«

Knut und William stehen Rücken an Rücken auf dem Dach, bereit, sich bis zum letzten Tropfen Blut zu verteidigen, als Papa die Tür aufmacht. Knut ist vom Bett verschwunden, aber Papa blickt lange auf den Bildschirm, als würde er nach einem ganz bestimmten Zombie Ausschau halten, nach einem, den er kannte, bevor der Betreffende zum Zombie wurde.

»Was ist hier los?«

William antwortet nicht. Er wartet, lässt die Zombies näher kommen. Die beiden Männer werden gefressen, auseinandergerissen. Sie schreien, bis Papa das Spiel ausmacht. William denkt, dass sein Vater sauer ist, dass er jetzt explodiert, mit einer Fratze wilder als die eines Zombies.