Weggenommen (Ein Ella-Dark-Thriller – Band 2) - Blake Pierce - E-Book

Weggenommen (Ein Ella-Dark-Thriller – Band 2) E-Book

Blake Pierce

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Beschreibung

Seit sie lesen konnte, hat FBI-Agentin Ella Dark, durch den Mord an ihrem Vater am Boden zerstört, Serienmörder studiert und sich ein enzyklopädisches Wissen über Mörder angeeignet. Doch als im Pazifischen Nordwesten ermordete Opfer gefunden werden, deren Leichen hoch oben in den Ästen von Redwoods aufgehängt sind, wird alles, was sie weiß, auf den Prüfstand gestellt. Liegt sie falsch? "EIN THRILLER- UND MYSTERY-MEISTERWERK. Blake Pierce hat außerordentliche Arbeit geleistet und Charaktere erschaffen, deren Gedankenwelt so detailreich beschrieben ist, dass wir uns gefühlt haben, als wären wir in ihnen, um ihre Ängste mitzuerleben und für ihren Erfolg zu hoffen. Voller Drehungen und Wendungen wird Sie dieses Buch garantiert bis zur letzten Seite wachhalten." --Books and Movie Reviews, Roberto Mattos (Über Verschwunden) WEGGENOMMEN (Ein Ella-Dark-Thriller) ist der 2. Band in der lang ersehnten neuen Reihe von Blake Pierce, dessen Spitzenreiter der USA-Today-Bestsellerliste, Verschwunden (zum kostenlosen Download), mehr als 1.000 Fünf-Sterne-Bewertungen erhalten hat. FBI-Agentin Ella Dark, 29, erhält die Chance, sich ihren Lebenstraum zu erfüllen: Sie wird Teil der Verhaltensanalyseeinheit. Ellas verborgene Obsession, sich über jeden Serienmörder ein enzyklopädisches Wissen anzueignen, hat dazu geführt, dass sie aufgrund ihres brillanten Verstandes ausgewählt wurde, in der Oberliga des FBI mitzuspielen. Doch dieses Mal scheint Ellas besonderes Talent verschwunden zu sein. Kann Sie einen Mörder ohne es fangen? Oder kehrt es zu spät zu ihr zurück? Die ELLA-DARK-Reihe ist ein fesselnder und packender Krimi mit einer brillanten und geplagten FBI-Agentin im Mittelpunkt voller Spannung, Wendungen, Enthüllungen und in einem halsbrecherischen Tempo gehalten, das Sie bis spät in die Nacht weiterlesen lässt. Der 3. Band in der Reihe – AUF DER JAGD – ist nun ebenfalls erhältlich.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

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WEGGENOMMEN

(Ein Ella-Dark-Thriller – Band 2)

B L A K E   P I E R C E

Aus dem Englischen von Katharine Apostle

Blake Pierce

Blake Pierce est l’auteur de la série à succès mystère RILEY PAGE qui comprend à présent dix-sept livres. Blake Pierce est également l’auteur de la série mystère MACKENZIE WHITE, composé de quatorze livres, de la série mystère AVERY BLACK, comportant six livres ; de la série à mystère KERI LOCKE, composé de cinq livres ; de la série mystère LES ORIGINES DE RILEY PAIGE, comprenant six livres ; de la série mystère KATE WISE, qui se compose de sept livres ; de la série mystère et suspense psychologique CHLOE FINE, comprenant six livres ; de la série de suspense psychologique JESSIE HUNT, composé pour le moment de quinze livres, de la série de suspense psychologique LA FILLE AU PAIR, composé de trois livres ; de la série de mystère ZOE PRIME, avec six livres ; de la série mystère ADELE SHARP, composé actuellement de dix livres (pour l’instant) ; de la série mystère VOYAGE EUROPEEN comprenant six livres (pour l’instant) ; de la nouvelle série suspense LAURA FROST FBI, avec trois livres (pour l’instant) ; de la nouvelle série suspense ELLA DARK FBI, composé de six livres (pour l’instant) ; de la nouvelle série mystère UN AN EN EUROPE, comprenant trois livres ( pour le moment) ; et la nouvelle série mystère AVA GOLD composé de trois livres.

Lecteur avide et admirateur de longue date des genres mystère et thriller, Blake aimerait connaître votre avis. N’hésitez pas à consulter son site www.blakepierceauthor.com afin d’en apprendre davantage et de rester en contact.

Copyright © 2021 by Blake Pierce. Alle Rechte vorbehalten. Vorbehaltlich der Bestimmungen des U.S. Copyright Act von 1976 darf kein Teil dieser Publikation ohne vorherige Genehmigung des Autors in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln reproduziert, verteilt oder übertragen oder in einer Datenbank oder einem Abfragesystem gespeichert werden. Dieses eBook ist nur für Ihren persönlichen Gebrauch lizenziert. Dieses eBook darf nicht weiterverkauft oder an andere Personen weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit einer anderen Person teilen möchten, kaufen Sie bitte für jeden Empfänger ein zusätzliches Exemplar. Wenn Sie dieses Buch lesen und Sie es nicht gekauft haben, oder es nicht nur für Ihren Gebrauch gekauft wurde, dann senden Sie es bitte zurück und kaufen Sie Ihre eigene Kopie. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit dieses Autors respektieren. Dies ist eine erfundene Geschichte. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder das Ergebnis der Phantasie des Autors oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, ob lebendig oder tot, ist völlig zufällig. Jacket image Copyright spacedrone808, verwendet unter der Lizenz von Shutterstock.com.

BÜCHER VON BLAKE PIERCE

EIN LAURA FROST FBI-THRILLER

VOR LANGEM VERSCHWUNDEN (Band #1)

EIN ELLA-DARK-THRILLER

IM SCHATTEN (Band #1)

WEGGENOMMEN (Band #2)

EIN JAHR IN EUROPA

EIN MORD IN PARIS (Band #1)

TOD IN FLORENZ (Band #2)

RACHE IN WIEN (Band #3)

LONDON ROSES EUROPAREISE

MORD (UND BAKLAVA) (Band #1)

TOD (UND APFELSTRUDEL) (Band #2)

VERBRECHEN (UND BIER) (Band #3)

EIN UNGLÜCKSFALL (UND GOUDA) (Band #4)

ADELE SHARP MYSTERY-SERIE

NICHTS ALS STERBEN (Band #1)

NICHTS ALS RENNEN (Band #2)

NICHTS ALS VERSTECKEN (Band #3)

NICHTS ALS TÖTEN(Band #4)

NICHTS ALS MORD (Band #5)

NICHTS ALS NEID (Band #6)

NICHTS ALS FEHLER (Band #7)

NICHTS ALS VERSCHWINDEN (Band #8)

DAS AU-PAIR

SO GUT WIE VORÜBER (Band #1)

SO GUT WIE VERLOREN (Band #2)

SO GUT WIE TOT (Band #3)

ZOE PRIME KRIMIREIHE

GESICHT DES TODES (Band #1)

GESICHT DES MORDES (Band #2)

GESICHT DER ANGST (Band #3)

GESICHT DES WAHNSINNS (Band #4)

GESICHT DES ZORNS (Band #5)

GESICHT DER FINSTERNIS (Band #6)

JESSIE HUNT PSYCHOTHRILLER-SERIE

DIE PERFEKTE FRAU (Band #1)

DER PERFEKTE BLOCK (Band #2)

DAS PERFEKTE HAUS (Band #3)

DAS PERFEKTE LÄCHELN (Band #4)

DIE PERFEKTE LÜGE (Band #5)

DER PERFEKTE LOOK (Band #6)

DIE PERFEKTE AFFÄRE (Band #7)

DAS PERFEKTE ALIBI (Band #8)

DIE PERFEKTE NACHBARIN (Band #9)

DIE PERFEKTE VERKLEIDUNG (Band #10)

DAS PERFEKTE GEHEIMNIS (Band #11)

DIE PERFEKTE FASSADE (Band #12)

DER PERFEKTE EINDRUCK (Band #13)

CHLOE FINE PSYCHOTHRILLER-SERIE

NEBENAN (Band #1)

DIE LÜGE EINES NACHBARN (Band #2)

SACKGASSE (Band #3)

STUMMER NACHBAR (Band #4)

HEIMKEHR (Band #5)

GETÖNTE FENSTER (Band #6)

KATE WISE MYSTERY-SERIE

WENN SIE WÜSSTE (Band #1)

WENN SIE SÄHE (Band #2)

WENN SIE RENNEN WÜRDE (Band #3)

WENN SIE SICH VERSTECKEN WÜRDE (Band #4)

WENN SIE FLIEHEN WÜRDE (Band #5)

WENN SIE FÜRCHTETE (Band #6)

WENN SIE HÖRTE (Band #7)

DAS MAKING OF RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE

BEOBACHTET (Band #1)

WARTET (Band #2)

LOCKT (Band #3)

NIMMT (Band #4)

LAUERT (Band #5)

TÖTET (Band #6)

RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE

VERSCHWUNDEN (Band #1)

GEFESSELT (Band #2)

ERSEHNT (Band #3)

GEKÖDERT (Band #4)

GEJAGT (Band #5)

VERZEHRT (Band #6)

VERLASSEN (Band #7)

ERKALTET (Band #8)

VERFOLGT (Band #9)

VERLOREN (Band #10)

BEGRABEN (Band #11)

ÜBERFAHREN (Band #12)

GEFANGEN (Band #13)

RUHEND (Band #14)

GEMIEDEN (Band #15)

VERMISST (Band #16)

AUSERWÄHLT (Band #17)

EINE RILEY PAIGE KURZGESCHICHTE

EINST GELÖST

MACKENZIE WHITE MYSTERY-SERIE

BEVOR ER TÖTET (Band #1)

BEVOR ER SIEHT (Band #2)

BEVOR ER BEGEHRT (Band #3)

BEVOR ER NIMMT (Band #4)

BEVOR ER BRAUCHT (Band #5)

EHE ER FÜHLT (Band #6)

EHE ER SÜNDIGT (Band #7)

BEVOR ER JAGT (Band #8)

VORHER PLÜNDERT ER (Band #9)

VORHER SEHNT ER SICH (Band #10)

VORHER VERFÄLLT ER (Band #11)

VORHER NEIDET ER (Band #12)

VORHER STELLT ER IHNEN NACH (Band #13)

VORHER SCHADET ER (Band #14)

AVERY BLACK MYSTERY-SERIE

MORDMOTIV (Band #1)

FLUCHTMOTIV (Band #2)

TATMOTIV (Band #3)

MACHTMOTIV (Band #4)

RETTUNGSDRANG (Band #5)

SCHRECKEN (Band #6)

KERI LOCKE MYSTERY-SERIE

EINE SPUR VON TOD (Band #1)

EINE SPUR VON MORD (Band #2)

 

INHALT

 

 

PROLOG

1. KAPITEL

2. KAPITEL

3. KAPITEL

4. KAPITEL

5. KAPITEL

6. KAPITEL

7. KAPITEL

8. KAPITEL

9. KAPITEL

10. KAPITEL

11. KAPITEL

12. KAPITEL

13. KAPITEL

14. KAPITEL

15. KAPITEL

16. KAPITEL

17. KAPITEL

18. KAPITEL

19. KAPITEL

20. KAPITEL

21. KAPITEL

22. KAPITEL

23. KAPITEL

24. KAPITEL

25. KAPITEL

26. KAPITEL

27. KAPITEL

28. KAPITEL

29. KAPITEL

30. KAPITEL

31. KAPITEL

32. KAPITEL

33. KAPITEL

34. KAPITEL

35. KAPITEL

36. KAPITEL

37. KAPITEL

EPILOG

 

PROLOG

Nichts als offene Felder, soweit das Auge reichte. Genau, wie sie es liebte.

Es war 7:00 Uhr, kurz vor Anbruch eines neuen Wintertages. Claire betrat den Park, begleitet von den rhythmischen Schritten ihrer Laufschuhe. Weit und breit war keine Menschenseele in Sicht. Nur Reihen von Bäumen rechts und links neben ihr, und dahinter eine Grünfläche, die sich über ihr Blickfeld hinaus erstreckte. Es ging nichts über ein bisschen Sport am Morgen, trotz des kalten Wetters. Sie wusste wirklich nicht, wie Leute einfach so in den Tag starten konnten, ohne sich zu dehnen, ihren Kreislauf in Schwung zu bringen und die Endorphine wachzurütteln. Ohne all das, dachte sie, war das Leben doch trostlos. Trägheit war der lautlose Killer, und sie würde schon dafür sorgen, dass er sich niemals bei ihr einschleichen würde, wie es ihm bei so vielen gelang.

Der Green Valley Park war so weitläufig, dass man zwei Stunden darin laufen konnte, ohne dasselbe Gebiet zweimal zu sehen. Wann immer sie dort war, schlug Claire für gewöhnlich dieselbe Strecke ein, doch heute beschloss sie, zur Abwechslung mal etwas anderes zu probieren.

Schließlich ist es Freitag,dachte sie. Das muss gefeiert werden.

Sie joggte den Pfad entlang und bog hinter einem Kinderspielplatz rechts ab. Wie immer richtete sie ihren Blick starr nach vorne. Sie konnte den Anblick von allem, was mit Kindern zu tun hatte, nicht ertragen, nicht seit der Operation. Er brachte zu viele fremde Emotionen in ihr hoch, die sie nur schwer kontrollieren konnte. Noch schlimmer war es, wenn sie einen ausrangierten Kinderwagen oder einen Kinderschuh auf der Straße liegen sah. Irgendetwas an diesen Bildern erfüllte sie mit Angst, mit Kummer. Mit einer Sehnsucht nach etwas, das sie sich wünschte, aber nicht haben konnte.

Claire dachte, dass dieser neue Fitness-Tick vielleicht eine Folge ihrer Erkenntnis war, dass Kinder nicht in ihrer Zukunft lagen. In den drei Monaten seit ihrer Erkenntnis hatte sie sich mit der Vorstellung abgefunden. Sie hatte akzeptiert, dass es so war, wie es war, und dass kein noch so gut geplantes Liebesspiel oder medizinisches Wunder etwas daran ändern würde. So war das Leben. Man hatte es nur bis zu einem gewissen Grad selbst im Griff.

Doch sobald die Energie sie durchfuhr und sie diesen Rausch spürte, verschwanden alle Gedanken an Arbeit und Stress und Lebensumstände. Es gab nur noch sie und die freie Wildnis, und das konnte ihr niemand wegnehmen.

Der Ententeich in der Nähe war mit Nebel verhangen. Das kalte Wetter hatte jegliche Tierwelt vertrieben. Es war Mitte Februar und der Winter war unerbittlich, und doch konnte man einen Hauch von Frühling hinter dem Schleier ausmachen. Ein kurzes Aufblitzen des Sonnenlichts oder eine frisch aufblühende Narzisse. Die Vorstellung kam ihr in den Sinn, dass hellere Morgen und wärmeres Wetter den Schmerz ihrer jüngsten Sorgen lindern könnten, doch sie schob sie beiseite und konzentrierte sich stattdessen auf das Hier und Jetzt. Lebe im Jetzt, nicht im Was-Wäre-Wenn,sagte sie sich.

Diese Pfade waren ihr vertraut. Zwar stellten sie einen Abstecher von ihrer gewöhnlichen Route dar, aber sie hatte sie ein paar Mal in den letzten Wochen mit ihren pinken Nike-Laufschuhen betreten. Sie erreichte eine Kreuzung mit drei verschiedenen Richtungen, und zum ersten Mal folgte sie dem Weg geradeaus weiter, anstatt links oder rechts abzubiegen. Der Beton wurde von einem langen und matschigen Streifen Gras abgelöst, der hinunter und über eine kleine Brücke führte. Unter ihr strömte ein Fluss mit überraschender Kraft. Sie blieb kurz stehen, um das kristallklare Wasser zu bewundern, und lief dann weiter, bis sie wieder flachen Grund erreichte.

Claire hatte diesen Teil von Green Valley noch nie zuvor gesehen. Sie drehte sich um und versuchte, sich einzuprägen, aus welcher Richtung sie gekommen war, konnte aber nicht viel erkennen, da der Sonnenaufgang noch etwa dreißig Minuten auf sich warten lassen würde. Ein wenig Helligkeit war heute Morgen bereits am Himmel zu sehen, aber noch herrschte Dunkelheit. Sie musste erst in zwei Stunden auf der Arbeit sein, also hatte sie Zeit, sich auf ein kleines Abenteuer einzulassen. Außerdem hoffte sie, hier unten einen Ausgang zu finden, der zurück zur Straße führte. Es gab so viele Wege, die nach Green Valley hinein- und hinausführten, dass sie bezweifelte, dass selbst die Parkaufseher sie alle kannten.

Hier unten wurde es dunkler. Die Hainbuchen wuchsen höher, das Gebüsch war dichter. Als sie vom Weg auf eine Grasfläche abbog, überkam sie ein leicht beengendes Gefühl. Der Rasen dämpfte den Aufprall ihrer Füße, was eine willkommene Abwechslung war, doch sie beschloss, dass sie zu vertrautem Gebiet zurückkehren würde, wenn sie in diesem Bereich keinen Ausgang finden könnte.

Irgendetwas ließ sie anhalten. Genau hier inmitten eines Wäldchens. Sie blieb stehen und lauschte eine Sekunde lang auf ihren eigenen Atem, dann nahm sie einen Schluck aus ihrer Wasserflasche. Sie ließ ihren Blick über ihre Umgebung wandern und konnte ein paar verrostete Freiluftsportgeräte ausmachen, die kurz vor dem Zerfall standen. Das unvertraute Gebiet löste in ihr eine plötzliche Kampf- oder Fluchtreaktion aus. Irgendetwas sagte ihr, dass sie so schnell wie möglich von hier verschwinden sollte.

Es war reine Eingebung, dasselbe Gefühl, das ihr sagte, was die Ärzte sagen würden, noch bevor sie es taten. Dasselbe Gefühl, das ihr sagte, dass ihr Mann sie trotz ihrer Einschränkungen noch immer liebte.

Die Bäume raschelten. Nicht vom Wind, der an ihren Kronen rüttelte, sondern weiter unten, in Bodennähe. Genau neben ihr.

Dann bewegte sich etwas. Ein Schatten schlich an ihr vorbei, raschelte durch die Blätter hindurch und stapfte über die Pflanzen am Boden. Sie konnte eine menschliche Silhouette ausmachen. Das Gesicht war mit einer grauen Kapuze verdeckt und die Kleidung schien nicht gerade sporttauglich zu sein. Wer auch immer es war, war nicht aus demselben Grund hier wie alle anderen, die um 7:00 Uhr früh einen öffentlichen Park aufsuchten.

Die Gestalt eilte vorbei, das Gesicht zum Boden gerichtet. Claire schaute zu, wie sie in derselben Richtung verschwand, aus der sie gekommen war, dann drehte sie sich schnell um und lief weiter. Irgendetwas gab ihr hier ein ungutes Gefühl. Vielleicht waren es die unvertrauten Pfade, oder die Tatsache, dass dieser Abschnitt des Tals tiefer und weniger beobachtet zu sein schien. Wie immer hörte sie auf ihr Bauchgefühl und fing an, nach einem Ausgang zu suchen.

Doch dann sah Claire etwas am Rande ihres Blickfelds. Im grünen und braunen Gewirr über ihr konnte sie etwas Unnatürliches ausmachen. Sie hielt plötzlich inne, wischte sich den Schweiß aus den Augen und vergewisserte sich, dass sie nicht halluzinierte.

Sie rückte näher und versuchte sich davon zu überzeugen, dass das Bild vor ihr bloß Teil ihrer Einbildung war. Ein Haufen Laub, ein paar zerbrochene Äste, ein zerstörtes Vogelnest – alles in allem schien das Bild einem ausgestreckten Menschen zu ähneln.

Nein. Sie sah die Arme, Beine, Schuhe, Kleidung. Sie sah das Gesicht, die geweiteten Augen und den herunterhängenden Kiefer.

Claire ließ ihre Flasche fallen. Sie schlug eine Hand über ihren Mund, um einen Schrei zu unterdrücken.

Dort hing eine Leiche am Baum.

Sie wusste nicht, wie lange sie schon angsterfüllt hinstarrte, doch die aufgehende Sonne warf noch mehr Licht auf ihre Entdeckung.

Diese Leiche war nicht nur aufgehängt worden, sondern regelrecht zur Schau gestellt. Arme und Beine waren ausgestreckt und an verschiedenen Ästen befestigt. Der Oberkörper war am Baumstamm festgebunden worden. Claire war sich sicher, dass das lange, braune Haar der Frau gekämmt worden war.

Sie sammelte sich und als sie ein paar Schritte zurück machte, um eine klarere Sicht zu erhalten, ließ sie etwas vor Schreck aufspringen.

»Oh mein Gott«, rief eine Stimme.

Zwei Personen tauchten neben ihr auf. Junge Männer. Sie starrten mit derselben Mischung aus Faszination und Entsetzen, wie Claire es getan hatte. Sie versuchte, etwas zu erwidern, konnte aber keine Worte finden.

Claire fummelte nach dem Handy in ihrer Tasche, zog es heraus und wählte den Notruf. Gleich beim ersten Klingeln hob jemand ab.

»Neun-eins-eins, mit welcher Abteilung darf ich Sie verbinden?«

»P-p-polizei«, sagte sie und versuchte, zu Atem zu kommen. Sie wurde sofort verbunden. Jetzt sprach eine Männerstimme.

»Neun-eins-eins, wie lautet Ihr Notfall?«

Wie Geier um die Beute tauchte ein weiteres Paar neben ihr auf und starrte mit offenen Mündern.

»Eine Leiche. Green Valley Park«, stotterte sie. »Im südlichen Teil.«

»Bitte bleiben Sie in der Leitung, Ma'am, damit wir Ihren genauen Standort ermitteln können. Was können Sie mir noch über die Leiche sagen?«

Claire ging die Worte in ihrem Kopf durch und erkannte, dass sie noch nie in ihrem Leben einen solchen Satz gebildet hatte. »Die Leiche wurde an dem Baum festgebunden.«

Sie schaute neben sich und sah einen Mann mit einem kleinen Kind, der nun ebenfalls zu dieser Gräueltat hinaufblickte. Kein Wunder. Jeder, der hier vorbeikam, würde es mit Sicherheit sehen.

Dann dachte sie an den Mann mit dem grauen Kapuzenpulli.

1. KAPITEL

Ella Dark stemmte die Stahltür auf und betrat den Lagerraum. Es war nicht gerade ihre Lieblingsbeschäftigung an einem Samstagmorgen, aber es musste getan werden. Schließlich hatte sie es schon lange genug vor sich hergeschoben.

Viel Zeit war vergangen, seit sie das letzte Mal hier gewesen war, und erst jetzt wurde ihr bewusst, wie sehr sie den vertrauten Geruch der alten Habseligkeiten ihres Vaters vermisst hatte. Irgendwie schienen sie immer noch einen Teil von ihm in sich zu tragen. Sein Gesicht wurde deutlicher, wenn sie sie in der Hand hielt. Sie konnte die Falten unter seinen Augen sehen und die grauen Stellen in seinem Haar. Sie konnte sogar seine tiefe Stimme hören, tief wie ein Bass und dabei immer noch eloquent genug, um weltlich zu klingen. 23 Jahre war es her, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, aber sie konnte ihn immer noch klar und deutlich in Erinnerung rufen; den kantigen Kiefer, das schwarze Arbeitshemd, das Haar, das etwas lichter wurde, aber noch nicht zurückging. Manchmal war es schwer, zu glauben, dass mehr als zwei Jahrzehnte seit seinem Tod vergangen waren. Es fühlte sich alles so frisch und neu an, als wären ihre Erinnerungen aus felsenfestem Stein gemeißelt. Es war ein kleiner Trost, zu denken, dass sie sein Gesicht nie vergessen würde, wenn sie es bis jetzt nicht getan hatte.

Heute würde sie zum letzten Mal in diesem Raum sein, dachte sich Ella. Die monatlichen Raten für die Lagerung waren beträchtlich, und obwohl sie den Gedanken hasste, die Habseligkeiten ihres Vaters aus finanziellen Gründen wegzuwerfen, war es Zeit, schwere Entscheidungen zu treffen. Sie hatte ohnehin kaum Gelegenheiten, diesen Ort zu besuchen, und obwohl sie geplant hatte, die Gegenstände irgendwann zu sich nach Hause zu bringen, sah die Realität anders aus. Schließlich bot ihre Zweizimmerwohnung, die sie sich mit Jenna teilte, nicht gerade viel Platz.

Sie beäugte den staubigen alten Behälter und wusste nicht genau, wo sie mit dem mühsamen Prozess der Kategorisierung der Gegenstände anfangen sollte. Ein Stapel zum Behalten, ein Stapel zum Wegwerfen. So sah ihr Plan aus, auch wenn es ihr schwerfallen würde, den Mut aufzubringen, sich tatsächlich von irgendwelchen Gegenständen zu trennen, egal wie unbedeutend sie auch sein mochten.

Die alten Bücher ihres Vaters nahmen den größten Teil der hinteren Wand ein und waren scheinbar lieblos und ohne System bis oben hin gestapelt worden. Sie warf einen Blick auf einige Buchrücken und konnte klassische Romane, einige Lehrbücher für Tischlerei sowie ein paar in Leder gebundene Hardcover ausmachen, die wie okkulte Folianten wirkten, aber wahrscheinlich bloß Enzyklopädien und Wörterbücher waren. Es war eine Momentaufnahme aus einer Zeit, als noch nicht jeder alle Informationen der Menschheit auf dem Handy griffbereit hatte.

An den Wänden standen Möbel aus dem Haus ihrer Kindheit: ein Holzschrank, ein paar Schubladen, ein kleines Sofa mit Stauraum darunter. Alles, was Aufbewahrungsmöglichkeiten bot, war von Ort zu Ort transportiert worden und fand sich schließlich in diesem Lagerraum wieder. Ella hatte noch nie wirklich alles durchgestöbert, nur einen kurzen Blick auf die Gegenstände geworfen, wenn sie sich ihrem Vater nahe fühlen wollte.

»Gehen wir alles von links nach rechts durch«, sagte sie laut. Sie war sich ziemlich sicher, dass sonst niemand im Gebäude war, der ihr Gemurmel hören konnte. Abgesehen von einer verkaterten Rezeptionistin hatte sie keine Menschenseele gesehen, seit sie den Transporter draußen geparkt hatte. »Gnadenlos muss ich sein. Ich habe seit mehr als zwanzig Jahren ohne die Hälfte von diesem Zeug gelebt, also kann ich auch für immer ohne leben. Nur das Wichtigste werde ich behalten.«

Sie kniete sich hin und fing an, Sachen aus der ersten Schublade zu ziehen. Batterien, eine Taschenlampe, ein Maßband, ein Schweizer Taschenmesser, eine Brille, ein paar verhedderte Drähte, alte Stifte. Sie musste einen kurzen Moment innehalten, als sie drei Jonglierbälle fand.

Ella lachte. »Ach, na sowas.« Alles wanderte in den ersten Müllsack, und Ella fühlte sich plötzlich besser bei der ganzen Sache. Vielleicht würde es doch nicht so ein schmerzhafter Prozess sein.

Doch dann sah sie den Fotorahmen. Einen alten, schäbigen, freistehenden viktorianischen Rahmen, klein genug, um in ihrer Handfläche zu passen. Hinter dem staubigen Glas steckte ein unscharfes Foto von Ella und Ken circa 1995. Sie waren in einem Schwimmbad und Ken hob seine Tochter hoch in die Luft. Ihre riesigen, gelben Schwimmflügel nahmen die Hälfte des Fotos ein.

Ken hatte das Foto immer neben seinem Bett stehen gehabt, und das war der Grund, warum der alte, goldene Rahmen noch Blutspritzer aufwies.

Bevor die Polizei eingetroffen war, hatte Ella sich das Foto geschnappt und es versteckt. Als Fünfjährige hatte Ella eine Szene in einer Seifenoper gesehen, in der die Detektive ein Kinderspielzeug mitgenommen hatten, weil es ein Beweisstück in einem Mordfall war, und das hatte die kleine Ella traurig gestimmt. Sie wollte nicht, dass dasselbe hier passierte.

Sie versuchte, nicht daran zu denken, doch die Bilder erdrückten sie. Sie sah Kens Körper, der schlaff in seinem Bett lag, während Blut unter den Laken auf den Schlafzimmerboden tropfte. Es war ein Bild, das sie schon eine Million Mal gesehen hatte, meist mit kleinen Einzelheiten, die sich jedes Mal veränderten. Die Farbe der Bettlaken, die Position, in der Ken gestorben war, die genaue Uhrzeit, zu der es passiert war.

Der Fotorahmen fiel ihr aus der Hand und landete mit einem Scheppern auf dem Boden. Sie überprüfte schnell, ob er beschädigt worden war. Sie hatte Glück.

»Genau deswegen hasse ich das«, sagte sie laut. Diese Relikte waren kostbar, aber manchmal fühlte es sich an, als hätte sie es mit Nachtschatten zu tun. Aus der Ferne schön, aber aus der Nähe giftig.

Sie legte den Rahmen beiseite und machte weiter. Als Nächstes fand sie ein Kartendeck, das mit den Jahren vergilbt war und nur die Hälfte der Karten zu enthalten schien. Sie zog die Lasche auf und holte die Karten heraus, wobei sie überrascht feststellte, dass die Karten selbst noch in einem guten Zustand waren. Sie hielt einen Herzbuben zwischen den Fingern und tat so, als würde sie ihn durch den Raum werfen, hielt ihn aber zwischen Daumen und Handfläche fest, damit er sich nicht bewegte. Das war etwas, das sie instinktiv tat, wann immer sie etwas von ähnlicher Größe in der Hand hielt, wie eine Visitenkarte oder eine Kreditkarte. Plötzlich erinnerte sie sich, dass es ihr Vater war, der ihr den Trick beigebracht hatte, als sie etwa 5 Jahre alt gewesen war. Irgendwie hatte sie die Technik seither verinnerlicht. Sie konnte sich sogar erinnern, wie er vor ihr auf dem Wohnzimmerteppich saß und ihr beibrachte, wie man Würfe vortäuscht, um die Zuschauer in die Irre zu führen. Als sie darüber nachdachte, wurde ihr klar, dass das ihre allererste Lektion in menschlicher Psychologie gewesen war.

Sie öffnete den Müllsack, um die Karten hineinzuwerfen, dann hielt sie inne und überlegte es sich anders. »Nee, die behalten wir«, sagte sie zu sich selbst.

Der Boden der Schublade war mit Papierstapeln bestreut. Die erste Schicht bestand aus überfälligen Rechnungszahlungen, einschließlich der Briefumschläge. Sie überprüfte die Daten – 1989, 1993, 1994 – und stellte überrascht fest, dass sich das ganze Rechnungssystem in den letzten 25 Jahren nicht großartig verändert hatte. Vage Drohungen, die Haushaltsanschlüsse zu kappen, passiv-aggressive Formulierungen, Branchenjargon. Das wanderte direkt in den Müll.

Darunter fand sie Briefpapier, das ganz traditionell aussah, mit riesigen Abständen zwischen den Zeilen. Sie hob ein Blatt auf und hielt es gegen das Licht. Irgendetwas war mit Bleistift darauf geschrieben worden, war aber mit der Zeit verblasst. Glücklicherweise war es noch lesbar.

Ken, Du weißt, dass ich es nicht so mit Worten habe, vor allem nicht aus dem Stegreif. Aber ich sitze hier und lese dieses Buch, das Du mir gegeben hast, und hatte plötzlich Lust, Dir etwas zu schreiben. Ich wollte Dir einfach dafür danken, dass Du mich in Dein Leben gelassen hast. Du bist ein starker Mann. Ein Kämpfer. Deine kleine Tochter kann sich glücklich schätzen, dass sie Dich hat, und ich mich umso mehr. Sam.

Eine stilvolle Handschrift. Feminin. Der Buchstabe i war mit Kreisen statt Punkten versehen und die Handschrift war geneigt, was bedeutete, dass diese Person eher eine Samantha als ein Samuel war. Sie hatte einen Schnellkurs in Grafologie als Teil ihres FBI-Trainings genossen und konnte sich noch an die Grundlagen erinnern.

Sie legte den Brief zur Seite und arbeitete sich weiter durch den Stapel, in dem sie weitere Rechnungen und noch mehr von demselben Briefpapier fand. Da war sie wieder, die gleiche Handschrift.

Ken, falls Du Dich fragst, von wem dieses mysteriöse Geschenk ist, ich fürchte, die Wahrheit ist nicht gerade eine Enthüllung im Stil von Agatha Christie. Die Videothek bei mir in der Nähe hatte eine im Angebot, also dachte ich, warum nicht den attraktivsten Mann, den ich kenne, damit überraschen? P.S., lass Ella bloß nicht mit ihren klebrigen Pfoten daran. Sam.

»Klebrige Pfoten?«, fragte Ella. »Wer ist diese Frau?«

Weitere Briefe kamen zum Vorschein, als sie den restlichen Inhalt aus der Schublade leerte, mitsamt einer Handvoll Briefumschlägen. Sie überprüfte sie und entdeckte darauf wieder die gleiche Handschrift. Sie sah sich die Datumsangaben genauer an und stellte fest, dass sie im Frühsommer 1996 begannen und Anfang 1997 endeten. Der jüngste Brief war mit 12. März 1997 versehen.

Nur eine Woche später war ihr Vater gestorben.

Wer auch immer diese Frau war, er hatte zum Zeitpunkt seines Todes Kontakt zu ihr. Und wenn das der Fall war, warum konnte Ella sich dann nicht an sie erinnern? Sie konnte sich an die kleinen Momente erinnern, wie, als ihr Vater ihr kleine Zaubertricks gezeigt hatte, aber an etwas so Wichtiges wie das hier konnte sie sich nicht erinnern? So etwas würde einer Fünfjährigen doch bestimmt im Gedächtnis haften bleiben, oder etwa nicht?

Wer war diese Frau? Hatten sie sich je getroffen? Was geschah mit ihr nach Kens Tod?

Ella spürte eine Vibration am Bein. Sie legte die Blätter auf den Behalten-Stapel und griff in die Tasche. Sie hatte eine Nachricht von Jenna erhalten.

Du kommst heute Abend mit. Keine Ausrede. Wenn du nicht bis 18:00 Uhr zurück bist, komme ich dich holen.

Mist. Ella hatte gehofft, dass Jenna ihre Zusage vergessen hatte, dass sie heute Abend mit ihr ausgehen würde. Aber trotzdem würden ihr neue Eindrücke und ein Tapetenwechsel guttun, dachte sie. Seit sie von ihrem ersten Fall zurückgekehrt war, den das Internet treffend Nachahmer getauft hatte (wobei die offizielle FBI-Bezeichnung Nachahmungstäter von Louisiana lautete), war die Arbeit noch anstrengender gewesen als sonst. Ella war wieder im Geheimdienst, stand aber noch in engem Kontakt mit William Edis, einem der Direktoren des FBI. Vier Wochen waren seitdem vergangen, ohne dass ihre Dienste wieder in Anspruch genommen worden waren, und sie war in gleichem Ausmaß erleichtert und enttäuscht darüber.

Sie schrieb Jenna zurück, sammelte alle Briefe der Fremden auf und machte sich wieder daran, das Lager auszuräumen.

 

 

 

2. KAPITEL

 

 

Ella war froh, dass die Musik leise genug war, um sich noch unterhalten zu können, wenn auch mit Mühe und Not. Es gab nichts Nervigeres, als hämmernde Bässe, die einem die ganze Nacht lang die Sinne betäubten. Danach hatte sie immer Kopfschmerzen. Sie wusste wirklich nicht, wie jemand es genießen konnte, das Trommelfell derart lädiert zu bekommen.

Sie entschied sich für das kleine Schwarze mit Absätzen und hatte die Haare zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengebunden. Anstatt der Brille hatte sie Kontaktlinsen eingesetzt. Nichts allzu Glamouröses, aber genug, um mit den Aufmerksamkeitshungrigen und Möchtegern-Models mithalten zu können, die auf der Tanzfläche verstreut waren, ihre Handys stets auf sich gerichtet. Das Licht war gedämpft und die Masse der Clubbesucher an der Bar gab ihr ein ungutes Gefühl, doch sie war in Gedanken ganz woanders, nämlich bei den Briefen. Sie versuchte, ihre Gedanken zu verdrängen, aber sie empfand es immer als mühsam, in Bars und Clubs im Hier und Jetzt zu sein. Ihre Gedanken schweiften immer ab. Vielleicht war es das ständige Gewirr aus Stimmen, Musik und Gläserklirren, die sich zu einer Art weißem Rauschen verbanden und sie ins Traumland beförderten.

Ella und zwölf andere Leute standen dicht gedrängt um einen Tisch. Die Hälfte von ihnen waren ihr bekannt, schließlich entdeckte sie sie meist an einem Sonntagmorgen auf ihrem Sofa, wie sie ihren Rausch ausschliefen. Allerdings kannte sie kaum ihre Namen, geschweige denn genug über sie, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Sie schienen sich alle in ihre kleinen Untergruppen aufzuteilen, und Ella fand sich schon bald allein am Rande stehend wieder. Sie beugte sich nach vorne, um einem Gespräch zu lauschen, hatte aber schon bald das Gefühl, dass ihre Anwesenheit nicht erwünscht war. Sie schaute sich nach Jenna um und entdeckte sie in der Nähe der Tanzfläche mit einem Typen in ein Gespräch vertieft. Selbst im dumpfen Schein der Bar war es schwer, ihre platinblonden Locken und knallroten Absätze zu übersehen. Ella beschloss, sich aus der Gruppe auszuklinken und in ein paar Minuten etwas anderes zu versuchen. Vielleicht würde sie ein neues Gespräch finden, in das sie sich einbringen konnte.

Sie schlenderte zum Barbereich und lehnte sich dagegen, froh über die Pause vom Versuch, die Fassade aufrechtzuerhalten. Als der Barkeeper sich endlich ihr zuwandte, bestellte sie einen Whiskey Cola. Sie wählte einen Hibiki, eine der Spirituosen, die Mia ihr damals in Louisiana aufgebrummt hatte. Seit jener Woche war sie auf den Geschmack gekommen.

Da sie es nicht eilig hatte, zur Gruppe zurückzukehren, lehnte sie sich gegen die Bar und beobachtete das Treiben. Ihr Blick fiel auf Jennas neuen Typen und sie betrachtete seine Körpersprache, als er sein Bestes gab, sie stillschweigend mit seiner Figur zu beeindrucken. Mia hatte ihr beigebracht, auf welche Zeichen sie achten musste: Füße, Ellbogen, Verlagerung des Körpergewichts. Mehr unbewusst als bewusst ertappte sich Ella dabei, wie sie jetzt die kleinsten Anzeichen der Clubbesucher studierte, vor allem der Männer, die sie vor sich fand. Jeder von ihnen könnte Geheimnisse verborgen halten, die nur durch ihre unbewusste Körpersprache zum Ausdruck kamen.

»Hibiki, was?«, rief eine Stimme neben ihr. »Es geht doch nichts über japanischen Whiskey, stimmt's?«

Ella drehte sich um, erschrocken über die plötzliche Unterbrechung. Sie sah den seitlichen Umriss eines jungen Mannes, vermutlich Ende zwanzig, mit gewelltem, braunem Haar und einer schwarz umrandeten Brille. Er trug ein enganliegendes, blaues Hemd und Jeans. Nur wenige Männer konnten doppeltes Blau tragen, dachte Ella, aber dieser Fremde schien damit kein Problem zu haben. Vielleicht war es die Brille, die ihm dieses merkwürdige Hipster-Flair verlieh, eine Mischung aus Ironie und echtem Modebewusstsein.

Er rief seine Bestellung über die Bar. Ella achtete auf seine Verhaltensweisen. Sie hatte schon immer gedacht, dass die Art, wie jemand mit Servicekräften umging, viel über den Menschen verriet. Er drehte sich wieder zu ihr um, und erst dann wurde ihr bewusst, dass sie nichts darauf geantwortet hatte.

»Ja«, sagte sie. Dann geriet sie in Panik und versuchte verzweifelt, sich etwas Witziges einfallen zu lassen, um das Gespräch fortzusetzen. Ihr fiel nichts ein. »Bestellst du auch einen?«

»Ach so, nein. Ich trinke nicht. Ich trinke immer nur Cola light. Ich bin einer dieser nervigen Nichttrinker.«

»Ach ja? Und warum das?«

»Wir werden wöchentlich auf der Arbeit auf Alkohol und Drogen getestet. Da lasse ich lieber gleich die Finger davon. Außerdem mag ich mich gerne daran erinnern, was letzte Nacht passiert ist.«

Ella nickte zustimmend. »Geht mir genauso. Ich bin eine JGW-Trinkerin. Jahrestage, Geburtstage und Weihnachten. Was machst du denn beruflich?« Sie konnte sich die Frage nicht verkneifen. Und sie hatte das Gefühl, dass er gefragt werden wollte.

»Versprichst du mir, nicht zu lachen? Die meisten Frauen laufen davon, sobald ich es ihnen verrate.«

»Jetzt bin ich aber neugierig.«

»Versprichst du es?«

»Klar«, lächelte sie.

»Ich bin Profi-Wrestler.«

Ella zog die Augenbrauen hoch. »Wie olympisches Ringen? Oder wie Hulk Hogan?«

»Letzteres. Mehr oder weniger. Hogan ist schon länger nicht mehr relevant.«

»Das ist … interessant. Ich habe noch nie einen Wrestler getroffen, wobei wir auf der Arbeit einmal einen Fall hatten, bei dem ein Wrestler seine Familie und dann sich selbst getötet hat.«

Er führte seinen Drink zum Mund und starrte sie an.

»Ich arbeite bei der Polizei«, erklärte sie, in der Hoffnung, ihn damit zu beeindrucken, auch wenn sie das Gespräch nicht ausschließlich auf die Arbeit lenken wollte. Aber sie musste zugeben, dass es ihr gefiel, sich mit einem Wrestler zu unterhalten. Sie fand Menschen mit einem ungewöhnlichen Beruf immer interessant, obwohl sie sich kaum vorstellen konnte, was er in seinem Beruf machte. Viel trainieren? Vielleicht war er im Fernsehen? Ihre Neugierde wurde immer größer.

»Wow, ich meine, das ist unendlich viel cooler als mein Beruf. Da erlebst du bestimmt so einiges.«

Der DJ legte eine Dance-Nummer auf, und der Tatsache nach zu urteilen, dass alle außer Ella vor Freude in Jubel ausbrachen, musste es eine beliebte Nummer sein. Sie erkannte die Grundmelodie, hatte aber keine Ahnung, von wem das Lied war. Der Mann nahm seinen Drink und wandte sich wieder ihr zu.

»Weißt du was? Das ist mein zweitliebster Song«, sagte er.

Ella konnte sein Parfüm riechen. Zarte Vanille, aber mit einer leicht würzigen Note. Als er sich von ihr weg lehnte, sah sie ihn sich zum ersten Mal richtig an. Er hatte blaue Augen und eine Nase, die in seinem Gesicht etwas zu klein wirkte. Er hatte gepflegte Haut und eine sportliche Figur, wenn auch etwas drahtig. »Das ist aber sehr spezifisch. Was ist denn dein Lieblingssong?«

»Alle anderen teilen sich den ersten Platz.«

Sie musste ein paar Sekunden überlegen. Dann lachte sie. »Kein Fan, was? Bist du etwa auch hierhergeschleppt worden?«

»Allerdings, von diesem Schurken, den ich meinen besten Freund nenne.« Er deutete auf den Mann, der sich gerade mit Jenna unterhielt.

»Ach du liebe Zeit. Das ist meine Mitbewohnerin, mit der er da redet. Sie wird ihn bei lebendigem Leibe auffressen.«

»Im Ernst?«, fragte er. »Na, der Glückspilz. Muss er sich auf das Schlimmste gefasst machen?«

Ella nahm einen Schluck von ihrem Drink. Sie spürte, wie sie ein wenig lockerer wurde. Es war lange her, seit sie Spaß gehabt hatte, und sie hatte ganz vergessen, wie es sich anfühlte. »Sagen wir mal so. Wenn Männer Obst wären, würde sie leicht auf ihre fünf Vitamine am Tag kommen.«

Sie lachten beide. Wo kam das denn her,fragte sie sich. Den Spruch hatte sie noch nie in ihrem Leben gesagt, aber er schien gut anzukommen.

»Und du?«, fragte er.

Da war sie. Die ewige Frage nach dem Beziehungsstatus. Wobei man ihm zugutehalten musste, dass er sich zumindest Mühe gegeben hatte. Diese Herangehensweise war für gewöhnlich erfolgreicher als die Holzhammermethode.

»Ich bin der größte Single, den du je kennengelernt hast. Ich habe nicht wirklich Zeit für eine Beziehung.«

»Aber du hast schon Zeit, um in Bars zu gehen?« Er verwässerte die Frage mit einem Lächeln, um jeglichen vorwurfsvollen Ton wettzumachen. Ella war es nicht entgangen.

»Das ist das erste Mal seit langer Zeit, dass ich ausgehe. Und du?«

»Beziehungen sind nicht mein Ding. Ich bin ein Lorbeerblatt«, sagte er.

Ella schwieg. Sie wusste, dass darauf noch etwas folgen würde. Ihr kam es so vor, als hätte sie bereits ein gutes Gespür für seine Persönlichkeit. Zu ihrem Erstaunen fühlte sie sich in der Nähe dieses Fremden tatsächlich wohl. Er überschritt keine körperlichen Grenzen und legte ihr zum Beispiel nicht seine Hand auf die Hüfte, wie es so viele Typen in Clubs tun. Er schien respektvoll zu sein, und obwohl er offensichtlich versuchte, einen guten Eindruck zu machen, tat er dies auf eine sehr willkommene Art und Weise.

»Du weißt ja, wie in Rezepten gleich zu Beginn immer Lorbeerblätter hineinkommen?«

»Ein Mann, der kochen kann«, sagte Ella. »Na sowas.«

»Na klar. Wobei können schon etwas optimistisch ausgedrückt ist, aber ich probiere es auf die gute alte Studentenart. Jedenfalls, am Ende heißt es ja immer, dass man die Lorbeerblätter wegwerfen soll, nicht wahr?«

Ella wusste es nicht wirklich, nickte aber trotzdem.

»Tja, das bin ich. Sie benutzen mich und werfen mich am Ende weg. Der König der kurzen Affären.«

Sie lachte und hoffte, dass es eher mitfühlend als spöttisch rüberkam. »Kommt mir bekannt vor«, sagte sie. »Ich glaube, so funktioniert Dating einfach heutzutage.« Jedes Mal, wenn sie etwas sagte, musste sie sich zu ihm herüber lehnen und ihm ins Ohr schreien, aber sie genoss die Nähe zu seinem zugegebenermaßen attraktiven Körper.

»Ich bin furchtbar, was Dating angeht, aber ich zeige dir gerne, wie furchtbar, wenn du magst«, sagte er. »Vielleicht bei einem Kaffee irgendwann am Nachmittag? Und vielleicht irgendwo, wo die Musik nicht wie ein Autoalarm klingt, der gerade losgeht?«

Ella nahm wieder einen Schluck und dachte darüber nach. Er machte einen angenehmen Eindruck. Er achtete auf sich selbst, ohne allzu sehr in die Kategorie Fitnessfreak zu fallen. Er hatte Persönlichkeit. Er war in der Lage, ein Gespräch zu führen. Warum eigentlich nicht?

»Klingt verlockend«, sagte sie. »Soll ich dir meine Nummer geben?«, fragte sie. Vielleicht war es der Alkohol, der sie etwas frecher machte als sonst, dachte sie.

»Da sage ich nicht nein.« Er zog sein Handy heraus.

Ella tat das Gleiche. »Es ist 2021 und wir haben noch immer keine einfachere Methode entwickelt, um Nummern auszutauschen, nicht wahr?«, sagte sie.

»Es gibt Apps, mit der wir Klopapier geliefert kriegen können, während wir auf dem Klo hocken, aber Nummern auszutauschen ist komplizierter als ein Mathetest. Magst du mir deine geben?«

Ella starrte auf ihr Display und bemerkte erst jetzt die drei verpassten Anrufe, alle vom FBI-Büro. Dann tauchte William Edis' Name auf.

Dringend. Rufen Sie mich an, wenn Sie das sehen.