Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Für die einen ist die Weihnachtszeit der Höhepunkt des Jahres. Schon lange vor dem ersten Advent werden Vorbereitungen getroffen, Geschenkelisten erstellt und Pläne gemacht, wer wann einzuladen und / oder zu besuchen ist. Andere, wie die Autorin, würden am liebsten den ganzen Rummel verschlafen und sind froh, wenn nach den Feiertagen endlich wieder Normalität einkehrt. Und natürlich passieren auch in der Advents- und Weihnachtszeit Dinge, die man nicht unbedingt gebraucht hätte ...
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 162
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Für die einen ist die Weihnachtszeit der Höhepunkt des Jahres. Schon lange vor dem Advent werden Vorbereitungen getroffen, Geschenklisten erstellt und Pläne gemacht, wer wann einzuladen und / oder zu besuchen ist.
Andere - wie die Autorin - würden am liebsten den ganzen Rummel verschlafen und sind froh, wenn nach den Feiertagen endlich wieder Normalität einkehrt.
Und natürlich passieren auch in der Advents- und Weihnachtszeit Dinge, die man nicht unbedingt gebraucht hätte.
In dieser Sonderausgabe finden sich Geschichten, Glossen und Begebenheiten rund um die Adventsund Weihnachtszeit.
Für diejenigen, die sich alle Jahre wieder auf die Festtage freuen - aber erst recht für die anderen, die - wie ich - froh sind, wenn der ganze Rummel endlich wieder vorbei ist...
An meinen Mann
für sein Verständnis und seine moralische Unterstützung, wenn ich wieder einmal vor Stress kein Land mehr sehen konnte ...
An Emst Heumann
für seine Beratung und Unterstützung bei der Erstellung des Buchcovers
Die in meinen Geschichten beschriebenen
Personen, Orte und Handlungen
sind größtenteils frei erfunden.
Eventuelle Ähnlichkeiten mit realen Personen
sind nicht beabsichtigt und rein zufällig.
I Einleitung
Fröhliche Weihnachten
II Weihnachten mit Neben-Wirkungen
Weihnachten fällt aus
Nachtaktiv
Lauras größter Wunsch
Heiligabend
Der goldene Thron
Blackout im Kaufhaus
Erstens kommt es anders
III Weihnachten in Franken - Geschichten und Glossen in Nürnberger Mundart
Leise rieselt der Schnee
Vier Tage geschlossen
Der liegende Weihnachtsbaum
Vertauschte Rollen
Zwischen den Jahren
IV Revolte im Himmel oder Auch Engel sind Menschen
Abschlussprüfung
Jonathan
Himmlische Revolte
V Jahreswechsel
Nahkampfrunde
Sekundenschlaf
Ein gutes neues Jahr
Der sechzigste. Geburtstag
VI Feiern – ja aber... Weihnachten und Silvester In Corona-Zeiten
Weihnachts-Vision
Weihnachten auf Sparflamme
Christmas is over
Silvester
VI Auf ein Neues Geschichten zum neuen Jahr
Das Jahr fängt ja gut an!
Doppeltes Pech
Eine Frage an Sie, liebe Leserinnen und Leser: Mögen Sie Weihnachten? Ja? Also - ich nicht. Jedenfalls nicht mehr.
Als Kind - lang, lang ist's her - habe ich Weihnachten geliebt. Klar - welches Kind freut sich nicht darauf? Auf den geschmückten Weihnachtsbaum mit den brennenden Kerzen; auf putzige Engelchen mit Pausbäckchen und goldenen Flügeln; auf das Auspacken der Geschenke; auf die Süßigkeiten und den Gänsebraten am ersten Feiertag. Ja, auch ich habe Weihnachten jedes Jahr entgegengefiebert. Aber damals hatte ja auch meine Mutter den ganzen Stress.
Seit meiner Kinderzeit hat Weihnachten viel, wenn nicht alles von seiner Faszination eingebüßt. Mir stehen inzwischen die Haare zu Berge, wenn ich im August an den einschlägigen Lebkuchenfabriken vorbeifahre und es riecht nach Zimt und Zucker und tausend Gewürzen. Ab Ende September / Anfang Oktober glotzen einen in sämtlichen Supermärkten die Weihnachtsmänner an. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob das nicht die Überreste der Osterhasen sind, die - eingeschmolzen und mit Nikolausmänteln umhüllt - neuer Verwendung zugeführt werden. Auch wenn die Industrie das vehement bestreitet.
Noch schlimmer wird es aber Ende Oktober. Kein Kaufhaus, kein Baumarkt, kein Lebensmittelladen, in dem nicht Weihnachtsdeko in allen Variationen angeboten wird. Schrill und bunt, blinkend in allen Farben. Mal dominiert Rot, mal Gold, mal Silber, dann zartrosa oder lindgrün - jedes Jahr was anderes. Schließlich soll die Kundschaft ja ständig neuen Tüddelkram kaufen!
Wenn einen dann im Advent zu all dem noch die Lautsprecher mit Weihnachtsliedern volldudeln - möglichst laut und möglichst nervig -, ergreife ich schleunigst die Flucht. Verkaufsfördernd ist das auf keinen Fall! Irgendwann kann man nämlich ,Rudy, the red nosed raindeer', ,Oh du fröhliche', ,White Christmas' oder ,Leise rieselt der Schnee' beim besten Willen nicht mehr hören. Schon gar nicht bei 15 Grad plus und Sonnenschein!
Und dann gibt es jene Zeitgenossen, die sich in der Adventszeit besonders hervortun müssen und ihre vorweihnachtliche Euphorie übers halbe Stadtviertel ausdehnen. Auf dass die geneigte Umwelt an ihrer Freude teilhaben möge ...
Manches Mal, wenn ich nach Einbruch der Dunkelheit noch unterwegs bin (was immer seltener vorkommt), fallen mir schier die Augen aus dem Kopf beim Anblick der überreich verschönerten' Häuser und Vorgärten!
Fensterrahmen, mit wild blinkenden Lichterketten dekoriert; über dem blattlosen Gestrüpp, das im Frühjahr so herrlich blüht, ein Netz aus winzigen blauen Lichtlein (ausgerechnet Blau, das tut einem ja in den Augen weh!). Der Rentierschlitten auf dem Rasen steht schief, weil die vielen Pakete, die darauf gestapelt wurden, verrutscht sind. Das Rentier schielt - von den beiden grün leuchtenden Glühbirnen, die die Augen darstellen sollen, ist eine kaputt. Auch das Geweih des armen Viehs sieht schon reichlich mitgenommen aus. Da fällt der lätscherte Nikolaus, der an der Hauswand hinaufklettert, schon gar nicht mehr ins Gewicht. Niemand von den Dekorateuren scheint bemerkt zu haben, dass ihm schon im letzten Jahr die Luft ausgegangen ist. Würde mir ja genauso gehen, wenn ich eine Hauswand hinaufkrabbeln müsste! Aber das nur nebenbei.
Nein, was manche sich da einfallen lassen, ist schlimmer als Las Vegas bei Nacht. Ich würde nur zu gerne mal sehen, wie die Gesichter der Bewohner entgleisen, wenn die nächste Stromrechnung eintrudelt!
Tja ... und dann ist es da, das angeblich Schönste aller Feste...
Der Tannenbaum lässt schon beim Schmücken die Nadeln fallen. Vielleicht hätte man ihn doch besser auf den Balkon stellen sollen, statt ihn im beheizten Gästezimmer zu lagern? Hm. Zu spät! Ziemlich zepfig schaut er auch aus. Es kostet einige Mühe, ihn so aufzustellen, dass er nicht ganz so billig aussieht wie er war...
Der Heiligabend gerät zur Katastrophe. Tante Olga und Onkel Abraham haben sich angesagt - beide weit über 80 und hochgradig schwerhörig. Onkel Abraham ist obendrein so gut wie blind, stolpert über alles und jedes, bekleckert beim Essen sich selbst, die Tischdecke und den Teppichboden. Er kann ja nichts dafür - aber für die Hausfrau ist es schon recht anstrengend! Zumal die Kinder an diesem Abend auch nicht gerade ein Ausbund an guter Erziehung sind. Sie langweilen sich, quengeln, wollen beschäftigt werden, können es nicht erwarten, bis endlich die Bescherung stattfindet. Aber auch dann herrscht kein Friede. Sie streiten, weil Leonie angeblich mehr Geschenke bekommen hat und Max statt des Feuerwehrautos lieber einen Kran gehabt hätte. Nur Paula hat keine Ansprüche - aber dafür die Windeln voll.
So gegen Mitternacht fällt die Hausfrau halbtot ins Bett, um im Morgengrauen wieder in der Küche zu stehen und die Weihnachtsgans vorzubereiten.
Nun gut - dieses Problem habe ich nicht. Ich bin alles andere als eine leidenschaftliche Köchin. Wie ein Braten gemacht wird, weiß ich nur vom Hörensagen. Früher hat meine Mutter ihn zubereitet, und seit ich meinen Mann kenne, ist er dafür zuständig. Immerhin darf ich nach geschlagener Schlacht die Küche aufräumen ...
Verstehen Sie jetzt, warum Weihnachten für mich jeden Reiz verloren hat?
Am liebsten wäre es mir, man würde mich vor dem ersten Advent ins künstliche Koma versetzen und am Silvestermorgen wieder aufwecken. Den Jahreswechsel möchte ich auf keinen Fall verpassen! Da sind wir nämlich eingeladen ...
***
Mit einem Ruck fährt Simon in die Höhe - und flucht laut. Nicht nur, weil ein unerträglicher Schmerz durch seinen Rücken fährt - nein, zum soundsovielten Mal ist er mit dem Kopf an das blöde Regalbrett gestoßen, das direkt über dem Ehebett angebracht ist. Gitta wollte es unbedingt haben - weil neben den Betten kein Platz für ein Nachttischchen mehr war. Dabei ist dieses dämliche Regal so überflüssig wie ein Blinddarm. Nicht nur, weil es offen und ist und ständig Staub darauf liegt - es beherbergt lediglich eine Menge unnützen Kram. Gebastelte Geschenke von den Kindern (die inzwischen alle längst verheiratet sind und selber Kinder haben). Kitschige Reisemitbringsel. Abgerissene Knöpfe. Verschrumpelte Kastanien vom vorletzten Herbst. Eine Plastikdose mit Ohrstöpseln. Zwei benutzte Papiertaschentücher ...
Simon tastet nach der Nachttischlampe. Das Kabel mit dem Einschaltknopf ist wieder mal unterm Bett verschwunden. Endlich kann er es hervor angeln.
Er drückt auf den ewig klemmenden Knopf. Im nächsten Moment wird es fast taghell im Zimmer. Geblendet schließt Simon die Augen, bis auf einen kleinen Schlitz. Gittas Bett ist leer. Die Anzeige des Radioweckers, der bezeichnenderweise neben seinem Bett auf dem Boden steht, zeigt halb vier.
Seufzend stemmt Simon sich in die Höhe. Seit gestern hat er einen Hexenschuss und das Aufstehen ist eine Qual. Reuevoll denkt er daran, dass sie bei der Anschaffung des Schlafzimmers doch die höheren Betten hätten nehmen sollen. Oder zumindest auch für ihn eine elektrisch verstellbare Matratze. Gitta hat sich so eine geleistet. Aber er selbst - nie hätte er daran gedacht, so ein ,Senioren-Attribut' einmal zu benötigen! Eine Hand in das schmerzende Kreuz gedrückt, schlurft er barfuß in die Küche.
Gitta sitzt auf der Eckbank, eingehüllt in ihren flauschigen blauen Bademantel mit den Sternen drauf. Vor ihr auf dem Tisch liegt ein Blatt Papier, auf dem sie mit einem winzigen Bleistiftstummel, den ihre Finger kaum mehr halten können, Notizen macht.
„Was treibst du denn hier zu nachtschlafender Zeit?", fragt Simon neugierig.
„Ich konnte nicht mehr schlafen. Also habe ich angefangen, meine To-do-Liste für Weihnachten zu schreiben."
„Jetzt schon? Wir haben doch noch nicht mal den ersten Advent", meint Simon entsetzt.
„Damit kann man nie früh genug anfangen!"
Gitta seufzt. „Wenn ich bloß daran denke, was das wieder für einen Stress bedeutet... Wochenlang durch die Geschäfte hecheln auf der Jagd nach Geschenken, die dann doch wieder nicht richtig sind und nach den Feiertagen umgetauscht werden. Berge von Stollen und Plätzchen backen. Weihnachtsbaum besorgen, die ganze Dekoration anbringen. Das Haus muss geputzt und Zimmer für die Übernachtungsgäste hergerichtet werden. Klaus und Gundi bleiben mit Sicherheit mit ihren Familien bis Silvester hier. Für die lohnt sich doch sonst die weite Anreise gar nicht. Das bedeutet acht Schlafplätze. Selbst wenn wir die Kinder bei Elke oder Frank einquartieren - die Organisation bringt mich um. Ich bin ja auch nicht mehr die Jüngste!"
„Schatz, du machst viel zu viel Theater um das Weihnachtsfest. Lass dir doch wenigstens von Frank und Elke helfen - die wohnen hier am Ort und ..."
... „haben selber genug zu tun!", unterbricht Gitta.
„Dir ist wirklich nicht zu helfen" bemerkt Simon resigniert. „Aber - könntest du vielleicht deine Vorbereitungen mal unterbrechen und mir den Rücken einreiben? Ich werde noch verrückt vor lauter Schmerzen!"
„Leg dich wieder ins Bett, ich komme gleich! - Am besten gehst du in meins. Da kannst du den Lattenrost verstellen, so wie es dir am bequemsten ist. - Nur vorübergehend natürlich, bis es dir besser geht", schränkt sie sofort ein. Schließlich kennt sie ihre Pappenheimer! Wenn Simon erst mal festgestellt hat, wie komfortabel der verstellbare Lattenrost ist... Wenige Minuten später rückt sie im Schlafzimmer mit der Heilsalbe und einer gefüllten Wärmeflasche an, die sie ihrem Gatten nach erfolgter Einreibung ins Kreuz legt. Fürsorglich deckt sie ihn zu, knipst in der Küche das Licht aus und kuschelt sich in Simons verlassenes Bett.
„Weißt Du was?", sagt sie plötzlich. „In diesem Jahr lassen wir Weihnachten ausfallen!"
„Was?" Um ein Haar wäre Simon wieder gegen das Regalbrett über seinem Kopf gerannt.
„Jawohl. Weihnachten fällt aus dieses Jahr!", wiederholt Gitta entschlossen.
„Aber das kannst du doch nicht machen", protestiert Simon.
„Oh doch - ich kann!" Gitta lässt sich nicht beirren. „Wir haben vier Kinder. Seit Jahren kommen sie alle mit Ehepartner, Kindern und Hund an den Feiertagen zu uns. Niemand fragt, ob es uns überhaupt recht ist. Es wird als selbstverständlich vorausgesetzt, dass Mama und Papa sich um alles kümmern. Dass sie die Herrschaften bekochen und sie von vorn bis hinten bedienen. Wie oft habe ich meinen Gänsebraten erst essen können, als er fast kalt war - weil ich dauernd herumrennen musste und mich um Lätzchen für die Kinder, Mineralwasser für Elke oder Bier für Klaus kümmern durfte. Einer hat nach Klößen geschrien, der andere nach Soße. Eins von den Enkelkindern hat todsicher sein Getränk umgekippt und Oma ist nach Putzlappen gerannt - Nein, in diesem Jahr nicht!"
„Ja - aber - wie willst du das den Kindern beibringen?"
„Ganz einfach. Ich rufe sie an und sage es ihnen", antwortet Gitta trocken. „Dieses Jahr gibt es weder Weihnachtsschmuck noch Christbaum, keine Plätzchen und keine Geschenke. Und keine Einladung!"
„Und was willst du stattdessen machen?" fragt Simon überrumpelt.
„Verreisen. Ich habe vor zwei Tagen in der Zeitung eine Anzeige von einem Vier-Sterne-Hotel gesehen. Weihnachten mit Fünf-Gänge-Menü und Feier mit der Hoteliers-Familie. Silvester mit Musik und Tanz. Eigenes Hallenbad mit Whirlpool, Sauna, Ruheraum und allen Schikanen. Jeden Tag ein üppiges Frühstücksbüffet plündern. Das werden wir in diesem Jahr machen. Uns nach Strich und Faden verwöhnen lassen! So lange, bis einer von unseren Nachkommen auf die Idee kommt, uns einmal einzuladen. Einverstanden?"
„Grandiose Idee! Könnte fast von mir sein", sagt Simon grinsend. „Das gönnen wir uns in diesem Jahr! Nur eins ist schade", fügt er nach einer kurzen Pause hinzu, „dass wir die Gesichter unserer Ableger nicht sehen können, wenn wir ihnen die gute Nachricht übermitteln ..."
***
Ja, um Himmels willen - was machst du denn mitten in der Nacht in der Küche? Und was ist das hier überhaupt für ein Tohuwabohu?" Fassungslos steht Werner in der offenen Türe. Sein Entsetzen ist durchaus berechtigt. Die Uhr an der Wand zeigt kurz nach halb drei.
In der Küche sieht es aus, als hätte jemand einen Müllcontainer ausgekippt. Die lange Seite der Eckbank ist halbmeterhoch mit Kartons, Schachteln Plastikdosen, Tüten und Papierrollen bedeckt. Auf dem Tisch liegt ein Holzbrett, das irgendwann einmal als Rückwand für einen Kleiderschrank gedient hat. Darauf buntes Papier, Scheren, Klebstoff. Geschenkbänder in allen Farben des Regenbogens. Stoffreste, Kataloge, ausgeschnittene Kerzen und andere Weihnachtsmotive. Mehrere Stickerbögen mit funkelnden Sternen in Gold und Silber. Buntstifte, Tuben mit Glitzerkleber ... Selbst auf dem Boden stapelt sich noch Bastelmaterial, dazwischen Papierschnipsel, Wattereste und Stofffusseln. Ein Chaos ohnegleichen.
Mittendrin in diesem grandiosen Durcheinander hockt Annika im Bademantel auf einem Küchenstuhl. In ihren zerzausten Haaren klebt blaues Buntpapier. Am rechten Ärmel hängt ein Büschel Engelshaar in rostrot. Der Tisch und sie selbst schillern in allen Farben von herumgestreutem Glitterpulver. Ein Bild für Götter!
„Ich konnte nicht schlafen", meint Annika entschuldigend. „Also habe ich meine Bastelwerkstatt aufgebaut. Irgendwann muss ich ja mal mit den Weihnachtskarten anfangen. Die Zeit rennt, und ich will die Karten ja nicht erst zu Ostern verschicken!"
Geistesabwesend langt sie auf einen Teller mit Plätzchen, der rechts von ihr auf der Arbeitsplatte steht, nimmt einen Zimtstern und steckt ihn in den Mund.
„Außerdem", fügt sie kauend hinzu, „kann ich um diese Zeit wenigstens sicher sein, dass du nicht urplötzlich Hunger kriegst und ich den ganzen Kram wieder wegräumen muss. - Aber was willst du denn eigentlich hier?"
„Ich bin wach geworden, habe gemerkt, dass du nicht im Bett liegst und wollte nachsehen, wo du steckst!", antwortet Werner.
„Na, jetzt weißt du es ja!" Annika grinst. „Leg dich wieder schlafen. Bis du aufstehst, sieht es hier wieder manierlich aus!"
„Was mich alle Jahre wieder wundert", meint Werner kopfschüttelnd, „ist die Tatsache, dass du in diesem Durcheinander irgendetwas findest!"
„Das wundert mich auch", lacht Annika. „Aber nun verschwinde wieder, bevor du noch anfängst zu frieren. Außerdem - du störst!"
„Ich frage mich nur, warum du dir das überhaupt antust. Du könntest die Weihnachtskarten doch genauso gut kaufen!"
„Könnte ich. Aber es macht mir nun mal Spaß, sie selbst herzustellen."
„Na schön. Tu, was du nicht lassen kannst", meint Werner gutmütig. „Aber mach nicht mehr gar so lange. Du weißt, wir müssen heute Vormittag ins Einkaufszentrum..."
„Du“, verbessert Annika. Sie angelt einen weiteren Zimtstern vom Teller. „Ich muss meine Hosen gewöhnlich nicht umtauschen, weil ich zu eitel bin, sie gleich eine Nummer größer zu kaufen!"
***
„Liebes, was wünschst du dir eigentlich zum Geburtstag?" Dominik stellt seine Kaffeetasse mit solchem Schwung auf den Tisch, dass ein Teil der braunen Brühe über den Rand auf die helle Tischdecke schwappt.
„Och, Mensch, Schatz, kannst du denn nicht aufpassen? Ich komme mit dem Waschen sowieso nicht mehr hinterher! - Und was ich mir am meisten wünsche, das weißt du doch!"
Seufzend wuchtet Laura ihren Fünf-Monats-Bauch vom Stuhl hoch, um das Frühstücksgeschirr zur Seite zu räumen. Die verkleckerte Tischdecke muss sofort eingeweicht werden - andernfalls geht der Fleck nie wieder heraus.
„Und du weißt, dass ich dir deinen Wunsch liebend gern erfüllen würde, wenn ich könnte! Aber sag - wo soll ich ein Haus hernehmen, das nicht nur ausreichend Platz für unsere Großfamilie bietet, sondern auch noch finanzierbar ist und nicht achtzig Kilometer von der Stadt entfernt liegt?"
„Aber irgendetwas muss geschehen!" Wieder seufzt Laura abgrundtief. „Unsere Wohnung ist für sechs Personen definitiv zu klein. Wir haben nur Glück, dass die Kinder nicht nur fast gleichaltrig sind, sondern sich obendrein prima verstehen - andernfalls wäre hier andauernd die Hölle los. Und wenn erst mal Ben da ist..."
„Lisa", unterbricht Dominik grinsend.
Jetzt muss auch Laura lachen. Seitdem sie von der Schwangerschaft wissen, geht das nun so. Laura hätte lieber einen Sohn. Dominik dagegen wünscht sich eine Tochter...
„Momentan kommt es mir vor, als würden es Lisa und Ben! Ich fühle mich wie ein Nilpferd mit Blähungen! - Bei meinen ersten beiden haben mich die Leute immer gefragt, wo ich das Baby denn hätte - aber diesmal..."
„Das geht irgendwann vorbei", tröstet Dominik. „Und für das Platzproblem finden wir auch noch eine Lösung. Notfalls baue ich uns einfach selber ein Haus! - Aber ich muss jetzt endlich los! Ich bin sowieso schon viel zu spät dran!"
Er drückt Laura einen schnellen Kuss auf die Wange und streichelt über ihren Babybauch, bevor er seinen Mantel und die Aktentasche nimmt, um in sein Büro zu fahren.
Laura bleibt allein zurück. Die Kinder sind alle in der Schule und kommen erst am Nachmittag. So bleibt ihr Zeit, das Chaos in der Wohnung einigermaßen zu bändigen und das Mittagessen vorzubereiten.
Während sie Berge von Gemüse putzt und mit Hilfe ihrer Küchenmaschine zerkleinert, denkt sie darüber nach, was für ein Glück sie doch mit Dominik hat. Seit sie ihn kennt, hat sie wieder gelernt, Freude am Leben zu haben - trotz der vielen Arbeit mit den Kindern. Oder vielleicht gerade deswegen.
Laura liebt Kinder über alles. Nicht nur Robin und Vanessa, ihre beiden aus erster Ehe. Nein, auch Manuel und Sophie, die Dominik mit in die Ehe gebracht hat. Bis vor wenigen Wochen hatten die beiden bei Dominiks Exfrau gelebt. Oder besser gesagt, bei ihrer hochwohlgeborenen Familie.
Und dann standen sie eines Abends plötzlich vor der Türe. Jeder mit einem Rucksack auf dem Rücken und Tränen in den Augen. Und waren geblieben.
Beide weigerten sich standhaft, zurück auf den Landsitz ihrer Großeltern gebracht zu werden. Ihre Mutter - eine geborene von Reichensbach - war kurz nach ihrer Trennung von Dominik bei Nacht und Nebel mit dem französischen Koch ihrer Eltern abgehauen - nach Nizza zu dessen Familie. Die Kinder hatte sie kurzerhand zurückgelassen. Die störten ihr neues Glück nur. Sollte sich doch ihr Erzeuger darum kümmern!
Manuel und Sophie, vierzehn und zwölf Jahre alt, waren liebe, wohlerzogene Kinder. „Dressiert", nannte es Dominik. „Damit man sie jederzeit der erlauchten Verwandtschaft ,vorführen' konnte - wie Tiere im Zoo", wie er es ausdrückte.