Weihnachten zu lieben - Sibylle Paraquin - E-Book
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Weihnachten zu lieben E-Book

Sibylle Paraquin

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Beschreibung

In zwei Geschichten begegnen Tara und Lilly unerwartet der Liebe, während Weihnachten ihnen zeigt, dass Neuanfänge möglich sind. Tara hofft auf ein stilles Weihnachtsfest, doch schmervolle Erinnerungen begleiten sie. Die überraschende Begegnung mit Salma bringt Licht in ihre tristen Gedanken und es wächst eine unerwartete Nähe zwischen den beiden Frauen. Aber kann Tara ihre Zweifel überwinden und sich auf neue Gefühle einlassen? Lilly erwartet ein ruhiges Fest ohne Weihnachtsfirlefanz. Zumindest, bis sie Mel trifft, deren Weihnachtsfreude und Charme ihr Herz erobern. Zwischen Keksbacken, Geschenken und funkelnden Lichtern merkt Lilly, dass Weihnachten mehr als Tradition bedeutet – es ist auch die Chance auf Liebe. Kann sie die Magie des Festes annehmen oder steht ihr die Vergangenheit im Weg?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Sibylle Paraquin

Weihnachten zu lieben

Eine Inhaltswarnung findet ihr am Ende des Buches.

Impressum: 

Weihnachten zu lieben

1. Auflage, November 2024

© Sibylle Paraquin 2024

Sibylle Paraquin

c/o Fakriro GbR / Impressumsservice

Bodenfeldstr. 9

91438 Bad Windsheim

Coverdesign: Christin Giessel, www.giessel-design.de

Buchsatz & Illustration: saje design, www.saje-design.de

Korrektorat: Sarah Nierwitzki, www.lektorat-wortkosmos.de

Druck & Vertrieb: Tolino Media

ISBN: 978-3-759253-20-0

Alle Rechte vorbehalten.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet zu finden über http://dnb.dnb.de

 

Tara

23. Dezember

Endlich Feierabend. Nach einem Tag voller Verkaufsgespräche hatten weder Tara noch die anderen Worte übrig. Irgendwann hatte sie aufgehört, zu zählen, wie oft sie in den vergangenen Stunden hatte sagen müssen: „Nein, wir können dieses Kameramodell bis morgen nicht mehr bestellen.“

Deshalb war es still, während sich die Mitarbeitenden bei Taras Nebenjob umzogen und ihre Sachen packten, um sich auf den Heimweg zu machen. In Taras Kopf war nur Nebel, hinter dem sie ihr gemütliches Bett rufen hörte. Ihren Körper spürte sie zu sehr und teilweise gar nicht mehr. Schmerzende Füße und ihr trockener Mund schafften es in ihr Bewusstsein. Während sie schnell ein Glas Wasser leerte, kämpfte sie dagegen an, dass ihr Blick starr ins Leere lief. Sie scheiterte mehrmals.

Als sie einige Minuten später das Gebäude verließ, schlug Tara die Dezemberluft ins Gesicht, erfrischend und frostig zugleich. Sie zog den Schal fester um ihren Hals. Die ganze Gruppe verabschiedete sich mit Weihnachtswünschen und strömte in verschiedene Richtungen auseinander.

Ihre Beine schienen den Weg selbstständig zurückzulegen. Um sie herum leuchtete alles friedlich, Menschen drängten sich durch die Fußgängerzone, die sie zum Glück bald hinter sich lassen konnte. In der nächsten Seitenstraße kam sie an einem geöffneten Hoftor vorbei, hinter dem ein kleiner Weihnachtsmarkt stattfand. Lachende Menschen hielten dampfende Tassen in den Händen, ein Tannenbaum erstrahlte im Lichterglanz, Kinder rannten herum und hatten Schokolade um die Münder. Eine Duftwolke voller Gerüche nach gebrannten Mandeln, Glühwein und Bratwurst zog sofort in ihre Nase. Kurz blieb sie stehen und sah dem Treiben zu. Da sie ihre Kamera nicht bei sich trug, schoss sie wenigstens ein Bild mit der Handykamera. Dieses Jahr war sie auf keinem Weihnachtsmarkt gewesen. Nach der Arbeit war sie immer zu müde und die Prüfungen hatten ihr Übriges getan. Trotzdem ärgerte sie sich nun darüber. Jetzt? Nur kurz mal drüberlaufen? Wie zur Antwort schmerzten ihre Füße erneut, ihr ganzer Körper zog wie ein Sack an ihr, nach unten. Keine Chance.

Ein Pärchen kam direkt vor ihr aus dem Tor und ging die Straße entlang. Sie hielten Händchen ohne Handschuhe, die jeweils andere Hand in den Taschen vergraben. Wollten sie sich unbedingt so nah sein, dass sie kalte Hände in Kauf nahmen? Auch wenn Tara die verliebten Blicke kaum ertrug – wegsehen konnte sie ebenso wenig.

Seit eineinhalb Jahren war sie für ihr Studium in dieser Stadt, aber scheinbar nicht für mehr. Klar hatte sie Freundinnen kennengelernt, Bekannte angehäuft, wie sie sich automatisch mit Seminaren und Referatsgruppen ansammelten. Aber eine Frau? Fehlanzeige. Normalerweise störte sie das wenig, aber hier und jetzt schlurfte sie hinter diesen Verliebten her und war zu schwach, um sich gegen das Drücken in der Brust zu wehren. Schon brannten ihre Augen, doch sie drängte die Tränen weg. Zu Hause konnte sie heulen, wenn es sein musste.

Ein Schritt nach dem anderen. Eigentlich war der Weg nicht weit. Jetzt erschien er ihr unendlich. Jedes Mal, wenn sie stehen bleiben musste, beschwerten sich ihre Beine und Füße durch ein intensives Ziehen. Tara hatte nicht gedacht, dass es möglich wäre, doch ihre Gliedmaßen schienen noch schwerer zu werden. Die Träger ihres Rucksacks pressten in die Schultern. Ihre gesamte Anstrengung fokussierte sie auf Nichtweinen und Nachhausekommen.

Ihr Zuhause war ein kleines Zimmer im Wohnheim, im dritten Stock, ganz am Ende des Ganges. Ihre direkte Nachbarin war bereits weg, so wie fast alle, die hier wohnten. Super, noch mehr Einsamkeit.

Hinter ihrer Tür ließ sie ihren Dufflecoat, Schal und Mütze auf den Boden und sich aufs Bett fallen. Nun hielt sie sich nicht mehr zurück, ließ die Tränen laufen. So vieles musste aus ihr heraus: Die Hektik des Weihnachtsgeschäfts, die anstehenden Hausarbeiten, die Erschöpfung, die Tatsache, dass sie Weihnachten nicht nur mit ihren Eltern verbringen würde. Ihr Bruder würde ebenfalls kommen, ausgerechnet jetzt. Die letzten Jahre hatte er sich immer mit dem Studium herausgeredet, später dann mit der Arbeit. Auch wenn sie es hasste, es war besser so gewesen, einfacher.

Ihr Handy klingelte. Simon. Durch den Schleier der Müdigkeit und der Tränen drang ein wenig Freude in ihr Herz. Schnell putzte sie sich die Nase, dann nahm sie ab und begrüßte ihn.

„Hey, alles okay bei dir? Weinst du?“

„Ein wenig. Der Tag war grauenhaft.“

„Dann passt es ja perfekt, dass ich unten vor der Tür stehe.“

Das Lachen in seiner Stimme hörte sie deutlich heraus.

„Was?“

„Wenn wir nicht morgen zusammen feiern können, dann eben heute. Lässt du mich rein?“

Mühevoll stand sie auf, stapfte den langen Flur wieder entlang und betätigte den Summer. Schleppte sich zurück zu ihrem Zimmer. Ein paar Atemzüge lang verharrte sie mitten in dem kleinen Raum, mitten im Chaos der letzten Wochen. Lautstark atmete sie aus. Schon wieder drückte es hinter ihren Augen.

Plötzlich öffnete Simon die angelehnte Zimmertür und nahm sie sofort in den Arm. Erneut gestattete sie den Tränen, loszulegen. Dieses Mal waren es nicht mehr viele.

Ihr bester Freund hielt sie etwas von sich weg, sah sie an.

„Ich kümmere mich um das Geschirr und du packst deine Sachen?“

Tara nickte, dankbar, dass sie nichts erklären musste.

Eine Stunde später saß Tara an einem gedeckten Tisch in dem Haus, das ihr zweites (oder drittes?) Zuhause war. Ihr gegenüber waren Simon und sein Mann Jean. Sie schlugen sich den Bauch mit Nudeln voll. Ihr Hungergefühl hatte Tara beim Betreten der Küche so intensiv überfallen, dass sie an nichts anderes denken konnte. Erst als ihr erster Teller leer gegessen war und Jean ihr Nachschlag gab, war sie gesprächsbereit.

„Danke euch, das hier ist genau das, was ich brauche.“

Beide lächelten sie breit an, dann antwortete Jean. „Gern, wir freuen uns auch, dich noch mal zu sehen.“

Er strich sich eine widerspenstige Locke aus dem Gesicht. Scheinbar war Jean schon länger nicht mehr zum Friseur gekommen. Dagegen waren Simons Haare frisch und fast etwas zu kurz geschnitten. Manchmal hielten Fremde die beiden für Brüder, weil sie dunkelbraune Haare hatten. Doch wo Jean beinahe spitzbübische Gesichtszüge hatte, entsprach Simon eher dem Typ Männermodel. Nur wenn er lachte, war sein Mund etwas zu groß, sein Lachen aber umso ansteckender.

Eine Weile unterhielten sie sich über Jeans Arbeit, bei der Stress und Umgangston immer schlimmer wurden. Außerdem sprachen sie über die morgige Fahrt nach Frankreich, die den beiden bevorstand. Zum ersten Mal hatten sich Jeans Eltern gewünscht, dass die zwei sie an Weihnachten besuchten. Zum ersten Mal würde Simon nicht bei seiner Familie sein, die neben Taras in Mainz lebte.

Den Nachtisch in Form einer großen Plätzchendose nahmen sie mit ins Wohnzimmer. Dort stand ein geschmückter Baum, eher klein, alles daran in Weiß und Silber gehalten.

Darunter hervor holte Jean ein Päckchen für Tara. Sie hatte die Geschenke für die beiden schon dabei. Tara setzte sich wie immer in den großen Sessel, die anderen zwei lümmelten auf dem Sofa.

Alle sahen sich erwartungsvoll an. Niemand begann mit dem Auspacken.

„Streng genommen dürfen wir die erst morgen Abend öffnen, oder?“, meinte Simon, während er sein Päckchen von allen Seiten musterte.

„Wir warten noch zwanzig Minuten bis Mitternacht? Dann ist es offiziell Heiligabend.“ Tara und Simon stimmten Jeans Vorschlag sofort zu. Eigentlich waren ihr Kopfnebel und die Schwere ihres ganzen Körpers deutliche Hinweise, dass sie ins Bett gehen sollte. Alles an ihr tat auf irgendeine Art weh.

„Freust du dich auf die Tage zu Hause?“, wollte Simon wissen.

Nein, wollte sie sagen. Nein, ich habe Angst, dass Torben kommt, dass er mich wieder so ansieht wie damals, dass er jetzt doch gemeine Sachen sagt, dass Mama und Papa nicht für mich einstehen, dass ich selbst es nicht schaffe, mich zu wehren, wenn du nicht da bist.

Ihre Brust wurde eng, etwas schmerzte dort und in ihrem Hals, alles wollte raus, gesagt werden. Doch Simon sah sie so liebevoll an. Sie wusste, dass er sich Sorgen um sie machen würde. So wie damals. Dass Simon ausgerechnet dieses Jahr fehlen würde. Ob Torben das wusste? Kam er deshalb plötzlich an Weihnachten? Unterstellte sie ihm damit zu viel Heimtücke?

Egal. Falsche Gedankenspirale!

Simon hatte genug um die Ohren und jedes Recht, die Woche in Frankreich zu genießen. Frage beantworten, Tara!

„Äh, ja, schon. Mich zwei Tage bekochen zu lassen und über nichts nachdenken zu müssen, wird super.“

„Wieso nachdenken? Belastet dich was?“

Verdammt, dumme Formulierung.

„Nein, so meinte ich das nicht. Aber das Alltägliche, lernen, arbeiten, Hausarbeiten schreiben, das wird die nächsten Tage weit weg sein.“

„Das mag ich an Weihnachten auch immer so gern, es ist wie ein kleiner Urlaub“, stimmte Jean ihr zu.

„Ach, deshalb heißt es Hotel Mama“, sagte Simon und alle drei lachten. Tara musste sich zwingen, aber es gelang ihr.

Auf einmal zeigte die Uhr an der Wand ein paar Minuten nach Mitternacht an. Alle drei riefen „Frohe Weihnachten!“ und begannen, vorsichtig die Geschenke auszupacken. Während sie mit schwerfälligen Fingern am Klebeband herumfummelte, spuckte ihr Gehirn aus, dass sie gar kein Geschenk für Torben hatte. Aber warum auch? Er hatte keins verdient. Nur dass er ihr Bruder war, qualifizierte ihn nicht dafür. Trotzdem der Höflichkeit halber was am Bahnhof mitnehmen?

Für einen Moment presste sie die Augen zusammen. Wünschte, sie könnte ihre Gedanken abschalten. Als sie die Augen wieder öffnete, schielte sie zu den anderen beiden. Sie schienen zum Glück nichts bemerkt zu haben. Sich gegenüber Simon verstellen zu müssen, fühlte sich unendlich falsch an. Bitter legte sich das Gefühl in ihrem Hals ab, senkte sich in ihre Brust. Sie war zu müde, sich damit zu beschäftigen.

Neben ihr ertönte das scharfe Reißen von Papier. Simon hatte offenbar entnervt aufgegeben und zerfetzte das Geschenkpapier. Freudestrahlend betrachtete er das Mousepad und die passende Maus mit verschiedenen Pokémon darauf. Jean probierte das Handlettering-Stifteset sofort aus. In Taras Schoß lag ein kleiner Bildband inklusive Biografie ihres Lieblingsfotografen Peter Lindbergh. Mit einem echten Lächeln bedankte sie sich.

Jetzt aber wirklich ins Bett. Mühsam faltete sie ihren Körper auseinander und stand auf. Oben wünschten sich alle schöne Träume.

Doch sobald Tara die Tür des Gästezimmers hinter sich geschlossen hatte, rasten ihre Gedanken wieder. Warfen sie in eine Erinnerung, zu diesem Weihnachtsnachmittag, an dem sie unbedingt Geschenke hatte einpacken wollen und nichts klappte. Sie musste zwölf gewesen sein.

In ihrem Zimmer auf dem Boden liegen mehrere Rollen Geschenkpapier, Bänder, Schere und Klebeband. Tara sitzt mittendrin, die Vase für ihre Mutter auf dem Schoß. Als Torben klopft und sofort hereinkommt, reißt das Papier, das sie versucht, um die Vase zu wickeln und sie bricht in Tränen aus. Vorsichtig stellt er die Vase auf den Boden und nimmt Tara in den Arm. Weinend berichtet sie, dass sie schon dreimal Papier zerknüllt hat und nicht einmal das Buch für Papa schön aussieht, obwohl es eckig ist und damit leicht einzupacken.

„Hey, das ist doch nicht schlimm“, sagt Torben und reicht ihr ein Taschentuch. „Sollen wir es zusammen versuchen?“

Tara schnieft und nickt. Sie fühlt sich nutzlos, ahnungslos, unfähig. Wie so oft, wenn sie etwas nicht kann, scheint es sie zu einem schlechten Menschen zu machen.

„Ich war früher auch richtig mies im Einpacken. Mama hat es mir einmal beigebracht. Da musst du dich nicht schlecht fühlen, okay?“

Sie kümmern sich zuerst um das Buch. Torben erklärt ihr genau, wie sie die richtige Größe ausmessen kann, wie sie das Papier am besten um das Buch herum faltet und es ohne Klebestreifen mit einem Band verpackt. Die Schritte führt sie aus, sodass nach kurzer Zeit ein wunderschönes Geschenk vor ihr liegt. Begeistert betrachtet sie ihr Werk. Vielleicht ist sie doch nicht so unbegabt, wie sie dachte. Ihr Blick fällt auf die Vase und sofort sinken ihre Mundwinkel herunter.

„Und die da? Warum habe ich ein rundes Geschenk ausgesucht!“ Schon wieder brennen Tränen in ihren Augen. Sie zwingt sie zurück, sie will nicht noch mal heulen.

„Vielleicht geht es ganz leicht …“ Torben wühlt in dem Bänderhaufen und zieht schließlich ein sehr breites weißes hervor. „Sie ist zwar rund, aber sie hat einen Hals. Warum bekommt sie nicht einfach einen Schal mit Schleife?“

Er hält ihr das Geschenkband hin. Ein paar Mal blickt sie von diesem zur Vase und zurück. Er scheint ihr Zeit zu lassen, sagt nichts, bietet ihr nur das Band weiterhin an. Zögernd nimmt sie es in die Hand, zieht die Vase zu sich heran. Vielleicht hat er tatsächlich recht. Muss es immer Papier sein? Als eine große Schleife auf dem Hals der Vase sitzt, reicht Torben ihr eine Schere.

„Damit es noch hübscher aussieht, schneiden wir die Enden so ab, dass sich diagonale Ecken bilden.“

Sie folgt seinen kurzen Anweisungen und schließlich findet sie auch die Schleife richtig schön.

„Danke!“, ruft sie und fällt ihm um den Hals. Er streicht ihr über den Kopf und drückt sie an sich. Dabei stellt sie fest, dass er wie ihr Vater riecht.

„Na klar, kleines T.“

„Jetzt musst du aber gehen.“ Sie sieht ihn ernst an. „Immerhin muss ich dein Geschenk auch noch einpacken.“

Die Bilder in ihrem Inneren zauberten ein Lächeln auf ihre Lippen, das sofort wieder zerfiel. Sie vermisste diesen Torben. Obwohl da so viel Angst war, vor dem, was er morgen Abend tun könnte, war da immer ein kleiner Teil in ihr, der einfach nur ihren liebevollen Bruder zurückhaben wollte. In diesem Moment war dieser stark, bildete ein Ziehen in ihrer Brust. Der Angstklumpen in ihrem Bauch ließ sich davon nicht beeindrucken.

Wütend schlug sie mit der Faust neben sich auf die Matratze. Sie wollte nicht weinen, sie wollte schlafen. Einige Male atmete sie tief durch, spürte der Erschöpfung nach, die vorhin alles beherrscht hatte. Ihr Körper antwortete sofort. Zog ihren schweren Kopf auf das Kissen. Gerade noch schaltete sie das Licht aus, bevor sie endlich in den erlösenden Schlaf gezogen wurde.

24. Dezember

Sobald sie den Bahnhof in Mainz verlassen hatte, umklammerte die Kälte sie mit festem Griff. Der Wind pfiff ihr um die Beine, die Jeans konnte ihm nur wenig entgegensetzen. Am liebsten hätte sie die Mütze über ihr ganzes Gesicht gezogen, damit die kleinen Stiche an ihren Wangen aufhörten. Zumindest schützte die Brille ihre Augen halbwegs vor dem Wind. Die Bahnfahrt war erstaunlich pünktlich und entspannt gewesen, abgesehen von den üblichen Gedankenmassen. Mit jedem Halt, durch den sie Mainz näher gekommen war, hatten auch diese zugenommen.

Sie bog um eine Ecke und sofort warf sich ihr eine besonders fiese Böe entgegen. Mit gesenktem Kopf schob sie sich weiter vorwärts, bis eine Tafel in ihrem Sichtfeld auftauchte. Darauf standen in Handschrift nur vier Worte:

Jetzt eine heiße Schokolade.

Es funktionierte. Sie wollte eine, und zwar sofort. Rechts neben der Tafel war die Tür des dazugehörigen Cafés. Durch die Scheibe drang warmes Licht, ein paar Menschen saßen vereinzelt dahinter und wirkten so gar nicht verfroren. Ihr Blick streifte eine Person links an der Wand und blieb an ihr hängen. Sie trug eine gelbe Strickjacke, die Farbe wie Herbstlaub. Dunkelbraune Locken umrahmten ein freundliches Gesicht. Vor ihr stand eine große Tasse und sie las in einem Buch, dessen Titel Tara leider nicht sehen konnte. Interessant.

Aber sie betrat natürlich nicht wegen der Frau das Café, sondern nur wegen einer Schokolade. Eine kleine Wärmepause, mehr nicht.

Drin nahm sie als Erstes die Brille ab, um zumindest grob sehen zu können. Trotz ihres Vorsatzes zogen ihre Füße sie automatisch an den Tisch schräg neben dem Leuchten der Strickjacke. Aus der Nähe wirkte diese noch flauschiger, soweit Tara das ohne Sehhilfe erkannte. Als sie mit ihrem Rucksack auf einen Stuhl sank, sah die Frau auf. Mit Wucht trafen Tara zwei helle leuchtende Augen. Schnell lächelte Tara, entschuldigend, wie sie hoffte. Ihr Gegenüber hob ebenfalls kurz die Mundwinkel. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Buch.

Nach einigem Herumkramen hatte sich Tara umständlich aus den Wintersachen befreit und den Rucksack an die Wand gelehnt. Ihre Brille war nicht mehr beschlagen, nur noch dreckig. Schon trat eine junge Kellnerin an ihren Tisch und reichte ihr die Speisekarte. Tara bestellte direkt die angepriesene Schokolade und ließ sich spontan zu einem Stück Kuchen verleiten.

Sie blickte der Kellnerin nach. Die Theke, hinter die sie zurückkehrte, schmückten Tannenzweige und rote Bänder. Die gleiche Deko rahmte das große Fenster. An den Wänden hingen Fotografien des örtlichen Weihnachtsmarkts. Sie zeigten kleine Details wie symmetrisch angeordnete Lebkuchen, aus Tassen entweichender Dampf, warm leuchtende Lichter. Über der Theke hing eine Girlande aus Weihnachtsbaumkugeln und die Kaffeemaschine trug eine rote Mütze mit weißer Bommel.

Nachdem sie sich komplett umgesehen hatte, fiel ihr auf, dass sie nichts zu tun hatte. Auf ihrem Smartphone scrollen wollte sie nicht, aber um ihr Buch herauszuholen, müsste sie erneut Lärm machen. Danke, Gedanken, das stört hier niemanden! Schon zischte die Kaffeemaschine lautstark, unterhielten sich die beiden Mitarbeitenden, lachte jemand auf der anderen Seite des Raumes. Dennoch beeilte sie sich, ihr Buch auszupacken. Dieses Gefühl, dass alle sie anstarrten, konnte sie nicht abschütteln.

---ENDE DER LESEPROBE---