Weihnachtsfrauen gibt es nicht - Gerd Thiele - E-Book

Weihnachtsfrauen gibt es nicht E-Book

Gerd Thiele

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Beschreibung

Warum gibt es eigentlich keine Weihnachtsfrauen? Wenn Sie das erfahren wollen, dann müssen Sie die entsprechende Geschichte lesen. Es ist nur eine von 13, meist lustigen, aber manchmal auch etwas traurigen Geschichten, die über mehrere Jahre hinweg immer in der Vorweihnachtszeit entstanden. Da weigert sich zum Beispiel Rotkäppchen, im vorweihnachtlichen Fernsehmärchenprogramm aufzutreten, weil sie wegen des ständigen Gefressenwerdens gesundheitliche Probleme befürchtet. Oder der Weihnachtsmann stellt nach dem Aufwachen plötzlich fest, von einer privaten Bescherungsfirma abgelöst worden zu sein. Sie erfahren auch, warum der Spiegel von Schneewittchens Stiefmutter gar nicht so klug gewesen sein kann, wie er immer dargestellt wird oder warum der Niederlausitzer Sandboden Schuld am Tsunami in Südostasien ist.Weihnachtsgeschichten für Erwachsene, ganz ohne Sex und fast ohne Crime für alle, die sich ein bisschen Kindlichkeit bewahrt haben.

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Gerd Thiele

Weihnachtsgeschichten für Erwachsene

Weihnachtsfrauen gibt es nicht

- MuSingal -

Ein paar Worte vorab…

Im folgenden Buch finden Sie 13 Weihnachtsmär-chen. Nicht immer ist der Bezug zu Weihnachten gleich ersichtlich. Trotzdem sind es Weihnachts-märchen für Erwachsene, denn der Anlass für die ersten von ihnen war die jährliche Weihnachtsfeier mit meinen damaligen Kollegen. Dort gehörte es zur Tradition, dass ich jedes Jahr ein neues Weih-nachtsmärchen vorlas, immer voller Anspielungen auf das aktuelle Geschehen.

Traditionen können zur Last für denjenigen wer-den, der sie ausüben muss. Manches Jahr musste ich ganz schön Druck aufbauen, damit endlich was in die Computertastatur floss.

Inzwischen arbeite ich nicht mehr mit den Kollegen von damals zusammen, die Weihnachtsfeiern gibt es nicht mehr, aber Weihnachtsmärchen schreibe ich immer noch gern. Nicht mehr unter Druck, nicht immer unbedingt jedes Jahr ein neues, aber hin und wieder.

Ich habe alle Märchen etwas bearbeitet und eine kleine Vorbemerkung dazu geschrieben. Immer-hin behandelten sie im Original nicht nur die gro-ße Politik satirisch, sondern auch die ein- oder andere Sache, die sich im Unternehmen abspielte.

Dazu gehörte manchmal auch ein bisschen Mut, denn die Regierung kritisieren darf jeder, beim ei-genen Chef muss man da schon vorsichtiger sein. Aber meine Vorgesetzten, übrigens oft Frauen, hat-ten Humor und so durfte ich immer weiter machen.

Trotzdem wollte ich, dass der Leser auch heute den Zusammenhang findet. Deshalb die Bearbeitung, auch wenn ich auf den ein- oder anderen Gag ver-zichten musste. Ich hoffe, Sie liebe Leserin, lieber Leser, haben Spaß und können sich auch mit der einen etwas traurigen Geschichte anfreunden. Aber Weihnachten setzt ja viele Gefühle frei. Sie dürfen aber das Buch natürlich auch zu anderen Zeiten le-sen.

Ich danke allen, die mitgeholfen haben. Meinen Kollegen von damals zuerst, die mich zu immer neuen Geschichten inspirierten. Sie drängten mich damals schon, ich solle sie doch mal veröffent-lichen. Aber erst Ronny bot mir an, mit seinem MuSingal Verlag wirklich ein Buch daraus zu ma-chen. Er hatte mich bei einem Weihnachtskonzert der Cottbuser Band „Träumer & Menschen“ gehört. Ich singe da keinesfalls mit, sondern durfte sozu-sagen als Überraschungsgast zwei meiner Märchen vortragen. Danke auch an Christina von Five-Ele-ments-Films GmbH aus Österreich, die das Cover und die Illustrationen gestaltete und an Jana und Christian, die Geschäftsführer dieser erfolgreichen

Filmproduktionsfirma, die mich beim Marketing unterstützten. Danke nicht zuletzt an meine Frau Karin, die mich oft stundenlang den Feierabend al-lein am Computer verbringen ließ und dann alles, was ich in die Tastatur gehämmert hatte, Korrek-tur las. Und natürlich danke an Sie, dass Sie dieses Buch gekauft haben. Vielleicht um es selbst zu le-sen, vielleicht aber auch, um es als Geschenk unter den Weihnachtsbaum zu legen. Da gehören Weih-nachtsmärchen hin.

Das folgende Märchen schrieb ich in den 1990er Jahren, kurz nach der sogenannten Wende. Es spie-gelt eigentlich die damalige ostdeutsche und kom-munale Situation ein wenig wieder. Im öffentlichen Dienst fanden zahlreiche Überprüfungen statt. Vie-le mussten gehen, weil sie in der DDR zu staatsnah waren. Das traf natürlich vor allem für die ehemali-gen Eliten zu, so dass viele aus der zweiten in die ers-te Reihe rückten. Nicht alle waren tatsächlich dafür geeignet.

Oft tobte auch ein ziemlich schmutziger Kampf um Posten und Positionen, und manchem wurde wohl auch Unrecht getan. Nicht jeder, der plötzlich so tat, als wäre er schon immer dagegen gewesen, gehörte auch tatsächlich zu jenen, die sich aktiv gegen die Verhältnisse in der DDR auflehnten. Mancher war vielleicht einfach nur froh, dass er in seiner Position zu unbedeutend war, um für die sogenannten Si-cherheitsorgane interessant gewesen zu sein.

In der Kommunalpolitik meiner Stadt machte sich langsam bemerkbar, dass man sich vieles nicht mehr so richtig leisten konnte, und man suchte ver-zweifelt nach Einsparmöglichkeiten. Beim Theater wollte man zum Beispiel das hochklassige Ballett-ensemble abschaffen. Ein führender Kommunal-politiker erklärte, er habe auch schon sehr schöne Bühnenstücke gesehen, in denen nur zwei Tänzer auftraten.

Nicht jeder, der zu dieser Zeit seinen Job und seinen Posten verlor, endete als Langzeitarbeitsloser in den Warteschleifen der wie Pilze aus dem Boden schie-ßenden Bildungsträger. Mancher nutzte tatsächlich die Gunst der Stunde oder des heimlich beiseite geschafften ehemaligen Volksvermögens. Für Ver-sicherungsmakler und Finanzberater war in Ost-deutschland eine Goldgräberzeit, mancher konnte sich auch als Immobilienmakler oder Autoverkäu-fer profilieren. Wobei ich es selbstverständlich je-dem gönne, der es in dieser Zeit mit Witz, Geschick und Ehrlichkeit geschafft hat, sich eine Existenz auf-zubauen.

Der Wolf und das böse Rotkäppchen

Manchmal ist es regelrecht ein Wunder, dass Weih-nachten pünktlich und in Harmonie stattfinden kann. Ich denke dabei gar nicht an die Hektik, welche die vorweihnachtlichen Besorgungen ver-breiten. Denn die leichtsinnigen Geldausgaben be-reuen die meisten Leute erst am Nachmittag des Neujahrstages, wenn ihnen bewusst wird, dass es nun zwar wieder ewig dauert bis zum Sommerur-laub, aber nach spätestens sechs Monatsgehältern der Flug auf die Trauminsel bezahlt werden muss, den man in der November und Dezember Tristesse unmittelbar vor dem Festeinkauf im „Laufland“ in der Filiale des dortigen Reisebüros mit 10% anzahl-te. Damals war man noch froh, heruntergehandelt zu haben, denn auch die hübsch gestylte Mitarbei-terin im Schaufenster der Reiseagentur brauchte noch ein bisschen Kleingeld und wollte einem doch glatt 25 % Anzahlung abknöpfen, um die Provision zu strecken. Aber man hatte das Kleingedruckte vom Vorjahr noch im Gedächtnis und imponier-te ein wenig mit seinem Scheinwissen, murmelte „unlauterer Wettbewerb“ vor sich hin und musste eben doch nur einen halben Tausender hinblättern, was relativ leicht fiel, da das sogenannte dreizehnte Monatsgehalt etwas Entspannung im Dispokredit geschaffen hatte.

Nein, diesen Frust meine ich nicht, der spielt kurz vor Weihnachten noch keine Rolle, da ist man noch stolz auf sich, erst später denkt man: ,,Hätte die Schnecke doch auf 25% bestanden, nie und nim-mer hätte ich gebucht, verflucht, wo werden solche Leute nur ausgebildet?“

Viel interessanter ist, was sich so kurz vor Weih-nachten bei den Leuten abspielt, die direkt mit Weihnachten zu tun haben. Es ist natürlich Quatsch, jetzt zu behaupten, die leben alle im Märchenwald. Das war vielleicht zu Zeiten der Gebrüder Grimm so, immerhin soll da der Wald noch gesund gewe-sen sein. Heute leben die Märchenleute irgendwo, eigentlich sehen sie sich das ganze Jahr nicht, nur kurz vor Weihnachten, da kommen sie alle mal zu-sammen. Dann wird nämlich beraten und über-prüft, ob sich auch alle so benommen haben, dass sie im Jahresendprogramm auftreten können. Ge-rade zu Weihnachten schaut man auf die Märchen. So mancher Vater, der sonst ein ganz harter Hund ist, und seinen Sohn auch donnerstags 20:00 Uhr ins Bett schickt, obwohl da auf Pro Sieben Akte X läuft, so mancher Vater also erlaubt, dass Weih-nachten auf dem Fernseher in der guten Stube ein Märchen gesehen wird. Ohne ein mürrisches Wort verzieht er sich am Heiligen Abend ins Kinderzim-mer, um dort auf dem 35 cm Bildschirm zu gucken, wie Jean Claude van Damme so ein paar Wüsten-muftis das Gehirn aus dem Schädel feuert.

Ja, die Märchenfiguren spielen eine wichtige Rolle bei der Organisation der weihnachtlichen Atmo-sphäre im Lichte der elektrischen Christbaumbe-leuchtung.

Eines Tages nun aber geschah es, dass die Zusam-menkunft eben jener Gesellen überhaupt nicht in christlicher Stimmung verlief. Den Anfang mach-te nämlich Rotkäppchen, die sich furchtbar darü-ber aufregte, dass sie sich wie jedes Jahr vom Wolf fressen lassen sollte. Sie meinte, dass es überhaupt noch nicht erforscht sei, ob das alljährlich vorweih-nachtliche Gefressenwerden nicht irgendwelche Nachwirkungen hinterlassen könne. Wer weiß, mit welchen Bakteriophagen sie im Magen des Wolfs zusammentreffen würde.

Natürlich waren alle Anwesenden zunächst sehr erschrocken über die Äußerungen des Rotkäpp-chens. Bisher hatte es nämlich noch niemand ge-wagt, offen Kritik an den Zuständen im Märchen-land zu üben. So war es auch zu erklären, dass der vorsitzende Weihnachtsmann zunächst überrascht reagierte und zu nichts anderem fähig war als zu der Frage: ,,Wieso?“

Jetzt war auch Rotkäppchen überrascht, denn ei-gentlich hatten sie die sieben Geißlein überredet, das Thema einmal anzusprechen. Obwohl die sie-ben eigentlich nichts auszustehen hatten, denn der

Wolf hatte sie schon lange nicht mehr gefressen, was aber auch daran lag, dass sich dieser Stoff nur schwer verfilmen ließ, schließlich hatte es schon beim Schweinchen Babe oder den 101 Dalmatinern Proteste von Tierschützern gegeben ...

Die sieben Geißlein hatten Rotkäppchen ein Pfund echten Ziegenkäses versprochen, wenn sie sich be-schweren würde. Da war Rotkäppchen schwach geworden, denn immerhin stellte Ziegenkäse eine echte Rarität dar, ein Ostprodukt eben, früher überall statt Camembert zu haben, aber heute, na, da musste man aber suchen bei den Supermarkt-ketten von Quengelmann.

Rotkäppchen also hatte gesprochen und eigent-lich fast mit dem Rausschmiss aus dem Märchen gerechnet, aber der vorsitzende Weihnachtsmann fragte nur „wieso?“.

Ein eisiges Schweigen legte sich über den Tagungs-ort und der vorsitzende Weihnachtsmann erkannte nach wenigen Minuten, dass er etwas tun müsse. In seiner Not suchte er nach den Blicken der Mär-chenfiguren, aber die schauten alle nach unten oder zur Seite, so als hätte der Weihnachtsmann gefragt, ob sich noch jemand beschweren wolle.

Nur die Großmutter, die schaute den Weihnachts-mann ganz freundlich an. Sie hatte nämlich vor

kurzem einen Fortbildungslehrgang für Selbstmo-tivation und Persönlichkeitstraining besucht und kriegte daher gar nicht mit, was eigentlich los war.

„Großmutter‘‘, fragte der vorsitzende Weihnachts-mann, ,,würdest du dich dieses Jahr wieder fressen lassen?“

Da nickte die Großmutter eifrig, denn sie war stolz, als erste vom Chef angesprochen zu werden und wertete dies als Ergebnis ihres mentalen Trainings. Rotkäppchen aber dachte, die Großmutter sei froh, in ihrem Alter überhaupt noch einen Job machen zu dürfen. Dafür ließe sie sich von jedem fressen. Das sagte sie jetzt aber nicht laut, denn ein bisschen Mutigsein genügte schließlich für den Anfang.

Da mischte sich Schneewittchen ein. Sie sah plötz-lich für sich und ihre Firma eine Chance. Immerhin waren in ihrem Märchen die Personalkosten sehr hoch. In den letzten Jahren hatte es schon Überle-gungen gegeben, die Geschichte ganz abzuwickeln. Nur der Protest der Vereinigten Bestattungsunter-nehmer hatte schlimmeres verhindert, denn diese kamen zumeist aus westlichen Landen und sahen den Absatz von Glassärgen gefährdet. Immerhin hatte aber ein hochgestellter Herr, der von Märchen zwar keine Ahnung, aber viel zu sagen hatte ver-kündet, er habe auch schon sehr schöne Märchen mit nur zwei Zwergen gesehen.

Schneewittchen wäre mit ihrer Mannschaft sofort bereit gewesen, im Weihnachtsprogramm aufzu-treten. Der bösen Stiefmutter war es relativ egal, ob sie nun Schneewittchen vergiften oder Aschen-puttel verprügeln solle und enthielt sich der Stim-me. Der schöne Königsohn hatte auch mal wieder Lust auf eine schnuckelige Prinzessin und war so-fort dafür. Die sieben Zwerge entschieden sich ein-stimmig. Selbst Dornröschen und ihre Crew sag-ten Unterstützung zu. Sie hatten gerade einen alten Herrschaftssitz in der Lausitz erworben, der war in einem Zustand, dass er noch mal hundert Jahre Schlaf nicht überstanden hätte. Deshalb wollten sie dieses Jahr sowieso aussetzen.

Es sah also alles nach einer absoluten Mehrheit für Schneewittchen aus, was gerade zu Weihnachten unter sozialen Aspekten wichtig gewesen wäre.

Der Wolf hatte die ganze Zeit nur zugehört. Er war-tete den richtigen Moment ab, um sich in Szene zu setzen. Als eigentlich alles schon klar war, rief er in die Runde. ,,Sind wir also schon wieder so weit, dass die Rotbekäppten“, er sagte wirklich „Rotbe-käppten“, was die Sache beinahe ins Lächerliche hätte abgleiten lassen, ,,sind wir schon wieder so weit, dass die Rotbekäppten hier das Sagen haben?“

Ein Raunen ging durch die Menge. Jetzt musste noch einmal diskutiert werden. Schließlich hatte

der Wolf das einzige Argument ins Feld geführt, bei dem jeder auf seiner Seite stehen musste, wollte er nicht sein Gesicht verlieren. Ein paar Unverbesser-liche gab es zwar immer noch. So fragte Frau Holle: ,,Was soll denn das jetzt?“ Aber sie schwieg schnell, denn immerhin hatte man ihr erst kürzlich vorge-worfen, jahrelang wertvollen Schnee aus dem Fens-ter geworfen und dabei selbst in Saus und Braus gelebt zu haben. Frau Holle musste froh sein, über-haupt noch geduldet zu sein, auch wenn sie keiner mehr ernst nahm.

Der Wolf setzte noch eins drauf und erzählte, wie er früher immer von Rotkäppchen gequält und ge-peinigt wurde. So hatte Rotkäppchen des Öfteren von ihm verlangt, ein Stöckchen zu holen, was sie vorher weggeworfen hatte. Der Wolf tat dies zwar immer, aber innerlich kochte der Widerstand und er blickte Rotkäppchen immer mit gierigen Augen an, zumindest, wenn sie es nicht sah. Man sei es also ihm und den vielen anderen gequälten Wölfen schuldig, dass in diesem Jahr endlich wieder einmal das Rotkäppchen gefressen wurde.

Es kam zu heftigen Kontroversen zwischen den Anwesenden. Der vorsitzende Weihnachtsmann schlug vor, eine Kommission zu gründen, welche die Vorwürfe der Tierquälerei untersuchen sollte. Der Wolf wurde beauftragt, Vorschläge für die Mit-glieder zu benennen und schlug sich gleich selbst

vor. Daraufhin gründeten die sieben Geißlein eine alternative Kommission unter Vorsitz des Jägers. Allerdings musste dieser seinen Posten bald wieder abgeben, weil bekannt wurde, dass er in der Vergan-genheit immer erst eine Weile an der Tür gelauscht hatte, bevor er Rotkäppchen und die Großmutter befreite. Darüber war die Großmutter so empört, dass sie gleich selbst den Vorsitz übernahm.

Die Märchenfiguren waren also ziemlich gespalten und verzankt. Der vorsitzende Weihnachtsmann versprach mal der einen, mal der anderen Seite, alles für eine objektive Aufarbeitung der Vergan-genheit zu tun. Das Chaos war vollkommen, als sich herausstellte, dass selbst der vorsitzende Weih-nachtsmann mal einen Kuchen von Rotkäppchen angenommen hatte. Er behauptete zwar, dass dies nur die Mutter vom Rotkäppchen gewesen sei, aber Rotkäppchen behauptete steif und fest, sie hätte selbst den Kuchen überbracht. So stand Aussage gegen Aussage und die Mutter konnte man nicht fragen, weil sie gerade an einer vom Arbeitsamt ge-förderten Umschulungsmaßnahme teilnahm.

Zum Eklat kam es, als der König, welcher den vor-sitzenden Weihnachtsmann gern einmal abgelöst hätte, sich über Aschenputtels Tauben aufregte. ,,Wo anders hat man deren Fütterung eingestellt!“ rief er wütend über einen schwarzweißen Fleck auf seinem Hermelinumhang. Das hätte er lieber nicht

machen sollen. Natürlich waren insgeheim die meisten seiner Meinung, denn viele störte der Tau-bendreck, der überall herunterfiel. Aber die Tauben waren schließlich auch Märchenfiguren. Da der König sowieso auf der Abschussliste stand, waren schließlich alle einverstanden, ihn wegen märchen-verachtender Äußerungen des Amtes zu entheben.

Fast wäre Weihnachten ohne Märchen vorüber-gegangen. Aber eine große private Fernsehstation deckte eine Story auf, die sich wunderbar in der Weihnachtszeit vermarkten ließ.

Ein Müller hatte nämlich einem hässlichen kleinen Mann seine Tochter für Filmaufnahmen angebo-ten. Der Alte, ein gewisser R., hatte dem Müller Gold dafür gegeben. Mit dem Mädchen produzier-te er einige Streifen, die dann als Kinderpornos auf dem Schwarzmarkt angeboten wurden. Diese gan-ze Geschichte deckte der Sender auf, auch das sich der Müller von dem Gold einen Adelstitel kaufte und reich heiratete. Da ging die Geschichte etwas durcheinander, denn von wem hatte der Müller die Tochter vor seiner Ehe gehabt? Dies bemerkte aber keiner, auch weil das heutzutage ja so üblich ist.

Ein amerikanischer Filmkonzern machte aus der Handlung einen Zeichentrickfilm. Allerdings wur-de der Täter R. als bemitleidenswerter, kleinwüchsi-ger Behinderter dargestellt, der Stroh zu Gold spin-

nen konnte. Zum Schluss wurde er mit dem Tode bestraft, verwandelte sich in einen wunderschönen Königssohn und wanderte aus nach Thailand, wo er ein Kinderheim eröffnete. Oder so ähnlich, das weiß ich nicht mehr.

Jedenfalls war Weihnachten gerettet, der Film lief im Fernsehen, alle kleinen Mädchen wünsch-ten sich eine Puppe, die aussah wie der kleine R. und selbst der strengste Vater guckte mit, denn so ein Thema zieht immer die ganze Familie vor den Fernseher.

Im Märchenwald erkannte man den Trend der Zeit. Die dreizehnte Fee gründete ein Bürgerbüro, wo man alle verpetzen konnte, die zu Dornröschens achtzehnten Geburtstag bei Hofe geladen und er-schienen waren. Mancher zahme Hund bereute, dass er nicht auch ein böser Wolf gewesen war, mancher hatte Glück und konnte beweisen, dass er wenigstens ab und zu ärgerlich geknurrt hatte. Dem Jäger allerdings wurde der Waffenschein entzogen, so dass er ein Immobilienbüro gründen musste.

Man kann